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Drei Kameraden 27 страница



»Es waren mehrere«, erwiderte ich und stieg zu ihm ein.

Der Wagen schoß los. Wir kä mmten rund um das Café sä mtliche Straß en durch, immer weiter, aber wir sahen nichts. Endlich hielt Kö ster an. »Entwischt«, sagte er. »Aber das macht nichts. Wir werden ihn jetzt irgendwann kriegen. «

»Otto«, sagte ich. »Wir sollten es lassen. «

Er sah mich an. »Gottfried ist tot«, sagte ich und wunderte mich selbst darü ber, was ich redete. »Er wird nicht wieder lebendig davon. «

Kö ster sah mich immer noch an. »Robby«, erwiderte er langsam, »ich weiß nicht mehr, wieviel Menschen ich getö tet habe. Aber ich weiß noch, wie ich einen jungen Englä nder abgeschossen habe. Er hatte eine Ladehemmung und konnte nichts mehr machen. Ich war mit meiner Maschine ein paar Meter hinter ihm und sah sein erschrockenes, kindliches Gesicht mit der Angst in den Augen ganz genau, es war sein erster Flug, das stellten wir nachher fest, und er war knapp achtzehn Jahre alt, und in dieses erschrockene, hilflose, hü bsche Kindergesicht habe ich auf ein paar Meter Entfernung eine Garbe mit meinem Maschinengewehr gejagt, daß der Schä del platzte wie ein Hü hnerei. Ich kannte den Jungen nicht, und er hatte mir nichts getan. Es hat damals lä nger gedauert als sonst, bis ich darü ber weggekommen bin und bis ich mein Gewissen zugestampft hatte mit diesem verdammten: Krieg ist Krieg. Aber ich sage dir, wenn ich den, der Gottfried umgebracht hat, der ihn wie einen Hund niedergeschossen hat ohne Grund, nicht auch umbringe, dann war das mit dem Englä nder ein furchtbares Verbrechen, verstehst du das? «

»Ja«, sagte ich.

»Und jetzt geh nach Hause. Ich muß sehen, daß es zu Ende kommt. Es ist wie eine Mauer. Ich kann nicht weiter, ehe sie nicht weg ist. «

»Ich gehe nicht nach Hause, Otto. Wenn es so ist, wollen wir zusammenbleiben. «

»Unsinn«, sagte er ungeduldig. »Ich kann dich nicht brauchen. « Er hob die Hand, als er sah, daß ich reden wollte. »Ich werde schon aufpassen! Ich werde ihn allein treffen, ohne die andern, ganz allein! Hab keine Angst. «

Er schob mich ungeduldig vom Sitz und raste sofort davon. Ich wuß te, daß ihn nichts mehr aufhalten konnte. Ich wuß te auch, weshalb er mich nicht mitgenommen hatte. Wegen Pat. Gottfried hä tte er mitgenommen.

Ich ging zu Alfons. Er war der einzige, mit dem ich sprechen konnte. Ich wollte mit ihm beraten, ob wir etwas tun kö nnten. Aber Alfons war nicht da. Ein verschlafenes Mä dchen sagte mir, er sei vor einer Stunde zu einer Versammlung gegangen. Ich setzte mich an einen Tisch, um zu warten.

Das Lokal war leer. Nur eine kleine Birne brannte ü ber dem Schanktisch. Das Mä dchen hatte sich wieder hingesetzt und schlief weiter. Ich dachte an Otto und an Gottfried, ich blickte aus dem Fenster auf die Straß e, die jetzt vom langsam ü ber die Dä cher steigenden Vollmond erhellt wurde, ich dachte an das Grab mit dem schwarzen Holzkreuz und dem Stahlhelm darü ber, und plö tzlich merkte ich, daß ich weinte. Ich wischte die Tropfen weg. Nach einiger Zeit hö rte ich rasche, leise Schritte im Hause. Die Tü r, die zum Hof fü hrte, ö ffnete sich, und Alfons trat herein. Sein Gesicht glä nzte von Schweiß.

»Ich bin's, Alfons«, sagte ich.

»Komm her, rasch! «

Ich folgte ihm in das Zimmer rechts hinter dem Schankraum. Alfons ging an einen Schrank und holte zwei alte Militä rverbandspä ckchen heraus. »Kannst mich mal verbinden«, sagte er und zog gerä uschlos die Hose aus.

