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Drei Kameraden 26 страница



»Wie ist es denn gekommen? « fragte er nochmals.

»Ich weiß nicht. Es muß eine Verwechslung mit jemand gewesen sein. «

»War er im Krieg? « fragte der Arzt.

Ich nickte.

»Man sieht es an den Narben«, sagte er. »Und an dem zerschossenen Arm. Er ist mehrere Male verwundet worden. «

»Ja. Viermal. «

»Eine Gemeinheit«, sagte der Sanitä ter. »Sind doch alles Lausebengels, die damals noch in den Windeln lagen. «

Ich erwiderte nichts. Gottfried sah mich an. Immerfort an.

Es dauerte lange, bis Kö ster wiederkam. Er war allein. Der Arzt legte die Zeitung weg, in der er gelesen hatte. »Sind die Beamten da? « fragte er.

Kö ster blieb stehen. Er hatte nicht gehö rt, was der Arzt gesagt hatte.

»Ist die Polizei da? « fragte der Arzt noch einmal.

»Ja«, erwiderte Kö ster. »Die Polizei. Wir mü ssen telefonieren, daß sie kommt. «

Der Arzt sah ihn an, sagte aber nichts und ging zum Telefon. Ein paar Minuten spä ter kamen zwei Beamte. Sie setzten sich an einen Tisch, und einer von ihnen nahm Gottfrieds Personalien auf. Ich weiß nicht, aber es schien mir irrsinnig, zu sagen, wie er hieß und wann er geboren war und wo er wohnte, jetzt, wo er tot war. Ich starrte auf den schwä rzlichen Bleistiftstummel, den der Beamte ab und zu mit den Lippen befeuchtete, und gab mechanisch Antwort.

Der andere Beamte begann ein Protokoll aufzusetzen. Kö ster machte die notwendigen Angaben. »Kö nnen Sie mir ungefä hr sagen, wie der Tä ter aussah? « fragte der Beamte.

»Nein«, erwiderte Kö ster. »Ich habe nicht darauf geachtet. «

Ich blickte zu ihm hinü ber. Ich dachte an die gelben Gamaschen und die Uniformen.

»Wissen Sie nicht, welcher politischen Partei er angehö rte? Haben Sie nicht die Abzeichen oder die Uniform gesehen? «

»Nein«, sagte Kö ster. »Ich habe nichts gesehen vor den Schü ssen. Und dann habe ich mich nur um... «, er stockte einen Augenblick, »um meinen Kameraden gekü mmert. «

»Gehö ren Sie einer politischen Partei an? «

»Nein. «

»Ich meinte, weil Sie sagten, er wä re Ihr Kamerad... «

»Er ist mein Kamerad aus dem Krieg«, sagte Kö ster.

Der Beamte wandte sich mir zu. »Kö nnen Sie den Tä ter beschreiben? «

Kö ster sah mich fest an. »Nein«, sagte ich. »Ich habe auch nichts gesehen. «

»Merkwü rdig«, sagte der Beamte.

»Wir waren im Gesprä ch und haben auf nichts geachtet. Es ging auch alles sehr schnell. «

Der Beamte seufzte. »Da ist wenig Aussicht, daß wir die Kerle kriegen. «

Er machte das Protokoll fertig. »Kö nnen wir ihn mitnehmen? « fragte Kö ster.

»Eigentlich... « Der Beamte blickte den Arzt an. »Die Todesursache ist einwandfrei festgestellt? «

Der Arzt nickte. »Ich habe den Schein schon ausgeschrieben. «

»Und wo ist das Geschoß? Ich muß das Geschoß mitnehmen. «

»Es sind zwei Steckschü sse. Ich mü ß te... « Der Arzt zö gerte.

»Ich muß beide haben«, sagte der Beamte. »Ich muß sehen, ob sie aus der gleichen Waffe sind. «

»Ja«, erwiderte Kö ster auf einen Blick des Arztes.

Der Sanitä ter rü ckte die Bahre zurecht und zog das Licht herunter. Der Arzt nahm seine Werkzeuge und fuhr mit einer Pinzette in die Wunden. Die erste Kugel fand er rasch; sie war nicht sehr tief. Bei der zweiten muß te er schneiden. Er zog die Gummihandschuhe ganz herauf und griff nach den Klammern und dem Messer. Kö ster trat rasch an die Bahre und drü ckte Gottfrieds Augen zu, die immer noch halb offenstanden. Ich wandte mich ab, als ich das leise Zischen des Messers hö rte. Einen Augenblick lang wollte ich zuspringen und den Arzt beiseite stoß en, weil es in mir aufzuckte, Gottfried sei nur bewuß tlos und der Arzt tö te ihn jetzt erst wirklich — aber dann wuß te ich es wieder. Wir hatten genug Tote gesehen, um es zu wissen.

