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Drei Kameraden 16 страница



Die Straß e wurde feucht. Auf der lehmigen Straß e schwä nzelte der Wagen und schleuderte. Kö ster muß te mit dem Tempo herunter. Dafü r ging er nachher noch schä rfer in die Kurven. Er fuhr nicht mehr mit dem Kopf; er fuhr nur noch mit dem Instinkt. Die Scheinwerfer leuchteten die Kurven nur zur Hä lfte aus. In dem Moment, wo der Wagen drehte, war die Kurve schwarz und ohne Sicht. Kö ster half sich mit dem Sucher; aber der Strahl war sehr schmal. Der Arzt schwieg. Plö tzlich flirrte die Luft vor den Scheinwerfern, sie bekam Farbe, blasses Silber, wolkige Schleier. Es war der einzige Augenblick, wo Jaffé Kö ster fluchen hö rte. Eine Minute spä ter waren sie im dichten Nebel.

Kö ster blendete die Scheinwerfer ab. Sie schwammen in Watte, Schatten huschten hindurch, Bä ume, undeutliche Schemen in einem milchigen Meer, es gab keine Straß e mehr, nur Zufall und Ungefä hr, Schatten, die wuchsen und schwanden im Gebrü ll des Motors.

Als sie nach zehn Minuten herauskamen, war Kö sters Gesicht verfallen. Er sah Jaffé an und murmelte etwas. Dann ging er mit vollem Gas weiter, geduckt, kalt und wieder beherrscht...

Wie Blei brü tete die klebrige Wä rme in der Stube. »Hö rt es noch nicht auf? « fragte ich.

»Nein«, sagte der Arzt.

Pat sah mich an. Ich lä chelte ihr zu. Es wurde eine Grimasse. »Noch eine halbe Stunde«, sagte ich.

Der Arzt blickte auf. »Noch anderthalb Stunden, wenn nicht zwei. Es regnet. «

Die Tropfen rauschten leise singend in die Blä tter und Bü sche des Gartens. Ich sah mit geblendeten Augen hinaus. Wie lange war das her, daß wir nachts aufgestanden waren und uns zwischen Levkojen und Goldlackbü sche gekauert hatten und Pat kleine Kinderlieder gesummt hatte. Wie lange war es her, daß der Weg weiß im Mond leuchtete und Pat wie ein schmales Tier zwischen den Bü schen entlanglief...

Ich ging zum hundertsten Male vor die Tü r. Es war sinnlos, ich wuß te es; aber es verkü rzte das Warten. Die Luft war diesig. Ich fluchte; ich wuß te, was das fü r Kö ster hieß. Ein Vogel schrie durch den Dunst. »Halt's Maul! « knurrte ich. Die Geschichten von Totenvö geln fielen mir ein. »Unsinn«, sagte ich laut und frö stelte trotzdem. Ein Kä fer summte irgendwo — aber er kam nicht nä her — er kam nicht nä her. Er summte gleichmä ß ig leise; jetzt setzte er einmal aus — jetzt war er wieder da — jetzt noch einmal — ich zitterte plö tzlich —, das war kein Kä fer, das war ein sehr weiter Wagen, der mit hohen Touren in die Kurve ging. Ich stand stocksteif, ich hielt den Atem an, um besser hö ren zu kö nnen: Wieder — wieder — das leise, hohe Summen, wie eine zornige Wespe. Und jetzt stä rker, ich unterschied den Ton des Kompressors deutlich: Da stü rzte der bis zum Zerreiß en gespannte Horizont zusammen in eine weiche Unendlichkeit, er begrub die Nacht unter sich, die Angst, das Grauen — ich sprang zurü ck, ich hielt mich an der Tü r, ich sagte: »Sie kommen! Doktor, Pat, sie kommen. Ich hö re sie schon! «

Der Arzt hatte mich schon den ganzen Abend fü r ziemlich verrü ckt gehalten. Er stand auf und horchte ebenfalls. »Es wird ein anderer Wagen sein«, sagte er schließ lich.

»Nein, ich kenne den Motor. «

Er sah mich gereizt an. Er schien sich fü r einen Autofachmann zu halten. Er war geduldig und vorsichtig wie eine Mutter mit Pat; aber sowie ich von Autos redete, funkelte er mich durch seine Brille an und wuß te es besser. »Unmö glich«, sagte er kurz und ging wieder hinein.

