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Drei Kameraden 19 страница



»Verdammtes Licht«, sagte ich.

»Warum? « fragte Jaffé.

»Es geht nicht zusammen. Das eine und das andere. «

»Doch«, sagte Jaffé. »Es geht zusammen. «

Im nä chsten Zimmer lag eine rö chelnde Frau. Sie war nachmittags mit einer schweren Veronalvergiftung eingeliefert worden. Der Mann war am Tage vorher verunglü ckt. Er hatte sich die Wirbelsä ule gebrochen und war der Frau schreiend bei vollem Bewuß tsein ins Haus gebracht worden. Dort war er nachts gestorben.

»Kommt sie durch? « fragte ich.

»Wahrscheinlich. «

»Wozu? «

»Ich hatte in den letzten Jahren fü nf ä hnliche Fä lle«, sagte Jaffé. »Nur eine hat zum zweitenmal versucht, ein Ende zu machen. Mit Gas. Sie ist gestorben. Von den andern sind zwei wieder verheiratet. «

Im nä chsten Zimmer lag ein Mann, der seit zwö lf Jahren gelä hmt war. Er hatte eine wä chserne Haut, einen dü nnen schwarzen Bart und sehr groß e, stille Augen. »Wie geht es? « fragte Jaffé.

Der Mann machte eine unbestimmte Bewegung. Dann zeigte er auf das Fenster. »Sehen Sie den Himmel! Es wird Regen geben, ich spü re es. « Er lä chelte. »Man schlä ft besser, wenn es regnet. « Vor ihm auf der Bettdecke stand ein ledernes Schachspiel mit feststeckbaren Figuren. Ein Haufen Zeitungen und ein paar Bü cher lagen daneben.

Wir gingen weiter. Ich sah eine junge Frau mit entsetzten Augen und blauen Lippen, vollkommen zerrissen von einer schweren Geburt — ein verkrü ppeltes Kind mit verdrehten, schwachen Beinen und einem Wasserkopf — einen Mann ohne Magen — eine eulenhafte Greisin, die weinte, weil ihre Angehö rigen sich nicht um sie kü mmerten; sie starb ihnen zu langsam — eine Blinde, die glaubte, daß sie wieder sehen wü rde — syphilitisches Kind mit blutigem Ausschlag, und den Vater, der an seinem Bette saß — eine Frau, der am Morgen die zweite Brust abgenommen worden war — eine andere, krumm gezogen von Gelenkrheumatismus — eine dritte, der die Eierstö cke herausgeschnitten waren — einen Arbeiter mit zerquetschten Nieren — Zimmer um Zimmer ging es weiter, Zimmer um Zimmer war es dasselbe — stö hnende, verkrampfte Kö rper, regungslose, fast erloschene Gestalten, ein Knä uel, eine endlos scheinende Reihe von Jammer, Angst, Ergebung, Schmerz, Verzweiflung, Hoffnung, Not —; und jedesmal, wenn eine Tü r sich geschlossen hatte, stand auf dem Korridor dann plö tzlich wieder das rosige Licht des unirdischen Abends, immer wieder nach dem Grauen der Zimmerzellen diese zä rtliche Wolke aus weichem graugoldenem Glanz, von der man nicht sagen konnte, ob sie wie ein fü rchterlicher Hohn wirkte oder wie ein ü bermenschlicher Trost. Vor dem Eingang zum Operationssaal blieb Jaffé stehen. Scharfes Licht drang durch die Mattglasscheiben der Tü r. Zwei Krankenschwestern fuhren einen flachen Wagen herein. Eine Frau lag darauf. Ich begegnete ihrem Blick. Sie sah mich gar nicht an. Sie sah irgendwohin, in eine unbestimmte Ferne. Aber ich zuckte zusammen vor diesen Augen, so viel Tapferkeit und Fassung und Ruhe war darin.

Jaffé s Gesicht war plö tzlich mü de. »Ich weiß nicht, ob es richtig war«, sagte er, »aber es hä tte keinen Zweck gehabt, Sie mit Worten zu beruhigen. Sie hä tten mir nicht geglaubt. Sie haben jetzt gesehen, daß viele dieser Menschen schlimmer krank sind als Pat Hollmann. Manche von ihnen haben nichts mehr als ihre Hoffnung. Aber die meisten kommen durch. Werden wieder gesund. Das wollte ich Ihnen zeigen. «

Ich nickte. »Es war richtig«, sagte ich.

