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Drei Kameraden 17 страницаSie stand eine Weile neben dem Tisch, das Gesicht gesenkt und die Hä nde aufgestü tzt. Dann hob sie den Kopf und blickte mich an. Ich sagte nichts. Sie ging langsam um den Tisch herum und legte mir die Hä nde auf die Schultern. »Alter Bursche«, sagte ich. Sie lehnte sich an mich. Ich hielt sie fest. »Jetzt werden wir die Sache mal angehen, was? « Sie nickte. Dann strich sie sich das Haar zurü ck. »War nur so ein Augenblick, Robby. « »Natü rlich. « Es klopfte. Das Dienstmä dchen kam mit dem Teewagen. »Das ist gut«, sagte Pat. »Willst du Tee? « fragte ich. »Nein, Kaffee, guten, starken Kaffee. « Ich blieb noch eine halbe Stunde. Dann wurde sie mü de. Ich sah es an ihren Augen. »Du solltest etwas schlafen«, schlug ich ihr vor. »Und du? « »Ich gehe nach Hause und schlafe auch etwas. Dann hole ich dich in zwei Stunden zum Essen ab. « »Du bist mü de? « fragte sie zweifelnd. »Ja, etwas. Es war heiß im Zuge. Ich muß nachher auch noch mal in die Werkstatt. « Sie fragte nichts mehr. Sie war sehr mü de und fiel nur so zusammen. Ich brachte sie zu Bett und deckte sie zu. Sie schlief sofort ein. Ich stellte die Rosen neben sie und legte auch die Karte Kö sters hinzu, damit sie gleich etwas hatte, um daran zu denken, wenn sie aufwachte. Dann ging ich. Unterwegs blieb ich vor einem Telefonautomaten stehen. Ich beschloß, Jaffé gleich jetzt anzurufen. Zu Hause war es schwierig. Da muß te ich damit rechnen, daß die ganze Pension zuhö rte. Ich nahm den Hö rer ab und meldete die Nummer der Klinik an. Nach einer Weile kam Jaffé an den Apparat. »Hier ist Lohkamp«, sagte ich und rä usperte mich. »Wir sind heute zurü ckgekommen. Seit einer Stunde sind wir wieder hier. « »Sind Sie mit dem Wagen gefahren? « fragte Jaffé. »Nein, mit der Bahn. « »So, und wie geht es? « »Gut«, erwiderte ich. Er ü berlegte einen Augenblick. »Ich werde Frä ulein Hollmann morgen untersuchen. Morgen vormittag um elf. Wollen Sie ihr das bestellen? « »Nein«, sagte ich. »Ich mö chte nicht, daß sie weiß, daß ich Sie angerufen habe. Sie wird sicher morgen selbst telefonieren. Vielleicht sagen Sie es ihr dann. « »Gut. Machen wir es so. Ich werde es ihr sagen. « Ich schob mechanisch das dicke, fettige Telefonbuch beiseite. Es lag auf einem kleinen, hö lzernen Pult. Darü ber waren mit Bleistift Telefonnummern an die Wand gekritzelt. »Darf ich dann morgen nachmittag bei Ihnen vorbeikommen? « fragte ich. Jaffé antwortete nicht. »Ich mö chte gern wissen, wie es mit ihr steht«, sagte ich. »Das kann ich Ihnen morgen noch nicht sagen«, erwiderte Jaffé. »Ich muß sie mindestens eine Woche lang beobachten. Aber ich werde Ihnen dann Bescheid geben. « »Danke. « Ich starrte immer noch auf das Pult vor mir. Jemand hatte da etwas gezeichnet. Ein dickes Mä dchen mit einem groß en Strohhut. Ella, du Ziege! stand darunter. »Muß sie inzwischen noch etwas Besonderes tun? « fragte ich. »Das werde ich morgen sehen. Aber ich glaube, sie ist mit der Pflege ganz gut aufgehoben in ihrer Wohnung. « »Ich weiß nicht. Ich habe gehö rt, daß die Leute nä chste Woche verreisen. Dann ist sie allein, nur mit dem Dienstmä dchen. « »So? Gut, dann werde ich morgen mit ihr auch darü ber sprechen. « Ich schob das Telefonbuch wieder ü ber die Zeichnung. »Glauben Sie, daß sie — daß sich so ein Anfall wiederholen kann? « Jaffé