Ich blieb drauß en. Ich zitterte vor Erregung. »Karl! Karl! « sagte ich. Jetzt wechselten gedä mpfte und heulende Schlä ge — der Wagen muß te im Dorf sein, er fuhr in irrsinnigem Tempo zwischen den Hä usern durch. Jetzt wurde das Heulen schwä cher; er war hinter dem Wald — und jetzt schwoll es an, rasend, jubelnd, ein heller Strich wischte durch den Nebel, die Scheinwerfer, ein Donnern, der Arzt stand fassungslos neben mir, jä h blendete uns das voll heranschieß ende Licht, und mit knirschendem Ruck hielt der Wagen vor der Gartentü r. Ich rannte hin. Der Professor stieg gerade aus. Er beachtete mich nicht, sondern ging auf den Arzt zu. Hinter ihm kam Kö ster. »Wie geht es ihr? « sagte er.

»Sie blutet noch. « »Kommt vor«, sagte er, »brauchst dich noch nicht zu ä ngstigen. « Ich schwieg und sah ihn an. »Hast du eine Zigarette? « fragte er. Ich gab sie ihm. »Gut, daß du gekommen bist, Otto. «

Er rauchte mit tiefen Zü gen. »Dachte, es wä re besser so. «

»Du bist sehr schnell gefahren. «

»Es ging. Hatte bloß ein Stü ck Nebel. «

Wir saß en auf der Bank nebeneinander und warteten. »Denkst du, daß sie durchkommt? « fragte ich.

»Natü rlich. Eine Blutung ist nicht gefä hrlich. «

»Sie hat mir nie etwas davon gesagt. «

Kö ster nickte. »Sie muß durchkommen, Otto«, sagte ich.

Er sah nicht auf. »Gib mir noch eine Zigarette«, sagte er, »ich habe vergessen, meine einzustecken. «

»Sie muß durchkommen«, sagte ich, »sonst ist alles Scheiß e. «

Der Professor kam heraus. Ich stand auf. »Verdammt will ich sein, wenn ich noch einmal mit Ihnen fahre«, sagte er zu Kö ster.

»Entschuldigen Sie«, sagte Kö ster, »es ist die Frau meines Freundes. «

»So«, sagte Jaffé und sah mich an.

»Kommt sie durch? « fragte ich.

Er betrachtete mich aufmerksam. Ich blickte zur Seite. »Glauben Sie, daß ich so lange hier bei Ihnen stü nde, wenn sie nicht durchkä me? « sagte er.

Ich biß die Zä hne zusammen. Ich preß te die Fä uste ineinander. Ich weinte. »Entschuldigen Sie«, sagte ich, »es geht etwas zu schnell. «

»So was kann gar nicht schnell genug gehen«, sagte Jaffé und lä chelte.

»Nimm's nicht ü bel, Otto«, sagte ich, »daß ich flenne. «

Er drehte mich bei den Schultern um und stieß mich zur Tü r hin.

»Geh mal da 'rein. Wenn der Professor es erlaubt. «

»Bin schon fertig«, sagte ich, »kann ich 'rein? «

»Ja, aber nicht sprechen«, antwortete Jaffé, »und nur einen Augenblick. Sie darf sich nicht aufregen. «

Ich sah nichts als einen schwimmenden Lichtschein im Wasser.

Ich blinzelte. Das Licht schwankte, glitzerte. Ich wagte nicht, mir die Augen zu wischen, damit Pat nicht meinte, ich weinte, weil es so schlecht stü nde. Ich versuchte nur ein Lachen in das Zimmer hinein.

Dann drehte ich mich rasch wieder um.

»War es richtig, daß Sie kamen? « fragte Kö ster.

»Ja«, sagte Jaffé, »es war besser. «

»Ich kann Sie morgen frü h wieder mit zurü cknehmen. «

»Lieber nicht«, sagte Jaffé.

»Ich werde vernü nftig fahren. «

»Ich will noch einen Tag bleiben und die Sache beobachten. Ist Ihr Bett frei? « fragte er mich. Ich nickte.

»Gut, dann schlafe ich hier. Kö nnen Sie im Dorf unterkommen? «

»Ja. Soll ich Ihnen eine Zahnbü rste und einen Pyjama besorgen? «

»Nicht nö tig. Habe alles bei mir. Bin immer auf so was vorbereitet. Wenn auch nicht gerade auf Rennen. «

»Entschuldigen Sie«, sagte Kö ster, »ich kann mir gut denken, daß Sie ä rgerlich sind. «

»Bin ich nicht«, sagte Jaffé.

