Хелпикс

Главная

Контакты

Случайная статья





Drei Kameraden 23 страница



»Hat er dich denn mit den Blumen so losziehen lassen? « fragte ich.

»Er ließ mit sich reden. Zuletzt hat er mir sogar geholfen zu pflü cken. «

Pat lachte. »Ist das wahr? «

Gottfried schmunzelte. »Natü rlich. Es sah fabelhaft aus, wie der geistliche Herr im Halbdunkel nach den hö chsten Zweigen sprang. Er entwickelte direkt Sportgeist. Erzä hlte mir, daß er frü her auf dem Gymnasium guter Fuß ballspieler war. Rechter Innenstü rmer, glaube ich. «

»Du hast einen Pastor zum Diebstahl verleitet«, sagte ich. »Das kostet ein paar hundert Jahre Hö lle. Aber wo ist Otto? «

»Der ist schon bei Alfons. Wir gehen doch zu Alfons essen? «

»Ja, natü rlich«, sagte Pat.

»Also los! «

Es gab bei Alfons gespickten Hasen mit Rotkohl und geschmorten Ä pfeln. Hinterher spielte er zum Abschluß auf seinem Grammophon einen Chor der Donkosaken. Es war ein sehr leises Lied, bei dem der Chor nur gedä mpft wie eine ferne Orgel brummte, wä hrend eine einsame, klare Stimme darü ber schwebte. Mir schien, als ginge lautlos die Tü r auf und ein alter, mü der Mann trä te herein, setzte sich schweigend an einen Tisch und lauschte dem Lied seiner Jugend.

»Kinder«, sagte Alfons, als der Chor immer leiser und leiser geworden war, bis er schließ lich wie ein Seufzer verhauchte, »Kinder, wiß t ihr, woran ich immer denken muß, wenn ich das hö re? An Ypern 1917, Gottfried, damals im Mä rz, an den einen Abend mit Bertelsmann... «

»Ja«, sagte Lenz, »ich weiß es noch, Alfons. Es war der Abend mit den Kirschbä umen... «

Alfons nickte.

Kö ster stand auf. »Ich glaube, es wird Zeit. « Er sah nach der Uhr.

»Ja, wir mü ssen los. «

»Noch einen Kognak«, sagte Alfons. »Von dem echten Napoleon! Habe ihn doch extra fü r euch mitgebracht! «

Wir tranken den Kognak, dann brachen wir auf.

»Auf Wiedersehen, Alfons! « sagte Pat. »Ich bin immer so gern hier gewesen. « Sie gab ihm die Hand.

Alfons wurde rot. Er hielt ihre Hand fest zwischen seinen beiden Pranken. »Also, wenn mal was ist — einfach nur Bescheid geben. « Er sah sie ä uß erst verlegen an. »Sie gehö ren ja jetzt dazu. Hä tte nie gedacht, daß eine Frau mal dazugehö ren kö nnte. «

»Danke«, sagte Pat, »danke, Alfons. Sie hä tten mir nichts Schö neres sagen kö nnen! Auf Wiedersehen und alles Gute! «

»Auf Wiedersehen! Bald! «

Kö ster und Lenz brachten uns zur Bahn. Vor unserm Hause hielten wir einen Augenblick, und ich holte den Hund herunter. Die Koffer hatte Jupp schon zum Bahnhof gebracht.

Wir kamen gerade rechtzeitig an. Kaum waren wir eingestiegen, da fuhr der Zug schon los. Als die Lokomotive anzog, griff Gottfried in die Tasche und reichte mir eine eingewickelte Flasche hinauf. »Hier, Robby, nimm das mal. So was kann man unterwegs immer gebrauchen. «

»Danke«, sagte ich, »trinkt sie heute abend selbst, Kinder. Ich habe schon was bei mir. «

»Nimm sie«, erwiderte Lenz, »man kann nie genug davon haben! « Er ging neben dem fahrenden Zug her und warf mir die Flasche zu. »Auf Wiedersehen, Pat! « rief er. »Wenn wir hier pleite sind, kommen wir alle zu Ihnen hinauf. Otto als Skilä ufer, ich als Tanzlehrer, Robby als Klavierspieler. Dann bilden wir eine Truppe mit Ihnen und ziehen von Hotel zu Hotel! «

Der Zug wurde schneller, und Gottfried blieb zurü ck. Pat lehnte aus dem Fenster und winkte, bis der Bahnhof hinter einer Kurve verschwand. Dann wandte sie sich um. Sie war sehr blaß, und ihre Augen glä nzten feucht. Ich nahm sie in den Arm. »Komm«, sagte ich, »jetzt trinken wir was. Du hast dich groß artig gehalten. «

»Mir ist aber gar nicht groß artig zumute«, erwiderte sie mit einem Versuch zu lä cheln.

