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Drei Kameraden 24 страница



»Weshalb wurden Ihre Eltern erschossen? « fragte ich.

»Mein Vater war vor dem Kriege Kommandeur eines Kosakenregiments, das einen Aufstand unterdrü cken half. Er wuß te, daß es so kommen wü rde. Er fand es, wie man so sagt, ganz in Ordnung. Meine Mutter nicht. «

»Und Sie? «

Er machte eine mü de, wegwischende Bewegung. »Es ist so viel geschehen seitdem. «

»Ja«, sagte ich, »das ist es. Mehr als man verarbeiten kann. «

Wir waren vor dem Hotel angekommen, in dem er arbeitete. Eine Dame stieg gerade aus einem Buick und stü rzte mit freudigem Geschrei auf ihn zu. Sie war ziemlich dick und elegant und hatte das verwaschene Gesicht einer vierzigjä hrigen Blondine, die nie Sorgen und Gedanken gekannt hat. »Entschuldigen Sie«, sagte Orlow mit einem kaum merkbaren Blick, »das Geschä ft... «

Er verbeugte sich vor der Blondine und kü ß te ihr die Hand.

In der Bar waren Valentin, Kö ster und Ferdinand Grau, Lenz kam etwas spä ter. Ich setzte mich zu ihnen und bestellte mir eine halbe Flasche Rum. Ich fü hlte mich immer noch verdammt schlecht.

Ferdinand hockte in einer Ecke, breit und massig, mit verfallenem Gesicht und ganz klaren blauen Augen. Er hatte schon allerlei getrunken. »Na, kleiner Robby«, sagte er und schlug mir auf die Schulter, »was ist mit dir los? «

»Nichts, Ferdinand«, erwiderte ich, »das ist ja gerade das Schlimme. «

Er betrachtete mich eine Weile. »Nichts? « sagte er dann, »nichts? Das ist viel! Das Nichts ist der Spiegel, in dem man die Welt erkennt. «

»Bravo! « rief Lenz. »Unerhö rt originell, Ferdinand! «

»Sei du ruhig, Gottfried. « Ferdinand wandte ihm seinen mä chtigen Schä del zu. »Ein Romantiker wie du ist nur ein pathetischer Hopser am Rande des Lebens. Er versteht es immer falsch und macht sich daraus seine Sensationen. Was weiß t du vom Nichts, du Leichtgewicht? «

»Genug, um ein Leichtgewicht bleiben zu wollen«, erklä rte Lenz.

»Anstä ndige Menschen haben Respekt vor dem Nichts, Ferdinand. Sie wü hlen nicht darin herum wie ein Maulwurf. «

Grau starrte ihn an. »Prost«, sagte Gottfried.

»Prost«, sagte Ferdinand. »Prost, du Kork! «

Sie tranken ihre Glä ser leer. »Ich mö chte ganz gern ein Kork sein«, sagte ich und trank mein Glas ebenfalls aus. »So einer, der alles richtig macht und dem alles gelingt. Wenigstens eine Zeitlang mal. «

»Apostata! « Ferdinand warf sich in seinen Sessel zurü ck, daß er krachte. »Willst du zum Deserteur werden? Die Brü derschaft verraten? «

»Nein«, sagte ich, »ich will nichts verraten. Aber ich wollte, es ginge uns nicht immer alles in die Brü che. «

Ferdinand beugte sich vor. Sein groß es, wildes Gesicht zuckte. »Dafü r gehö rst du einem Orden an, Bruder — dem Orden der Erfolglosen, Untü chtigen, mit ihren Wü nschen ohne Ziel, ihrer Sehnsucht, die nichts einbringt, ihrer Liebe ohne Zukunft, ihrer Verzweiflung ohne Vernunft. « Er lä chelte. »Der geheimen Brü derschaft, die lieber verkommt, als daß sie Karriere macht, die das Leben lieber verspielt, zerbrö ckelt, verliert, als daß sie das unerreichbare Bild betriebsam verfä lscht oder vergiß t — das Bild, Bruder, das sie im Herzen trä gt, unverlö schlich eingegraben in den Stunden und Tagen und Nä chten, wo es nichts gab als das eine: das nackte Leben und das nackte Sterben. «

Er hob sein Glas und winkte Fred an der Bar. »Gib mir zu trinken. «

Fred brachte die Flasche. »Soll ich noch etwas Grammophon spielen? « fragte er.

