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Drei Kameraden 6 страница



Wir fuhren eine breite, gerade Straß e hinunter. Der Cadillac torkelte ein biß chen hin und her, als ob er statt Benzin Kognak im Tank hä tte, und manchmal streifte er verdä chtig nahe die Bordschwelle — aber allmä hlich ging es ganz gut, und es wurde so, wie ich es mir gedacht hatte: Ich bekam Ü bergewicht, weil wir plö tzlich Lehrer und Schü ler geworden waren, und das nutzte ich aus.

»Achtung«, sagte ich, »drü ben steht ein Polizist! «

»Soll ich anhalten? «

»Dazu ist es jetzt zu spä t. «

»Und was passiert, wenn er mich erwischt? Ich habe doch keinen Fü hrerschein. « »Dann kommen wir beide ins Gefä ngnis. «

»Um Gottes willen! « Sie suchte erschreckt mit dem Fuß die Bremse.

»Gas! « rief ich. »Gas! Feste drauftreten! Wir mü ssen stolz und schnell vorbei. Das beste Mittel gegen das Gesetz ist Frechheit. «

Der Polizist beachtete uns gar nicht. Das Mä dchen atmete auf. »Ich wuß te bis jetzt noch gar nicht, daß Verkehrspolizisten aussehen kö nnen wie feuerspeiende Drachen«, sagte sie, als wir ihn ein paar hundert Meter hinter uns hatten.

»Das tun sie erst, wenn man sie anfä hrt. « Ich zog langsam die Bremse. »So, hier haben wir eine prachtvolle, leere Seitenstraß e. Hier wollen wir nun mal richtig ü ben. Zunä chst das Anfahren und das Halten. «

Patrice Hollmann wü rgte ein paarmal den Motor ab. Sie knö pfte ihre Pelzjacke auf. »Mir wird warm dabei! Aber ich muß es lernen! «

Sie saß eifrig und aufmerksam am Steuer und beobachtete, was ich ihr vormachte. Dann fuhr sie mit aufgeregten kleinen Ausrufen ihre ersten Kurven und hatte vor entgegenkommenden Scheinwerfern Angst wie vor dem Teufel, und ebensoviel Stolz, wenn sie glü cklich passiert waren. Bald entstand in dem kleinen, vom Licht des Schaltbretts halb erhellten Raum ein Gefü hl von Kameradschaft, wie es sich rasch bei technischen und sachlichen Dingen einstellt — und als wir nach einer halben Stunde die Plä tze wechselten und ich zurü ckfuhr, waren wir vertrauter miteinander geworden, als wenn wir uns gegenseitig unsere ganze Lebensgeschichte erzä hlt hä tten.

 

In der Nä he der Nikolaistraß e hielt ich den Wagen wieder an. Wir standen gerade unter einer roten Kinoreklame. Der Asphalt schimmerte matt darunter wie verblichener Purpur. An der Bordschwelle glä nzte ein groß er schwarzer Ö lfleck.

»So«, sagte ich, »jetzt haben wir uns redlich ein Glas zu trinken verdient. Wo wollen wir das tun? « Patrice Hollmann ü berlegte einen Augenblick. »Gehen wir doch wieder in die hü bsche Bar mit Segelschiffen«, schlug sie dann vor.

Ich war im Augenblick in hö chstem Alarm. In der Bar saß jetzt todsicher der letzte Romantiker. Ich sah schon sein Gesicht. »Ach«, sagte ich rasch, »das ist doch nichts Besonderes. Es gibt viel nettere Lokale... «

»Ich weiß nicht — ich fand es sehr hü bsch neulich. «

»Tatsä chlich? « fragte ich verblü fft. »Sie fanden es neulich hü bsch? «

»Ja«, erwiderte sie lachend. »Sehr sogar... «

So was! dachte ich, und deshalb habe ich mir Vorwü rfe gemacht! »Ich glaube aber, es ist um diese Zeit sehr voll da«, versuchte ich noch einmal.

»Wir kö nnen es uns ja mal ansehen. «

»Ja, das kö nnen wir. « Ich ü berlegte, was ich machen sollte.