Er hatte einen Riß am Oberschenkel. »Das sieht aus wie ein Streifschuß «, sagte ich.

»Ist es auch«, knurrte Alfons. »Los, verbinde schon! «

»Alfons«, sagte ich und richtete mich auf. »Wo ist Otto? «

»Wie soll ich wissen, wo Otto ist«, murrte er und preß te die Wunde aus.

»Wart ihr nicht zusammen? «

»Nein. «

»Du hast ihn nicht gesehen? «

»Keine Ahnung. Fasere das zweite Pä ckchen auseinander und leg es drauf. Ist nur 'ne Schramme. «

Er beschä ftigte sich weiter brummend mit seiner Wunde.

»Alfons«, sagte ich, »wir haben den — du weiß t schon, mit Gottfried —, wir haben ihn heute abend gesehen, und Otto ist hinter ihm her. «

»Was? Otto? « Er wurde sofort aufmerksam. »Wo ist er denn? Hat doch keinen Sinn mehr! Er muß weg! «

»Er geht nicht weg. «

Alfons warf die Schere beiseite. »Fahr hin! Weiß t du, wo er ist? Er soll verschwinden. Sag ihm, daß das mit Gottfried fertig ist. Habe frü her Bescheid gewuß t als ihr! Siehst es ja! Hat geschossen, aber ich habe ihm die Hand 'runtergeschlagen. Dann habe ich geschossen. Wo ist Otto? «

»Irgendwo um die Mö nkestraß e 'rum. «

»Gott sei Dank! Da wohnt er ja lä ngst nicht mehr. Aber schaff Otto trotzdem weg. «

Ich ging zum Telefon und rief den Taxistand an, wo Gustav sich gewö hnlich aufhielt. Er war da. »Gustav«, sagte ich, »kannst du mal zur Ecke Wiesenstraß e und Bellevueplatz kommen? Schnell? Ich warte da. «

»Gemacht. Bin in zehn Minuten da. «

Ich hä ngte den Hö rer ein und ging zu Alfons zurü ck. Er zog sich eine andere Hose an. »Habe nicht gewuß t, daß ihr unterwegs wart«, sagte er. Sein Gesicht war immer noch naß.

»Wä re besser gewesen, ihr hä ttet irgendwo gesessen. Wegen des Alibis. Kö nnte ja sein, daß sie euch danach fragen. Man weiß nie... «

»Denk lieber an dich«, sagte ich.

»Ach wo! « Er sprach schneller als sonst. »War allein mit ihm. Habe im Zimmer auf ihn gewartet. War in einer Wohnlaube. Ringsum keine Nachbarn. Auß erdem Notwehr. Er schoß sofort, als er 'reinkam. Brauche kein Alibi. Kann ein Dutzend haben, wenn ich will. « Er sah mich an. Er saß auf einem Stuhl, das nasse, breite Gesicht mir zugewandt, die Haare verschwitzt, den groß en Mund schief verzogen, und seine Augen waren fast unerträ glich, so viel Qual, Schmerz und Liebe lagen plö tzlich nackt und hoffnungslos darin. »Nun wird Gottfried Ruhe haben«, sagte er leise und heiser. »Hatte das Gefü hl, daß er keine Ruhe hatte vorher. «

Ich stand stumm vor ihm. »Geh jetzt«, sagte er.

Ich ging durch die Wirtsstube hinaus. Das Mä dchen schlief immer noch. Es atmete laut. Drauß en war der Mond hochgestiegen, und es war sehr hell. Ich ging zum Bellevueplatz. Die Fenster der Hä user glä nzten im Mondlicht wie silberne Spiegel. Der Wind hatte sich gelegt. Es war ganz still.

Gustav kam ein paar Minuten spä ter. »Was ist los, Robert? « fragte er.

»Unser Wagen ist uns gestohlen worden heute abend. Jetzt habe ich gehö rt, er wä re in der Gegend der Mö nkestraß e gesehen worden. Wollen wir mal hinfahren? «

»Aber klar! « Gustav wurde eifrig. »Was da augenblicklich alles geklaut wird! Jeden Tag ein paar Wagen. Aber meistens fahren sie ja nur damit 'rum, bis das Benzin zu Ende ist, und lassen sie dann stehen. «

»Ja, so wird's mit unserm auch wohl sein. «

Gustav erzä hlte mir, daß er bald heiraten wolle. Es sei was Kleines unterwegs, da helfe alles nichts. Wir fuhren durch die Mö nkestraß e und dann durch die Querstraß en. »Da ist er! « rief Gustav plö tzlich. Der Wagen stand in einer versteckten, dunklen Seitengasse, Ich stieg aus, nahm meinen Schlü ssel und schaltete die Zü ndung ein. »Alles in Ordnung, Gustav«, sagte ich. »Danke schö n, daß du mich hergebracht hast. «

»Wollen wir nicht noch irgendwo einen trinken? « fragte er.

