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Drei Kameraden 15 страница



Ich sprang auf, so unwirklich, so wie aus einer anderen Welt erschien mir gerade jetzt dieses Bild — der weite blaue Himmel, die weiß en Schaumreihen des Meeres und die schö ne, schmale Gestalt davor —, als wä re ich allein auf der Welt und aus dem Wasser schritte die erste Frau herauf. Einen Augenblick lang empfand ich die ungeheure, stille Gewalt der Schö nheit und spü rte, daß sie stä rker war als alle blutige Vergangenheit, daß sie stä rker sein muß te, daß die Welt sonst zusammenbrechen wü rde, daß sie sonst ersticken mü ß te in ihrer furchtbaren Verwirrung. Und mehr als das noch empfand ich, daß ich da war, einfach da war, und daß Pat da war, daß ich lebte, daß ich herausgekommen war aus dem Grauen, daß ich Augen hatte und Hä nde und Gedanken und die heiß en Wellen des Blutes und daß alles das ein unbegreifliches Wunder war.

»Robby! « rief Pat noch einmal und winkte.

Ich griff ihren Bademantel vom Boden auf und ging ihr rasch entgegen. »Du bist viel zu lange im Wasser gewesen«, sagte ich.

»Ich bin ganz warm«, erwiderte sie atemlos.

Ich kü ß te sie auf die feuchte Schulter. »Anfangs muß t du etwas vernü nftiger sein. «

Sie schü ttelte den Kopf und sah mich strahlend an. »Ich bin lange genug vernü nftig gewesen. «

»So? «

»Natü rlich. Viel zu lange! Ich will endlich einmal unvernü nftig sein! « Sie lachte und legte ihre Wange an mein Gesicht. »Wir wollen unvernü nftig sein, Robby! An nichts denken, an ü berhaupt nichts denken, nur an uns und die Sonne und die Ferien und das Meer! «

»Gut«, sagte ich und nahm das Frottiertuch. »Zunä chst will ich dich mal trockenreiben. Woher bist du eigentlich schon so braun? «

Sie zog den Bademantel an. »Das stammt noch aus meinem vernü nftigen Jahr. Da muß te ich jeden Tag auf dem Balkon eine Stunde in der Sonne liegen. Und abends um acht Uhr schlafen gehen. Heute abend gehe ich um acht Uhr noch einmal baden. «

»Das werden wir sehen«, sagte ich. »In Vorsä tzen ist der Mensch immer groß. Im Ausfü hren nicht. Darin liegt sein Scharm. «

 

Mit dem Baden abends wurde es nichts. Wir machten noch einen Gang zum Dorf und eine Fahrt mit dem Citroen durch die Dä mmerung — dann wurde Pat plö tzlich sehr mü de und verlangte nach Hause. Ich hatte das schon oft bei ihr gesehen — dieses rasche Abfallen von strahlender Lebendigkeit zu jä her Mü digkeit. Sie hatte nicht viel Kraft und gar keine Reserven — dabei wirkte sie gar nicht so. Sie verbrauchte immer alles, was sie an Lebenskraft in sich hatte, und schien dann unerschö pflich zu sein in ihrer geschmeidigen Jugend — aber auf einmal kam dann der Augenblick, wo ihr Gesicht blaß wurde und ihre Augen sich tief verschatteten —, dann war es zu Ende. Sie wurde nicht langsam mü de, sie wurde es von einer Sekunde zur andern.

»Fahren wir nach Hause, Robby«, sagte sie, und ihre dunkle Stimme war noch tiefer als sonst.

»Nach Hause? Zu Frä ulein Elfriede Mü ller mit dem goldenen Kreuz auf der Brust? Wer weiß, was sich der Teufel inzwischen wieder ausgedacht hat. «

»Nach Hause, Robby«, sagte Pat und lehnte sich mü de an meine Schulter. »Es ist unser Zuhause. «

Ich nahm eine Hand vom Steuerrad und legte sie um ihre Schultern. So fuhren wir langsam durch die blaue, neblige Dä mmerung, und als wir schließ lich die erleuchteten Fenster des kleinen Hauses erblickten, das sich in die flache Talmulde einschmiegte wie ein dunkles Tier, war wirklich etwas wie Nachhausekommen dabei.

