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Drei Kameraden 21 страница



Ich blickte ihm nach, bis ich die Tü r hinter ihm zuklappen hö rte. Ja, dachte ich, wenn es so einfach wä re! Er hilft, er hilft immer! Aber hat er Bernhard Wiese geholfen, als er mit einem Bauchschuß schreiend im Houtholster Wald lag, hat er Katczinky geholfen, der in Handzaeme fiel und eine kranke Frau zurü ckließ und ein Kind, das er noch nicht gesehen hatte, hat er Mü ller geholfen und Leer und Kemmerich, hat er dem kleinen Friedmann geholfen und Jü rgens und Berger und Millionen anderen? Verdammt, es war etwas zuviel Blut geflossen in der Welt fü r diese Art von Glauben an den himmlischen Vater!

Ich brachte die Blumen nach Hause, dann fuhr ich den Wagen zur Werkstatt und ging zurü ck. Aus der Kü che kam jetzt der Geruch von frisch aufgebrü htem Kaffee, und ich hö rte Frida herumrumoren. Es war merkwü rdig, aber der Kaffeegeruch stimmte mich heiterer. Ich kannte das vom Kriege her — es waren nie die groß en Dinge, die einen trö steten —; es waren immer die belanglosen, kleinen.

Ich hatte kaum die Korridortü r abgeschlossen, da schoß Hasse aus seinem Zimmer hervor. Sein Gesicht war gelb und gedunsen, die Augen ü berwach und rot, und er sah aus, als hä tte er in seinem Anzug geschlafen. Als er mich erblickte, ging eine maß lose Enttä uschung ü ber seine Zü ge.

»Ach so, Sie sind es«, murmelte er.

Ich sah ihn erstaunt an. »Haben Sie so frü h schon jemand erwartet? «

»Ja«, sagte er leise, »meine Frau. Sie ist noch nicht nach Hause gekommen. Haben Sie sie nicht gesehen? «

Ich schü ttelte den Kopf. »Ich war nur eine Stunde fort. «

Er nickte. »Ich dachte nur — es hä tte doch sein kö nnen, daß Sie sie gesehen hä tten. «

Ich zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich kommt sie spä ter. Haben Sie nicht telefoniert? «

Er sah mich etwas scheu an. »Sie ist gestern abend zu ihren Bekannten gegangen. Ich weiß nicht, wo sie genau wohnen. «

»Wissen Sie denn den Namen? Dann kann man doch bei der Auskunft anfragen. «

»Das habe ich schon versucht. Die Auskunft kennt den Namen nicht. «

Er hatte einen Blick wie ein verprü gelter Hund. »Sie war immer so geheimnisvoll mit den Leuten, und wenn ich einmal fragte, dann wurde sie sofort ä rgerlich. Da habe ich's gelassen. Ich war froh, daß sie etwas Anschluß hatte. Sie sagte immer, ich gö nnte ihr anscheinend auch den nicht. «

»Vielleicht kommt sie noch«, sagte ich. »Ich bin sogar sicher, daß sie bald kommt. Haben Sie zur Vorsicht mal die Unfallstationen und die Polizei angerufen? «

Er nickte. »Alles. Dort war nichts bekannt. «

»Na also«, sagte ich, »dann brauchen Sie sich noch gar nicht aufzuregen. Vielleicht ist ihr abends nicht ganz wohl gewesen, und sie ist ü ber Nacht geblieben. So was kommt ja oft mal vor. Wahrscheinlich ist sie in ein, zwei Stunden wieder da. «

»Meinen Sie? «

Die Kü chentü r ö ffnete sich und Frida erschien mit einem Tablett.

»Fü r wen ist denn das? « fragte ich.

»Fü r Frä ulein Hollmann«, erwiderte sie, leicht gereizt durch meinen Anblick.

»Ist sie denn schon auf? «

»Das muß sie doch«, erklä rte Frida schlagfertig, »sonst hä tte sie doch nicht nach Frü hstü ck geklingelt. «

»Gott segne Sie, Frida«, erwiderte ich. »Morgens sind Sie manchmal direkt ein Labsal. Kö nnten Sie sich ü berwinden, auch meinen Kaffee gleich zu machen? «

Sie knurrte etwas und schritt den Gang hinauf, wobei sie verä chtlich den Hintern schwenkte. Sie konnte das. Sie war das einzige Wesen, bei dem ich so was je so ausdrucksvoll gesehen hatte.

