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Drei Kameraden 28 страница



»Ekelhaftes Gespenst! «

»Was hat er sonst noch gesagt? « fragte Kö ster.

»Er hat mir erklä rt, woher es wahrscheinlich kä me. Er hä tte schon viele Patienten im gleichen Alter gehabt. Es seien Folgen des Krieges. Unterernä hrung in den Entwicklungsjahren. Aber was geht mich das alles an? Sie soll gesund werden. « Ich sah ihn an. »Natü rlich hat er mir gesagt, daß er oft genug Wunder erlebt hä tte. Gerade bei dieser Krankheit kä me es vor, daß sie plö tzlich stehenbleibe, verkapsele und ausheile, sogar in verzweifelten Fä llen. Das hat Jaffé auch gesagt. Aber ich glaube nicht an Wunder. «

Kö ster antwortete nicht. Wir blieben schweigend nebeneinander sitzen. Was sollten wir auch sagen? Wir hatten beide zuviel mitgemacht, als daß wir mit Trost etwas hä tten anfangen kö nnen.

»Sie darf nichts merken, Robby«, sagte Kö ster schließ lich.

»Natü rlich nicht«, erwiderte ich.

Wir blieben sitzen, bis Pat kam. Ich dachte nichts; ich war nicht einmal verzweifelt, ich war ganz dumpf und grau und tot.

»Da ist sie«, sagte Kö ster.

»Ja«, sagte ich und stand auf.

»Hallo! « Pat kam heran und winkte. Sie taumelte etwas und lachte. »Ich bin ein biß chen betrunken. Von der Sonne.

Immer, wenn ich in der Sonne gelegen habe, schwanke ich wie ein alter Seemann. «

Ich sah sie an, und mit einem Schlage war alles anders. Ich glaubte dem Arzt nicht mehr; ich glaubte an das Wunder. Sie war da; sie lebte; sie stand da und lachte — alles andere versank davor.

»Was macht ihr denn fü r Gesichter? « fragte sie.

»Stadtgesichter, die gar nicht hierher passen«, sagte Kö ster.

»Wir kö nnen uns an die Sonne noch nicht gewö hnen. «

Sie lachte. »Ich habe heute einen guten Tag. Ohne Fieber.

Ich darf 'raus. Wollen wir ins Dorf gehen und einen Aperitif trinken? «

»Natü rlich. «

»Also los! «

»Wollen wir nicht lieber einen Schlitten nehmen? « fragte Kö ster.

»Ich halte es schon aus«, sagte Pat.

»Das weiß ich«, sagte Kö ster. »Aber ich bin noch nie in so einem Ding gefahren. Ich mö chte es mal versuchen. «

Wir winkten einen Kutscher heran und fuhren die Serpentinen hinab ins Dorf. Vor einem Café, das eine kleine, sonnige Terrasse hatte, hielten wir und stiegen aus. Es saß en viele Leute da, und ich erkannte einige aus dem Sanatorium. Der Italiener aus der Bar war auch dabei. Er wurde Antonio gerufen und kam an unsern Tisch, um Pat zu begrü ß en. Er erzä hlte, daß ein paar Spaß vö gel in der vergangenen Nacht einen Patienten, wä hrend er schlief, mitsamt dem Bett aus seinem Zimmer gerollt und in das Zimmer einer uralten Lehrerin geschoben hä tten.

»Weshalb haben sie denn das gemacht? « fragte ich.

»Er ist geheilt und fä hrt in den nä chsten Tagen ab«, erwiderte Antonio. »Da werden immer solche Streiche gemacht. «

»Das ist der berü hmte Galgenhumor der Zurü ckbleibenden, Liebling«, sagte Pat.

»Hier oben wird man kindisch«, meinte Antonio entschuldigend.

Geheilt, dachte ich, einer ist geheilt und fä hrt zurü ck. — »Was willst du trinken, Pat? « fragte ich.

»Einen Martini. Einen trockenen Martini. «

Ein Radio begann zu spielen. Wiener Walzer. Sie wehten durch die warme, sonnige Luft wie leichte, helle Fahnen. Der Kellner brachte die Martinis. Sie waren sehr kalt und perlten noch, wä hrend die Sonne hineinschien. »Schö n, so zu sitzen, wie? « fragte Pat.

»Herrlich«, erwiderte ich.

»Aber manchmal ist es nicht zum Aushalten«, sagte sie.

