|
|||
Drei Kameraden 30 страница»Das wä re ja noch schö ner. « Ich goß das Glas noch einmal voll und stü rzte es hinunter. Sie schü ttelte den Kopf. »Du muß t das nicht tun, Robby. Du darfst mich auch nicht mehr kü ssen. Du darfst ü berhaupt nicht mehr so viel bei mir sein. Du sollst nicht krank werden. « »Ich werde dich kü ssen und mich den Teufel um etwas scheren«, erwiderte ich. »Nein, du darfst nicht. Du darfst auch nicht mehr in meinem Bett schlafen. « »Gut, dann schlaf du mit mir in meinem. « Sie bewegte abwehrend den Mund. »Laß das, Robby. Du muß t noch lange leben. Ich will, daß du gesund bleibst und Kinder hast und eine Frau. « »Ich will weder Kinder noch eine Frau haben auß er dir. Du bist mein Kind und meine Frau. « Sie lag eine Weile still. »Ich hä tte gern ein Kind von dir gehabt, Robby«, sagte sie dann und legte ihr Gesicht an meine Schulter. »Frü her wollte ich es nie. Ich konnte es mir gar nicht vorstellen. Aber jetzt denke ich oft daran. Es wä re schö n, wenn etwas von einem bliebe. Das Kind wü rde dich dann manchmal ansehen, und du wü rdest dich an mich erinnern. Dann wä re ich wieder da solange. « »Wir werden noch ein Kind haben«, sagte ich. »Wenn du wieder gesund bist. Ich mö chte gern ein Kind von dir haben, Pat. Es muß aber ein Mä dchen sein, das auch Pat heiß t. « Sie nahm mir das Glas aus der Hand und trank einen Schluck. »Vielleicht ist es besser, daß wir keins haben, Liebling. Du sollst nichts mitnehmen. Du sollst mich vergessen. Und wenn du an mich denkst, sollst du nur denken, daß es schö n war mit uns — mehr nicht. Daß es vorbeigegangen ist, das werden wir doch nie begreifen. Traurig sollst du nicht sein. « »Ich bin traurig, wenn du so etwas sagst. « Sie sah mich eine Zeitlang an. »Wenn man so liegt, denkt man ü ber manches nach. Und vieles kommt einem sonderbar vor, was man sonst gar nicht beachtet. Weiß t du, was ich jetzt nicht mehr verstehen kann? Daß man sich so liebt wie wir und daß trotzdem einer stirbt. « »Sei still«, sagte ich. »Einer muß immer zuerst sterben, immer im Leben. Aber so weit sind wir noch lange nicht. « »Man dü rfte nur sterben, wenn man allein ist. Oder wenn man sich haß t — aber nicht, wenn man sich liebt. « Ich zwang mich zu einem Lä cheln. »Ja, Pat«, sagte ich und nahm ihre heiß en Hä nde in meine, »wenn wir die Welt machen wü rden, wü rde sie besser aussehen, was? « Sie nickte. »Ja, Liebling. Wir wü rden solche Sachen nicht zulassen. Wenn man nur wü ß te, was dahinter ist. Glaubst du, daß es weitergeht, nachher? « »Ja«, erwiderte ich. »Es ist so schlecht gemacht, daß es nicht zu Ende sein kann. « Sie lä chelte. »Das ist auch ein Grund. Aber findest du das auch schlecht gemacht? « Sie zeigte auf einen Busch gelber Rosen neben ihrem Bett. »Das ist es ja gerade«, erwiderte ich. »Die Einzelheiten sind wunderbar, aber das Ganze hat keinen Sinn. Als wenn es von einem gemacht ist, dem auf die wunderbare Vielfalt des Lebens nichts anderes eingefallen ist, als es wieder zu vernichten. « »Und es wieder neu zu machen«, sagte Pat. »Auch da sehe ich den Sinn nicht«, erwiderte ich. »Besser ist es dadurch bis heute nicht geworden. « »Doch Liebling«, sagte Pat, »mit uns, das hat er schon gut gemacht. Besser ging's gar nicht. Nur zu kurz. Viel zu kurz. « Ein paar Tage spä ter spü rte ich Stiche in der Brust und hustete. Der Chefarzt hö rte den Lä rm, als er ü ber den Korridor ging, und steckte den Kopf in mein Zimmer. »Kommen Sie doch mal mit ins Sprechzimmer. « »Es ist weiter nichts«, sagte ich. »Das ist egal«, erwiderte er. »Mit so einem Husten dü rfen Sie nicht bei Frä ulein Hollmann sitzen. Kommen Sie mal gleich mit. « Ich zog mir mit einer