zö gerte eine Sekunde. »Mö glich ist es natü rlich«, sagte er dann, »aber es ist nicht wahrscheinlich. Ich werde Ihnen das erst sagen kö nnen, wenn ich sie genau untersucht habe. Ich rufe Sie dann an. « »Ja, danke. « Ich hä ngte den Hö rer an. Drauß en stand ich noch eine Weile auf der Straß e herum. Es war staubig und schwü l. Dann ging ich nach Hause. An der Tü r stieß ich auf Frau Zalewski. Sie kam wie eine Kanonenkugel aus dem Zimmer von Frau Bender geschossen. Als sie mich sah, stoppte sie. »Was, schon zurü ck? « »Wie Sie sehen. Ist inzwischen was gewesen? « »Fü r Sie nichts. Post auch nicht. Aber Frau Bender ist ausgezogen. « »So? Warum denn? « Frau Zalewski stemmte die Arme in die Seiten. »Weil es ü berall Lumpen gibt. Ins Christliche Hospiz ist sie gezogen. Mit ihrer Katze und ganzen sechsundzwanzig Mark Vermö gen. « Sie erzä hlte, daß das Kinderheim, in dem Frau Bender Sä uglingsschwester gewesen war, inzwischen verkracht sei. Der Leiter, ein Pastor, hatte unglü cklich an der Bö rse spekuliert. Frau Bender war entlassen worden und hatte dabei noch ihr rü ckstä ndiges Gehalt fü r zwei Monate eingebü ß t. »Hat sie schon was Neues gefunden? « fragte ich gedankenlos. Frau Zalewski sah mich nur an. »Na ja, natü rlich nicht«, sagte ich. »Ich habe ihr gesagt, sie kö nne ruhig wohnen bleiben. Mit dem Bezahlen eile es nicht. Aber sie wollte nicht. « »Arme Leute sind meistens ehrlich«, sagte ich. »Wer zieht denn da jetzt ein? « »Hasses. Es ist billiger als das Zimmer, das Hasses bis jetzt hatten. « »Und das von Hasses? « Sie zuckte die Achseln. »Mal sehen. Viel Hoffnung habe ich nicht, daß jemand kommt. « »Wann wird es denn frei? « »Morgen. Hasses sind schon am Umziehen. « »Was soll das Zimmer eigentlich kosten? « fragte ich. Mir war plö tzlich eine Idee gekommen. »Siebzig Mark. « »Viel zu teuer«, sagte ich, jetzt ganz wach. »Mit Morgenkaffee, zwei Brö tchen und reichlich Butter? « »Erst recht. Den Morgenkaffee Fridas mü ssen Sie abziehen. Fü nfzig, nicht einen Pfennig mehr. « »Wollen Sie es etwa mieten? « fragte Frau Zalewski. »Vielleicht. « Ich ging in meine Bude und betrachtete nachdenklich die Verbindungstü r zu dem Hasseschen Zimmer. Pat in der Zalewskischen Pension! Nein, das war nicht gut auszudenken! Aber trotzdem ging ich nach einer Weile hinü ber und klopfte an. Frau Hasse war da. Sie saß mitten in dem halbausgerä umten Zimmer vor dem Spiegel, einen Hut auf dem Kopf, und puderte sich. Ich begrü ß te sie und schaute mir dabei den Raum an. Er war grö ß er, als ich gedacht hatte. Jetzt, wo die Mö bel zum Teil heraus waren, sah man es erst. Die Tapeten waren einfarbig, hell und ziemlich neu, die Tü ren und Fenster frisch gestrichen, und der Balkon war sehr groß und schö n. »Was er mir jetzt zumutet, haben Sie ja wohl schon gehö rt«, sagte Frau Hasse. »In das Zimmer von der Person da drü ben soll ich ziehen! Diese Schande! « »Schande? « fragte ich. »Ja, Schande! « brach sie erregt los. »Sie wissen doch, daß wir uns nicht leiden konnten, und jetzt zwingt mich Hasse, in ihr Zimmer zu ziehen, ohne Balkon und nur mit einem Fenster. Bloß weil es billiger ist. Was meinen Sie, wie die in ihrem Christlichen Hospiz triumphiert! « »Ich glaube nicht, daß sie triumphiert. « »Doch, die triumphiert, diese falsche Sä uglingsschwester, dieses stille Wasser, die es faustdick hinter den Ohren hat! Und nebenan dazu noch