Hasse hatte gewartet. Ich schä mte mich plö tzlich, als ich mich umwandte und ihn so ergeben und still wieder neben mir sah. »In ein, zwei Stunden sind Sie sicher Ihre Sorge los«, sagte ich und hielt ihm die Hand hin.

Er nahm sie nicht, sondern blickte mich sonderbar an. »Kö nnten wir sie nicht suchen? « fragte er leise.

»Aber Sie wissen doch nicht, wo sie ist. «

»Man kö nnte sie vielleicht doch suchen«, wiederholte er. »Wenn wir Ihren Wagen nä hmen — ich will selbstverstä ndlich alles bezahlen«, fuhr er schnell fort.

»Darum handelt es sich nicht«, erwiderte ich. »Es ist nur ganz aussichtslos. Wohin sollten wir denn fahren? Sie wird auch um diese Zeit nicht auf der Straß e sein. «

»Ich weiß es nicht«, sagte er, immer noch ebenso leise. »Ich meine nur, daß man sie suchen kö nnte. «

Frida kam mit ihrem leeren Tablett zurü ck. »Ich muß jetzt fort«, sagte ich, »und ich glaube, Sie machen sich unnö tig Sorgen. Trotzdem wü rde ich Ihnen gern den Gefallen tun, aber Frä ulein Hollmann muß bald verreisen, und ich mö chte gern heute noch mit ihr zusammen sein. Es ist vielleicht ihr letzter Sonntag hier. Das verstehen Sie doch sicher? «

Er nickte.

Er tat mir leid, wie er so dastand, aber ich war ungeduldig, zu Pat zu kommen. »Wenn Sie trotzdem gleich losfahren wollen, kö nnen Sie ja ein Taxi unten nehmen«, fuhr ich fort, »aber ich rate Ihnen nicht dazu. Warten Sie lieber noch etwas — dann kann ich meinen Freund Lenz anrufen, und er wird mit Ihnen suchen. «

Ich hatte das Gefü hl, daß er gar nicht zuhö rte. »Sie haben sie heute morgen nicht gesehen? « fragte er dann plö tzlich.

»Nein«, erwiderte ich verwundert. »Sonst hä tte ich es Ihnen ja lä ngst gesagt. «

Er nickte wieder und ging dann abwesend, ohne ein Wort in sein Zimmer zurü ck.

 

Pat war schon bei mir gewesen und hatte die Rosen gefunden. Sie lachte, als ich hereinkam. »Robby«, sagte sie, »ich bin doch ziemlich harmlos. Erst Frida hat mich aufgeklä rt, daß frische Rosen sonntags frü h um diese Zeit zweifellos etwas mit Diebstahl zu tun haben mü ß ten. Sie hat mir auch erklä rt, daß diese Sorte in den umliegenden Blumengeschä ften nicht zu kaufen ist. «

»Glaub, was du willst«, erwiderte ich. »Die Hauptsache ist, daß sie dir Freude machen. «

»Jetzt noch mehr als sonst, Liebling. Du hast sie doch unter Gefahren erbeutet! «

»Na, und unter was fü r Gefahren! « Ich dachte an den Pastor. »Aber wieso bist du so frü h schon auf? «

»Ich konnte nicht mehr schlafen. Und dann habe ich auch geträ umt. Nichts Schö nes. «

Ich blickte sie aufmerksam an. Sie sah mü de aus und hatte Schatten unter den Augen. »Seit wann trä umst du so was? « sagte ich. »Ich dachte, das wä re bisher meine Spezialitä t. «

Sie schü ttelte den Kopf. »Hast du gesehen, daß es Herbst wird drauß en? «

»Bei uns nennt man das Spä tsommer«, erwiderte ich. »Die Rosen blü hen ja noch. Es regnet, das ist alles, was ich sehe. «

»Es regnet«, wiederholte sie. »Es regnet schon viel zu lange, Liebling. Manchmal nachts, wenn ich aufwache, glaube ich, daß ich ganz begraben bin unter dem vielen Regen. «

»Du muß t nachts zu mir kommen«, sagte ich. »Dann hast du solche Gedanken nicht mehr. Im Gegenteil, es ist schö n, beieinander zu sein, wenn es dunkel ist und wenn es drauß en regnet. «

»Vielleicht«, erwiderte sie und lehnte sich an mich.