Als wir ankamen, stieg ich rasch aus. »Ich schaue schnell mal nach. Bin gleich wieder da. «

Es war kein Bekannter da, auß er Valentin. »Sag mal«, fragte ich, »war Gottfried schon hier? «

Valentin nickte. »Mit Otto. Sind vor 'ner halben Stunde weggegangen. «

»Schade«, sagte ich aufatmend. »Hä tte sie gern getroffen. « Ich ging zum Wagen zurü ck. »Wir kö nnen es riskieren«, erklä rte ich. »Zufä llig ist es nicht so schlimm heute. « Zur Vorsicht jedoch parkte ich den Cadillac um die nä chste Ecke im tiefsten Schatten.

Aber wir saß en noch keine zehn Minuten, als der strohblonde Kopf von Lenz an der Theke erschien. Verflucht, dachte ich, jetzt ist's passiert! Ein paar Wochen spä ter war's mir lieber gewesen.

Gottfried schien nicht bleiben zu wollen. Schon glaubte ich gerettet zu sein, da sah ich, daß Valentin ihn auf mich aufmerksam machte. Das hatte ich fü r meine Lü ge von vorhin. Gottfrieds Gesicht, als er uns erblickte, wä re eine hervorragende Studie fü r einen lernbegierigen Filmschauspieler gewesen. Die Augen traten ihm heraus wie Spiegeleier, und ich hatte Sorge, daß ihm der Unterkiefer wegfiel. Es war schade, daß kein Regisseur in diesem Augenblick in der Bar saß; ich wä re sicher gewesen, daß er Lenz vom Fleck weg engagiert hä tte. Fü r Rollen zum Beispiel, wo vor einem schiffbrü chigen Matrosen plö tzlich die Seeschlange mit Gebrü ll auftaucht.

Gottfried hatte sich rasch wieder in der Gewalt. Ich warf ihm einen beschwö renden Blick zu, zu verschwinden. Er beantwortete ihn mit einem niederträ chtigen Grinsen, zog sich den Rock glatt und kam heran.

Ich wuß te, was mir bevorstand, und griff sofort an. »Hast du Frä ulein Bomblatt schon nach Hause gebracht? « fragte ich, um ihn gleich zu neutralisieren.

»Ja«, erwiderte er, ohne mit einem Wimperzucken zu verraten, daß er bis vor einer Sekunde von Frä ulein Bomblatt nichts gewuß t hatte.

»Sie lä ß t dich grü ß en, und du mö chtest sie morgen frü h gleich anrufen. «

Das war ganz gut wiedergehauen. Ich nickte. »Werde ich machen. Hoffe doch, daß sie den Wagen kaufen wird. «

Lenz ö ffnete aufs neue den Mund. Ich trat ihn gegen das Schienbein und sah ihn mit einem derartigen Blick an, daß er schmunzelnd aufhö rte.

Wir tranken ein paar Glas. Ich nur Sidecars, mit viel Zitrone. Ich wollte nicht wieder von mir selbst ü berrumpelt werden.

Gottfried war glä nzend aufgelegt. »Ich war eben bei dir«, sagte er. »Wollte dich abholen. Hinterher war ich auf dem Rummelplatz. Da ist ein groß artiges neues Karussell. Wollen wir mal hin? « Er sah Patrice Hollmann an.

»Sofort! « erwiderte sie. »Ich liebe Karussells ü ber alles! «

»Dann wollen wir gleich aufbrechen«, sagte ich. Ich war froh, daß wir 'rauskamen. Im Freien war die Sache einfacher.

 

Drehorgelmä nner — ä uß erste Vorposten des Rummelplatzes. Melancholisch sü ß es Gebrumm. Auf den zerschlissenen Samtdecken der Orgeln manchmal ein Papagei oder ein frierender, kleiner Affe in einer roten Tuchjacke. Dann die scharfen Stimmen der Verkä ufer von Porzellankitt, Glasschneidern, tü rkischem Honig, Luftballons und Anzugstoffen. Das kalte blaue Licht und der Geruch der Karbidlampen. Die Wahrsager, die Sterndeuter, die Pfefferkuchenzelte, die Schiffsschaukeln, die Buden mit den Attraktionen — und endlich, brausend von Musik, bunt, glanzvoll, erleuchtet wie Palä ste, die kreisenden Tü rme der Karussells.