diese Kokotte, diese Erna Bö nig! Und der Katzengestank! « Ich schaute verblü fft auf. Ein stilles Wasser mit Ohren? Es war merkwü rdig: Wirklich neu und bildkrä ftig im Ausdruck wurde der Mensch nur, wenn er schimpfte. Wie ewig gleichmä ß ig waren die Ausdrü cke der Liebe — und wie wechselvoll dagegen war die Skala der Flü che! »Katzen sind doch sehr saubere und schö ne Tiere«, sagte ich. »Ich war ü brigens eben in dem Zimmer. Es riecht nicht nach Katzen. « »So? « erwiderte Frau Hasse feindselig und schob ihren Hut zurecht, »das kommt dann ja wohl auf die Nase an. Aber ich denke nicht daran, noch was dazu zu tun! Soll er sich selbst die Mö bel 'rü berschleppen! Ich gehe aus! Wenigstens das will ich von diesem Hundeleben haben! « Sie stand auf. Ihr schwammiges Gesicht bebte derart vor Wut, daß der Puder herunterstä ubte. Ich sah, daß sie ihre Lippen sehr rot bemalt hatte und ü berhaupt mä chtig aufgedonnert war. Sie roch wie eine ganze Parfü merie, als sie hinausrauschte. Ich blickte ihr verdutzt nach. Dann schaute ich mir noch einmal genau das Zimmer an. Ich ü berlegte, wo man Pats Mö bel hinstellen kö nnte. Aber ich hö rte bald damit auf. Pat hier, immer hier, bei mir — ich konnte mir das nicht vorstellen! Ich wä re auch nie auf den Gedanken gekommen, wenn sie gesund gewesen wä re. So aber — ich ö ffnete die Tü r und maß den Balkon aus. Doch dann schü ttelte ich den Kopf und ging in meine Bude zurü ck. Sie schlief noch, als ich bei ihr eintrat. Ich setzte mich leise in einen Sessel neben das Bett, aber sie erwachte sofort. »Schade, ich habe dich aufgeweckt«, sagte ich. »Bist du die ganze Zeit hier gewesen? « fragte sie. »Nein. Eben erst wiedergekommen. « Sie dehnte sich und legte ihr Gesicht gegen meine Hand. »Das ist gut. Ich habe nicht gern, wenn man mir beim Schlafen zusieht. « »Das kann ich verstehen. Ich habe es auch nicht gern. Ich wollte dir auch nicht zusehen. Ich wollte dich nur nicht wecken. Willst du noch ein biß chen schlafen? « »Nein, ich bin ganz ausgeschlafen. Ich stehe gleich auf. « Ich ging in das Zimmer nebenan, wä hrend sie sich anzog. Es wurde drauß en langsam dunkel. Aus einem offenen Fenster gegenü ber quakte ein Grammophon den Hohenfriedberger Marsch. Ein Mann mit einer Glatze und mit Hosenträ gern bediente den Apparat. Er ging im Zimmer hin und her und machte zu der Musik Freiü bungen. Seine Glatze leuchtete aus dem Halbdunkel wie ein aufgeregter Mond. Ich sah gleichgü ltig zu. Ich fü hlte mich stumpf und traurig. Pat kam herein. Sie sah wunderschö n aus, ganz frisch und gar nicht mehr abgespannt. »Du siehst glä nzend aus«, sagte ich ü berrascht. »Ich fü hle mich auch gut, Robby. Als wenn ich eine ganze Nacht geschlafen hä tte. So etwas wechselt rasch bei mir. « »Ja, weiß Gott! Manchmal geht es so rasch, daß man kaum mitkommt. « Sie lehnte sich an meine Schulter und sah mich an. »Zu rasch, Robby? « »Nein. Hö chstens bei mir zu langsam. Ich bin oft etwas langsam, Pat. « Sie lä chelte. »Langsam ist fest. Und fest ist gut. « »Ich bin so fest wie ein Kork auf dem Wasser«, sagte ich. Sie schü ttelte den Kopf. »Du bist viel fester, als du glaubst. Du bist ü berhaupt ganz anders, als du denkst. Ich habe selten jemand gesehen, der so ü ber sich selber im Irrtum ist wie du. « Ich ließ ihre Schulter los. »Ja, Liebling«, sagte sie und nickte, »das ist wirklich so. Und nun komm, wir wollen