»Vor neun Jahren starb meine Frau. Sie war fü nfundzwanzig Jahre alt. Nie krank gewesen. Grippe. « Er schwieg einen Augenblick. »Sie verstehen, weshalb ich Ihnen das sage? «

Ich nickte wieder.

»Man kann nichts voraus wissen. Der Todkranke kann den Gesunden ü berleben. Das Leben ist eine sonderbare Angelegenheit. « Sein Gesicht war jetzt sehr faltig. Eine Schwester kam und flü sterte ihm etwas zu. Er reckte sich auf und nickte zum Operationssaal hinü ber.

»Ich muß jetzt da hinein. Zeigen Sie Pat nicht, wenn Sie Sorge haben. Das ist das wichtigste. Kö nnen Sie das? «

»Ja«, sagte ich.

Er gab mir die Hand und ging rasch mit der Schwester durch die Glastü r in den kalkweiß erleuchteten Saal.

Ich stieg langsam die vielen Treppen hinunter. Je tiefer ich kam, desto dunkler wurde es, und im ersten Stock brannte schon das elektrische Licht. Als ich dann auf die Straß e trat, sah ich, wie vom Horizont her noch einmal die rosafarbene Dä mmerung wie unter einem tiefen Atemzug aufwehte. Gleich darauf erlosch sie und wurde grau.

Ich blieb eine Zeitlang im Wagen sitzen und starrte vor mich hin. Dann nahm ich mich zusammen und fuhr zurü ck zur Werkstatt. Kö ster wartete auf mich vor dem Tor. Ich fuhr den Wagen in den Hof und stieg aus. »Wuß test du es schon? « fragte ich.

»Ja«, erwiderte er. »Aber Jaffé wollte es dir selber sagen. «

Ich nickte.

Kö ster sah mich an.

»Otto«, sagte ich, »ich bin kein Kind und weiß, daß noch nichts verloren ist. Aber es wird mir vielleicht doch schwer werden, mich heute abend nicht zu verraten, wenn ich mit Pat allein bleibe. Morgen geht es. Dann bin ich durch. Wollen wir heute alle zusammen irgendwohin gehen? «

»Selbstverstä ndlich, Robby. Ich habe schon daran gedacht und Gottfried Bescheid gesagt. «

»Dann gib mir Karl noch einmal. Ich fahre nach Hause und hole erst Pat ab, und dann, in einer Stunde, euch. «

»Gut. «

Ich fuhr los. In der Nikolaistraß e fiel mir ein, daß ich den Hund vergessen hatte. Ich drehte um und fuhr zurü ck, um ihn zu holen. Der Laden war nicht beleuchtet, aber die Tü r offen. Anton saß hinten im Laden auf einem Feldbett. Er hatte eine Flasche in der Hand. »Angeschissen hat Gustav mich«, sagte er und stank wie eine ganze Schnapsbrennerei.

Der Terrier sprang mir entgegen, beschnupperte mich und leckte mir die Hand. Seine Augen schimmerten grü n im schrä gen Schein, der von der Straß e hereinfiel. Anton stand auf. Er schwankte und weinte plö tzlich. »Mein Hü ndchen, jetzt gehst du auch weg — alles geht weg — Thilde tot — Minna weg — sagen Sie mal, wozu lebt unsereins eigentlich? «

Das hatte mir noch gefehlt! Die kleine, trostlose, elektrische Birne, die er jetzt anknipste, das leise Rascheln der Schildkrö ten und der Vö gel, und der kleine, gedunsene Mann in diesem Laden. »Die Dicken, die wissen ja — aber sagen Sie mal, wozu lebt unsereins ü berhaupt? Wozu leben wir Jammerpinscher, Herr? « Der Affe stieß einen Klagelaut aus und sprang wie ein Rasender auf seiner Stange hin und her. Sein Schatten sprang groß auf der Wand mit. »Koko«, schluchzte der kleine Mann, der allein in der Dunkelheit gesessen und getrunken hatte, »mein Einziger, komm! « Er hielt ihm die Flasche hin. Der Affe griff danach.

»Sie machen das Tier kaputt, wenn Sie ihm zu saufen geben«, sagte ich.

»Wennschon«, lallte er. »Paar Jahre lä nger an der Kette oder nicht — ist doch alles egal — alles egal — Herr... «

Ich nahm den Hund, der sich warm an mich drä ngte, und ging. Geschmeidig, mit langen, weichen Bewegungen, lief er neben mir her zum Wagen.