»Das ist sie«, sagte der Arzt und richtete sich auf. Er wischte das Geschoß ab und gab es dem Beamten.

»Es ist das gleiche. Aus derselben Waffe, nicht wahr? «

Kö ster beugte sich vor und sah die kleinen, stumpfschimmernden Geschosse, die in der Hand des Beamten hin und her rollten, genau an.

»Ja«, sagte er.

Der Beamte wickelte sie in Papier und steckte sie in die Tasche.

»Es ist eigentlich nicht erlaubt«, sagte er dann, »aber wenn Sie ihn nach Hause nehmen wollen — der Tatbestand ist ja klar, nicht wahr, Herr Doktor? « Der Arzt nickte. »Sie sind ja auch Gerichtsarzt«, fuhr der Beamte fort, »also dann — wie Sie wollen — Sie mü ssen nur — es kö nnte sein, daß morgen noch eine Kommission kommt... «

»Ich weiß «, sagte Kö ster. »Wir werden alles genauso lassen. « Die Beamten gingen.

Der Arzt hatte die Wunden Gottfrieds wieder bedeckt und verklebt. »Wie wollen Sie es machen? « fragte er. »Sie kö nnen die Bahre mitnehmen. Sie brauchen sie morgen nur im Laufe des Tages hierher zurü ckzuschicken. «

»Ja, danke«, sagte Kö ster. »Komm, Robby. «

»Ich kann Ihnen helfen«, sagte der Sanitä ter.

Ich schü ttelte den Kopf. »Es geht schon. «

Wir nahmen die Bahre, trugen sie hinaus und legten sie auf die beiden linken Sitze, die mit der heruntergeklappten Lehne eine Ebene bildeten. Der Sanitä ter und der Arzt kamen heraus und sahen zu. Wir deckten Gottfrieds Mantel ü ber ihn und fuhren ab. Nach einer Weile wandte sich Kö ster zu mir um. »Wir fahren die Straß e noch einmal ab. Ich habe es vorhin schon getan. Aber da war es zu frü h. Vielleicht sind sie jetzt unterwegs. «

Es fing langsam an zu schneien. Kö ster fuhr den Wagen fast unhö rbar. Er kuppelte aus, und oft stellte er auch die Zü ndung ab. Er wollte nicht gehö rt werden, obschon die vier, die wir suchten, ja nicht wuß ten, daß wir den Wagen hatten. Dann glitten wir lautlos wie ein weiß es Gespenst durch den immer stä rker fallenden Schnee. Ich holte mir aus dem Werkzeug einen Hammer heraus und legte ihn neben mich, um sofort aus dem Wagen springen und zuschlagen zu kö nnen. Wir kamen die Straß e entlang, in der es passiert war. Unter der Laterne war noch der schwarze Fleck des Blutes. Kö ster schaltete das Licht aus. Wir glitten dicht an der Bordkante entlang und beobachteten die Straß e. Niemand war zu sehen. Nur aus einer erleuchteten Kneipe hö rten wir Stimmen.

Kö ster hielt an der Kreuzung. »Bleib hier«, sagte er, »ich will in der Kneipe nachsehen. «

»Ich gehe mit«, erwiderte ich.

Er sah mich mit einem Blick an, wie ich ihn aus der Zeit kannte, als er allein auf Patrouille ging. »Ich werde es nicht in der Kneipe abmachen«, sagte er. »Da kann er mir doch noch entwischen. Ich will nur sehen, ob er da ist. Dann werden wir auf ihn warten. Bleib du hier bei Gottfried. «

Ich nickte, und er verschwand im Schneegestö ber. Die Flocken flogen mir ins Gesicht und schmolzen auf der Haut. Ich konnte es plö tzlich nicht ertragen, daß Gottfried zugedeckt war, als ob er nicht mehr zu uns gehö rte, und ich schob den Mantel von seinem Kopf fort. Der Schnee fiel jetzt auch auf sein Gesicht, auf seine Augen und seinen Mund, aber er schmolz nicht. Ich nahm mein Taschentuch, wischte ihn weg und deckte den Mantel wieder darü ber.