jetzt essen gehen. « »Wohin wollen wir denn gehen? « fragte ich. »Zu Alfons. Ich muß all das wiedersehen. Ich habe das Gefü hl, als wä re ich eine Ewigkeit fortgewesen. « »Gut! « sagte ich. »Aber hast du auch den richtigen Hunger dafü r? Zu Alfons kann man nicht gehen ohne Hunger. Er wirft einen sonst 'raus. « Sie lachte. »Ich habe sogar einen furchtbaren Hunger. « »Dann los! « Ich war plö tzlich sehr froh. Der Einzug bei Alfons war triumphal. Er begrü ß te uns, verschwand gleich darauf und kam wieder, einen weiß en Kragen und eine grü ngepunktete Krawatte umgebunden. Das hä tte er beim deutschen Kaiser nicht gemacht. Er war auch selbst etwas verlegen ü ber dieses unerhö rte Zeichen von Dekadenz. »Also, Alfons, was gibt es Gutes? « fragte Pat und stemmte beide Hä nde auf den Tisch. Alfons schmunzelte, blies die Lippen auf und machte die Augen klein. »Sie haben Glü ck gehabt! Es gibt heute Krebse! « Er trat einen Schritt zurü ck, um die Wirkung zu beobachten. Sie war erstklassig. »Dazu ein Glas jungen Moselwein«, flü sterte er verzü ckt und trat noch einen Schritt zurü ck. Er erntete stü rmischen Beifall, merkwü rdigerweise auch von der Tü r her. Dort erschien nä mlich mit wildem gelbem Haar und sonnenverbrannter Nase gerade der grinsende Schä del des letzten Romantikers. »Gottfried? « schrie Alfons auf, »du? Persö nlich? Mensch, was fü r ein Tag! Komm an meine Brust! « »Jetzt kannst du was erleben«, sagte ich zu Pat. Die beiden stü rzten sich in die Arme. Alfons klopfte Lenz auf den Rü cken, daß es klang, als wä re nebenan eine Schmiede. »Hans«, schrie er dann zu dem Kellner hinü ber, »bring den Napoleon! « Er schleppte Gottfried zur Theke. Der Kellner brachte eine groß e, verstaubte Flasche heran. Alfons schenkte zwei Glä ser voll. »Prost, Gottfried, du verdammter Schweinebraten! « »Prost, Alfons, alter, guter Zuchthä usler! « Beide tranken die Glä ser auf einen Zug leer. »Erstklassig! « sagte Gottfried. »Ein Kognak fü r Madonnen! « »Eine Schande, ihn so 'runterzusaufen«, bestä tigte Alfons. »Aber wie soll man langsam trinken, wenn man sich freut! Komm, wir nehmen noch einen! « Er schenkte ein und hob das Glas. »Verfluchte, treulose Tomate, du! « Lenz lachte. »Mein alter, geliebter Alfons! « Alfons bekam feuchte Augen. »Noch einen, Gottfried«, sagte er bewegt. »Immer los! « Lenz hielt ihm sein Glas hin. »Zu dem Kognak sage ich erst nein, wenn ich den Kopf nicht mehr vom Fuß boden hochkriegen kann. « »Das ist ein Wort! « Alfons schenkte das dritte Glas ein. Etwas atemlos kam Lenz zurü ck an den Tisch. Er zog seine Uhr. »Zehn Minuten vor acht mit dem Citroen in der Werkstatt angekommen. Was sagt ihr dazu? « »Ein Rekord«, erwiderte Pat. »Jupp soll leben! Ich werde ihm ebenfalls eine Schachtel Zigaretten stiften. « »Und du kriegst dafü r eine Portion Krebse extra! « erklä rte Alfons, der Gottfried auf dem Fuß e gefolgt war. Dann ü bergab er uns eine Art von Tischtü chern. »Zieht eure Jacken mal aus und bindet das hier um! Die Dame erlaubt es doch, oder nicht? « »Ich halte es sogar fü r notwendig«, sagte Pat. Alfons nickte erfreut. »Sie sind eine vernü nftige Frau, das wuß te ich. Krebse muß man gemü tlich essen. Ohne Angst vor Flecken. « Er schmunzelte. »Sie selbst bekommen natü rlich etwas Eleganteres. « Der Kellner Hans brachte einen schneeweiß en Kü chenkittel. Alfons entfaltete ihn und half ihr hinein. »Steht