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Drei Kameraden 29 страницаEin ganzer Schwarm begleitete Roth. Es war hier so ü blich, wenn einer abfuhr. Roth selbst war nicht besonders heiter. Er hatte in seiner Weise Pech gehabt. Vor zwei Jahren hatte ihm eine Kapazitä t auf seine Frage, wie lange er noch zu leben habe, erklä rt, daß es hö chstens zwei Jahre wä ren, wenn er sich sorgfä ltig pflege. Zur Vorsicht hatte er dann noch einen zweiten Arzt auf Wahrheit und Gewissen befragt. Der hatte ihm noch weniger gegeben. Roth hatte darauf sein Vermö gen genommen, es auf zwei Jahre eingeteilt und herausgehauen, was ging, ohne sich um seine Krankheit zu kü mmern. Mit schweren Blutstü rzen wurde er schließ lich in das Sanatorium eingeliefert. Und hier begann er sich, anstatt zu sterben, unaufhaltsam zu erholen. Als er kam, hatte er neunzig Pfund gewogen. Jetzt wog er hundertfü nfzig und war so gut in Ordnung, daß er wieder hinunterkonnte. Aber sein Geld war weg. »Was soll ich bloß unten machen? « fragte er mich und kratzte sich den rothaarigen Schä del. »Sie kommen doch gerade daher, wie ist es denn? « »Es hat sich allerhand verä ndert«, erwiderte ich und betrachtete sein rundes, ausgepolstertes Gesicht mit den farblosen Augenwimpern. Er war gesund geworden, obschon er aufgegeben worden war, sonst interessierte mich nichts an ihm. »Ich werde mir eine Stellung suchen mü ssen«, sagte er. »Wie steht es denn damit jetzt? « Ich zuckte die Achseln. Wozu sollte ich ihm erklä ren, daß er wahrscheinlich keine finden wü rde. Er wü rde es frü h genug selbst sehen. »Haben Sie Verbindungen, Freunde, oder so was? « fragte ich. »Freunde — na, Sie wissen ja. « Er lachte spö ttisch. »Wenn man plö tzlich kein Geld mehr hat, springen sie weg wie Flö he von einem toten Hund. « »Dann wird's schwer sein. « Er zog die Stirn in Falten. »Keine Ahnung, wie das wird. Ich habe nur noch ein paar hundert Mark. Und gelernt habe ich nichts, als Geld auszugeben. Mein Professor scheint doch recht zu behalten, wenn auch auf andere Weise — ich kratze in zwei Jahren ab —, allerdings an einer Kugel. « Mich packte plö tzlich eine unsinnige Wut auf diesen idiotischen Schwä tzer. Wuß te er denn nicht, was das Leben war? Ich sah vor mir Antonio mit Pat gehen, ich sah ihren unter den Griffen der Krankheit schmaler gewordenen Nacken, ich wuß te, wie gerne sie lebte, und ich hä tte in diesem Augenblick Roth tö ten kö nnen, wenn Pat dadurch gesund geworden wä re. Der Zug fuhr ab. Roth winkte mit seinem Hut. Die Zurü ckbleibenden riefen ihm alles mö gliche nach und lachten. Ein Mä dchen lief stolpernd ein Stü ck hinter dem Zug her und schrie mit ü berkippender, dü nner Stimme: »Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen! « Dann kam sie zurü ck und brach in Trä nen aus. Die andern machten verlegene Mienen. »Hallo! « rief Antonio. »Wer am Bahnhof weint, muß eine Buß e zahlen! Das ist altes Sanatoriumsgesetz! Buß e fü r die Kasse des nä chsten Festes! « Er hielt mit groß er Geste die Hand hin. Die anderen lachten wieder. Auch das Mä dchen lä chelte unter Trä nen ü ber sein armes, spitzes Gesicht und zog ein abgeschabtes Portemonnaie aus der Manteltasche. Mir wurde ganz elend dabei. Diese Gesichter rundum, das war ja gar kein Lachen, das war eine krampfhafte, qualvolle Lustigkeit, es waren Grimassen. »Komm«, sagte ich zu Pat und nahm sie fest unter den Arm. Wir gingen