Wir blieben zum Essen unten. Pat wollte es gern. Sie hatte in der letzten Zeit immer im Sanatorium bleiben mü ssen, und dieses war ihr erster Ausgang; da meinte sie, sie fü hle sich doppelt so gesund, wenn sie einmal im Dorf essen kö nne. Antonio aß mit uns. Nachher fuhren wir wieder hinauf, und Pat ging in ihr Zimmer, weil sie zwei Stunden liegen muß te. Kö ster und ich holten Karl aus der Garage und sahen ihn nach. Wir muß ten zwei gebrochene Federblä tter auswechseln. Der Garagemeister hatte Werkzeug da, und wir machten uns an die Arbeit. Dann fü llten wir Ö l nach und schmierten das Chassis durch. Als alles fertig war, schoben wir ihn hinaus. Dreckbespritzt, mit hä ngenden Ohren, stand er im Schnee.

»Wollen wir ihn waschen? « fragte ich.

»Nein, nicht unterwegs«, sagte Kö ster. »Das nimmt er ü bel. «

Pat kam hinzu. Sie sah warm und ausgeschlafen aus. Ihr Hund tobte um sie herum. »Billy! « rief ich. Er stutzte, aber er war nicht ü bermä ß ig freundlich. Er kannte mich nicht wieder und wurde ganz verlegen, als Pat ihn auf mich aufmerksam machte. »So geht's«, sagte ich. »Gottlob, daß die Menschen ein besseres Gedä chtnis haben. Wo war er denn gestern? «

Pat lachte. »Er hat die ganze Zeit unterm Bett gelegen. Er ist eifersü chtig, wenn ich Besuch bekomme, und zieht sich dann ä rgerlich zurü ck. «

»Du siehst wunderbar aus«, sagte ich.

Sie blickte mich glü cklich an. Dann trat sie an Karl heran.

»Ich mö chte mal wieder drinsitzen und ein kleines Stü ck fahren. «

»Natü rlich«, sagte ich, »was, Otto? «

»Selbstverstä ndlich. Sie haben ja einen dicken Mantel an, und hier sind noch Schals und Decken genug. «

Pat setzte sich nach vorn, hinter die Windschutzscheibe, neben Kö ster. Karl brü llte auf. Die Auspuffgase dampften weiß blau in die kalte Luft. Der Motor war noch nicht warm. Langsam begannen die Ketten klappernd durch den Schnee zu mahlen. Karl kroch fauchend, knallend und brummend zum Dorf hinunter und die Hauptstraß e entlang, ein geduckter Wolf unter dem Getrabe der Pferde und dem Glockenlä uten der Schlitten.

Wir kamen aus dem Dorf heraus. Es war spä ter Nachmittag, und die Schneefelder schimmerten rö tlich, ü berhaucht von der tiefen Sonne. Ein paar Heuschober am Hang lagen fast begraben im Weiß. Wie schmale Kommas schwangen die letzten Skilä ufer zu Tal. Sie passierten dabei die rote Sonne, die mä chtig noch einmal hinter dem Hang hervorkam, ein Ball dü sterer Glut.

»Seid ihr gestern hier entlanggekommen? « fragte Pat.

»Ja. «

Der Wagen gewann die Kuppe der ersten Anhö he. Kö ster hielt. Die Aussicht von hier oben war ü berwä ltigend. Am Tage vorher, als wir durch den glä sernen blauen Abend hindurchklirrten, hatten wir nichts davon bemerkt. Wir hatten nur auf die Straß e geachtet.

Hang hinter Hang ö ffnete sich ein vielfä ltiges Tal. Die Kanten des fernen Gebirges standen scharf und klar vor dem blaß grü nen Himmel. Sie leuchteten golden. Goldene Flecken, wie abgestä ubt, lagen auch auf den Schneefeldern unterhalb der Gipfel. Die Hä nge gingen von Sekunde zu Sekunde immer mehr in ein prunkvolles Weiß rot ü ber, und die Schatten wurden immer blauer. Die Sonne stand gerade in der Lü cke zwischen zwei schimmernden Gipfeln, und das weite Tal mit seinen Hö hen und Hä ngen wirkte wie eine mä chtige, stumme, leuchtende Parade vor einem untergehenden Herrscher. Das violette Band der Straß e schlä ngelte sich um die Hü gel, verschwand, tauchte wieder auf, dunkel in den Kurven, an Dö rfern vorbei, und lief dann gerade auf den Paß sattel am Horizont zu.