»Mir auch nicht«, sagte ich. »Deshalb wollen wir ja was trinken. «

Ich machte die Flasche auf und gab ihr einen Becher Kognak. »Gut? « fragte ich.

Sie nickte und lehnte sich an meine Schulter. »Ach, Liebling, was soll das alles werden? «

»Du muß t nicht weinen«, sagte ich. »Ich war so stolz, daß du nicht geweint hast, den ganzen Tag. «

»Ich weine ja gar nicht«, erwiderte sie und schü ttelte den Kopf, und die Trä nen liefen ihr ü ber das schmale Gesicht.

»Komm, trink noch etwas«, sagte ich und hielt sie fest. »Es ist nur immer der erste Moment, dann wird es schon besser. «

Sie nickte. »Ja, Robby. Du muß t dich auch gar nicht darum kü mmern. Es ist gleich vorbei, und es ist besser, wenn du es gar nicht siehst. Laß mich nur ein paar Minuten hier allein sitzen, dann werde ich schon damit fertig. «

»Warum denn? Du warst den ganzen Tag so tapfer, da kannst du jetzt ruhig so viel weinen, wie du willst. «

»Ich war gar nicht tapfer. Du hast es nur nicht gemerkt. «

»Vielleicht«, sagte ich, »aber das war es dann gerade. «

Sie versuchte zu lä cheln. »Warum denn eigentlich, Robby? «

»Weil man sich nicht ergibt. « Ich strich ihr ü ber das Haar. »Solange man sich nicht ergibt, ist man mehr als das Schicksal. «

»Bei mir ist es kein Mut, Liebling«, murmelte sie. »Bei mir ist es einfach nur Angst. Jä mmerliche Angst vor der groß en, letzten Angst. «

»Das ist alles Mut, Pat. «

Sie lehnte sich an mich. »Ach, Robby, du weiß t ja gar nicht, was Angst ist. «

»Doch«, sagte ich.

Die Tü r ging auf. Der Schaffner verlangte die Fahrkarten.

Ich gab sie ihm. »Ist die Schlafwagenkarte fü r die Dame? « fragte er.

Ich nickte.

»Dann mü ssen Sie in den Schlafwagen gehen«, sagte er zu Pat. »Die Karte gilt nicht fü r die ü brigen Abteile. «

»Gut. «

»Und der Hund muß in den Packwagen«, erklä rte er. »Das Hundeabteil ist im Packwagen. «

»Schö n«, sagte ich. »Wo ist denn der Schlafwagen? «

»Rechts der dritte Wagen. Der Packwagen ist ganz vorn. «

Er ging. Auf seiner Brust baumelte eine kleine Laterne.

Das sah aus, als ginge er durch die Schä chte eines Bergwerks.

 

»Dann wollen wir mal umziehen, Pat«, sagte ich. »Billy schmuggle ich schon zu dir 'rein. Der hat im Packwagen nichts zu suchen. «

Ich hatte fü r mich keinen Schlafwagenplatz genommen. Es machte mir nichts, in einer Abteilecke die Nacht zu verbringen. Auß erdem war es billiger.

Jupp hatte Pats Gepä ck schon in den Schlafwagen gebracht. Das Abteil war ein hü bscher, kleiner, mit Mahagoniholz getä felter Raum. Pat hatte das untere Bett. Ich fragte den Schaffner, ob auch das obere belegt sei.

»Ja«, sagte er, »ab Frankfurt. «

»Wann sind wir in Frankfurt? «

»Um halb drei. «

Ich gab ihm ein Trinkgeld, und er ging in seine Wagenecke zurü ck.

»In einer halben Stunde bin ich mit dem Hund wieder bei dir«, sagte ich zu Pat.