schweigend die Dorfstraß e hinunter. An der nä chsten Konditorei hielt ich und holte eine Schachtel Konfekt heraus. »Gebrannte Mandeln«, sagte ich und hielt ihr das Paket hin. »Die iß t du doch gerne, wie? « »Robby«, sagte Pat. Ihre Lippen zuckten. »Einen Augenblick«, erwiderte ich und ging rasch in den Blumenladen nebenan. Einigermaß en ruhig kam ich mit meinen Rosen wieder heraus. »Robby«, sagte Pat. Ich grinste etwas klä glich. »Werde auf meine alten Tage noch zum Kavalier, Pat. « Ich wuß te nicht, was auf einmal in uns gefahren war. Wahrscheinlich kam es von diesem verdammten abfahrenden Zug. Es war wie ein bleierner Schatten, ein grauer Wind, der alles herunterriß, was man mü hsam festhalten wollte. Waren wir nicht plö tzlich nur noch zwei verlaufene Kinder, die nicht aus noch ein wuß ten und gerne tapfer sein wollten? »Komm rasch einen trinken«, sagte ich. Sie nickte. Wir traten in das nä chste Café und setzten uns an einen leeren Tisch am Fenster. »Was willst du haben, Pat? « »Rum«, sagte sie und sah mich an. »Rum«, wiederholte ich und griff unter dem Tisch nach ihrer Hand. Sie preß te sie heftig in meine. Der Rum kam. Es war Baccardi mit Zitrone. »Mein alter Liebling«, sagte Pat und hob ihr Glas. »Mein alter, guter Bursche«, sagte ich. Wir saß en noch eine Weile. »Komisch manchmal, was? « sagte Pat. »Ja. Kommt mal so. Geht auch wieder weg. « Sie nickte. Wir gingen weiter, dicht nebeneinander. Dampfende Schlittenpferde trabten an uns vorbei. Mü de, verbrannte Skilä ufer, eine Eishockeymannschaft in rotweiß en Sweatern, krachendes Leben. »Wie fü hlst du dich, Pat? « fragte ich. »Gut, Robby. « »Sollen uns nur kommen, was? « »Ja, Liebling. « Sie drü ckte meinen Arm an sich. Die Straß e wurde leer. Das Abendrot lag wie eine rosa Decke auf den verschneiten Bergen. »Pat«, sagte ich, »du weiß t noch gar nicht, daß wir eine Menge Geld haben. Kö ster hat was geschickt. « Sie blieb stehen. »Das ist ja wunderbar, Robby. Dann kö nnen wir doch einmal ganz richtig ausgehen. « »Ohne weiteres«, sagte ich. »Sooft wir wollen. « »Dann gehen wir Sonnabend in den Kursaal. Da ist der letzte groß e Ball in diesem Jahr. « »Du darfst doch abends nicht 'raus. « »Das dü rfen die meisten nicht, aber sie tun es doch. « Ich machte ein bedenkliches Gesicht. »Robby«, sagte Pat, »ich habe in der Zeit, wo du nicht da warst, alles getan, was mir vorgeschrieben wurde. Ich war nur ein ä ngstliches Rezept, nichts weiter. Es hat nichts genü tzt. Es ist schlechter mit mir geworden. Unterbrich mich nicht, ich weiß schon, was du sagen willst. Ich weiß auch, worum es geht. Aber die Zeit, die ich noch habe, die Zeit mit dir — laß mich tun, was ich will. « Ihr Gesicht war rot von der Sonne ü berschienen. Es war ernst und still und voll groß er Zä rtlichkeit. Wovon sprechen wir nur? dachte ich mit trockenem Mund, es ist doch unmö glich, daß wir dastehen und ü ber etwas reden, was nie sein kann und nie sein darf. Das ist doch Pat, die diese Worte spricht, gelassen, fast ohne Trauer, als gä be es nichts mehr dagegen, nicht einmal den armseligen Fetzen einer trü gerischen Hoffnung, es ist doch Pat, fast noch ein Kind, das ich beschü tzen muß, Pat, die plö tzlich weit weg von mir ist, vertraut schon und ergeben mit dem Namenlosen auf der anderen Seite. »Du muß t nicht so etwas sagen«, murmelte ich schließ lich. »Ich dachte ja nur, wir kö nnten vielleicht vorher den Arzt fragen. « »Wir