»Los Kinder! « Lenz stü rzte sich mit wehenden Haaren auf die Berg-und-Tal-Bahn. Sie hatte das grö ß te Orchester. Bei jeder Runde traten sechs Posaunenblä ser aus vergoldeten Nischen, drehten sich nach allen Seiten, schmetterten, schwenkten die Instrumente und traten zurü ck. Es war glorios.

Wir setzten uns in einen groß en Schwan und sausten auf und ab. Die Welt glitzerte und glitt, sie schwankte und fiel in einen schwarzen Tunnel zurü ck, den wir mit Trommelwirbeln durchjagten, um gleich darauf wieder von Glanz und Posaunen empfangen zu werden.

»Weiter! « Gottfried steuerte auf ein fliegendes Karussell mit Luftschiffen und Aeroplanen zu. Wir enterten einen Zeppelin und machten auf ihm drei Runden.

Etwas atemlos standen wir wieder unten. »Und jetzt zum Teufelsrad! « erklä rte Lenz.

Das Teufelsrad war eine groß e, glatte, in der Mitte etwas erhö hte Scheibe, die sich immer rascher drehte und auf der man sich behaupten muß te. Gottfried bestieg sie mit etwa zwanzig Personen. Er steppte wie ein Rasender und erhielt Sonderapplaus. Zum Schluß war er allein mit einer Kö chin, die einen Hintern wie ein Sechstalerpferd hatte. Die schlaue Person setzte sich, als die Sache schwierig wurde, einfach mitten auf die Scheibe, und Gottfried fegte, dicht vor ihr steppend, herum. Die andern waren schon alle heruntergewirbelt. Schließ lich ereilte das Schicksal auch den letzten Romantiker; er taumelte in die Arme der Kö chin und rollte, umschlungen von ihr, zur Seite. Als er wieder zu uns stieß, fü hrte er die Kö chin am Arm. Er nannte sie ohne weiteres Lina. Lina lä chelte verschä mt. Er fragte, womit er sie bewirten dü rfe. Lina erklä rte, daß Bier gut gegen Durst sei. Die beiden verschwanden in einem Schuhplattlerzelt.

»Und wir? Wohin gehen wir jetzt? « fragte Patrice Hollmann mit glä nzenden Augen.

»Ins Geisterlabyrinth«, sagte ich und zeigte auf eine groß e Bude.

Das Labyrinth war ein Weg voller Ü berraschungen. Nach ein paar Schritten wackelte der Boden, Hä nde tasteten im Dunkel nach einem, Fratzen sprangen aus den Ecken, Gespenster heulten — wir lachten, aber einmal fuhr das Mä dchen vor einem grü n beleuchteten Totenkopf jä h zurü ck. Einen Augenblick lag sie in meinem Arm, ihr Atem streifte mein Gesicht, ich fü hlte ihr Haar an meinem Mund — gleich darauf lachte sie wieder, und ich ließ sie los.

Ich ließ sie los; aber etwas in mir ließ sie nicht los. Als wir lä ngst drauß en waren, fü hlte ich immer noch ihre Schulter in meinem Arm, spü rte das weiche Haar, den schwachen Pfirsichgeruch ihrer Haut —. Ich vermied, sie anzusehen. Sie war plö tzlich anders geworden fü r mich.

Lenz wartete schon auf uns. Er war allein. »Wo ist Lina? « fragte ich.

»Sä uft«, erwiderte er und deutete mit dem Kopf auf das bä urische Zelt. »Mit einem Schmied. «

»Mein Beileid«, sagte ich.

»Unsinn«, meinte Gottfried, »laß uns jetzt lieber zu ernster Mannesarbeit ü bergehen. «

Wir gingen zu einer Bude, wo man Hartgummiringe auf Haken werfen muß te und alles mö gliche gewinnen konnte. »So«, sagte Lenz zu Patrice Hollmann und schob seinen Hut in den Nacken, »jetzt werden wir Ihnen eine Aussteuer zusammenholen. «

Er warf als erster und gewann eine Weckuhr. Ich folgte und schnappte einen Teddybä ren. Der Budenbesitzer ü bergab uns beides und machte viel Hallo davon, um weitere Kunden anzulocken. »Dir wird das Hallo schon vergehen«, schmunzelte Gottfried und eroberte eine Bratpfanne. Ich einen zweiten Teddybä ren. »Nanu, so was von Schwein«, sagte der Budenbesitzer nur und reichte uns die Sachen.

