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Drei Kameraden 11 страница



Als ich zurü ckkam, waren Kö ster und Lenz da. »Hauch mich mal an«, sagte Gottfried.

Ich hauchte. »Rum, Kirsch und Absinth«, sagte er.

»Absinth, du Ferkel. «

»Wenn du meinst, ich wä re besoffen, irrst du dich«, sagte ich. »Wo kommt ihr her? «

»Aus einer politischen Versammlung. Aber es war Otto zu blö d. Was trinkt Fred denn da? «

»Zitronensaft. «

»Trink auch mal ein Glas. «

»Morgen«, erwiderte ich. »Jetzt werde ich zunä chst mal was essen. « Kö ster hatte mich die ganze Zeit besorgt angesehen. »Sieh mich nicht so an, Otto«, sagte ich, »ich habe mich aus lauter Lebenslust etwas beschwipst. Nicht aus Kummer. «

»Dann ist's gut«, sagte er. »Aber komm trotzdem mit essen. «

 

Um elf Uhr war ich wieder nü chtern wie ein Knochen. Kö ster schlug vor, nach Fred zu sehen. Wir gingen hin und fanden ihn wie tot hinter dem Bartisch.

»Bringt ihn nach nebenan«, sagte Lenz, »ich werde solange die Bedienung ü bernehmen. «

Kö ster und ich machten Fred wieder munter. Wir gaben ihm warme Milch zu trinken. Die Wirkung war prompt. Wir setzten ihn hinterher auf einen Stuhl und sagten ihm, er solle sich noch eine halbe Stunde ausruhen, Lenz wü rde vorn schon alles machen.

Gottfried machte es auch. Er kannte sä mtliche Preise und die gä ngigen Cocktailrezepte. Er schwang den Mixbecher, als ob er nie etwas anderes getan hä tte.

Nach einer Stunde war Fred wieder da. Er hatte einen ausgepichten Magen und erholte sich schnell. »Tut mir leid, Fred«, sagte ich, »wir hä tten vorher etwas essen sollen. «

»Ich bin schon wieder in Ordnung«, erwiderte er. »Tut mal ganz gut. «

»Das auf jeden Fall. « Ich ging zum Telefon und rief Pat an. Es war mir vö llig gleichgü ltig, was ich vorher alles zusammengedacht hatte. Sie meldete sich. »In einer Viertelstunde bin ich vor der Haustü r«, rief ich und hä ngte rasch ab. Ich fü rchtete, sie kö nnte mü de sein. Ich wollte nichts davon hö ren, wollte sie sehen.

Sie kam. Als sie die Haustü r aufschloß, kü ß te ich das Glas da, wo ihr Kopf war. Sie wollte etwas sagen, aber ich ließ sie gar nicht zu Worte kommen. Ich kü ß te sie, und wir liefen zusammen die Straß e hinunter, bis wir ein Taxi fanden. Es donnerte und blitzte. »Rasch, sonst gibt's Regen«, rief ich.

Wir stiegen ein. Die ersten Tropfen klatschten auf das Dach der Droschke. Der Wagen rü ttelte auf dem schlechten Pflaster. Es war alles wunderbar, denn bei jedem Rü tteln spü rte ich Pat. Alles war wunderbar, der Regen, die Stadt, das Trinken, es war alles weit und herrlich. Ich war in der ü berwachen, hellen Stimmung, in die man kommt, wenn man getrunken und es schon wieder ü berwunden hat. Die Hemmungen waren fort, die Nacht war voll tiefer Kraft und voll Glanz, nichts konnte mehr geschehen, nichts war mehr falsch.

Der Regen begann, als wir ausstiegen. Wä hrend ich zahlte, war das Pflaster noch dunkel gesprenkelt von Tropfen wie ein Panther — aber schon bevor wir die Tü r erreichten, war es schwarz und silbern sprü hend, so schoß das Wasser herab. Ich machte kein Licht. Die Blitze erleuchteten das Zimmer. Das Gewitter war mitten ü ber der Stadt. Donner rollte in Donner. »Jetzt kö nnen wir hier wenigstens einmal schreien«, rief ich Pat zu, »ohne Sorge, daß uns jemand hö rt! « Das Fenster flammte. Sekundenschnell flog die schwarze Silhouette der Friedhofsbä ume vor dem weiß blauen Himmel auf und wurde krachend sofort wieder von der Nacht erschlagen — sekundenlang schwebte zwischen Dunkel und Dunkel die biegsame Gestalt Pats phosphoreszierend vor den Scheiben —, ich legte den Arm um ihre Schultern, sie drä ngte sich an mich, ich fü hlte ihren Mund, ihren Atem, ich dachte nichts mehr.

