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Drei Kameraden 14 страница



»Haben Sie genug Licht? « fragte Ferdinand.

Der Bä cker antwortete nicht.

Ferdinand ging heran, um die Staffelei etwas herumzurü cken. Dann trat er zurü ck und nickte mir zu, mit in das kleine Zimmer neben dem Atelier zu kommen. »Das hä tte ich nie gedacht«, sagte er verwundert, »die Rabattmaschine hat's erwischt! Er heult... «

»Einmal erwischt es jeden«, erwiderte ich. »Fü r den da ist es nur zu spä t... «

»Zu spä t«, sagte Ferdinand, »immer zu spä t. Das ist nun mal so im Leben, Robby. «

Er ging langsam hin und her. »Wir wollen ihn ruhig eine Zeitlang da drü ben fü r sich lassen. Kö nnten inzwischen eine Partie Schach spielen. «

»Du hast ein goldenes Gemü t«, sagte ich.

Er blieb stehen. »Wieso? Nü tzt dem nicht und schadet ihm nicht. Wenn man immer an so was denken wollte, dü rfte kein Mensch auf der Welt jemals mehr lachen, Robby... «

»Da hast du wieder recht«, sagte ich, »also machen wir rasch eine Partie. «

Wir stellten die Figuren auf und begannen. Ferdinand gewann ziemlich mü helos. Er setzte mich mit Turm und Lä ufer matt, ohne die Dame zu gebrauchen. »Allerhand«, sagte ich, »du siehst aus, als ob du drei Tage nicht geschlafen hä ttest. Dabei spielst du wie ein Seerä uber. «

»Ich spiele immer gut, wenn ich melancholisch bin«, erwiderte Ferdinand.

»Weshalb bist du denn melancholisch? «

»Ach, nur so. Weil es dunkel wird. Ein ordentlicher Mensch ist immer melancholisch, wenn es Abend wird.

Nicht aus irgendeinem Grunde. Einfach nur so ganz allgemein... «

»Aber nur, wenn er allein ist«, sagte ich.

»Natü rlich. Die Stunde der Schatten. Die Stunde der Einsamkeit. Die Stunde, wo der Kognak am besten schmeckt. «

Er holte eine Flasche und zwei Glä ser. »Mü ssen wir nicht zu dem Bä cker 'rein? « fragte ich.

»Gleich. « Er schenkte ein. »Prost, Robby! Weil wir alle mal krepieren mü ssen! «

»Prost, Ferdinand! Weil wir einstweilen noch da sind! «

»Na«, sagte er, »manchmal hä tte nicht viel gefehlt. Wollen auch darauf noch einen nehmen! «

»Gut. «

Wir gingen zurü ck ins Atelier. Es war dunkler geworden. Der Bä cker stand immer noch mit eingezogenen Schultern vor dem Bilde. Er sah jä mmerlich verloren aus in dem groß en, kahlen Raum, und es kam mir vor, als wä re er kleiner geworden.

»Soll ich Ihnen das Bild einpacken? « fragte Ferdinand.

Er schreckte auf. »Nein... «

»Dann werde ich es Ihnen morgen schicken. «

»Kann es nicht noch hierbleiben? « fragte der Bä cker zö gernd.

»Warum denn? « erwiderte Ferdinand erstaunt und kam nä her. »Gefä llt es Ihnen nicht? «

»Doch — aber ich mö chte es gern noch hierlassen... «

»Das verstehe ich nicht... «

Der Bä cker sah mich hilfesuchend an. Ich begriff — er hatte Angst, das Bild zu Hause bei dem schwarzen Luder aufzuhä ngen. Vielleicht war es auch Scheu vor der Toten, sie dahinzubringen. »Aber Ferdinand«, sagte ich, »das Bild kann doch ruhig noch hier hä ngenbleiben, wenn es bezahlt ist... «

»Das natü rlich... «

Der Bä cker zog erleichtert sein Scheckbuch aus der Tasche. Die beiden gingen zum Tisch. »Vierhundert Mark Rest? « fragte der Bä cker.