Der Mann wuß te nicht, was ihm bevorstand. Lenz war der beste Handgranatenwerfer der Kompanie gewesen, und im Winter, wenn wenig zu tun war, hatten wir monatelang geü bt, unsere Hü te auf alle mö glichen Haken zu werfen. Dagegen waren die Ringe hier ein Kinderspiel. Gottfried holte sich mü helos als nä chstes eine kristallene Blumenvase. Ich ein halbes Dutzend Grammophonplatten. Der Budenbesitzer schob sie uns schweigend zu und prü fte dann seine Haken. Lenz zielte, warf und gewann ein Kaffeegeschirr, den zweiten Preis. Wir halten jetzt schon einen Haufen Zuschauer. Ich warf drei Ringe ganz rasch auf denselben Haken. Ergebnis: die bü ß ende heilige Magdalena im Goldrahmen.

Der Budenbesitzer zog ein Gesicht, als ob er beim Zahnarzt wä re, und weigerte sich, uns weiter werfen zu lassen. Wir wollten aufhö ren, aber die Zuschauer machten Krach. Sie verlangten von dem Mann, daß er uns weitertrudeln ließ. Sie wollten sehen, wie er ausgeplü ndert wurde. Am meisten Krach machte Lina, die plö tzlich mit ihrem Schmied wieder da war. »Vorbeiwerfen dü rfen die Leute, was? « krä hte sie, »aber treffen nicht, wie? « Der Schmied brummte beifä llig.

»Schö n«, meinte Lenz, »jeder noch einen Wurf. «

Ich warf als erster. Eine Waschschü ssel mit Krug und Seifenschale. Dann kam Lenz. Er nahm fü nf Ringe. Vier warf er rasch auf denselben Haken. Vor dem fü nften machte er eine Kunstpause und zog eine Zigarette hervor. Drei Mann reichten ihm Feuer. Der Schmied klopfte ihm auf die Schulter. Lina fraß vor Aufregung ihr Taschentuch. Dann visierte Gottfried und warf ganz leicht, damit er nicht abprallte, den letzten Ring ü ber die vier andern. Er blieb hä ngen. Donnerndes Gebrü ll. Er hatte den Hauptgewinn gekapert — einen Kinderwagen mit rosa Decke und Spitzenkissen.

Der Budenbesitzer schob ihn fluchend heraus. Wir packten alles hinein und zogen zur nä chsten Bude. Lina schob den Wagen. Der Schmied machte darü ber solche Witze, daß ich vorzog, mit Patrice Hollmann ein Stü ck zurü ckzubleiben. Bei der nä chsten Bude muß te man Ringe ü ber Weinflaschen werfen. Wenn der Ring richtig fiel, hatte man die Flasche gewonnen. Wir holten sechs Flaschen heraus, Lenz besah die Etiketten und schenkte sie dem Schmied.

Es gab noch eine Bude ä hnlicher Art. Aber der Besitzer hatte Lunte gerochen und erklä rte sie, als wir ankamen, fü r geschlossen. Der Schmied wollte Radau machen; er hatte gesehen, daß hier Bierflaschen erstritten werden konnten. Aber wir wehrten ab. Der Mann, der diese Bude besaß, hatte nur einen Arm.

In groß er Begleitung erschienen wir beim Cadillac. »Was nun? « fragte Lenz und kratzte sich den Schä del. »Am besten binden wir den Kinderwagen hinten an. «

»Natü rlich«, sagte ich. »Aber du muß t 'rein und ihn steuern, damit er nicht kippt. «

Patrice Hollmann protestierte. Sie hatte Sorge, Lenz wü rde es tatsä chlich machen. »Schö n«, meinte Gottfried, »dann wollen wir mal sortieren. Die beiden Teddys behalten Sie unbedingt. Die Grammophonplatten auch. Die Bratpfanne? «

Das Mä dchen schü ttelte den Kopf. »Geht dann in den Besitz der Werkstatt ü ber«, erklä rte Gottfried. »Nimm sie an dich, Robby, alter Meister des Spiegeleierbratens. Das Kaffeegeschirr? «