»Ich habe es ganz gern, wenn es sonntags regnet«, sagte ich. »Man merkt dann besser, wie gut man es hat. Wir sind zusammen, wir haben ein warmes, schö nes Zimmer und einen freien Tag vor uns — ich finde, das ist eine ganze Menge. «

Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja, wir haben es gut, nicht wahr? «

»Ich finde, daß wir es wunderbar haben. Wenn ich an frü her denke — mein Gott! Ich hä tte nie gedacht, daß ich es noch einmal so gut haben wü rde. «

»Es ist schö n, wenn du das sagst. Ich glaube es dann sofort. Du muß t es ö fter sagen. «

»Sage ich es nicht oft genug? «

»Nein. «

»Kann sein«, sagte ich. »Ich glaube, ich bin nicht sehr zä rtlich. Ich weiß nicht warum, aber ich kann es einfach nicht sein. Dabei wä re ich es sehr gern. «

»Du brauchst es nicht, Liebling, ich verstehe dich auch so. Nur manchmal, da mö chte man es trotzdem auch gern hö ren. «

»Ich werde es dir von jetzt an jedesmal sagen. Auch wenn ich mir albern dabei vorkomme. «

»Ach, albern«, erwiderte sie. »In der Liebe gibt es keine Albernheit. «

»Gottlob nicht«, sagte ich. »Es wä re sonst furchtbar, was aus einem wü rde. «

Wir frü hstü ckten zusammen, dann legte Pat sich wieder zu Bett. Jaffé hatte das so angeordnet. »Bleibst du hier? « fragte sie unter ihrer Decke hervor.

»Wenn du willst«, sagte ich.

»Ich mö chte schon, aber du brauchst nicht... «

Ich setzte mich zu ihr ans Bett. »So war es nicht gemeint.

Ich erinnere mich nur, daß du es frü her nicht gern hattest, wenn man dir beim Schlafen zusah. «

»Frü her, ja — aber jetzt habe ich manchmal Angst, allein... «

»Das hatte ich auch mal«, sagte ich. »Im Lazarett, nach einer Operation. Ich fü rchtete mich damals, nachts zu schlafen. Ich blieb immer wach und las oder dachte an irgend etwas, und erst wenn es hell wurde, schlief ich ein. Aber das vergeht wieder. «

Sie legte ihr Gesicht auf meine Hand. »Man hat Angst, daß man nicht zurü ckkommt, Robby... «

»Ja«, sagte ich, »aber man kommt zurü ck, und es geht vorbei. Du siehst es an mir. Man kommt immer zurü ck — wenn auch nicht gerade an dieselbe Stelle. «

»Das ist es«, erwiderte sie schon ein wenig schlä frig, mit halbgeschlossenen Augen. »Davor habe ich auch Angst. Aber du paß t auf, nicht wahr? «

»Ich passe auf«, sagte ich und strich ü ber ihre Stirn und ü ber ihr Haar, das auch mü de zu sein schien.

Sie atmete tiefer und drehte sich etwas zur Seite. Eine Minute spä ter war sie fest eingeschlafen.

Ich setzte mich wieder ans Fenster und sah in den Regen hinaus. Er wehte jetzt in grauen Schauern vor den Scheiben vorbei, und das Haus wirkte wie eine kleine Insel in der trü ben Unendlichkeit. Ich war unruhig, denn es kam selten vor, daß Pat morgens mutlos und traurig war. Aber dann dachte ich daran, daß sie vor einigen Tagen noch lebhaft und froh gewesen war und daß vielleicht alles schon anders sein wü rde, wenn sie wieder erwachte. Ich wuß te, daß sie viel an ihre Krankheit dachte, und ich wuß te auch von Jaffé, daß es noch nicht besser geworden war — aber ich hatte in meinem Leben so viele Tote gesehen, daß jede Krankheit fü r mich immer noch Leben und Hoffnung war. Ich wuß te, daß man an einer Verwundung sterben konnte, und darin hatte ich groß e Erfahrung — aber es fiel mir gerade deshalb oft schwer, zu glauben, daß auch eine Krankheit, bei der der Mensch doch ä uß erlich heil blieb, gefä hrlich sein konnte. Dadurch kam ich immer rasch ü ber solche Anfä lle von Mutlosigkeit hinweg.