Kö ster kam zurü ck. »Nichts gewesen? « — »Nein«, sagte er.

Er stieg ein. »Wir fahren jetzt noch die andern Straß en ab. Ich habe das Gefü hl, daß wir ihnen jeden Moment begegnen mü ssen. «

Der Wagen brü llte auf und wurde sofort wieder abgedrosselt. Leise schlichen wir durch die weiß e, wirbelnde Nacht, von Straß e zu Straß e, in den Kurven hielt ich Gottfried fest, damit er nicht herunterrutschte, und ab und zu hielten wir hundert Meter hinter einer Kneipe, und Kö ster lief in langen Sprü ngen zurü ck, um hineinzusehen. Er war von einer finsteren, kalten Besessenheit, er dachte nicht daran, Gottfried erst fortzubringen, zweimal setzte er dazu an; aber dann kehrte er wieder um, weil er glaubte, gerade in diesem Augenblick kö nnten die vier unterwegs sein.

Plö tzlich sahen wir weit vor uns, auf einer langen, kahlen Straß e, eine dunkle Gruppe von Menschen. Kö ster schaltete sofort die Zü ndung ab, und lautlos, ohne Licht, kamen wir heran. Die Leute hö rten uns nicht. Sie sprachen miteinander. »Es sind vier«, flü sterte ich Kö ster zu. Im gleichen Moment brü llte der Wagen auf, durchraste die letzten zweihundert Meter, sprang halb auf das Trottoir und hielt knirschend und schleudernd einen Meter neben den vier aufschreienden Leuten. Kö ster hing halb aus dem Wagen, sein Kö rper war ein Stahlbogen, bereit, loszuspringen, und sein Gesicht war unerbittlich wie der Tod.

Es waren vier harmlose, ä ltere Leute. Einer von ihnen war betrunken. Sie begannen zu schimpfen. Kö ster erwiderte nichts. Wir fuhren weiter. »Otto«, sagte ich, »wir werden ihn heute nicht kriegen. Ich glaube nicht, daß er sich auf die Straß e traut. «

»Ja, vielleicht«, erwiderte er nach einer Weile und wendete den Wagen. Wir fuhren zu Kö sters Wohnung. Sein Zimmer hatte einen eigenen Eingang, so daß wir niemand zu wecken brauchten. Als wir ausstiegen, sagte ich: »Weshalb wolltest du der Polizei nicht sagen, wie er aussah? Wir hä tten doch Hilfe beim Suchen gehabt. Und gesehen haben wir ihn doch ziemlich genau. «

Kö ster blickte mich an. »Weil wir das allein abmachen werden, ohne Polizei. Glaubst du denn« — seine Stimme wurde ganz leise, unterdrü ckt und schrecklich —, »ich werde ihn der Polizei ü bergeben? Damit er ein paar Jahre Gefä ngnis bekommt? Du weiß t doch, wie alle diese Prozesse enden! Diese Burschen wissen, daß sie milde Richter finden! Das gibt es nicht! Ich sage dir, und wenn die Polizei ihn fä nde, ich wü rde erklä ren, er wä re es nicht, damit ich ihn wiederbekä me! Gottfried tot und der am Leben! Das gibt es nicht! «

Wir nahmen die Bahre von den Sitzen und trugen sie durch das Schneegestö ber und den Wind hinein, und es war, als wä ren wir in Flandern und brä chten einen toten Kameraden aus dem Schü tzengraben zurü ck nach hinten.

Wir kauften einen Sarg und ein Grab auf dem Gemeindefriedhof. Es war ein klarer, sonniger Tag, als er beerdigt wurde. Wir machten den Sarg selbst zu und trugen ihn die Treppen hinunter. Es gingen nicht viele Leute mit. Ferdinand, Valentin, Alfons, der Barmixer Fred, Georgie, Jupp, Frau Stoß, Gustav, Stefan Grigoleit und Rosa. Vor dem Friedhofstor muß ten wir eine Zeitlang warten. Es waren noch zwei Trauerzü ge vor uns da, die durchgelassen werden muß ten. Einer mit einem schwarzen Beerdigungsauto, ein anderer mit schwarz und silbern behangenen Pferden und einer endlosen Reihe von Leidtragenden, die sich lebhaft unterhielten.