»Nein«, sagte Lenz. »Wirf dein Grammophon 'raus und bring grö ß ere Glä ser. Und dann mach die Hä lfte von dem Licht aus, stell ein paar Flaschen her und verschwinde in deinem Bü ro nebenan. «

Fred nickte und knipste die Deckenbeleuchtung aus. Nur noch die kleinen Lampen mit den Pergamentschirmen aus alten Landkarten brannten. Lenz fü llte die Glä ser. »Prost, Kinder! Weil wir leben! Weil wir atmen! Weil wir das Leben so stark empfinden, daß wir nichts mehr damit anzufangen wissen! «

»So ist es«, sagte Ferdinand. »Nur der Unglü ckliche kennt das Glü ck. Der Glü ckliche ist ein Mannequin des Lebensgefü hls. Er fü hrt es nur vor; er besitzt es nicht. Licht leuchtet nicht im Licht; es leuchtet im Dunkel. Prost auf das Dunkel! Wer einmal im Gewitter gewesen ist, kann mit einer Elektrisiermaschine nichts mehr anfangen. Verflucht sei das Gewitter! Gesegnet sei unser biß chen Leben! Und weil wir es lieben, wollen wir es nicht auf Zinsen legen! Wir wollen es kaputtmachen! Trinkt, Kinder! Es gibt Sterne, die jede Nacht noch leuchten, obwohl sie schon vor zehntausend Lichtjahren zerplatzt sind! Trinkt, solange es noch Zeit ist! Es lebe das Unglü ck! Es lebe das Dunkel! «

Er schenkte sich ein Wasserglas voll Kognak ein und trank es aus.

Der Rum klopfte hinter meiner Stirn. Ich stand leise auf und ging zu Fred ins Bü ro. Er schlief. Ich weckte ihn und ließ eine Verbindung mit dem Sanatorium anmelden.

»Sie kö nnen drauf warten«, sagte er. »Um diese Zeit geht das rasch. «

Fü nf Minuten spä ter klingelte das Telefon, und das Sanatorium meldete sich. »Ich mö chte mit Frä ulein Hollmann sprechen«, sagte ich.

»Einen Augenblick, ich verbinde mit der Station. «

Die Oberschwester meldete sich. »Frä ulein Hollmann schlä ft schon. «

»Hat sie kein Telefon im Zimmer? «

»Nein. «

»Kö nnen Sie sie nicht wecken? «

Die Stimme zö gerte. »Nein. Sie soll heute auch nicht aufstehen. «

»Ist etwas passiert? «

»Nein. Sie muß nur die nä chsten Tage im Bett bleiben. «

»Ist bestimmt nichts passiert? «

»Nein, nein, das ist immer so im Anfang. Sie muß im Bett bleiben und sich erst gewö hnen. «

Ich hä ngte ab. »Schon zu spä t, was? « fragte Fred.

»Wie meinst du das? «

Er zeigte mir seine Uhr. »Es geht schon auf zwö lf. «

»Ja«, sagte ich. »Hä tte gar nicht anrufen sollen. «

Ich ging zurü ck und trank weiter.

Um zwei Uhr brachen wir auf. Lenz brachte Valentin und Ferdinand mit dem Taxi nach Hause. »Komm«, sagte Kö ster zu mir und ließ Karls Motor an.

»Ich kann die paar Schritte schon zu Fuß gehen, Otto. «

Er sah mich an. »Wir fahren noch etwas 'raus. «

»Gut. « Ich stieg ein.

»Fahr du«, sagte Kö ster.

»Unsinn, Otto. Ich kann nicht fahren, ich bin betrunken. «

»Fahr schon! Auf meine Verantwortung. «

»Du wirst es sehen«, sagte ich und setzte mich ans Steuer.

Der Motor rö hrte. Das Steuerrad zitterte in meiner Hand. Die Straß en schaukelten an mir vorü ber, die Hä user schwankten, und die Laternen standen schrä g im Regen. »Es geht nicht, Otto«, sagte ich. »Ich haue irgendwo gegen. «

»Hau dagegen«, erwiderte er.

Ich sah ihn an. Sein Gesicht war klar, gespannt und beherrscht. Er blickte auf die Straß e vor uns. Ich drü ckte den Rü cken gegen die Sitzlehne und faß te das Steuerrad fester. Ich biß die Zä hne aufeinander und kniff die Augen zusammen. Langsam wurde die Straß e deutlicher.

