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Drei Kameraden 22 страница



»Das weiß ich«, erwiderte sie.

»Das weiß t du? «

»Aber, Robby! Natü rlich weiß ich es. Ich wuß te es gleich. «

»Ich war damals ziemlich verrü ckt. Unsicher und dumm und verrü ckt. Deshalb habe ich geschwindelt. «

»Und heute? «

»Heute noch mehr«, sagte ich. »Du siehst es ja. « Ich zeigte auf den Dampfer im Schaufenster. »Verflucht, daß man nicht mitfahren kann! «

Sie lä chelte und legte ihren Arm in meinen. »Ach, Liebling, warum sind wir nicht reich? Wir wü ß ten so groß artig, was wir damit anfangen sollten! Es gibt doch so viele reiche Leute, die nichts Besseres kennen, als immer wieder in ihre Bü ros oder ihre Banken zu gehen. «

»Deshalb sind sie ja reich«, sagte ich. »Wenn wir es wä ren, wü rden wir es bestimmt nicht lange bleiben. «

»Das glaube ich auch. Wir wü rden es sicher irgendwie verlieren. «

»Vielleicht wü rden wir auch aus Sorge, es zu verlieren, nichts davon haben. Heute ist Reichsein direkt ein Beruf. Und gar kein so ganz einfacher. «

»Die armen Reichen! « sagte Pat. »Da ist es wahrscheinlich besser, wir bilden uns ein, wir wä ren es schon gewesen und hä tten alles bereits wieder verloren. Du hast einfach vor einer Woche Bankrott gemacht und alles verkaufen mü ssen — unser Haus und meinen Schmuck und deine Autos. Was meinst du dazu? « »Das ist sogar hö chst zeitgemä ß «, erwiderte ich.

Sie lachte. »Dann komm! Wir beiden Bankrotteure gehen jetzt in unser kleines Pensionszimmer und erzä hlen uns Geschichten aus den vergangenen groß en Zeiten. «

»Das ist eine gute Idee. « Wir gingen langsam weiter durch die abendlichen Straß en. Immer mehr Lichter flammten auf, und als wir am Friedhof waren, sahen wir durch den grü nen Himmel ein Flugzeug ziehen, dessen Kabinen hell erleuchtet waren. Es flog einsam und schö n durch den klaren, hohen, einsamen Himmel, wie ein wunderbarer Vogel der Sehnsucht aus einem alten Mä rchen. Wir blieben stehen und sahen ihm nach, bis es verschwunden war.

Wir waren kaum eine halbe Stunde zu Hause, als es an meine Zimmertü r klopfte. Ich dachte, es sei wieder Hasse, und ging, um zu ö ffnen.

Aber es war Frau Zalewski. Sie sah verstö rt aus.

»Kommen Sie doch rasch einmal«, flü sterte sie.

»Was ist denn los? «

»Hasse. «

Ich sah sie an. Sie zuckte mit den Achseln. »Er hat sich eingeschlossen und antwortet nicht. «

»Augenblick. «

Ich ging zurü ck und sagte zu Pat, sie solle sich etwas ausruhen; ich hä tte inzwischen etwas mit Hasse zu besprechen.

»Gut, Robby. Ich bin auch schon wieder mü de. «

Ich folgte Frau Zalewski ü ber den Korridor. Vor Hasses Tü r stand bereits fast die ganze Pension — Erna Bö nig im bunten Drachenkimono, mit roten Haaren; vierzehn Tage vorher war sie noch weiß blond gewesen — der Briefmarken sammelnde Rechnungsrat in einer Hausjacke von militä rischem Schnitt —Orlow, blaß und ruhig, gerade heimgekehrt vom Tanztee —Georgie, nervö s klopfend und mit gedä mpfter Stimme Hasse anrufend —; und endlich Frida, schielend vor Aufregung, Angst und Neugier.

»Wie lange klopfst du schon, Georgie? « fragte ich.