»So weit vom Dorf war ich noch nie«, sagte Pat. »Ist das die Straß e nach Hause? «

»Ja. «

Sie schwieg und sah hinunter. Dann stieg sie aus und hielt die Hand schü tzend vor die Augen. So starrte sie nach Norden, als kö nne sie schon die Tü rme der Stadt sehen. »Wie weit ist es? « fragte sie.

»So an tausend Kilometer. Im Mai fahren wir hinunter. Dann holt Otto uns ab. «

»Im Mai«, wiederholte sie. »Mein Gott, im Mai. «

Die Sonne versank langsam. Das Tal wurde lebendig; die Schatten, die bisher starr in den Bodenfalten gehockt hatten, begannen lautlos hervorzuhuschen und hö her zu klettern wie blaue Riesenspinnen. Es wurde kü hl. »Wir mü ssen zurü ck, Pat«, sagte ich.

Sie blickte auf, und ihr Gesicht war plö tzlich wie zerfallen vor Schmerz. Ich sah auf einmal, daß sie alles wuß te. Sie wuß te, daß sie nie mehr ü ber diese gnadenlose Bergkette am Horizont hinwegkommen wü rde, sie wuß te es und wollte es verbergen, so wie wir es vor ihr verbergen wollten, aber einen Augenblick lang verlor sie die Fassung, und aller Jammer der Welt brach aus ihren Augen. »Laß uns noch ein Stü ck herunterfahren«, sagte sie. »Nur ein ganz kleines Stü ck abwä rts. «

»Komm«, erwiderte ich, nachdem ich Kö ster angesehen hatte. Sie stieg zu mir hinten in den Wagen, ich bettete sie in meinen Arm und zog die Decke ü ber uns beide. Der Wagen begann langsam bergab zu fahren, in das Tal und in die Schatten.

»Robby, Liebling«, flü sterte Pat an meiner Schulter, »jetzt ist es, als ob wir nach Hause fü hren, zurü ck in unser Leben... «

»Ja«, sagte ich und zog die Decke bis an ihr Haar.

Es wurde rasch dunkler, je tiefer wir kamen. Pat lag ganz unter den Decken. Sie schob ihre Hand auf meine Brust, unter das Hemd, ich fü hlte ihre Hand auf meiner Haut, und dann ihren Atem, ihre Lippen und dann ihre Trä nen.

Vorsichtig, damit sie die Kurve nicht merkte, drehte Kö ster auf dem Marktplatz des nä chsten Dorfes den Wagen in einer langen Schleife und fuhr langsam zurü ck.

Die Sonne war verschwunden, als wir die Hö he wieder ü berfuhren, und im Osten stand schon blaß und klar zwischen aufsteigenden Wolken der Mond. Wir fuhren zurü ck, die Ketten malmten ü ber den Boden mit monotonem Gerä usch, es wurde sehr still, ich saß reglos und rü hrte mich nicht und fü hlte die Trä nen Pats auf meinem Herzen, als blute dort eine Wunde.

Eine Stunde spä ter saß ich in der Halle. Pat war in ihrem Zimmer, und Kö ster war zur Wetterstelle gegangen, um sich zu erkundigen, ob es Schnee gä be. Es war drauß en dunstig geworden, der Mond hatte jetzt einen Hof, und weich und grau wie Samt stand der Abend vor den Fenstern. Nach einer Weile kam Antonio und setzte sich zu mir. Ein paar Tische entfernt saß eine Kanonenkugel in einem Homespunanzug mit zu kurzen Knickerbockern. Ein Sä uglingsgesicht mit aufgeworfenen Lippen und kalten Augen, darü ber ein runder roter Kopf ohne Haare, glä nzend wie eine Billardkugel. Neben ihm eine schmale Frau mit tiefen Augenschatten und einem flehentlichen, kummervollen Ausdruck. Die Kanonenkugel war lebhaft, der Kopf war stä ndig in Bewegung, die rosigen Patschhä nde beschrieben glatte Kurven.

»Wunderbar, hier oben, ganz herrlich! Dies Panorama, diese Luft, diese Verpflegung! Hast es wirklich gut... «

»Bernhard«, sagte die Frau leise.