 

 

XII

 

Unsere Werkstatt stand immer noch leer wie eine Scheune vor der Ernte. Wir hatten deshalb beschlossen, das Taxi, das wir auf der Auktion gekauft hatten, nicht weiterzuverkaufen, sondern es einstweilen selbst als Taxi zu fahren. Lenz und ich sollten es abwechselnd machen. Kö ster konnte mit Jupp die Werkstatt ganz gut allein besorgen, bis wieder Arbeit kam.

Lenz und ich wü rfelten, wer als erster fahren sollte. Ich gewann, steckte mir die Tasche voller Kleingeld, nahm meine Papiere und strich dann mit dem Taxi langsam durch die Straß en, um mir zunä chst einmal einen guten Standplatz auszusuchen. Es war etwas merkwü rdig, so das erstemal. Jeder Idiot konnte mich anhalten und mir einen Auftrag geben. Das war kein besonders groß artiges Gefü hl.

Ich suchte mir einen Halteplatz aus, an dem nur fü nf Wagen standen. Er war gegenü ber dem Hotel Waldecker Hof, mitten im Geschä ftsviertel. Das ließ auf raschen Betrieb hoffen. Ich stellte die Zü ndung ab und stieg aus. Von einem der vorderen Wagen kam ein groß er Kerl in einem Ledermantel auf mich zu. »Scher dich hier weg«, knurrte er.

Ich sah ihn ruhig an und rechnete mir aus, daß ich ihn am besten von unten mit einem Uppercut umlegen wü rde, wenn es sein mü ß te. Er konnte wegen seines Mantels nicht schnell genug die Arme hochkriegen.

»Nicht kapiert? « forschte der Ledermantel und spuckte mir seine Zigarette vor die Fü ß e. »Sollst dich wegscheren! Sind genug hier! Brauchen keinen mehr! «

Er war ä rgerlich ü ber den Zuzug, das war klar; aber es war mein Recht, mich herzustellen. »Ich schmeiß e ein paar Runden Einstand«, sagte ich.

Damit wä re die Sache fü r mich erledigt gewesen. Es war die ü bliche Art, wenn man neu herankam. Ein junger Chauffeur trat hinzu.

»Schö n, Kollege. Laß ihn doch, Gustav... «

Aber Gustav gefiel etwas an mir nicht. Ich wuß te, was es war. Er spü rte, daß ich neu im Beruf war. »Ich zä hle bis drei... «, erklä rte er. Er war einen Kopf grö ß er als ich, darauf vertraute er.

Ich merkte, daß mit Reden nicht mehr viel zu machen war.

Ich muß te abfahren oder schlagen. Es war zu deutlich.

»Eins... «, zä hlte Gustav und knö pfte seinen Mantel auf.

»Mach keinen Unsinn«, sagte ich, um es noch einmal zu versuchen. »Wollen lieber einen Schnaps in die Kehle zischen lassen. «

»Zwei... «, knurrte Gustav.

Ich sah, daß er mich regulä r hinschlachten wollte. »Und eins ist... « Er schob seine Mü tze zurü ck.

»Halt's Maul, Idiot! « schnauzte ich plö tzlich scharf. Gustav klappte vor Ü berraschung den Mund auf und trat einen Schritt nä her. Genau dahin, wohin ich ihn haben wollte. Ich schlug sofort zu. Es war ein Schlag wie mit einem Hammer, mit dem ganzen Kö rperschwung. Kö ster hatte ihn mir beigebracht. Ich konnte nicht besonders boxen; ich hielt es fü r unnö tig — es kam meistens nur auf den ersten Schlag an. Dieser war gut. Gustav sackte weg. »Schadet ihm nichts«, sagte der junge Chauffeur. »Alter Radaubruder. « Wir packten ihn auf den Bock seiner Droschke. »Wird schon wieder zu sich kommen. «