»Vierhundertzwanzig«, sagte Ferdinand, »einschließ lich Rabatt. Wollen Sie eine Quittung? «

»Ja«, erwiderte der Bä cker, »wegen der Ordnung. «

Schweigend schrieben beide den Scheck und die Quittung aus. Ich blieb am Fenster stehen und sah mich um. Im halben Licht der Dä mmerung schimmerten rings an den Wä nden die Gesichter der nicht abgeholten und nicht bezahlten Porträ ts in ihren goldenen Rahmen. Sie sahen aus wie eine gespenstische Versammlung aus dem Jenseits, und es schien, als wä ren alle die starren Augen auf das Bild am Fenster gerichtet, das jetzt zu ihnen kommen sollte und ü ber das der Abend noch einen letzten Glanz von Leben breitete. Es war eine sonderbare Stimmung — die beiden gebü ckten, schreibenden Gestalten am Tisch, die Schatten und die vielen stillen Bilder.

Der Bä cker kam zum Fenster zurü ck. Seine rotgeä derten Augen wirkten wie glä serne Kugeln, sein Mund war halb offen, die Unterlippe hing herab, und man sah die fleckigen Zä hne — es war lä cherlich und traurig, wie er so dastand. In der Etage ü ber dem Atelier fing jemand an, Klavier zu spielen, irgendeine Fingerü bung, immer dieselbe Tonfolge. Es klang dü nn und quä lend. Ferdinand Grau war am Tisch stehengeblieben. Er zü ndete sich eine Zigarre an. Das Licht des Streichholzes beleuchtete sein Gesicht. Der halbdunkle Raum erschien ungeheuer groß und sehr blau durch den kleinen rö tlichen Schein.

»Kann man an dem Bild noch etwas ä ndern? « fragte der Bä cker.

»Was denn? «

Ferdinand kam heran. Der Bä cker zeigte auf den Schmuck. »Kann man das da wieder wegmachen? «

Es war die mä chtige goldene Brosche, die er damals, bei der Bestellung, extra verlangt hatte. »Gewiß «, sagte Ferdinand, »sie stö rt sogar das Gesicht. Das Bild gewinnt, wenn sie wegkommt. «

»Das meine ich auch. « Er druckste eine Weile herum. »Was kostet es denn? «

Ferdinand und ich warfen uns einen Blick zu. »Es kostet gar nichts«, sagte Ferdinand gutmü tig, »im Gegenteil, eigentlich bekä men Sie noch etwas heraus. Es ist ja dann weniger drauf. «

Der Bä cker hob ü berrascht den Kopf. Es sah einen Augenblick so aus, als wollte er darauf eingehen. Aber dann sagte er mit einem Entschluß: »Ach nein, das lassen Sie nur — Sie haben es doch malen mü ssen... « »Das ist auch wieder wahr... « Wir gingen. Auf der Treppe, als ich den gebeugten Rü cken vor mir sah, war ich etwas gerü hrt ü ber den Bä cker und die Tatsache, daß ihm bei dem Schwindel mit der Brosche das Gewissen geschlagen hatte. Es paß te mir nicht recht, ihm in dieser Stimmung mit dem Cadillac zu Leibe gehen zu mü ssen. Doch dann dachte ich daran, daß ein Teil seiner gewiß ehrlichen Trauer um die tote Frau sicher nur daher kam, weil die schwarze Person zu Hause ein solches Luder war, und ich wurde wieder ganz frisch.

 

»Wir kö nnen ja bei mir zu Hause die Sache besprechen«, sagte der Bä cker drauß en.

Ich nickte. Es paß te mir sehr gut so. Der Bä cker glaubte zwar, er wä re in seinen vier Wä nden stä rker — ich aber rechnete mit der Schwarzen als Unterstü tzung.

Sie erwartete uns bereits an der Tü r. »Gratuliere herzlichst«, sagte ich, bevor der Bä cker den Mund auftun konnte.

»Wozu? « fragte sie rasch, mit flinken Augen.

»Zu Ihrem Cadillac —«, erwiderte ich unverfroren.

»Schatzi! « Mit einem Satz hing sie dem Bä cker am Hals.

»Aber das ist ja noch gar nicht... « Er versuchte sich loszumachen und Erklä rungen abzugeben. Sie aber hielt ihn fest und drehte sich zappelnd mit ihm im Kreise, damit er nicht zu Worte kam. Abwechselnd sah ich ü ber seiner Schulter ihre schlaue, blinzelnde Fratze und ü ber ihrer Schulter seinen vorwurfsvollen, vergeblich protestierenden Mehlwurmkopf.