»Aber das geht doch nicht; der Schaffner bleibt ja im Wagen. «

»Es geht schon. Schließ nur deine Tü r nicht ab. «

Ich ging zurü ck, an dem Schaffner vorbei, der mich ansah. Auf der nä chsten Station stieg ich mit dem Hund aus und ging ü ber den Bahnsteig am Schlafwagen vorbei bis zum nä chsten Wagen. Hier wartete ich, bis der Schaffner ausstieg, um mit dem Zugfü hrer zu schwä tzen. Dann stieg ich wieder ein, ging durch den Wagen bis zu den Schlafwagenabteilen und kam zu Pat, ohne daß mich jemand gesehen hatte. Sie trug einen weichen weiß en Mantel und sah wunderschö n aus. Ihre Augen glä nzten. »Ich bin jetzt ganz darü ber weg, Robby«, sagte sie.

»Das ist gut. Aber willst du dich nicht zu Bett legen? Es ist mä chtig knapp hier. Ich setze mich dann zu dir. «

»Ja, aber... «, sie zö gerte und zeigte auf das obere Bett. »Wenn nun die Vorsteherin des Vereins fü r gefallene Mä dchen plö tzlich in der Tü r steht... «

»Bis Frankfurt ist's noch lange«, sagte ich. »Ich passe schon auf. Ich schlafe nicht ein. «

Kurz vor Frankfurt ging ich in mein Abteil zurü ck. Ich setzte mich in die Fensterecke und versuchte zu schlafen. Aber in Frankfurt stieg ein Mann mit einem Seehundsbart ein, der sofort einen Koffer auspackte und zu essen begann. Er aß so intensiv, daß ich nicht zum Schlafen kam. Die Mahlzeit dauerte fast eine Stunde. Dann wischte der Seehund sich den Bart, legte sich lang und begann ein Konzert, wie ich es nie vorher gehö rt hatte. Es war kein einfaches Schnarchen; es war ein heulendes Seufzen, unterbrochen von stoß weisem Stö hnen und langgezogenem Blubbern. Ich konnte kein System darin entdecken, so vielfä ltig war es. Zum Glü ck stieg der Mann um halb sechs Uhr aus.

Als ich aufwachte, war drauß en alles weiß. Es schneite in groß en Flocken, und das Abteil war in ein seltsam unwirkliches Zwielicht getaucht. Wir fuhren schon durchs Gebirge. Es war fast neun Uhr. Ich dehnte mich und ging mich waschen und rasieren. Als ich zurü ckkam, stand Pat im Abteil. Sie sah frisch aus. »Hast du gut geschlafen? « fragte ich.

Sie nickte.

»Und wie war die alte Spiritistin in deinem Abteil? «

»Jung und hü bsch. Sie heiß t Helga Guttmann und fä hrt ins selbe Sanatorium wie ich. «

»Tatsä chlich? «

»Ja, Robby. Aber du hast schlecht geschlafen, das sieht man. Du muß t ein ordentliches Frü hstü ck haben. «

»Kaffee«, sagte ich. »Kaffee mit etwas Kirsch. «

Wir gingen zum Speisewagen. Ich war plö tzlich guter Stimmung. Es schien alles nicht mehr so schlimm wie am Abend vorher.

Helga Guttmann saß schon da. Sie war ein schlankes, lebhaftes Mä dchen von sü dlichem Typ. »Merkwü rdig«, sagte ich, »daß sich das so getroffen hat mit demselben Sanatorium. «

»Gar nicht so merkwü rdig«, erwiderte sie.

Ich sah sie an. Sie lachte. »Um diese Zeit sammeln sich doch die Zugvö gel alle wieder. Drü ben... «, sie zeigte in die Ecke des Speisewagens, »der ganze Tisch dort fä hrt auch hin. «

»Woher wissen Sie das? « fragte ich.

»Ich kenne sie alle vom vorigen Jahr. Da oben kennt doch jeder den andern. «

Der Kellner kam und brachte den Kaffee. »Bringen Sie mir noch einen groß en Kirsch dazu«, sagte ich. Ich muß te etwas trinken. Es war auf einmal alles so einfach. Da saß en Leute und fuhren zum Sanatorium, zum zweitenmal sogar, und es schien ihnen nicht viel mehr als eine Spazierfahrt zu sein. Es war dumm, so viel Angst zu haben. Pat wü rde zurü ckkommen, wie alle diese Leute zurü ckgekommen waren. Ich dachte nicht daran, daß alle diese Leute jetzt auch wieder hinfuhren — es war genug zu wissen, daß man zurü ckkam und wieder ein ganzes Jahr vor sich hatte. In einem Jahr konnte viel passieren. Unsere Vergangenheit hatte uns gelehrt, kurzfristig zu denken.