Ich fuhr nach Hause und ging vorsichtig, den Hund an der Leine, hinauf. Auf dem Korridor blieb ich stehen und schaute in den Spiegel. Mein Gesicht war wie sonst. Ich klopfte an Pats Tü r, ö ffnete sie ein wenig und ließ den Hund hinein.

Ich blieb drauß en stehen, hielt die Leine fest und wartete. Aber statt Pats Stimme hö rte ich unvermutet den Baß Frau Zalewskis. »Gott im Himmel. «

Aufatmend sah ich hinein. Ich hatte nur Angst vor der ersten Minute mit Pat allein gehabt. Jetzt war alles leicht. Frau Zalewski war ein Prellbock, auf den man sich verlassen konnte. Sie thronte majestä tisch am Tisch, eine Tasse Kaffee neben sich und ein Spiel Karten in mystischer Ordnung vor sich ausgebreitet. Pat hockte mit glä nzenden Augen an ihrer Seite und ließ sich die Zukunft weissagen. »Guten Abend«, sagte ich, plö tzlich sehr froh.

»Da kommt er«, erklä rte Frau Zalewski wü rdig. »Ü ber den kurzen Weg in der Abendstunde, neben sich einen schwarzen Herrn auf der Spitze des Hauses. «

Der Hund riß sich los und schoß bellend zwischen meinen Beinen hindurch ins Zimmer.

»Mein Gott! « rief Pat. »Das ist ja ein Irischer Terrier! «

»Alle Achtung! « sagte ich. »Vor ein paar Stunden habe ich das noch nicht gewuß t. «

Sie beugte sich hinunter, und der Hund sprang stü rmisch an ihr hoch.

»Wie heiß t er denn, Robby? «

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich Kognak oder Whisky oder so, nach seinem letzten Besitzer. «

»Gehö rt er uns? «

»Soweit ein lebendiges Wesen einem andern gehö ren kann, ja. «

Sie war ganz atemlos vor Freude.

»Wir werden ihn Billy nennen, Robby! Meine Mutter hatte einen als Mä dchen. Sie hat mir oft davon erzä hlt. Er hieß auch Billy! «

»Dann habe ich es ja gut getroffen«, sagte ich.

»Ist er stubenrein? « fragte Frau Zalewski.

»Er hat einen Stammbaum wie ein Fü rst«, erwiderte ich. »Und Fü rsten sind stubenrein. «

»Wenn sie klein sind, nicht. Wie alt ist er denn? «

»Acht Monate. Das ist soviel wie beim Menschen sechzehn Jahre. «

»Er sieht nicht stubenrein aus«, erklä rte Frau Zalewski.

»Er muß mal gewaschen werden, das ist alles. «

Pat stand auf und legte ihren Arm um Frau Zalewskis Schultern. Ich sah ihr perplex zu.

»Ich habe mir immer schon einen Hund gewü nscht«, sagte sie. »Wir kö nnen ihn doch behalten, nicht wahr? Sie haben doch nichts dagegen? «

Mutter Zalewski wurde zum erstenmal, seit ich sie kannte, verlegen.

»Na also — meinetwegen«, erwiderte sie. »Es stand ja auch in den Karten. Eine Ü berraschung ü ber einen Herrn ins Haus. «

»Stand auch drin, daß wir heute abend ausgehen? « fragte ich.

Pat lachte. »Soweit waren wir noch nicht, Robby. Wir waren erst bei dir. «

Frau Zalewski erhob sich und raffte ihre Karten zusammen. »Man kann dran glauben, man kann nicht dran glauben, und man kann verkehrt dran glauben, wie Zalewski. Dem stand Pik Neun als Unheilsbote immer ü ber dem flü ssigen Element. Er meinte deshalb, er mü ß te sich vor dem Wasser in acht nehmen. Aber es war der Schnaps und das Pilsener Bier. «

»Pat«, sagte ich, als sie fort war, und nahm sie fest in die Arme, »es ist wunderbar, nach Hause zu kommen und dich hier zu finden. Es ist immer wieder eine Ü berraschung fü r mich. Wenn ich das letzte Stü ck der Treppe emporsteige und die Tü r aufschließ e, habe ich stets Herzklopfen, daß es nicht wahr sein kö nnte. «

Sie blickte mich lä chelnd an. Sie antwortete fast nie, wenn ich ihr so etwas sagte. Ich hä tte es mir auch nicht vorstellen kö nnen und es schlecht ertragen, wenn sie mir vielleicht etwas Ä hnliches erwidert hä tte — ich fand, daß eine Frau einem Mann nicht sagen sollte, daß sie ihn liebte. Sie bekam nur strahlende, glü ckliche Augen, und damit sagte sie mehr als mit noch so vielen Worten.