»Wohin, Otto? « fragte ich.

»Weiter 'raus. «

Wir erreichten die Ausfallstraß e, die aus der Stadt fü hrte, und kamen auf die Chaussee. »Groß e Scheinwerfer«, sagte Kö ster.

Die Betonstraß e leuchtete hellgrau vor uns auf. Es regnete nur noch wenig, aber die Tropfen schlugen mir wie Hagelkö rner ins Gesicht. Der Wind kam in schweren Stö ß en, die Wolken hingen niedrig, dicht ü ber dem Walde waren sie zerrissen und Silber tropfte hindurch. Der Nebel hinter meinen Augen verflog. Das Brausen des Motors schlug durch meine Arme in meinen Kö rper. Ich spü rte die Maschine und ihre Kraft. Die Explosionen der Zylinder erschü tterten die dumpfe Starrheit meines Schä dels. Die Kolben hä mmerten wie Pumpen durch mein Blut. Ich griff zu. Der Wagen schoß die Landstraß e entlang.

»Schneller«, sagte Kö ster.

Die Reifen begannen zu pfeifen. Bä ume und Telegrafenstangen flogen surrend vorü ber. Ein Dorf polterte vorbei. Ich war jetzt ganz klar.

»Mehr Gas«, sagte Kö ster.

»Kann ich ihn dann noch halten? Die Straß e ist naß. «

»Wirst es schon merken. Vor den Kurven umschalten auf den dritten Gang und mit Gas herum. «

Der Motor brü llte auf. Die Luft knallte gegen mein Gesicht. Ich duckte mich hinter die Windschutzscheibe. Und plö tzlich rutschte ich in das Donnern der Maschine hinein, Wagen und Kö rper wurden eins, eine einzige Spannung, ein hohes Vibrieren, ich fü hlte die Rä der unter meinen Fü ß en, ich fü hlte den Boden, die Straß e, die Geschwindigkeit, mit einem Ruck schob sich etwas zurecht, die Nacht heulte und sauste, sie schlug alles andere aus mir heraus, die Lippen preß ten sich aufeinander, die Hä nde wurden Klammern, ich war nur noch Fahren und Rasen, besinnungslos gleichzeitig und mit hö chster Aufmerksamkeit.

In einer Kurve schleuderte der Wagen hinten weg. Ich steuerte gegen, einmal, zweimal und gab Gas. Einen Augenblick war alles lose wie ein Luftballon, dann fing sich der Wagen wieder.

»Gut«, sagte Kö ster.

»Es war nasses Laub«, erwiderte ich und spü rte die Wä rme und Gelö stheit, die nach jeder Gefahr ü ber die Haut strö mt.

Kö ster nickte. »Das ist das Verfluchte bei Waldkurven im Herbst. Willst du eine Zigarette? «

»Ja«, sagte ich.

Wir hielten an und rauchten. »Kö nnen jetzt umkehren«, sagte Kö ster dann.

Ich fuhr in die Stadt zurü ck und stieg aus. »War gut, daß wir gefahren sind, Otto. Bin jetzt drü ber weg. «

»Ich zeige dir nä chstens mal eine andere Kurventechnik«, sagte er. »'rumwerfen mit der Bremse. Kann man aber nur machen, wenn die Straß en trockener sind. «

»Schö n, Otto. Schlaf gut. «

»Schlaf gut, Robby. «

Karl fegte los. Ich ging ins Haus. Ich war sehr erschö pft, aber ganz ruhig und nicht mehr traurig.

XXIII

 

Anfang November verkauften wir den Citroen. Das Geld reichte, um die Werkstatt eine Weile weiterzufü hren, aber unsere Lage wurde von Woche zu Woche schlechter. Die Leute stellten im Winter ihre Wagen ein, um Benzin und Steuern zu sparen, und Reparaturen kamen immer weniger vor. Wir halfen uns zwar mit dem Taxi durch, aber der Verdienst war fü r drei zu knapp, und ich war deshalb ganz froh, als der Wirt vom International mir vorschlug, vom Dezember ab wieder jeden Abend bei ihm Klavier zu spielen. Er hatte in der letzten Zeit Glü ck gehabt; der Viehhä ndlerverband hatte seine wö chentlichen Vereinsabende in ein Hinterzimmer des International verlegt, dann war der Pferdehä ndlerverband nachgefolgt und zum Schluß noch die Gesellschaft fü r Feuerbestattung auf gemeinnü tziger Grundlage. Auf diese Weise konnte ich Lenz und Kö ster das Taxi lassen, und mir war es auch sonst ganz recht — wuß te ohnehin oft nicht, wie ich die Abende herumbringen sollte.