»Dann tut's mir leid, daß ich Ihnen nicht gleich die Wahrheit gesagt habe. «

Jaffé lachte. »Sie haben eine schlechte Meinung von Ä rzten. Und nun gehen Sie ruhig. Ich bleibe hier. «

Ich holte rasch ein paar Sachen fü r Kö ster und mich. Wir gingen ins Dorf. »Bist du mü de? « fragte ich.

»Nein«, sagte er, »wir wollen uns noch irgendwo hinsetzen. «

Nach einer Stunde wurde ich unruhig. »Wenn er dableibt, ist es doch sicher gefä hrlich, Otto«, sagte ich. »Weshalb sollte er es sonst tun... «

»Ich glaube, er bleibt aus Vorsicht da«, antwortete Kö ster. »Er mag Pat sehr gern. Er hat es mir erzä hlt, als wir hier einfuhren. Er hat schon ihre Mutter behandelt... «

»Hat die denn auch... «

»Ich weiß nicht«, sagte Kö ster rasch, »kann auch was anderes gewesen sein. Wollen wir schlafen gehen? «

»Geh ruhig, Otto. Ich mö chte doch noch mal — nur so von weitem... «

»Schö n. Ich geh' mit. «

»Ich will dir was sagen, Otto. Ich schlafe sehr gern drauß en bei dem warmen Wetter. Laß dich nicht stö ren. Hab's letzthin schon ö fter gemacht. «

»Es ist ja naß. «

»Das macht nichts. Ich mach' Karls Verdeck hoch und setze mich da ein biß chen 'rein. «

»Gut. Ich schlafe auch gern mal drauß en. «

Ich merkte, daß ich ihn nicht loswurde. Wir packten ein paar Decken und Kissen zusammen und gingen zurü ck zu Karl. Wir machten die Gurtbä nder los und drü ckten die Vordersitze nach hinten. So konnte man ganz gut liegen. »Besser als manchmal im Felde«, sagte Kö ster. Der helle Fleck des Fensters schien durch die diesige Luft. Ein paarmal sah ich den Schatten Jaffé s davor. Wir rauchten eine Schachtel Zigaretten leer. Dann wurde das Licht abgeschaltet, und es brannte nur noch die kleine Nachttischlampe.       

»Gott sei Dank«, sagte ich.      

Es rieselte auf das Verdeck. Ein schwacher Wind wehte. Es wurde kü hl. »Kannst meine Decke auch noch haben, Otto«, sagte ich.

»Nein, laß nur, bin warm genug. «

»Tadelloser Kerl, der Jaffé, was? «

»Tadellos. Sehr tü chtig, glaub' ich. «

»Bestimmt. «

Ich fuhr aus einem unruhigen Halbschlaf empor. Es war grau und kü hl drauß en. Kö ster war schon wach. »Hast du nicht geschlafen, Otto? «

»Doch. «

Ich kletterte aus dem Wagen und schlich ü ber den Gartenweg zum Fenster. Die kleine Nachttischlampe brannte noch immer. Ich sah Pat mit geschlossenen Augen im Bett liegen. Einen Moment fü rchtete ich, daß sie tot sein kö nnte. Aber dann bemerkte ich, wie ihre rechte Hand sich bewegte. Sie war sehr blaß. Aber sie blutete nicht mehr. Jetzt machte sie wieder eine Bewegung. Im selben Moment ö ffnete Jaffé, der auf dem zweiten Bett schlief, die Augen. Ich trat rasch zurü ck. Ich war beruhigt; er paß te auf.

»Ich denke, wir verschwinden hier«, sagte ich zu Kö ster, »damit er nicht sieht, daß wir ihn kontrolliert haben. «

»Alles in Ordnung drinnen? « fragte Otto.

»Ja, was man sehen kann. Hat den richtigen Schlaf, der Professor. Pennt bei Trommelfeuer, aber erwacht, wenn eine Maus an seinem Brotbeutel knabbert. «

»Wir kö nnen baden gehen«, sagte Kö ster. »Wunderbare Luft hier. « Er dehnte sich.

»Geh du«, sagte ich.

»Komm mit«, erwiderte er.

Der graue Himmel zerriß. Orangerote Streifen quollen hindurch. Am Horizont hob sich der Wolkenvorhang, und dahinter erschien ein sehr klares Apfelgrü n.