Ich hielt sie lange fest, ich spü rte die Wä rme ihrer Haut und den leichten Duft ihres Haares — ich hielt sie fest, und es war nichts mehr da auß er ihr, die Dunkelheit wich zurü ck, sie war da, sie lebte, sie atmete, und nichts war verloren.

»Gehen wir wirklich fort, Robby? « fragte sie dicht an meinem Gesicht. »Alle zusammen sogar«, erwiderte ich, »Kö ster und Lenz auch. Karl steht schon vor der Tü r. «

»Und Billy? «

»Billy kommt natü rlich mit. Was sollen wir sonst mit dem Rest des Abendessens machen! Oder hast du schon gegessen? «

»Nein, noch nicht. Ich habe auf dich gewartet. «

»Du sollst aber nicht auf mich warten. Nie. Es ist schrecklich, auf etwas zu warten. «

Sie schü ttelte den Kopf. »Das verstehst du nicht, Robby. Es ist nur schrecklich, nichts zu haben, auf das man warten kann. «

Sie knipste das Licht vor dem Spiegel an. »Jetzt muß ich aber anfangen, mich umzuziehen, sonst werde ich nicht fertig. Ziehst du dich auch um? «

»Spä ter«, sagte ich, »ich bin ja rasch fertig. Laß mich noch etwas hierbleiben. «

Ich rief den Hund zu mir und setzte mich in den Sessel neben das Fenster. Ich liebte es, so still dazusitzen und Pat zuzusehen, wä hrend sie sich anzog. Nie empfand ich das Geheimnis des ewig Fremden der Frau mehr als bei diesem leisen Hin- und Hergehen vor dem Spiegel, diesem nachdenklichen Prü fen, diesem ganz In-sich-Versinken, diesem Zurü ckgleiten in den unbewuß ten Spü rsinn des Geschlechtes. Ich konnte mir nicht gut denken, daß eine Frau sich schwatzend und lachend ankleidete — und wenn sie es tat, dann fehlte ihr das Geheimnis und der undeutbare Zauber des immer wieder Entfliehenden. Ich liebte bei Pat ihre weichen und doch geschmeidigen Bewegungen vor dem Spiegel; es war wunderbar anzusehen, wie sie nach ihrem Haar griff oder einen Augenbrauenstift behutsam und vorsichtig wie einen Pfeil an die Schlä fen fü hrte. Sie hatte dann etwas von einem Reh und von einem schmalen Panther und auch etwas von einer Amazone vor dem Kampf. Sie vergaß alles um sich her, ihr Gesicht war ernst und gesammelt, sie hielt es aufmerksam und ruhig ihrem Spiegelbild entgegen, und wä hrend sie sich ihm ganz dicht zuneigte, schien es, als wä re es gar kein Spiegelbild mehr, als sä hen sich dort aus der Dä mmerung der Wirklichkeit und der Jahrtausende zwei Frauen mit uraltem, wissendem Blick kü hn und prü fend in die Augen.

Der frische Hauch des Abends wehte vom Friedhof durch das offene Fenster ins Zimmer. Ich saß still da, ich hatte nichts vergessen vom Nachmittag, ich wuß te alles noch genau — aber wenn ich zu Pat hinü bersah, dann spü rte ich, wie die dumpfe Traurigkeit, die wie ein Stein in mir heruntergesunken war, immer wieder ü berspü lt wurde von einer wilden Hoffnung, wie sie sich wandelte und sich seltsam damit vermischte, wie eines zum andern wurde, die Traurigkeit, die Hoffnung, der Wind, der Abend und das schö ne Mä dchen zwischen den beglä nzten Spiegeln und Leuchtern, ja, ich hatte einen Augenblick lang plö tzlich das sonderbare Empfinden, als ob erst das wirklich und in einem sehr tiefen Sinne das Leben sei und vielleicht sogar das Glü ck: Liebe mit so viel Schwermut, Furcht und schweigendem Wissen.