Endlich gelang es ihm, sich frei zu machen. »Wir sind ja noch gar nicht soweit«, prustete er.

»Doch«, sagte ich mit groß er Herzlichkeit, »wir sind so weit! Ich nehme es auf meine Kappe, die letzten fü nfhundert Mark herunterzuhandeln. Sie zahlen keinen Pfennig mehr als siebentausend Mark fü r den Cadillac! Einverstanden? «

»Natü rlich! « sagte die Schwarze rasch. »Das ist doch wirklich billig, Schatzi... «

»Halt! « Der Bä cker hob die Hand.

»Aber was hast du denn jetzt wieder? « fuhr sie auf ihn los, »erst heiß t es, du kriegst den Wagen, und jetzt stehst du wieder da und willst nicht! «

»Er will ja«, warf ich ein, »wir haben ja schon alles besprochen... «

»Na, was... Schatzi... wozu denn... « Sie lehnte sich dicht an ihn. Er versuchte, sich wieder loszumachen, aber sie preß te ihre vollen Brü ste gegen seinen Arm. Er machte ein ä rgerliches Gesicht, aber sein Widerstand wurde schwä cher.

»Der Ford... «, sagte er.

»Wird selbstverstä ndlich in Zahlung genommen... «

»Viertausend Mark... «

»Hat er mal gekostet, wie? « fragte ich freundlich.

»Mit viertausend Mark muß er in Zahlung genommen werden«, erklä rte der Bä cker fest. Er hatte jetzt den Punkt gefunden zum Gegenangriff nach der Ü berrumpelung. »Der Wagen ist ja so gut wie neu... «

»Neu«, sagte ich, »nach der Riesenreparatur... «

»Heute vormittag haben Sie es selbst zugegeben... «

»Heute vormittag war das auch was anderes. Neu und neu ist ein Unterschied, je nachdem, ob man kauft oder verkauft. Fü r viertausend Mark mü ß te Ihr Ford schon Stoß stangen aus Gold haben. «

»Viertausend Mark, oder es wird nichts«, sagte der Bä cker halsstarrig. Er war jetzt wieder ganz der alte und schien alle Sentimentalitä ten von vorher wiedergutmachen zu wollen.

»Dann auf Wiedersehen! « erwiderte ich und wandte mich an die Schwarze. »Tut mir leid, gnä dige Frau — aber Verlustgeschä fte kann ich nicht machen. An dem Cadillac verdienen wir ohnehin nichts — da kö nnen wir nicht noch einen alten Ford zu einem Riesenpreis in Zahlung nehmen.

Leben Sie wohl... «

Sie hielt mich zurü ck. Ihre Augen funkelten, und sie fiel jetzt ü ber den Bä cker her, daß ihm Hö ren und Sehen verging. »Du hast ja selbst hundertmal gesagt, daß der Ford nichts mehr wert ist«, zischte sie zum Schluß mit Trä nen in den Augen.

»Zweitausend Mark«, sagte ich, »zweitausend Mark, obschon auch das noch Selbstmord ist. «

Der Bä cker schwieg.

»Na los, sag doch was! Warum stehst du denn da herum und tust den Mund nicht auf? « fauchte die Schwarze.

»Meine Herrschaften«, sagte ich, »ich werde jetzt mal den Cadillac holen. Vielleicht besprechen Sie die Sache inzwischen noch untereinander. «

Ich hatte das Gefü hl, daß ich gar nichts Besseres tun konnte, als zu verschwinden. Die Schwarze wü rde meine Sache schon weiterfü hren.

 

Eine Stunde spä ter war ich mit dem Cadillac wieder da. Ich sah sofort, daß der Streit auf die einfachste Weise entschieden worden war. Der Bä cker machte einen zerknitterten Eindruck und hatte eine Bertfeder am Anzug hä ngen — die Schwarze dagegen funkelte, wippte mit den Brü sten und lä chelte satt und verrä terisch. Sie hatte sich umgezogen und trug ein dü nnes, seidenes, eng anliegendes Kleid. In einem unbeobachteten Moment kniff sie mir ein Auge und nickte, alles sei in Ordnung. Wir machten eine Probefahrt. Die Schwarze kuschelte sich behaglich in den breiten Sitz und schwatzte fortwä hrend. Ich hä tte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen, aber ich brauchte sie noch. Der Bä cker hockte ziemlich melancholisch neben mir.

