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Drei Kameraden 5 страница



»Idiotisch gemacht«, erwiderte ich, »der Mann ist schlauer als wir beide zusammen! Sieh dir die Zigarre an! Eine Mark fü nfzig das Stü ck. Du hast mir einen Milliardä r verjagt. «

Gottfried nahm mir die Zigarre aus der Hand, beroch sie und zü ndete sie sich an. »Ich habe dir einen Schwindler verjagt. Milliardä re rauchen nicht solche Zigarren. Die rauchen welche zu einem Groschen das Stü ck. «

»Unsinn«, antwortete ich, »Schwindler nennen sich nicht Blumenthal. Die nennen sich Graf Blumenau oder so. «

»Der Mann kommt wieder«, meinte Lenz, hoffnungsvoll wie immer, und blies mir den Rauch meiner Zigarre ins Gesicht.

»Der nicht«, sagte ich ü berzeugt. »Aber wie kommst du nur zu dem Bambusknü ppel und den Handschuhen? «

»Geliehen. Drü ben im Geschä ft von Benn und Co. Ich kenne da die Verkä uferin. Vielleicht behalte ich den Stock sogar. Er gefä llt mir. « Selbstgefä llig wirbelte er den dicken Prü gel durch die Luft.

»Gottfried«, sagte ich, »du bist hier zu schade. Weiß t du was? Geh zum Variete. Da gehö rst du hin. «

 

»Sie sind angerufen worden«, sagte Frida, das schielende Dienstmä dchen Frau Zalewskis, als ich mittags auf einen Sprung nach Hause kam.

Ich drehte mich um. »Wann? «

»Vor 'ner halben Stunde. War 'ne Dame. «

»Was hat sie denn gesagt? «

»Sie will abends noch mal anrufen. Aber ich habe ihr gleich gesagt, es hä tte nicht viel Zweck. Sie wä ren abends nie zu Hause. «

Ich starrte sie an. »Was? Das haben Sie gesagt? Herrgott, wenn Ihnen doch mal jemand telefonieren beibringen wü rde. «

»Ich kann telefonieren«, erklä rte Frida pomadig. »Und zu Hause sind Sie abends auch so gut wie nie. «

»Das geht Sie doch gar nichts an«, fluchte ich. »Nä chstens erzä hlen Sie noch, ob ich Lö cher in den Strü mpfen habe. «

»Kann ich ja machen«, gab Frida zurü ck und sah mich hä misch mit ihren roten entzü ndeten Augen an. Wir waren alte Feinde.

Ich hä tte sie am liebsten in ihren Suppentopf gesteckt, beherrschte mich aber, griff in die Tasche, drü ckte ihr eine Mark in die Hand und fragte versö hnlich: »Hat die Dame nicht ihren Namen genannt? «

»Nee«, sagte Frida.

»Was hatte sie denn fü r eine Stimme? Ein biß chen dunkel und tief und so, als wä re sie etwas heiser? «

»Weiß ich nicht«, erklä rte Frida phlegmatisch, als hä tte ich ihr nie eine Mark in die Hand gedrü ckt.

»Einen hü bschen Ring haben Sie da an der Hand, wirklich reizend«, sagte ich, »und nun besinnen Sie sich mal genau, ob Sie sich nicht doch erinnern. «

»Nee«, erwiderte Frida, und die Schadenfreude leuchtete ihr nur so aus dem Gesicht.

»Dann hä ng dich auf, du Satansbesen«, fauchte ich und ließ sie stehen.

 

Abends um sechs Uhr war ich pü nktlich zu Hause. Als ich die Tü r aufmachte, bot sich mir ein ungewohntes Bild. Auf dem Korridor stand Frau Bender, die Sä uglingsschwester, umgeben von sä mtlichen Damen der Pension. »Kommen Sie mal her«, sagte Frau Zalewski.

Die Ursache der Versammlung war ein schleifengeschmü ckter Sä ugling, der vielleicht ein halbes Jahr alt war. Frau Bender hatte ihn aus ihrem Heim in einem Kinderwagen mitgebracht. Es war ein vö llig normales Kind; aber die Damen beugten sich mit einem Ausdruck so irrsinnigen Entzü ckens darü ber, als wä re es der erste Sä ugling, den die Welt hervorgebracht hä tte. Dazu stieß en sie glucksende Rufe aus, zwirbelten mit den Fingern vor den Augen der kleinen Kreatur und spitzten die Lippen. Sogar Erna Bö nig in ihrem Drachenkimono beteiligte sich an dieser Orgie platonischer Mü tterlichkeit.