»Ü ber 'ne Viertelstunde«, platzte Frida sofort hochrot dazwischen, »und zu Hause ist er, er ist ü berhaupt nicht mehr 'rausgegangen, seit Mittag nicht, nur 'rumgelaufen ist er fortwä hrend, ewig hin und her, und dann war es ruhig... «

»Der Schlü ssel steckt von innen«, sagte Georgie. »Es ist abgeschlossen. «

Ich sah Frau Zalewski an. »Wir mü ssen den Schlü ssel herausstoß en und aufmachen. Haben Sie noch einen zweiten Schlü ssel? «

»Ich hol' mal das Schlü sselbund«, erklä rte Frida ungewohnt dienstfertig. »Vielleicht paß t einer. «

Ich ließ mir einen Draht geben, schob damit den Schlü ssel gerade und stieß ihn aus dem Loch. Er fiel klappernd auf der anderen Seite zu Boden. Frida schrie auf und hielt die Hä nde vors Gesicht.

»Scheren Sie sich mö glichst weit weg«, sagte ich zu ihr und probierte die Schlü ssel. Einer davon paß te. Ich schloß auf und ö ffnete die Tü r. Das Zimmer lag im Halbdunkel, und man sah im ersten Augenblick niemand. Die beiden Betten schimmerten grauweiß, die Stü hle waren leer, die Schranktü ren geschlossen.

»Da steht er! « zischte Frida, die sich wieder herangedrä ngt hatte, ü ber meine Schultern hinweg. Ihr Zwiebelatem streifte heiß mein Gesicht. »Da hinten am Fenster. «

»Nein«, sagte Orlow, der rasch ein paar Schritte ins Zimmer gemacht hatte und zurü ckkam. Er stieß mich an, griff nach der Klinke und zog die Tü r wieder zu. Dann wandte er sich an die andern. »Es ist besser, Sie gehen. Vielleicht ist es nicht gut, das zu sehen. «

Er sprach langsam, in seinem harten, russischen Deutsch, und blieb vor der Tü r stehen.

»O Gott! « stammelte Frau Zalewski und wich zurü ck. Auch Erna Bö nig machte ein paar Schritte rü ckwä rts. Nur Frida versuchte, sich vorbeizudrä ngen und die Klinke zu fassen. Orlow schob sie weg. »Es ist wirklich besser... «, sagte er noch einmal.

»Herr! « schnauzte der Rechnungsrat plö tzlich und richtete sich auf.

»Was erlauben Sie sich! Als Auslä nder! «

Orlow sah ihn unbewegt an. »Auslä nder —«, sagte er — »Auslä nder — ist hier egal. Kommt nicht darauf an... «

»Tot, was? « zischte Frida.

»Frau Zalewski«, sagte ich, »ich glaube auch, es ist besser, nur Sie bleiben hier und vielleicht Orlow und ich. «

»Telefonieren Sie sofort einem Arzt«, sagte Orlow.

Georgie hob bereits den Hö rer ab. Das Ganze hatte keine fü nf Sekunden gedauert. »Ich bleibe! « erklä rte der Rechnungsrat puterrot. »Als deutscher Mann habe ich das Recht... «

Orlow zuckte die Achseln und ö ffnete wieder die Tü r. Dann knipste er das elektrische Licht an. Mit einem Schrei fuhren die Frauen zurü ck. Mit blauschwarzem Gesicht, die schwarze Zunge zwischen den Zä hnen, hing Hasse am Fenster.

»Abschneiden«, rief ich.

»Keinen Zweck«, sagte Orlow langsam, hart und traurig.

»Ich kenne das — dieses Gesicht — tot, schon paar Stunden... «

»Wir wollen es wenigstens versuchen... «

»Besser nein — Polizei erst kommen lassen. «

Im gleichen Augenblick klingelte es. Der Arzt, der nebenan wohnte, war da. Er warf nur einen Blick auf den schmalen, geknickten Kö rper. »Nichts mehr zu machen«, sagte er. »Wir mü ssen aber trotzdem kü nstliche Atmung versuchen. Rufen Sie die Polizei sofort an, und geben Sie mir ein Messer. «

Hasse hatte sich mit einer dicken, rosaseidenen Kordelschnur erhä ngt. Sie stammte von einem Morgenrock seiner Frau, und er hatte sie sehr geschickt oben an einem Haken ü ber dem Fenster festgemacht. Sie war mit Seife eingerieben. Er muß te auf der Fensterbank gestanden haben, und dann hatte er sich von dort wahrscheinlich herabgleiten lassen. Seine Hä nde waren verkrampft, und sein Gesicht sah furchtbar aus. Es war sonderbar in diesem Augenblick, aber mir fiel auf, daß er einen anderen Anzug trug als morgens. Es war sein bester, ein blauer Kammgarnanzug, den ich kannte. Er war auch rasiert und hatte frische Wä sche an. Auf dem Tisch lagen nebeneinander, pedantisch ordentlich, sein Paß, sein Sparkassenbuch, vier Zehnmarkscheine und etwas Silbergeld. Daneben zwei Briefe, einer an seine Frau und einer an die Polizei. Neben dem Brief an seine Frau lag noch ein silbernes Zigarettenetui und sein Trauring.