Wir kamen spä tnachmittags an. Es war ganz klar geworden, die Sonne schien golden auf die Schneefelder, und der Himmel war so blau, wie wir ihn seit Wochen nicht mehr gesehen hatten. Am Bahnhof wartete eine Menge Leute. Sie grü ß ten und winkten, und aus dem Zuge winkten die Ankommenden zurü ck. Helga Guttmann wurde von einer lachenden blonden Frau und zwei Mä nnern in hellen Knickerbockern in Empfang genommen. Sie war ganz aufgeregt und wirbelig, so als wä re sie nach langer Abwesenheit nach Hause gekommen. »Auf Wiedersehen, nachher, oben! « rief sie uns zu und bestieg mit ihren Freunden einen Schlitten.

Die Leute zerstreuten sich rasch, und wir standen ein paar Minuten spä ter allein auf dem Bahnsteig. Ein Gepä ckträ ger trat zu uns heran.

»Welches Hotel? « fragte er.

»Sanatorium Waldfrieden«, erwiderte ich.

Er nickte und winkte einem Kutscher. Die beiden verstauten die Koffer in einem hellblauen Schlitten, der mit zwei Schimmeln bespannt war. Die Pferde hatten bunte Federbü schel auf den Kö pfen, und der Dampf ihres Atems umwehte ihre Mä uler wie perlmutterfarbenes Gewö lk.

Wir stiegen ein. »Wollen Sie zur Drahtseilbahn oder mit dem Schlitten 'rauf? « fragte der Kutscher.

»Wie weit ist es mit dem Schlitten? «

»Eine halbe Stunde. «

»Dann mit dem Schlitten. «

Der Kutscher schnalzte mit der Zunge, und wir fuhren los. Es ging aus dem Dorf hinaus und dann in Kehren aufwä rts. Das Sanatorium lag auf einer Anhö he ü ber dem Dorf. Es war ein langgestrecktes Gebä ude mit langen Fensterreihen. Vor jedem Fenster befand sich ein Balkon. Auf dem Dache wehte eine Fahne im schwachen Wind. Ich hatte erwartet, es wä re wie ein Krankenhaus eingerichtet; aber es glich, wenigstens im unteren Stock, viel mehr einem Hotel. In der Halle brannte ein Kamin, und eine Anzahl kleiner Tische war mit Teegeschirr gedeckt.

Wir meldeten uns im Bü ro. Ein Hausdiener holte unser Gepä ck herein, und eine ä ltere Dame erklä rte uns, daß Pat Zimmer neunundsiebzig habe. Ich fragte, ob ich fü r ein paar Tage ebenfalls ein Zimmer haben kö nne. Sie schü ttelte den Kopf. »Nicht im Sanatorium. Wohl aber in der Dependance. «

»Wo ist die Dependance? «

»Gleich nebenan. «

»Gut«, sagte ich, »dann geben Sie mir dort ein Zimmer und lassen Sie mein Gepä ck hinü berbringen. «

Wir fuhren in einem vö llig gerä uschlosen Lift zum zweiten Stock hinauf. Oben sah es allerdings mehr nach Krankenhaus aus. Nach einem sehr komfortablen Krankenhaus zwar, aber immerhin nach Krankenhaus. Weiß e Gä nge, weiß e Tü ren, alles blitzend von Glas, Nickel und Sauberkeit. Eine Oberschwester nahm uns in Empfang.

»Frä ulein Hollmann? «

»Ja«, sagte Pat, »Zimmer neunundsiebzig, nicht wahr? «

Die Oberschwester nickte, ging voran und ö ffnete eine Tü r.

»Hier ist Ihr Zimmer. «

Es war ein heller, mittelgroß er Raum, in den durch ein breites Fenster die Abendsonne schien. Auf dem Tisch stand ein Strauß gelber und roter Astern, und drauß en lagen die beglä nzten Schneefelder, in die sich das Dorf wie eine groß e, weiche Decke schmiegte.

»Gefä llt es dir? « fragte ich Pat.

Sie sah mich einen Augenblick an. »Ja«, sagte sie dann.

Der Hausknecht brachte die Koffer. »Wann muß ich zur Untersuchung? « fragte Pat die Schwester.

»Morgen vormittag. Heute abend gehen Sie am besten frü h schlafen, damit Sie ausgeruht sind. «

Pat zog ihren Mantel aus und legte ihn auf das weiß e Bett, ü ber dem eine neue Fiebertafel angebracht war. »Ist kein Telefon im Zimmer? « fragte ich.