Pat schrieb mir regelmä ß ig. Ich wartete auf ihre Briefe, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie lebte, und manchmal, in den dunklen, schmutzigen Dezemberwochen, wo es nicht einmal mittags richtig hell wurde, glaubte ich, sie sei mir lä ngst entglitten, und alles sei vorbei. Es schien mir endlos, seit sie fort war, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie wiederkommen wü rde. Dann kamen Abende voll schwerer, wilder Sehnsucht, wo nichts mehr half, als mit den Huren und den Viehhä ndlern bis morgens zu sitzen und zu trinken.

Der Wirt hatte die Erlaubnis bekommen, das International am Weihnachtsabend offenzuhalten. Es sollte eine groß e Feier fü r die Junggesellen aller Vereine stattfinden. Der Vorsitzende des Viehhä ndlerverbandes, der Schweinehä ndler Stefan Grigoleit, stiftete dazu zwei Spanferkel und eine Anzahl Eisbeine. Er war seit zwei Jahren Witwer und eine weiche Natur; da wollte er Weihnachten in Gesellschaft verbringen.

Der Wirt erstand eine vier Meter hohe Edeltanne, die neben der Theke aufgebaut wurde. Rosa, die Autoritä t in allem, was traulich und gemü tlich hieß, ü bernahm es, den Baum zu schmü cken. Marion und der schwule Kiki, der infolge seiner Veranlagung auch viel Sinn fü r Schö nheit hatte, halfen ihr. Die drei begannen mittags mit ihrer Arbeit. Sie verbrauchten eine Unmenge bunter Kugeln, Kerzen und Lametta, aber der Baum sah zum Schluß dafü r auch groß artig aus. Als besondere Aufmerksamkeit fü r Grigoleit wurde eine Anzahl rosa Marzipanschweinchen hineingehä ngt.

Ich hatte mich nachmittags zu Bett gelegt, um ein paar Stunden zu schlafen. Als ich aufwachte, war es dunkel. Ich muß te mich einen Augenblick besinnen, ob es Abend oder Morgen war. Ich hatte geträ umt, aber ich wuß te nicht mehr wovon. Ich war weit weg gewesen, und ich glaubte noch zu hö ren, daß eine schwarze Tü r hinter mir zuschlug. Dann merkte ich, daß jemand klopfte.

»Wer ist da? « rief ich.

»Ich, Herr Lohkamp. «

Ich erkannte die Stimme Frau Zalewskis. »Kommen Sie herein«, rief ich. »Die Tü r ist offen. «

Die Klinke knirschte, und ich sah Frau Zalewski vor dem gelben Licht des Korridors im Tü rrahmen stehen. »Frau Hasse ist da«, flü sterte sie. »Kommen Sie rasch. Ich kann es ihr nicht sagen. «

Ich rü hrte mich nicht. Ich muß te mich erst zurechtfinden.

»Schicken Sie sie zur Polizei«, erwiderte ich dann.

»Herr Lohkamp! « Frau Zalewski hob die Hä nde. »Es ist niemand sonst da. Sie mü ssen mir helfen. Sie sind doch ein Christenmensch! «

Sie stand wie ein tanzender schwarzer Schatten im Viereck der Tü rö ffnung. »Hö ren Sie auf«, sagte ich ä rgerlich. »Ich komme schon. «

Ich zog mich an und ging hinaus. Frau Zalewski wartete drauß en auf mich. »Weiß sie schon was? « fragte ich.

Sie schü ttelte den Kopf und preß te ihr Taschentuch an die Lippen.

»Wo ist sie denn? «

»In ihrem frü heren Zimmer. «

Vor der Kü che stand Frida, schwitzend vor Aufregung. »Sie hat einen Hut auf, ganz mit Reihern, und eine Diamantbrosche an«, flü sterte sie.

»Passen Sie auf, daß dieser verkorkste Kü chentrampel nicht lauscht«, sagte ich zu Frau Zalewski und ging hinein.