»Wahrhaftig, so mö chte ich's auch mal haben, gehä tschelt und gepflegt! « ö liges Gelä chter. »Na, ich gö nn's dir... «

»Ach, Bernhard«, sagte die Frau mutlos.

»Was denn, was denn«, lä rmte die Kanonenkugel frö hlich, »besser geht's doch gar nicht! Bist doch hier wie im Paradies! Was meinst du, was sich unten tut! Muß morgen wieder 'rein in den Schlamassel. Sei froh, daß du nichts davon merkst. Na, freut mich, gesehen zu haben, daß es dir hier gut geht. «

»Bernhard, es geht mir nicht gut«, sagte die Frau.

»Aber Kindchen«, polterte Bernhard, »nicht pimpelig werden! Was sollte unsereins da sagen! Immer im Betrieb, die Pleiten ü berall, die Steuern — na, man macht's ja gern. «

Die Frau schwieg.

»Rü stiger Knabe«, sagte ich zu Antonio.

»Und wie! « erwiderte er. »Seit vorgestern ist er hier und redet jeden Versuch der Frau mit seinem ›Wunderbar hast du's hier‹, nieder. Er will nichts sehen, wissen Sie — nicht ihre Angst, nicht ihre Krankheit, nicht ihre Einsamkeit. Wahrscheinlich lebt er lä ngst mit einer zweiten Kanonenkugel in Berlin und macht hier halbjä hrlich seinen Pflichtbesuch, hä ndereibend, jovial, auf seine Bequemlichkeit bedacht. Nur nichts hö ren! Das gibt's hier oft! «

»Wie lange ist die Frau hier? «

»Ungefä hr zwei Jahre. «

Ein Trupp junger Leute lief kichernd durch die Halle.

Antonio lachte.

»Die kommen von der Post. Sie haben an Roth ein Telegramm geschickt. «

»Wer ist Roth? «

»Das ist der, der nä chstens abreist. Sie haben ihm telegrafiert, er dü rfe wegen einer Grippeepidemie in seiner Heimat nicht abfahren und mü sse noch hierbleiben. Das sind so ü bliche Scherze. Weil sie selbst hierbleiben mü ssen, verstehen Sie? «

Ich schaute durch das Fenster auf den grauen Samt der verhangenen Berge. Das ist ja alles nicht wahr, dachte ich, das ist ja alles keine Wirklichkeit, so geht das doch nicht. Das ist doch nur eine Bü hne hier, auf der ein biß chen Tod gespielt wird. Wenn man stirbt, das ist doch furchtbarer Ernst. Ich hä tte den jungen Leuten nachgehen, ihnen auf die Schultern schlagen und sagen mö gen: »Nicht wahr, das ist nur ein Salontod hier, und ihr seid nur lustige Sterbeamateure? Nachher wird wieder aufgestanden und sich verbeugt? So kann man doch nicht sterben, mit etwas Fieber und rauhem Atem, dazu gehö ren doch Schü sse und Wunden, so kenne ich es doch... «

»Sind Sie auch krank? « fragte ich Antonio.

»Natü rlich«, sagte er lä chelnd.

»Wirklich herrlicher Kaffee«, lä rmte die Kanonenkugel nebenan, »so was gibt's bei uns ü berhaupt nicht. Das reine Schlaraffenland! «

Kö ster kam von der Wetterdienststelle zurü ck. »Ich muß fahren, Robby«, sagte er. »Das Barometer ist gefallen, und wahrscheinlich gibt es diese Nacht Schnee. Dann komme ich morgen nicht mehr durch. Heute abend geht's grade noch. «

»Gut. Essen wir noch zusammen? «

»Ja. Ich packe jetzt rasch. «

»Ich komme mit«, sagte ich.

Wir packten Kö sters Sachen zusammen und brachten sie zur Garage hinunter. Dann gingen wir zurü ck, um Pat zu holen.

»Wenn irgendwas ist, rufe mich an, Robby«, sagte Otto.

Ich nickte.

»Das Geld hast du in wenigen Tagen hier. Genug fü r einige Zeit. Tu alles, was nö tig ist. «

»Ja, Otto. « Ich zö gerte. »Wir haben doch noch ein paar Ampullen Morphium zu Hause. Kannst du mir die schicken? «

Er sah mich an. »Wozu willst du sie haben? «

»Ich weiß nicht, wie das hier wird. Vielleicht ist es nicht nö tig. Ich habe immer noch so eine Hoffnung, trotz allem. Immer, wenn ich sie sehe. Wenn ich allein bin, nicht. Aber ich mö chte nicht, daß sie leidet, Otto. Daß sie so herumliegt und daß nichts mehr da ist als Schmerzen. Vielleicht geben sie es ihr hier dann auch so. Aber es ist mir eine Beruhigung, zu wissen, daß ich ihr helfen kann. «

»Nur das, Robby? « fragte Kö ster.