Wir sprangen ins Wasser und schwammen. Das Wasser leuchtete in Grau und Rot.

Dann gingen wir zurü ck. Frä ulein Mü ller war schon auf. Sie schnitt Petersilie im Garten. Sie zuckte zusammen, als ich sie ansprach. Verlegen versuchte ich ihr klarzumachen, daß ich gestern wohl etwas zuviel geflucht hä tte. Sie fing an zu weinen. »Die arme Dame. Sie ist so schö n und noch so jung. «

»Sie wird hundert Jahre alt«, sagte ich ä rgerlich, weil sie weinte, als mü sse Pat sterben. Pat wü rde nicht sterben. Der kü hle Morgen, der Wind, das helle meergepeitschte Leben in mir: Pat konnte nicht sterben. Sie konnte nur sterben, wenn ich den Mut verlor. Da stand Kö ster, mein Kamerad — da stand ich, Pats Kamerad —, erst muß ten wir sterben. Solange wir lebten, wü rden wir sie herausholen. So war es immer. Solange Kö ster lebte, konnte ich nicht sterben. Und solange wir beide lebten, konnte Pat nicht sterben.

»Man muß demü tig gegen das Schicksal sein«, sagte das alte Frä ulein und sah mich mit seinem braunen, verrunzelten Bratapfelgesicht etwas vorwurfsvoll an. Wahrscheinlich meinte sie meine Schimpferei.

»Demü tig? « sagte ich. »Wozu demü tig? Es nü tzt ja nichts. Man muß alles bezahlen im Leben, doppelt und dreifach. Wozu soll man da demü tig sein? «

»Doch, doch — es ist besser. «

Demü tig, dachte ich. Was ä nderte das? Kä mpfen, kä mpfen, das war das einzige in dieser Balgerei, in der man zuletzt doch unterlag. Kä mpfen um das biß chen, was man liebte. Demü tig konnte man mit siebzig Jahren werden.

Kö ster sprach ein paar Worte mit ihr. Sie lä chelte rasch wieder und fragte ihn, was er zu Mittag essen wolle.

»Siehst du«, sagte Otto, »das ist das Geschenk des Alters. Trä nen und Lachen — alles wechselt schnell. Ohne Widerhaken.

Das sollte man auch fü r sich vorwegnehmen«, meinte er nachdenklich.

Wir strichen um das Haus herum. »Gut fü r jede Minute, die sie schlä ft«, sagte ich. Wir gingen wieder in den Garten. Frä ulein Mü ller hatte ein Frü hstü ck fertiggemacht. Wir tranken heiß en schwarzen Kaffee. Die Sonne ging auf. Es wurde sofort warm. Die Blä tter der Bä ume funkelten von Licht und Nä sse. Vom Meer hö rte man das Schreien der Mö wen. Frä ulein Mü ller stellte einen Busch Rosen auf den Tisch. »Den wollen wir ihr nachher geben«, sagte sie. Die Rosen dufteten nach Gartenmauer und Kindheit. »Weiß t du, Otto«, sagte ich, »ich habe ein Gefü hl, als wä re ich selber krank gewesen. Man ist doch nicht mehr wie frü her. Ich hä tte ruhiger sein mü ssen. Ü berlegter. Je ruhiger man sich hä lt, um so besser kann man helfen. «

»Geht nicht immer, Robby. Habe auch so Zeiten gehabt. Je lä nger man lebt, um so nervö ser wird man. Das ist wie bei einem Bankier, der immer neue Verluste hat. «

Da ging die Tü r. Jaffé kam im Pyjama heraus. »Gut, gut«, winkte er ab, als er sah, daß ich fast den Kaffeetisch umwarf, »so gut es mö glich ist. «

»Darf ich 'rein? «

»Noch nicht. Jetzt ist erst das Mä dchen drin. Waschen und so was. «

Ich schenkte ihm Kaffee ein. Er blinzelte in die Sonne und wandte sich an Kö ster. »Eigentlich sollte ich Ihnen dankbar sein. So komme ich wenigstens einen Tag mal 'raus. «

»Das kö nnten Sie doch ö fter machen«, sagte Kö ster. »Abends wegfahren und am nä chsten Abend wieder zurü ck. «