Ihnen gut«, lobte er. »Heftig, heftig! « erwiderte sie und lachte. »Freut mich, daß Sie sich das gemerkt haben«, sagte Alfons wohlwollend. »Wä rmt einem das Herz. « »Alfons! « Gottfried knotete sich sein Tischtuch im Nacken zu, daß die Zipfel weit abstanden. »Vorlä ufig macht das hier nur den Eindruck eines Rasiersalons. « »Wird gleich anders. Aber erst etwas Kunst. « Alfons ging zum Grammophon. Gleich darauf donnerte der Pilgerchor aus dem »Tannhä user« los. Wir lauschten schweigend. Kaum war der letzte Ton verklungen, da ö ffnete sich die Kü chentü r, und der Kellner Hans erschien mit einer Schü ssel, so groß wie eine Kinderbadewanne. Sie dampfte und war voller Krebse. Er stellte sie keuchend auf den Tisch. »Bring mir auch eine Serviette«, sagte Alfons. »Du willst mit uns essen, Goldjunge? « rief Lenz. »Welche Auszeichnung! « »Wenn die Dame nichts dagegen hat? « »Im Gegenteil, Alfons! « Pat rü ckte ihren Stuhl beiseite, und er nahm neben ihr Platz. »Ganz gut, wenn ich neben Ihnen sitze«, sagte er etwas verlegen. »Ich bin nä mlich ziemlich flott im Zurechtmachen. Fü r eine Dame ist das ein biß chen langweilig. « Er griff in die Schü ssel und begann mit unheimlicher Geschwindigkeit fü r sie einen Krebs zu zerlegen. Er machte das mit seinen riesigen Hä nden so geschickt und elegant, daß sie nichts anderes zu tun hatte, als die ihr appetitlich mit der Gabel dargebotenen Bissen zu essen. »Schmeckt's? « fragte er. »Prachtvoll! « Sie hob ihr Glas. »Auf Ihr Wohl, Alfons. « Alfons stieß feierlich mit ihr an und trank sein Glas langsam aus. Ich sah sie an. Es wä re mir lieber gewesen, sie hä tte irgend etwas ohne Alkohol getrunken. Sie spü rte meinen Blick. »Salute, Robby«, sagte sie. Sie war wunderschö n, ganz leuchtend und froh. »Salute, Pat«, sagte ich und trank mein Glas aus. »Ist es nicht herrlich hier? « fragte sie und sah mich immer noch an. »Wunderbar! « Ich schenkte mir von neuem ein. »Prost, Pat! « Ein Schein ging ü ber ihr Gesicht. »Prost, Robby! Prost, Gottfried! « Wir tranken. »Guter Wein«, sagte Lenz. »Graacher Abtsberg vom letzten Jahr«, erklä rte Alfons. »Freut mich, daß du ihn verstehst! « Er holte einen zweiten Krebs aus der Schü ssel und hielt Pat die Schere geö ffnet hin. Sie wehrte ab. »Den mü ssen Sie selbst essen, Alfons. Sie bekommen ja sonst nichts. « »Spä ter. Ich bin dafü r ja viel schneller als die andern. « »Also gut. « Sie nahm die Schere. Alfons strahlte vor Vergnü gen und versorgte sie weiter. Es sah aus, als wenn ein alter groß er Uhu einen kleinen weiß en Nestvogel fü tterte. Wir tranken zum Schluß alle noch einen Napoleon und verabschiedeten uns dann von Alfons. Pat war glü cklich. »Es war herrlich! « sagte sie. »Ich danke Ihnen auch vielmals, Alfons. Es war wirklich herrlich! « Sie gab ihm die Hand. Alfons murmelte etwas und kü ß te ihr die Hand. Lenz fielen vor Erstaunen darü ber fast die Augen aus dem Kopf. »Kommt bald wieder«, sagte Alfons. »Du auch, Gottfried! « Drauß en stand klein und verlassen unter der Laterne der Citroen. »Oh«, sagte Pat und blieb stehen. Es zuckte ü ber ihr Gesicht. »Ich habe ihn nach seiner Leistung heute Herkules getauft! « Gottfried ö ffnete den Schlag. »Soll ich euch nach Hause fahren? « »Nein«, sagte Pat. »Das habe ich mir gedacht. Wo wollen wir denn hin? « »In die Bar. Oder nicht, Robby? « Sie wandte sich nach mir um. »Natü rlich«, sagte