Wir hoben den Sarg vom Wagen und ließ en ihn selbst mit den Seilen hinunter. Der Totengrä ber war zufrieden damit, denn er hatte bei den andern Grä bern genug zu tun. Wir hatten auch einen Geistlichen bestellt. Wir wuß ten zwar nicht, was Gottfried dazu gesagt hä tte, aber Valentin war dafü r gewesen. Wir hatten den Pastor allerdings gebeten, keine Rede zu halten. Er sollte nur eine Bibelstelle vorlesen. Der Geistliche war ein alter, kurzsichtiger Mann. Als er an das Grab trat, stolperte er ü ber einen Erdklumpen und wä re hineingestü rzt, wenn Kö ster und Valentin ihn nicht gehalten hä tten. Bei dem Fall aber rutschte ihm die Bibel fort und die Brille, die er gerade aufsetzen wollte. Sie fielen in das Grab. Bestü rzt starrte der Geistliche hinterher.

»Lassen Sie es gut sein, Herr Pfarrer«, sagte Valentin, »wir ersetzen Ihnen die Sachen. «

»Es ist nicht wegen des Buches«, erwiderte der Geistliche leise, »aber die Brille brauche ich. «

Valentin brach einen Zweig von der Friedhofshecke. Dann kniete er am Grabe nieder, und es gelang ihm, die Brille an einem Bü gel zu fassen und sie aus den Krä nzen herauszuholen. Sie war aus Gold. Vielleicht hatte der Pfarrer sie deshalb wiederhaben wollen. Die Bibel war seitlich am Sarge vorbeigerutscht; man hä tte ihn herausholen und hinuntersteigen mü ssen, um sie zu finden. Das wollte auch der Geistliche nicht. Er stand verlegen da. »Soll ich statt dessen einige Worte sprechen? « fragte er.

»Lassen Sie nur, Herr Pfarrer«, sagte Ferdinand. »Er hat ja nun da unten das ganze Testament. «

Die aufgeworfene Erde roch stark. In einer der Schollen kroch ein weiß er Engerling. Wenn die Erde wieder hinuntergeworfen war, wü rde er unten weiterleben, sich verpuppen und im nä chsten Jahre die Scholle durchbrechen und ans Licht gelangen. Gottfried aber war tot. Er war ausgelö scht. Wir standen an seinem Grabe, wir wuß ten, daß sein Kö rper, sein Haar, seine Augen noch da waren, verwandelt schon, aber doch noch da, und daß er trotzdem schon fort war und nie wiederkam. Es war nicht zu begreifen. Unsere Haut war warm, unsere Gedanken arbeiteten, unser Herz pumpte Blut durch die Adern, wir waren da wie vorher, wie gestern noch, uns fehlte nicht plö tzlich ein Arm, wir waren nicht blind oder stumm geworden, alles war wie immer, gleich wü rden wir fortgehen und Gottfried Lenz wü rde zurü ckbleiben und niemals nachkommen. Es war nicht zu begreifen.

Die Schollen polterten auf den Sarg. Der Totengrä ber hatte uns Spaten gegeben und nun gruben wir ihn ein, Valentin, Kö ster, Alfons, ich, wie wir schon manchen Kameraden eingegraben hatten. Drö hnend schlug mir ein altes Soldatenlied durch den Schä del, ein altes, trauriges Soldatenlied, das er oft gesungen hatte — »Argonnerwald, Argonnerwald — ein stiller Friedhof bist du bald... «

Alfons hatte ein einfaches, schwarzes Holzkreuz mitgebracht, ein Kreuz, wie sie auf den endlosen Grä berreihen in Frankreich zu Hunderttausenden stehen. Wir setzten es an das Kopfende des Grabes.

»Kommt«, sagte Valentin schließ lich heiser.

»Ja«, sagte Kö ster. Aber er blieb stehen. Wir blieben alle stehen. Valentin sah uns der Reihe nach an. »Wozu? « sagte er langsam. »Wozu nur? Verflucht! «

Keiner antwortete.

Valentin machte eine mü de Bewegung. »Kommt. «

Wir gingen ü ber die Kieswege, dem Ausgang zu. Am Tor erwarteten uns Fred, Georgie und die andern. »Er konnte so wunderbar lachen«, sagte Stefan Grigoleit, und die Trä nen flö ssen ü ber sein hilfloses, zorniges Gesicht.