Ich war etwas beunruhigt. In der Eile hatte ich den Daumen beim Schlagen falsch gehalten und ihn mir verstaucht. Wenn Gustav wieder aufwachte, konnte er mit mir machen, was er wollte. Ich sagte es dem jungen Chauffeur und fragte, ob ich nicht lieber abhauen sollte. »Unsinn«, sagte er, »die Sache ist erledigt. Komm jetzt in die Kneipe und schmeiß deinen Einstand. Du bist kein gelernter Chauffeur, was? «

»Nein... «

»Ich auch nicht. Ich bin Schauspieler. «

»Und? «

»Man lebt«, erwiderte er lachend. »Theater ist auch so genug. «

Wir waren zu fü nf, zwei ä ltere und drei junge. Nach einer Weile erschien auch Gustav im Lokal. Er glotzte stier zu unserm Tisch herü ber und kam 'ran. Ich faß te mit der linken Hand mein Schlü sselbund in der Tasche und nahm mir vor, mich auf jeden Fall zu wehren, bis ich mich nicht mehr rü hren konnte.

Doch es kam nicht dazu. Gustav schob mit dem Fuß einen Stuhl heran und ließ sich miß mutig darauffallen. Der Wirt stellte ein Glas vor ihn hin. Die Runde kam. Gustav schluckte weg. Eine zweite Runde wurde geschmettert. Gustav sah mich schief an. Er hob das Glas.

»Prost«, sagte er zu mir, aber mit einem Gesicht wie Dreck.

»Prost«, erwiderte ich und kippte.

Gustav zog eine Schachtel Zigaretten heraus. Er hielt sie mir hin, ohne mich anzusehen. Ich nahm eine und gab ihm dafü r Feuer. Dann bestellte ich eine Lage doppelten Kü mmel. Wir tranken sie. Gustav sah mich wieder von der Seite an. »Kaffer«, sagte er, aber im richtigen Ton.

»Mondkalb«, erwiderte ich ebenso.

Er wendete sich mir voll zu. »Der Schlag war gut... «

»Zufall... « Ich zeigte ihm meinen Daumen. »Pech«, erwiderte er grinsend. »Ich heiß e ü brigens Gustav. «

»Ich Robert. «

»Schö n. Also in Ordnung, Robert was? Dachte, du wä rst so 'n Bubi von Mamas Schü rze. «

»In Ordnung, Gustav. « Von dieser Zeit an waren wir Freunde.

 

Die Wagen rü ckten langsam vor. Der Schauspieler, der Tommy genannt wurde, bekam eine glä nzende Fuhre zum Bahnhof. Gustav eine zum nä chsten Restaurant fü r dreiß ig Pfennig. Er platzte fast vor Wut darü ber, denn er muß te sich fü r zehn Pfennig Verdienst nun wieder hinten anstellen. Ich erwischte etwas ganz Seltenes — eine alte Englä nderin, die sich die Stadt ansehen wollte. Ich war fast eine Stunde mit ihr unterwegs. Auf der Rü ckkehr schnappte ich noch ein paar kleinere Sachen. Mittags, als wir alle wieder in der Kneipe saß en und unsere Butterbrote aß en, kam ich mir schon vor wie ein gedienter Chauffeur. Die Sache hatte etwas von der Brü derschaft alter Soldaten an sich. Leute aus allen mö glichen Berufen kamen da zusammen. Hö chstens die Hä lfte war immer dabeigewesen, die andern waren auf irgendeine Weise hineingerutscht.

Ziemlich aufgekratzt fuhr ich nachmittags in den Hof unserer Werkstatt ein. Lenz und Kö ster erwarteten mich schon.

»Brü der, was habt ihr verdient? « fragte ich.

»Siebzig Liter Benzin«, meldete Jupp.

»Sonst nichts? «

Lenz schaute mit wildem Gesicht zum Himmel auf. »Regnen mü ß te es! Und dann ein kleiner Zusammenstoß auf dem Rutschasphalt direkt vor der Tü r! Keine Verletzten! Nur eine nette, runde Reparatur. «

»Schaut her! « Ich zeigte fü nfunddreiß ig Mark auf der flachen Hand.

»Groß artig«, sagte Kö ster. »Davon sind zwanzig Mark verdient. Die werden wir heute auf den Kopf hauen. Mü ssen die Jungfernfahrt doch feiern! «

»Wir wollen eine Waldmeisterbowle trinken«, erklä rte Lenz.