Er trauerte im voraus um sein Geld — und das ist ja mit die echteste Trauer, die es gibt.

Wir kamen vor dem Hause des Bä ckers an und gingen wieder in die Wohnung. Der Bä cker verließ das Zimmer, um das Geld zu holen. Er wirkte jetzt wie ein alter Mann, und ich sah, daß sein Haar gefä rbt war. Die Schwarze strich ü ber ihr Kleid.

»Das haben wir fein gemacht, was? «

»Ja«, sagte ich widerwillig.

»Hundert Mark mü ssen dabei fü r mich abfallen... «

»Ach so —«, sagte ich.

»Der alte, geizige Bock«, flü sterte sie vertraulich und kam nä her, »hat Geld wie Heu! Aber bis er mal was 'rausrü ckt! Nicht mal ein Testament will er machen. Fä llt nachher dann natü rlich alles an die Kinder, und unsereins steht da! Ist doch kein Vergnü gen, mit dem Kracher... «

Sie kam noch nä her und wippte mit den Brü sten. »Also dann komme ich morgen wegen der hundert Mark mal 'rü ber. Wann sind Sie denn da? Oder wollen Sie hier vorbeikommen? « Sie kicherte. »Morgen nachmittag bin ich allein hier... «

»Ich schicke es Ihnen dann her... «, sagte ich.

Sie kicherte weiter. »Bringen Sie es doch selbst. Oder haben Sie Angst? « Sie hielt mich wahrscheinlich fü r schü chtern und wollte mir handgreiflich zeigen, was los war. »Angst nicht«, sagte ich, »aber keine Zeit. Gerade morgen muß ich zum Arzt. Eine alte Syphilis, wissen Sie! So was verbittert einem das Leben... «

Sie trat so rasch einen Schritt zurü ck, daß sie fast ü ber einen Plü schsessel fiel. In diesem Augenblick kam der Bä cker wieder herein. Miß trauisch schielte er die Schwarze an. Dann zä hlte er mir das Geld in bar auf den Tisch. Er zä hlte langsam und zö gernd. Sein Schatten schwankte dabei auf der Rosentapete des Zimmers hin und her und zä hlte mit. Wä hrend ich die Quittung ausschrieb, fiel mir ein, daß es heute schon einmal so gewesen war — nur war Ferdinand Grau an meiner Stelle gewesen. Obschon gar nichts dabei war, erschien es mir sonderbar.

Ich war froh, als ich drauß en war. Die Luft war weich und sommerlich. Der Cadillac blinkte am Straß enrand. »Na, Alter, danke schö n«, sagte ich und klopfte ihm auf die Kü hlerhaube. »Komm bald wieder zu neuen Taten! «

 

 

XV

 

Der Morgen stand hell und funkelnd ü ber den Wiesen. Pat und ich saß en am Rande einer Waldlichtung und frü hstü ckten. Ich hatte mir zwei Wochen Urlaub genommen und war mit Pat unterwegs. Wir wollten ans Meer.

Vor uns auf der Straß e stand ein kleiner, alter Citroen. Wir hatten ihn in Zahlung genommen gegen den Ford des Bä ckermeisters, und Kö ster hatte ihn mir mitgegeben fü r die Zeit des Urlaubs. Er sah aus wie ein geduldiger Packesel, so beladen war er mit Koffern.

»Hoffentlich bricht er unterwegs nicht zusammen«, sagte ich.

»Er bricht nicht zusammen«, erwiderte Pat.

»Woher weiß t du das? «

»Das weiß man. Weil es unser Urlaub ist, Robby. «

»Mag sein«, sagte ich. »Aber ich kenne auß erdem seine Hinterachse. Die sieht traurig aus. Besonders bei der Belastung. «

»Er ist ein Bruder von Karl. Er wird durchhalten. «

»Ein mä chtig rachitischer Bruder. «

»Laß das Lä stern, Robby. Er ist augenblicklich der schö nste Wagen, den ich kenne. «

Wir lagen eine Zeitlang nebeneinander in der Wiese. Der Wind kam warm und weich vom Walde her. Es roch nach Harz und Krä utern.

»Sag mal, Robby«, fragte Pat nach einer Weile, »was sind das eigentlich fü r Blumen, drü ben am Bach? «

»Anemonen«, erwiderte ich, ohne hinzusehen.