»Es ist ein Anschluß da«, sagte die Schwester. »Man kann ein Telefon hereinstellen. «

»Muß ich noch irgend etwas tun? « fragte Pat.

Die Schwester schü ttelte den Kopf. »Heute nicht. Erst morgen nach der Untersuchung wird alles festgelegt. Die Untersuchung ist um zehn. Ich hole Sie ab. «

»Danke, Schwester«, sagte Pat.

Die Schwester ging. Der Hausknecht wartete noch an der Tü r. Ich gab ihm ein Trinkgeld, und er ging auch. Es wurde plö tzlich sehr still im Zimmer. Pat stand am Fenster und sah hinaus. Ihr Kopf war ganz dunkel vor dem Glä nzen drauß en.

»Bist du mü de? « fragte ich.

Sie drehte sich um. »Nein. «

»Du siehst so aus«, sagte ich.

»Ich bin anders mü de, Robby. Aber dafü r habe ich immer noch Zeit. «

»Willst du dich umziehen? « fragte ich. »Oder wollen wir erst noch eine Stunde 'runtergehen? Ich denke, es ist besser, wir gehen erst noch einmal 'runter. «

»Ja«, sagte sie. »Es ist besser. «

Wir fuhren mit dem lautlosen Lift abwä rts und setzten uns an einen der kleinen Tische in der Halle. Nach einer Weile kam Helga Guttmann mit ihren Freunden. Sie setzten sich zu uns. Helga Guttmann war aufgeregt und von einer etwas ü berhitzten Lustigkeit, aber ich war froh, daß sie da war und daß Pat schon ein paar Bekannte hatte. Es war immer schwer, ü ber den ersten Tag hinwegzukommen.

XXII

 

Eine Woche spä ter fuhr ich zurü ck. Vom Bahnhof ging ich gleich zur Werkstatt. Es war Abend, als ich ankam, es regnete noch immer, und mir schien, als wä re es ein Jahr her, seit ich mit Pat abgefahren war.

Kö ster und Lenz saß en im Bü ro. »Du kommst gerade recht«, sagte Gottfried.

»Was ist denn los? « fragte ich.

»Laß ihn erst mal 'reinkommen«, sagte Kö ster.

Ich setzte mich zu ihnen. »Wie geht es Pat? « fragte Otto.

»Gut. So gut es eben kann. Aber nun sagt mir schon, was hier los ist. «

Es handelte sich um den Stutz. Wir hatten ihn repariert und vor vierzehn Tagen abgeliefert. Nun war Kö ster gestern hingegangen, um das Geld abzuholen. Inzwischen aber hatte der Mann, dem der Wagen gehö rte, Pleite gemacht, und der Wagen war in die Konkursmasse gekommen.

»Das ist doch nicht schlimm«, sagte ich. »Wir haben ja nur mit der Versicherung zu tun. «

»Haben wir auch gedacht«, erklä rte Lenz trocken. »Der Wagen ist aber nicht versichert. «

»Verdammt! Ist das wahr, Otto? «

Kö ster nickte. »Habe es heute erst erfahren. «

»Dafü r haben wir diesen Bruder wie barmherzige Schwestern behandelt und uns um die Klamotte noch geprü gelt«, knurrte Lenz. »Damit wir jetzt mit viertausend Mark in der Luft hä ngen. «

»Wer kann so was ahnen! « sagte ich.

Lenz fing an zu lachen. »Es ist zu blö dsinnig! «

»Was machen wir nun, Otto? « fragte ich.

»Ich habe unsere Forderung beim Konkursverwalter angemeldet. Aber ich fü rchte, es wird nicht viel dabei herauskommen. «

»Wir machen die Bude zu, das wird dabei herauskommen«, sagte Gottfried. »Das Finanzamt ist auch schon rebellisch wegen der Steuern. «

»Mö glich«, gab Kö ster zu.

Lenz erhob sich. »Gleichmut und gute Haltung in schwierigen Situationen zieren den Soldaten. « Er ging zum Schrank und holte den Kognak.

