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Drei Kameraden 8 страница



Sie ü bersah meine ausgestreckte Hand, murmelte etwas von verdammten Saufgurgeln und entschwand tü rendonnernd.

Ich klopfte bei Georg Block. Eine Lichtritze stand unter seiner Tü r. Er bü ffelte. »Komm, Georgie, fressen«, sagte ich.

Er sah auf. Sein blasses Gesicht rö tete sich. »Hab' keinen Hunger. « Er dachte, es wä re aus Mitleid. Deshalb wollte er nicht.

»Sieh dir's erst mal an«, sagte ich. »Es wird sonst schlecht. Tu mir den Gefallen. «

Als wir ü ber den Korridor gingen, sah ich, daß die Tü r Erna Bö nigs einen Spalt offenstand. Dahinter hö rte ich einen leisen Atem. Aha, dachte ich und hö rte, wie bei Hasses ganz vorsichtig das Schloß schnappte und die Tü r ebenfalls um einen Zentimeter nachgab. Die ganze Pension lauerte auf meine Kusine.

Im grellen Oberlicht der Bude standen die Brokatsessel von Frau Zalewski. Die Hassesche Lampe prangte, die Ananas leuchtete, die hochfeine Leberwurst, der Lachsschinken, die Flasche Sherry...

Als ich mit dem sprachlosen Georgie im besten Einhauen war, klopfte es an die Tü r. Ich wuß te, was jetzt kam. »Paß mal auf, Georgie«, flü sterte ich und rief: »Herein! «

Die Tü r ö ffnete sich, und herein trat, funkelnd vor Neugier, Frau Zalewski. Zum erstenmal in meinem Leben brachte sie mir persö nlich die Post, eine Drucksache, in der ich dringend zum Rohkostessen aufgefordert wurde. Sie war feenhaft aufgemacht; ganz groß e Dame aus frü heren besseren Tagen, Spitzenkleid mit Fransenschal und Brosche mit dem Bild des seligen Zalewski als Medaillon. Ein zuckersü ß es Lä cheln gefror jä h auf ihrem Gesicht; verblü fft starrte sie auf den verlegenen Georgie. Ich brach in ein herzloses Gelä chter aus. Sie faß te sich rasch. »Aha, versetzt«, sagte sie giftig.

»Stimmt«, gab ich zu, noch ganz versunken in ihre Aufmachung. Welch ein Glü ck, daß es mit der Einladung nichts geworden war.

Mutter Zalewski sah mich miß billigend an. »Und da lachen Sie noch? Ich habe ja immer gesagt: Wo andere Menschen ein Herz haben, sitzt bei Ihnen eine Schnapsflasche. «

»Ein gutes Wort«, erwiderte ich. »Wollen Sie uns nicht ein wenig die Ehre geben, gnä dige Frau? «

Sie zö gerte. Aber dann siegte die Neugier, vielleicht doch noch etwas zu erfahren. Ich ö ffnete die Flasche Sherry.

 

Spä t, als alles still geworden war, nahm ich meinen Mantel und eine Decke und schlich ü ber den Korridor zum Telefon. Ich kniete vor dem Tisch nieder, auf dem der Apparat stand, legte mir Mantel und Decke ü ber den Kopf, hob den Hö rer ab und hielt mit der linken Hand den Mantel unten zu. So war ich sicher, daß mich niemand belauschen konnte. Die Pension Zalewski besaß ungeheuer lange, neugierige Ohren. Ich hatte Glü ck. Patrice Hollmann war zu Hause. »Sind Sie von Ihrer geheimnisvollen Besprechung schon lange zurü ck? « fragte ich.

»Schon fast eine Stunde. « — »Schade. Hä tte ich das gewuß t. «

Sie lachte. »Nein, es hä tte nichts genü tzt. Ich liege zu Bett und habe schon wieder etwas Fieber. Es ist ganz gut, daß ich frü h nach Hause gekommen bin. «

»Fieber? Was ist denn das nur fü r ein Fieber? «

»Ach, nichts Wichtiges. Was haben Sie denn heute abend noch gemacht? «

»Ich habe mich mit meiner Wirtin ü ber die Weltlage unterhalten. Und Sie? Hat Ihre Sache geklappt? «

»Ich hoffe, daß sie klappt. «

Unter meinem Unterschlupf wurde es affenheiß. Ich lü ftete deshalb jedesmal, wenn das Mä dchen sprach, den Vorhang, atmete eilig die kü hle Luft von auß en und schloß die Klappe wieder, wenn ich selbst dicht ü ber der Muschel sprach.