fragen niemand mehr, niemand! « Sie schü ttelte den schö nen, schmalen Kopf und sah mich mit ihren geliebten Augen an. »Ich will nichts mehr wissen. Ich will nur noch glü cklich sein. « Abends war Getuschel und Laufen auf den Gä ngen des Sanatoriums. Antonio kam und brachte eine Einladung. Es sollte noch eine Zusammenkunft im Zimmer eines Russen sein. »Kann ich denn da so einfach mitgehen? « fragte ich. »Hier? « fragte Pat zurü ck. »Hier kann man vieles, was sonst nicht geht«, sagte Antonio lä chelnd. Der Russe war ein dunkler, ä lterer Mann. Er bewohnte zwei Zimmer, in denen viele Teppiche lagen. Auf einer Truhe standen Schnapsflaschen. Die Zimmer waren halbdunkel. Es brannten nur Kerzen. Unter den Gä sten war eine sehr schö ne, junge Spanierin. Sie hatte Geburtstag; das sollte gefeiert werden. Es war eine eigentü mliche Stimmung in diesen ü berflackerten Rä umen, die an einen Unterstand erinnerten mit ihrem halben Licht, und mit der sonderbaren Verbrü derung dieser Menschen, die alle ein gemeinsames Schicksal hatten. »Was wollen Sie trinken? « fragte mich der Russe. Er hatte eine sehr warme, tiefe Stimme. »Was Sie haben. « Er holte eine Flasche Kognak und eine Karaffe Wodka. »Sind Sie gesund? « fragte er. »Ja«, antwortete ich verlegen. Er bot mir Zigaretten mit langen Pappmundstü cken an. Wir tranken. »Gewiß kommt Ihnen manches hier sonderbar vor, nicht wahr? « meinte er. »Nicht einmal so sehr«, erwiderte ich. »Ich bin kein normales Leben gewö hnt. « »Ja«, sagte er und sah mit einem dunklen Blick zu der Spanierin hinü ber, »es ist eine Welt fü r sich hier oben. Sie verä ndert die Menschen. « Ich nickte. »Eine sonderbare Krankheit«, fü gte er nachdenklich hinzu. »Sie macht die Menschen lebendiger. Und manchmal besser. Eine mystische Krankheit. Sie schmilzt die Schlacken weg. « Er erhob sich, nickte mir zu und ging zu der Spanierin hinü ber, die ihm entgegenlä chelte. »Ein Schmalzpathetiker, was? « fragte jemand hinter mir. Ein Gesicht ohne Kinn. Eine Beulenstirn. Unruhige, fiebrige Augen. »Ich bin hier Gast«, sagte ich. »Sie nicht? « »Damit fä ngt er die Frauen«, fuhr der andere fort, ohne zuzuhö ren, »damit fä ngt er sie. Die Kleine da auch. « Ich gab keine Antwort. »Wer ist das? « fragte ich Pat, als er weg war. »Ein Musiker. Geiger. Er ist rettungslos verliebt in die Spanierin. So, wie man sich hier oben verliebt. Aber sie will nichts von ihm wissen. Sie liebt den Russen. « »Tä te ich auch an ihrer Stelle. « Pat lachte. »Ich finde, das ist ein Mann zum Verlieben«, sagte ich. »Du nicht auch? « »Nein«, erwiderte sie. »Warst du nie verliebt hier? « »Nicht sehr. « »Es wä re mir auch ganz egal«, sagte ich. »Das sind ja schö ne Bekenntnisse. « Pat richtete sich auf. »Es sollte dir aber ganz und gar nicht egal sein. « »So meine ich das nicht. Ich kann dir nicht einmal erklä ren, wie ich es meine. Ich kann es deshalb nicht, weil ich immer noch nicht weiß, was du eigentlich an mir findest. « »Das laß nur meine Sorge sein«, erwiderte sie. »Weiß t du es denn? « »Nicht genau«, erwiderte sie lä chelnd. »Sonst wä re es ja keine Liebe mehr. « Der Russe hatte die Flaschen stehengelassen. Ich goß mir ein paar Glä ser ein und trank sie leer. Die Stimmung in dem Raum bedrü ckte mich. Ich sah Pat nicht gern unter all diesen Kranken. »Gefä llt es dir hier nicht? « fragte sie. »Nicht sehr. Ich muß mich erst daran gewö hnen. « »Mein armer Liebling... « Sie