ich, »natü rlich gehen wir noch in die Bar. « Wir fuhren sehr langsam durch die Straß en. Es war warm und klar. Vor den Cafes saß en die Leute. Musik wehte herü ber. Pat saß neben mir. Ich begriff plö tzlich nicht, daß sie wirklich krank sein sollte, es wurde mir ganz heiß dabei, aber ich konnte es einen Augenblick lang nicht begreifen. In der Bar trafen wir Ferdinand und Valentin. Ferdinand war glä nzender Laune. Er stand auf und ging Pat entgegen. »Diana«, sagte er, »heimgekehrt aus den Wä ldern... « Sie lä chelte. Er legte ihr den Arm um die Schultern. »Brä une kü hne Jä gerin mit dem silbernen Bogen — was wollen wir trinken? « Gottfried schob Ferdinands Arm beiseite. »Pathetiker kennen keinen Takt«, sagte er. »Die Dame ist in Begleitung von zwei Herren, das hast du wohl noch nicht bemerkt, du braver Auerochse! « »Romantiker sind nur ein Gefolge — nie eine Begleitung«, erklä rte Grau unerschü ttert. Lenz grinste und wandte sich an Pat. »Ich werde Ihnen jetzt einmal etwas Besonderes mischen. Einen Kolibri-Cocktail. Eine Spezialitä t aus Brasilien. « Er ging zur Bartheke, mischte allerlei Sachen und brachte den Cocktail dann heran. »Wie schmeckt er? « fragte er. »Etwas dü nn, trotz Brasilien«, erwiderte Pat. Gottfried lachte. »Dabei ist er sehr krä ftig. Mit Rum und Wodka gemacht. « Ich sah mit einem Blick, daß weder Rum noch Wodka darin war — es war Fruchtsaft, Zitrone, Tomatenmark und vielleicht noch ein Tropfen Angostura. Ein alkoholfreier Cocktail. Aber Pat merkte es gottlob nicht. Sie bekam drei groß e Kolibris, und ich sah, wie wohl sie sich fü hlte, weil sie nicht als Kranke behandelt wurde. Nach einer Stunde brachen wir alle auf, nur Valentin blieb sitzen. Lenz hatte das so gemacht. Er verfrachtete Ferdinand in den Citroen und dampfte ab. Es sah so nicht so aus, als wenn Pat und ich frü her gingen. Es war alles sehr rü hrend, aber mir wurde doch einen Augenblick hundeelend dabei. Pat nahm meinen Arm. Sie ging mit ihren schö nen geschmeidigen Schritten neben mir her, ich spü rte die Wä rme ihrer Hand, ich sah den Schimmer der Laternenlichter ü ber ihr belebtes Gesicht gleiten — nein, ich konnte es nicht begreifen, daß sie krank war, ich konnte es nur tagsü ber begreifen, aber abends nicht, wenn das Leben zä rtlicher und wä rmer und verheiß ungsvoller war... »Wollen wir noch ein biß chen zu mir gehen? « fragte ich. Sie nickte. Der Korridor unserer Pension war hell erleuchtet. »Verdammt noch mal«, sagte ich, »was ist denn da los? Warte mal einen Moment. « Ich schloß auf und sah nach. Der Korridor lag kahl erleuchtet da wie eine schmale Vorstadtstraß e. Die Tü r des Zimmers von Frau Bender stand weit offen, und auch da brannte Licht. Wie eine schwarze kleine Ameise tappte Hasse den Flur hinunter, gebü ckt unter einer Stehlampe mit rosa Seidenschirm. Er zog um. »Guten Abend«, sagte ich. »So spä t noch? « Er hob sein blasses Gesicht mit dem sanften, dunklen Schnurrbart empor. »Ich bin erst vor einer Stunde aus dem Bü ro gekommen. Und ich habe ja nur abends Zeit fü r das Umrä umen. « »Ist Ihre Frau denn nicht da? « Er schü ttelte den Kopf. »Sie ist bei einer Freundin. Gott sei Dank, sie hat jetzt eine Freundin, mit der sie viel zusammen ist. « Er lä chelte arglos und zufrieden und tappte weiter. Ich holte Pat herein. »Ich glaube, wir machen lieber kein Licht, was? « fragte ich in meinem Zimmer. »Doch, Liebling. Einmal