Ich sah mich um. Niemand kam hinter uns her.

XXV

 

Im Februar saß ich mit Kö ster zum letztenmal in unserer Werkstatt. Wir hatten sie verkaufen mü ssen, und jetzt warteten wir auf den Auktionator, der die Einrichtungsgegenstä nde und die Droschke versteigern sollte. Kö ster hatte Aussicht, als Rennfahrer bei einer kleineren Autofirma im Frü hjahr unterzukommen. Ich blieb im Café International und wollte versuchen, tagsü ber noch irgendeine Arbeit dazuzufinden, um mehr zu verdienen.

Auf dem Hof versammelten sich allmä hlich ein paar Leute. Der Auktionator kam. »Gehst du 'raus, Otto? « fragte ich.

»Wozu? Es steht ja alles drauß en, und er weiß Bescheid. «

Kö ster sah mü de aus. Man konnte es bei ihm nicht leicht merken, aber wenn man ihn genau kannte, wuß te man es. Sein Gesicht sah dann eher gespannter und hä rter aus als sonst. Er war Abend fü r Abend unterwegs, immer in derselben Gegend. Er kannte lä ngst den Namen des Burschen, der Gottfried erschossen hatte. Er konnte ihn nur nicht finden, weil der andere, aus Furcht vor der Polizei, sein Quartier gewechselt hatte und sich irgendwo verborgen hielt. Alfons hatte das alles herausbekommen. Er wartete ebenfalls. Es war allerdings mö glich, daß der andere gar nicht in der Stadt war. Daß Kö ster und Alfons hinter ihm her waren, wuß te er nicht. Sie warteten darauf, daß er zurü ckkam, wenn er sich sicher fü hlte.

»Ich werde mal 'rausgehen und zusehen, Otto«, sagte ich.

»Gut. «

Ich ging auf den Hof. Unsere Werkzeugbä nke und die ü brigen Sachen waren in der Mitte aufgebaut. Rechts an der Mauer stand das Taxi. Wir hatten es sauber gewaschen. Ich betrachtete die Polster und die Reifen. Unsere brave Milchkuh hatte Gottfried es immer genannt. War gar nicht so einfach, sich davon zu trennen.

Jemand klopfte mir auf die Schulter. Ich wandte mich ü berrascht um. Ein junger, unangenehm forscher Mann in einem Gü rtelmantel stand vor mir. Er zwinkerte mit den Augen und schwang einen Bambusstock durch die Luft. »Hallo! Wir kennen uns doch! «

Eine Ahnung stieg in mir auf. »Guido Thiess von der Augeka! «

»Na also! « erklä rte das Gü rteltier selbstzufrieden. »Haben uns damals doch bei derselben Klamotte getroffen. Sie hatten allerdings einen ekelhaften Kerl bei sich. Beinah hä tte ich ihm ein paar 'reingehauen. «

Ich verzog unwillkü rlich das Gesicht, als ich daran dachte, daß er Kö ster beinahe ein paar 'reingehauen hä tte. Thiess deutete das als ein Lä cheln und zeigte seinerseits ein ziemlich schadhaftes Gebiß. »Na, Schwamm drü ber, Guido ist nicht nachtragend. Haben ja damals einen enormen Preis fü r den Groß vater gezahlt. War denn da noch was drin fü r Sie? «

»Ja«, sagte ich. »Der Wagen ist gut. «

Thiess meckerte. »Wä ren Sie mir gefolgt, hä tten Sie mehr gehabt. Und ich auch. Na, Schwamm drü ber! Vergeben und vergessen! Aber heute kö nnen wir Kippe machen. Fü r fü nfhundert Mark steigern wir den Kasten glatt ein. Ist ja kein Bein da, um zu bieten. Einverstanden? «

Ich begriff. Er glaubte, wir hä tten den Wagen damals weiterverkauft, und er wuß te nicht, daß uns die Werkstatt gehö rte. Im Gegenteil, er nahm an, wir wollten den Wagen jetzt wiederkaufen.

»Der Wagen ist heute noch fü nfzehnhundert wert«, sagte ich. »Die Taxikonzession nicht einmal eingeschlossen. «

»Eben«, erklä rte Guido eifrig. »Wir gehen bis fü nfhundert, das heiß t ich. Kriegen wir den Zuschlag, zahle ich Ihnen dreihundertfü nfzig bar auf die Hand. «

»Kann ich nicht machen«, sagte ich. »Ich habe einen Kunden fü r den Wagen. «

»Immerhin... « Er wollte neue Vorschlä ge machen.