strich ü ber meine Hand. »Ich bin nicht arm, wenn du da bist«, sagte ich. »Ist Rita nicht sehr schö n? « »Nein«, sagte ich, »du bist viel schö ner. « Die junge Spanierin hatte eine Gitarre auf den Knien. Sie zupfte ein paar Akkorde. Dann begann sie zu singen, und es war, als schwebe ein dunkler Vogel durch den Raum. Sie sang spanische Lieder, mit einer halblauten Stimme — der rauhen, brü chigen Stimme der Kranken. Ich wuß te nicht: Waren es die fremdartigen, melancholischen Melodien, war es die erschü tternde, abendliche Stimme des Mä dchens, waren es die Schatten der in Sesseln und auf dem Boden kauernden Kranken, war es das groß e, geneigte, dunkle Gesicht des Russen: Mit einem Male kam es mir vor, als wä re das alles nur eine schluchzende, stille Beschwö rung des Schicksals, das drauß en hinter den verhä ngten Fenstern stand und wartete, eine Bitte, ein Aufschrei und Angst, Angst vor dem Alleinsein mit dem leise fressenden Nichts. Am nä chsten Morgen war Pat frö hlich und ausgelassen. Sie beschä ftigte sich mit ihren Kleidern. »Zu weit geworden, viel zu weit«, murmelte sie prü fend vor dem Spiegel. Dann wandte sie sich mir zu. »Hast du eigentlich deinen Smoking mit, Liebling? « »Nein«, sagte ich. »Habe nicht gewuß t, daß man hier einen braucht. « »Dann geh zu Antonio. Er wird dir einen leihen. Ihr habt ja die gleiche Figur. « »Der braucht ihn doch selber. « »Er zieht einen Frack an. « Sie steckte eine Falte ab. »Und dann geh Skilaufen. Ich muß jetzt hier arbeiten. Das kann ich aber nicht, wenn du dabei bist. « »Dieser Antonio«, sagte ich, »den plü ndere ich ja geradezu aus. Was wü rden wir bloß machen ohne ihn. « »Er ist ein guter Junge, was? « »Ja«, erwiderte ich, »das ist das richtige Wort fü r ihn. Ein guter Junge. « »Ich weiß nicht, was ich gemacht hä tte, wenn er nicht dagewesen wä re, als ich allein war. « »Daran wollen wir nicht mehr denken«, sagte ich. »Es liegt so weit zurü ck. « »Ja. « Sie kü ß te mich. »Und nun geh Skilaufen. « Antonio wartete schon auf mich. »Habe mir schon gedacht, daß Sie keinen Smoking mithaben«, sagte er. »Probieren Sie mal die Jacke an. « Das Jackett war etwas knapp, aber es paß te ganz gut. Antonio pfiff vergnü gt und hä ngte den Anzug heraus. »Das wird ein groß er Spaß morgen«, erklä rte er. »Glü cklicherweise hat die kleine Sekretä rin Abenddienst im Bü ro. Die alte Rexroth wü rde uns nicht 'rauslassen. Offiziell ist doch das alles verboten. Aber inoffiziell sind wir natü rlich keine Kinder mehr. « Wir gingen Skilaufen. Ich hatte ganz gut gelernt, und wir brauchten nicht mehr auf die Ü bungswiese. Unterwegs begegneten wir einem Mann mit Brillantringen, karierten Hosen und einem wehenden Kü nstlerschlips. »Komische Gestalten gibt es hier«, sagte ich. Antonio lachte. »Das ist ein wichtiger Mann. Ein Leichenbegleiter. « »Was? « fragte ich erstaunt. »Ein Leichenbegleiter«, wiederholte Antonio. »Es sind doch hier Kranke aus aller Welt. Besonders viele aus Sü damerika. Nun, und die meisten Familien wollen doch ihre Angehö rigen zu Hause beerdigen lassen. Dann reist so ein Leichenbegleiter fü r eine anstä ndige Entschä digung mit und bringt die Zinksä rge hin. Auf diese Weise werden diese Leute wohlhabend und kommen viel herum. Den da hat der Tod zum Dandy gemacht, wie Sie sehen. « Wir stiegen noch eine Zeitlang weiter auf, dann schnallten wir die Schier an und liefen. Die weiß en Hä nge schwangen