»Kö nnen, kö nnen«, antwortete Jaffé. »Haben Sie schon gemerkt, daß wir in einer Zeit der Selbstzerfleischung leben? Daß man vieles, was man tun kö nnte, trotzdem nicht tut, man weiß nicht, warum? Arbeit ist heute eine so ungeheure Sache geworden, weil so viele Menschen keine haben, daß sie alles andere erdrü ckt. Wie schö n das hier ist! Seit ein paar Jahren habe ich das nicht gesehen. Ich habe zwei Autos, eine Zehnzimmerwohnung und genug Geld — was habe ich davon! Was ist das gegen diesen Sommermorgen im Freien! Arbeit — eine finstere Besessenheit — immer mit der Illusion, daß es spä ter mal anders wird. Es wird nie anders. Komisch, was man so aus seinem Leben macht. «

»Ich finde, ein Arzt ist einer der wenigen Menschen, die wissen, wozu sie leben«, sagte ich. »Was soll denn dann ein Buchhalter sagen? «

»Lieber Freund«, erwiderte Jaffé, »es ist ein Irrtum, anzunehmen, alle Menschen hä tten die gleiche Empfindungsfä higkeit. «

»Richtig«, sagte Kö ster, »aber die Menschen haben ihre Berufe nicht nach ihrer Empfindungsfä higkeit bekommen. «

»Stimmt«, antwortete Jaffé. »Schwierige Dinge. « Er nickte mir zu. »Jetzt — aber ruhig, nicht anfassen, nicht sprechen lassen... «

Sie lag in den Kissen, ohne Kraft, wie hingeschlagen. Ihr Gesicht war verfä rbt, blaue, tiefe Schatten lagerten unter den Augen, und der Mund war blaß. Nur die Augen waren groß und glä nzend.

Viel zu groß und zu glä nzend.

Ich nahm ihre Hand auf. Sie war kü hl und matt. »Pat, alter Bursche«, sagte ich verlegen und wollte mich zu ihr setzen. Da entdeckte ich am Fenster das Teiggesicht des Dienstmä dchens, das mich neugierig anstarrte. »Gehen Sie mal 'raus«, sagte ich ä rgerlich.

»Ich soll doch die Gardinen zuziehen«, erwiderte sie.

»Schö n, machen Sie das und gehen Sie dann 'raus. «

Sie zog die gelben Vorhä nge vors Fenster. Aber sie ging noch immer nicht. Langsam begann sie die Vorhä nge mit Nadeln zuzustecken.

»Hö ren Sie«, sagte ich, »hier ist keine Theatervorstellung. Verschwinden Sie schleunigst. «

Sie drehte sich pomadig um. »Erst soll ich sie zustecken und dann wieder nicht. «

»Hast du ihr das gesagt? « fragte ich Pat.

Sie nickte.

»Tut dir das Licht von drauß en weh? « fragte ich.

Sie schü ttelte den Kopf. »Besser, du siehst mich heute nicht so genau... «

»Pat! « sagte ich erschreckt, »du darfst noch nicht sprechen! Aber wenn das der ganze Grund ist... «

Ich machte die Tü r auf, und das Dienstmä dchen verschwand endlich. Ich ging zurü ck. Ich war jetzt nicht mehr verlegen. Ich war sogar ganz froh ü ber das Dienstmä dchen. Es hatte mich ü ber den ersten Augenblick weggebracht. Es war doch eine verfluchte Sache gewesen, Pat so daliegen zu sehen.

Ich setzte mich neben das Bett. »Pat«, sagte ich, »bald bist du wieder durch... «

Sie bewegte den Mund. »Morgen schon... «

»Morgen noch nicht, aber in ein paar Tagen. Dann darfst du aufstehen, und wir fahren nach Hause. Wir hä tten nicht hierherfahren sollen, die Luft ist viel zu rauh fü r dich... «

»Doch«, flü sterte sie, »ich bin ja nicht krank, Robby. Es war nur ein Unfall... «

Ich sah sie an. Wuß te sie denn wirklich nicht, daß sie krank war? Oder wollte sie es nicht wissen? Ihre Augen gingen unruhig hin und her. »Brauchst keine Angst zu haben... «, flü sterte sie. Ich verstand nicht sofort, was sie meinte und weshalb es so wichtig war, daß gerade ich keine Angst haben sollte. Ich sah nur, daß sie erregt war, ihre Augen hatten einen eigentü mlich gequä lten, dringenden Ausdruck. Und plö tzlich kam mir ein Gedanke. Ich begriff, was sie dachte. Sie glaubte, ich hä tte Angst vor ihr, weil sie krank war. »Lieber Gott, Pat«, sagte ich, »ist das vielleicht der Grund, daß du mir nie etwas Genaues gesagt hast? «

Sie antwortete nicht, aber ich sah, daß es das war.