Frä ulein Mü ller erwartete uns bereits. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt statt des schwarzen Wollkleides ein schwarzes Seidenkleid von gleichem, puritanischem Schnitt. Dazu statt des Kreuzes ein Emblem von Herz, Anker und Kreuz gleichzeitig — das kirchliche Symbol fü r Glaube, Hoffnung und Liebe.

Sie war bedeutend freundlicher als nachmittags und fragte, ob es recht sei, daß sie als Abendessen Eier, kaltes Fleisch und gerä ucherten Fisch vorbereitet habe.

»Na ja«, sagte ich.

»Gefä llt es Ihnen nicht? Es sind ganz frisch gerä ucherte Flundern. « Sie schaute mich etwas ä ngstlich an.

»Gewiß «, sagte ich kü hl.

»Frisch gerä ucherte Flundern mü ssen herrlich schmecken«, erklä rte Pat und blickte vorwurfsvoll zu mir herü ber. »Ein richtiges Nachtessen, wie man es sich nur wü nschen kann am ersten Tag an der See, Frä ulein Mü ller. Wenn es noch ordentlich heiß en Tee dazu gä be... «

»Doch, doch! Ganz heiß en Tee! Gern! Ich lasse alles gleich bringen. « Frä ulein Mü ller raschelte erleichtert eilig in ihrem Seidenkleid davon.

»Magst du wirklich keinen Fisch? « fragte Pat.

»Und wie! Flundern! Davon habe ich schon seit Tagen geträ umt. «

»Und dann tust du so erhaben? Das ist aber stark! «

»Ich muß te ihr doch den Empfang von heute nachmittag heimzahlen. « »Ach du lieber Gott! « Pat lachte. »Daß du auch ja nichts auslä ß t! Ich hatte das schon lä ngst vergessen. « »Ich nicht«, sagte ich. »Ich vergesse nicht so leicht. « »Das solltest du aber. « Das Dienstmä dchen kam mit dem Tablett. Die Flundern hatten eine Haut wie Goldtopas und rochen wunderbar nach See und Rauch. Es waren auch noch frische Garnelen dabei. »Ich fange an zu vergessen«, sagte ich schwä rmerisch. »Auß erdem merke ich, daß ich einen Riesenhunger habe. «

»Ich auch. Aber gib mir erst rasch etwas heiß en Tee. Es ist merkwü rdig, aber mich friert. Dabei ist es doch ganz warm drauß en. «

Ich sah sie an. Sie war blaß, obschon sie lä chelte. »Kein Wort jetzt ü ber zu langes Baden«, sagte ich und fragte das Dienstmä dchen: »Haben Sie etwas Rum? «

»Was? «

»Rum. Ein Geträ nk in Flaschen. «

»Rum? «

»Ja. «

»Nee. «

Sie glotzte ausdruckslos mit ihrem Vollmondsgesicht aus Kuchenteig. »Nee«, sagte sie noch einmal. »Gut«, erwiderte ich. »Macht auch nichts. Leben Sie wohl. Gott mit Ihnen. « Sie verschwand. »Welch ein Glü ck, Pat, daß wir weitsichtige Freunde haben«, sagte ich. »Lenz hat mir da heute morgen noch rasch beim Wegfahren ein ziemlich schweres Paket in den Wagen gestopft. Wollen mal nachsehen, was drin ist. «

Ich holte das Paket aus dem Wagen. Es war eine kleine Kiste mit zwei Flaschen Rum, einer Flasche Kognak und einer Flasche Portwein. Ich hob sie hoch. »St. -James-Rum sogar! Auf die Jungens kann man sich verlassen! «

Ich korkte die Flasche auf und goß Pat einen guten Schuß in den Tee. Dabei sah ich, daß ihre Hand etwas zitterte. »Friert dich wirklich so? « fragte ich.

»Nur einen Augenblick. Jetzt ist es schon besser. Der Rum ist gut. Aber ich geh' bald zu Bett. «

»Tu das gleich, Pat«, sagte ich, »wir schieben den Tisch dann heran und essen so. «

Sie ließ sich ü berreden. Ich holte ihr noch eine Decke von meinem Bett und rü ckte den Tisch zurecht. »Willst du vielleicht einen ordentlichen Grog haben, Pat? Das ist noch besser. Ich kann rasch einen machen. «

Sie schü ttelte den Kopf. »Ich fü hle mich schon wieder wohl. «

Ich blickte sie an. Sie sah wirklich schon besser aus. Ihre Augen hatten wieder Glanz, der Mund war sehr rot, und die Haut schimmerte matt. »Fabelhaft, wie schnell das geht«, sagte ich. »Das ist sicher der Rum. «