»Nein, heute nicht. Morgen. Ich muß jetzt rasch los. «

Ich griff in die Tasche, um ihm die Fahrt zu bezahlen. »Bist du verrü ckt? « fragte er.

»Also danke, Gustav. Laß dich nicht aufhalten. Auf Wiedersehen. «

»Wie war's, wenn wir aufpaß ten, um den Knaben zu schnappen, der ihn geklaut hat? «

»Nein, nein, der ist sicher lä ngst weg. « Ich war auf einmal rasend ungeduldig. »Auf Wiedersehen, Gustav. «

»Hast du auch noch Benzin? «

»Ja, genug. Habe schon nachgesehen. Also gute Nacht. «

Er fuhr ab. Ich wartete eine Weile, dann fuhr ich hinterher, erreichte die Mö nkestraß e und fuhr sie im dritten Gang langsam hinunter. Als ich wieder heraufkam, stand Kö ster an der Ecke. »Was soll das? «

»Steig ein«, sagte ich rasch. »Du brauchst nicht mehr hier zu stehen. Alfons wuß te es auch. Er hat — er hat ihn schon getroffen. «

»Und? «

»Ja«, sagte ich.

Kö ster stieg schweigend ein. Er setzte sich nicht ans Steuer. Er hockte neben mir, etwas zusammengesunken, und ich fuhr.

»Wollen wir zu mir nach Hause? « fragte ich.

Er nickte. Ich gab Gas und nahm die Strecke am Kanal entlang. Das Wasser war ein einziger breiter Silberstreifen. Die Schuppen auf der gegenü berliegenden Seite lagen tiefschwarz im Schatten, aber die Straß en hatten ein wehendes, fahles Hellblau, ü ber das die Reifen hinwegglitten wie ü ber unsichtbaren Schnee. Die breiten Barocktü rme des Domes ragten hinter den Dä cherreihen auf. Sie leuchteten grü n und silbern vor dem weit zurü ckweichenden, phosphoreszierenden Himmel, in dem der Mond wie eine groß e Leuchtkugel hing.

»Ich bin froh, Otto, daß es so gekommen ist«, sagte ich.

»Ich nicht«, erwiderte er.

Bei Frau Zalewski war noch Licht. Sie kam aus ihrem Salon, als ich die Tü r aufschloß. »Es ist ein Telegramm fü r Sie da«, sagte sie.

»Ein Telegramm? « fragte ich erstaunt. Ich dachte immer noch an den Abend. Dann begriff ich und lief in mein Zimmer. Das Telegramm lag mitten auf dem Tisch, kalkig im grellen Licht. Ich riß die Verschluß marke auf, die Brust preß te sich mir zu, die Buchstaben verschwammen, wichen aus, kamen wieder, ich atmete auf, alles stand still, und ich gab das Telegramm Kö ster. »Gott sei Dank! Ich dachte schon... «

Es waren nur drei Worte. »Robby, komm bald... «

Ich nahm das Blatt wieder. Die Erleichterung schwand. Die Angst kam zurü ck. »Was mag da los sein, Otto? Herrgott, weshalb telefoniert sie nicht mehr? Es muß doch was los sein! «

Kö ster legte die Depesche auf den Tisch. »Wann hast du zum letztenmal von ihr gehö rt? «

»Vor einer Woche. Nein, lä nger. «

»Melde ein Gesprä ch an. Wenn etwas ist, fahren wir gleich ab. Mit dem Wagen. Hast du ein Kursbuch? «

Ich meldete die Verbindung mit dem Sanatorium an und holte das Kursbuch aus Frau Zalewskis Salon. Kö ster schlug es auf, wä hrend wir warteten. »Der nä chste gute Anschluß zug fä hrt erst morgen mittag«, sagte er. »Es ist besser, wir nehmen den Wagen und fahren so weit heran, wie es geht. Dann kö nnen wir immer noch den nä chsten Anschluß zug nehmen. Ein paar Stunden sparen wir bestimmt. Was meinst du? «

»Ja, auf jeden Fall. « Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich die untä tigen Stunden in der Eisenbahn ertragen sollte.