auf und ab, und hinter uns raste klä ffend, ab und zu bis an die Brust einsinkend, Billy, wie ein rotbrauner Ball. Er hatte sich wieder an mich gewö hnt, wenn er auch oft unterwegs kehrtmachte und spornstreichs mit fliegenden Ohren zum Sanatorium zurü ckjagte. Ich ü bte Kristianias, und jedesmal, wenn ich den Abhang hinunterglitt und mich auf den Schwung vorbereitete und den Kö rper lose machte, dachte ich: Wenn dieser gelingt, ohne daß ich falle, wird Pat gesund. Der Wind sauste mir um das Gesicht, der Schnee war schwer und zä he, aber ich stemmte mich immer aufs neue ab, ich suchte immer steilere Abfahrten, immer schwierigeres Gelä nde, und als es wieder und wieder gelang, dachte ich: Gerettet!, und wuß te, daß es tö richt war, und wurde doch froh wie lange nicht. Am Samstagabend war groß er, heimlicher Aufbruch. Antonio hatte etwas abseits und unterhalb vom Sanatorium Schlitten bestellt. Er selbst rodelte mit Lackschuhen und offenem Mantel, unter dem die weiß e Frackbrust herausblitzte, frö hlich jodelnd die Anhö he hinunter. »Er ist verrü ckt«, sagte ich. »Das macht er oft«, erwiderte Pat. »Er ist grenzenlos leichtsinnig. Damit hä lt er hier durch. Sonst wä re er nicht immer guter Laune. « »Dafü r werden wir dich um so mehr einpacken. « Ich wickelte sie in alle Decken und Schals, die wir hatten. Dann stampften die Schlitten bergab. Es war eine lange Kolonne. Alle, die konnten, waren ausgerissen. Man hä tte meinen kö nnen, eine Hochzeitsgesellschaft fü hre zu Tal; so festlich nickten die bunten Federbü schel auf den Kö pfen der Pferde im Mondlicht; und so viel wurde gelacht und von Schlitten zu Schlitten gerufen. Der Kursaal war verschwenderisch dekoriert. Es wurde schon getanzt, als wir ankamen. Fü r die Gä ste des Sanatoriums war eine Ecke reserviert, die vor Zugwind von den Fenstern her geschü tzt war. Es war warm, und es roch nach Blumen, Parfü m und Wein. Eine Menge Leute saß an unserm Tisch — der Russe, Rita, der Geiger, eine alte Frau, ein geschminkter Totenkopf, ein Gigolo, der dazugehö rte, Antonio und noch einige mehr. »Komm, Robby«, sagte Pat, »wir versuchen einmal zu tanzen. « Das Parkett drehte sich langsam um uns. Die Geige und das Cello erhoben sich zu einer sanften Kantilene ü ber das raunende Orchester. Leiser schleiften die Fü ß e der Tanzenden ü ber den Boden. »Aber mein geliebter Liebling, du kannst ja plö tzlich wunderbar tanzen«, sagte Pat ü berrascht. »Na, wunderbar... « »Doch. Wo hast du das gelernt? « »Das hat Gottfried mir noch beigebracht«, sagte ich. »In eurer Werkstatt? « »Ja — und im Café International. Wir brauchten doch auch Damen dazu. Rosa, Marion und Wally haben mir den letzten Schliff gegeben. Ich fü rchte nur, es ist nicht gerade sehr elegant dadurch geworden. « »Doch! « Ihre Augen strahlten. »Zum erstenmal tanzen wir so miteinander, Robby! « Neben uns tanzte der Russe mit der Spanierin. Er lä chelte und nickte uns zu. Die Spanierin war sehr bleich. Das schwarze, glä nzende Haar umfaß te ihre Stirn wie ein Rabenflü gel. Sie tanzte mit unbewegtem, ernstem Gesicht. Auf ihrem Handgelenk lag ein Armband von viereckigen, groß en Smaragden. Sie war achtzehn Jahre alt. Vom Tisch her verfolgte der Geiger sie mit gierigen Augen. Wir gingen wieder zurü ck. »Jetzt mö chte ich eine Zigarette«, sagte Pat. »Das solltest du lieber nicht«, erwiderte ich vorsichtig. »Nur ein paar Zü ge, Robby. Ich habe so lange nicht