Das Mä dchen nickte zu Lina hinü ber. Die Kö chin errö tete. Gottfried ü berreichte ihr die Stü cke wie bei einer Preisverteilung. Dann griff er die Steingutschale heraus. »Das Waschgeschirr hier? An den Herrn Nachbarn, nicht wahr? Kann's gut gebrauchen im Beruf. Die Weckuhr ebenfalls. Schmiede haben einen schweren Schlaf. «

Ich ü bergab Gottfried die Blumenvase. Er reichte sie Lina. Die wollte stotternd ablehnen. Ihre Augen klebten an der bü ß enden Magdalena. Sie glaubte, wenn sie die Vase nä hme, bekä me der Schmied das Bild. »Ick schwä rme for Kunst«, brachte sie heraus. Rü hrend gierig stand sie da und kaute vor Aufregung an ihren roten Fingern.

»Gnä diges Frä ulein«, fragte Lenz mit groß er Geste und drehte sich um, »was meinen Sie dazu? «

Patrice Hollmann nahm das Bild und gab es der Kö chin. »Es ist ein sehr schö nes Bild, Lina«, sagte sie.

»Hä ng's ü ber dein Bett und nimm's dir zu Herzen«, ergä nzte Lenz.

Lina griff zu. Das Wasser stand ihr in den Augen. Sie bekam einen mä chtigen Schluckauf vor Dankbarkeit.

»Und nun du«, sagte Lenz nachdenklich zu dem Kinderwagen. Linas Augen wurden trotz allen Magdalenenglü ckes schon wieder gierig. Der Schmied meinte, man kö nne nie wissen, wann man so was nö tig hä tte, und lachte darü ber derartig, daß er eine Weinflasche fallen ließ. Aber Lenz wollte nicht. »Augenblick, hab' da vorhin was gesehen«, sagte er und verschwand. Ein paar Minuten spä ter holte er den Wagen und schob ihn davon. »Erledigt«, meinte er, als er allein wiederkam. Wir stiegen in den Cadillac. »Wie Weihnachten! « sagte Lina glü cklich in all ihrem Kram und gab uns die rote Pratze zum Abschied.

Der Schmied nahm uns noch eine Sekunde beiseite. »Hö rt mal zu«, sagte er, »wenn ihr mal jemand zu verhauen habt — ich wohne Leibnizstraß e sechzehn, Hinterhof, zwei Treppen links. Eventuell, wenn's mehrere sind, komme ich auch mit meinem Verein. «

»Gemacht«, erwiderten wir und fuhren los. Als wir um die Ecke des Rummelplatzes bogen, zeigte Gottfried aus dem Fenster. Da stand unser Kinderwagen, ein richtiges Kind drin und eine blasse, immer noch verstö rte Frau daneben, die ihn untersuchte.

»Gut, was? « meinte Gottfried.

»Bringen Sie ihr noch die Teddybä ren! « rief Patrice Hollmann. »Die gehö ren dazu. «

»Einen vielleicht«, sagte Lenz, »einen mü ssen Sie behalten. «

»Nein, beide. «

»Gut. « Lenz sprang aus dem Wagen, warf die Plü schdinger der Frau in die Arme und raste, ehe sie etwas sagen konnte, davon, als wü rde er verfolgt. »So«, sagte er aufatmend, »jetzt ist mir vor meinem eigenen Edelmut ganz schlecht geworden. Setzt mich am International ab. Ich muß unbedingt einen Kognak haben. «

Er stieg aus, und ich brachte das Mä dchen nach Hause. Es war anders als das letztemal. Sie stand in der Tü r, und das Licht der Laterne ü berflackerte ihr Gesicht. Sie sah herrlich aus. Ich wä re gern mit ihr gegangen. »Gute Nacht«, sagte ich, »schlafen Sie gut. «

»Gute Nacht. «

Ich sah ihr nach, bis die Beleuchtung erlosch. Dann fuhr ich mit dem Cadillac los. Ich fü hlte mich merkwü rdig. Es war nicht wie sonst, wenn man mal abends auf ein Mä dchen verrü ckt war. Es war viel mehr Zä rtlichkeit dabei. Zä rtlichkeit und der Wunsch, sich einmal ganz loslassen zu kö nnen. Fallen zu lassen, irgendwohin...