»Hat keinen Zweck... « Ich ging zur Mitte des Hofes hinü ber. Bis zwö lfhundert hatte er freie Hand, das wuß te ich.

Der Auktionator fing an, die Sachen auszubieten. Zuerst die Einrichtungsgegenstä nde. Sie brachten nicht viel. Das Werkzeug auch nicht. Dann kam die Droschke heran. Das erste Gebot war dreihundert Mark.

»Vierhundert«, sagte Guido.

»Vierhundertfü nfzig«, bot nach langem Zö gern ein Mann in einer Schlosserbluse.

Guido ging auf fü nfhundert. Der Auktionator fragte herum. Der Mann mit der Bluse schwieg. Guido zwinkerte mir zu und hob vier Finger hoch. »Sechshundert«, sagte ich.

Guido schü ttelte den Kopf und ging auf siebenhundert. Ich bot weiter. Guido ging verzweifelt mit. Bei tausend machte er mir geradezu beschwö rende Zeichen und deutete mit den Fingern, ich kö nne noch hundert verdienen. Er bot tausendzehn. Bei elfhundert wurde er rot und feindselig, quetschte aber doch elfhundertzehn hervor. Ich ging auf elfhundertneunzig und erwartete von ihm ein Gebot von zwö lfhundert. Dann wollte ich aufhö ren.

Aber Guido war jetzt wü tend. Er ä rgerte sich, daß er nach seiner Meinung herausgedrä ngt worden war, und bot plö tzlich dreizehnhundert. Ich ü berlegte rasch. Hä tte er weiter wirklich kaufen wollen, so hä tte er todsicher bei zwö lfhundert aufgehö rt. Jetzt wollte er mich aus Rache nur hochtreiben. Er glaubte nach unserm Gesprä ch, ich hä tte fü nfzehnhundert als Grenze und sah keine Gefahr fü r sich.

»Dreizehnhundertzehn«, sagte ich.

»Vierzehnhundert«, bot Guido rasch.

»Vierzehnhundertzehn«, erwiderte ich zö gernd. Ich hatte Angst, hä ngen zu bleiben.

»Vierzehnhundertneunzig! « Guido sah mich triumphierend und hö hnisch an. Er glaubte, mir die Suppe grü ndlich versalzen zu haben.

Ich hielt seinen Blick aus und schwieg. Der Auktionator fragte einmal, zweimal, dann hob er den Hammer. Im Augenblick, als er Guido den Wagen zuschlug, wechselte dessen Gesicht von Triumph in ratloses Erstaunen.

Fassungslos kam er zu mir heran. »Ich dachte, Sie wollten... «

»Nein«, sagte ich.

Er erhob sich und kratzte sich den Kopf. »Verdammt! Wird schwer sein, meiner Firma das beizubringen. Dachte, Sie" gingen bis fü nfzehnhundert. Immerhin — dieses Mal habe ich Ihnen wenigstens den Kasten weggeschnappt! «

»Das sollten Sie doch auch«, sagte ich.

Guido verstand nicht. Erst als er Kö ster kommen sah, begriff er auf einmal alles und fuhr sich in die Haare. »Herrgott, der Wagen gehö rte Ihnen? Ich Esel, ich wahnsinniger Esel! 'reingelegt! Auf die Latte genommen! Mensch, Guido, das muß dir passieren! Auf den ä ltesten Trick 'reinfliegen. Na, Schwamm drü ber. Die gerissensten Knaben fliegen immer gerade auf die bekanntesten Sachen 'rein! Holen wir beim nä chstenmal schon wieder 'raus! «

Er setzte sich ans Steuer und fuhr ab. Wir blickten dem Wagen nach, und uns war nicht besonders zumute.

Nachmittags kam Mathilde Stoß. Wir muß ten mit ihr noch fü r den letzten Monat abrechnen. Kö ster gab ihr das Geld und schlug vor, sich bei dem neuen Besitzer der Werkstatt wieder um den Posten als Scheuerfrau zu bemü hen. Wir hatten auch Jupp bei ihm untergebracht. Aber Mathilde schü ttelte den Kopf. »Nee, Herr Kö ster, ich mache Schluß. Die Knochen werden zu steif. «

»Was wollen Sie denn anfangen? « fragte ich.