»Aber Liebling! Das sind keine Anemonen, Anemonen sind viel kleiner; auß erdem blü hen sie nur im Frü hjahr. «

»Richtig«, sagte ich. »Es ist Wiesenschaumkraut. «

Sie schü ttelte den Kopf. »Wiesenschaumkraut kenne ich.

Das sieht ganz anders aus. « — »Dann ist es Schierling. «

»Aber Robby! Schierling ist weiß, nicht rot. «

»Dann weiß ich es nicht. Bis jetzt bin ich mit diesen drei Blumennamen immer ausgekommen, wenn ich gefragt wurde. Einen hat man mir stets geglaubt. «

Sie lachte. »Schade. Hä tte ich das geahnt, wä re ich schon mit den Anemonen zufrieden gewesen. «

»Schierling«, sagte ich, »mit Schierling hatte ich immer die meisten Erfolge. «

Sie richtete sich auf. »Das ist ja heiter! Bist du oft so gefragt worden? «

»Nicht zu oft. Und bei ganz anderen Gelegenheiten. «

Sie stü tzte die Hä nde auf den Boden. »Eigentlich ist es doch eine Schande, daß man auf der Erde herumlä uft und fast gar nichts von ihr weiß. Nicht einmal ein paar Namen. «

»Grä m dich nicht«, sagte ich, »es ist eine viel grö ß ere Schande, daß man ü berhaupt nicht weiß, weshalb man auf der Erde herumlä uft. Da machen ein paar Namen mehr oder weniger auch nichts aus. «

»Das sagst du! Aber ich glaube, du sagst es nur aus Faulheit. «

Ich drehte mich um. »Natü rlich. Aber ü ber die Faulheit ist noch lange nicht genug nachgedacht worden. Sie ist der Ursprung allen Glü ckes und das Ende aller Philosophie. Komm, leg dich wieder hierher. Der Mensch liegt viel zuwenig. Er steht und sitzt dauernd herum. Das ist ungesund fü r das animalische Wohlbehagen. Nur wenn man liegt, ist man vö llig mit sich ausgesö hnt. «

Ein Auto summte heran und fuhr vorü ber. »Kleiner Mercedes«, sagte ich, ohne mich aufzurichten. »Der Vierzylinder. «

»Da kommt noch einer«, erwiderte Pat.

»Ja, ich hö re es schon. Ein Renault. Hat er einen Kü hler wie eine Schweineschnauze? «

»Ja. «

»Dann ist es ein Renault. Aber hö r mal, jetzt kommt was Richtiges! Ein Lancia! Der jagt bestimmt die andern beiden wie ein Wolf zwei Schaflä mmer! Hö r nur den Motor! Wie eine Orgel! «

Der Wagen fegte vorü ber. »Davon weiß t du wohl mehr als drei Namen, was? « fragte Pat.

»Natü rlich. Sie stimmen sogar. «

Sie lachte. »Ist das nun eigentlich traurig oder nicht? «

»Gar nicht traurig. Nur natü rlich. Ein gutes Auto ist mir manchmal lieber als zwanzig Wiesen mit Blumen. «

»Verstockter Sohn des zwanzigsten Jahrhunderts! Sentimental bist du wohl gar nicht... «

»Doch, du hö rst es ja, mit Autos. «

Sie sah mich an. »Ich auch«, sagte sie.

 

Aus den Tannen rief ein Kuckuck. Pat fing an, mitzuzä hlen. »Wozu machst du das? « fragte ich.

»Weiß t du das nicht? Sooft er ruft, so viele Jahre lebt man noch. «

»Ach so, ja. Aber da gibt es noch etwas anderes. Wenn ein Kuckuck ruft, muß man sein Geld schü tteln. Dann vermehrt es sich. «

Ich holte mein Kleingeld aus der Tasche und schü ttelte es krä ftig zwischen den hohlen Hä nden.