Ich fuhr zu Lenz ins International. Es war fast leer. In einer Ecke saß Fritzi mit ihrem Freund, dem Kellner Alois. Sie stritten miteinander. Gottfried saß mit Mimi und Wally auf dem Sofa neben der Theke. Er war reizend mit beiden, auch mit Mimi, dem armen alten Geschö pf.

Die Mä dchen gingen bald. Sie muß ten ins Geschä ft; jetzt war die Hauptzeit. Mimi ä chzte und seufzte wegen ihrer Krampfadern. Ich setzte mich neben Gottfried. »Schieß nur los«, sagte ich.

»Wozu, Baby? « erwiderte er zu meinem Erstaunen. »Ist ganz richtig, was du machst. «

Ich war erleichtert, daß er es so einfach nahm. »Hä tte ja schon vorher einen Ton reden kö nnen«, sagte ich.

Er winkte ab. »Unsinn. «

Ich bestellte mir einen Rum. »Weiß t du«, sagte ich dann, »ich habe keine Ahnung, was sie ist und so. Auch nicht, wie sie zu dem Binding steht. Hat er dir damals eigentlich was gesagt? «

Er sah mich an. »Kü mmert dich das was? «

»Nein. «

»Wollt' ich auch meinen. Der Mantel steht dir ü brigens gut. « Ich errö tete.

»Brauchst nicht rot zu werden. Hast ganz recht. Wollte, ich kö nnte es auch. «

Ich schwieg eine Weile. »Wieso, Gottfried? « fragte ich schließ lich.

Er sah mich an. »Weil alles andere Dreck ist, Robby. Weil es heute nichts gibt, was lohnt. Denk daran, was Ferdinand dir gestern erzä hlt hat. Hat gar nicht unrecht, der alte dicke Leichenpinseler. Na, nun komm, setz dich an den Kasten da und spiel ein paar von den alten Soldatenliedern. «

Ich spielte »Drei Lilien« und den »Argonnerwald«. Es klang geisterhaft in dem leeren Lokal, wenn man daran dachte, wann wir es immer gesungen hatten.

 

 

VII

 

Zwei Tage spä ter kam Kö ster eilig aus der Bude. »Robby, dein Blumenthal hat telefoniert. Du sollst um elf mit dem Cadillac zu ihm kommen. Er will eine Probefahrt machen. «

Ich schmiß Schraubenzieher und Englä nder hin. »Mensch, Otto — wenn das was wü rde! «

»Was habe ich euch gesagt«, ließ Lenz sich aus der Grube unter dem Ford her vernehmen. »Er kommt wieder, habe ich gesagt. Immer auf Gottfried hö ren! «

»Halt den Schnabel, die Situation ist ernst«, schrie ich hinunter. »Otto, wieviel kann ich ä uß erst vom Preis nachlassen? «

»Ä uß erst zweitausend. Allerä uß erst zweitausendzweihundert. Wenn's gar nicht anders geht, zweifü nf. Wenn du siehst, daß du einen Wahnsinnigen vor dir hast, zweisechs. Aber sag ihm, daß wir ihn dann in alle Ewigkeit verfluchen werden. «

»Gut. «

Wir putzten den Wagen blitzblank. Ich stieg ein. Kö ster legte mir die Hand auf die Schulter. »Robby, bedenke, daß du als Soldat andere Sachen mitgemacht hast. Verteidige die Ehre unserer Werkstatt bis aufs Blut. Stirb stehend, die Hand an Blumenthals Brieftasche. «

»Gemacht«, grinste ich.

Lenz kramte eine Medaille aus der Tasche und hielt sie mir vors Gesicht. »Faß mein Amulett an, Robby! «

»Meinetwegen. « Ich faß te zu.

»Abrakadabra, groß er Schiwa«, betete Gottfried, »segne diese Memme mit Mut und Stä rke! Halt, hier, noch besser, nimm's mit! So, jetzt spuck noch dreimal aus. «

»In Ordnung«, sagte ich, spuckte ihm vor die Fü ß e und fuhr los, vorbei an Jupp, der aufgeregt mit dem Benzinschlauch salutierte.