Er muß te es lange ü berlegt und alles vorher in Ordnung gebracht haben; denn das Zimmer war vollkommen aufgerä umt, und als wir genauer nachsahen, fanden wir auf der Kommode noch etwas Geld und einen Zettel, auf dem stand: Rest der Miete fü r diesen Monat. Er hatte es extra gelegt, so als ob er zeigen wollte, daß es mit seinem Tode nichts zu tun hä tte.

Es klingelte, und zwei Beamte in Zivil kamen. Der Arzt, der den Kö rper inzwischen abgeschnitten hatte, stand auf. »Tot«, sagte er, »Selbstmord, ohne allen Zweifel. «

Die Beamten erwiderten nichts. Sie sahen aufmerksam das ganze Zimmer durch, nachdem sie die Tü r geschlossen hatten. Sie holten ein paar Briefe aus einem Schrankschubfach und verglichen die Schrift mit den Briefen auf dem Tisch. Der jü ngere von beiden nickte. »Weiß jemand den Grund? «

Ich erzä hlte, was ich wuß te. Er nickte wieder und schrieb meine Adresse auf. »Kö nnen wir ihn wegbringen lassen? « fragte der Arzt.

»Ich habe ein Krankenauto bestellt bei der Charité «, erwiderte der jü ngere Beamte. »Es muß gleich kommen. «

Wir warteten. Es war still im Zimmer. Der Arzt kniete auf dem Boden neben Hasse. Er hatte ihm alle Kleider geö ffnet und frottierte abwechselnd die Brust mit einem Handtuch und machte Wiederbelebungsversuche. Man hö rte nur das Pfeifen und Rö cheln der Luft, die in die toten Lungen aus­und einströ mte.

»Der zwö lfte in dieser Woche«, sagte der jü ngere Beamte.

»Aus dem gleichen Grund? « fragte ich.

»Nein. Fast alle wegen Arbeitslosigkeit. Zwei Familien, eine mit drei Kindern. Mit Gas natü rlich. Familien nehmen fast immer Gas. «

Die Trä ger kamen mit ihrer Bahre. Frida huschte mit ihnen hinein. In einer Art Gier starrte sie Hasses klä glichen Kö rper an. Sie hatte rote Flecken im Gesicht und schwitzte. »Was wollen Sie hier? « fragte der ä ltere Beamte grob.

Sie fuhr zurü ck. »Ich muß doch meine Aussage machen«, stotterte sie.

»'raus! « sagte der Beamte.

Die Trä ger legten eine Decke ü ber Hasse und brachten ihn hinaus. Dann gingen auch die beiden Beamten. Sie nahmen die Papiere mit. »Er hat das Geld fü r das Begrä bnis deponiert«, sagte der jü ngere. »Wir werden es der zustä ndigen Stelle ü bergeben. Wenn die Frau kommt, sagen Sie ihr bitte, sie mö ge sich bei der Kriminalpolizei des Reviers melden. Er hat ihr sein Geld vermacht. Kö nnen die ü brigen Sachen einstweilen hier bleiben? «

Frau Zalewski nickte. »Das Zimmer ist doch nicht mehr zu vermieten. «

»Schö n. «

Der Beamte grü ß te und ging. Wir gingen ebenfalls hinaus. Orlow schloß die Tü r ab und gab Frau Zalewski den Schlü ssel. »Am besten ist, es wird mö glichst wenig ü ber die ganze Sache geredet«, sagte ich.

»Das meine ich auch«, sagte Frau Zalewski.

»Ich denke vor allem an Sie, Frida«, fü gte ich hinzu.

Frida wachte aus einer Art von Geistesabwesenheit auf. Ihre Augen glä nzten. Sie antwortete nicht.

»Sollten Sie ein Wort zu Frä ulein Hollmann erzä hlen«, sagte ich, »dann gnade Ihnen Gott! «

»Das weiß ich selbst«, erwiderte sie patzig. »Die arme Dame ist viel zu krank dazu! «

Ihre Augen funkelten. Ich muß te mich beherrschen, ihr keine Ohrfeige herunterzuhauen.