XIX

 

Ich stand am Parkplatz und wartete. Gustav kam mit seinem Wagen heran und stellte sich hinter mir auf. »Was macht der Kö ster, Robert? « fragte er.

»Dem geht's groß artig«, sagte ich.

»Und dir? «

Ich winkte miß mutig ab. »Mir wü rde es auch groß artig gehen, wenn ich mehr verdiente. Stell dir vor, zwei ganze Fü nfzigpfennigfuhren heute. «

Er nickte. »Es wird immer schlechter. Alles wird immer schlechter. Was das bloß noch geben soll! «

»Dabei mü ß te ich so notwendig Geld verdienen! « sagte ich. »Gerade jetzt! Viel Geld. «

Gustav kratzte sich am Kinn. »Viel Geld! « Dann sah er mich an. »Reell ist nirgendwo viel Moos zu holen, Robert. Nur durch Spekulationen. Wie wä re es mit dem Toto? Heute sind Rennen. Ich weiß da einen erstklassigen Laden. Habe neulich achtundzwanzigfaches Geld gemacht auf Aida. «

»Was, ist mir egal. Hauptsache ist, daß eine Chance da ist. «

»Hast du schon mal getippt? «

»Nein. «

»Dann hast du die Kinderhand! Damit ist was zu machen. « Er sah nach der Uhr. »Wollen wir los? Schaffen's grade noch. «

»Gut! « Seit der Sache mit dem Hund hatte ich starkes Vertrauen zu Gustav.

Das Wettbü ro war ein ziemlich groß er Raum. Rechts war ein Zigarrenladen abgeteilt, links befand sich der Totalisator.

Das Schaufenster hing voll von grü nen und rosafarbenen Sportzeitungen und mit der Schreibmaschine getippten Rennanzeigen. An einer Wand lief ein Pult mit ein paar Schreibaufsä tzen entlang. Dahinter waren drei Mä nner in wilder Bewegung. Einer schrie am Telefon herum, ein anderer rannte mit Zetteln in den Hä nden hin und her, und der dritte stand, eine Melone weit auf den Hinterkopf geschoben, eine dicke, schwarze, zerkaute Brasil zwischen den Zä hnen rollend, ohne Rock, mit aufgekrempelten Hemdsä rmeln hinter einem der Pulte und notierte die Einsä tze. Sein Hemd war von intensivstem Violett.

Zu meinem Erstaunen herrschte mä chtiger Betrieb. Es waren fast nur kleine Leute da, Handwerker, Arbeiter, kleine Beamte, ein paar Huren und Zuhä lter. Gleich an der Tü r hielt uns ein Mann mit schmutzigen grauen Gamaschen, grauer Melone und abgerissenem grauem Gehrock fest. »Von Bieling, Tips, die Herren? Todsicher! «

»Auf dem Mond«, erwiderte Gustav, der in dem Laden plö tzlich ein ganz anderes Gesicht bekam.

»Nur fü nfzig Pfennig«, drä ngte Bieling. »Kenne die Trainer persö nlich. Von frü her«, setzte er auf einen Blick von mir hinzu.

Gustav studierte bereits die Rennlisten. »Wann kommt Auteuil 'raus? « rief er zur Theke hinü ber.

»Fü nf Uhr«, quakte der Gehilfe.

»Philomene, bombiges Luder«, brummte Gustav. »Staatsgaul bei tiefem Gelä uf. « Er schwitzte bereits vor Aufregung. »Was ist das nä chste? « fragte er.

»Hoppegarten«, sagte jemand neben ihm.

Gustav studierte wieder. »Wir setzen als Anfang jeder zwei Eier auf Tristan, Sieg«, erklä rte er mir.

»Hast du denn eine Ahnung davon? « fragte ich.

»Ahnung? Ich kenne jeden Pferdehuf. «

»Und dann setzen Sie auf Tristan? « sagte jemand neben uns. »Fleiß iges Lieschen, Mann, die einzige Chance! Ich kenne Johnny Burns persö nlich. «

»Und ich«, gab Gustav zurü ck, »bin der Besitzer des Stalles Fleiß iges Lieschen selber. Ich weiß es noch besser. «

Er rief unsere Sä tze dem Mann am Pult zu. Wir erhielten einen Zettel und setzten uns vorn in das Lokal, wo ein paar Tische und Stü hle standen. Neben uns schwirrten alle mö glichen Namen durch die Luft. Ein paar Arbeiter diskutierten ü ber Rennpferde in Nizza, zwei Postschaffner studierten den Wetterbericht aus Paris, und ein Kutscher renommierte mit seinen Zeiten als Trabrennfahrer. Nur ein dicker Mann mit hochstehenden Haaren saß teilnahmslos an seinem Tisch und aß ein Brö tchen nach dem andern. Zwei andere lehnten an der Wand und sahen gierig zu. Sie hatten jeder ein Ticket in den Hä nden, aber ihre Gesichter waren so eingefallen, als hä tten sie seit Tagen nichts gegessen.