»Ist es nicht ein reizendes Wesen? « fragte Frau Zalewski mit schwimmenden Blick.

»Das kann man erst so in zwanzig, dreiß ig Jahren richtig beurteilen«, erwiderte ich und schielte nach dem Telefon. Hoffentlich kam der Anruf nicht gerade, wä hrend hier alles versammelt war.

»Sehen Sie sich's doch mal richtig an«, forderte Frau Hasse mich auf.

Ich sah hin. Es war ein Sä ugling wie alle. Ich konnte nichts Besonderes daran entdecken. Hö chstens die furchtbar kleinen Hä nde und daß es merkwü rdig war, selbst auch mal so winzig gewesen zu sein. »Der arme Wurm«, sagte ich, »der hat noch keine Ahnung, was ihm bevorsteht. Mö chte wissen, fü r was fü r einen Krieg der gerade zurechtkommt. «

»Rohling«, erwiderte Frau Zalewski. »Haben Sie denn kein Gefü hl? «

»Viel zuviel«, erklä rte ich, »sonst kä me ich ja nicht auf solche Gedanken. « Damit zog ich ab in mein Zimmer.

Zehn Minuten spä ter klingelte das Telefon. Ich hö rte meinen Namen und ging hinaus. Richtig, die ganze Gesellschaft war noch da! Sie wich auch nicht, als ich den Hö rer am Ohr hatte und die Stimme von Patrice Hollmann vernahm, die sich fü r die Blumen bedankte. Im Gegenteil, der Sä ugling, der scheinbar der Vernü nftigste von allen war und genug von der Afferei hatte, fing plö tzlich an zu brü llen. »Entschuldigen Sie«, sagte ich verzweifelt in das Telefon, »ich kann Sie nicht verstehen, hier tobt ein Sä ugling; aber es ist nicht meiner. « Die Damen zischten wie ein Nest von Riesenschlangen, um das schreiende Geschö pf zu beruhigen. Sie erreichten prompt, daß es noch stä rker loslegte. Jetzt erst bemerkte ich, daß es tatsä chlich ein besonderer Sä ugling war; seine Lungen muß ten bis in die Beine reichen, anders war diese schmetternde Stimme nicht zu erklä ren. Ich war in einer schwierigen Lage; mit den Augen schoß ich wü tende Blicke auf den Mutterkomplex vor mir, mit dem Munde versuchte ich freundliche Worte in die Hö rmuschel zu sprechen — vom Scheitel bis zur Nase war ich Gewitter, von der Nase bis zum Kinn eine sonnige Frü hlingslandschaft —, es war mir ein Rä tsel, daß ich es fertigbrachte, mich trotzdem zum nä chsten Abend zu verabreden.

»Sie sollten sich eine schalldichte Telefonzelle anschaffen«, sagte ich zu Frau Zalewski.

Aber die war nicht auf den Mund gefallen. »Wieso«, fragte sie funkelnd zurü ck, »haben Sie soviel zu verbergen? «

Ich schwieg und drü ckte mich. Mit aufgerü hrten Muttergefü hlen soll man keinen Streit anfangen. Die haben die Moral der ganzen Welt hinter sich.

Abends waren wir bei Gottfried verabredet. Ich aß in einer kleinen Kneipe und ging dann hin. Unterwegs kaufte ich mir im elegantesten Herrenmodengeschä ft zur Feier des Tages eine prachtvolle neue Krawatte. Ich war immer noch ü berrascht, wie glatt alles gegangen war, und ich gelobte mir, morgen seriö s zu sein wie der Generaldirektor eines Beerdigungsinstitutes.

Gottfrieds Bude war eine Sehenswü rdigkeit. Sie hing voll von Reiseandenken, die er aus Sü damerika mitgebracht hatte. Bunte Bastmatten an den Wä nden, ein paar Masken, ein eingetrockneter Menschenschä del, groteske Tontö pfe, Speere und als Hauptstü ck eine groß artige Sammlung von Fotografien, die eine ganze Wand einnahmen — Indiomä dchen und Kreolinnen, schö ne, braune, geschmeidige Tiere von unbegreiflicher Anmut und Lä ssigkeit.