»Bowle? « fragte ich. »Wozu denn Bowle? «

»Weil Pat mitkommt. «

»Pat? «

»Sperr den Schnabel nicht soweit auf«, sagte der letzte Romantiker, »wir haben alles lä ngst abgemacht. Um sieben holen wir sie ab. Sie weiß Bescheid. Wenn du nicht daran denkst, mü ssen wir uns eben selbst helfen. Schließ lich hast du sie doch durch uns kennengelernt. «

»Otto«, sagte ich, »hast du je etwas Unverfroreneres gesehen als diesen Rekruten? «

Kö ster lachte. »Was hast du denn an der Hand, Robby? Du hä ltst sie ja so schief. «

»Verstaucht, glaube ich. « Ich erzä hlte die Geschichte mit Gustav.

Lenz sah sie sich an. »Natü rlich! Als Christ und Student der Medizin im Ruhestand werde ich sie dir massieren, trotz deiner Rü peleien. Komm mit, du Meisterboxer. «

Wir gingen in die Werkstatt, und Gottfried machte sich mit etwas Ö l ü ber meine Hand her. »Hast du Pat gesagt, daß wir unser eintä giges Jubilä um als Taxichauffeure feiern? « fragte ich ihn.

Er pfiff durch die Zä hne. »Genierst du dich deswegen, Bursche? «

»Halt den Schnabel! « erwiderte ich. Besonders weil er recht hatte. »Hast du es gesagt? «

»Die Liebe«, erklä rte Gottfried ungerü hrt, »ist etwas Herrliches. Aber sie verdirbt den Charakter. «

»Dafü r macht Alleinsein taktlos, du trü ber Solist. «

»Takt ist eine stillschweigende Vereinbarung, ü ber gemeinsame Fehler hinwegzusehen, anstatt sich zu lä utern. Also eine elende Kompromiß handlung. Dazu gibt sich ein deutscher Veteran nicht her, Baby. «

»Was wü rdest du denn an meiner Stelle machen«, fragte ich, »wenn jemand dich zu einer Taxifahrt anriefe und du sä hest dann, daß es Pat wä re? «

Er schmunzelte. »Ich wü rde auf keinen Fall Fahrgeld von ihr verlangen, mein Sohn. «

Ich gab ihm einen Stoß, daß er von seinem dreibeinigen Bock fiel. »Du Heuschrecke! Weiß t du, was ich tun werde? Ich werde sie heute abend einfach mit dem Taxi abholen. «

»Recht so! « Gottfried hob segnend die Hand. »Nur die Freiheit nicht verlieren! Sie ist kostbarer als die Liebe. Das weiß man aber immer erst hinterher. Das Taxi kriegst du trotzdem nicht. Das brauchen wir fü r Ferdinand Grau und Valentin. Es wird ein seriö ser, aber groß er Abend. «

 

Wir saß en im Garten eines kleinen Wirtshauses vor der Stadt. Der feuchte Mond hing wie eine rote Fackel tief ü ber den Wä ldern. Die bleichen Blü tenkandelaber der Kastanien schimmerten, der Flieder roch betä ubend, und vor uns auf dem Tisch das groß e Glasgefä ß mit dem nach Waldmeister duftenden Wein sah im Ungewissen Licht der frü hen Nacht aus wie ein heller Opal, in dem sich blä ulich und perlmuttern der letzte Schein des Abends sammelte. Wir hatten es schon zum viertenmal fü llen lassen.

Ferdinand Grau fü hrte den Vorsitz. Pat saß neben ihm. Sie trug eine blaß rosa Orchidee, die er ihr mitgebracht hatte.

Ferdinand fischte eine Mü cke aus seinem Wein und streifte sie vorsichtig auf den Tisch. »Seht euch das an«, sagte er. »Diese Flü gel! Dagegen ist jeder Brokat ein Scheuerlappen! Und so was lebt einen Tag, dann ist es vorbei. « Er schaute uns der Reihe nach an. »Wiß t ihr, was das unheimlichste auf der Welt ist, Brü der? «

»Ein leeres Glas«, erwiderte Lenz.