Das Telefon schrillte. Alles spitzte die Ohren. Der Gehilfe rief die Namen aus. Von Tristan war weit und breit nichts zu hö ren. »Verdammt«, sagte Gustav und lief rot an, »Salomon hat's gemacht. Wer hä tte das gedacht, Sie etwa? « fragte er ä rgerlich das Fleiß ige Lieschen. »Sie waren auch unter: ferner liefen... «

Von Bieling erschien zwischen uns. »Meine Herrschaften, hä tten Sie auf mich gehö rt — Salomon hä tte ich Ihnen gesagt! Nur Salomon! Wollen Sie zum nä chsten Rennen? «

Gustav hö rte gar nicht hin. Er hatte sich beruhigt und war mit dem Fleiß igen Lieschen in ein Fachgesprä ch verwickelt.

»Verstehen Sie was von Pferden? « fragte Bieling mich.

»Nichts«, sagte ich.

»Dann setzen Sie! Setzen Sie! Aber nur heute«, fü gte er flü sternd hinzu, »und nie wieder. Hö ren Sie auf mich. Setzen Sie — es ist ganz egal — Kö nig Lear oder Silbermotte — vielleicht auch L'heure bleue. Ich will nichts verdienen. Geben Sie mir nur etwas, wenn Sie gewinnen. « Er zitterte mit dem Kinn vor Spielleidenschaft. Ich kannte die Regel vom Poker her: Anfä nger gewannen oft. »Schö n«, sagte ich, »worauf? «

»Was Sie wollen — was Sie wollen... «

»L'heure bleue klingt nicht hä ß lich«, sagte ich, »also zehn Mark auf L'heure bleue. «

»Bist du verrü ckt? « fragte Gustav.

»Nein«, sagte ich.

»Zehn Eier auf diesen Kracher, aus dem sie schon lä ngst Wurst hä tten machen mü ssen? «

Das Fleiß ige Lieschen, das eben Gustav noch einen Abdecker genannt hatte, stimmte mit vollen Backen ein. »So was! Laeure blaeue setzt der! Das ist eine Kuh und kein Pferd, Herr! Maientraum vernascht den auf zwei Beinen, wie er will! Sieg? «

Bieling sah mich beschwö rend an und machte mir Zeichen.

»Sieg«, sagte ich.

»Laß dir begraben«, grunzte das Fleiß ige Lieschen verä chtlich.

»Mensch! « Auch Gustav sah mich an, als ob ich mich in einen Hottentotten verwandelt hä tte. »Gipsy II, das weiß doch ein Sä ugling im Mutterleib schon. «

»Ich bleibe bei meiner L'heure bleue«, erklä rte ich. Es wä re gegen alle geheimen Glü cksrittergesetze gewesen, jetzt noch zu wechseln.

Der Mann mit dem lila Hemd ü bergab mir meinen Zettel. Gustav und das Fleiß ige Lieschen betrachteten mich, als hä tte ich die Beulenpest. Sie rü ckten sichtbar von mir ab und drä ngten zum Pult, um dort mit gegenseitigem Hohngelä chter, in dem aber doch der Respekt der Fachleute voreinander steckte, Gipsy II und Maientraum zu tippen.

In diesem Augenblick kippte jemand um. Es war einer der mageren Leute, die vorn neben den Tischen gestanden hatten. Er rutschte an der Wand entlang und schlug hart auf die Erde. Die beiden Postschaffner hoben ihn auf und packten ihn auf einen Stuhl. Sein Gesicht war grauweiß. Der Mund stand offen.