Auß er Lenz und Kö ster waren Braumü ller und Grau noch da. Theo Braumü ller hockte mit sonnenverbranntem, kupfernem Schä del auf der Sofalehne und musterte begeistert Gottfrieds fotografische Sammlung. Er war Rennfahrer fü r eine Autofabrik und seit langem mit Kö ster befreundet. Am Sechsten fuhr er das Rennen mit, zu dem Otto Karl gemeldet hatte.

Ferdinand Grau saß massig, aufgeschwemmt und ziemlich betrunken am Tisch. Als er mich sah, zog er mich mit seiner breiten Pratze zu sich heran. »Robby«, sagte er mit schwerer Stimme, »was willst du hier unter den Verlorenen? Du hast hier nichts zu suchen. Geh wieder weg. Rette dich. Du kannst es noch! «

Ich blickte zu Lenz hinü ber. Er zwinkerte mir zu. »Ferdinand ist hoch in Form. Er versä uft seit zwei Tagen eine liebe Tote. Hat ein Porträ t verkauft und gleich Geld bekommen. «

Ferdinand Grau war Maler. Dabei wä re er aber lä ngst verhungert, wenn er nicht eine Spezialitä t gehabt hä tte. Er malte nach Fotografien fabelhaft lebensechte Porträ ts von Verstorbenen fü r pietä tvolle Angehö rige. Davon lebte er — sogar ganz gut. Seine Landschaften, die ausgezeichnet waren, kaufte kein Mensch. Das gab seiner Unterhaltung einen etwas pessimistischen Unterton.

»Ein Gastwirt war's diesmal, Robby«, sagte er, »ein Gastwirt mit einer verstorbenen Erbtante in Essig und Ö l. « Er schü ttelte sich. »Schauderhaft. «

»Hö r mal, Ferdinand«, erwiderte Lenz, »du solltest nicht so harte Ausdrü cke gebrauchen. Du lebst ja von einer der schö nsten menschlichen Eigenschaften: von der Pietä t. «

»Unsinn«, erklä rte Grau, »ich lebe vom Schuldbewuß tsein. Pietä t ist nichts als Schuldbewuß tsein. Man will sich rechtfertigen fü r das, was man dem lieben Verstorbenen bei Lebzeiten alles gewü nscht und angetan hat. « Er fuhr sich mit der Hand langsam ü ber den glü henden Schä del. »Was meinst du, wie oft mein Gastwirt seiner Tante den Tod an den Hals gewü nscht hat — dafü r lä ß t er sie jetzt in den feinsten Farben malen und hä ngt sie ü bers Sofa. So ist sie ihm lieber. Pietä t! Der Mensch erinnert sich seiner spä rlichen guten Eigenschaften immer erst, wenn es zu spä t ist. Dann ist er gerü hrt darü ber, wie edel er hä tte sein kö nnen, und hä lt sich fü r tugendhaft. Tugend, Gü te, Edelmut« — er winkte mit seiner mä chtigen Pratze ab —, »die wü nscht man sich bei andern, damit man sie hereinlegen kann. «

Lenz grinste. »Du rü ttelst an den Grundpfeilern der menschlichen Gesellschaft, Ferdinand! «

»Die Grundpfeiler der menschlichen Gesellschaft sind Habgier, Angst und Korruption«, gab Grau zurü ck. »Der Mensch ist bö se, aber er liebt das Gute — wenn andere es tun. « — Er hielt Lenz sein Glas hin. »So, und nun schenk mir ein und rede nicht den ganzen Abend — laß auch mal andere Leute zu Wort kommen. «

Ich kletterte ü ber das Sofa zu Kö ster hinü ber. Mir war plö tzlich etwas eingefallen. »Otto, du muß t mir mal einen Gefallen tun. Ich brauche morgen abend den Cadillac. «

Braumü ller unterbrach das intensive Studium einer wenig bekleideten kreolischen Tä nzerin. »Kannst du denn schon Kurven fahren? « erkundigte er sich. »Ich dachte bis jetzt, du kö nntest nur geradeaus fahren, wenn ein anderer fü r dich steuert. «

»Sei du ruhig, Theo«, erwiderte ich, »aus dir werden wir beim Rennen am Sechsten schon Hackfleisch machen. «

Braumü ller gluckste vor Lachen. »Also wie ist das, Otto? « fragte ich gespannt.

»Der Wagen ist nicht versichert, Robby«, sagte Kö ster.