Frau Hasse stand am Fenster. Sie schnellte herum, als ich hereinkam. Sie hatte sichtlich jemand anderes erwartet. Es war idiotisch, aber mein erster Blick galt dem Hut und der Brosche, obschon ich es nicht wollte. Frida hatte recht; der Hut war pompö s. Die Brosche weniger. Die ganze Person war ziemlich aufgedonnert, so wie jemand, der einem andern zeigen will, wie gut es ihm geht. Im ganzen sah sie nicht schlecht aus; besser jedenfalls als das ganze Jahr, wä hrend sie hier gewesen war.

»Hasse arbeitet wohl noch am Heiligen Abend, wie? « fragte sie spitz.

»Nein«, sagte ich. »Wo ist er denn? Auf Urlaub? «

Sie kam auf mich zu, schaukelnd in den Hü ften. Ich roch ihr zu starkes Parfü m. »Was wollen Sie denn noch von ihm? « fragte ich.

»Meine Sachen erledigen. Abrechnen. Schließ lich gehö rt mir doch ein Teil davon. «

»Das brauchen Sie nicht mehr«, sagte ich. »Es gehö rt Ihnen jetzt alles. « Sie starrte mich an.

»Er ist tot«, sagte ich.

Ich hä tte es ihr gern anders gesagt. Mit mehr Vorbereitung und langsamer. Aber ich wuß te nicht, wie ich es anfangen sollte. Auß erdem war mein Kopf noch wü st vom Nachmittagsschlaf; diesem Schlaf, bei dem man dem Selbstmord nahe ist, wenn man aufwacht.

Frau Hasse stand mitten im Zimmer, und merkwü rdigerweise sah ich im Moment, wo ich es ihr sagte, ganz deutlich, daß sie nirgendwo gegenschlagen wü rde, wenn sie jetzt umfiele. Es war sonderbar, aber ich sah wirklich nichts anderes und dachte auch nichts anderes.

Doch sie fiel nicht um. Sie blieb stehen und blickte mich an. »So«, sagte sie, »so... « Nur die Federn ihres Reiherhutes zitterten. Und plö tzlich, ohne daß ich merken konnte, was vor sich ging, sah ich, wie die aufgeputzte, parfü mierte Frau vor mir alt wurde. Es war, als schlü ge die Zeit wie ein Gewitterregen auf sie ein, jede Sekunde wie ein Jahr — die Spannung zerbrach, der Triumph erlosch, das Gesicht wurde morsch. Falten krochen wie Wü rmer hinein, und als sie dann mit einer tastenden, unsicheren Bewegung nach einer Stuhllehne griff und sich hinsetzte, als fü rchte sie, etwas zu zerbrechen, da war es, als wä re das nicht derselbe Mensch — so mü de, verfallen und alt sah sie aus.

»Was hat er gehabt? « fragte sie, ohne die Lippen zu bewegen.

»Es ist plö tzlich gekommen«, sagte ich.

Sie hö rte nicht zu. Sie blickte auf ihre Hä nde. »Was mache ich jetzt? « murmelte sie. »Was mache ich nur jetzt? «

Ich wartete eine Zeitlang. Ich fü hlte mich scheuß lich. »Sie haben doch sicher jemand, zu dem Sie gehen kö nnen«, sagte ich schließ lich. »Es ist am besten, Sie bleiben nicht hier. Sie wollten doch auch nicht hierbleiben... «

»Das ist doch alles anders nun«, erwiderte sie, ohne aufzusehen. »Was soll ich jetzt nur machen? «

»Sie haben doch sicher jemand, der auf Sie wartet. Gehen Sie zu ihm und besprechen Sie alles mit ihm. Und dann gehen Sie nach Weihnachten zum Polizeirevier. Da sind die Sachen hinterlegt, auch die Bankausweise. Sie mü ssen sich dort melden, damit Sie das Geld ausgezahlt bekommen. «

»Geld, Geld«, murmelte sie stumpf. »Was fü r Geld? «

»Ziemlich viel. Zwö lfhundert Mark ungefä hr. «

Sie hob den Kopf. Ihre Augen hatten plö tzlich einen irrsinnigen Ausdruck. »Nein! « kreischte sie, »das ist nicht wahr! «

Ich gab keine Antwort. »Sagen Sie, daß es nicht wahr ist«, flü sterte sie.