»Verdammt«, sagte ich, »wofü r hä ltst du mich eigentlich? «

Ich beugte mich ü ber sie. »Lieg mal einen Augenblick ganz still, aber beweg dich nicht. « Ich kü ß te sie. Ihre Lippen waren trocken und heiß. Als ich mich aufrichtete, sah ich, daß sie weinte. Sie weinte lautlos, mit weit offenen Augen, und ihr Gesicht bewegte sich nicht. Die Trä nen stü rzten nur so hervor.

»Um Gottes willen, Pat... «

»Ich bin ja glü cklich«, sagte sie.

Ich stand da und sah sie an. Es war nur ein Wort gewesen, aber es war ein Wort, das ich so noch nie gehö rt hatte. Ich hatte Frauen gekannt, aber immer waren es flü chtige Begegnungen gewesen, Abenteuer, eine bunte Stunde manchmal, ein einsamer Abend, Flucht vor sich selbst, vor der Verzweiflung, vor der Leere. Ich hatte es auch gar nicht anders gewollt, denn ich hatte gelernt, daß man sich auf nichts anderes verlassen konnte als auf sich selbst und hö chstens noch auf einen Kameraden. Jetzt sah ich plö tzlich, daß ich einem Menschen etwas sein konnte, einfach weil ich da war, und daß er glü cklich war, weil ich bei ihm war. Wenn man das so sagt, klingt es sehr einfach, aber wenn man darü ber nachdenkt, ist es eine ungeheure Sache, die ü berhaupt kein Ende hat. Es ist etwas, das einen ganz zerreiß en und verä ndern kann. Es ist Liebe und doch etwas anderes. Etwas, wofü r man leben kann. Fü r die Liebe kann ein Mann nicht leben. Fü r einen Menschen wohl.

Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte es nicht. Es ist schwer, Worte zu finden, wenn man wirklich etwas zu sagen hat. Und selbst, wenn man die richtigen Worte weiß, dann schä mt man sich, sie auszusprechen. Alle diese Worte gehö ren noch in frü here Jahrhunderte. Unsere Zeit hat fü r ihre Gefü hle die Worte noch nicht. Sie kann nur burschikos sein — alles andere ist unecht.

»Pat«, sagte ich, »alter tapferer Bursche... «

In diesem Augenblick trat Jaffé ein. Er ü berblickte sofort die Situation. »Fabelhafte Leistung«, knurrte er, »hab' mir schon so was Ä hnliches gedacht. «

Ich wollte ihm etwas entgegnen, aber er warf mich kurzerhand 'raus.

 

 

XVII

 

Es war zwei Wochen spä ter. Pat hatte sich so weit erholt, daß wir zurü ckreisen konnten. Wir hatten unsere Sachen gepackt und warteten auf Gottfried Lenz. Er sollte den Wagen abholen. Pat und ich wollten mit der Eisenbahn fahren.

Es war ein warmer, milchiger Tag. Die Wolken standen regungslos wie Watte am Himmel, die heiß e Luft zitterte ü ber den Dü nen, und das Meer lag bleiern in hellem, flimmerndem Dunst.

Gottfried kam nach dem Mittagessen an. Ich sah seinen blonden Kopf schon von weitem ü ber die Hecken leuchten. Erst als er in den Fahrweg zur Villa Frä ulein Mü llers einbog, bemerkte ich, daß er nicht allein war — neben ihm tauchte eine Rennfahrerimitation in Miniaturformat auf — eine riesige karierte Mü tze, die mit dem Schild nach hinten aufgesetzt war, eine mä chtige Staubbrille, ein weiß er Overall und ein paar gewaltige, rubinrot leuchtende Ohren.

»Mein Gott, das ist ja Jupp! « sagte ich erstaunt.

»Persö nlich, Herr Lohkamp! « erwiderte Jupp grinsend.