Sie lä chelte. »Es ist auch das Bett, Robby. Ich erhole mich am besten im Bett. Das ist meine Zuflucht. «

»Merkwü rdig. Ich wü rde verrü ckt, wenn ich so frü h im Bett liegen mü ß te. Allein, meine ich. «

Sie lachte. »Fü r eine Frau ist das etwas anderes. «

»Sag nicht fü r eine Frau. Du bist keine Frau. «

»Was denn? «

»Ich weiß nicht. Aber keine Frau. Wenn du eine richtige, normale Frau wä rest, kö nnte ich dich nicht lieben. «

Sie sah mich an. »Kannst du ü berhaupt lieben? «

»Na«, sagte ich, »das ist allerhand beim Abendessen. Hast du noch mehr solcher Fragen? «

»Vielleicht. Aber wie ist es mit dieser? «

Ich schenkte mir ein Glas Rum ein. »Prost, Pat! Kann sein, daß du recht hast. Vielleicht kö nnen wir es alle nicht. So wie frü her, meine ich. Aber es ist darum nicht schlechter. Nur anders. Man sieht es nicht so. «

Es klopfte. Frä ulein Mü ller kam herein. Sie hatte einen winzigen Glaskrug in der Hand, in dem ein biß chen Flü ssigkeit hin und her schaukelte. »Hier bringe ich Ihnen den Rum. «

»Danke«, sagte ich und betrachtete gerü hrt den glä sernen Fingerhut.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, aber wir haben uns schon geholfen. «

»O Gott! « Sie beschaute erschreckt die vier Flaschen auf dem Tisch. »Trinken Sie so viel? «

»Nur als Medizin«, erwiderte ich sanft und vermied es, Pat anzusehen. »Vom Arzt verschrieben. Ich habe eine zu trockene Leber, Frä ulein Mü ller. Aber wollen Sie uns nicht die Ehre geben? «

Ich machte die Portweinflasche auf. »Auf Ihr Wohl! Daß das Haus bald voller Gä ste ist. «

»Danke vielmals! « Sie seufzte, machte eine kleine Verbeugung und nippte wie ein Vogel. »Auf gute Ferien! « Dann lä chelte sie mir verschmitzt zu. »Der ist aber stark. Und gut. «

Mir fiel vor Erstaunen ü ber diese Wandlung fast das Glas aus der Hand. Frä ulein Mü ller bekam rote Bä ckchen und blitzende Augen und fing an zu reden von allerlei Dingen, die uns nicht interessierten. Pat hatte eine Engelsgeduld mit ihr. Schließ lich wandte sie sich an mich. »Herrn Kö ster geht es also gut? «

Ich nickte.

»Er war immer so ruhig damals«, sagte sie. »Oft sprach er tagelang kein Wort. Tut er das jetzt auch noch? «

»Na, jetzt redet er schon manchmal. «

»Er war fast ein Jahr hier. Immer allein... «

»Ja«, sagte ich. »Dann redet man immer weniger. «

Sie nickte ernsthaft und sah zu Pat hinü ber. »Sie sind sicher mü de. «

»Etwas«, sagte Pat.

»Sehr«, fü gte ich hinzu.

»Dann will ich nur gehen«, erwiderte sie erschreckt. »Gute Nacht also! Schlafen Sie gut! «

Sie ging zö gernd.

»Ich glaube, die wä re am liebsten noch lä nger geblieben«, sagte ich.

»Komisch, auf einmal, was? «

»Das arme Geschö pf«, erwiderte Pat. »Sitzt sicher jeden Abend allein in ihrem Zimmer und hat Sorgen. «

»Ach so, ja... «, sagte ich. »Aber ich denke, daß ich mich alles in allem doch ganz nett zu ihr benommen habe. «

»Das hast du. « Sie strich mir ü ber die Hand. »Mach die Tü r ein biß chen auf, Robby. «

Ich ging hin und ö ffnete die Tü r. Drauß en war es klarer geworden, und ein Streifen Mondlicht fiel ü ber den Weg hinweg bis in das Zimmer. Es war, als hä tte der Garten nur darauf gewartet, daß die Tü r geö ffnet wü rde — so stark drang sofort der Nachtduft der Blumen herein, der sü ß e Geruch von Goldlack, Reseda und Rosen. Er erfü llte das ganze Zimmer.