»Der arme Hasse! « sagte Frau Zalewski.

Es war ganz dunkel auf dem Korridor. »Sie waren ziemlich grob gegen den Grafen Orlow«, sagte ich zu dem Rechnungsrat.

»Wollen Sie ihm nicht ein paar Worte der Entschuldigung sagen? «

Der Alte starrte mich an. Dann stieß er hervor: »Ein deutscher Mann entschuldigt sich nicht! Schon gar nicht bei einem Asiaten! « und warf die Tü r krachend hinter sich zu.

»Was ist denn mit dem Briefmarkenhengst los? « fragte ich erstaunt.

»Der war doch immer sanft wie ein Lamm. «

»Er lä uft seit ein paar Monaten in jede Wahlversammlung«, erwiderte Georgie aus dem Dunkel.

»Ach so! «

Orlow und Erna Bö nig waren schon gegangen. Frau Zalewski begann plö tzlich zu weinen. »Nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen«, sagte ich. »Es ist ja doch nichts dran zu ä ndern. «

»Es ist zu schrecklich«, schluchzte sie. »Ich muß ausziehen, ich komme nicht darü ber weg! «

»Sie werden schon darü ber wegkommen«, sagte ich. »Ich habe einmal ein paar hundert Leute so gesehen. Gasvergiftete Englä nder. Bin auch drü ber weggekommen. «

Ich gab Georgie die Hand und ging in mein Zimmer. Es war dunkel. Unwillkü rlich sah ich zum Fenster, ehe ich Licht machte. Dann horchte ich zu Pat hinü ber. Sie schlief. Ich ging zum Schrank, holte die Flasche Kognak und schenkte mir ein Glas ein. Es war guter Kognak, und es war gut, ihn zu haben. Ich stellte die Flasche auf den Tisch. Das letzte Glas daraus hatte Hasse getrunken. Ich dachte darü ber nach, daß es besser gewesen wä re, ihn nicht allein zu lassen. Ich war bedrü ckt, aber ich konnte mir keinen Vorwurf machen. Ich hatte so vieles mitgemacht, daß ich wuß te, daß entweder alles, was man tat, ein Vorwurf war, oder daß es nie einen gab. Es war das Unglü ck Hasses gewesen, daß ihm das an einem Sonntag passiert war. An einem Wochentag wä re er ins Bü ro gegangen und vielleicht darü ber hinweggekommen.

Ich trank noch einen Kognak. Es hatte keinen Zweck, darü ber nachzudenken. Wer weiß, was einem selber noch alles bevorstand. Kein Mensch wuß te, ob er den, den er jetzt bedauerte, nicht noch einmal fü r glü cklich halten wü rde.

Ich hö rte, wie Pat sich regte, und ging hinü ber. Sie sah mir entgegen.

»Es ist doch zum Verzweifeln mit mir, Robby«, sagte sie. »Da habe ich schon wieder fest geschlafen. «

»Das ist doch gut«, erwiderte ich.

»Nein. « Sie stü tzte sich auf die Ellbogen. »Ich will nicht so viel schlafen. «

»Warum nicht? Ich mö chte manchmal in einem durch die nä chsten fü nfzig Jahre verschlafen. «

»Aber du mö chtest dann nicht fü nfzig Jahre ä lter sein! «

»Das weiß ich nicht. Das kann man immer erst nachher sagen. «

»Bist du traurig? « fragte sie.

»Nein«, sagte ich. »Im Gegenteil. Ich habe gerade beschlossen, daß wir uns anziehen und ganz wunderbar essen gehen werden. Alle Dinge, die du gern magst Und dazu werden wir uns ein biß chen betrinken. «

»Das ist gut«, erwiderte sie. »Gehö rt das noch mit zu unserm groß en Bankrott? «

»Ja«, sagte ich, »das gehö rt noch mit dazu. «

XXI

 

Mitte Oktober ließ Jaffé mich rufen. Es war zehn Uhr morgens, aber das Wetter war so trü be, daß in der Klinik noch Licht brannte. Es vermischte sich mit der Nebeldä mmerung von drauß en zu einer fahlen, krankhaften Helligkeit.