»Und in dem Aufzug! Was ist denn bloß los mit dir? «

»Das siehst du doch«, erklä rte Lenz vergnü gt und schü ttelte mir die Hand. »Er wird zum Rennfahrer herangebildet. Seit acht Tagen bekommt er bei mir Fahrunterricht. Da hat er mich angefleht, daß ich ihn heute mitnehmen soll. Gute Gelegenheit fü r ihn, seine erste Ü berlandtour zu machen. «

»Werde die Sache schon schmeiß en, Herr Lohkamp! « bestä tigte Jupp eifrig.

»Und wie er sie schmeiß en wird! « Gottfried schmunzelte.

»Ich habe so was von einem Verfolgungswahnsinnigen noch nicht gesehen! Am ersten Tag seines Fahrunterrichtes hat er schon versucht, mit unserem alten, guten Taxi einen Mercedes-Kompressor zu ü berholen. Ein verdammter kleiner Satan! «

Jupp schwitzte vor Glü ck und sah Lenz anbetend an. »Dachte, ich kö nnte den protzigen Vogel vernaschen, Herr Lenz! Wollte ihn in der Kurve schnappen, wie Herr Kö ster. «

Ich muß te lachen. »Du fä ngst ja gut an, Jupp. «

Gottfried blickte mit vä terlichem Stolz auf seinen Fahrschü ler herab.

»Zunä chst schnapp dir jetzt mal die Koffer und bring sie zum Bahnhof. «

»Allein? « Jupp explodierte fast vor Spannung. »Darf ich das Stü ck bis zum Bahnhof ganz allein fahren, Herr Lenz? «

Gottfried nickte, und Jupp raste ins Haus.

Wir gaben die Koffer auf. Dann holten wir Pat ab und fuhren zum Bahnhof. Es war noch eine Viertelstunde zu frü h, als wir ankamen. Der Bahnsteig war leer. Nur ein paar Milchkannen standen herum.

»Fahrt nur los«, sagte ich. »Ihr kommt sonst zu spä t nach Hause. «

Jupp am Steuer sah mich beleidigt an.

»Solche Bemerkungen gefallen dir nicht, was? « fragte Lenz ihn.

Jupp richtete sich auf. »Herr Lohkamp«, sagte er vorwurfsvoll, »ich habe mir die Sache genau durchgerechnet. Wir sind bequem um acht Uhr in der Werkstatt. «

»Sehr richtig! « Lenz klopfte ihm auf die Schulter. »Biete ihm doch eine Wette an, Jupp. Um eine Flasche Selterswasser. « »Selterswasser nicht«, erwiderte Jupp, »aber eine Schachtel Zigaretten riskiere ich sofort. « Er schaute mich herausfordernd an. »Weiß t du auch, daß die Straß en ziemlich schlecht sind? « fragte ich. »Alles einkalkuliert, Herr Lohkamp! « »Und an die Kurven hast du auch gedacht? « »Kurven machen mir nichts aus. Ich habe keine Nerven. « »Gut, Jupp«, sagte ich ernsthaft. »Dann halte ich die Wette. Aber Herr Lenz darf unterwegs nicht fahren. « Jupp legte die Hand auf die Brust. »Mein Ehrenwort! « »Gut, gut. Aber sag mal, was hä ltst du denn da so krampfhaft in der Hand? « »Meine Stoppuhr. Ich will unterwegs die Zeit nehmen. Mö chte doch mal sehen, was der Schlitten leistet. « Lenz schmunzelte. »Ja, Kinder, Jupp ist prima ausgerü stet. Ich glaube, der brave, alte Citroen zittert schon in allen Knochen vor ihm. « Jupp ü berhö rte die Ironie. Er zerrte aufgeregt an seiner Mü tze. »Dann wollen wir los, Herr Lenz, was? Wette ist Wette! « »Natü rlich, du kleiner Kompressor! Auf Wiedersehen, Pat! Bis nachher, Robby! « Gottfried kletterte in den Sitz. »So, Jupp, nun zeige der Dame mal, wie ein Kavalier und kü nftiger Weltmeister startet! «

Jupp schob die Rennbrille vor die Augen, winkte wie ein Alter und zog schneidig im ersten Gang ü ber das Kopfsteinpflaster der Chaussee zu.

Pat und ich saß en noch eine Weile vor dem Bahnhof auf einer Bank. Die heiß e, weiß e Sonne lag breit auf der hö lzernen Wand, die den Bahnsteig absperrte. Es roch nach Harz und Salz. Pat lehnte den Kopf zurü ck und schloß die Augen. Sie saß ganz still, das Gesicht der Sonne zugewendet.