»Sieh nur«, sagte ich und zeigte hinaus.

Man konnte im voller werdenden Mondlicht den ganzen Gartenweg entlang sehen. Die Blumen standen mit geneigten Stengeln am Rande, die Blä tter hatten die Farbe oxydierten Silbers, und die Blü ten, die am Tage bunt geleuchtet hatten, schimmerten jetzt in matten Pastelltö nen geisterhaft und zart. Das Mondlicht und die Nacht hatten ihren Farben die Kraft genommen — dafü r aber war ihr Duft voller und sü ß er als jemals am Tage.

Ich sah zu Pat hinü ber. Zart und schmal und zerbrechlich lag ihr Kopf mit dem dunklen Haar auf den weiß en Kissen. Sie hatte nicht viel Kraft — aber auch sie hatte das Geheimnis des Zerbrechlichen, das Geheimnis der Blumen in der Dä mmerung und im schwebenden Licht des Mondes.

Sie richtete sich ein wenig auf. »Ich bin wirklich sehr mü de, Robby. Ist das schlimm? «

Ich setzte mich zu ihr an das Bett. »Gar nicht. Du wirst gut schlafen. «

»Aber du willst doch noch nicht schlafen. «

»Ich gehe dann noch etwas an den Strand. «

Sie nickte und legte sich zurü ck. Ich blieb noch eine Weile sitzen. »Laß die Tü r ü ber Nacht offen«, sagte sie schlaftrunken. »Das ist, als ob man im Garten schlä ft... «

Sie begann tiefer zu atmen, und ich stand leise auf und ging in den Garten hinaus. Neben dem Holzzaun blieb ich stehen und rauchte eine Zigarette. Ich konnte von hier in das Zimmer hineinsehen. Pats Bademantel hing ü ber einem Stuhl, ihr Kleid und ein biß chen Wä sche waren darü bergeworfen, und auf dem Boden, vor dem Stuhl, standen ihre Schuhe. Einer war umgekippt. Ich hatte ein merkwü rdiges Gefü hl von Heimat, als ich das so sah, und ich dachte daran, daß nun jemand da war und dasein wü rde, daß ich nur wenige Schritte zu machen brauchte, um ihn zu sehen und bei ihm zu sein, heute, morgen und auf lange Zeit vielleicht...

Vielleicht, dachte ich, vielleicht — immer dieses Wort, ohne das man nicht mehr auskam! Es war die Sicherheit, die einem fehlte — es war die Sicherheit, die allem und allen fehlte.

Ich ging zum Strand hinunter, zum Meer und zum Wind, zu dem dumpfen Brausen, das wie ferner Kanonendonner heraufscholl.

 

 

XVI

 

Ich saß am Strande und sah zu, wie die Sonne unterging. Pat war nicht mitgekommen. Sie hatte sich den Tag ü ber nicht wohl gefü hlt. Als es dunkel wurde, stand ich auf, um nach Hause zu gehen. Da sah ich hinter dem Walde das Dienstmä dchen herankommen. Es winkte und rief etwas. Ich verstand es nicht; der Wind und das Meer waren zu laut. Ich winkte zurü ck, sie solle stehenbleiben, ich kä me schon. Aber sie lief weiter und hob die Hä nde zum Mund. »Frau... «, verstand ich — »rasch... «

Ich lief. »Was ist los? «

Sie jappte nach Luft. »Rasch — Frau — Unglü ck... «

Ich rannte den Sandweg entlang, durch den Wald, dem Hause zu. Das hö lzerne Gartentor verhedderte sich, ich sprang hinü ber und stü rzte ins Zimmer. Da lag Pat auf dem Bett, mit blutiger Brust und gekrampften Hä nden, und Blut lief ihr aus dem Munde. Neben ihr stand Frä ulein Mü ller mit Tü chern und einer Schale Wasser.

»Was ist los? « rief ich und schob sie beiseite.

Sie sagte etwas. »Bringen Sie Verbandzeug! « rief ich. »Wo ist die Wunde? «

Sie sah mich mit zitternden Lippen an. »Es ist keine Wunde —«

Ich richtete mich auf. »Ein Blutsturz«, sagte sie.