Es klopfte an die Tü r. Ich ging hin und ö ffnete. Hasse stand drauß en. Ich legte den Finger an den Mund und trat auf den Korridor.

»Verzeihen Sie«, stammelte er.

»Kommen Sie zu mir herein«, sagte ich und ö ffnete die Tü r zu meinem Zimmer.

Hasse blieb an der Schwelle stehen. Sein Gesicht schien kleiner geworden. Es war kreideweiß. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß wir nicht mehr zu fahren brauchen«, sagte er, fast ohne die Lippen zu bewegen.

»Kommen Sie ruhig herein«, erwiderte ich, »Frä ulein Hollmann schlä ft, ich habe Zeit. «

Er hatte einen Brief in der Hand und sah aus wie jemand, der einen Schuß bekommen hat, aber noch glaubt, es sei nur ein Stoß gewesen.

»Am besten ist, Sie lesen es selbst«, sagte er und gab mir den Brief.

»Haben Sie schon Kaffee getrunken? « fragte ich.

Er schü ttelte den Kopf. »Lesen Sie den Brief... «

»Ja, aber inzwischen kö nnen Sie etwas trinken... «

Ich ging hinaus und sagte Frida Bescheid. Dann las ich den Brief. Er war von Frau Hasse und bestand aus wenigen Zeilen. Sie teilte ihm mit, daß sie noch etwas von ihrem Leben haben wolle. Deshalb kä me sie nicht mehr zurü ck. Es sei jemand da, der sie besser verstü nde als Hasse. Es hä tte keinen Zweck, daß er irgend etwas unternä hme; sie kä me auf keinen Fall zurü ck.

Das sei ja auch wohl fü r ihn das beste. Er brauche dann keine Sorgen mehr zu haben, ob sein Gehalt reiche oder nicht. Einen Teil ihrer Sachen habe sie mitgenommen; den Rest wü rde sie gelegentlich holen lassen.

Es war ein klarer und sachlicher Brief. Ich faltete ihn zusammen und gab ihn Hasse zurü ck. Er blickte mich an, als ob alles von mir abhinge. »Was soll man da tun? « fragte er.

»Trinken Sie zuerst einmal diese Tasse aus und essen Sie was«, sagte ich. »Es hat keinen Zweck, daß Sie herumlaufen und sich kaputtmachen. Dann wollen wir ü berlegen. Sie mü ssen versuchen, ganz ruhig zu werden, dann werden Sie den besten Entschluß fassen. «

Er trank gehorsam die Tasse leer. Seine Hand zitterte, und essen konnte er nichts. »Was soll man tun? « fragte er nochmals.

»Gar nichts«, sagte ich. »Abwarten. «

Er machte eine Bewegung. »Was mö chten Sie denn tun? « fragte ich.

»Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht begreifen. «

Ich schwieg. Es war schwer, ihm etwas zu sagen. Man konnte ihn nur beruhigen, alles andere muß te er selbst finden. Er liebte die Frau nicht mehr, das war anzunehmen — aber er war an sie gewö hnt, und fü r einen Buchhalter konnte Gewohnheit mehr sein als Liebe.

Nach einer Weile begann er zu sprechen, verworrenes Zeug, das nur zeigte, wie er hin und her schwankte. Dann fing er an, sich Vorwü rfe zu machen. Er sagte kein Wort gegen die Frau. Er versuchte sich nur klarzumachen, daß er die Schuld hä tte.

»Hasse«, sagte ich, »was Sie da reden, ist Unsinn. In diesen Dingen gibt es weder Schuld noch Unschuld. Die Frau ist von Ihnen fortgegangen, nicht Sie von ihr. Sie brauchen sich keine Vorwü rfe zu machen. «

»Doch«, erwiderte er und sah auf seine Hä nde. »Ich habe es nicht geschafft. «

»Was? «

»Ich habe es nicht geschafft. Das ist eine Schuld, wenn man es nicht schafft. «

Ich blickte verwundert auf die kleine, armselige Gestalt in dem roten Plü schsessel. »Herr Hasse«, sagte ich dann ruhig, »so etwas ist hö chstens ein Grund, aber keine Schuld. Auß erdem haben Sie es bisher geschafft. «

Er schü ttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, ich habe die Frau verrü ckt gemacht mit meiner ewigen Angst vor der Kü ndigung. Und ich habe es auch nicht geschafft! Was habe ich ihr schon bieten kö nnen! Nichts... «

Er versank in stumpfes Brü ten. Ich stand auf und holte die Kognakflasche. »Trinken wir etwas«, sagte ich. »Es ist ja noch nichts verloren. «

Er hob den Kopf.