»Ich werde wie eine Schnecke schleichen und wie ein Omnibus hupen. Nur ein paar Kilometer in der Stadt. «

Otto schloß die Augen bis auf einen kleinen Spalt und lä chelte. »Gut, Robby; meinetwegen. «

»Brauchst du den Wagen vielleicht zu deiner neuen Krawatte? « fragte Lenz, der herangekommen war.

»Halt den Schnabel«, sagte ich und schob ihn beiseite.

Aber er ließ nicht locker. »Zeig mal her, Baby! « Er befü hlte die Seide. »Herrlich. Unser Kind als Gigolo. Mir scheint, du willst auf Brautschau! «

»Du kannst mich heute nicht beleidigen, du Verwandlungskü nstler«, erwiderte ich.

»Brautschau? « Ferdinand Grau hob den Kopf. »Warum soll er denn nicht auf Brautschau gehen? « Er wurde lebhafter und wandte sich mir zu. »Tu's ruhig, Robby! Du hast noch das Zeug dazu. Zur Liebe gehö rt eine gewisse Einfalt. Die hast du. Bewahre sie dir. Sie ist ein Gottesgeschenk. Nie wieder zu kriegen, wenn man sie mal verloren hat. «

»Nimm dir's nicht allzusehr zu Herzen«, grinste Lenz. »Dumm geboren zu werden ist keine Schande. Nur dumm zu sterben. «

»Schweig, Gottfried. « Grau wischte ihn mit einer Bewegung seiner mä chtigen Tatze beiseite. »Auf dich kommt's nicht an, du Etappenromantiker. Um dich ist's nicht schade. «

»Sprich dich nur ruhig aus, Ferdinand«, sagte Lenz. »Aussprechen erleichtert immer. «

»Du bist ein Drü ckeberger«, erklä rte Grau, »ein pathetischer Drü ckeberger. «

»Sind wir alle«, grinste Lenz. »Wir leben nur noch von Illusionen und Krediten. «

»Jawohl«, sagte Grau und sah uns der Reihe nach unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an. »Von Illusionen aus der Vergangenheit und Krediten auf die Zukunft. « Dann wandte er sich mir wieder zu. »Einfalt habe ich gesagt, Robby. Nur neidische Leute nennen es Dummheit. Krä nke dich nicht deswegen. Es ist kein Fehler, sondern eine Begabung. «

Lenz wollte etwas einwerfen. Aber Ferdinand sprach schon weiter. »Du weiß t, was ich meine. Ein einfaches Gemü t, noch nicht zerfressen von Skepsis und Ü berintelligenz. Parzival war dumm. Wä re er klug gewesen, hä tte er nie den heiligen Gral erobert. Nur wer dumm ist, siegt im Leben; der andere sieht viel zu viele Hindernisse und wird unsicher, ehe er beginnt. In schwierigen Zeiten ist Einfalt das kostbarste Gut — ein Zaubermantel, der Gefahren verbirgt, in die der Superkluge wie hypnotisiert hineinrennt. «

Er trank einen Schluck und sah mich mit seinen riesigen blauen Augen an, die wie ein Stü ck Himmel in dem zerklü fteten Gesicht saß en. »Nie zuviel wissen wollen, Robby! Je weniger man weiß, desto einfacher ist es, zu leben. Wissen macht frei — aber unglü cklich. Komm, trink mit mir auf die Einfalt, die Dummheit und was zu ihr gehö rt — auf die Liebe, den Glauben an die Zukunft, die Trä ume vom Glü ck —, auf die herrliche Dummheit, das verlorene Paradies... «

Er saß schwer und massig da, plö tzlich in sich selbst und seine Trunkenheit versunken, wie ein einsamer Hü gel von unangreifbarer Schwermut. Sein Leben war kaputt, und er wuß te, daß er es nicht mehr zusammenbringen konnte. Er hauste in seinem groß en Atelier und hatte ein Verhä ltnis mit seiner Haushä lterin. Die Frau war fest und derb. Grau dagegen, trotz seines mä chtigen Kö rpers, empfindsam und haltlos. Er kam nicht los von ihr, und es war ihm wohl auch schon egal. Er war zweiundvierzig Jahre alt.

Obschon ich wuß te, daß es die Betrunkenheit war, fü hlte ich doch einen leisen, merkwü rdigen Schauer, als ich ihn so sah. Er kam nicht oft und trank fast immer allein in seinem Atelier. Das bringt einen rasch 'runter.