Mir war, als hä tte ich einen Hammerschlag erhalten. »Ein Blutsturz? « Ich sprang auf und nahm ihr die Schü ssel mit Wasser aus der Hand. »Holen Sie Eis, holen Sie rasch etwas Eis. «

Ich tauchte das Handtuch in die Schü ssel und legte es Pat auf die Brust. »Wir haben kein Eis im Hause«, sagte Frä ulein Mü ller.

Ich drehte mich um. Sie wich zurü ck. »Holen Sie Eis, um Gottes willen, schicken Sie zur nä chsten Kneipe, und telefonieren Sie sofort dem Arzt! «

»Wir haben doch kein Telefon... «

»Verflucht! Wo ist das nä chste Telefon? «

»Bei Maß mann. «

»Laufen Sie hin. Schnell. Telefonieren Sie sofort an den nä chsten Arzt. Wie heiß t er? Wo wohnt er? « Ehe sie einen Namen nannte, schob ich sie hinaus.

»Schnell, schnell, laufen Sie rasch! Wie weit ist es? «

»Drei Minuten«, sagte die Frau und hastete los.

»Bringen Sie Eis mit! « rief ich ihr nach.

Sie nickte und lief.

Ich holte Wasser und tauchte das Handtuch wieder ein. Ich wagte nicht, Pat anzurü hren. Ich wuß te nicht, ob sie richtig lag, ich war verzweifelt, weil ich es nicht wuß te, das einzige, was ich wissen muß te: ob ich ihr das Kissen unter den Kopf schieben oder sie flach hinlegen sollte.

Sie rö chelte, dann bä umte sie sich, und ein Schuß Blut quoll aus ihrem Munde. Sie atmete hoch und jammernd ein, ihre Augen waren unmenschlich entsetzt, sie verschluckte sich und hustete, und wieder spritzte das Blut, ich hielt sie fest und gab nach, die Hand unter ihrer Schulter, ich spü rte die Erschü tterungen ihres armen gequä lten Rü ckens, es schien endlos zu dauern, dann fiel sie schlapp zurü ck...

Frä ulein Mü ller trat ein. Sie sah mich an wie ein Gespenst.

»Was sollen wir machen? « rief ich.

»Der Arzt kommt sofort«, flü sterte sie, »Eis — auf die Brust, und wenn es geht, in den Mund... «

»Tief oder hoch legen, so reden sie doch, himmelverflucht, rasch. «

»So lassen — er kommt sofort... «

Ich packte Pat die Eisstü cke auf die Brust, erlö st, daß ich etwas tun konnte, ich schlug Eis klein fü r Kompressen und legte sie auf und sah immer nur diesen sü ß en, geliebten, verzerrten Mund, diesen einzigen Mund, diesen blutenden Mund...

Da rasselte ein Fahrrad. Ich sprang hoch. Der Arzt. »Kann ich helfen? « fragte ich. Er schü ttelte den Kopf und packte seine Tasche aus. Ich stand dicht bei ihm am Bett und umklammerte die Pfosten. Er sah auf. Ich ging einen Schritt zurü ck und behielt ihn fest im Auge. Er betrachtete die Rippen Pats. Pat stö hnte.

»Ist es gefä hrlich? « fragte ich.

»Wo war Ihre Frau in Behandlung? « fragte er zurü ck.

»Was? In Behandlung? « stotterte ich.

»Bei welchem Arzt? « fragte er ungeduldig.

»Ich weiß nicht —«, antwortete ich — »nein, ich weiß nichts — ich glaube nicht... « Er sah mich an. »Das mü ssen Sie doch wissen... « »Ich weiß es aber nicht. Sie hat mir nie etwas davon gesagt. « Er beugte sich zu Pat hinunter und fragte. Sie wollte antworten. Aber wieder brach der Husten rot durch. Der Arzt fing sie auf. Sie biß in die Luft und holte pfeifend Atem. »Jaffé «, stieß sie gurgelnd hervor. »Felix Jaffé? Professor Felix Jaffé? « fragte der Arzt. Sie nickte mit den Augen. Er wendete sich zu mir. »Kö nnen Sie ihm telefonieren? Es ist besser, ihn zu fragen. «

»Jaja«, antwortete ich, »ich werde sofort. Ich hole Sie dann! Jaffé? «

»Felix Jaffé «, sagte der Arzt, »verlangen Sie bei der Auskunft die Nummer. «

»Kommt sie durch? « fragte ich.

»Sie muß aufhö ren zu bluten«, sagte der Arzt.