»Das bist du«, sagte Pat und lachte. »Ich will Leben und du willst Geld. «

»Um zu leben«, erwiderte ich. »Ein echter Idealist strebt nach Geld. Geld ist gemü nzte Freiheit. Und Freiheit ist Leben. «

»Vierzehn«, zä hlte Pat. »Du hast schon mal anders darü ber gesprochen. «

»Das war in meiner dunklen Zeit. Man sollte ü ber Geld nicht verä chtlich reden. Geld macht viele Frauen sogar verliebt. Die Liebe dagegen macht viele Mä nner geldgierig. Geld fö rdert also die Ideale — Liebe dagegen den Materialismus. «

»Du hast heute einen guten Tag«, erwiderte Pat. »Fü nfunddreiß ig. «

»Der Mann«, erklä rte ich weiter, »wird nur geldgierig durch die Wü nsche der Frauen. Wenn es keine Frauen gä be, wü rde es auch kein Geld geben, und die Mä nner wä ren ein heroisches Geschlecht. Im Schü tzengraben gab es keine Frauen — da spielte es auch keine groß e Rolle, was jemand irgendwo an Besitz hatte —, es kam nur darauf an, was er als Mann war. Das soll nicht fü r den Schü tzengraben sprechen — es soll nur die Liebe richtig beleuchten. Sie weckt die schlechten Instinkte des Mannes — den Drang nach Besitz, nach Geltung, nach Verdienen, nach Ruhe. Nicht umsonst sehen Diktatoren es gern, wenn ihre Mitarbeiter verheiratet sind — sie sind so weniger gefä hrlich. Und nicht umsonst haben die katholischen Priester keine Frauen — sie wä ren sonst nie so kü hne Missionare geworden. «

»Du hast heute sogar einen fabelhaften Tag«, sagte Pat anerkennend. »Zweiundfü nfzig. «

Ich steckte mein Geld wieder in die Tasche und zü ndete mir eine Zigarette an. »Willst du noch nicht bald mit dem Zä hlen aufhö ren? « fragte ich. »Du kommst schon weit ü ber siebzig Jahre. «

»Hundert, Robby! Hundert ist eine gute Zahl. So weit mö chte ich kommen. «

»Alle Achtung, das ist Mut! Aber was willst du nur damit anfangen? «

Sie streifte mich mit einem raschen Blick. »Das werde ich schon sehen. Ich habe ja andere Ansichten darü ber als du. «

»Das sicher. Ü brigens sollen nur die ersten siebzig die schwierigsten sein. Nachher soll's einfacher werden. «

»Hundert! « verkü ndete Pat, und wir brachen auf.

 

Das Meer kam uns entgegen wie ein ungeheures silbernes Segel. Schon lange vorher spü rten wir seinen salzigen Hauch — der Horizont wurde immer weiter und heller, und plö tzlich lag es vor uns, unruhig, mä chtig und ohne Ende.

Die Straß e fü hrte in einem Bogen bis dicht heran. Dann kam ein Wald und hinter ihm ein Dorf. Wir erkundigten uns nach dem Hause, wo wir wohnen sollten. Es lag ein Stü ck auß erhalb des Dorfes. Kö ster hatte uns die Adresse gegeben. Er war nach dem Kriege ein Jahr lang dort gewesen.

Es war eine kleine, alleinstehende Villa. Ich fuhr den Citroen in elegantem Bogen vor und gab Signal. Ein breites Gesicht erschien hinter einem der Fenster, glotzte bleich einen Augenblick und verschwand. »Hoffentlich ist das nicht Frä ulein Mü ller«, sagte ich.

»Ganz egal, wie sie aussieht«, erwiderte Pat.

Die Tü r ö ffnete sich. Gottlob, es war nicht Frä ulein Mü ller. Es war das Dienstmä dchen. Frä ulein Mü ller, die Besitzerin des Hauses, erschien eine Minute spä ter. Eine altjü ngferliche, zierliche Dame mit grauen Haaren. Sie trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid und ein goldenes Kreuz als Brosche.

»Zieh zur Vorsicht die Strü mpfe wieder 'rauf, Pat«, flü sterte ich nach einem Blick auf die Brosche und stieg aus.

»Ich glaube, Herr Kö ster hat uns schon angemeldet«, sagte ich.

»Ja, er hat mir telegrafiert, daß Sie kommen. « Sie musterte mich eingehend. »Wie geht es Herrn Kö ster denn? «

»Ach, ganz gut — soweit man das heute sagen kann. «

Sie nickte und musterte mich weiter. »Kennen Sie ihn schon lange? « Das wird ja ein Examen, dachte ich und gab Auskunft, wie lange ich Otto schon kannte. Sie schien zufrieden zu sein. Pat kam heran. Sie hatte die Strü mpfe heraufgezogen. Frä ulein Mü llers Blick wurde milder. Pat schien mehr Gnade vor ihr zu finden als ich. »Haben Sie noch Zimmer fü r uns? « fragte ich.