sonderbaren Befriedigung im Sprechzimmer das Hemd aus. Hier oben erschien einem Gesundheit fast wie ein unberechtigter Vorteil; man kam sich wie ein Schieber und Drü ckeberger vor. Der Chefarzt sah mich eigentü mlich an. »Sie scheinen sich ja noch zu freuen«, sagte er stirnrunzelnd. Dann untersuchte er mich sorgfä ltig. Ich sah mir die blanken Dinge an den Wä nden an und atmete tief und langsam und schnell und kurz ein und aus, wie er es verlangte. Dabei spü rte ich wieder die Stiche und war zufrieden, Pat jetzt etwa weniger voraus zu haben. »Sie sind erkä ltet«, sagte der Chefarzt. »Legen Sie sich ein oder zwei Tage ins Bett oder bleiben Sie wenigstens in Ihrem Zimmer. Zu Frä ulein Hollmann dü rfen Sie nicht hinein. Nicht Ihretwegen — Frä ulein Hollmanns wegen. « »Kann ich durch die Tü r mit ihr sprechen? « fragte ich. »Oder ü ber den Balkon? « »Ü ber den Balkon ja, aber nur ein paar Minuten, und durch die Tü r meinetwegen auch, wenn Sie fleiß ig gurgeln. Sie haben auß er der Erkä ltung auch noch einen Raucherkatarrh. « »Und die Lunge? « Ich hatte irgendwie die Erwartung, daß wenigstens eine Kleinigkeit daran nicht in Ordnung wä re. Ich hä tte mich Pat gegenü ber besser gefü hlt. »Aus Ihrer Lunge kö nnte man drei machen«, erklä rte der Chefarzt. »Sie sind der gesü ndeste Mensch, den ich seit langem gesehen habe. Sie haben nur eine ziemlich harte Leber. Wahrscheinlich trinken Sie zuviel. « Er verschrieb mir etwas, und ich ging zurü ck. »Robby«, fragte Pat aus ihrem Zimmer, »was hat er gesagt? « »Ich darf nicht zu dir, einstweilen«, erwiderte ich unter der Tü r. »Strenges Verbot. Ansteckungsgefahr. « »Siehst du«, sagte sie erschrocken, »ich habe es immer schon nicht mehr gewollt. « »Ansteckungsgefahr fü r dich, Pat. Nicht fü r mich. « »Laß den Unsinn«, sagte sie. »Erzä hle mir genau, was los ist. « »Es ist genau so. Schwester« — ich winkte der Stationsschwester, die mir gerade die Medikamente brachte —, »sagen Sie Frä ulein Hollmann, wer der Gefä hrlichere von uns beiden ist. « »Herr Lohkamp«, erklä rte die Schwester. »Er darf nicht 'raus, damit er Sie nicht ansteckt. « Pat sah unglä ubig von der Schwester zu mir. Ich zeigte ihr die Medikamente durch die Tü r. Sie begriff, daß es stimmte, und begann zu lachen, immer mehr, sie lachte, bis ihr die Trä nen kamen und sie schmerzhaft zu husten anfing, so daß die Schwester hinlaufen und sie stü tzen muß te. »Mein Gott, Liebling«, flü sterte sie, »das ist zu komisch. Und wie stolz du aussiehst! « Sie war den ganzen Abend frö hlich. Ich ließ sie natü rlich nicht allein, sondern saß in einem dicken Mantel, einen Schal um den Hals, bis Mitternacht auf dem Balkon, eine Zigarre in der einen und ein Glas in der andern Hand, eine Kognakflasche zu meinen Fü ß en, und erzä hlte ihr Geschichten aus meinem Leben, immer wieder von ihrem leisen Vogelgelä chter unterbrochen und angetrieben, ich log, was ich konnte, um das Lachen, ü ber ihr Gesicht gleiten zu sehen, ich war glü cklich ü ber meinen bellenden Husten und trank die Flasche leer und war am nä chsten Morgen gesund. Der Fö hn kam wieder. Der Wind rü ttelte an den Fenstern, die Wolken hingen tief, der Schnee schob sich zusammen und polterte durch die Nä chte, und die Kranken lagen gereizt und aufgepeitscht wach und horchten hinaus. An den geschü tzten Hä ngen fingen die Krokusse an zu blü hen, und auf der Straß e erschienen zwischen den Schlitten die ersten Wagen mit hohen Rä dern. Pat wurde immer schwä cher. Sie konnte nicht mehr aufstehen. In den Nä chten hatte sie oft Erstickungsanfä lle. Dann wurde sie grau vor Todesangst. Ich hielt ihre nassen, kraftlosen Hä nde. »Nur diese Stunde ü