Ferdinand wischte ihn mit einer Handbewegung weg. »Das entehrendste auf der Welt, Gottfried, ist fü r einen Mann, ein Witzbold zu sein. « Dann wandte er sich uns wieder zu. »Das unheimlichste, Brü der, ist die Zeit. Die Zeit. Der Augenblick, durch den wir leben und den wir doch nie besitzen. «

Er zog seine Uhr aus der Tasche und hielt sie Lenz vor die Augen. »Das hier, du Papierromantiker! Die Hö llenmaschine, die tickt und tickt, dem Nichts unaufhaltsam entgegentickt! Du kannst eine Lawine aufhalten, einen Bergrutsch — aber das da nicht. «

»Will ich auch gar nicht«, erklä rte Lenz. »Ich will friedlich altern. Und auß erdem liebe ich die Abwechslung. «

»Der Mensch erträ gt es nicht«, sagte Grau, ohne ihn zu beachten. »Der Mensch kann es auch nicht ertragen. Deshalb hat er sich einen Traum zurechtgemacht. Den alten, rü hrenden, hoffnungslosen Menschheitstraum Ewigkeit. «

Gottfried lachte. »Die schlimmste Krankheit der Welt, Ferdinand, ist Denken! Sie ist unheilbar. «

»Wenn es die einzige wä re, wä rest du unsterblich«, erwiderte Grau. »Du Zusammenballung von Kohlehydraten, Kalk, Phosphor und ein biß chen Eisen, fü r eine flü chtige Zeit auf Erden Gottfried Lenz genannt. «

Gottfried schmunzelte wohlgefä llig. Ferdinand schü ttelte den Lö wenschä del. »Brü der, das Leben ist eine Krankheit, und der Tod beginnt schon mit der Geburt. Jeder Atemzug und jeder Herzschlag ist schon ein biß chen Sterben — ein kleiner Ruck dem Ende zu. «

»Jeder Schluck auch«, erwiderte Lenz. »Prost, Ferdinand! Manchmal ist das Sterben verdammt leicht. «

Grau hob sein Glas. Ü ber sein groß es Gesicht zog ein Lä cheln wie ein lautloses Gewitter. »Prost, Gottfried, du munterer Floh auf dem rieselnden Gerö ll der Zeit. Was mag sich die geisterhafte Kraft, die uns bewegt, gedacht haben, als sie dich schuf? «

»Das soll sie mit sich selbst abmachen. Im ü brigen solltest gerade du nicht so abfä llig ü ber solche Dinge reden, Ferdinand. Wenn die Menschen ewig wä ren, wü rdest du arbeitslos, alter guter Parasit des Todes. «

Graus Schultern begannen zu beben. Er lachte. Dann wandte er sich an Pat. »Was sagen Sie zu uns Schwä tzern, kleine Blü te auf den tanzenden Wassern? «

 

Spä ter ging ich mit Pat allein durch den Garten. Der Mond war hö her gestiegen, und die Wiesen schwammen in grauem Silber. Die Schatten der Bä ume lagen lang und schwarz darü ber wie dunkle Wegweiser ins Ungewisse. Wir gingen bis zum See hinunter und kehrten dann um. Unterwegs trafen wir Gottfried Lenz, der sich einen Gartenstuhl mitgenommen und ihn tief in ein Gebü sch von Fliedersträ uchern geschoben hatte. Da saß er nun, und nur sein blonder Schö pf und seine Zigarette leuchteten heraus. Neben sich auf der Erde hatte er ein Glas und den Rest der Maibowle stehen.

»Das ist ein Platz! « sagte Pat. »Mitten im Flieder. «

»Es lä ß t sich aushalten. « Gottfried stand auf. »Versuchen Sie es mal. « Pat setzte sich auf den Stuhl. Ihr Gesicht schimmerte zwischen den Blü ten. »Ich bin verrü ckt mit Flieder«, sagte der letzte Romantiker. »Heimweh bedeutet fü r mich Flieder. Im Frü hjahr 1924 bin ich einmal Hals ü ber Kopf aus Rio de Janeiro abgereist, nur weil mir einfiel, daß hier der Flieder blü hen mü sse. Als ich dann ankam, war es natü rlich schon viel zu spä t. « Er lachte. »So geht es immer. «

»Rio de Janeiro? « Pat zog einen Zweig mit Blü ten zu sich herunter. »Waren Sie zusammen da? «

Gottfried stutzte. Mir lief es plö tzlich kalt ü ber den Rü cken. »Seht mal den Mond! « sagte ich rasch. Gleichzeitig trat ich Lenz beschwö rend auf den Fuß.