Jaffé saß allein in seinem groß en Sprechzimmer. Er hob den kahlen, beglä nzten Kopf, als ich eintrat. Mü rrisch zeigte er auf das groß e Fenster, gegen das der Regen klatschte. »Was sagen Sie zu diesem verdammten Wetter? «

Ich zuckte die Achseln. »Hoffentlich hö rt es bald mal auf. «

»Das hö rt nicht auf. «

Er sah mich an und schwieg. Dann nahm er einen Bleistift vom Schreibtisch, betrachtete ihn, klopfte damit auf die Platte und legte ihn wieder beiseite.

»Ich kann mir denken, weshalb Sie mich gerufen haben«, sagte ich.

Jaffé knurrte irgend etwas. Ich wartete einen Augenblick. Dann sagte ich: »Pat muß wohl jetzt bald fort? «

»Ja... «

Jaffé starrte ä rgerlich vor sich hin. »Ich hatte mit Ende Oktober gerechnet. Aber bei diesem Wetter... « Er griff nach dem silbernen Bleistift.

Der Wind warf einen Schauer Regen prasselnd gegen das Fenster. Es klang wie fernes Maschinengewehrfeuer. »Wann denken Sie, daß sie reisen soll? « fragte ich.

Er sah mich plö tzlich von unten herauf voll an. »Morgen«, sagte er.

Ich spü rte eine Sekunde keinen Boden unter den Fü ß en.

Die Luft war wie Watte und klebte mir in der Lunge. Dann ging es vorü ber, und ich fragte, so ruhig ich konnte, aber meine Stimme kam weit her, als fragte ein anderer: »Ist es auf einmal so viel schlimmer geworden? «

Jaffé schü ttelte heftig den Kopf und stand auf. »Wenn es sich so schnell verä ndert hä tte, kö nnte sie doch ü berhaupt nicht fahren«, erklä rte er unfreundlich. »Es ist nur besser. Bei diesem Wetter ist jeder Tag eine Gefahr. Erkä ltungen und so was... «

Er nahm ein paar Briefe vom Schreibtisch. »Ich habe schon alles vorbereitet. Sie brauchen nur abzufahren. Den Chefarzt des Sanatoriums kenne ich seit meiner Studienzeit. Er ist sehr tü chtig. Ich habe ihn genau informiert. «

Er gab mir die Briefe. Ich nahm sie, aber ich steckte sie nicht ein. Er sah mich an, dann blieb er vor mir stehen und legte eine Hand auf meinen Arm. Sie war leicht wie ein Vogelflü gel, ich spü rte sie ü berhaupt nicht. »Schwer«, sagte er leise mit verä nderter Stimme, »ich weiß es. Deshalb habe ich auch damit gewartet, solange es ging. «

»Es ist nicht schwer... «, erwiderte ich.

Er wehrte ab. »Lassen Sie nur... «

»Nein«, sagte ich, »so meine ich das auch nicht. Ich mö chte nur eines wissen: Kommt sie zurü ck? «

Jaffé schwieg einen Augenblick. Seine dunklen, schmalen Augen glä nzten in dem trü ben gelben Licht. »Weshalb wollen Sie das jetzt wissen? « fragte er nach einer Weile.

»Weil es sonst besser ist, daß sie nicht fä hrt«, sagte ich.

Er blickte rasch auf. »Was sagen Sie da? «

»Es ist sonst besser, daß sie hierbleibt. «

Er starrte mich an. »Wissen Sie auch, was das mit Sicherheit bedeuten wü rde? « fragte er dann leise und scharf.

»Ja«, sagte ich. »Es wü rde bedeuten, daß sie nicht allein sterben wü rde. Und was das heiß t, weiß ich auch. «

Jaffé hob die Schultern hoch, als frö stele er. Dann ging er langsam zum Fenster und sah in den Regen hinaus. Als er zurü ckkam, war sein Gesicht eine Maske. Er blieb dicht vor mir stehen. »Wie alt sind Sie? « fragte er.

»Dreiß ig«, erwiderte ich. Ich begriff nicht, was er wollte.