berstehen! « keuchte sie, »nur diese Stunde, Robby. Da sterben sie... « Sie hatte Angst vor der letzten Stunde zwischen Nacht und Morgen. Sie glaubte, daß mit dem Ende der Nacht der geheime Strom des Lebens schwä cher wü rde und fast erlosch — und nur vor dieser Stunde hatte sie Furcht und wollte nicht allein sein. Sonst war sie so tapfer, daß ich oft die Zä hne zusammenbeiß en muß te. Ich ließ mein Bett in ihr Zimmer stellen und setzte mich zu ihr, wenn sie erwachte und wenn in ihre Augen das verzweifelte Flehen kam. Ich dachte oft an die Morphiumampullen in meinem Koffer, und ich hä tte es ohne Nachdenken getan, wenn sie nicht so dankbar fü r jeden neuen Tag gewesen wä re. Ich saß bei ihr am Bett und erzä hlte ihr, was mir gerade einfiel. Sie durfte nicht viel sprechen, und sie hö rte gern zu, wenn ich ihr erzä hlte, was mir alles schon so passiert war. Am liebsten hö rte sie Geschichten aus meiner Schulzeit, und manchmal, wenn sie kurz vorher noch einen Anfall gehabt hatte und blaß und zerschlagen in den Kissen saß, verlangte sie schon wieder, daß ich ihr irgendeine Type von meinen Lehrern vormachte. Fuchtelnd und schnaufend, einen imaginä ren roten Vollbart streichend, wanderte ich dann durchs Zimmer und gab mit knarrender Stimme Kathederblü ten von mir. Ich erfand tä glich neue hinzu, und Pat wuß te allmä hlich unter den Raufbolden und Lü mmeln unserer Klasse, die den Lehrern immer neuen Ä rger bereitet hatten, sehr gut Bescheid. Einmal kam die Nachtschwester dazu, angelockt durch den polternden Baß unseres Rektors, und es dauerte eine ganze Weile, ehe ich ihr zum Vergnü gen Pats klargemacht hatte, daß ich nicht verrü ckt geworden sei, weil ich mitten in der Nacht in einer Pelerine und einem Schlapphut im Zimmer herumhopste und einem gewissen Karl Ossege furchtbar die Leviten las, der heimtü ckisch das Katheder angesä gt hatte. Langsam sickerte dann das Tageslicht durch das Fenster. Die Bergrü cken wurden messerscharfe, schwarze Silhouetten. Der Himmel hinter ihnen fing an, kalt und blaß zurü ckzuweichen. Die Nachttischlampe verrostete zu bleichem Gelb, und Pat legte ihr feuchtes Gesicht in meine Hä nde. »Es ist vorbei, Robby. Jetzt habe ich wieder einen Tag dazu. « Antonio brachte mir seinen Radioapparat. Ich schloß ihn an die Lichtleitung und die Heizung an und probierte ihn abends bei Pat aus. Er quarrte und quakte, dann lö ste sich plö tzlich aus dem Schnarren eine zarte, klare Musik. »Was ist das, Liebling? « fragte Pat. Antonio hatte mir eine Radiozeitschrift mitgegeben. Ich schlug nach. »Rom, glaube ich. « Da kam auch schon die tiefe, metallische Stimme der Ansagerin. »Radio Roma — Napoli — Firenze... « Ich drehte weiter. Ein Klaviersolo. »Da brauche ich gar nicht nachzuschlagen«, sagte ich. »Das ist die Waldsteinsonate von Beethoven. Die habe ich auch mal spielen kö nnen in den Zeiten, als ich noch glaubte, irgendwann mal Studienrat, Professor oder Komponist zu werden. Jetzt kann ich sie lä ngst nicht mehr. Wollen lieber weiterdrehen. Sind keine schö nen Erinnerungen. « Ein warmer Alt, sehr leise und einschmeichelnd. »Parlez — moi d'amour. « — »Paris, Pat. « Ein Vortrag ü ber die Bekä mpfung der Reblaus. Ich drehte weiter. Reklamenachrichten. Ein Quartett. »Was ist das? « fragte Pat. »Prag. Streichquartett, Opus 59, zwei, Beethoven«, las ich vor. Ich wartete, bis der Satz zu Ende war, dann drehte ich weiter, und auf einmal war eine Geige da, eine wunderbare Geige. »Das wird Budapest sein, Pat. Zigeunermusik. « Ich stellte die Skala genau ein. Voll und weich schwebte jetzt die Melodie ü ber dem mitflutenden Orchester von Cimbals, Geigen und Hirtenflö ten. »Herrlich, Pat, was? « Sie