»Nur das, Otto. Bestimmt. Sonst wü rde ich es dir nicht sagen. «

Er nickte. »Wir sind nur noch zwei«, sagte er langsam.

»Ja. «

»Gut, Robby. «

Wir gingen in die Halle, und ich holte Pat herunter. Dann aß en wir rasch, denn es bezog sich immer mehr. Kö ster fuhr Karl aus der Garage zum Portal vor. »Mach's gut, Robby«, sagte er.

»Du auch, Otto. «

»Auf Wiedersehen, Pat. « Er gab ihr die Hand und sah sie an. »Im Frü hjahr komme ich Sie holen. «

»Leben Sie wohl, Kö ster. « Pat hielt seine Hand fest. »Ich freue mich so, Sie noch gesehen zu haben. Grü ß en Sie auch Gottfried Lenz von mir. «

»Ja«, sagte Kö ster.

Sie hielt immer noch seine Hand. Ihre Lippen zitterten. Und plö tzlich machte sie einen Schritt vor und kü ß te ihn. »Leben Sie wohl«, murmelte sie mit erstickter Stimme.

Kö sters Gesicht war auf einmal von einer hellroten Flamme durchflogen. Er wollte noch etwas sagen, aber er wandte sich ab, stieg in den Wagen, fuhr in einem Sprung an und jagte die Serpentinen hinunter, ohne sich umzusehen. Wir sahen ihm nach. Der Wagen donnerte die Hauptstraß e entlang und zog die Kehren hinauf wie ein einsamer Leuchtkä fer, das fahle Feld der Scheinwerfer auf dem grauen Schnee vor sich. Auf der Hö he blieb er stehen, und Kö ster winkte. Er stand dunkel vor dem Licht. Dann verschwand er, und wir hö rten noch lange das immer schwä cher werdende Summen der Maschine.

Pat stand vorgebeugt und lauschte, solange noch etwas zu vernehmen war. Dann wandte sie sich mir zu. »Jetzt ist das letzte Schiff abgefahren, Robby. «

»Das zweitletzte«, erwiderte ich. »Das letzte bin ich. Und weiß t du, was ich vorhabe? Ich will mir einen andern Ankerplatz suchen. Das Zimmer in der Dependance gefä llt mir nicht mehr. Ich sehe nicht ein, weshalb wir nicht zusammen wohnen kö nnen. Werde mal versuchen, ein Zimmer in deiner Nä he zu bekommen. «

Sie lä chelte. »Ausgeschlossen! Kriegst du nicht! Wie willst du das machen? «

»Freust du dich, wenn ich es schaffe? «

»Was fü r eine Frage! Es wä re herrlich, Liebling. Fast wie bei Mutter Zalewski! «

»Gut, dann laß mich mal jetzt eine halbe Stunde arbeiten! «

»Schö n. Ich spiele so lange mit Antonio Schach. Das habe ich hier gelernt. «

Ich ging ins Bü ro und erklä rte, daß ich lä ngere Zeit bliebe und ein Zimmer in Pats Etage haben mö chte. Eine ä ltere Dame ohne Busen sah mich indigniert an und lehnte meinen Wunsch auf Grund der Hausordnung ab.

»Wer hat die Hausordnung gemacht? « fragte ich.

»Die Direktion«, gab die Dame zurü ck und strich die Falten ihres Kleides glatt.

Ziemlich widerwillig teilte sie mir schließ lich mit, daß der Chefarzt ü ber Ausnahmen zu entscheiden habe. »Er ist aber nicht mehr da«, fü gte sie hinzu. »Und abends darf er nur dienstlich gestö rt werden. «

»Schö n«, sagte ich, »dann werde ich ihn mal dienstlich stö ren. In Sachen der Hausordnung. «

Der Chefarzt wohnte in einem kleinen Hause neben dem Sanatorium. Er empfing mich gleich und gab mir sofort die Erlaubnis. »So leicht habe ich mir das nach dem Anfang nicht vorgestellt«, sagte ich.