»Bist du mü de? « fragte ich.

Sie schü ttelte den Kopf. »Nein, Robby. «

»Da kommt der Zug«, sagte ich.

Die Lokomotive stampfte heran, schwarz, klein und verloren vor der zitternden, groß en Weite. Wir stiegen ein. Der Zug war wenig besetzt. Er fuhr schnaufend an. Der Rauch der Lokomotive blieb dick und schwarz in der Luft stehen. Langsam drehte sich die Landschaft vorbei, das Dorf mit den braunen Strohdä chern, die Wiesen mit Kü hen und Pferden, der Wald, und dann, friedlich und sehr verschlafen in der Mulde hinter den Dü nen, das Haus von Frä ulein Mü ller.

Pat stand neben mir am Fenster und schaute hinü ber. Die Strecke fü hrte in einer Kurve nä her heran, und man konnte deutlich die Fenster unserer Zimmer sehen. Sie standen offen, und das weiß e Bettzeug war halb herausgelegt in die Sonne.

»Da ist Frä ulein Mü ller«, sagte Pat.

Sie stand vor der Haustü r und winkte. Pat holte ihr Taschentuch hervor und ließ es zum Fenster hinausflattern.

»Das sieht sie nicht«, sagte ich, »es ist zu klein und zu dü nn. Hier, nimm meines. «

Sie nahm es und winkte. Frä ulein Mü ller winkte heftig zurü ck.

Der Zug gewann allmä hlich das freie Feld. Das Haus versank, und die Dü nen blieben zurü ck. Hinter dem schwarzen Strich des Waldes blinkte eine Zeitlang noch ab und zu das Meer auf. Es blinkte wie ein lauerndes, mü des Auge. Dann kam das sanfte Goldgrü n der Felder und dehnte sich im weichen Wind der Ä hren bis zum Horizont.

Pat gab mir mein Taschentuch zurü ck und setzte sich in eine Ecke. Ich zog das Fenster hoch. Vorbei! dachte ich, Gott sei Dank, vorbei! Es war nichts als ein Traum! Ein verfluchter, bö ser Traum!

Kurz vor sechs Uhr kamen wir in der Stadt an. Ich nahm ein Taxi und verstaute die Koffer. Dann fuhren wir zu Pats Wohnung.

»Kommst du mit herauf? « fragte sie.

»Natü rlich. «

Ich brachte sie hinauf, dann fuhr ich wieder herunter, um mit dem Chauffeur zusammen die Koffer zu holen. Als ich zurü ckkam, stand Pat noch im Vorraum. Sie sprach mit Oberstleutnant von Hake und seiner Frau.

Wir gingen in ihr Zimmer. Es war heller, frü her Abend drauß en. Auf dem Tisch stand eine Glasvase mit blaß roten Rosen. Pat ging ans Fenster und sah hinaus. Dann wandte sie sich um. »Wie lange waren wir eigentlich fort, Robby? «

»Genau achtzehn Tage. «

»Achtzehn Tage. Mir kommt es viel lä nger vor. «

»Mir auch. Das ist aber immer so, wenn man mal 'rauskommt. «

Sie schü ttelte den Kopf. »Das meine ich nicht... «

Sie ö ffnete die Balkontü r und trat hinaus. Drauß en lehnte ein zusammengeklappter, weiß er Liegestuhl an der Wand.

Sie schob ihn zu sich heran und sah ihn schweigend an.

Als sie wieder hereinkam, war ihr Gesicht verä ndert, und ihre Augen waren dunkel.

»Sieh nur die Rosen«, sagte ich. »Sie sind von Kö ster. Hier liegt seine Karte dabei. «

Sie nahm die Karte auf und legte sie dann wieder auf den Tisch. Sie sah die Rosen an, aber ich sah, daß sie sie kaum bemerkte. Sie war mit ihren Gedanken noch bei dem Liegestuhl. Sie hatte geglaubt, ihm schon entronnen zu sein, und nun wurde er vielleicht doch wieder ein Teil ihres Lebens.

Ich ließ sie ruhig gewä hren und sagte nichts mehr. Es hatte keinen Zweck, sie abzulenken. Sie muß te damit fertig werden, und es war besser, es geschah jetzt, wä hrend ich dabei war. Man konnte es mit noch so viel Worten hö chstens verschieben, aber einmal kam es dann doch, und vielleicht war es dann noch viel schwerer.



  

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