»Dreiß ig«, wiederholte er in einem merkwü rdigen Tone, als sprä che er zu sich selbst und hä tte mich gar nicht verstanden. »Dreiß ig, mein Gott! « Er ging zu seinem Schreibtisch und blieb dort stehen, klein und abwesend neben dem riesigen, blanken Mö bel. »Ich bin jetzt bald sechzig«, sagte er, ohne mich anzusehen, »aber ich kö nnte das nicht. Ich wü rde immer wieder alles versuchen, immer wieder, und wenn ich genau wü ß te, daß es zwecklos wä re. «

Ich schwieg. Jaffé stand da, als hä tte er alles um sich herum vergessen. Dann machte er eine Bewegung, und sein Gesicht wechselte den Ausdruck. Er lä chelte. »Ich glaube bestimmt, daß sie oben den Winter gut ü berstehen wird. «

»Nur den Winter? « fragte ich.

»Ich hoffe, daß sie dann im Frü hjahr wieder herunter kann. «

»Hoffen«, sagte ich, »was heiß t hoffen? «

»Alles«, erwiderte Jaffé. »Immer alles. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr sagen. Das andere sind Mö glichkeiten. Man muß sehen, wie es oben wird. Aber ich hoffe bestimmt, daß sie im Frü hjahr zurü ckkommen kann. «

»Bestimmt? «

»Ja. « Er ging um den Schreibtisch herum und stieß mit dem Fuß eine offenstehende Schublade so heftig zu, daß die Glä ser klirrten. »Verdammt, Mann, es geht mir doch selber nahe, daß sie weg muß! « murmelte er.

Eine Schwester kam herein. Jaffé winkte ihr ab. Sie blieb trotzdem stehen, untersetzt, vierschrö tig, mit einem Bulldoggengesicht unter grauem Haar.

»Nachher! « knurrte Jaffé, »kommen Sie nachher wieder! «

Die Schwester drehte sich ä rgerlich um. Im Hinausgehen knipste sie das elektrische Licht aus. Grau und milchig stand plö tzlich der Tag in dem groß en Raum. Jaffé s Gesicht war auf einmal ganz fahl. »Alte Hexe! « sagte er. »Seit zwanzig Jahren will ich sie schon 'rauswerfen. Ist nur zu tü chtig. «

Dann wandte er sich mir zu. »Nun? «

»Wir fahren heute abend«, sagte ich.

»Heute? «

»Ja. Wenn es schon sein muß, dann ist heute besser als morgen. Ich werde sie hinbringen. Ein paar Tage kann ich schon hier weg. «

Er nickte und gab mir die Hand.

Ich ging. Der Weg zur Tü r erschien mir sehr weit.

Drauß en blieb ich stehen. Ich merkte, daß ich die Briefe noch in der Hand hatte. Der Regen klatschte auf das Papier. Ich wischte die Briefe ab und steckte sie in die Brusttasche. Dann sah ich mich um. Ein Omnibus hielt gerade vor dem Hause. Er war voll besetzt, und ein Schwarm von Leuten drä ngte hinaus. Ein paar Mä dchen in schwarzen, glä nzenden Regenmä nteln lachten mit dem Schaffner. Er war jung, und die weiß en Zä hne blitzten in seinem braunen Gesicht. Das geht doch nicht, dachte ich, das kann doch alles nicht stimmen! So viel Leben, und Pat muß fort!

Der Omnibus fuhr klingelnd ab. Seine Rä der spritzten eine Garbe Wasser ü ber den Bü rgersteig. Ich ging weiter, um Kö ster Bescheid zu sagen und die Fahrkarten zu besorgen.

Mittags kam ich nach Hause. Ich hatte alles erledigt und auch dem Sanatorium schon telegrafiert. »Pat«, sagte ich noch in der Tü r, »kannst du bis heute abend alles gepackt haben? «

»Muß ich fort? «

»Ja«, sagte ich. »Ja, Pat. «

»Allein? «

»Nein. Wir fahren zusammen. Ich bringe dich hin. «

Ihr Gesicht bekam wieder Farbe. »Wann muß ich fertig sein? « fragte sie.

»Der Zug fä hrt heute abend um zehn. «

»Und gehst du jetzt noch einmal fort? «

»Nein. Ich bleibe hier, bis wir wegfahren. «

Sie atmete tief. »Dann ist es ganz einfach, Robby«, sagte sie. »Wollen wir gleich anfangen? «

»Wir haben noch Zeit. «

»Ich mö chte gleich anfangen. Dann ist es fertig. «

»Gut. «

Ich verstaute die paar Sachen, die ich mitnehmen wollte, rasch und war in einer halben Stunde fertig. Dann ging ich zu Frau Zalewski hinü ber und sagte ihr, daß wir abends reisen wü rden. Ich machte mit ihr ab, daß das Zimmer zum ersten November frei wü rde, wenn sie es nicht frü her vermieten kö nnte. Sie wollte ein langes Gesprä ch beginnen, aber ich ging rasch wieder zurü ck.