Im Aufflammen seiner Zigarette sah ich ein schwaches Lä cheln und ein Augenblinzeln. Ich war gerettet. »Nein, wir waren nicht zusammen da«, erklä rte Gottfried. »Ich war damals allein. Aber wie wä re es mit noch einem letzten Schluck von diesem Waldmeistertrank? «

»Nicht mehr. « Pat schü ttelte den Kopf. »Ich kann nicht soviel Wein trinken. «

Wir hö rten Ferdinand nach uns rufen und gingen hinü ber.

Er stand massig unter der Tü r. »Kommt herein, Kinder«, sagte er. »Nachts haben Menschen wie wir nichts in der Natur zu suchen. Nachts will sie allein sein. Ein Bauer oder ein Fischer, das ist was anderes; aber wir nicht, wir Bewohner von Stä dten mit unsern abgesä belten Instinkten. « Er legte Gottfried die Hand auf die Schulter. »Die Nacht ist der Protest der Natur gegen den Aussatz der Zivilisation, Gottfried! Ein anstä ndiger Mensch hä lt das nicht lange aus. Er merkt, daß er ausgestoß en ist aus dem schweigenden Ring der Bä ume, der Tiere, der Sterne und des unbewuß ten Lebens. « Er lä chelte das sonderbare Lä cheln, von dem man nie wuß te, ob es nicht traurig war. »Kommt herein, Kinder! Wir wollen uns die Hä nde an Erinnerungen wä rmen. Ach, die herrliche Zeit, als wir noch Schachtelhalme und Molche waren, so vor fü nfzig-, sechzigtausend Jahren, Gott, wie sind wir seitdem heruntergekommen... «

Er nahm Pat an der Hand. »Wenn wir nicht das biß chen Sinn fü r Schö nheit noch hä tten — dann wä re alles verloren. « Mit einer zarten Bewegung seiner riesigen Pranken legte er ihre Hand auf seinen Arm. »Silberne Sternschnuppe ü ber dem sausenden Abgrund — wollen Sie mit einem uralten Manne ein Glas trinken? «

Pat nickte. »Ja«, sagte sie. »Alles, was Sie wollen. «

Beide gingen hinein. So nebeneinander sahen sie aus, als wä re Pat Ferdinands Tochter. Die schlanke, kü hne und junge Tochter eines mü den Riesen, der aus der Vorzeit ü briggeblieben war.

 

Um elf Uhr fuhren wir zurü ck. Valentin und Ferdinand hatten das Taxi, das Valentin steuerte. Wir andern fuhren mit Karl. Die Nacht war warm, und Kö ster machte noch einen Umweg durch ein paar Dö rfer, die verschlafen an der Straß e lagen mit wenigen Lichtern und vereinzeltem Hundegebell. Lenz saß vorne neben Otto und sang, Pat und ich hockten hinten im Wagen.

Kö ster fuhr wunderbar. Er nahm die Kurven wie ein Vogel. Es wirkte spielerisch, so sicher war es. Er fuhr nicht hart, wie die meisten Rennfahrer. Man hä tte schlafen kö nnen, wenn er Serpentinen nahm, so ruhig fuhr er den Wagen. Man merkte nie die Geschwindigkeit.

Wir hö rten am verä nderten Ton der Reifen, wenn das Pflaster wechselte. Auf Teerstraß en pfiffen sie, auf Steinpflaster donnerten sie dumpf. Die Scheinwerfer jagten wie fahle Hetzhunde langgestreckt vor uns her und zerrten aus dem Dunkel eine zitternde Birkenallee heran, eine Pappelreihe, vorü berstü rzende Telegrafenstangen, geduckte Hä user und die stumme Parade der Waldrä nder. Ungeheuer zog ü ber uns, begleitet von tausend Sternen, der helle Rauch der Milchstraß e mit.

Das Tempo nahm zu. Ich deckte unsere Mä ntel ü ber Pat. Sie lä chelte mir zu. »Liebst du mich eigentlich? « fragte ich.

Sie schü ttelte den Kopf. »Du mich? «

»Nein. Ein Glü ck, was? «

»Ein groß es Glü ck. «

»Dann kann uns ja nichts passieren, wie? «

»Gar nichts —«, erwiderte sie und faß te unter den Mä nteln nach meiner Hand.