»Es ist noch nichts verloren«, wiederholte ich. »Verloren hat man einen Menschen erst, wenn er tot ist. «

Er nickte hastig und griff nach dem Glase. Aber er stellte es wieder hin, ohne zu trinken. »Gestern bin ich Bü rochef geworden«, sagte er leise. »Oberbuchhalter und Bü rochef. Der Prokurist hat es mir abends gesagt. Ich bin es geworden, weil ich in den letzten Monaten immer Ü berstunden gemacht habe. Man hat zwei Bü ros zusammengelegt. Der andere Bü rovorsteher ist entlassen worden. Ich bekomme fü nfzig Mark Gehalt mehr. « Er sah mich plö tzlich verzweifelt an. »Glauben Sie, daß sie dageblieben wä re, wenn sie es gewuß t hä tte? «

»Nein«, sagte ich.

»Fü nfzig Mark mehr. Ich hä tte sie ihr geben kö nnen. Sie hä tte sich immer etwas kaufen kö nnen. Und zwö lfhundert Mark habe ich doch auf der Sparkasse! Wozu habe ich das nun gespart? Ich wollte etwas fü r sie haben, wenn es uns schlecht ginge. Und nun ist sie weggegangen, weil ich dafü r gespart habe. «

Er starrte wieder vor sich hin. »Hasse«, sagte ich, »ich glaube, das hat weniger miteinander zu tun, als Sie denken. Sie sollten gar nicht darü ber nachgrü beln. Es ist fü r Sie nur nö tig, ü ber die nä chsten paar Tage wegzukommen. Dann werden Sie besser wissen, was Sie tun wollen. Vielleicht ist Ihre Frau heute abend oder morgen schon wieder da. Sie denkt doch ebenso darü ber nach wie Sie. «

»Sie kommt nicht wieder«, antwortete er.

»Das wissen Sie nicht. «

»Wenn man ihr sagen kö nnte, daß ich jetzt mehr Gehalt habe und daß wir Urlaub nehmen und von dem Ersparten eine Reise machen wollten... «

»Das werden Sie ihr alles sagen kö nnen. Man trennt sich nicht so ohne weiteres. «

Ich war verwundert, daß er ü berhaupt nicht daran dachte, daß noch ein anderer Mann da war. Aber er war anscheinend noch nicht soweit; er dachte nur daran, daß seine Frau fort war, und alles andere lag noch wie ein undeutlicher Nebel dahinter. Ich hä tte ihm gern gesagt, daß er in einigen Wochen vielleicht froh sein wü rde, daß sie weg war — aber es wä re mir bei seiner Verstö rtheit als unnö tige Roheit erschienen. Wahrheit ist fü r ein verletztes Gefü hl immer roh und fast unerträ glich.

Ich sprach noch eine Zeitlang mit ihm — nur damit er sprechen konnte. Ich erreichte nichts — er drehte sich im Kreise herum, aber ich hatte den Eindruck, daß er etwas ruhiger wurde. Er trank auch einen Kognak. Dann hö rte ich Pat nebenan rufen.

»Einen Augenblick! « sagte ich und stand auf.

»Ja«, erwiderte er wie ein gehorsamer Knabe und erhob sich ebenfalls.

»Bleiben Sie nur, ich bin gleich wieder da. «

»Verzeihen Sie... «

»Ich bin sofort zurü ck«, sagte ich und ging zu Pat hinü ber.

Sie saß aufrecht im Bett und sah frisch und wohl aus. »Ich habe wunderbar geschlafen, Robby! Es ist sicher schon Mittag. «

»Du hast genau eine Stunde geschlafen«, sagte ich und hielt ihr die Uhr hin.