»Bei dem Kognak kö nnen wir sogar heroische Haltung haben«, sagte ich. »Wenn ich nicht irre, ist das unsere letzte gute Flasche. «

»Heroische Haltung, Knabe«, erwiderte Lenz verweisend, »ist was fü r schwere Zeiten. Wir aber leben in verzweifelten Zeiten. Da ist die einzige anstä ndige Haltung der Humor. « Er trank sein Glas aus. »So, und jetzt werde ich mal unsere alte Rosinante besteigen und etwas Kleingeld zusammenfahren. «

Er ging ü ber den dunklen Hof und fuhr mit dem Taxi los. Kö ster und ich blieben noch eine Weile sitzen. »Pech, Otto«, sagte ich. »Wir haben verdammt viel Pech in der letzten Zeit. «

»Ich habe mir angewö hnt, nicht mehr nachzudenken, als unbedingt nö tig ist«, erwiderte Kö ster. »Das ist immer noch genug. Wie war's oben? «

»Wenn diese Krankheit nicht wä re, ein Paradies. Schnee und Sonne. «

Er hob den Kopf. »Schnee und Sonne. Klingt ein biß chen unwahrscheinlich, was? « »Ja. Verflucht unwahrscheinlich. Da oben ist alles unwahrscheinlich. «

Er sah mich an. »Was hast du heute abend vor? «

Ich zuckte die Achseln. »Werde erst mal meinen Koffer nach Hause bringen. «

»Ich muß noch auf eine Stunde weg. Kommst du nachher in die Bar? «

»Auf jeden Fall«, sagte ich. »Was soll ich sonst machen? «

Ich holte meinen Koffer vom Bahnhof und brachte ihn nach Hause. Ich ö ffnete die Tü r, so leise ich konnte, denn ich hatte keine Lust, mit irgend jemand zu reden. Es gelang mir durchzukommen, ohne Frau Zalewski in die Hä nde zu fallen. Eine Weile blieb ich in meinem Zimmer sitzen. Auf dem Tisch lagen Briefe und Zeitungen. Die Briefe waren lauter Drucksachen. Ich hatte niemand, der mir schrieb. Jetzt wü rde ich jemand haben, dachte ich.

Nach einiger Zeit stand ich auf, wusch mich und zog mich um. Meinen Koffer packte ich nicht aus; ich wollte nachher, wenn ich allein nach Hause kam, noch etwas zu tun haben. Ich ging auch nicht in Pats Zimmer, obschon ich wuß te, daß niemand da wohnte. Leise schlich ich mich ü ber den Korridor und atmete auf, als ich drauß en war.

Ich ging ins Café International, um da etwas zu essen. Der Kellner Alois begrü ß te mich an der Tü r. »Auch mal wieder da? «

»Ja«, sagte ich. »Schließ lich kommt man ja immer mal wieder zurü ck. «

Rosa saß mit den andern Mä dchen um einen groß en Tisch herum. Sie waren fast alle da; es war die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Patrouillengang. »Mein Gott, Robert! « sagte Rosa. »Ein seltener Gast. «

»Frag mich nicht soviel«, sagte ich. »Hauptsache, daß ich wieder da bin. «

»Wieso? Kommst du denn jetzt ö fter? «

»Wahrscheinlich. «

»Mach dir nichts draus«, sagte sie und sah mich an. »Es geht alles vorü ber. «

»Stimmt«, sagte ich. »Das ist die sicherste Wahrheit, die es auf der Welt gibt. «

»Klar«, erwiderte Rosa. »Lilly kann auch ein Lied davon singen. «

»Lilly? « Ich sah sie jetzt erst neben Rosa sitzen. »Was machst du denn hier? Du bist doch verheiratet und solltest zu Hause sitzen in deinem Installationsgeschä ft. «

Lilly antwortete nicht. »Installationsgeschä ft«, sagte Rosa hö hnisch.

»Als sie ihr Geld noch hatte, war alles in Butter, Lilly hier und Lilly da, es machte alles nichts, was frü her gewesen war. Genau ein halbes Jahr hat die Herrlichkeit gedauert! Als der letzte Pfennig aus ihr 'rausgeholt war, konnte der feine Herr, der er mit ihrem Gelde geworden war, auf einmal keine Hure als Frau mehr brauchen. « Sie schnaufte. »Hat natü rlich plö tzlich von nichts was gewuß t! War maß los ü berrascht ü ber ihre Vergangenheit! So maß los, daß es einen Scheidungsgrund abgab. Aber das Geld ist natü rlich weg. «

»Wieviel war's denn? « fragte ich.