»Jotte doch! « sagte eine der Huren, eine volle schwarze Person mit glattem Haar und niedriger Stirn, »hol mal einer 'n Becher Wasser. «

Ich wunderte mich, wie wenige Leute sich um den Ohnmä chtigen kü mmerten. Die meisten sahen nur flü chtig hin, dann wandten sie sich wieder den Wetten zu. »Kommt alle Augenblicke vor«, sagte Gustav. »Arbeitslose. Verwetten jeden Pfennig. Lauern immer auf das ganz groß e Geld, tausend zu zehn. «

Der Kutscher kam aus der Zigarrenabteilung mit einem Glas Wasser. Die schwarze Hure tauchte ihr Taschentuch hinein und wischte dem Mann damit ü ber die Stirn und die Schlä fen. Er seufzte und ö ffnete plö tzlich die Augen. Es hatte etwas Unheimliches, wie sie auf einmal lautlos wieder da waren in dem ganz erloschenen Gesicht — so, als blickte neugierig und kalt ein anderes, unbekanntes Wesen durch die Schlitze einer starren, grauweiß en Maske.

Das Mä dchen nahm das Glas Wasser und gab dem Mann zu trinken. Es hielt ihn dabei wie ein Kind im Arm. Dann langte sie dem teilnahmslosen Esser mit den hochstehenden Haaren ein Brö tchen vom Tisch. »Komm, iß mal — aber langsam, langsam — beiß mir nicht den Finger ab —; so, und nun trink wieder... «

Der Mann am Tisch schielte seinem Brö tchen nach, sagte aber nichts. Der andere bekam langsam wieder Farbe. Er aß noch eine Weile, dann taumelte er hoch. Das Mä dchen stü tzte ihn bis zur Tü r. Dann warf sie rasch einen Blick zurü ck und knipste ihre Handtasche auf. »Da, nun hau ab und friß lieber, statt zu wetten. «

Einer der Zuhä lter, der ihr die ganze Zeit den Rü cken gekehrt hatte, drehte sich um. Er hatte ein Raubvogelgesicht mit abstehenden Ohren und trug Lackschuhe und eine Sportmü tze.

»Was hast du ihm gegeben? « fragte er.

»Groschen. «

Er stieß sie mit dem Ellbogen vor die Brust. »Wird schon mehr gewesen sein! Nä chstens fragste mich. «

»Mach's halblang, Ede«, sagte ein anderer. Die Hure holte ihre Puderdose heraus und malte sich die Lippen. »Ist doch wahr«, sagte Ede.

Die Hure erwiderte nichts.

Das Telefon klingelte. Ich beobachtete Ede und paß te nicht auf. »Das nennt die Welt Schwein! « hö rte ich plö tzlich Gustav schmettern, »Herrschaften, das ist schon mehr als Schwein, das ist eine Riesenmuttersau mit zwanzig Ferkeln! « Er schlug mir auf die Schulter. »Hundertachtzig Eier hast du getrudelt, Mann Gottes! Dein Hottehü h mit dem komischen Namen hat's gemacht! «

»Was, tatsä chlich? « fragte ich.

Der Mann mit der zerkauten Brasilzigarre und dem farbenprä chtigen Hemd nickte sauer und nahm mir meinen Zettel ab. »Wer hat Ihnen den Tip gegeben? «

»Ich«, sagte Bieling eilig mit einem schrecklich demü tigen, erwartungsvollen Lä cheln und drä ngte sich mit einer Verbeugung vor. »Ich, wenn Sie gestatten — meine Beziehungen... «

»Na, Mensch... « Der Chef sah ihn gar nicht an und zahlte mir das Geld aus. Einen Augenblick entstand vö llige Stille im ganzen Raum. Alles sah zu. Sogar der unentwegte Esser hob den Kopf.

Ich steckte die Scheine ein. »Aufhö ren! « flü sterte Bieling. »Aufhö ren! « Er hatte rote Flecke im Gesicht. Ich schob ihm zehn Mark in die Hand. Gustav schmunzelte und boxte mich in die Rippen. »Siehst du, was habe ich dir gesagt! Muß t nur auf Gustav hö ren, dann scheffelst du Geld! «

Ich vermied es, den ehemaligen Sanitä tsgefreiten an Gipsy II zu erinnern. Es fiel ihm gleich darauf auch wohl selber ein. »Wollen losgehen«, sagte er, »ist heute kein richtiger Tag fü r Kü nstler. «

An der Tü r zupfte mich jemand am Ä rmel. Es war das Fleiß ige Lieschen. »Was wü rden Sie beim Maslowski-Gedä chtnisrennen tippen? « fragte er mit gierigem Respekt.