Sie sah auf das Zifferblatt. »Um so besser, dann haben wir noch eine Menge Zeit fü r uns. Ich stehe gleich auf. «

»Schö n. Ich komme in zehn Minuten wieder 'rein. «

»Hast du Besuch? «

»Hasse«, sagte ich. »Aber es dauert nicht lange. «

Ich ging zurü ck, aber Hasse war nicht mehr da. Ich ö ffnete die Tü r zum Korridor, aber der Gang war leer. Ich ging den Korridor hinunter und klopfte an seine Tü r. Er antwortete nicht. Ich ö ffnete die Tü r und sah ihn vor dem Schrank stehen. Ein paar Schubfä cher waren herausgezogen.

»Hasse«, sagte ich, »nehmen Sie ein Schlafmittel, legen Sie sich zu Bett und ü berschlafen Sie die Sache erst einmal. Sie sind jetzt ü berreizt. «

Er wendete sich langsam mir zu. »Immer allein, jeden Abend! Immer wie gestern herumsitzen, denken Sie sich das mal aus... «

Ich sagte ihm, daß sich das ä ndern wü rde und daß es viele Leute gä be, die abends allein wä ren. Er gab keine rechte Antwort darauf. Ich sagte ihm nochmals, er solle schlafen gehen, vielleicht stelle sich noch alles als harmlos heraus und die Frau sei abends schon wieder zurü ck. Er nickte und gab mir die Hand.

»Ich komme abends noch mal 'rein«, sagte ich und ging. Ich war froh, wegzukommen.

Pat hatte die Zeitung vor sich liegen. »Wir kö nnten heute morgen ins Museum gehen, Robby«, schlug sie vor.

»Ins Museum? « fragte ich.

»Ja. Da ist eine Ausstellung von persischen Teppichen. Du warst wohl nicht oft im Museum? «

»Nie! « erwiderte ich. »Was sollte ich da auch? «

»Da hast du recht«, sagte sie und lachte.

»Das macht nichts. « Ich stand auf. »Bei Regenwetter kann man ruhig mal was fü r seine Bildung tun. «

Wir zogen uns an und gingen. Die Luft drauß en war herrlich. Sie roch nach Wald und Feuchtigkeit. Als wir beim International vorbeikamen, sah ich durch die offene Tü r Rosa neben der Theke sitzen. Sie hatte ihre Tasse Schokolade vor sich stehen, weil Sonntag war. Auf dem Tisch lag ein kleines Paket. Wahrscheinlich wollte sie nachher wie immer zu ihrem Kinde hinausfahren. Ich war lange nicht im International gewesen, und es erschien mir merkwü rdig, daß Rosa gleichmü tig wie stets dasaß. Bei mir hatte sich so vieles geä ndert, daß ich dachte, es mü sse auch ü berall anderswo so sein.

Wir kamen zum Museum. Ich hatte geglaubt, wir wü rden ziemlich allein sein, aber zu meinem Erstaunen waren sehr viele Leute da. Ich fragte einen Wä rter, was los sei.

»Nichts«, erwiderte er, »das ist doch immer so an den Tagen, wo der Eintritt frei ist. «

»Siehst du«, sagte Pat. »Es gibt noch eine Menge Leute, die sich fü r so etwas interessieren. «

Der Wä rter schob seine Mü tze zurü ck. »So ist das nun nicht, meine Dame. Das sind fast alles Arbeitslose. Die kommen nicht wegen der Kunst, sondern weil sie nichts zu tun haben. Und hier haben sie wenigstens was zum Ansehen. «

»Das ist eine Erklä rung, die ich besser verstehe«, sagte ich.

»Jetzt ist das noch gar nichts«, erwiderte der Wä rter. »Im Winter mü ssen Sie mal kommen! Da ist alles proppenvoll. Wegen der Heizung. «

Wir gingen in den Saal, wo die Teppiche hingen. Es war ein stiller, etwas abgelegener Raum. Durch die hohen Fenster konnte man in einen Garten sehen, in dem eine riesige Platane stand. Sie war ganz gelb, und auch das Licht im Raum bekam durch sie einen gedä mpften gelben Schein.

Die Teppiche waren wundervoll. Es waren zwei Tierteppiche des sechzehnten Jahrhunderts, einige Ispahans und ein paar seidene, lachsfarbene Polenteppiche mit smaragdgrü nen Bordü ren. Das Alter und die Sonne hatten ihren Tö nen eine milde Patina verliehen, so daß sie wie groß e, mä rchenhafte Pastelle wirkten. Sie gaben dem Raum eine zeitlose Stimmung und Harmonie, wie sie durch Bilder nie hä tte erreicht werden kö nnen. Das Fenster mit dem Herbstlaub der Platane und dem perlgrauen Himmel dahinter fü gte sich ein, als ob es auch ein alter Teppich wä re.