Pat kniete vor ihrem Schrankkoffer, rundum hingen ihre Kleider, auf dem Bett lag Wä sche, und sie packte gerade ihre Schuhe ein. Ich erinnerte mich daran, daß sie auch so gekniet hatte, als sie in dieses Zimmer eingezogen war und ausgepackt hatte, und mir schien, als wä re das endlos lange her und doch eigentlich erst gestern gewesen. Sie sah auf. »Nimmst du das silberne Kleid auch mit? « fragte ich.

Sie nickte. »Was machen wir nur mit all den andern Sachen, Robby? Mit den Mö beln? «

»Ich habe schon mit Frau Zalewski gesprochen. Soviel ich kann, nehme ich in mein Zimmer hinü ber. Das ü brige geben wir einer Speditionsfirma zum Aufbewahren. Da holen wir es dann wieder ab, wenn du zurü ckkommst. «

»Wenn ich zurü ckkomme«, sagte sie.

»Ja«, erwiderte ich, »im Frü hling, wenn du braun von der Sonne zurü ckkommst. «

Ich half ihr packen, und nachmittags, als es schon dunkel drauß en wurde, waren wir fertig. Es war sonderbar: die Mö bel standen alle noch am gleichen Platz, nur die Schrä nke und Schubladen waren geleert, und trotzdem erschien das Zimmer plö tzlich kahl und traurig. Pat setzte sich auf ihr Bett. Sie sah mü de aus. »Soll ich Licht machen? « fragte ich.

Sie schü ttelte den Kopf. »Laß es noch etwas so. «

Ich setzte mich neben sie. »Willst du eine Zigarette? «

»Nein, Robby. Nur ein biß chen so sitzen. «

Ich stand auf und ging zum Fenster. Drauß en brannten die Laternen unruhig im Regen. Der Wind wü hlte in den Bä umen. Unten ging Rosa langsam vorü ber. Ihre hohen Stiefel glä nzten. Sie trug ein Paket unter dem Arm und war auf dem Wege zum International. Wahrscheinlich hatte sie ihr Strickzeug bei sich, um fü r ihre Kleine wollene Sachen zu stricken. Ihr folgten Fritzi und Marion, beide in neuen weiß en, enganliegenden Regenmä nteln, und nach einer Weile schlich Mimi, abgerissen und mü de, hinter ihnen her.

Ich drehte mich um. Es war jetzt so dunkel geworden, daß ich Pat nicht mehr sehen konnte. Ich hö rte sie nur atmen. Langsam und trü be begannen hinter den Bä umen des Friedhofs die Lichtreklamen emporzuklettern. Die rote Leuchtschrift der Zigarettenreklame zog wie ein buntes Ordensband ü ber die Hausdä cher dahin, die blauen und smaragdgrü nen Kreise der Weinfirmen begannen zu sprü hen, und die hellen Konturen der Wä schereklame leuchteten auf. Ihr Licht warf einen matten, verschwommenen Schein durch die Fenster auf die Wä nde und die Decke. Er wanderte hin und her, und das Zimmer erschien plö tzlich wie eine verlorene, kleine Taucherglocke auf dem Grunde des Meeres, um die die Regenwellen rauschten und zu der aus weiter Ferne noch ein schwacher Abglanz der bunten Welt herabdrang.

Es war acht Uhr abends. Drauß en rö hrte ein Klaxon. »Das ist Gottfried mit dem Taxi«, sagte ich, »er will uns zum Essen abholen. «

Ich stand auf, ging zum Fenster und rief hinunter, daß wir kä men. Dann knipste ich die kleine Tischlampe an und ging in mein Zimmer. Es war mir verflucht fremd. Ich holte die Rumflasche und trank rasch ein Glas. Dann setzte ich mich in den Sessel und starrte auf die Tapete. Nach einer Weile stand ich wieder auf und ging zum Waschtisch, um mir die Haare zu bü rsten. Ich vergaß es darü ber, weil ich im Spiegel plö tzlich mein Gesicht sah. Kalt und neugierig betrachtete ich es. Ich verzog die Lippen und grinste es an. Es grinste gespannt und blaß zurü ck. »Du«, sagte ich lautlos. Dann ging ich zu Pat zurü ck.