Das Telefon klingelte. Kö ster ging mit dem Kursbuch in mein Zimmer. Das Sanatorium meldete sich. Ich fragte nach Pat. Eine Minute spä ter sagte mir die Stationsschwester, es wä re besser, wenn Pat nicht telefoniere.

»Was hat sie? « schrie ich.

»Eine kleine Blutung vor einigen Tagen. Heute etwas Fieber. «

»Sagen Sie ihr, daß ich kä me«, rief ich. »Mit Kö ster und Karl. Wir fahren jetzt ab. Haben Sie verstanden? «

»Mit Kö ster und Karl«, wiederholte die Stimme.

»Ja. Aber sagen Sie es ihr sofort. Wir fahren jetzt ab. «

»Ich werde es ihr gleich bestellen. «

Ich ging zurü ck in mein Zimmer. Meine Beine waren merkwü rdig leicht. Kö ster saß am Tisch und schrieb die Zü ge aus.

»Pack deinen Koffer«, sagte er. »Ich fahre nach Hause und hole meinen auch. In einer halben Stunde bin ich zurü ck. «

Ich nahm den Koffer vom Schrank. Es war der von Lenz mit den bunten Hotelschildern. Ich packte rasch und sagte Frau Zalewski und dem Wirt vom International Bescheid. Dann setzte ich mich in mein Zimmer ans Fenster, um auf Kö ster zu warten. Es war sehr still. Ich dachte daran, daß ich morgen abend bei Pat sein wü rde, und plö tzlich ergriff mich eine heiß e, wilde Erwartung, vor der alles andere verblich, Angst, Sorge, Trauer, Verzweiflung. Ich wü rde morgen abend bei ihr sein — das war ein unvorstellbares Glü ck, etwas, an das ich fast nicht mehr geglaubt hatte. Es war so vieles verlorengegangen seitdem.

Ich nahm meinen Koffer und ging hinunter. Alles war auf einmal nah und warm, die Treppe, der abgestandene Geruch des Hausflurs, das kalte, blinkende Gummigrau des Asphalts, ü ber den Karl soeben heranschoß.

»Ich habe ein paar Decken mitgebracht«, sagte Kö ster. »Es wird kalt werden. Wickle dich ordentlich ein. «

»Wir fahren abwechselnd, was? « fragte ich.

»Ja. Aber vorlä ufig fahre ich. Ich habe ja nachmittags geschlafen. «

Eine halbe Stunde spä ter hatten wir die Stadt hinter uns, und das ungeheure Schweigen der klaren Mondnacht nahm uns auf. Die Straß e lief weiß vor uns her bis zum Horizont. Es war so hell, daß wir ohne Scheinwerfer fahren konnten. Der Klang des Motors war wie ein dunkler Orgelton; er unterbrach die Stille nicht, er machte sie nur noch fü hlbarer.

»Du solltest etwas schlafen«, sagte Kö ster.

Ich schü ttelte den Kopf. »Kann ich nicht, Otto. «

»Dann leg dich wenigstens hin, damit du morgen frü h frisch bist. Wir mü ssen noch durch ganz Deutschland. «

»Ich ruhe mich auch so aus. «

Ich blieb neben Kö ster sitzen. Der Mond glitt langsam ü ber den Himmel. Die Felder glä nzten wie Perlmutter. Ab und zu flogen Dö rfer vorü ber, manchmal eine Stadt, verschlafen, leer, die Straß enschluchten zwischen den Hä userreihen angefü llt mit geisterhaftem, stofflosem Mondlicht, das die Nacht zu einem unwirklichen Film werden ließ.

Gegen Morgen wurde es kalt. Die Wiesen schimmerten plö tzlich von Reif, die Bä ume standen wie aus Stahl gegossen vor dem fahler werdenden Himmel, in den Wä ldern begann es zu wehen, und aus den Schornsteinen der Hä user stieg vereinzelt Rauch auf. Wir wechselten das Steuer, und ich fuhr bis zehn Uhr. Dann frü hstü ckten wir rasch in einem Wirtshaus am Wege, und ich fuhr weiter bis zwö lf. Von da an blieb Kö ster am Steuer. Es ging schneller, wenn er allein fuhr.