Wir blieben eine Zeitlang, dann gingen wir zurü ck in die ü brigen Sä le des Museums. Es waren inzwischen noch mehr Leute hinzugekommen, und man sah jetzt deutlich, daß sie eigentlich nicht hierhergehö rten. Mit blassen Gesichtern und abgetragenen Anzü gen wanderten sie, die Hä nde auf dem Rü cken, etwas scheu durch die Rä ume, mit Augen, die etwas ganz anderes sahen als die Bilder der Renaissance und die stillen Marmorfiguren der Antike. Viele saß en auf den roten, gepolsterten Bä nken, die ringsum aufgestellt waren. Sie saß en mü de da, in einer Haltung, als wä ren sie gleich bereit, aufzustehen, wenn jemand kä me, um sie fortzuweisen. Man merkte ihnen an, daß gepolsterte Bä nke etwas fü r sie waren, bei dem ihnen nicht ganz begreiflich war, daß es kein Geld kostete, sich darauf auszuruhen. Sie waren gewohnt, daß sie nichts umsonst erhielten.

Es war sehr still in all den Rä umen, und man hö rte trotz der vielen Besucher kaum ein Wort — aber mir schien trotzdem, als sä he ich einem ungeheuren Kampf zu —, dem lautlosen Kampf von Menschen, die niedergeschlagen waren, aber sich noch nicht ergeben wollten. Sie waren ausgestoß en aus den Bezirken ihrer Arbeit, ihres Strebens, ihrer Berufe — jetzt kamen sie in die stillen Rä ume der Kunst, um nicht der Erstarrung und der Verzweiflung anheimzufallen. Sie dachten an Brot, immer nur an Brot und Beschä ftigung; aber sie kamen hierher, um ihren Gedanken fü r einige Stunden zu entrinnen — und zwischen den klaren Rö merkö pfen und der unvergä nglichen Anmut weiß er, griechischer Frauengestalten wanderten sie umher in dem schleppenden Gang, mit den vorgebeugten Schultern von Menschen, die kein Ziel haben —, ein erschü tternder Kontrast, ein trostloses Bild dessen, was die Menschheit in Tausenden von Jahren erreichen und nicht erreichen konnte: den Gipfel ewiger Kunstwerke, aber nicht einmal Brot genug fü r jeden ihrer Brü der.

Nachmittags gingen wir in ein Kino. Als wir herauskamen, hatte der Himmel sich aufgeklä rt. Er war apfelgrü n und sehr klar.

In den Straß en und Lä den brannte schon Licht. Wir gingen langsam nach Hause und sahen uns dabei die Schaufenster an.

Vor den hellerleuchteten Scheiben eines groß en Pelzgeschä ftes blieb ich stehen. Es war schon kü hl abends, und in den Fenstern waren dicke Bü ndel Silberfü chse und warme Mä ntel fü r den Winter ausgestellt. Ich sah Pat an; sie trug immer noch ihre kurze Pelzjacke und war eigentlich viel zu leicht angezogen.

»Wenn ich jetzt der Held aus dem Film wä re, wü rde ich da hineingehen und dir einen Mantel aussuchen«, sagte ich.

Sie lä chelte. »Welchen denn? «

»Den da. « Ich zeigte auf den, der am wä rmsten aussah.

Sie lachte. »Du hast einen guten Geschmack, Robby. Das ist ein sehr schö ner kanadischer Nerz. «

»Mö chtest du ihn haben? «

Sie blickte mich an. »Weiß t du, was so ein Mantel kostet, Liebling? «

»Nein«, sagte ich, »das will ich auch gar nicht wissen. Ich will lieber denken, ich kö nnte dir schenken, was ich mö chte. Warum sollen nur andere Leute das kö nnen? «

Sie sah mich aufmerksam an. »Ich will aber gar keinen solchen Mantel, Robby. «

»Doch«, erwiderte ich, »du bekommst ihn! Kein Wort mehr darü ber. Morgen lassen wir ihn abholen. «