geraucht. « Sie nahm die Zigarette, legte sie aber bald wieder weg. »Sie schmeckt mir nicht, Robby. Sie schmeckt mir einfach nicht mehr. « Ich lachte. »Das ist immer so, wenn man etwas lange entbehrt hat. « »Hast du mich auch lange entbehrt? « fragte sie. »Es ist nur bei Giften so«, erwiderte ich. »Nur bei Schnaps und Tabak. « »Menschen sind ein viel schlimmeres Gift als Schnaps und Tabak, Liebling. « Ich lachte. »Du bist ein kluges Kind, Pat. « Sie stü tzte die Arme auf den Tisch und sah mich an. »Richtig ernst genommen hast du mich doch eigentlich nie, was? « »Ich habe mich selbst nie richtig ernst genommen«, erwiderte ich. »Mich auch nicht. Sag mal die Wahrheit. « »Das weiß ich nicht. Aber uns beide zusammen habe ich immer furchtbar ernst genommen, das weiß ich. « Sie lä chelte. Antonio forderte sie zum Tanzen auf. Beide gingen zum Parkett. Ich sah sie an, wä hrend sie tanzte. Sie lä chelte mir im Vorbeikommen jedesmal zu. Ihre silbernen Schuhe berü hrten kaum den Boden. Sie hatte die Bewegungen einer Antilope. Der Russe tanzte wieder mit der Spanierin. Beide schwiegen. Sein groß es, dunkles Gesicht war voll verschatteter Zä rtlichkeit. Der Geiger hatte einen Versuch gemacht, mit der Spanierin zu tanzen. Sie hatte nur den Kopf geschü ttelt und war mit dem Russen zum Parkett gegangen. Der Geiger zerkrü melte eine Zigarette in den langen, knochigen Fingern. Er tat mir plö tzlich leid. Ich bot ihm eine Zigarette an. Er lehnte ab. »Ich muß mich schonen«, sagte er mit seiner abgehackten Stimme. Ich nickte. »Der da«, fuhr er kichernd fort und zeigte auf den Russen, »der raucht jeden Tag fü nfzig Stü ck. « »Der eine macht es so, der andere so«, erwiderte ich. »Wenn sie jetzt auch nicht mit mir tanzen will, ich kriege sie doch noch. « »Wen? « — »Rita. « Er rü ckte nä her. »Ich stand gut mit ihr. Wir spielten zusammen. Dann kam der Russe und schnappte sie mir weg mit seinen Tiraden. Aber ich kriege sie wieder. « »Dann mü ssen Sie sich aber anstrengen«, sagte ich. Der Mann gefiel mir nicht. Er brach in ein meckerndes Gelä chter aus. »Anstrengen? Sie ahnungsloser Engel! Nur zu warten brauche ich. « »Dann warten Sie nur. « »Fü nfzig Zigaretten«, flü sterte er, »tä glich. Ich habe sein Rö ntgenbild gestern gesehen. Kaverne neben Kaverne. Fertig. « Er lachte wieder. »Zuerst waren wir gleich. Die Rö ntgenbilder zum Verwechseln. Jetzt mü ß ten Sie den Unterschied sehen! Ich habe zwei Pfund zugenommen. Nein, mein Lieber, ich brauche nur zu warten und mich zu schonen. Ich freue mich schon auf die nä chste Aufnahme. Die Schwester zeigt sie mir jedesmal. Wenn er weg ist, komme ich dran. « »Auch 'ne Methode«, sagte ich. »Auch 'ne Methode«, ä ffte er nach, »die einzige Methode, Sie Grü nhorn! Wenn ich versuchen wollte, ihm in die Quere zu kommen, wü rde ich mir bei ihr die Chancen fü r spä ter verderben. Nein, Sie Neuling — freundlich, ruhig — warten... « Die Luft wurde dick und schwer. Pat hustete. Ich merkte, daß sie mich ä ngstlich dabei ansah, und ich tat, als hä tte ich nichts gehö rt. Die alte Frau mit den vielen Perlen saß still und in sich versunken da. Ab und zu lachte sie gellend auf. Dann war sie sofort wieder ruhig und unbewegt. Der Totenkopf zankte mit dem Gigolo. Der Russe rauchte eine Zigarette nach der andern. Der Geiger gab ihm Feuer. Ein Mä dchen schluckte plö tzlich krampfhaft, hielt das Taschentuch vor den Mund, sah hinein und wurde