Ein Lä cheln huschte ü ber sein Gesicht. Er drü ckte mir ein Glas in die Hand. »Trink, Robby. Und rette dich. Denk daran, was ich dir gesagt habe. «

»Gut, Ferdinand! «

Lenz zog das Grammophon auf. Er hatte einen Haufen Negerplatten und spielte ein paar — vom Mississippi, von Baumwollpflü ckern und von den schwü len Nä chten an den blauen tropischen Flü ssen.

 

 

VI

 

Patrice Hollmann wohnte in einem groß en gelben Hä userblock, der durch ein schmales Rasenstü ck von der Straß e getrennt war. Vor dem Eingang stand eine Laterne. Ich parkte den Cadillac direkt darunter. Er sah in dem bewegten Licht aus wie ein mä chtiger Elefant aus fließ endem schwarzem Glanz.

Ich hatte meine Garderobe noch weiter vervollstä ndigt. Zu der Krawatte hatte ich noch einen neuen Hut und ein Paar Handschuhe gekauft — auß erdem trug ich einen Ulster von Lenz, ein herrliches graues Stü ck aus feinster Shetlandwolle. So ausgerü stet, wollte ich meinen ersten sä uferischen Eindruck nachdrü cklich in die Flucht schlagen.

Ich hupte. Gleich darauf flammte wie eine Rakete in fü nf Fenstern ü bereinander die Treppenbeleuchtung auf. Der Lift begann zu summen. Ich sah ihn herunterschweben wie einen hellen Fö rderkorb, der vom Himmel herabgelassen wurde. Patrice Hollmann ö ffnete die Tü r und kam rasch die Treppe herunter. Sie trug eine kurze braune Pelzjacke und einen engen braunen Rock.

»Hallo! « Sie streckte mir die Hand entgegen. »Ich freue mich so, herauszukommen. Ich war den ganzen Tag zu Hause. «

Ich hatte gern, wie sie die Hand gab — mit einem Druck, der krä ftiger war, als man vermutete. Ich haß te Leute, die einem schlaff die Hand hinhielten wie einen toten Fisch.

»Warum haben Sie mir das nicht frü her gesagt«, erwiderte ich. »Ich hä tte Sie dann schon mittags abgeholt. «

»Haben Sie denn soviel Zeit? «

»Das nicht. Aber ich hä tte mich schon frei gemacht. «

Sie holte tief Atem. »Wunderbare Luft! Es riecht nach Frü hling. «

»Wenn Sie Lust haben, kö nnen wir in der Luft herumfahren, soviel Sie wollen«, sagte ich, »nach drauß en, vor die Stadt, durch den Wald — ich habe einen Wagen mitgebracht. « Damit zeigte ich so nachlä ssig auf den Cadillac, als wä re er ein alter Ford.

»Der Cadillac? « Ü berrascht sah sie mich an. »Gehö rt der Ihnen? «

»Heute abend, ja. Sonst gehö rt er unserer Werkstatt. Wir haben ihn aufgearbeitet und wollen das Geschä ft unseres Lebens damit machen. « Ich ö ffnete die Tü r. »Wollen wir zuerst in die ›Traube‹ fahren und essen? Was meinen Sie dazu? «

»Essen schon, aber wozu gerade in der ›Traube‹? «

Ich sah verdutzt auf. Die »Traube« war das einzige elegante Restaurant, das ich kannte.

»Offen gestanden«, sagte ich, »etwas anderes weiß ich nicht. Ich denke auch, der Cadillac verpflichtet uns etwas. «

Sie lachte. »In der ›Traube‹ ist es bestimmt steif und langweilig. Gehen wir doch woanders hin! «

Ich stand ratlos da. Meine seriö sen Trä ume lö sten sich in Dunst auf.

»Dann mü ssen Sie schon etwas vorschlagen«, sagte ich. »Die Lokale, die ich nä mlich sonst noch kenne, sind etwas handfest. Ich glaube, das ist nichts fü r Sie. «

»Warum glauben Sie das? «

»Das sieht man doch so ungefä hr... «

Sie blickte mich rasch an. »Wir kö nnen es ja mal versuchen. «

»Gut. « Ich warf entschlossen mein ganzes Programm um.