»Haben Sie in Ihrer Bekanntschaft nicht jemand, der Robert heiß t? « fragte ich.

Sie lachte. »Ich glaube nicht... «

»Schade. Ich hä tte gern mal gehö rt, wie Sie das aussprechen. Wollen Sie es nicht trotzdem mal versuchen? «

Sie lachte wieder.

»Nur so zum Spaß «, sagte ich. »Zum Beispiel: Robert ist ein Esel. «

»Robert ist ein Kindskopf... «

»Sie haben eine wunderbare Aussprache«, sagte ich. »Und nun wollen wir es einmal mit Robby versuchen. Also: Robby ist... «

»Robby ist ein Sä ufer... «, sagte die leise, ferne Stimme langsam, »und jetzt muß ich schlafen —. ich habe ein Schlafmittel genommen, und mein Kopf summt schon... «

»Ja — gute Nacht — schlafen Sie gut... «

Ich legte den Hö rer auf und schob den Mantel und die Decke beiseite. Dann richtete ich mich auf und erstarrte. Einen Schritt hinter mir stand wie ein Geist der pensionierte Rechnungsrat, der das Zimmer neben der Kü che bewohnte.

Ich grunzte ä rgerlich irgend etwas.

»Pst! « machte er und grinste.

»Pst! « machte ich zurü ck und wü nschte ihn zur Hö lle.

Er hob einen Finger. »Ich verrate nichts — politisch, wie? «

»Was? « fragte ich erstaunt.

Er zwinkerte. »Ohne Sorge! Stehe selbst scharf rechts.

Geheimes politisches Gesprä ch, wie? «

Ich begriff. »Hochpolitisch! « sagte ich und grinste jetzt auch.

Er nickte und flü sterte: »Es lebe Seine Majestä t! «

»Dreimal Vivat hoch! « erwiderte ich. »Aber nun mal was anderes: Wissen Sie eigentlich, wer das Telefon erfunden hat? «

Er schü ttelte erstaunt den kahlen Schä del.

»Ich auch nicht«, sagte ich — »aber es muß ein fabelhafter Kerl gewesen sein... «

 

 

IX

 

Sonntag. Der Tag des Rennens. Kö ster hatte die letzte Woche jeden Tag trainiert. Abends hatten wir dann bis in die Nacht hinein Karl bis aufs kleinste Schrä ubchen kontrolliert, geschmiert und in Ordnung gebracht. Jetzt saß en wir am Ersatzteillager und warteten auf Kö ster, der zum Startplatz gegangen war.

Wir waren alle da: Grau, Valentin, Lenz, Patrice Hollmann und vor allem Jupp. Jupp im Overall, mit Rennbrille und Rennhaube. Er war Kö sters Beifahrer, weil er am leichtesten war. Lenz hatte allerdings Bedenken gehabt. Er behauptete, Jupps riesige abstehende Ohren gä ben zuviel Luftwiderstand; entweder verliere der Wagen zwanzig Kilometer an Geschwindigkeit oder er verwandele sich in ein Flugzeug.

»Wie kommen Sie eigentlich zu Ihrem englischen Vornamen? « fragte Gottfried Patrice Hollmann, die neben ihm saß.

»Meine Mutter war Englä nderin. Sie hieß auch so. Pat. «

»Ah, Pat, das ist was anderes. Das spricht sich viel leichter. «

Er holte ein Glas und eine Flasche hervor. »Also auf gute Kameradschaft, Pat! Ich heiß e Gottfried. «

Ich starrte ihn an. Wä hrend ich immer noch mit der Anrede herumlavierte, machte er am hellen Nachmittag unverfroren solche Sachen! Und sie lachte dazu und nannte ihn tatsä chlich Gottfried.

Aber das war nichts gegen Ferdinand Grau. Der war vö llig verrü ckt geworden und ließ sie nicht aus den Augen. Er rezitierte rollende Verse und erklä rte, sie malen zu mü ssen.

Tatsä chlich hockte er sich auf eine Kiste und fing an zu zeichnen.