Unterwegs kaufte ich ein paar Nelken und dekorierte sie kü nstlerisch in den Kristallvasen des Wagens. Ich spekulierte damit auf Frau Blumenthal.

Leider empfing mich Blumenthal in seinem Bü ro, nicht in der Wohnung. Ich muß te eine Viertelstunde warten. Liebling, dachte ich, den Trick kenne ich, damit machst du mich nicht mü rbe. Ich forschte im Vorzimmer eine hü bsche Stenotypistin, die ich mit der Nelke aus meinem Knopfloch bestach, ü ber das Geschä ft aus. Trikotagen. Umsatz gut, neun Personen im Bü ro, ein stiller Sozius, schä rfste Konkurrenz Meyer und Sohn, der Meyersohn fuhr roten Zweisitzer Essex — soweit war ich, als Blumenthal mich rufen ließ.

Er schoß sofort mit Kanonen. »Junger Mann«, sagte er, »ich hab' nicht viel Zeit. Neulich der Preis war ein Wunschtraum von Ihnen. Also Hand aufs Herz, was kostet der Wagen? «

»Siebentausend Mark«, erwiderte ich.

Er wandte sich kurz ab. »Dann ist nichts zu machen. «

»Herr Blumenthal«, sagte ich, »sehen Sie sich den Wagen noch einmal an... «

»Nicht nö tig«, unterbrach er mich, »ich habe ihn mir ja neulich genau angesehen... «

»Sehen und Sehen ist zweierlei«, erklä rte ich. »Sie sollen Details sehen. Die Lackierung erstklassig, von Voll und Ruhrbeck, Selbstkosten 250 Mark — die Bereifung neu, Katalogpreis 600 Mark, macht schon 850. Die Polsterung, feinster Cord... «

Er winkte ab. Ich begann von neuem. Ich forderte ihn auf, das luxuriö se Fahrzeug zu besichtigen, das herrliche Verdeckleder, den verchromten Kü hler, die modernen Stoß stangen, sechzig Mark das Paar — wie ein Kind zur Mutter strebte ich zu dem Cadillac zurü ck und versuchte Blumenthal zu ü berreden, herunterzukommen. Ich wuß te, daß mir, wie Antä us, neue Krä fte auf der Erde wachsen wü rden. Preise verlieren viel von ihrem abstrakten Schrecken, wenn man was dafü r zeigen kann.

Aber Blumenthal wuß te ebenso, daß seine Stä rke hinter seinem Schreibtisch lag. Er setzte seine Brille ab und ging mich jetzt erst richtig an. Wir kä mpften wie ein Tiger mit einer Pythonschlange. Blumenthal war der Python. Ehe ich mich umsehen konnte, hatte er mir schon fü nfzehnhundert Mark abgehandelt.

Mir wurde angst und bange. Ich griff in die Tasche und nahm Gottfrieds Amulett fest in die Hand. »Herr Blumenthal«, sagte ich ziemlich erschö pft, »es ist ein Uhr, Sie mü ssen sicher zum Essen! « Ich wollte um alles in der Welt 'raus aus dieser Bude, in der die Preise wie Schnee zerschmolzen.

»Ich esse erst um zwei«, erklä rte Blumenthal ungerü hrt, »aber wissen Sie was? Wir kö nnen jetzt die Probefahrt machen. «

Ich atmete auf.

»Nachher reden wir dann weiter«, fü gte er hinzu. Ich atmete wieder ein.

Wir fuhren zu seiner Wohnung. Zu meinem Erstaunen war er im Wagen plö tzlich wie ausgewechselt. Gemü tlich erzä hlte er mir den Witz vom Kaiser Franz Josef, den ich lä ngst kannte. Ich versetzte ihm dafü r den vom Straß enbahnschaffner; er mir den vom verirrten Sachsen; ich ihm sofort den vom schottischen Liebespaar — erst vor seiner Wohnung wurden wir wieder Seriö s. Er bat mich zu warten, er wolle seine Frau holen.