Er lachte. »Aha, die alte Rexroth hat Sie wohl erwischt? Na, ich werde gleich mal telefonieren. «

Ich ging zurü ck ins Bü ro. Die alte Rexroth verschwand wü rdig, als sie mein herausforderndes Gesicht erblickte. Ich regelte alles mit der Sekretä rin und gab dem Hausknecht Auftrag, mein Gepä ck herü berzuschaffen und mir ein paar Flaschen zu trinken zu besorgen. Dann ging ich zu Pat in die Halle.

»Hast du's geschafft? « fragte sie.

»Noch nicht, aber in ein paar Tagen werde ich's schon erreichen. «

»Schade. « Sie warf die Schachfiguren um und stand auf.

»Was wollen wir machen? « fragte ich. »In die Bar gehen? « »Wir spielen abends oft Karten«, sagte Antonio. »Es gibt Fö hn, das spü rt man. Da ist Kartenspielen das Bequemste. «

»Kartenspielen? Pat? « fragte ich verwundert. »Was kannst du denn fü r Kartenspiele? Schwarzer Peter und Patience, was? «

»Poker, Liebling«, erklä rte Pat.

Ich lachte. »Tatsä chlich, sie kann es«, sagte Antonio. »Sie ist nur zu waghalsig. Sie blufft furchtbar. «

»Ich auch«, erwiderte ich. »Das mü ssen wir doch mal versuchen. «

Wir setzten uns in eine Ecke und begannen zu spielen. Pat pokerte gar nicht schlecht. Sie bluffte wirklich, daß die Fetzen flogen. Nach einer Stunde zeigte Antonio auf die Landschaft drauß en vor dem Fenster. Es schneite. Langsam, als zö gerten sie noch, fielen die dicken Flocken fast senkrecht herunter.

»Es ist ganz windstill«, sagte Antonio. »Das gibt viel Schnee. «

»Wo mag Kö ster jetzt sein? « fragte Pat.

»Er ist schon ü ber den Hauptpaß weg«, sagte ich. Einen Augenblick sah ich Karl ganz deutlich vor mir, wie er mit Kö ster durch die weiß e Nacht zog, und alles kam mir plö tzlich etwas unwirklich vor — daß ich hier saß, daß Kö ster unterwegs war und daß Pat da war. Sie lä chelte mich glü cklich an, die Hand mit den Karten auf den Tisch gestemmt. »Los, Robby! «

Die Kanonenkugel strich durch die Halle, blieb hinter unserm Tisch stehen und begann wohlwollend zu kiebitzen. Wahrscheinlich schlief die Frau, und er suchte Unterhaltung. Ich legte die Karten hin und starrte ihn giftig an, bis er verschwand.

»Freundlich bist du nicht«, sagte Pat vergnü gt.

»Nein«, erwiderte ich. »Will ich auch nicht sein. «

Wir gingen noch in die Bar und tranken ein paar Spezial.

Dann muß te Pat schlafen. Ich verabschiedete mich in der Halle von ihr. Sie schritt langsam die Treppe hinauf und sah sich um und blieb stehen, bevor sie in den Korridor einbog. Ich wartete etwas, dann ließ ich mir im Bü ro meinen Zimmerschlü ssel geben. Die kleine Sekretä rin lä chelte.

»Nummer achtundsiebzig«, erklä rte sie.

Es war das Zimmer neben Pat. »Auf Veranlassung von Frä ulein Rexroth etwa? « fragte ich.

»Nein, Frä ulein Rexroth ist im Missionshaus«, erwiderte sie.

»Missionshä user sind manchmal ein Segen«, sagte ich und ging rasch hinauf. Meine Sachen waren schon ausgepackt. Eine halbe Stunde spä ter klopfte ich an die Verbindungstü r zwischen den beiden Zimmern. »Wer ist da? « rief Pat.

»Die Sittenpolizei«, erwiderte ich.