»Viertausend Mark, keine Kleinigkeit! Was meinst du, mit wieviel Schweinehunden sie dafü r hat schlafen mü ssen! «

»Viertausend Mark«, sagte ich. »Schon wieder. Scheint heute in der Luft zu liegen. «

Rosa sah mich verstä ndnislos an. »Spiel lieber etwas«, sagte sie, »damit wir eine andere Stimmung kriegen. «

»Schö n — wo wir jetzt alle wieder hier sind. «

Ich setzte mich ans Klavier und spielte ein paar Schlager. Wä hrend ich spielte, dachte ich daran, daß Pats Geld nur ungefä hr bis Ende Januar fü r das Sanatorium reichen wü rde und daß ich mehr verdienen mü ß te als bisher. Ich schlug mechanisch auf die Tasten los und sah neben mir im Sofa Rosa hingerissen lauschen und daneben das blasse, von einer ungeheuren Enttä uschung vö llig versteinerte Gesicht Lillys, kä lter und lebloser, als wenn es tot gewesen wä re.

Ein Schrei weckte mich aus meinem Dahinbrü ten. Rosa war aus ihren Trä umen aufgefahren. Sie stand hinter dem Tisch, der Hut war schief gerutscht, die Augen waren weit aufgerissen, und langsam, ohne daß sie es merkte, lief der Kaffee aus ihrer umgeworfenen Tasse den Tisch herunter in ihre aufgeklappte Handtasche. »Arthur! « stammelte sie, »Arthur, bist du's wirklich? «

Ich hö rte auf zu spielen. Ein Mann war eingetreten, hager, mit schlenkrigen Bewegungen, eine Melone weit hinten auf dem Kopf. Er hatte eine gelbe, ungesunde Gesichtsfarbe, eine groß e Nase und einen zu kleinen, eifö rmigen Kopf.

»Arthur«, stammelte Rosa immer noch. »Du? «

»Na, wer sonst? « knurrte Arthur.

»Mein Gott, wo kommst du her? «

»Wo soll ich denn herkommen? Von der Straß e durch die Tü r. «

Arthur war dafü r, daß er nach so langer Zeit heimkehrte, nicht besonders liebenswü rdig. Ich betrachtete ihn neugierig. Das also war das sagenhafte Idol Rosas, der Vater ihres Kindes. Er sah aus, als kä me er frisch aus dem Gefä ngnis. Ich konnte gar nichts an ihm entdecken, was einen Anhaltspunkt fü r Rosas Affenliebe gegeben hä tte. Aber vielleicht war es das gerade. Es war sonderbar, auf was diese diamantharten Mä nnerkennerinnen hereinfielen.

Arthur griff, ohne jemand zu fragen, nach einem vollen Glas Bier, das in der Nä he Rosas auf dem Tisch stand, und trank es aus. Der Adamsapfel seines dü nnen, sehnigen Halses stieg dabei wie ein Fahrstuhl hinauf und herunter. Rosa schaute ihm strahlend zu.

»Willst du noch eins? « fragte sie.

»Natü rlich«, brummte Arthur. »Aber grö ß er. «

»Alois! « Rosa winkte glü cklich dem Kellner. »Er will noch ein Bier! «

»Seh' ich«, erklä rte Alois ungerü hrt und zapfte ab.

»Und das Kleine! Arthur, du hast Klein-Elvira ja noch gar nicht gesehen! «

»Du! « Arthur wurde zum erstenmal lebhafter. Er hob die Hand abwehrend in Brusthö he. »Damit meckere mich nicht an! Das geht mich nischt an! Ich wollte dir den Balg wegmachen lassen. Wä r' auch weggekommen, wenn ich nicht... « Er versank in trü bes Nachsinnen. »Jetzt kostet der natü rlich und kostet. «

»Ist nicht so schlimm, Arthur. Und dann ist's ein Mä dchen. «

»Kostet auch«, sagte Arthur und goß das zweite Bier hinter den Kragen. »Vielleicht findet man mal so ein verrü cktes, reiches Weib, das es als Kind annimmt. Gegen 'ne anstä ndige Abfindung natü rlich. Wä re das einzige. «

Er erwachte aus seinen Ü berlegungen. »Hast du cash bei dir? «

Rosa holte dienstfertig ihre kaffeebeschmierte Handtasche hervor.

»Fü nf Mark nur, Arthur, ich konnte ja nicht ahnen, daß du kommst, aber zu Hause hab' ich mehr. «

Arthur ließ das Silber wie ein Pascha in die Westentasche gleiten.

»Kannst auch nichts verdienen, wenn du hier mit dem Hintern im Sofa sitzt«, murrte er miß mutig.