»Hö r mal, Ferdinand, alter Totenvogel«, sagte ich und nahm ihm den Block fort, »vergreif dich nicht an lebendigen Menschen. Bleib bei deinen Leichen. Und rede mehr ins Allgemeine. Mit dem Mä dchen bin ich empfindlich. «

»Versauft ihr nachher mit mir den Rest der Erbtante meines Gastwirts? «

»Ob den ganzen Rest, weiß ich nicht. Aber einen Fuß sicher. «

»Gut. Dann will ich dich schonen, Knabe. «

Das Geknatter der Motoren wanderte wie Maschinengewehrfeuer um die Bahn. Geruch nach verbranntem Ö l, Benzin und Rizinus. Erregender, wunderbarer Geruch, erregender, wunderbarer Trommelwirbel der Motoren!

Nebenan lä rmten die Monteure in ihren wohlausgerü steten Boxen. Wir selbst waren nur sehr dü rftig versorgt. Ein biß chen Werkzeug, Zü ndkerzen, ein paar Rä der mit Reservereifen, die wir umsonst von einer Fabrik bekommen hatten, ein paar kleinere Ersatzteile — das war schon alles. Kö ster fuhr nicht fü r eine Fabrik. Wir muß ten alles selbst bezahlen. Deshalb hatten wir nicht viel.

Otto kam. Hinter ihm Braumü ller, der schon zum Rennen angezogen war. »Na, Otto«, sagte er, »wenn meine Kerzen heute halten, bist du verloren! Aber sie werden nicht halten. «

»Mal sehen«, erwiderte Kö ster.

Braumü ller drohte zu Karl hinü ber. »Nimm dich in acht vor meinem Nuß knacker! «

Der Nuß knacker war eine ganz schwere, neue Maschine, die Braumü ller fuhr. Er galt als Favorit.

»Karl wird dir schon Beine machen, Theo! « rief Lenz zu ihm hinü ber.

Braumü ller wollte in der alten ehrlichen Soldatensprache antworten, verschluckte sich aber, als er Patrice Hollmann bei uns sah, machte Stielaugen, grinste ziellos in die Gegend und schob ab.

»Voller Erfolg«, sagte Lenz befriedigt.

Das Gebell der Motorrä der fegte ü ber die Bahn. Kö ster muß te sich fertigmachen. Karl war in der Sportwagenklasse gemeldet.

»Viel helfen kö nnen wir dir ja nicht, Otto«, sagte ich und sah nach dem Werkzeug.

Er winkte ab. »Ist auch nicht nö tig. Wenn Karl Bruch macht, nü tzt selbst eine ganze Werkstatt nichts. «

»Sollen wir nicht doch Schilder 'raushalten, damit du weiß t, wie du liegst? «

Kö ster schü ttelte den Kopf. »Ist ja Sammelstart. Da seh' ich's schon. Auß erdem paß t Jupp auf. «

Jupp nickte eifrig. Er zitterte vor Aufregung und fraß andauernd Schokolade. Aber das war nur jetzt. Beim Startschuß wurde er sofort ruhig wie eine Schildkrö te.

»Also los, Hals- und Beinbruch! «

Wir schoben Karl vor. »Bleib ja beim Start nicht stehen, du geliebtes Aas«, sagte Lenz und tä tschelte den Kü hler. »Enttä usche deinen alten Vater nicht, Karl! «

Karl dampfte ab. Wir sahen ihm nach. »Guck mal, die komische Klamotte«, sagte plö tzlich jemand neben uns. »Das Hintergestell, Mensch, wie ein Strauß! «

Lenz richtete sich auf. »Meinen Sie den weiß en Wagen? « fragte er mit rotem Kopf, aber noch ruhig.

»Eben«, erwiderte ihm der riesige Monteur aus der Nachbarbox wegwerfend ü ber die Schulter weg und reichte seinem Nachbarn die Bierflasche. Lenz begann vor Wut zu stottern und schickte sich an, die niedrige Bretterwand zu ü bersteigen. Gottlob hatte er seine Beleidigungen noch nicht drauß en. Ich zerrte ihn zurü ck. »Laß den Quatsch«, fluchte ich, »wir brauchen dich hier. Wozu willst du schon vorher ins Lazarett! « Stö rrisch wie ein Esel wollte er sich losmachen. Er konnte nun einmal bei Karl nichts vertragen.