Sie lä chelte. »Danke, Liebling«, sagte sie und kü ß te mich mitten auf der Straß e. »Und jetzt kommst du dran. « Sie blieb vor einem Herrenmodengeschä ft stehen. »Diesen Frack da! Du brauchst ihn zu dem Nerz. Und den Zylinder dort bekommst du auch. Wie magst du wohl im Zylinder aussehen? «

»Wie ein Schornsteinfeger. « Ich schaute mir den Frack an. Er lag in einem Fenster, das mit grauem Samt ausgeschlagen war. Ich blickte noch einmal genauer hin. Es war das Geschä ft, in dem ich mir im Frü hjahr die Krawatte gekauft hatte, nachdem ich zum erstenmal allein mit Pat zusammengewesen war und mich betrunken hatte. Es wü rgte mich plö tzlich etwas im Hals; ich wuß te nicht warum. Im Frü hjahr — da hatte ich noch nichts von allem geahnt.

Ich nahm Pats schmale Hand und legte sie eine Sekunde an meine Wange. »Du brauchst noch etwas dazu«, sagte ich dann, »so ein Nerz allein ist wie ein Auto ohne Motor. Zwei oder drei Abendkleider... «

»Abendkleider«, erwiderte sie und blieb vor den groß en Schaufenstern stehen, »Abendkleider, das ist wahr — die kann ich schon schwerer abschlagen... «

Wir suchten drei wunderbare Kleider aus. Ich sah, wie diese Spielerei Pat belebte. Sie war ganz bei der Sache, denn Abendkleider waren ihre Schwä che. Wir suchten auch gleich die Sachen aus, die dazugehö rten, und sie wurde immer lebhafter. Ihre Augen glä nzten. Ich stand neben ihr und hö rte ihr zu und lachte und dachte, was fü r eine verdammte Sache es doch sei, eine Frau zu lieben und arm zu sein. »Komm«, sagte ich schließ lich in einer Art verzweifelter Lustigkeit, »wenn man etwas macht, muß man es ganz machen! « Ich zog sie vor ein Juwelengeschä ft. »Dort das Smaragdarmband! Dazu die beiden Ringe und die Ohrgehä nge! Sprechen wir nicht weiter darü ber. Smaragde sind die richtigen Steine fü r dich. «

»Dann bekommst du aber die Platinuhr da und die Perlen fü rs Hemd. «

»Und du den ganzen Laden! Unter dem tue ich es jetzt nicht mehr... «

Sie lachte und lehnte sich tief atmend an mich. »Genug, Liebling, genug! Jetzt kaufen wir uns nur noch ein paar Koffer und gehen zum Reisebü ro, und dann packen wir und reisen los, fort aus dieser Stadt und diesem Herbst und diesem Regen. «

Ja, dachte ich, mein Gott, ja, und du wü rdest dann rasch gesund!

»Wohin denn? « fragte ich. »Nach Ä gypten? Oder noch weiter? Nach Indien und China? «

»In die Sonne, Liebling, irgendwohin in die Sonne und den Sü den und die Wä rme. Zu Palmstraß en und Felsen und weiß en Hä usern am Meer und Agaven. Aber vielleicht regnet es dort auch. Vielleicht regnet es ü berall. «

»Dann fahren wir einfach weiter«, sagte ich, »bis es irgendwo nicht mehr regnet. Mitten in die Tropen und die Sü dsee hinein. «

Wir standen vor den hellen Fenstern des Reisebü ros der Hamburg-Amerika-Linie. In der Mitte war das Modell eines Dampfers aufgestellt. Es schwamm auf blauen Pappwellen, und dahinter erhob sich mä chtig die vergrö ß erte Fotografie der Wolkenkratzer Manhattans. An den Fenstern hingen groß e, bunte Landkarten mit rot eingezeichneten Routen.

»Nach Amerika fahren wir auch«, sagte Pat. »Nach Kentucky und Texas und New York und San Franzisko und Hawaii. Und dann ü ber Sü damerika weiter. Ü ber Mexiko und den Panamakanal nach Buenos Aires. Und dann ü ber Rio de Janeiro zurü ck. «

»Ja... « Sie sah mich strahlend an.

»Ich war noch nicht da«, sagte ich. »Ich habe dir das damals vorgeschwindelt. «



  

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