ganz kurz, dann kannst du es wieder ausmachen. « »Du bist ein unersä ttlicher Mensch«, sagte ich, tauchte kurz die rote Plü schherrlichkeit in grelles Licht und machte es schleunigst wieder aus. Die Fenster standen offen, und von den Bä umen drauß en hauchte die Nachtluft frisch wie aus einem Walde herein. »Schö n«, sagte Pat und kauerte sich in die Ecke der Fensterbank. »Findest du es wirklich schö n hier? « »Ja, Robby. Wie in einem groß en Park im Sommer. Es ist herrlich. « »Hast du dir im Vorbeigehen das Zimmer nebenan einmal angesehen? « fragte ich. »Nein, warum? « »Hier links dieser prachtvolle, groß e Balkon gehö rt dazu. Er ist ganz abgedeckt und ohne Gegenü ber. Wenn du da jetzt wohntest, brauchtest du nicht einmal einen Badeanzug fü r deine Sonnenbä der. « »Ja, wenn ich da wohnte... « »Das kannst du«, sagte ich leichthin. »Du hast ja gesehen, das Zimmer wird in den nä chsten Tagen frei. « Sie sah mich an und lä chelte. »Glaubst du, daß so etwas richtig wä re fü r uns? Dauernd so nahe zusammen zu sein? « »Wir wä ren ja gar nicht dauernd zusammen«, erwiderte ich. »Tagsü ber bin ich doch ü berhaupt nicht da. Abends auch oft nicht. Aber wenn wir dann schon mal zusammen wä ren, brauchten wir nicht in Lokalen zu sitzen oder uns immer wieder so rasch zu trennen, als wä ren wir beieinander nur zu Besuch. « Sie rü hrte sich ein wenig in ihrer Ecke. »Das klingt ja beinahe so, als hä ttest du es dir schon genau ü berlegt, Liebling. « »Habe ich auch«, sagte ich. »Den ganzen Abend schon. « Sie richtete sich auf. »Meinst du es wirklich im Ernst, Robby? « »Zum Donnerwetter, ja«, sagte ich, »merkst du das immer noch nicht? « Sie schwieg einen Augenblick. »Robby«, sagte sie dann, und ihre Stimme war tiefer als vorher, »wie kommst du gerade jetzt darauf? « »Ich komme darauf«, erwiderte ich, heftiger als ich wollte, denn ich fü hlte plö tzlich, daß jetzt die Entscheidung kam ü ber vieles mehr noch als ü ber das Zimmer, »ich komme darauf, weil ich gesehen habe in diesen letzten Wochen, wie wunderbar es ist, ganz zusammen zu sein. Ich kann das nicht mehr ertragen, dieses stundenweise Treffen! Ich will mehr von dir haben! Ich will, daß du immer bei mir sein sollst, ich habe keine Lust mehr auf das kluge Versteckspiel der Liebe, es ist mir zuwider, ich brauche es nicht, ich will einfach dich und nochmals dich, ich werde nie genug kriegen von dir, und ich will nicht eine einzige Minute davon entbehren. « Ich hö rte ihren Atem. Sie hockte in der Fensterecke, die Hä nde um die Knie gelegt, und schwieg. Langsam flackerte der rote Schein der Lichtreklame von gegenü ber hinter den Bä umen hoch und warf einen matten Widerschein auf ihre hellen Schuhe. Dann wanderte er ü ber ihren Rock und ihre Hä nde. »Du kannst mich ruhig auslachen«, sagte ich. »Auslachen? « erwiderte sie. »Na ja, weil ich immer sage: Ich will. Du muß t schließ lich ja auch wollen. « Sie sah auf. »Weiß t du, daß du dich verä ndert hast, Robby? « »Nein. « »Doch. Du sagst es ja selbst. Du willst. Du fragst nicht mehr so viel. Du willst einfach. « »Das ist doch keine so groß e Verä nderung. Du kannst ja trotzdem nein sagen, auch wenn ich noch so sehr will. « Sie beugte sich plö tzlich zu mir vor. »Warum sollte ich denn nein sagen, Robby«, sagte sie mit sehr warmer und zä rtlicher Stimme, »ich will es ja auch... « Ü berrascht nahm ich sie um die Schultern. Ihr