Ich faß te das Mä dchen und rannte los, den Weg entlang. Sie zeigte mir das Haus mit dem Telefon. Ich klingelte. Eine kleine Gesellschaft saß bei Kaffee und Bier. Ich umfaß te sie mit einem kreisenden Blick und begriff nicht: daß Menschen Bier tranken, wä hrend Pat blutete. Ich verlangte ein dringendes Gesprä ch und wartete am Apparat. Wä hrend ich in die surrende Dunkelheit hineinhorchte, sah ich durch die Portieren den Ausschnitt des anderen Zimmers wolkig und ü berdeutlich. Ich sah eine Glatze hin und her schwanken, gelb vom Licht bespiegelt, ich sah eine Brosche auf dem schwarzen Taft eines geschnü rten Kleides und ein Doppelkinn mit einem Kneifer und aufgetü rmter Frisur darü ber — eine knochige, alte Hand mit dicken Adern, die auf den Tisch trommelte —, ich wollte es nicht sehen, aber es war, als ob ich wehrlos sei: Es drang in meine Augen wie ü berstarkes Licht.

Endlich meldete sich die Nummer. Ich fragte nach dem Professor.

»Bedaure«, sagte die Schwester, »Professor Jaffé ist ausgegangen. «

Mein Herz hö rte auf zu schlagen und haute dann wie ein Schmiedehammer los. »Wo ist er denn? Ich muß ihn sofort sprechen. «

»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er noch einmal in die Klinik gegangen. «

»Bitte, rufen Sie die Klinik an. Ich warte hier. Sie haben doch noch einen zweiten Apparat. «

»Einen Moment. « Das Sausen setzte wieder ein, die bodenlose Dunkelheit, ü ber der hur der dü nne Metallfaden schwebte. Ich zuckte zusammen. Neben mir, in einem verhä ngten Bauer fing ein Kanarienvogel an zu zirpen. Die Stimme der Schwester kam wieder. »Professor Jaffé ist aus der Klinik schon fortgegangen. «

»Wohin? «

»Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen, mein Herr. «

Aus. Ich lehnte mich an die Wand. »Hallo! « sagte die Schwester, »sind Sie noch da? « »Ja — hö ren Sie, Schwester, Sie wissen nicht, wann er zurü ckkommt? «

»Das ist ganz unbestimmt. «

»Hinterlä ß t er das denn nicht? Das muß er doch. Wenn mal was passiert, muß er doch zu erreichen sein. «

»Es ist ein Arzt in der Klinik. «

»Kö nnen Sie denn den« — nein, es hatte ja keinen Zweck, der wuß te es ja nicht — »gut, Schwester«, sagte ich todmü de, »wenn Professor Jaffé kommt, bitten Sie ihn, sofort dringend hier anzurufen. « Ich sagte ihr die Nummer. »Aber bitte, dringend, Schwester. «

»Sie kö nnen sich darauf verlassen, mein Herr. « Sie wiederholte die Nummer und hä ngte ab.

Ich stand da, allein. Die schwankenden Kö pfe, die Glatze, die Brosche, das andere Zimmer waren weit weg, glä nzender Gummi, der schwankte. Ich sah mich um. Ich war fertig hier. Ich brauchte den Leuten nur noch zu sagen, daß sie mich holten, wenn angerufen wurde. Aber ich konnte mich nicht entschließ en, das Telefon loszulassen. Es war, als ließ e ich ein Rettungsseil los. Und plö tzlich hatte ich es. Ich hob den Hö rer wieder ab und sagte Kö sters Nummer hinein. Er muß te da sein. Es ging einfach nicht anders.

Und da kam sie, aus dem Gebrodel der Nacht, die ruhige Stimme Kö sters. Ich wurde sofort selbst ruhig und sagte ihm alles. Ich fü hlte, er schrieb schon mit.

»Gut«, sagte er, »ich fahre sofort los, ihn zu suchen. Ich rufe an. Sei ruhig. Ich finde ihn. «

Vorbei. Vorbei? Die Welt stand still. Der Spuk war aus. Ich lief zurü ck.

»Nun? « fragte der Arzt, »haben Sie ihn erreicht? «

»Nein«, sagte ich, »aber ich habe Kö ster erreicht. «

»Kö ster? Kenne ich nicht! Was hat er gesagt? Wie hat er sie behandelt? «

»Behandelt? Behandelt hat er sie nicht. Kö ster sucht ihn. «

»Wen? «

»Jaffé. «

»Herrgott, wer ist denn dieser Kö ster? «

»Ach so — entschuldigen Sie. Kö ster ist mein Freund. Er sucht Professor Jaffé. Ich konnte ihn nicht erreichen. «

»Schade«, sagte der Arzt und wandte sich wieder Pat zu.