Nachmittags, als es zu dä mmern anfing, kamen wir an das Gebirge. Wir hatten Schneeketten und eine Schaufel bei uns und erkundigten uns, wie weit wir kommen kö nnten.

»Sie kö nnen es mit Ketten versuchen«, sagte der Sekretä r des Autoklubs. »Es ist dieses Jahr sehr wenig Schnee. Nur wie es die letzten Kilometer ist, weiß ich nicht genau. Kann sein, daß Sie da steckenbleiben. «

Wir hatten einen groß en Vorsprung vor dem Zug und beschlossen, zu versuchen, ganz hinaufzukommen. Es war kalt, und Nebel war nicht zu befü rchten. Der Wagen ging die Serpentinen wie eine Uhr hinauf. Auf halber Hö he montierten wir die Schneeketten. Die Straß e war ausgeschaufelt, aber an vielen Stellen vereist, und der Wagen tanzte und rutschte. Manchmal muß ten wir heraus und ihn schieben. Zweimal versanken wir und muß ten ihn ausschaufeln. Im letzten Dorf ließ en wir uns einen Eimer Sand geben, weil wir jetzt sehr hoch waren und Sorge hatten, beim Abwä rtsfahren vereiste Kurven vor uns zu haben. Es war ganz dunkel geworden, die Bergwä nde ragten steil und kahl ü ber uns in den Abgrund, der Paß verengte sich, der Motor brü llte im ersten Gang, und Kurve um Kurve ging es abwä rts. Plö tzlich glitt das Licht der Scheinwerfer von den Hä ngen ab, es stü rzte ins Leere, die Berge ö ffneten sich, und wir sahen unten das Lichtnetz des Dorfes vor uns liegen.

Der Wagen donnerte zwischen den bunten Lä den der Hauptstraß e hindurch. Fuß gä nger sprangen beiseite, erschreckt durch den ungewohnten Anblick, Pferde scheuten, ein Schlitten rutschte ab, der Wagen jagte die Kehren zum Sanatorium hinauf und hielt vor dem Portal. Ich sprang hinaus, ich sah wie durch einen Schleier neugierige Gesichter, Leute, das Bü ro, den Aufzug, dann lief ich durch den weiß en Korridor, riß die Tü r auf und erblickte Pat, wie ich sie hundertmal in Traum und Sehnsucht gesehen hatte, sie kam mir entgegen, und ich hielt sie in den Armen wie das Leben und mehr als das Leben.

»Gott sei Dank! « sagte ich, als ich mich wieder zurechtfand. »Ich glaubte, du lä gest im Bett. «

Sie schü ttelte den Kopf an meiner Schulter. Dann richtete sie sich auf, nahm mein Gesicht in ihre Hä nde und sah mich an. »Daß du da bist«, murmelte sie. »Daß du gekommen bist! «

Sie kü ß te mich, vorsichtig, ernst und behutsam, wie etwas, das man nicht zerbrechen will. Als ich ihre Lippen fü hlte, begann ich zu zittern. Es war alles zu schnell gegangen, ich faß te es jetzt doch noch nicht ganz. Ich war noch nicht richtig da; ich war noch voll Fahrt, voll Motorendrö hnen und Straß e. Es ging mir wie jemand, der aus Kä lte und Nacht in ein warmes Zimmer tritt — er spü rt die Wä rme auf der Haut, er empfindet sie mit den Augen —, aber er ist noch nicht warm. »Wir sind schnell gefahren«, sagte ich.

Sie antwortete nicht. Sie sah mich noch immer schweigend an. Ihr ernstes Gesicht hatte einen ergreifenden Ausdruck, ihre Augen waren dicht vor mir, und es war, als wolle sie etwas sehr Wichtiges suchen und wiederfinden. Ich wurde verlegen. Ich legte die Hä nde auf ihre Schultern und senkte den Blick.

»Bleibst du jetzt hier? « fragte sie.

Ich nickte.