»Sehen Sie«, sagte ich zu Patrice Hollmann, »das ist angeblich der letzte Romantiker, dieser irrsinnige Ziegenbock! Kö nnen Sie glauben, daß er mal Gedichte geschrieben hat? «

Das wirkte sofort. Es war Gottfrieds wunde Stelle. »Lange vor dem Kriege«, entschuldigte er sich. »Auß erdem, Baby, beim Rennen verrü ckt zu werden ist keine Schande. Was, Pat? «

»Verrü ckt sein ist ü berhaupt keine Schande. «

Gottfried salutierte. »Ein groß es Wort! «

Das Donnern der Motoren ü bertö nte alles Weitere. Die Luft bebte. Erde und Himmel bebten. Das Feld raste vorbei. »Vorletzter! « knurrte Lenz. »Das Biest hat beim Anfahren doch wieder gestottert. «

»Macht nichts«, sagte ich, »der Start ist Karls Schwä che. Er zieht langsam ab, aber dann hö rt er ü berhaupt nicht mehr auf. «

In das verklingende Tosen orgelten die Lautsprecher. Wir trauten unsern Ohren nicht: Burger, ein schwerer Konkurrent, war am Start stehengeblieben.

Die Wagen brummten heran. Sie zitterten in der Ferne wie Heuschrecken auf der Bahn, wurden grö ß er und rasten auf der gegenü berliegenden Seite an den Tribü nen vorbei in die groß e Kurve. Es waren noch sechs, Kö ster immer noch an vorletzter Stelle. Wir hielten uns bereit. Hall und Widerhall schlugen stä rker und schwä cher aus der Kurve. Dann schoß die Meute heraus. Einer vorweg — der zweite und dritte dicht hinter ihm, und dann Kö ster. Er war in der Kurve vorgegangen und fuhr jetzt als vierter.

Die Sonne kam aus den Wolken hervor. Breite Streifen Helle und Grau strö mten ü ber die Bahn, die plö tzlich von Licht und Schatten gefleckt war wie ein Tiger. Wolkenschatten wanderten ü ber die Menschenmenge auf den Tribü nen. Der Motorensturm war uns allen ins Blut geschlagen wie eine ungeheure Musik. Lenz zappelte herum, ich kaute eine Zigarette zu Brei, und Patrice Hollmann witterte in die Luft wie ein Fohlen am frü hen Morgen. Nur Valentin und Grau saß en friedlich da und ließ en sich von der Sonne bescheinen.

Wieder drö hnte der ungeheure Herzschlag der Maschinen heran, an den Tribü nen vorbei. Wir starrten zu Kö ster hinü ber. Er schü ttelte den Kopf; er wollte keine Reifen wechseln. Als er zurü ckkam, hatte er etwas aufgeholt. Er hing dem dritten dicht am Hinterrad. So rasten sie in die unendliche Gerade.

»Verflucht! « Lenz nahm einen Schluck aus der Flasche.

»Er hat das trainiert«, sagte ich zu Patrice Hollmann. »In der Kurve 'rangehen ist seine Spezialitä t. «

»Auch einen Schluck aus der Pulle, Pat? « fragte Lenz.

Ich sah ihn ä rgerlich an. Er hielt, ohne zu blinzeln, meinen Blick aus.

»Lieber ein Glas«, sagte sie. »Aus der Flasche trinken habe ich noch nicht gelernt. «

»Da sieht man's! « Gottfried angelte nach dem Glas. »Das sind die Fehler der modernen Erziehung. «

In den folgenden Runden zog das Feld sich weiter auseinander. Braumü ller fü hrte. Die ersten vier hatten allmä hlich dreihundert Meter Vorsprung. Kö ster verschwand mit dem dritten Kü hler an Kü hler hinter der Tribü ne. Dann tobten die Wagen wieder heran. Wir sprangen auf. Wo war der dritte geblieben? Otto kam allein hinter den beiden anderen herangefegt. Da — endlich brummelte der dritte heran. Zerfetzte Hinterreifen. Lenz grinste schadenfroh; der Wagen hielt vor der Nebenbox. Der riesige Monteur fluchte. Eine Minute spä ter war die Maschine wieder flott. Die nä chsten Runden ä nderten nichts am Klassement. Lenz legte die Stoppuhr beiseite und rechnete. »Karl hat noch Reserven«, verkü ndete er dann.

»Ich fü rchte, die andern auch«, sagte ich. »Kleinglä ubiger! « Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. Auch in der vorletzten Runde schü ttelte Kö ster den Kopf. Er wollte es riskieren, die Reifen nicht zu wechseln. Es war noch nicht so warm, daß sie es nicht hä tten aushalten kö nnen.