Der Schlü ssel knirschte, und die Tü r flog auf. »Du, Robby? « stammelte Pat fassungslos. »Ich! « sagte ich. »Der Besieger von Frä ulein Rexroth! Der Kognak- und Porto-Ronco-Besitzer! « Ich zog die Flaschen aus den Taschen meines Bademantels. »Und nun sag mir sofort, wieviel Mä nner hier schon gewesen sind. «

»Niemand, auß er dem Fuß ballklub und dem verstä rkten philharmonischen Orchester«, erklä rte Pat lachend. »Ach, Liebling, jetzt sind die alten Zeiten wieder da! «

Sie schlief an meiner Schulter ein. Ich blieb noch lange wach. In einer Ecke des Zimmers brannte eine kleine Lampe. Die Schneeflocken klopften leise gegen das Fenster, und die Zeit schien stillzustehen in dieser matten braungoldenen Dä mmerung. Es war sehr warm im Zimmer. Manchmal knackten die Rö hren der Zentralheizung. Pat bewegte sich im Schlaf, und langsam, knisternd, rutschten die Decken herunter auf den Boden. Ach, dachte ich, bronzen schimmernde Haut! Schmales Wunder der Knie! Zartes Geheimnis der Brust! Ich fü hlte ihr Haar an meiner Schulter und spü rte unter meinen Lippen den Puls ihrer Hand klopfen. Du solltest sterben, dachte ich. Du kannst nicht sterben. Du bist das Glü ck.

Vorsichtig zog ich die Decke wieder herauf. Pat murmelte etwas und verstummte wieder und schob langsam, im Schlaf, ihre Hand um meinen Nacken.

XXVII

Die nä chsten Tage schneite es ununterbrochen. Pat hatte Fieber und muß te im Bett bleiben. Viele im Hause hatten Fieber.

»Es ist das Wetter«, sagte Antonio. »Zu warm und fö hnig. Richtiges Fieberwetter. «

»Liebling, geh ein biß chen 'raus«, sagte Pat. »Kannst du Schifahren? «

»Nein. Wie sollte ich das kö nnen? Ich war ja nie im Gebirge. «

»Antonio wird es dir beibringen. Es macht ihm Spaß. Er mag dich gern. «

»Ich bleibe viel lieber hier. «

Sie richtete sich im Bett auf. Das Nachthemd fiel von ihren Schultern.

Verdammt schmal waren sie. Verdammt schmal war auch der Nacken.

»Robby«, sagte sie, »tu's mir zuliebe. Ich mö chte nicht gern, daß du hier so am Krankenbett sitzt. Gestern und vorgestern, das war schon mehr als genug. «

»Ich sitze gern hier«, erwiderte ich. »Habe gar keine Sehnsucht, in den Schnee zu gehen. «

Sie atmete laut, und ich hö rte das unregelmä ß ige Scharren des Atems. »Ich habe darin mehr Erfahrung als du«, sagte sie und stü tzte sich auf die Ellbogen. »Es ist besser fü r uns beide. Du wirst es nachher sehen. « Sie lä chelte mü hsam. »Heute nachmittag und heute abend kannst du noch genug hier sitzen. Morgens macht es mich unruhig, Liebling. Man sieht schrecklich aus, morgens, wenn man Fieber hat.

Abends ist das ganz anders. Ich bin oberflä chlich und dumm — ich will nicht hä ß lich sein, wenn du mich siehst. « »Aber Pat! « Ich stand auf. »Also gut, ich gehe ein biß chen mit Antonio 'raus. Mittags bin ich dann wieder hier. Hoffentlich breche ich mir nicht alle Knochen mit diesen Schidingern. « »Du wirst es rasch lernen, Liebling. « Ihr Gesicht verlor die ä ngstliche Spannung. »Du wirst sehr schnell wunderbar laufen. « »Und du willst mich sehr schnell wunderbar hier 'raus haben«, sagte ich und kü ß te sie. Ihre Hä nde waren feucht und heiß und ihre Lippen trocken und aufgesprungen. Antonio wohnte im zweiten Stock. Er lieh mir ein Paar Schuhe und Schier. Sie paß ten, denn wir waren gleich groß. Wir gingen zur Ü bungswiese, die ein Stü ck hinter dem Dorf lag. Antonio blickte mich unterwegs forschend an. »Fieber macht unruhig«, sagte er. »Sonderbare Sachen sind hier an solchen Tagen manchmal schon passiert. « Er legte die Schier vor sich hin und machte sie fest. »Das schlimmste ist das Warten und das Nichtstunkö nnen. Das macht verrü ckt und kaputt. « »Die Gesunden auch«, erwiderte ich. »Dabeistehen zu mü ssen und nichts tun kö nnen. « Er nickte. »Manche von uns arbeiten«, fuhr er fort, »manche lesen ganze Bibliotheken leer. Aber viele werden auch wieder zu einer Schulklasse, die die Liegekur schwä nzt wie frü her die Turnstunde, und angstvoll kichernd in Lä den und Konditoreien flü chtet, wenn der Arzt zufä llig vorbeikommt. Heimliches Rauchen, heimliches Trinken, verbotener Budenzauber, Klatsch und dumme Streiche — damit retten sie sich ü ber die Leere hinweg. Und ü ber die Wahrheit. Ein spielerisches, leichtsinniges und wohl auch heroisches Ignorieren des Todes. Was bleibt ihnen schließ lich auch anderes ü brig. «