Die Straß e fü hrte in einem Bogen an den Bahndamm herunter. Die Schienen schimmerten. Weit vor uns schwankte ein rotes Licht. Karl brü llte auf und schoß los. Es war ein Schnellzug mit Schlafwagen und einem hellerleuchteten Speisewagen. Wir holten auf und waren bald auf gleicher Hö he. Aus den Fenstern winkten Leute. Wir winkten nicht zurü ck. Wir fuhren vorbei. Ich sah mich um. Die Lokomotive sprü hte Rauch und Funken. Sie stampfte schwarz in der blauen Nacht. Wir hatten sie ü berholt — aber wir fuhren in die Stadt, zu Taxis, Reparaturwerkstä tten und mö blierten Zimmern. Sie jedoch stampfte an den Flanken der Wä lder und Felder und Flü sse vorü ber in die Ferne und das Abenteuer der Weite.

Straß en und Hä user schwankten heran. Karl wurde leiser, aber sein Rö hren war immer noch das eines wilden Tieres.

Kö ster hielt in der Nä he des Friedhofs. Er fuhr weder zu Pat noch zu mir, hielt einfach irgendwo in der Nä he, er dachte wahrscheinlich, wir wollten allein sein. Wir stiegen aus. Die beiden sausten sofort weiter, ohne sich umzusehen. Ich blickte ihnen nach. Einen Augenblick war das sonderbar. Sie fuhren ab, meine Kameraden fuhren ab, und ich blieb zurü ck, blieb zurü ck.

Ich schü ttelte es ab. »Komm«, sagte ich zu Pat, die mich ansah, als hä tte sie etwas gespü rt.

»Fahr mit«, sagte sie.

»Nein«, erwiderte ich.

»Du mö chtest doch mitfahren... «

»Ach wo —«, sagte ich und wuß te, daß es stimmte. »Komm... «

Wir gingen am Friedhof entlang, noch etwas schwankend vom Wind und vom Fahren. »Robby«, sagte Pat, »ich mö chte lieber nach Hause. «

»Warum? «

»Ich will nicht, daß du meinetwegen etwas aufgibst. «

»Was fä llt dir ein«, fragte ich, »was gebe ich denn auf? «

»Deine Kameraden... «

»Die gebe ich doch gar nicht auf — die treffe ich ja morgen frü h schon wieder. «

»Du weiß t schon, was ich meine«, sagte sie. »Du warst frü her viel mehr mit ihnen zusammen. «

»Weil du nicht da warst«, erwiderte ich und schloß die Tü r auf.

Sie schü ttelte den Kopf. »Das ist etwas ganz anderes. «

»Natü rlich ist es anders. Gott sei Dank. «

Ich nahm sie hoch und trug sie den Korridor entlang in mein Zimmer. »Du brauchst Kameraden«, sagte sie dicht an meinem Gesicht.

»Dich brauche ich auch«, erwiderte ich.

»Aber nicht so nö tig... «

»Das werden wir ja noch sehen... «

Ich stieß die Tü r auf und ließ sie zu Boden gleiten. Sie hielt mich fest. »Ich bin nur ein sehr schlechter Kamerad, Robby. «

»Das will ich hoffen«, sagte ich. »Ich will auch keine Frau als Kameraden. Ich will eine Geliebte. «

»Bin ich auch nicht«, murmelte sie.

»Was bist du denn? «

»Nichts Halbes und nichts Ganzes. Ein Fragment... «

»Das ist das Beste«, sagte ich. »Das regt die Phantasie an. Solche Frauen liebt man ewig. Fertige Frauen kriegt man leicht ü ber. Wertvolle auch. Fragmente nie. «

 

Es war vier Uhr nachts. Ich hatte Pat nach Hause gebracht und ging zurü ck. Der Himmel war schon etwas hell geworden. Es roch nach Morgen.

Ich ging den Friedhof entlang, am Café International vorbei, nach Hause. Da ö ffnete sich die Tü r einer Chauffeurkneipe neben dem Gewerkschaftshaus, und ein Mä dchen kam heraus. Eine kleine Kappe, ein schä biges rotes Mä ntelchen, hohe Lackstiefel — ich war schon fast vorbei, da erkannte ich sie — »Lisa... «

»Sieht man dich auch mal wieder? « sagte sie.

»Wo kommst du denn her? « fragte ich.