blaß. Ich blickte den Saal entlang. Da waren die Tische der Sportsleute, da die Tische mit gesunden Bü rgern, da saß en Franzosen, da Englä nder, Hollä nder mit den behä bigen Silben ihrer Sprache, die nach Wiesen und Meer klang — und zwischen ihnen hockte die kleine Kolonie der Krankheit und des Todes, fiebrig, schö n und verloren. Wiesen und Meer — ich sah Pat an — Wiesen und Meer — Schaum und Sand und Schwimmen —, ach, dachte ich, du geliebte schmale Stirn! Ihr geliebten Hä nde! Du geliebtes Leben, das man nur lieben, aber nicht retten kann. Ich stand auf und ging nach drauß en. Mir war heiß vor Bedrä ngnis und Ohnmacht. Ich ging langsam den Weg entlang. Die Kä lte durchrieselte mich, und der Wind hinter den Hä usern ließ meine Haut frö steln. Ich ballte die Fä uste und starrte lange gegen die harten weiß en Berge, in einem wilden Gemisch von Haltlosigkeit, Wut und Schmerz. Ein Schlitten klingelte unten auf der Straß e vorbei. Ich ging zurü ck. Pat kam mir entgegen. »Wo warst du? « »Mal drauß en. « »Bist du schlecht gelaunt? « »Gar nicht. « »Liebling, sei froh! Sei froh heute! Meinetwegen! Wer weiß, wann ich wieder auf einen Ball gehen kann. « »Noch sehr oft. « Sie legte ihren Kopf an meine Schulter. »Wenn du es sagst, ist es sicher wahr. Komm, wir wollen tanzen. Zum erstenmal tanzen wir miteinander. « Wir tanzten, und das warme, weiche Licht war barmherzig; es verdeckte alle Schatten, die die vorgeschrittene Nacht in die Gesichter zeichnete. »Wie fü hlst du dich? « fragte ich. »Gut, Robby. « »Wie schö n du bist, Pat. « Ihre Augen leuchteten. »Schö n, daß du mir das sagst. « Ich fü hlte ihre warmen, trockenen Lippen an meiner Wange. Es war spä t, als wir im Sanatorium ankamen. »Sehen Sie nur, wie er aussieht«, kicherte der Geiger und zeigte verstohlen auf den Russen. »Sie sehen genauso aus«, sagte ich ä rgerlich. Er sah mich verblü fft an. »Na ja, Sie Gesundheitsprotz«, sagte er giftig. Ich gab dem Russen die Hand. Er nickte mir zu und half der jungen Spanierin behutsam und zart die Treppe hinauf. Sein groß er, gebeugter Rü cken und die schmalen Schultern des Mä dchens vor der schwachen Nachtbeleuchtung sahen im Ansteigen aus, als lä ge die Last der ganzen Welt auf ihnen. Der Totenkopf zerrte den maulenden Gigolo den Gang entlang. Antonio sagte uns gute Nacht. Es war alles ein wenig gespenstisch, dieser fast lautlose, geflü sterte Abschied. Pat streifte sich das Kleid ü ber den Kopf. Sie stand gebü ckt und zerrte an den Schultern. Dabei riß der Brokat. Pat betrachtete die Stelle. »Es war wohl schon brü chig«, sagte ich. »Es macht nichts«, sagte Pat, »ich brauche es nun doch nicht mehr. « Sie legte das Kleid zusammen und hä ngte es nicht mehr in den Schrank. Sie legte es in ihren Koffer. Ihr Gesicht war plö tzlich mü de. »Sieh nur, was ich hier habe«, sagte ich rasch und zog eine Flasche Champagner aus der Manteltasche. »Jetzt kommt unser eigenes kleines Fest. « Ich holte die Glä ser und schenkte ein. Sie lä chelte wieder und trank. »Auf uns beide, Pat. « »Ja, mein Liebling, auf unser schö nes Leben. « Wie sonderbar das alles war: dieses Zimmer, die Stille und unsere Traurigkeit. Lag hinter der Tü r nicht das Leben, unendlich, mit Wä ldern, Flü ssen und starkem Atem, blü hend und unruhig, klopfte jenseits der weiß en Berge der Mä rz nicht schon unruhig an die erwachende Erde? »Bleibst du die Nacht bei mir, Robby? « »Ja, laß uns zu Bett gehen. Wir wollen so nahe zusammen sein, wie es Menschen kö nnen, und unser Glas auf die Bettdecke stellen und trinken. « Trinken. Goldbraune Haut. Warten. Wach sein. Stille und das leise Rö cheln der geliebten Brust. XXVIII