»Vielleicht ist es nicht wahr. Aber vielleicht hat er es auch heimlich als Notgroschen zurü ckgelegt. «

Sie stand auf. Sie war auf einmal vö llig verä ndert. Ihre Bewegungen hatten etwas ruckartig Mechanisches. Sie nä herte ihr Gesicht ganz dicht dem meinen. »Ja, es ist wahr«, zischte sie, »ich fü hle, es ist wahr! Dieser Schuft! Oh, dieser Schuft! Lä ß t mich das alles durchmachen, und dann ist es so! Aber ich werde es nehmen und werde es 'rausschmeiß en, alles an einem Abend, auf die Straß e werde ich es schmeiß en, damit nichts mehr davon bleibt! Nichts! Nichts! «

Ich schwieg. Ich hatte genug. Sie war ü ber den Anfang hinweg, sie wuß te, daß Hasse tot war, mit dem andern muß te sie nun selbst fertig werden. Wahrscheinlich wü rde sie noch einmal umkippen, wenn sie hö rte, daß er sich erhä ngt hatte, aber das war ihre eigene Sache. Man konnte Hasse ihretwegen nicht wieder lebendig machen.

Sie weinte jetzt. Sie quoll nur so ü ber von Trä nen. Sie weinte hoch und klä glich, wie ein Kind. Es dauerte eine Zeitlang. Ich hä tte viel gegeben, wenn ich eine Zigarette hä tte rauchen kö nnen. Ich konnte nicht sehen, wenn jemand weinte.

Endlich hö rte sie auf. Sie trocknete ihr Gesicht, holte mechanisch ihre Puderdose hervor und puderte sich, ohne in den Spiegel zu schauen. Dann steckte sie die silberne Dose wieder weg, aber sie vergaß ihre Handtasche zu schließ en. »Ich weiß nichts mehr«, sagte sie mit gebrochener Stimme, »ich weiß nichts mehr. Er war wohl ein guter Mann. «

»Das war er. «

Ich sagte ihr noch die Adresse des Polizeireviers und daß es heute schon geschlossen sei. Es schien mir besser, wenn sie nicht gleich hinging. Es war genug fü r heute.

Als sie fort war, kam Frau Zalewski aus ihrem Salon. »Ist denn auß er mir kein Mensch hier? « fragte ich, wü tend ü ber mich selbst.

»Nur Herr Georgie. Was hat sie denn gesagt? « — »Nichts. «

»Um so besser. «

»Je nachdem. Manchmal ist es auch nicht besser. «

»Ich habe kein Mitleid mit ihr«, erklä rte Frau Zalewski energisch. »Nicht das geringste. «

»Mitleid ist der nutzloseste Artikel, den es auf der Welt gibt«, sagte ich ä rgerlich. »Es ist die Kehrseite der Schadenfreude, das sollten Sie wissen. Wie spä t ist es denn jetzt? «

»Dreiviertel sieben. «

»Ich mö chte um sieben mit Frä ulein Hollmann telefonieren. Aber so, daß keiner zuhö rt. Geht das? «

»Es ist ja niemand da, auß er Herr Georgie. Frida habe ich schon fortgeschickt. Wenn Sie wollen, kö nnen Sie sich auch in die Kü che setzen. Das Kabel reicht gerade so weit. «

»Gut. «

Ich klopfte bei Georgie. Es war lange her, daß ich bei ihm gewesen war. Er hockte an seinem Schreibtisch und sah verdammt schlecht aus. Rund um ihn herum lag ein Haufen zerrissenes Papier. »Tag, Georgie«, sagte ich, »was machst du denn da? «

»Inventur«, erwiderte er mit einem matten Lä cheln. »Gute Weihnachtsbeschä ftigung. «

Ich bü ckte mich nach einem der Papierfetzen. Es waren Kolleghefte mit chemischen Formeln. »Wozu? « fragte ich.

»Hat keinen Zweck mehr, Robby. «

Er sah ziemlich durchsichtig aus. Die Ohren waren wie aus Wachs. »Was hast du heute gegessen? « fragte ich.

Er wehrte ab. »Das ist ja egal. Das ist es auch nicht. Das Essen nicht. Aber ich kann einfach nicht mehr weiter. Ich muß es aufgeben. «

»Ist das so schlimm? «

»Ja«, sagte er.