»Sag es mir gleich. Sag mir, ob du wieder fortgehst, damit ich es gleich weiß. «

Ich wollte ihr antworten, daß ich es noch nicht wü ß te und daß ich wahrscheinlich in ein paar Tagen abfahren mü ß te, weil ich kein Geld hä tte, um hierzubleiben. Aber ich konnte es nicht. Ich konnte es nicht, wä hrend sie mich so ansah. »Ja«, sagte ich, »ich bleibe hier. So lange, bis wir zusammen abreisen. «

Ihr Gesicht bewegte sich nicht. Aber es wurde plö tzlich hell, wie von innen her erleuchtet. »Ach«, murmelte sie, »ich hä tte es auch nicht ertragen. «

Ich versuchte ü ber ihre Schulter hinweg die Fieberkurve am Kopfende des Bettes zu lesen. Sie bemerkte es, zog rasch das Blatt aus dem Halter, zerknü llte es und warf es unter das Bett.

»Das gilt jetzt nicht mehr«, sagte sie.

Ich merkte mir, wo der Papierknä uel lag, und beschloß, ihn nachher, wenn sie es nicht sah, einzustecken. »Warst du krank? « fragte ich.

»Etwas. Aber das ist jetzt vorbei. «

»Was hat denn der Arzt gesagt? «

Sie lachte. »Frag jetzt nicht nach dem Arzt. Frag ü berhaupt nichts mehr. Du bist da, das ist genug! «

Sie war plö tzlich verä ndert. Ich wuß te nicht, ob es daher kam, daß ich sie so lange nicht gesehen hatte, aber sie erschien mir auch anders als frü her. Ihre Bewegungen waren geschmeidiger, ihre Haut war wä rmer, die Art, wie sie zu mir kam, war anders, sie war nicht mehr nur ein schö nes, junges Mä dchen, das beschü tzt werden muß te, es war noch etwas hinzugekommen, und wä hrend ich frü her oft nicht gewuß t hatte, ob sie mich liebte, spü rte ich es jetzt, sie verbarg nichts mehr, sie war lebendiger und mir nä her als je, lebendiger, nä her und schö ner, beglü ckender, aber sonderbarerweise auch beunruhigender.

»Pat«, sagte ich. »Ich muß rasch hinunter. Kö ster ist unten. Wir mü ssen sehen, wo wir wohnen. «

»Kö ster? Und wo ist Lenz? «

»Lenz«, sagte ich, »Lenz ist zu Hause geblieben. «

Sie merkte nichts. »Darfst du hinunter, nachher? « fragte ich. »Oder sollen wir heraufkommen? «

»Ich darf alles. Ich darf jetzt alles. Wir gehen hinunter, und dann trinken wir etwas. Ich werde euch zusehen, wie ihr trinkt. «

»Gut. Wir warten dann unten in der Halle auf dich. «

Sie ging zum Schrank, um ein Kleid herauszunehmen. Ich benutzte die Gelegenheit, die zusammengeknä uelten Fieberkurven in die Tasche zu stecken.

»Also bis gleich, Pat. «

»Robby! «

Sie kam mir nach und legte mir die Arme um den Hals.

»Ich wollte dir eigentlich so viel sagen. «

»Ich dir auch, Pat. Aber nun haben wir ja Zeit dazu. Wir werden uns den ganzen Tag etwas erzä hlen. Morgen. Zu Anfang geht das nicht gleich so. «

Sie nickte. »Ja, wir wollen uns alles erzä hlen. Dann ist diese ganze Zeit, die wir allein waren, keine Zeit mehr, wo wir getrennt waren. Dann wissen wir alles voneinander, und das ist dann, als ob wir immer zusammengewesen sind. «

»Das waren wir auch so«, sagte ich.

Sie lä chelte. »Ich nicht. Ich habe nicht so viel Kraft. Fü r mich war's schlimmer. Ich kann mich nicht mit Gedanken trö sten, wenn ich allein bin. Ich bin dann allein, mehr weiß ich nicht. Es ist leichter, ohne Liebe allein zu sein. « Sie lä chelte noch immer. Es war ein glä sernes Lä cheln, sie hielt es fest, aber man konnte hindurchsehen.

»Pat«, sagte ich. »Alter, tapferer Bursche. «

»Das habe ich lange nicht gehö rt«, sagte sie, und ihre Augen waren voll Trä nen.

Ich ging zu Kö ster hinunter. Die Koffer waren schon ausgeladen. Man hatte uns zwei Zimmer nebeneinander in der Dependance gegeben.

»Sieh dir das an«, sagte ich und zeigte ihm die Fieberkurven. »Wie das hinauf und herunter geht. «

Wir gingen ü ber den knirschenden Schnee die Treppen hinauf. »Frag morgen den Arzt«, sagte Kö ster. »Aus den Fieberkurven allein kann man nichts sehen. «

»Ich sehe genug«, erwiderte ich, zerknü llte sie und steckte sie wieder in die Tasche.