»Wollen wir los, alter Bursche? « fragte ich.

»Ja«, sagte sie, »aber ich will noch einmal in dein Zimmer gehen. «

»Warum? « erwiderte ich. »Die alte Bude... «

»Bleib du hier«, sagte sie. »Ich komme gleich wieder. «

Ich wartete eine Zeitlang, dann ging ich hinü ber. Sie stand in der Mitte des Zimmers und fuhr zusammen, als sie mich erblickte. Ich hatte sie noch nie so gesehen. Sie war ganz ausgelö scht. Es war nur eine Sekunde, dann lä chelte sie wieder.

»Komm«, sagte sie. »Jetzt wollen wir gehen. «

An der Kü che erwartete uns Frau Zalewski. Ihre grauen Lö ckchen wogten, und sie trug die Brosche mit dem seligen Zalewski auf dem schwarzen Seidenkleid. »Fassung! « flü sterte ich Pat zu, »sie wird dich umarmen. «

Im nä chsten Moment verschwand Pat bereits an dem ungeheuren Busen. Das gewaltige Gesicht ü ber ihr zuckte. Es handelte sich nur noch um Sekunden, und Pat wä re unabsehbar ü berschwemmt worden; wenn Mutter Zalewski weinte, dann standen ihre Augen unter Druck wie Syphonflaschen.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich, »wir mü ssen eiligst los! Es ist hö chste Zeit! «

»Hö chste Zeit? « Frau Zalewski maß mich mit einem vernichtenden Blick. »Der Zug geht erst in zwei Stunden! Inzwischen wollen Sie das arme Kind doch wahrscheinlich nur betrunken machen! «

Pat muß te lachen. »Nein, Frau Zalewski. Wir wollen uns noch von den andern verabschieden. «

Mutter Zalewski schü ttelte unglä ubig den Kopf. »Sie sehen bei diesem jungen Mann in einen goldenen Topf, Frä ulein Hollmann. Dabei ist er allerhö chstens eine goldene Schnapsflasche. «

»Ein schö nes Bild«, sagte ich.

»Mein Kind... «, Frau Zalewski wurde wieder von Rü hrung gepackt. »Kommen Sie bald wieder! Ihr Zimmer ist immer fü r Sie da. Und wenn der Kaiser selbst darin wohnte, er mü ß te 'raus, wenn Sie kommen! «

»Danke schö n, Frau Zalewski«, sagte Pat. »Vielen Dank fü r alles. Auch fü r das Kartenlegen. Ich werde mir alles merken. «

»Das ist schö n. Und erholen Sie sich gut, und werden Sie ganz gesund! «

»Ja«, erwiderte Pat, »ich werde es versuchen. Auf Wiedersehen, Frau Zalewski. Auf Wiedersehen, Frida. «

Wir gingen. Die Korridortü r klappte hinter uns zu. Im Treppenhaus war es halbdunkel; ein paar elektrische Birnen waren ausgebrannt. Pat schwieg, wä hrend sie leise und weich die Treppen hinunterstieg. Ich hatte das Gefü hl, als wä re ein Urlaub zu Ende und wir gingen jetzt im grauen Morgen zum Bahnhof, um an die Front zu fahren.

Lenz ö ffnete die Tü r zum Taxi. »Vorsicht! « sagte er.

Der Wagen war voller Rosen. Zwei riesige Bü sche weiß er und roter Blü ten lagen auf den hinteren Sitzen. Ich erkannte sofort, woher sie kamen — aus dem Domgarten. »Die letzten«, erklä rte Gottfried selbstzufrieden. »Haben eine gewisse Mü he gekostet. Muß te mit einem Pfarrer lä ngere Zeit darü ber diskutieren. «

»War das einer mit so hellen blauen Kinderaugen? « fragte ich.

»Aha, also du warst das, Bruder! « erwiderte Gottfried. »Von dir hat er mir also erzä hlt. Der Mann war mä chtig enttä uscht, als er merkte, was es mit dem Kreuzwegbeten auf sich hatte. Er hatte schon geglaubt, die Frö mmigkeit der mä nnlichen Bevö lkerung nä hme wieder zu. «



  

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