»Ich geh' zu meiner Tochter. Die ist in Bunzlau verheiratet. Kennen Sie Bunzlau? «

»Nein, Mathilde. «

»Aber Herr Kö ster kennt es? «

»Auch nicht, Frau Stoß. «

»Komisch«, sagte Mathilde, »kein Mensch kennt Bunzlau. Habe schon so viele danach gefragt. Dabei ist meine Tochter seit zwö lf Jahren da verheiratet. Mit einem Kanzleisekretä r. «

»Dann wird es Bunzlau auch geben. Da kö nnen Sie ganz sicher sein. Wenn ein Kanzleisekretä r da wohnt. «

»Das schon. Aber es ist doch trotzdem komisch, daß keiner es kennt, was? «

Wir gaben das zu. »Weshalb waren Sie denn in all der Zeit selbst nicht einmal da? « fragte ich.

Mathilde schmunzelte. »Da war so eine Sache. Aber nu soll ich zu die Kinder kommen. Sie haben schon vier. Und Klein-Eduard soll auch mitkommen. «

»Ich glaube, in der Gegend von Bunzlau gibt's sehr guten Schnaps«, sagte ich. »Pflaumenschnaps oder so was... «

Mathilde wehrte ab. »Das war ja die Sache. Mein Schwiegersohn ist nä mlich Abstinent. Das sind Leute, die nichts trinken. «

Kö ster holte die letzte Flasche aus den leeren Regalen. »Na, Frau Stoß, dann mü ssen wir ja einen Abschiedsschnaps zusammen trinken. «

»Bin dabei«, sagte Mathilde.

Kö ster stellte die Glä ser auf den Tisch und schenkte ein. Mathilde goß den Rum mit einer Geschwindigkeit weg, als flö sse er durch ein Sieb. Ihre Oberlippe zuckte heftig, und der Schnurrbart bebte.

»Noch einen? « fragte ich.

»Ich sage nicht nein. «

Sie bekam noch ein groß es Glas voll, dann verabschiedete sie sich.

»Alles Gute in Bunzlau«, sagte ich.

»Ja, danke auch vielmals. Aber komisch ist es doch, daß es keiner kennt, wie? «

Sie schaukelte hinaus. Wir standen noch eine Weile in der leeren Werkstatt herum. »Kö nnten eigentlich auch gehen«, sagte Kö ster.

»Ja«, erwiderte ich. »Haben hier ja nichts mehr zu tun. «

Wir schlö ssen die Tü r ab und gingen hinaus. Dann holten wir Karl. Er stand jetzt in einer Garage in der Nä he und war nicht mit verkauft worden. Wir fuhren zur Bank und zur Post, und Kö ster zahlte das Geld an den Konkursverwalter ein. »Ich gehe jetzt schlafen«, sagte er, als er wieder herauskam. »Bist du nachher da? «

»Ich habe mich heute fü r den ganzen Abend frei gemacht. «

»Gut, ich komme dann so um acht. «

Wir aß en in einer kleinen Kneipe vor der Stadt und fuhren dann wieder hinein. Als wir in die ersten Straß en kamen, platzte uns ein Vorderreifen. Wir wechselten ihn aus. Karl war lange nicht gewaschen worden, und ich wurde ziemlich schmutzig dabei. »Mü ß te mir mal die Hä nde waschen, Otto«, sagte ich.

In der Nä he war ein ziemlich groß es Café. Wir gingen hinein und setzten uns an einen Tisch in der Nä he des Eingangs. Zu unserm Erstaunen war das Lokal fast ganz besetzt. Eine Damenkapelle spielte, und es herrschte groß er Betrieb. Die Musik trug bunte Papiermü tzen, eine Anzahl Gä ste war kostü miert, Papierschlangen flogen von Tisch zu Tisch, Luftballons stiegen auf, die Kellner rannten mit hochbeladenen Tabletts umher, und der ganze Raum war voll Bewegung, Gelä chter und Lä rm.

»Was ist denn hier los? « fragte Kö ster.