Wir wuschen uns. Dann kam Kö ster zu mir ins Zimmer. Er sah aus, als wä re er gerade aufgestanden. »Du muß t dich anziehen, Robby«, sagte er.

»Ja. « Ich wachte aus meinem Brü ten auf und packte den Koffer aus. Wir gingen zum Sanatorium zurü ck. Karl stand noch drauß en. Kö ster hatte ihm eine Decke ü ber den Kü hler gehä ngt.

»Wann fahren wir zurü ck, Otto? « fragte ich.

Er blieb stehen. »Ich denke, ich fahre morgen abend oder ü bermorgen frü h. Du bleibst doch hier... «

»Wie soll ich das denn machen«, erwiderte ich verzweifelt. »Mein Geld reicht hö chstens fü r zehn Tage. Und fü r Pat ist das Sanatorium auch nur bis zum fü nfzehnten bezahlt. Ich muß zurü ck und verdienen. Hier brauchen sie wahrscheinlich keinen so schlechten Klavierspieler. «

Kö ster beugte sich ü ber Karls Kü hler und hob die Decke hoch. »Ich besorge dir Geld«, sagte er und richtete sich auf. »Deshalb kannst du ruhig hierbleiben. «

»Otto«, sagte ich, »ich weiß doch, was du von der ganzen Versteigerung ü brigbehalten hast. Keine dreihundert Mark. « »Das meine ich nicht. Ich kriege welches. Mach dir deswegen keine Sorgen. In acht Tagen hast du es hier. «

»Erbst du? « fragte ich mit trü bem Spott.

»So was Ä hnliches. Verlaß dich auf mich. Du kannst doch jetzt nicht wieder wegfahren. «

»Nein«, sagte ich. »Wü ß te nicht, wie ich ihr das beibringen sollte. «

Kö ster legte die Decke wieder ü ber den Kü hler Karls. Er strich leicht ü ber die Haube. Dann gingen wir in die Halle und setzten uns an den Kamin. »Wie spä t ist es eigentlich? «

fragte ich.

Kö ster sah nach der Uhr. »Halb sieben. «

»Merkwü rdig«, sagte ich. »Dachte, es wä re viel spä ter. «

Pat kam die Treppe herunter. Sie trug ihre Pelzjacke und ging rasch durch die Halle, um Kö ster zu begrü ß en. Ich bemerkte jetzt erst, wie braun sie war. Ihre Haut hatte die Farbe rö tlicher Bronze, und sie glich fast einer jungen, sehr hellen Indianerin. Aber ihr Gesicht war schmaler geworden, und die Augen glä nzten zu sehr.

»Hast du Fieber? « fragte ich.

»Etwas«, erwiderte sie rasch und ausweichend. »Abends hat hier jeder Fieber. Es ist nur, weil ihr gekommen seid.

Seid ihr mü de? «

»Wovon? «

»Dann gehen wir in die Bar, ja? Es ist doch das erstemal, daß ich hier oben Besuch habe. «

»Gibt's denn hier eine Bar? «

»Ja, eine kleine. Oder wenigstens eine Ecke, die so aussieht. Das gehö rt zur Behandlung. Alles vermeiden, was nach Krankenhaus aussieht. Man bekommt nichts, wenn man nicht darf. «

Die Bar war voll. Pat begrü ß te ein paar Leute. Ein Italiener fiel mir auf. Wir setzten uns an einen Tisch, der gerade frei wurde.

»Was willst du denn haben? « fragte ich.

»Einen Cocktail von Rum. So wie wir ihn immer in der Bar getrunken haben. Weiß t du das Rezept? «

»Das ist einfach«, sagte ich zu dem Mä dchen, das bediente.

»Halb Portwein, halb Jamaika-Rum. «

»Zwei«, rief Pat. »Und einen Spezial. «

Das Mä dchen brachte zwei Porto-Roncos und ein hellrotes Geträ nk.

»Das ist fü r mich«, sagte Pat. Sie schob uns den Rum zu. »Salute! «

Sie stellte ihr Glas hin, ohne getrunken zu haben, sah sich um, griff dann rasch nach meinem Glas und trank es aus. »Ach«, sagte sie, »wie gut das ist! «

»Was hast du denn da bestellt? « fragte ich und probierte die verdä chtig hellrote Sache. Sie schmeckte nach Himbeersaft und Zitrone. Es war kein Tropfen Alkohol drin. »Ganz gut«, sagte ich.