schwieg. Ich wandte mich um. Sie weinte mit weit geö ffneten Augen. Ich stellte mit einem Ruck den Apparat ab. »Was ist denn, Pat? « Ich legte den Arm um ihre schmalen Schultern. »Nichts, Robby. Es ist dumm von mir. Nur wenn man das so hö rt, Paris, Rom, Budapest — mein Gott, und ich wä re schon froh, wenn ich noch einmal ins Dorf hinunter kö nnte. « »Aber Pat. « Ich sagte ihr alles, was ich ihr sagen konnte, um sie darü ber wegzubringen. Aber sie schü ttelte den Kopf. »Ich bin nicht traurig, Liebling. Du muß t das nicht glauben. Ich bin nicht traurig, wenn ich weine. Es kommt wohl mal so, aber nicht lange. Dafü r denke ich viel zuviel nach. « »Worü ber denkst du denn nach? « fragte ich und kü ß te ihr Haar. »Ü ber das einzige, worü ber ich noch nachdenken kann — ü ber Leben und Sterben. Wenn ich dann traurig bin und nichts mehr verstehe, sage ich mir, daß es besser ist, zu sterben, wenn man noch leben mö chte, als zu sterben und man mö chte auch sterben. Was meinst du? « »Ich weiß nicht. « »Doch. « Sie lehnte den Kopf an meine Schulter. »Wenn man noch leben mö chte, dann ist etwas da, was man liebt. Es ist schwerer, aber auch leichter. Sieh, sterben hä tte ich doch mü ssen, und nun bin ich dankbar, daß ich dich hatte. Ich hä tte ja auch allein und unglü cklich sein kö nnen. Dann wä re ich gern gestorben. Jetzt ist es schwer; aber dafü r bin ich auch ganz voll Liebe, wie eine Biene voll Honig, wenn sie abends in den Stock zurü ckkommt. Wenn ich wä hlen sollte — ich wü rde zwischen beiden immer wieder dasselbe wä hlen. « Sie sah mich an. »Pat«, sagte ich, »es gibt noch ein Drittes — wenn der Fö hn aufhö rt, dann wird es dir besser gehen, und wir werden hier fortfahren. « Sie blickte mich weiter prü fend an. »Um dich habe ich Angst, Robby. Fü r dich ist es viel schwerer als fü r mich. « »Wir wollen nicht mehr darü ber sprechen«, sagte ich. »Ich habe es nur gesagt, damit du nicht denkst, ich sei traurig«, erwiderte sie. »Ich glaube auch nicht, daß du traurig bist. « Sie legte ihre Hand auf meinen Arm. »Willst du nicht dir Zigeuner wieder spielen lassen? «
»Willst du sie hö ren? « »Ja, Liebling. «
Ich stellte den Apparat wieder an, und leise, dann immer voller klang die Geige mit den Flö ten und den gedä mpften Arpeggien der Cimbals durch das Zimmer. »Schö n«, sagte Pat. »Wie ein Wind. Ein Wind, der einen wegträ gt. « Es war ein Abendkonzert aus einem Gartenrestaurant in Budapest. Das Gesprä ch der Gä ste war manchmal durch das Raunen der Musik zu vernehmen, und ab und zu hö rte man einen hellen, frö hlichen Ruf. Man konnte denken, daß jetzt auf der Margaretheninsel die Kastanien schon das erste Laub hatten und daß es blaß im Monde schimmerte und sich bewegte, als wü rde es durch den Geigenwind angeweht. Vielleicht war es auch schon ein warmer Abend, und die Leute saß en im Freien und hatten Glä ser mit dem gelben ungarischen Wein vor sich stehen, die Kellner liefen in ihren weiß en Jacken hin und her, die Zigeuner spielten, nachher ging man durch die grü ne Frü hjahrsdä mmerung mü de nach Hause, und da lag Pat und lä chelte und wü rde nie wieder aus diesem Zimmer herauskommen, nie wieder aus diesem Bette aufstehen. Dann, plö tzlich, ging alles sehr schnell. Das Fleisch ihres Gesichtes schmolz. Die Backenknochen traten hervor, und an den Schlä fen kam die Stirn durch. Die Arme waren dü nn wie Kinderarme, die Rippen spannten sich unter der Haut, und das Fieber raste in immer neuen Stö ß en durch den schmalen Kö rper. Die Schwester brachte Sauerstoffballons, und der Arzt kam jede Stunde. Eines Nachmittags sank das Fieber unerklä rlicherweise rasch. Pat wachte auf und sah mich lange