»Wenn Herr Kö ster telegrafiert, bekommen Sie immer ein Zimmer«, erklä rte Frä ulein Mü ller und sah mich etwas abfä llig an. »Sie bekommen sogar mein schö nstes«, sagte sie zu Pat.

Pat lä chelte. Frä ulein Mü ller lä chelte auch. »Ich werde es Ihnen zeigen«, sagte sie.

Beide gingen nebeneinander einen schmalen Weg entlang, der durch einen kleinen Garten fü hrte. Ich trottete hinterher und schien ziemlich ü berflü ssig zu sein, denn Frä ulein Mü ller wandte sich nur an Pat.

Das Zimmer, das sie uns zeigte, lag im unteren Stock. Es hatte einen eigenen Eingang vom Garten her. Das gefiel mir sehr. Es war ziemlich groß, hell und freundlich. An einer Seite, in einer Art von Nische, standen zwei Betten.

»Nun? « fragte Frä ulein Mü ller.

»Sehr schö n«, sagte Pat. »Prachtvoll sogar«, fü gte ich hinzu, um mich einzuschmeicheln. »Und wo ist das andere? «

Frä ulein Mü ller drehte sich langsam zu mir herum. »Das andere? Was fü r ein anderes? Wollen Sie denn ein anderes? Gefä llt Ihnen dieses nicht? «

»Es ist einfach herrlich«, erwiderte ich, »aber... «

»Aber? « sagte Frä ulein Mü ller etwas spitz — »leider habe ich kein besseres als dieses. «

Ich wollte ihr gerade erklä ren, daß wir zwei Einzelzimmer brauchten, da fü gte sie schon hinzu: »Ihre Frau findet es doch sehr schö n. «

Ihre Frau — ich hatte das Gefü hl, als wä re ich einen Schritt zurü ckgetreten. Aber ich hatte mich nicht von der Stelle gerü hrt. Vorsichtig warf ich einen Blick auf Pat, die am Fenster lehnte und ein Lachen unterdrü ckte, als sie mich so dastehen sah. »Meine Frau, gewiß... «, sagte ich und starrte auf das goldene Kreuz an Frä ulein Mü llers Hals. Es war nichts zu machen, ich durfte sie nicht aufklä ren. Sie wä re mit einem Schrei in Ohnmacht gefallen. »Wir sind nur gewohnt, in zwei Zimmern zu schlafen«, sagte ich. »Jeder in einem, meine ich. «

Miß billigend schü ttelte Frä ulein Mü ller den Kopf, »Zwei Schlafzimmer, wenn man verheiratet ist — das sind so neue Moden... «

»Gar nicht«, sagte ich, bevor sie miß trauisch werden konnte. »Meine Frau hat nur einen sehr leisen Schlaf. Und ich schnarche leider ziemlich laut. «

»Ach so, Sie schnarchen! « erwiderte Frä ulein Mü ller, als hä tte sie sich das lä ngst denken kö nnen.

Ich fü rchtete, sie wü rde mir jetzt ein Zimmer oben im zweiten Stock geben wollen, aber die Ehe schien ihr heilig zu sein. Sie ö ffnete die Tü r zu einem kleinen Zimmer nebenan, in dem nicht viel mehr als ein Bett stand.

»Groß artig«, sagte ich, »das genü gt vollkommen. Aber stö re ich auch niemanden sonst? « Ich wollte wissen, ob wir hier unten fü r uns allein waren.

»Sie stö ren niemand«, erklä rte Frä ulein Mü ller, und die Wü rde fiel plö tzlich von ihr ab. »Auß er Ihnen wohnt niemand hier. Die anderen Zimmer sind alle leer. « Sie stand einen Augenblick, dann raffte sie sich zusammen. »Wollen Sie hier im Zimmer essen oder im Speisezimmer? «

»Hier«, sagte ich.

Sie nickte und ging.