Wie ein glasklares Tier lagerte die Spannung jetzt ü ber dem weiten Platz und den Tribü nen, als die Wagen zum Endkampf ansetzten. »Faß t alle Holz an«, sagte ich und umklammerte einen Hä mmerstiel. Lenz griff an meinen Kopf. Ich stieß ihn weg. Er grinste und faß te an die Barriere.

Das Drö hnen schwoll zum Brausen, das Brausen zum Heulen, das Heulen zum Donnern, zum hohen, pfeifenden Singen der mit hö chsten Touren laufenden Wagen. Braumü ller flog die Kurve hoch, dicht hinter ihm raste der zweite, er ging mit stä ubenden, knirschenden Hinterrä dern tiefer hinein, weiter innen, er wollte wahrscheinlich drinnen versuchen, unten vorbeizukommen. »Falsch! « schrie Lenz. Da schoß auch schon Kö ster hinterher, schwirrend stieg der Wagen bis zum ä uß ersten Rand empor, einen Augenblick erstarrten wir, es sah aus, als flö ge er darü ber hinaus, dann brü llte der Motor, und der Wagen sprang herum. »Er ist mit vollem Gas 'reingegangen! « rief ich. Lenz nickte. »Verrü ckt! «

Wir hingen weit ü ber der Barriere, fiebernd vor Aufregung, ob es geglü ckt sei. Ich hob Patrice Hollmann auf die Kiste mit dem Werkzeug. »So sehen Sie besser! Stü tzen Sie sich auf meine Schulter. Passen Sie auf, er wird auch den in der Kurve schnappen. «

»Er hat ihn! « rief sie. »Er ist schon vorbei! «

»Er geht an Braumü ller 'ran! Himmelherrgott, heiliger Moses! « schrie Lenz jetzt, »er ist tatsä chlich vorbei und geht an Braumü ller 'ran. «

In einer Wolke von Gewittern fegten die drei Wagen heraus, heran, wir schrien wie die Verrü ckten, auch Valentin und Graus ungeheurer Baß waren jetzt dabei — Kö ster war der Wahnsinn geglü ckt, er hatte den zweiten in der Kurve von oben her ü berholt, weil der sich verschä tzt und im schä rferen Bogen innen Fahrt verloren hatte, und jetzt stieß er wie ein Habicht auf Braumü ller los, der plö tzlich nur noch zwanzig Meter vor ihm lag und anscheinend Fehlzü ndungen hatte.

»Gib ihm, Otto! Gib ihm! Friß den Nuß knacker«, brü llten wir und winkten.

Die Wagen verschwanden in der letzten Kurve. Lenz betete laut zu allen Gö ttern Asiens und Sü damerikas um Hilfe und schwenkte sein Amulett. Ich riß meins ebenfalls heraus. Patrice Hollmann stü tzte sich auf meine Schulter, das Gesicht spä hend weit nach vorn gereckt wie das Antlitz einer Gallionsfigur.

Da kamen sie heran. Braumü llers Motor spuckte immer noch, er setzte alle Augenblicke wieder aus. Ich machte die Augen zu; Lenz drehte sich um, den Rü cken zur Bahn — wir wollten das Schicksal bestechen. Ein Ruf riß uns herum. Wir sahen gerade noch, wie Kö ster mit zwei Metern Vorsprung durchs Ziel ging.

Lenz wurde wahnsinnig. Er schleuderte das Werkzeug zur Erde und machte einen Handstand auf den Reifen.

»Wie sagten Sie vorhin? « brü llte er, als er wieder senkrecht stand, zu dem herkulischen Monteur hinü ber, »Klamotte? «

»Ach, Mensch, quak mich nicht an«, erwiderte der Monteur miß mutig. Und zum erstenmal, seit ich ihn kannte, kriegte der letzte Romantiker bei einer Beleidigung keinen Wutanfall, sondern einen Veitstanz vor Lachen.

Wir warteten auf Otto. Er hatte noch bei der Rennleitung zu tun.

»Gottfried«, sagte auf einmal eine heisere Stimme hinter uns. Wir drehten uns um. Da stand ein menschliches Gebirge in zu engen, gestreiften Hosen, zu engem Marengojackett und schwarzer Melone.