»Dann weiß ich was, wenn Sie nicht schreckhaft sind. Wir gehen zu Alfons. «

»Alfons klingt schon sehr gut«, erwiderte sie, »und schreckhaft bin ich heute abend auch nicht. «

»Alfons ist ein Bierwirt«, sagte ich, »ein guter Freund von Lenz. «

Sie lachte. »Lenz hat wohl ü berall Freunde? «

Ich nickte. »Er findet sie auch leicht. Das haben Sie ja bei Binding gesehen. «

»Ja, weiß Gott«, erwiderte sie. »Das ging ja wie der Blitz. «

Wir fuhren los.

 

Alfons war ein schwerer, ruhiger Mann. Vorstehende Backenknochen. Kleine Augen. Aufgekrempelte Hemdsä rmel. Arme wie ein Gorilla. Er warf jeden, der ihm in seiner Kneipe nicht paß te, selbst 'raus. Auch die Mitglieder des Sportvereins Heimattreue. Fü r sehr schwierige Gä ste hatte er einen Hammer unter der Theke bereit. Das Lokal lag praktisch; dicht beim Krankenhaus. Alfons sparte so die Transportkosten.

Er wischte mit der behaarten Tatze ü ber die helle Tischplatte aus Tannenholz. »Bier? « fragte er.

»Korn und was zu essen«, sagte ich.

»Und die Dame? « fragte Alfons.

»Die Dame will auch einen Korn«, sagte Patrice Hollmann.

»Heftig, heftig«, meinte Alfons. »Es gibt Schweinerippchen mit Sauerkraut. «

»Selbstgeschlachtet? « fragte ich.

»Klar. «

»Aber die Dame mö chte sicher etwas Leichteres essen. «

»Kann nicht ihr Ernst sein«, meinte Alfons. »Schauen Sie

 

sich erst mal die Rippchen an. «

Er ließ den Kellner eine Portion zeigen. »War eine wunderbare Sau«, sagte er. »Prä miiert. Zwei erste Preise. «

»Da kann natü rlich niemand widerstehen«, erwiderte Patrice Hollmann zu meinem Erstaunen mit einer Sicherheit, als verkehre sie schon Jahre in der Kaschemme hier.

Alfons zwinkerte. »Also zwei Portionen? «

Sie nickte.

»Schö n! Werde mal selbst aussuchen. «

Er ging in die Kü che. »Ich nehme meine Zweifel wegen des Lokals zurü ck«, sagte ich. »Sie haben Alfons im Sturm erobert. Selbst aussuchen, das macht er sonst nur bei Stammgä sten. «

Alfons kam zurü ck. »Habe euch noch eine frische Wurst 'reingegeben. «

»Keine schlechte Idee«, sagte ich.

Alfons sah uns wohlwollend an. Der Korn kam. Drei Glä ser. Eins fü r Alfons mit. »Na, denn Prost«, sagte er. »Auf daß unsere Kinder reiche Eltern kriegen. «

Wir kippten die Glä ser. Das Mä dchen nippte nicht, es kippte auch.

»Heftig, heftig«, sagte Alfons und schlurfte zur Theke zurü ck.

»Schmeckt Ihnen der Korn? « fragte ich.

Sie schü ttelte sich. »Etwas krä ftig. Aber ich kann mich doch vor Alfons nicht blamieren. «

Die Schweinerippchen hatten es in sich. Ich aß zwei groß e Portionen, und auch Patrice Hollmann aß bedeutend mehr, als ich ihr zugetraut hatte. Ich fand es groß artig, daß sie so gut mitmachte und sich so ohne weiteres in das Lokal fand. Sie trank auch ohne Ziererei noch einen zweiten Korn mit Alfons.

Der zwinkerte mir heimlich zu, er fä nde die Sache richtig. Und Alfons war ein Kenner. Nicht gerade in bezug auf Schö nheit und Kultur — wohl aber in bezug auf Kern und Gehalt.

»Wenn Sie Glü ck haben, lernen Sie Alfons in seiner menschlichen Schwä che kennen«, sagte ich.

»Das mö chte ich mal«, erwiderte sie. »Er sieht aus, als hä tte er keine. «

»Doch! « Ich zeigte auf einen Tisch neben der Theke. »Da... «

»Was? Das Grammophon? «

»Nicht das Grammophon. Chorgesang! Alfons hat eine Schwä che fü r Chorgesang. Keine Tä nze, keine klassische Musik — nur Chö re: Mä nnerchö re, gemischte Chö re —, alles, was da an Platten liegt, sind Chö re. Da sehen Sie, er kommt. «

»Geschmeckt? « fragte Alfons.