»Ich geh' ja schon, Arthur. Aber jetzt ist doch nicht viel los. Abendbrotzeit. «

»Kleinvieh macht auch Mist«, erklä rte Arthur.

»Ich geh' schon. «

»Na... «, Arthur tippte an die Melone. »Ich komme so um zwö lf wieder vorbei. «

Er stakste mit seinen schlenkrigen Bewegungen davon. Rosa blickte ihm selig nach. Er sah sich nicht um und ließ die Tü r hinter sich offen. »Kamel«, fluchte Alois und schloß die Tü r.

Rosa schaute uns stolz an. »Ist er nicht fabelhaft? Den kriegt nichts weich. Wo er wohl die ganze Zeit gesteckt haben mag? «

»Das siehst du doch an der Haut«, erwiderte Wally. »In Nummer Sicher. Ein Ekel mit Eichenlaub und Schwertern! «

»Du kennst ihn nicht... «

»Hab' schon genug«, sagte Wally.

»Das verstehst du nicht. « Rosa stand auf. »Ein richtiger Mann ist das. Nicht so ein Trä nenbruder. Na, dann will ich mal los. Servus, Kinder! «

Verjü ngt und beschwingt schaukelte sie hinaus. Jetzt war wieder einer da, dem sie ihr Geld abliefern durfte, damit er es versoff und sie hinterher verprü gelte. Sie war glü cklich.

Eine halbe Stunde spä ter gingen auch die andern. Nur Lilly blieb mit ihrem steinernen Gesicht sitzen. Ich klimperte noch etwas auf dem Klavier herum, dann aß ich ein Butterbrot und verschwand ebenfalls. Es war nicht lange auszuhalten, so allein mit Lilly.

Ich schlenderte durch die nassen, dunklen Straß en. Am Friedhof hatte sich eine Abteilung der Heilsarmee aufgestellt. Sie sang mit Posaunen und Trompeten vom himmlischen Jerusalem. Ich blieb stehen. Ich hatte plö tzlich das Gefü hl, daß ich es nicht aushalten kö nnte, allein, ohne Pat. Ich starrte auf die bleich schimmernden Steine des Friedhofs, ich sagte mir, daß ich vor einem Jahr doch viel mehr allein gewesen sei, daß ich Pat damals gar nicht gekannt hatte und daß sie doch jetzt da war, wenn sie auch nicht bei mir war, aber es half alles nichts — ich war plö tzlich ganz verstö rt und ratlos. Schließ lich ging ich in mein Zimmer hinauf, um nachzusehen, ob vielleicht Post von ihr da wä re. Es war ganz unsinnig, denn es konnte noch' nichts dasein, und es war auch nichts da — aber ich ging trotzdem hinauf.

Als ich wieder fortging, traf ich Orlow an der Tü r. Er trug einen Smoking unter dem offenen Mantel und wollte in sein Hotel zum Tanzdienst. Ich fragte ihn, ob er von Frau Hasse inzwischen was gehö rt hä tte.

»Nein«, sagte er. »Sie ist noch nicht wieder dagewesen.

Auch auf der Polizei war sie nicht. Ist auch besser, wenn sie nicht wiederkommt. «

Wir gingen zusammen die Straß e entlang. An der Ecke stand ein Lastauto mit Kohlensä cken. Der Chauffeur hatte die Kü hlerhaube hochgeklappt und arbeitete am Motor herum. Dann kletterte er auf seinen Sitz. Gerade als wir vorü berkamen, ließ er den Motor an und gab krä ftig im Leerlauf Gas. Orlow zuckte zusammen. Ich sah ihn an. Er war schneeweiß geworden. »Sind Sie krank? « fragte ich. Er lä chelte mit blassen Lippen und schü ttelte den Kopf. »Nein — aber ich erschrecke manchmal, wenn ich das da unvermutet hö re. Als mein Vater in Ruß land erschossen wurde, ließ man drauß en auch den Motor eines Lastautos laufen, damit man die Schü sse nicht so hö rte. — Wir hö rten sie trotzdem. «

Er lä chelte wieder, als mü sse er sich entschuldigen. »Bei meiner Mutter machte man nicht so viele Umstä nde. Man erschoß sie frü hmorgens in einem Keller. Mein Bruder und ich konnten dann nachts fliehen. Wir hatten noch Diamanten. Aber mein Bruder erfror unterwegs. «



  

© helpiks.su При использовании или копировании материалов прямая ссылка на сайт обязательна.