Das Wetter wurde fö hnig. Eine klatschende nasse Wä rme jagte durch das Tal. Der Schnee wurde weich. Es tropfte von den Dä chern. Die Fieberkurven stiegen. Pat muß te zu Bett bleiben. Der Arzt kam alle paar Stunden. Sein Gesicht wurde immer besorgter. Eines Mittags saß ich beim Essen, als Antonio kam und sich zu mir setzte. »Rita ist tot«, sagte er. »Rita? Sie meinen den Russen? « »Nein, Rita, die Spanierin. « »Das ist unmö glich«, sagte ich und spü rte, wie mir das Blut gefror. Rita war viel weniger krank gewesen als Pat. »Hier ist viel mehr mö glich«, erwiderte Antonio melancholisch. »Heute vormittag war sie tot. Es ist Lungenentzü ndung dazugekommen. « »Lungenentzü ndung. Das ist was anderes«, sagte ich erleichtert. »Achtzehn Jahre. Schrecklich. Und so schwer gestorben. « »Und der Russe? « »Ach, fragen Sie nicht. Er will nicht glauben, daß sie tot ist. Er behauptet, sie sei scheintot. Er sitzt an ihrem Bett, und niemand kann ihn aus dem Zimmer bringen. « Antonio ging. Ich starrte aus dem Fenster. Rita war tot; aber ich saß nur da und dachte: Es ist nicht Pat. Es ist nicht Pat. Durch den verglasten Korridor sah ich den Geiger. Ehe ich aufstehen konnte, kam er schon heran. Er sah schrecklich aus. »Sie rauchen? « sagte ich, um etwas zu sagen. Er lachte auf. »Natü rlich! Warum denn nicht? Jetzt? Ist doch egal, nun. « Ich zuckte die Achseln. »Macht Ihnen wohl Spaß, Sie Tugendfatzke? « fragte er hö hnisch. »Sie sind verrü ckt«, sagte ich. »Verrü ckt? Nein, aber 'reingefallen! « Er legte sich breit ü ber den Tisch und blies mir Kognakatem ins Gesicht, »'reingefallen bin ich. 'reingelegt haben sie mich. Die Schweine. Alles Schweine. Sie auch, Sie Tugendschwein. « »Wenn Sie nicht krank wä ren, wü rde ich Sie durchs Fenster werfen«, sagte ich. »Krank? Krank? « ä ffte er. »'Gesund bin ich, fast gesund, ich komme ja grade daher! Wunderbarer Fall von rapider Verkapselung! Ein Witz, was? « »Seien Sie froh«, sagte ich. »Wenn Sie hier fort sind, werden Sie auch Ihre Kü mmernisse vergessen. « »So«, erwiderte er, »so, meinen Sie? Sie praktisches Gehirnchen, Sie! Gott erhalte Ihnen Ihre pausbä ckige Seele! « Er schwankte weg, kehrte aber wieder um. »Kommen Sie mit! Bleiben Sie bei mir, lassen Sie uns trinken. Ich zahle alles. Ich kann nicht allein sein. « »Habe keine Zeit«, sagte ich. »Suchen Sie sich jemand andern. « Ich ging wieder zu Pat hinauf. Sie lag schwer atmend, mit vielen Kissen im Rü cken. »Willst du nicht Schilaufen? « fragte sie. Ich schü ttelte den Kopf. »Der Schnee ist zu schlecht. Es taut ü berall. « »Willst du dann nicht mit Antonio Schach spielen? « »Nein«, sagte ich. »Ich will hier bei dir bleiben. « »Armer Robby! « Sie versuchte, eine Bewegung zu machen. »Hol dir doch wenigstens was zu trinken. « »Das kann ich tun. « Ich ging in mein Zimmer und holte eine Flasche Kognak und ein Glas. »Willst du ein biß chen? « fragte ich. »Du darfst, das weiß t du doch. « Sie nahm einen kleinen Schluck und nach einer Weile noch einen. Dann gab sie mir das Glas zurü ck. Ich schenkte es voll und trank es aus. »Du solltest nicht aus demselben Glas trinken wie ich«, sagte Pat.
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