Ja, dachte ich, was bleibt uns allen schließ lich anderes ü brig. — »Wollen wir's mal probieren? « fragte Antonio und stemmte die Schistö cke in den Schnee.

»Ja. «

Er zeigte mir, wie man die Schier anmachte und wie man das Gleichgewicht hielt. Es war nicht schwer. Ich fiel ziemlich oft, aber dann gewö hnte ich mich allmä hlich, und es klappte schon ein wenig. Nach einer Stunde hö rten wir auf. »Genug«, meinte Antonio. »Sie werden heute abend Ihre Muskeln schon spü ren. «

Ich schnallte die Schier ab und fü hlte, wie krä ftig mein Blut strö mte.

»War gut, daß wir drauß en waren, Antonio«, sagte ich.

Er nickte. »Das kö nnen wir jeden Vormittag machen. Man kommt auf andere Gedanken dabei. «

»Wollen wir irgendwo was trinken? « fragte ich.

»Kö nnen wir. Einen Dubonnet bei Forster. «

Wir tranken den Dubonnet und gingen zum Sanatorium hinauf. Im Bü ro sagte mir die Sekretä rin, der Briefträ ger wä re fü r mich dagewesen; er hä tte hinterlassen, ich solle zur Post kommen. Es sei Geld fü r mich da. Ich sah nach der Uhr. Es war noch Zeit, und ich ging zurü ck. Auf der Post zahlte man mir zweitausend Mark aus. Ein Brief von Kö ster war dabei. Ich solle mir keine Sorgen machen; es sei noch mehr da. Ich brauche nur zu schreiben.

Ich starrte auf die Scheine. Wo hatte er das nur her? Und so schnell? Ich kannte doch unsere Quellen. Und plö tzlich wuß te ich es. Ich sah den rennfahrenden Konfektionä r Bollwies vor mir, wie er gierig an Karl herumklopfte, abends vor der Bar, als er seine Wette verloren hatte, und sagte: »Fü r den Wagen bin ich jederzeit Kä ufer. « Verflucht! Kö ster hatte Karl verkauft! Daher auf einmal das Geld! Karl, von dem er gesagt hatte, er verlö re lieber eine Hand als den Wagen. Karl war nicht mehr da. Er war jetzt in den dicken Hä nden des Anzugfabrikanten, und Otto, dessen Ohr ihn auf Kilometer erkannte, wü rde ihn durch die Straß en heulen hö ren wie einen verstoß enen Hund.

Ich steckte den Brief Kö sters und das kleine Paket mit den Morphiumampullen ein. Ratlos stand ich noch immer vor dem Postschalter. Ich hä tte das Geld am liebsten sofort zurü ckgeschickt, Aber es ging nicht, wir brauchten es. Ich glä ttete die Scheine und steckte sie ein. Dann ging ich hinaus. Verflucht, von jetzt an wü rde ich um jedes Auto einen Bogen machen mü ssen. Autos waren Freunde, aber Karl war uns noch viel mehr gewesen. Ein Kamerad! Karl, das Chausseegespenst. Wir hatten zusammengehö rt. Karl und Kö ster, Karl und Lenz, Karl und Pat. Ich stampfte zornig und hilflos den Schnee von meinen Fü ß en. Lenz war tot. Karl war fort. Und Pat? Mit geblendeten Augen starrte ich in den Himmel, diesen grauen, endlosen Himmel eines irren Gottes, der das Leben und das Sterben erfunden hatte, um sich zu unterhalten.

Nachmittags schlug der Wind um, es wurde klarer und kä lter, und abends ging es Pat besser. Sie konnte am nä chsten Morgen aufstehen, und ein paar Tage spä ter, als Roth, der Mann, der geheilt war, abreiste, konnte sie sogar mit zur Bahn gehen.



  

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