»Wie bei Muttern«, erwiderte ich.

»Die Dame auch? «

»Die besten Schweinerippchen meines Lebens«, erklä rte die Dame kü hn.

Alfons nickte befriedigt. »Spiele euch jetzt mal meine neue Platte vor. Werdet staunen. «

Er ging zum Grammophon. Die Nadel kratzte, und machtvoll erhob sich ein Mä nnerchor, der mit gewaltigen Stimmen das »Schweigen im Walde« sang. Es war ein verflucht lautes Schweigen.

Vom ersten Takt an wurde alles im Lokal still. Alfons konnte gefä hrlich werden, wenn jemand keine Andacht zeigte. Er stand an der Theke, die haarigen Arme aufgestü tzt. Sein Gesicht verä nderte sich unter der Macht der Musik. Es wurde trä umerisch — so trä umerisch, wie eben ein Gorilla werden kann. Chorgesang hatte eine unbeschreibliche Gewalt ü ber ihn. Er wurde dabei sanft wie ein Rehkitz. Er konnte mitten in einer Schlä gerei sein — wenn ein Mä nnerchor ertö nte, ließ er, wie von einem Zauberschlag getroffen, los, horchte und war bereit zur Versö hnung. Frü her, als er noch jä hzorniger war, hatte seine Frau immer Platten spielfertig liegen, die er besonders liebte. Wenn es dann gefä hrlich wurde und er schon mit dem Hammer hinter der Theke hervorkam, setzte sie rasch die Nadel an — und Alfons ließ den Hammer sinken, lauschte und wurde ruhig. Inzwischen war das nicht mehr so nö tig — die Frau war tot, ihr Bild, ein Geschenk Ferdinand Graus, der dafü r hier Freitisch hatte, hing ü ber der Theke —, und auch Alfons war ä lter und kä lter geworden.

Die Platte lief aus. Alfons kam heran.

»Wunderbar«, sagte ich.

»Besonders der erste Tenor«, ergä nzte Patrice Hollmann.

»Richtig«, meinte Alfons und wurde zum erstenmal lebhafter, »Sie verstehen was davon! Der erste Tenor ist ganz groß e Klasse. «

Wir verabschiedeten uns von ihm. »Grü ß t Gottfried«, sagte er. »Soll sich mal wieder sehen lassen. «

 

Wir standen auf der Straß e. Die Laternen vor dem Hause warfen unruhige Lichter und Schatten nach oben in das Ä stegewirr eines alten Baumes. Die Zweige hatten schon einen leichten grü nen Schimmer, und durch das flackernde, undeutliche Licht von unten erschien der Baum viel mä chtiger und hö her; er sah aus, als verlö re sich die Krone in der Dä mmerung darü ber — wie eine riesige, gespreizte Hand, die in einer ungeheuren Sehnsucht nach dem Himmel griff.

Patrice Hollmann schauerte ein wenig.

»Ist Ihnen kalt? « fragte ich.

Sie zog die Schultern hoch und steckte die Hä nde in die Ä rmel ihrer Pelzjacke. »Nur einen Augenblick. Es war drinnen ziemlich warm. « — »Sie sind zu leicht angezogen«, sagte ich. »Es ist abends noch kalt. « Sie schü ttelte den Kopf. »Ich trage nicht gern schwere Sachen. Und ich mö chte, daß es endlich einmal warm wird. Ich mag keine Kä lte. Wenigstens nicht in der Stadt. «

»Im Cadillac ist es warm«, sagte ich. »Zur Vorsicht habe ich auch eine Decke mitgebracht. «

Ich half ihr in den Wagen und legte ihr die Decke ü ber die Knie. Sie zog sie hö her hinauf. »Herrlich! So ist es wunderbar. Kä lte macht traurig. «

»Nicht nur Kä lte. « Ich setzte mich ans Steuer. »Wollen wir jetzt etwas spazierenfahren? «

Sie nickte. »Gern. «

»Wohin? «

»Einfach so langsam durch die Straß en. Ganz gleich, wohin. «

»Gut. «

Ich ließ den Motor an, und wir fuhren langsam und planlos durch die Stadt. Es war die Zeit, wo der Abendverkehr am stä rksten ist. Wir glitten fast unhö rbar hindurch, so leise summte die Maschine. Es war, als sei der Wagen ein Schiff, das lautlos ü ber die bunten Kanä le des Lebens trieb. Die Straß en wehten vorü ber, die hellen Portale, die Lichter, die Laternenreihen, der sü ß e, weiche, abendliche Aufruhr des Daseins, das sanfte Fieber der erleuchteten Nacht, und ü ber allem, zwischen den Dä cherrä ndern, der eisengraue, groß e Himmel, gegen den die Stadt ihr Licht warf.