»Er wird ihn erreichen«, sagte ich. »Wenn er nicht tot ist, wird er ihn erreichen. «

Der Arzt sah mich an, als ob ich verrü ckt geworden wä re. Dann zuckte er die Achseln.

Das Licht der Lampe brü tete im Zimmer. Ich fragte, ob ich helfen kö nne. Der Arzt schü ttelte den Kopf. Ich starrte aus dem Fenster. Pat rö chelte. Ich schloß das Fenster und stellte mich in die Tü r. Ich beobachtete den Weg.

Plö tzlich hö rte ich rufen. »Telefon! «

Ich drehte mich um. »Telefon. Soll ich hingehen? «

Der Arzt sprang auf. »Nein, ich. Ich kann ihn besser fragen. Bleiben Sie hier. Tun Sie nichts weiter. Ich komme sofort wieder. «

Ich setzte mich zu Pat an das Bett. »Pat«, sagte ich leise. »Wir sind alle da. Wir passen auf. Es wird dir nichts passieren. Es darf dir nichts passieren. Der Professor spricht jetzt schon. Er sagt uns alles. Morgen kommt er sicher selbst. Er wird dir helfen. Du wirst gesund werden. Weshalb hast du mir denn nie etwas davon gesagt, daß du noch krank bist? Das biß chen Blut ist nicht schlimm, Pat. Wir geben es dir wieder. Kö ster hat den Professor geholt, jetzt ist alles gut, Pat. «

Der Arzt kam zurü ck. »Es war nicht der Professor... «

Ich stand auf.

»Es war ein Freund von Ihnen, Lenz. «

»Kö ster hat ihn nicht gefunden? «

»Doch. Er hat ihm Anweisungen gegeben. Ihr Freund Lenz hat sie mir telefoniert. Ganz klar und richtig sogar. Ist Ihr Freund Lenz Arzt? « »Nein. Er wollte es werden. Und Kö ster? « Der Arzt sah mich an. »Lenz hat telefoniert, Kö ster sei vor wenigen Minuten abgefahren. Mit dem Professor. « Ich muß te mich anlehnen. »Otto«, sagte ich. »Ja«, fü gte der Arzt hinzu, »das ist das einzige, was er falsch gesagt hat. Er hat gemeint, sie wä ren in zwei Stunden hier. Ich kenne die Strecke. Sie brauchen bei schä rfster Fahrt ü ber drei Stunden. Immerhin... «

»Doktor«, erwiderte ich, »Sie kö nnen sich darauf verlassen. Wenn er sagt zwei Stunden, dann ist er in zwei Stunden hier. «

»Es ist unmö glich. Die Strecke ist kurvig, und es ist Nacht. «

»Warten Sie ab«, sagte ich.

»Immerhin — wenn er dann hier ist — es ist besser, daß er kommt. «

Ich konnte es nicht mehr aushalten. Ich ging ins Freie. Drauß en war es neblig geworden. Das Meer rauschte in der Ferne. Von den Bä umen tropfte es. Ich sah mich um. Ich war nicht mehr allein. Hinter dem Horizont im Sü den heulte jetzt ein Motor. Hinter den Nebeln raste die Hilfe ü ber die blassen Straß en, die Scheinwerfer spritzten Licht, die Reifen pfiffen und zwei Hä nde hielten eisern das Steuer, zwei Augen bohrten sich in das Dunkel, kalt, beherrscht: die Augen meines Freundes — Spä ter hö rte ich von Jaffé, wie es gewesen war.

Kö ster hatte sofort nach dem Anruf Lenz telefoniert, er solle sich bereit halten. Dann hatte er Karl geholt und war mit Lenz zur Klinik Jaffé s gerast. Die Stationsschwester nahm an, der Professor sei zum Abendessen gegangen. Sie nannte Kö ster eine Anzahl Lokale, in den er vielleicht zu treffen wä re. Kö ster fuhr los. Er ü berfuhr alle Verkehrszeichen — er kü mmerte sich nicht um die heranstü rzenden Schupos. Er riß den Wagen wie ein Pferd durch den Verkehr. Im vierten Lokal fand er den Professor.