»Na, Frau Lohkamp«, sagte ich zu Pat. »Da sitzen wir drin. Aber ich habe mich nicht getraut, der alte Teufel hatte so was Kirchliches an sich. Ich schien ihm auch nicht zu gefallen. Komisch, dabei habe ich sonst bei alten Damen immer Glü ck. «

»Das war keine alte Dame, Robby. Das war ein sehr nettes, altes Frä ulein. «

»Nett? « Ich hob die Achseln. »Aber immerhin, Haltung hatte sie. Kein Mensch im Hause und dieses hoheitsvolle Benehmen! «

»So hoheitsvoll war sie gar nicht... «

»Gegen dich nicht. «

Pat lachte. »Mir hat sie gut gefallen. Aber jetzt wollen wir die Koffer holen und die Badesachen auspacken. «

 

Ich hatte eine Stunde geschwommen und lag am Strande in der Sonne. Pat war noch im Wasser. Ihre weiß e Badekappe tauchte ab und zu zwischen dem blauen Schwall der Wellen auf. Ein paar Mö wen kreischten. Am Horizont zog langsam ein Dampfer mit wehender Rauchfahne vorü ber.

Die Sonne brannte. Sie zerschmolz jeden Widerstand zu schlä frig gedankenloser Hingabe. Ich schloß die Augen und streckte mich lang aus. Der heiß e Sand knisterte. Das Gerä usch der schwachen Brandung rauschte mir in den Ohren. Es erinnerte mich an etwas, an einen heiß en Tag, wo ich ebenso gelegen hatte — Es war im Sommer 1917 gewesen. Unsere Kompanie lag damals in Flandern, und wir hatten unverhofft ein paar Tage Urlaub nach Ostende bekommen, Meyer, Holthoff, Breyer, Lü tgens, ich und noch einige andere. Die meisten von uns waren noch nie am Meere gewesen, und diese wenigen Tage, diese fast unbegreifliche Pause zwischen Tod und Tod, wurden zu einer wilden Hingabe an Sonne, Sand und Meer. Wir blieben den ganzen Tag am Strande, wir dehnten unsere nackten Kö rper in der Sonne — denn Nacktsein, nicht Bepacktsein mit den Waffen und der Uniform, das hieß schon soviel wie Frieden —, wir tobten am Strande herum und stü rmten immer wieder in das Meer hinein, wir spü rten unsere Glieder, unseren Atem, unsere Bewegungen mit der ganzen Stä rke, die die Dinge des Lebens in dieser Zeit hatten, wir vergaß en alles in diesen Stunden und wollten auch alles vergessen. Aber abends, in der Dä mmerung, wenn die Sonne fort war und die grauen Schatten vom Horizont her ü ber das erblassende Meer liefen, dann mischte sich langsam in das Brausen der Brandung ein anderer Ton, er wurde stä rker und ü bertö nte es schließ lich wie eine dumpfe Drohung: der Kanonendonner der Front. Dann kam es vor, daß plö tzlich ein fahles Schweigen die Gesprä che unterbrach, daß die Kö pfe sich lauschend hoben und daß aus den frö hlichen Gesichtern mü de gespielter Knaben jä h wieder das harte Antlitz der Soldaten hervorsprang, ergreifend ü berweht fü r einen Augenblick noch von einem Erstaunen, einer Schwermut, in der alles war, was nie ausgesprochen wurde: Mut und Bitterkeit und Lebensgier, der Wille zur Pflicht, die Verzweiflung, die Hoffnung und die rä tselhafte Trauer der frü h Gezeichneten. Ein paar Tage spä ter begann die groß e Offensive, und schon am dritten Juli hatte die Kompanie nur noch zweiunddreiß ig Mann, und Meyer, Holthoff und Lü tgens waren tot. — »Robby! « rief Pat.

Ich ö ffnete die Augen. Einen Moment muß te ich mich besinnen, wo ich war. Immer, wenn Erinnerungen aus dem Kriege kamen, war man gleich weit weg. Bei andern nicht.

Ich richtete mich auf. Pat kam aus dem Wasser. Sie ging gerade vor der Bahn der Sonne auf dem Meer, breiter Glanz floß ü ber ihre Schultern, und sie war so umflutet von Licht, daß sie fast dunkel davor wirkte. Mit jedem Schritt den Strand hinauf wuchs sie hö her in den starken Schein, bis die Sonne des spä ten Nachmittags hinter ihrem Kopfe stand wie eine Gloriole.



  

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