»Nur o Tannenbaum«, sagte ich und ging mit Gustav in die nä chste Kneipe, um auf die Gesundheit von L'heure bleue ein Glas zu trinken.

Eine Stunde spä ter hatte ich dreiß ig Mark wieder verloren. Ich hatte es doch nicht lassen kö nnen. Aber dann hö rte ich auf. Bieling steckte mir beim Fortgehen einen Zettel zu. »Wenn Sie mal irgendwas brauchen! Oder Ihre Bekannten.

Ich habe die Vertretung. « Es war eine Reklame fü r Heimkinos. »Ich vermittle auch den Verkauf getragener Garderobe«, rief er mir noch nach. »Barzahlung! «

Um sieben Uhr fuhr ich in die Werkstatt zurü ck. Karl stand auf dem Hof und rö hrte. »Gut, daß du kommst, Robby«, rief Kö ster, »wir wollen gerade 'raus und ihn ausprobieren! Steig ein. «

Die ganze Firma stand erwartungsvoll bereit. Otto hatte an Karl einiges verbessert und geä ndert, weil er in vierzehn Tagen mit ihm zu einem Bergrennen starten wollte. Jetzt sollte die erste Probefahrt erfolgen.

Wir stiegen ein. Jupp saß neben Kö ster, seine mä chtige Rennbrille vor dem Gesicht. Ihm wä re das Herz gebrochen, wenn er nicht mitgekonnt hä tte. Lenz und ich setzten uns nach hinten.

Karl stob davon. Wir erreichten die lange Ausfallstraß e und gingen auf hundertvierzig Kilometer. Lenz und ich bü ckten uns dicht auf die Lehnen der Vordersitze; es war ein Wind, daß man meinte, der Kopf wü rde einem weggerissen. Die Pappeln zu beiden Seiten der Straß e stü rzten vorü ber, die Reifen pfiffen, und der wunderbare Ton des Motors ging uns wie der wilde Schrei der Freiheit durch alle Knochen. Eine Viertelstunde spä ter sahen wir vor uns einen schwarzen Punkt, der rasch grö ß er wurde. Es war ein ziemlich schwerer Wagen, der eine Geschwindigkeit von ungefä hr achtzig bis hundert Kilometern hatte. Er lag nicht besonders gut auf der Straß e, sondern schwä nzelte hin und her. Die Strecke war ziemlich schmal. Kö ster ging deshalb mit dem Tempo herunter. Als wir auf hundert Meter heran waren und hupen wollten, sahen wir plö tzlich auf einem Seitenweg von rechts einen Motorradfahrer herankommen, der gleich darauf hinter einer Hecke vor der Kreuzung verschwand. »Verflucht! Das gibt was! « rief Lenz.

Im selben Augenblick sahen wir den Motorradfahrer auf der Straß e auftauchen, zwanzig Meter vor dem Wagen. Er hatte wahrscheinlich dessen Tempo unterschä tzt und versuchte deshalb jetzt, im Bogen vorher noch vorbeizukommen. Der Wagen ruckte scharf nach links, um so auszuweichen, aber das Motorrad rutschte jetzt ebenfalls nach links herü ber. Der Wagen wurde wieder nach rechts gerissen und streifte mit dem Kotflü gel das Motorrad, das herumflog. Der Fahrer stü rzte vornü ber auf die Straß e. Der Wagen schleuderte, kam nicht wieder in die Bahn, riß den Wegweiser um, knickte eine Laterne ab und prallte mit knatterndem Getö se gegen einen Baum.

Das alles geschah in wenigen Sekunden. Im nä chsten Augenblick waren wir mit unserm immer noch hohen Tempo heran, die Reifen knirschten, Kö ster warf Karl wie ein Pferd zwischen dem Motorradfahrer, dem Rad und dem querstehenden, dampfenden Wagen hindurch, er berü hrte links fast die Hand des Gestü rzten und rechts das Heck des Wagens, dann brü llte der Motor auf, zwang Karl wieder in die Gerade, die Bremsen kreischten, und es wurde still. »Gut gemacht, Otto«, sagte Lenz.

Wir liefen zurü ck und rissen die Tü ren des Wagens auf. Der Motor lief noch. Kö ster griff zum Schaltbrett und zerrte den Schlü ssel heraus. Das Keuchen der Maschine erstarb, und wir hö rten Stö hnen.



  

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