»Alfons! « rief Patrice Hollmann.

»Persö nlich«, gab er zu.

»Wir haben gewonnen, Alfons! « rief sie.

»Heftig, heftig. Dann komm' ich wohl zu spä t, was? «

»Du kommst nie zu spä t, Alfons«, sagte Lenz.

»Wollte euch eigentlich was zu futtern bringen. Kalter Schweinebraten und etwas Pö kelrippchen. Schon zugeschnitten. «

»Gib her und setz dich, du Goldjunge«, rief Gottfried. »Wir legen gleich los. «

Er machte das Paket auf. »Mein Gott«, sagte Patrice Hollmann, »das ist ja fü r ein Regiment. «

»Kann man immer erst nachher entscheiden«, meinte Alfons. »Ü brigens — etwas Eiskü mmel ist auch da. «

Er holte zwei Flaschen heraus. »Propfen sind schon gezogen. «

»Heftig, heftig«, sagte Patrice Hollmann. Er blinzelte ihr wohlwollend zu.

Karl blubberte heran. Kö ster und Jupp sprangen heraus. Jupp sah aus wie ein junger Napoleon. Seine Ohren leuchteten wie Kirchenfenster. Er hatte einen entsetzlich geschmacklosen, riesigen Silberpokal in den Armen. »Der sechste«, sagte Kö ster lachend. »Daß den Leuten auch nie was anderes einfä llt. «

»Nur den Milchtopf? « fragte Alfons sachlich. »Keinen cash? «

»Doch«, beruhigte ihn Otto, »auch cash. «

»Dann schwimmen wir ja geradezu in Geld«, sagte Grau.

»Scheint ein netter Abend zu werden. «

»Bei mir? « fragte Alfons.

»Ehrensache«, erwiderte Lenz.

»Erbsensuppe mit Schweinebauch, Pfoten und Ohren«, sagte Alfons, und sogar Patrice Hollmann machte ein Gesicht voll Hochachtung. »Gratis natü rlich«, fü gte er hinzu.

Braumü ller kam heran, fluchend ü ber sein Pech, die Hand voll verö lter Zü ndkerzen. »Beruhige dich, Theo«, rief Lenz. »Der erste Preis im nä chsten Kinderwagenrennen ist dir sicher. «

»Gebt ihr mir Revanche mit Kognak? « fragte Braumü ller.

»In Bierglä sern sogar«, sagte Grau.

»Keine Chance fü r Sie, Herr Braumü ller«, erklä rte Alfons als Sachverstä ndiger. »Habe Kö ster noch nie blau gesehen. «

»Habe Karl auch noch nie vor mir gesehen«, gab Braumü ller zurü ck. »Auß er heute. «

»Trag's mit Wü rde«, sagte Grau. »Hier hast du ein Glas. Wir wollen auf den Niedergang der Kultur durch die Maschine trinken. «

Als wir aufbrachen, wollten wir den ü briggebliebenen Proviant von Alfons mitnehmen. Es muß te noch fü r ein paar Mann reichlich da sein. Aber wir fanden nur noch das Papier. »Zum Donnerwetter... «, sagte Lenz. »Aha! « Er zeigte auf Jupp, der verlegen grinste, die Fä uste noch voll, mit einem Bauch, der wie eine Trommel wegstand. »Auch ein Rekord! «

Patrice Hollmann hatte nach dem Essen bei Alfons fü r mein Gefü hl zuviel Erfolg. Ich erwischte Grau dabei, wie er ihr erneut vorschlug, sie zu malen. Sie lachte und erklä rte, es dauere ihr zu lange; fotografieren sei bequemer.

»Das ist auch mehr sein Fach«, sagte ich anzü glich. »Vielleicht malt er Sie nach einer Fotografie. «

»Ruhe, Robby«, erwiderte Ferdinand unbeirrt und starrte Pat aus seinen riesigen blauen Kinderaugen an. »Der Schnaps macht dich bö sartig — mich menschlich. Das ist der Unterschied zwischen unseren Generationen. «

»Er ist so an zehn Jahre ä lter als ich«, warf ich ein.