an. »Gib mir einen Spiegel«, flü sterte sie dann. »Wozu willst du einen Spiegel? « sagte ich. »Ruh dich aus, Pat. Ich glaube, du bist jetzt durch. Du hast kein Fieber mehr. « »Nein«, flü sterte sie mit ihrer zerborstenen, verbrannten Stimme, »gib mir den Spiegel. « Ich ging um das Bett herum, nahm den Spiegel und ließ ihn fallen. Er zersprang. »Entschuldige«, sagte ich. »So was ungeschicktes. Fä llt mir einfach aus der Hand und ist auch gleich in tausend Scherben. « »In meiner Tasche ist noch einer, Robby. « Es war ein kleiner Spiegel aus verchromtem Nickel. Ich wischte mit der Hand darü ber, damit er etwas erblindete, und gab ihn Pat. Sie rieb ihn mü hsam sauber und sah angestrengt hinein. »Du muß t abreisen, Liebling«, flü sterte sie dann. »Warum denn? Magst du mich nicht mehr? « »Du sollst mich nicht mehr sehen. Das bin ich nicht mehr. « Ich nahm ihr den Spiegel ab. »Diese Metalldinger taugen nichts, Pat. Sieh nur, wie ich darin ausschaue. Blaß und mager. Dabei bin ich doch braun und krä ftig. Ganz wellig ist das Ding. « »Du sollst eine andere Erinnerung an mich behalten«, flü sterte sie. »Fahr weg, Liebling. Ich werde schon allein damit fertig. « Ich beruhigte sie. Sie verlangte den Spiegel wieder und ihre Tasche. Dann begann sie sich zu pudern, das arme, abgezehrte Gesicht, die zerrissenen Lippen, die schweren, braunen Hö hlen unter den Augen. »Nur etwas, Liebling«, sagte sie und versuchte zu lä cheln, »du sollst mich nicht hä ß lich sehen. « »Du kannst machen, was du willst«, sagte ich, »du wirst nie hä ß lich sein. Fü r mich bist du die schö nste Frau, die ich je gesehen habe. « Ich nahm den Spiegel und die Puderdose fort und legte meine Hä nde vorsichtig um ihren Kopf. Nach einiger Zeit wurde sie unruhig. »Was ist, Pat? « fragte ich. »Es tickt so laut«, flü sterte sie. »Was? Die Uhr? « Sie nickte. »Es drö hnt so... « Ich machte die Uhr von meinem Handgelenk los. Sie blickte angstvoll auf den Sekundenzeiger. »Tu sie weg... « Ich nahm die Uhr und warf sie gegen die Wand. »So, jetzt tickt sie nicht mehr. Jetzt steht die Zeit still. Wir haben sie mitten durchgerissen. Nur wir beide sind noch da, nur wir beide, du und ich, und niemand sonst. « Sie sah mich an. Ihre Augen waren sehr groß. »Liebling... « flü sterte sie. Ich konnte ihren Blick nicht ertragen. Er kam weit her und ging durch mich hindurch, irgendwohin. »Alter Bursche«, murmelte ich, »mein geliebter, tapferer, alter Bursche. « Sie starb in der letzten Stunde der Nacht, bevor es Morgen wurde. Sie starb schwer und qualvoll, und niemand konnte ihr helfen. Sie hielt meine Hand fest, aber sie wuß te nicht mehr, daß ich bei ihr war. Irgendwann sagte jemand: »Sie ist tot... « »Nein«, erwiderte ich, »sie ist noch nicht tot. Sie hä lt meine Hand noch fest... « Licht. Unerträ gliches, grelles Licht. Menschen. Der Arzt. Ich ö ffnete langsam meine Hand. Pats Hand fiel herunter. Blut. Ein verzerrtes, ersticktes Gesicht. Qualvolle, starre Augen. Braunes, seidiges Haar. »Pat«, sagte ich. »Pat! « Und zum ersten Male antwortete sie mir nicht. »Mö chte allein sein«, sagte ich. »Soll nicht erst... « fragte jemand. »Nein«, sagte ich. »'rausgehen. Nicht anfassen. « Ich habe ihr dann das Blut abgewaschen. Ich war aus Holz. Ich habe ihr das Haar gekä mmt. Sie wurde kalt. Ich habe sie in mein Bett gelegt und die Decken ü ber sie gedeckt. Ich habe bei ihr gesessen, und ich konnte nichts denken. Ich habe auf dem Stuhl gesessen und sie angestarrt. Der Hund kam herein und setzte sich zu mir. Ich habe gesehen, wie ihr Gesicht anders wurde. Ich konnte nichts tun, als leer dasitzen und sie ansehen. Dann kam der Morgen, und sie war es nicht mehr.
|
|||
|