»Georgie«, erwiderte ich ruhig, »sieh mich mal an. Glaubst du nicht, daß ich auch mal was anderes werden wollte als Klavierspieler in der Hurenbude, dem Café International? «

Er knetete an seinen Hä nden herum. »Ich weiß es, Robby. Aber es hilft mir nichts. Fü r mich war es alles. Und jetzt habe ich eingesehen, daß es keinen Zweck hat. Daß nichts einen Zweck hat. Wozu lebt man da eigentlich? «

Ich muß te lachen, so jä mmerlich er auch dasaß, und so bitterernst es ihm war. »Du kleiner Esel«, sagte ich, »da hast du aber was entdeckt! Glaubst du, du bist allein mit deiner grandiosen Weisheit? Natü rlich hat's keinen Zweck. Man lebt auch nicht fü r einen Zweck. So einfach ist das nun doch nicht. Komm, zieh dich an. Du gehst mit mir ins International. Wir wollen feiern, daß du ein Mann geworden bist. Bislang warst du ein Schuljunge. Ich hole dich in einer halben Stunde ab. «

»Nein«, sagte er.

Er war verdammt herunter. »Doch«, sagte ich. »Du wirst mir den Gefallen tun. Ich mö chte heute nicht allein sein. «

Er blickte mich zweifelnd an. »Meinetwegen«, erwiderte er dann mutlos. »Ist ja schließ lich egal. «

»Na siehst du«, sagte ich. »Fü r den Anfang ist das schon ein ganz hü bscher Wahlspruch. «

Um sieben Uhr meldete ich das Gesprä ch mit Pat an. Von dieser Zeit an kostete es die halbe Taxe, und ich konnte doppelt so lange telefonieren. Ich setzte mich auf den Tisch im Vorzimmer und wartete. In die Kü che wollte ich nicht gehen. Es roch da nach grü nen Bohnen, und damit wollte ich Pat nicht einmal beim Telefonieren zusammenbringen. Eine Viertelstunde spä ter kam das Gesprä ch. Pat war gleich am Apparat. Als ich ihre warme, dunkle, etwas zö gernde Stimme so dicht neben mir hö rte, wurde ich so aufgeregt, daß ich kaum sprechen konnte. Es war wie ein Zittern, wie ein Beben des Blutes, gegen das man mit allem Willen nichts machen konnte.

»Mein Gott, Pat«, sagte ich, »bist du wirklich da? «

Sie lachte. »Wo bist du denn, Robby? Im Bü ro? «

»Nein, ich sitze bei Frau Zalewski auf dem Tisch. Wie geht es dir? «

»Gut, Liebling. «

»Bist du auf? «

»Ja. Ich sitze auf der Fensterbank in meinem Zimmer und habe meinen weiß en Bademantel an. Drauß en schneit es. «

Ich sah sie plö tzlich deutlich vor mir. Ich sah die Schneeflocken wirbeln, ich sah den schmalen, dunklen Kopf, die geraden, etwas vorgebeugten Schultern, die bronzefarbene Haut.

»Herrgott, Pat«, sagte ich, »das verfluchte Geld! Ich wü rde mich sonst auf der Stelle in ein Flugzeug setzen und heute abend noch ankommen. «

»Ach, Liebling... «

Sie schwieg. Ich horchte in das leise Kratzen und Summen der Leitung. »Bist du noch da, Pat? «

»Ja, Robby. Aber du muß t so etwas nicht sagen. Mir ist ganz schwindlig geworden. «

»Mir ist auch verdammt schwindlig«, sagte ich. »Erzä hl mir, was du da oben alles machst. «

Sie begann zu sprechen, aber ich hö rte bald nicht mehr auf das, was sie sagte. Ich hö rte nur ihre Stimme, und wä hrend ich so auf dem dunklen Vorplatz hockte, zwischen dem Wildschweinschä del und der Kü che mit den grü nen Bohnen, schien es mir, als ginge die Tü r auf und eine Welle von Wä rme und Glanz kä me herein, schmeichelnd und bunt, voll von Trä umen, Sehnsucht und Jugend. Ich stemmte die Fü ß e gegen den Tisch, ich stü tzte den Kopf in die Hand, ich sah den Wildschweinschä del an und die abgestoß ene Kü chentü r, aber ich konnte mir nicht helfen — Sommer war auf einmal da, Wind, Abend ü ber Ä hrenfeldern und das grü ne Licht der Waldwege. Die Stimme schwieg. Ich atmete tief. »Es ist schö n mit dir zu sprechen, Pat. Und heute abend, was tust du da? «

»Heute abend ist ein kleines Fest. Um acht beginnt es. Ich ziehe mich gerade dazu an. «