Ein blondes Mä dchen neben uns ü berschü ttete uns mit einer Wolke Konfetti. »Wo kommen Sie denn her? « lachte sie. »Wissen Sie nicht, daß heute Faschingsanfang ist? «

»Ach so«, sagte ich. »Na, dann werde ich mir mal die Hä nde waschen. «

Ich muß te das ganze Lokal durchqueren, um zu den Waschrä umen zu gelangen. Eine Weile wurde ich aufgehalten durch einige Leute, die betrunken waren und eine Frau auf den Tisch heben wollten, damit sie singen sollte. Die Frau wehrte sich kreischend, dabei fiel der Tisch um und mit dem Tisch die ganze Gesellschaft. Ich wartete, bis der Durchgang frei wurde — aber plö tzlich war es mir, als hä tte ich einen elektrischen Schlag erhalten. Ich stand steif und erstarrt da, das Lokal versank, der Lä rm, die Musik, nichts war mehr da, undeutliche, huschende Schatten waren es nur noch, aber deutlich, ungeheuer scharf und klar blieb ein Tisch, ein einziger Tisch und an dem Tisch ein junger Mensch, mit einer Narrenkappe schief auf dem Kopf, einen Arm um ein angetrunkenes Mä dchen gelegt, glasige, dumme Augen, sehr schmale Lippen, und unter dem Tisch hellgelbe, auffallende, glä nzend geputzte Ledergamaschen...

Ein Kellner stieß mich an. Ich ging wie betrunken weiter und blieb stehen. Mir war glü hend heiß, aber ich zitterte am ganzen Kö rper. Meine Hä nde waren klatschnaß. Ich sah jetzt auch die andern Leute am Tisch. Ich hö rte, daß sie im Chor mit herausfordernden Gesichtern irgendein Lied sangen und im Takt dazu mit den Bierglä sern auf den Tisch klopften. Wieder stieß mich jemand an. »Versperren Sie doch nicht die Passage«, knurrte er.

Ich ging mechanisch weiter, ich fand die Waschrä ume, ich wusch mir die Hä nde, und ich merkte es erst, als ich mir die Haut fast verbrü ht hatte. Dann ging ich zurü ck.

»Was hast du? « fragte Kö ster.

Ich konnte nicht antworten. »Ist dir schlecht? « fragte er.

Ich schü ttelte den Kopf und sah nach dem Tisch nebenan, von wo das blonde Mä dchen herü berschielte. Plö tzlich wurde Kö ster blaß. Seine Augen verengten sich. Er beugte sich vor.

»Ja? « fragte er ganz leise.

»Ja«, erwiderte ich.

»Wo? «

Ich blickte in die Richtung.

Kö ster erhob sich langsam. Es war, als ob eine Schlange sich aufrichtete. »Achtung«, flü sterte ich. »Nicht hier, Otto! «

Er wehrte mit einer kurzen Handbewegung ab und ging langsam vorwä rts. Ich hielt mich bereit, hinter ihm her zu stü rzen. Eine Frau stü lpte ihm eine grü nrote Papiermü tze auf und hä ngte sich an ihn. Sie fiel ab, ohne daß er sie berü hrt hä tte, und starrte ihm nach. Er ging in einem flachen Bogen durch das Lokal und kehrte zurü ck.

»Nicht mehr da«, sagte er.

Ich stand auf und blickte durch den Saal. Kö ster hatte recht.

»Glaubst du, daß er mich erkannt hat? « fragte ich.

Kö ster zuckte die Achseln. Er bemerkte jetzt erst die Papiermü tze auf seinem Kopf und streifte sie ab. »Ich verstehe das nicht«, sagte ich. »Ich bin doch hö chstens ein, zwei Minuten im Waschraum gewesen. «

»Du warst ü ber eine Viertelstunde weg. «

»Was? « Ich sah noch einmal zu dem Tisch hinü ber. »Die andern sind auch weg. Da war noch ein Mä dchen mit ihnen, das ist auch nicht mehr da. Wenn er mich erkannt hä tte, wä re er doch bestimmt allein verschwunden. «

Kö ster winkte dem Kellner. »Gibt es hier noch einen zweiten Ausgang? «

»Ja, drü ben, auf der andern Seite, nach der Hardenbergstraß e. «

Kö ster zog ein Geldstü ck aus der Tasche und gab es dem Kellner. »Komm«, sagte er.

»Schade«, sagte das blonde Mä dchen am Nebentisch und lä chelte. »So ernste Kavaliere. «

Der Wind drauß en schlug uns entgegen. Er schien eisig zu sein nach dem heiß en Qualm des Cafes. »Geh nach Hause«, sagte Kö ster.



  

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