»Das ist heute eine Generation Unterschied«, fuhr Ferdinand fort. »Ein Leben Unterschied. Ein Jahrtausend Unterschied. Was wiß t ihr Burschen denn vom Dasein! Ihr fü rchtet euch ja vor euren eigenen Gefü hlen. Ihr schreibt keine Briefe — ihr telefoniert; ihr trä umt nicht mehr — ihr macht eine Wochenendtour; ihr seid vernü nftig in der Liebe und unvernü nftig in der Politik — ein erbä rmliches Geschlecht! «

Ich hö rte nur mit einem Ohr hin; mit dem andern horchte ich zu Braumü ller hinü ber. Er erklä rte Patrice Hollmann gerade etwas schwankend, daß sie unbedingt bei ihm Autofahren lernen mü sse. Er werde ihr alle seine Tricks zeigen.

Bei der nä chsten Gelegenheit nahm ich ihn beiseite. »Es ist sehr ungesund, Theo, fü r einen Sportsmann, sich zuviel um Frauen zu kü mmern. «

»Fü r mich nicht«, meinte Braumü ller, »ich habe eine fabelhafte Natur. «

»Schö n. Dann will ich dir sagen, was bestimmt auch fü r dich gesund ist: Wenn du eins mit dieser Flasche auf den Kopf geschlagen kriegst. «

Er grinste. »Steck den Degen ein, Kleiner. Weiß t du, woran man einen Kavalier erkennt? Daß er sich anstä ndig benimmt, wenn er besoffen ist. Und weiß t du, was ich bin? «

»Ein Renommist! «

Ich hatte keine Sorge, daß einer von ihnen wirklich etwas unternehmen wollte; das gab es nicht unter uns. Aber ich wuß te nicht so genau, wie es mit dem Mä dchen war — es konnte ja leicht sein, daß einer der andern ihr groß artig gefiel. Wir kannten uns noch zu wenig, als daß ich sicher gewesen wä re. Wann war man ü berhaupt schon sicher?

»Wollen wir leise verschwinden? « fragte ich. — Sie nickte.

Wir gingen durch die Straß en. Es war diesig geworden. Nebel fiel langsam ü ber die Stadt, grü ne und silberne Nebel. Ich nahm Pats Hand und steckte sie in meine Manteltasche.

So gingen wir lange Zeit.

»Mü de? « fragte ich.

Sie schü ttelte den Kopf und lä chelte.

Ich zeigte auf die Cafes, an denen wir vorü berkamen.

»Wollen wir irgendwo hinein? «

»Nein. Nicht schon wieder. «

Wir gingen weiter und kamen an den Friedhof. Er war wie eine stille Insel in der steinernen Hä userflut. Die Bä ume rauschten. Ihre Wipfel waren schon nicht mehr zu sehen. Wir suchten eine leere Bank und setzten uns.

Die Laternen vor uns am Straß enrand hatten zitternde orangefarbene Hö fe bekommen. Im stä rker fallenden Nebel begann das groß e Mä rchen Licht. Maikä fer kamen trunken aus den Linden herangetaumelt, sie umkreisten die Laternen und bumsten schwer gegen die feuchten Scheiben. Der Nebel verwandelte alles, er hob es hoch und lö ste es los, das Hotel gegenü ber schwamm schon wie ein Ozeandampfer mit erleuchteten Kabinen ü ber dem schwarzen Spiegel des Asphalts, der graue Schatten der Kirche dahinter wurde zu einem gespenstischen Segelschiff mit hohen Masten, die sich im grauroten Licht verloren, und nun begannen auch die Schleppzü ge der Hä user zu schwimmen, zu treiben...

Wir saß en schweigend nebeneinander. Der Nebel machte alles unwirklich — auch uns. Ich sah das Mä dchen an — in ihren weitgeö ffneten Augen glä nzte der Laternenschein. »Komm«, sagte ich, »komm dicht zu mir — sonst treibt dich der Nebel weg... «

Sie wandte mir ihr Gesicht zu. Sie lä chelte, ihr Mund war leicht geö ffnet, die Zä hne schimmerten, ihre Augen waren groß auf mich gerichtet — aber mir schien, als sä hen sie mich gar nicht —, als lä chele sie ü ber mich hinweg in das graue und silberne Fließ en hinein, als sei sie geisterhaft angerü hrt worden von dem Wehen in den Wipfeln, von dem feuchten Rinnen die Stä mme hinab, als lausche sie auf einen dunklen, unhö rbaren Ruf hinter den Bä umen, hinter der Welt, als mü sse sie gleich aufstehen und fortgehen, durch den Nebel, ziellos und sicher, und ihm folgen, dem geheimnisvollen Anruf der Erde und des Lebens.