Sie machte eine Bewegung. »Habe da gewartet. Dachte, du kä mst vorbei. Ist ja so die Zeit, wo du nach Hause kommst. « »Ja, richtig... « »Kommst du mit? « fragte sie. Ich zö gerte. »Es geht nicht... « »Du brauchst kein Geld«, sagte sie rasch. »Nicht deshalb«, antwortete ich unbedacht, »ich habe Geld. « »Ach so —«, sagte sie bitter und trat einen Schritt zurü ck. Ich griff nach ihrer Hand. »Nein, Lisa... « Schmal und blaß stand sie auf der leeren, grauen Straß e. So hatte ich sie getroffen, vor Jahren, als ich stumpf und allein dahinlebte, ohne Gedanken und ohne Hoffnung. Sie war erst miß trauisch gewesen, wie alle diese Mä dchen, aber dann, als wir ein paarmal miteinander gesprochen hatten, zutraulich und anhä nglich. Es war ein sonderbares Verhä ltnis gewesen — manchmal sah ich sie wochenlang nicht, und dann stand sie plö tzlich irgendwo und wartete. Wir hatten beide nichts und niemand um diese Zeit — da war das biß chen Wä rme und Beieinandersein, das wir uns geben konnten, fü r jeden wohl mehr gewesen als sonst. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen — seit ich Pat kannte, nicht mehr.

»Wo warst du denn so lange, Lisa? «

Sie zuckte die Achseln. »Ist ja egal. Wollte dich nur mal wiedersehen. Na, dann kann ich ja losziehen. «

»Wie geht's dir denn? «

»Laß man —«, sagte sie. »Streng dich nicht an. «

Ihr Mund zitterte. Sie sah verhungert aus. »Ich komme doch noch ein biß chen mit dir«, sagte ich.

Ihr armes, gleichgü ltiges Hurengesicht belebte sich und wurde kindlich. Ich kaufte unterwegs in einer der Chauffeurkneipen, die die ganze Nacht offen waren, ein paar Kleinigkeiten, damit sie etwas zu essen hatte. Sie wollte anfangs nicht; erst als ich sagte, ich hä tte selbst Hunger, gab sie nach. Aber sie achtete darauf, daß ich nicht betrogen wurde und schlechte Stü cke erhielt.

Sie wollte auch kein halbes Pfund Schinken; sie meinte, ein viertel wä re genug, wenn wir noch Frankfurter Wü rstchen nä hmen. Aber ich blieb bei dem halben und zwei Bü chsen Wü rstchen.

Sie wohnte in einer Dachkammer, die sie sich etwas eingerichtet hatte. Eine Petroleumlampe stand auf dem Tisch und neben dem Bett, auf einer Flasche, eine Kerze. An den Wä nden hingen Bilder, die aus Zeitschriften ausgeschnitten und mit Reiß nä geln befestigt waren. Auf der Kommode lagen ein paar Detektivromane; daneben ein Pä ckchen schweinischer Fotografien. Manche Besucher, besonders verheiratete, wollten so was sehen. Lisa fegte sie in die Schublade und holte ein zerschlissenes, aber sauberes Tischtuch heraus.

Ich packte die Sachen aus. Lisa zog sich inzwischen um. Zuerst zog sie das Kleid aus, obschon ich wuß te, daß ihr die Fü ß e am meisten weh taten. Sie muß te ja so viel laufen. Sie stand da, in ihren hohen Lackstiefeln bis zum Knie und in schwarzer Wä sche.

»Wie findest du meine Beine? « fragte sie.

»Klasse, wie immer. «

Sie war zufrieden und setzte sich erleichtert auf das Bett, um die Schuhe loszuschnü ren. »Hundertzwanzig Mark kosten die«, sagte sie und hielt sie mir hin. »Bis man das mal verdient hat, sind sie schon wieder in Bruch. «

Sie nahm einen Kimono aus dem Schrank und ein Paar verblichene Brokathalbschuhe aus besseren Tagen. Dabei lä chelte sie fast schuldbewuß t. Sie wollte gefallen. Es wü rgte mich plö tzlich etwas, so hier oben in der kleinen Bude, als wä re mir jemand gestorben.

Wir saß en, und ich sprach behutsam mit ihr. Aber sie merkte trotzdem, daß sich etwas verä ndert hatte. Ihre Augen wurden ä ngstlich. Es war nie mehr zwischen uns gewesen als das, was der Zufall gebracht hatte. Aber vielleicht verpflichtete und band das mehr als vieles andere. »Du gehst? « fragte sie, als ich aufstand — als hä tte sie es schon lange gefü rchtet.

»Ich habe noch eine Verabredung... «



  

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