Haar streifte mein Gesicht. »Ist das wahr, Pat? « »Aber ja, Liebling. « »Verdammt«, sagte ich, »das hatte ich mir viel schwerer vorgestellt. « Sie schü ttelte den Kopf. »Es liegt doch nur an dir, Robby... « »Ich glaube beinahe auch«, sagte ich erstaunt. Sie legte den Arm um meinen Nacken. »Manchmal ist es ganz gut, an nichts denken zu mü ssen. Nicht alles selbst tun zu brauchen. Sich anlehnen zu kö nnen. Ach, Liebling, es ist alles eigentlich ganz leicht; — man muß es sich nur nicht selber schwer machen. « Ich muß te einen Augenblick die Zä hne zusammenbeiß en. Daß gerade sie mir das sagte! »Stimmt«, sagte ich dann, »stimmt, Pat. « Es stimmte gar nicht. Wir standen noch eine Weile am Fenster. »Deine Sachen nehmen wir alle mit«, sagte ich. »Du sollst hier nichts entbehren. Sogar einen Teewagen schaffen wir uns an. Frida wird das schon lernen. « »Wir haben ja einen, Liebling. Er gehö rt ja mir. « »Um so besser. Dann werde ich morgen gleich mit Frida trainieren. « Sie lehnte den Kopf gegen meine Schulter. Ich spü rte, daß sie mü de war. »Soll ich dich jetzt nach Hause bringen? « fragte ich. »Gleich. Ich lege mich nur noch einen Augenblick hin. « Sie lag ruhig, ohne zu sprechen, auf dem Bert, als schliefe sie. Aber ihre Augen waren offen, und manchmal fing sich in ihnen der Reflex der Lichtreklamen, die wie bunte Nordlichter lautlos ü ber die Wä nde und die Decke glitten. Es war drauß en still geworden. Nebenan hö rte man ab und zu Hasse rumoren unter den Resten seiner Hoffnungen, seiner Ehe und wohl auch seines Lebens. »Du solltest gleich hierbleiben«, sagte ich. Sie richtete sich auf. »Heute nicht, Liebling... « »Ich hä tte viel lieber, wenn du hier bliebest... « »Morgen... « Sie stand auf und ging leise durch das dunkle Zimmer. Ich dachte an den Tag, als sie zum erstenmal bei mir geblieben und in der grauen Dä mmerung der Frü he ebenso still durch das Zimmer gegangen war, um sich anzuziehen. Ich wuß te nicht, was es war, aber es hatte etwas rü hrend Selbstverstä ndliches und fast Erschü tterndes an sich, es war wie eine Gebä rde aus sehr fernen, verschü tteten Zeiten, wie der schweigende Gehorsam unter ein Gebot, das niemand mehr kennt. Sie kam zurü ck aus der Dunkelheit zu mir und nahm mein Gesicht in ihre Hä nde. »Es war schö n bei dir, Liebling. Sehr schö n. Es ist gut, daß du da bist. « Ich erwiderte nichts. Ich konnte nichts erwidern. Ich brachte sie nach Hause und ging dann zurü ck in die Bar. Kö ster war da. »Setz dich«, sagte er. »Wie geht's? « »Nicht besonders, Otto. « »Willst du was trinken? « »Wenn ich trä nke, mü ß te ich viel trinken. Das will ich nicht. Es muß auch so gehen. Aber ich kö nnte etwas anderes machen. Ist Gottfried mit dem Taxi unterwegs? « »Nein. « »Gut. Dann werde ich noch ein paar Stunden damit losfahren. « »Ich gehe mit 'runter«, sagte Kö ster. Ich holte den Wagen heraus und verabschiedete mich von Otto. Dann fuhr ich an den Stand. Vor mir parkten zwei Wagen. Nachher kamen noch Gustav und Tommy, der Schauspieler, dazu. Dann gingen die beiden vorderen Wagen ab, und kurz darauf bekam ich auch eine Fuhre. Ein junges Mä dchen, das ins Vineta wollte. Das Vineta war ein populä res Tanzbums, mit Tischtelefon, Rohrpost und ä hnlichen Sachen fü r Provinzler. Es lag etwas abseits von den andern Lokalen in einer dunklen Straß e.
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