Jaffé erinnerte sich sofort. Er ließ sein Essen stehen und kam gleich mit. Sie fuhren zu seiner Wohnung, um die notwendigsten Sachen zu holen. Dies war die einzige Strecke, die Kö ster zwar schnell fuhr, aber nicht raste. Er wollte den Arzt nicht vorzeitig erschrecken. Unterwegs fragte Jaffé, wo Pat liege. Kö ster nannte einen vierzig Kilometer entfernt liegenden Ort. Er wollte den Professor nur erst einmal im Wagen haben. Alles Weitere ergab sich dann von selbst. Wä hrend Jaffé seine Tasche packte, gab er Lenz Anweisung, was zu telefonieren sei. Dann stieg er zu Kö ster ein.

»Ist es gefä hrlich? « fragte Kö ster.

»Ja«, sagte Jaffé.

In diesem Augenblick verwandelte sich Karl in ein weiß es Gespenst. Er sprang mit einem Satz vom Start und fegte los. Er zwä ngte sich durch, er fuhr mit zwei Rä dern ü ber den Bü rgersteig, er jagte in falscher Richtung durch Einbahnstraß en, er suchte den kü rzesten Weg aus der Stadt heraus.

»Sind Sie verrü ckt? « rief der Professor. Kö ster schoß unter den hohen Stoß stangen eines Omnibusses schrä g hinweg, verringerte das Gas einen Moment und ließ den Motor wieder aufheulen.

»Fahren Sie langsamer«, schrie der Arzt, »was nü tzt es Ihnen, wenn wir einen Unfall haben. «

»Wir werden keinen Unfall haben. «

»Wenn Sie so weiterfahren, in zwei Minuten. «

Kö ster riß den Wagen links an einer Elektrischen vorbei.

»Wir werden keinen Unfall haben. « Er hatte jetzt eine lange Straß e zu fassen. Er sah den Arzt an. »Ich weiß selbst, daß ich Sie heil hinbringen muß. Verlassen Sie sich darauf, daß ich so fahre. «

»Aber was nü tzt Ihnen die Raserei schon! Sie holen ein paar Minuten heraus. «

»Nein«, sagte Kö ster und wich einem Lastwagen mit Steinen aus, »wir haben noch zweihundertvierzig Kilometer zu fahren. «

»Was? «

»Ja... « Der Wagen drehte sich zwischen einem Postauto und einem Autobus durch — »Ich wollte es Ihnen vorhin nicht sagen. «

»Das wä re egal gewesen«, knurrte Jaffé, »ich richte meine Hilfe nicht nach Kilometern. Fahren Sie zum Bahnhof. Wir kommen mit der Eisenbahn schneller hin. «

»Nein. « Kö ster hatte die Vorstadt erreicht. Der Wind riß ihm die Worte vom Mund. »Schon erkundigt — Zug fä hrt zu spä t... « Er sah Jaffé noch einmal an, und der Arzt muß te wohl irgendwas in seinem Gesicht gesehen haben. »In Gottes Namen«, brummte er. »Ihre Freundin? «

Kö ster schü ttelte den Kopf. Er antwortete nicht mehr. Er hatte die Schrebergä rten hinter sich und kam auf die Landstraß e. Der Wagen fuhr jetzt mit vollen Touren. Der Arzt kroch hinter der schmalen Windschutzscheibe zusammen. Kö ster schob ihm seine Lederhaube hin. Die Hupe rö hrte ununterbrochen. Die Wä lder warfen den Schrei zurü ck. Kö ster ging in den Dö rfern mit dem Tempo nur herunter, wenn es gar nicht anders ging. Hinter dem donnernden Widerhall der ungedrosselten Explosionen schlugen die Hä userreihen zusammen wie Schattentü cher, der Wagen wischte hindurch, riß sie in die fahle Helle seiner Scheinwerfer und fraß sich weiter mit dem Lichtstrudel vor sich durch die Nacht. Die Reifen begannen zu knarren — zu zischen — zu heulen — zu pfeifen — der Motor gab jetzt alles her, was er hatte. Kö ster lag nach vorn geduckt, sein Kö rper war ein einziges gewaltiges Ohr, ein Filter, der das Donnern und Pfeifen auf Gerä usche durchsiebte und auf der Lauer lag nach jedem winzigen Nebenlaut, jedem verdä chtigen Schurren und Schleifen, das die Panne und den Tod bergen konnte.



  

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