Nie werde ich dieses Gesicht vergessen — nie werde ich vergessen, wie es sich dann zu mir neigte, wie es Ausdruck gewann, wie es sich schweigend erfü llte mit Zä rtlichkeit und Zartheit, mit einer leuchtenden Stille, als erblü he es — nie werde ich vergessen, wie ihre Lippen mir entgegenkamen, wie ihre Augen sich den meinen nä herten, wie sie dicht vor mir standen und mich ansahen, fragend, ernst, groß und schimmernd — und wie sie sich dann langsam schlossen, als ergä ben sie sich...

Der Nebel zog und zog. Die Kreuze der Grabsteine ragten blaß aus den Schwaden. Ich deckte meinen Mantel ü ber uns. Die Stadt war versunken. Die Zeit war gestorben...

Wir saß en lange so. Allmä hlich begann es stä rker zu wehen, und Schatten schwankten durch die graue Luft vor uns. Ich hö rte Schritte knirschen und leises Murmeln dazwischen. Dann das gedä mpfte Klimpern von Gitarren. Ich hob den Kopf. Die Schatten kamen nä her, wurden zu dunklen Gestalten und schoben sich zu einem Kreise zusammen. Stille. Und plö tzlich lauter Gesang: »Jesus, Jesus sucht auch dich... «

Ich fuhr mit einem Ruck hoch und horchte. Was war da los? Waren wir auf dem Mond? Das war ja ein richtiger Chor — ein zweistimmiger Frauenchor...

»Sü nder, Sü nder, stehe auf«, hallte es ü ber den Friedhof im Takt eines Regimentsmarsches... Ich starrte Pat an. »Es ist doch nicht zu fassen«, sagte ich. »Komm zur Buß bank reuiglich... «, ging es schon in flottem Tempo weiter. Auf einmal begriff ich. »Lieber Gott! Die Heilsarmee! « »Laß der Sü nde keinen Lauf... «, mahnten die Schatten aufs neue in aufsteigender Kantilene. In den braunen Augen Pats erschienen funkelnde Lichter. Ihre Lippen zuckten und ihre Schultern bebten. Unaufhaltsam ging es jetzt fortissimo weiter: »Hö llenbrand und Feuerpein Sind der Sü nde bö ser Lohn; Jesus lä dt dich vorher ein — Komm und bü ß, verlorener Sohn... «

 

»Ruhe, Himmeldonnerschlag! « brü llte plö tzlich eine ä rgerliche Stimme aus dem Nebel dazwischen.

Ein Moment verdutzter Stille. Aber die Heilsarmee war Kummer gewohnt. Verstä rkt setzte der Chor sofort wieder ein. »Was willst du in der Welt allein... «, klagte er unisono...

»Knutschen, verflucht noch mal«, brü llte die ä rgerliche Stimme, »hat man denn nicht mal hier Ruhe? «

»Wo Satans Blendwerk dich verlockt... «, schmetterte es mit jä hem Aufschwung dagegen.

»Ihr alten Schrauben kö nnt mich schon lange nicht verlocken! « kam die Antwort prompt aus dem Nebel.

Ich prustete los. Pat konnte auch nicht mehr an sich halten. Wir schü ttelten uns vor Lachen ü ber dieses Duell auf dem Friedhof. Der Heilsarmee war bekannt, daß die Bä nke hier die Zuflucht von Liebespaaren waren, die nicht wuß ten, wo sie sonst im Lä rm der Stadt allein sein konnten. Deshalb hatte sie zu einem gewaltigen Schlage ausgeholt. Sie machte eine Sonntags-Razzia, um Seelen zu retten. Fromm, glä ubig und laut plä rrten die ungeschulten Stimmen ihren Text. Die Gitarren machten heftig Wumba Wumba dazu.

Der Friedhof wurde lebendig. Kichern und Zurufe kamen aus dem Nebel. Alle Bä nke schienen besetzt zu sein. Der einsame Rebell der Liebe erhielt mä chtig unsichtbaren Zuzug von Gleichgesinnten. Ein Protestchor formierte sich. Es muß te altes Militä r dabeisein, das durch die Marschmusik angeregt wurde — denn machtvoll erhob sich nach kurzer Zeit das unvergä ngliche Lied: »In Hamburg da bin ich gewesen — hab' gesehen die blü hende Welt... «



  

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