Pat sah mich an. »Gegen den Durst«, fü gte ich hinzu.

Sie lachte. »Bestell noch einen Porto-Ronco. Aber fü r dich. Ich bekomme keinen. «

Ich winkte dem Mä dchen. »Einen Porto-Ronco und einen Spezial«, sagte ich. Ich sah, daß an den Tischen ziemlich viel Spezial getrunken wurde.

»Heute darf ich, Robby, ja? « sagte Pat, »nur heute! So wie in den alten Zeiten. Ja, Kö ster? «

»Der Spezial ist ganz gut«, erwiderte ich und trank das zweite Glas davon aus.

»Ich hasse ihn! Armer Robby, was Schö nes muß t du hier trinken! «

»Wenn wir schnell genug bestellen, komme ich schon noch zu meinem Recht«, sagte ich.

Pat lachte. »Nachher zum Essen darf ich etwas trinken. Rotwein. «

Wir bestellten noch ein paar Porto-Roncos, dann gingen wir in den Speisesaal. Pat war wunderschö n. Ihr Gesicht leuchtete. Wir setzten uns an einen der kleinen, weiß gedeckten Tische neben den Fenstern. Es war warm, und unten lag das Dorf mit seinen beglä nzten Straß en im Schnee.

»Wo ist denn Helga Guttmann? « fragte ich.

»Abgereist«, sagte Pat nach einer Pause.

»Abgereist? So frü h? «

»Ja«, sagte Pat, und ich begriff, was sie meinte.

Das Mä dchen brachte den dunkelroten Wein. Kö ster schenkte die Glä ser voll. Die Tische waren jetzt alle besetzt. Ü berall saß en Menschen und plauderten. Ich fü hlte Pats Hand auf meiner. »Liebling«, sagte sie sehr leise und zä rtlich. »Ich konnte es nicht mehr aushalten. «

XXVI

 

Ich kam aus dem Zimmer des Chefarztes, Kö ster wartete auf mich in der Halle. Er stand auf, als er mich sah. Wir gingen nach drauß en und setzten uns auf eine Bank vor dem Sanatorium. »Es ist schlimm, Otto«, sagte ich. »Schlimmer, als ich gefü rchtet habe. «

Eine Gruppe Schilä ufer zog lä rmend dicht an uns vorü ber. Ein paar mit Ö l eingeschmierte Frauen mit krä ftigen, sonnverbrannten Gesichtern und breiten, weiß en Gebissen waren dabei. Sie schrien sich zu, daß sie Hunger wie die Wö lfe hä tten. Wir warteten, bis sie vorbei waren. »So was lebt natü rlich«, sagte ich. »Lebt und ist gesund bis in die Knochen. Zum Kotzen! «

»Hast du mit dem Chefarzt selbst gesprochen? « fragte Kö ster.

»Ja. Er hat mir alles sehr verklausuliert erklä rt, mit vielen Einschrä nkungen. Aber das Ergebnis ist, daß es schlechter geworden ist. Er behauptet zwar, es sei besser geworden. «

»Das verstehe ich nicht. «

»Er behauptet, wenn sie unten geblieben wä re, wü rde lä ngst alle Hoffnung verloren sein. Hier ist es langsamer gegangen. Das nennt er dann besser werden. «

Kö ster zog mit den Absä tzen seiner Schuhe Striche in den harten Schnee. Dann hob er den Kopf. »Er hat also Hoffnung? «

»Ein Arzt hat immer Hoffnung, das gehö rt zu seinem Beruf. Aber ich habe verdammt wenig mehr. Ich fragte ihn, ob er einen Pneumothorax gemacht hä tte. Er sagte, das ginge nicht mehr. Sie hä tte vor Jahren schon einen gehabt. Jetzt seien beide Lungen krank. Es ist verflucht, Otto. «

Eine alte Frau mit ausgetretenen Gummischuhen blieb vor unserer Bank stehen. Sie hatte ein blaues, eingefallenes Gesicht und erloschene, schieferfarbene Augen, die aussahen, als wä ren sie blind. Um den Hals hatte sie eine altmodische Federboa geschlungen. Langsam hob sie ein Lorgnon und betrachtete uns. Dann schlurfte sie weiter.



  

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