»Was ziehst du denn dazu an? Das silberne Kleid? «

»Ja, Robby. Das silberne Kleid, in dem du mich durch den Korridor getragen hast. «

»Und mit wem gehst du? «

»Mit niemand. Es ist doch hier im Sanatorium. Unten in der Halle. Da kennen sich alle. «

»Es muß schwer sein fü r dich, mich nicht zu betrü gen«, sagte ich. »In dem silbernen Kleid. «

Sie lachte. »In dem schon gar nicht. Da habe ich Erinnerungen. «

»Ich auch. Ich habe gesehen, wie es wirkt. Aber ich will es auch gar nicht so genau wissen. Du kannst mich betrü gen, ich will es nur nicht wissen. Nachher, wenn du zurü ckkommst, ist es dann nur wie geträ umt fü r dich und vergessen und vorbei. «

»Ach, Robby«, sagte sie langsam, und ihre Stimme klang tiefer als vorher. »Ich kann dich nicht betrü gen. Dafü r denke ich viel zuviel an dich. Du weiß t nicht, wie das hier oben ist. Ein strahlendes, schö nes Gefä ngnis. Man lenkt sich ab, so gut es geht, das ist alles. Wenn ich an dein Zimmer denke, dann weiß ich manchmal nicht, was ich tun soll, dann gehe ich an den Bahnhof und sehe die Zü ge an, die von unten kommen, und denke, daß ich dir dann nä her bin, wenn ich in ein Abteil einsteige oder so tue, als ob ich jemand abholen will. «

Ich biß die Lippen zusammen. Ich hatte sie noch nie so sprechen hö ren. Sie war immer scheu gewesen, und ihre Zuneigung hatte viel mehr in einer Gebä rde, einem Blick gelegen als in Worten.

»Ich werde zusehen, daß ich dich einmal besuchen kann, Pat«, sagte ich.

»Wirklich, Robby? «

»Ja, vielleicht Ende Januar. «

Ich wuß te, daß es kaum mö glich war, denn von Februar an muß ten wir ja auch noch das Geld fü r das Sanatorium aufbringen. Aber ich sagte es ihr, damit sie etwas hatte, woran sie denken konnte. Es war dann spä ter nicht so schwer, es weiter zu verschieben, bis der Tag kam, wo sie wieder herunter konnte.

»Leb wohl, Pat«, sagte ich. »Laß es dir gut gehen. Sei froh, dann bin ich auch froh. Sei froh heute abend. «

»Ja, Robby, heute bin ich glü cklich. «

Ich holte Georgie ab und ging mit ihm zum Café International. Die alte, verrä ucherte Bude war kaum wiederzuerkennen. Der Weihnachtsbaum brannte, und sein warmes Licht spiegelte sich in allen Flaschen, Glä sern und dem Nickel und Kupfer der Theke. Die Huren saß en in Abendkleidern, mit falschem Schmuck behangen, erwartungsvoll um einen Tisch herum.

Punkt acht Uhr marschierte die Liedertafel der vereinigten Viehkommissionä re ein. Sie formierten sich an der Tü r nach Stimmen, rechts der erste Tenor, ganz links der zweite Baß. Stefan Grigoleit, der Witwer und Schweinehä ndler, zog eine Stimmgabel hervor, verteilte die Tö ne, und dann ging es vierstimmig los: »Heilige Nacht, o gieß e du — Himmelsfrieden in dies Herz — Schenk dem armen Pilger Ruh — Holde Labung seinem Schmerz — Hell schon erglü hn die Sterne — Leuchten aus blauer Ferne — Mö chten zu dir mich gerne ziehn — himmelwä rts. «

»Rü hrend«, sagte Rosa und wischte sich die Augen.

Die zweite Strophe verklang. Donnernder Beifall erscholl. Die Liedertafel verbeugte sich dankend. Stefan Grigoleit wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Beethoven bleibt Beethoven«, erklä rte er.

Niemand widersprach. Stefan steckte das Schnupftuch ein. »Und nun 'ran an die Gewehre! «

Der Eß tisch war im groß en Vereinszimmer gedeckt. In der Mitte prangten auf silbernen Platten ü ber kleinen Spirituslä mpchen braun und knusprig die beiden Spanferkel. Sie hatten Zitronen in den Schnauzen, kleine, brennende Tannenbä ume auf dem Rü cken und wunderten sich ü ber gar nichts mehr.



  

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