Das Mä dchen saß schweigend neben mir; Helligkeit und Schatten glitten durch das Fenster ü ber ihr Gesicht. Ich sah manchmal zu ihr hinü ber; sie erinnerte mich jetzt wieder an den Abend, wo ich sie zum erstenmal gesehen hatte. Ihr Gesicht war ernster geworden, es erschien fremder als vorher, aber sehr schö n — es war das Gesicht, das mich damals angerü hrt und nicht losgelassen hatte. Mir schien, als wä re etwas von dem Geheimnis der Stille darin, das die Dinge haben, die der Natur nahe sind — Bä ume, Wolken, Tiere — und manchmal eine Frau.

 

Wir kamen in die ruhigen Straß en der Vororte. Der Wind wurde stä rker. Er schien die Nacht vor sich her zu treiben. An einem groß en Platz, um den rundherum kleine Hä user in kleinen Gä rten schliefen, hielt ich den Wagen an.

Patrice Hollmann machte eine Bewegung, als erwache sie.

»Schö n ist das«, sagte sie nach einer Weile. »Wenn ich einen Wagen hä tte, wü rde ich jeden Abend so langsam herumfahren. Es hat etwas Unwirkliches, so lautlos ü berall vorü berzugleiten.

Man ist wach und trä umt zur selben Zeit. Ich kann mir denken, daß man keine Menschen mehr brauchte, abends... «

Ich zog ein Pä ckchen Zigaretten aus der Tasche. »Abends braucht man welche, was? «

Sie nickte. »Abends schon. Das ist eine sonderbare Sache, wenn es dunkel wird. «

Ich riß das Pä ckchen auf. »Es sind amerikanische Zigaretten. Mö gen Sie die? «

»Ja. Lieber als andere sogar. «

Ich gab ihr Feuer. Einen Augenblick beleuchtete das warme, nahe Licht des Streichholzes ihr Gesicht und meine Hä nde, und ich hatte plö tzlich den verrü ckten Gedanken, als gehö rten wir seit langem zusammen.

Ich drehte das Fenster herunter, damit der Rauch abziehen konnte.

»Wollen Sie jetzt etwas fahren? « fragte ich. »Es macht Ihnen doch sicher Spaß. «

Sie wendete sich mir zu. »Ich mö chte schon; aber ich kann es nicht. «

»Wirklich nicht? «

»Nein. Ich habe es nie gelernt. «

Ich sah meine Chance. »Das hä tte Binding Ihnen doch lä ngst zeigen kö nnen«, sagte ich.

Sie lachte. »Binding ist viel zu verliebt in seinen Wagen. Der lä ß t niemand heran. «

»Das ist ja albern«, erklä rte ich, vergnü gt, dem Dicken eins auswischen zu kö nnen. »Ich lasse Sie ohne weiteres fahren. Kommen Sie. «

Ich schlug alle Mahnungen Kö sters in den Wind und stieg aus, um sie ans Steuer zu lassen. Sie wurde aufgeregt. »Aber ich kann wirklich nicht fahren. « »Doch«, erwiderte ich. »Sie kö nnen es. Sie wissen es nur noch nicht. « Ich zeigte ihr, wie man schaltet und kuppelt. »So«, sagte ich dann, »und nun mal los! « »Einen Moment! « Sie zeigte auf einen Omnibus, der einsam die Straß e entlangschlich. »Wollen wir den nicht erst vorbeilassen? « »Auf keinen Fall! « Ich schaltete rasch und ließ die Kupplung ein. Sie hielt das Steuerrad krampfhaft fest und sah angespannt ü ber die Straß e. »Mein Gott, wir fahren ja viel zu schnell! « Ich blickte auf den Tachometer. »Sie fahren jetzt genau fü nfundzwanzig Kilometer. Das sind in Wirklichkeit zwanzig. Gutes Tempo fü r einen Langstreckenlä ufer. « »Mir kommt's vor wie achtzig. « Nach ein paar Minuten war die erste Angst ü berwunden.



  

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