»Mein lieber dicker Cadillac«, sagte ich und klopfte dem Wagen auf den Kü hler, »hinter dieser Witzeerzä hlerei steckt sicher wieder eine neue Teufelei. Aber sei nur ruhig, wir kriegen dich schon unter Dach und Fach. Er kauft dich schon — wenn ein Jude wiederkommt, dann kauft er. Wenn ein Christ wiederkommt, kauft er noch lange nicht. Er macht ein halbes Dutzend Probefahrten, um eine Droschke zu sparen, und dann fä llt ihm plö tzlich ein, daß er statt dessen eine Kü cheneinrichtung braucht. Nein, nein, Juden sind gut, die wissen, was sie wollen. Aber ich schwö re dir, mein guter Dicker: Wenn ich diesem direkten Nachkommen des streitbaren Judas Makkabä us auch nur noch hundert Mark nachlasse, will ich mein ganzes Leben keinen Schnaps mehr trinken. «

Frau Blumenthal erschien. Ich erinnerte mich an alle Ratschlä ge von Lenz und verwandelte mich aus einem Kä mpfer in einen Kavalier. Blumenthal hatte dafü r nur ein niederträ chtiges Lä cheln. Der Mann war aus Eisen. Er hä tte Lokomotiven verkaufen sollen, aber keine Trikotagen.

Ich sorgte dafü r, daß er hinten in den Wagen kam und seine Frau neben mich. »Wohin darf ich Sie fahren, gnä dige Frau? « fragte ich schmelzend.

»Wohin Sie wollen«, meinte sie, mü tterlich lä chelnd.

Ich begann zu plaudern. Es war eine Wohltat, einen harmlosen Menschen vor sich zu haben. Ich sprach so leise, daß Blumenthal nicht viel verstehen konnte. So sprach ich freier. Es war ohnehin schon schlimm genug, daß er hinten saß.

Wir hielten. Ich stieg aus und sah meinen Feind fest an. »Sie mü ssen doch zugeben, daß der Wagen sich wie Butter fä hrt, Herr Blumenthal. «

»Was heiß t schon Butter, junger Mann«, entgegnete er sonderbar freundlich, »wenn die Steuern einen auffressen. Der Wagen kostet zuviel Steuern. Ihnen gesagt. «

»Herr Blumenthal«, sagte ich, bestrebt, den Ton festzuhalten, »Sie sind Geschä ftsmann, zu Ihnen kann ich, aufrichtig reden. Das sind keine Steuern, das sind Spesen. Sagen Sie selbst, was erfordert ein Geschä ft denn heute? Sie wissen es — nicht mehr Kapital wie frü her —, Kredit braucht es! Und wie kriegt man Kredit? Immer noch durchs Auftreten. Ein Cadillac ist solide und flott — behä big, aber nicht altmodisch — gesundes Bü rgertum —, er ist die lebendige Reklame fü rs Geschä ft. «

Blumenthal wandte sich belustigt an seine Frau. »Ein jü disches Kö pfchen hat er, wie? Junger Mann«, sagte er dann, immer noch familiä r, »die beste Reklame fü r Soliditä t ist heute ein schä biger Anzug und Autobusfahren. Wenn wir beide das Geld hä tten, das fü r die eleganten Autos, die da 'rumflitzen, noch nicht bezahlt ist, kö nnten wir uns bequem zur Ruhe setzen. Ihnen gesagt. Im Vertrauen. «

Ich sah ihn miß trauisch an. Was hatte er nur mit seiner Freundlichkeit vor? Oder dä mpfte die Gegenwart seiner Frau seinen Kampfgeist? Ich beschloß, eine Pistole abzufeuern. »So ein Cadillac ist doch was anderes als ein Essex, nicht wahr, gnä dige Frau? Der Junior von Meyer und Sohn fä hrt so ein Ding, aber ich mö chte ihn nicht geschenkt haben, diesen grellroten, auffä lligen Schlitten... «

Ich hö rte Blumenthal schnauben und fuhr rasch fort: »Die Farbe hier kleidet Sie ü brigens sehr gut, gnä dige Frau — gedä mpftes Kobaltblau zu Blond... «

Plö tzlich sah ich Blumenthal wie einen ganzen Wald voll Affen grinsen. »Meyer und Sohn — tü chtig, tü chtig... «, stö hnte er. »Und jetzt auch noch Schmonzes — Schmonzes! «

Ich blickte ihn an. Ich traute meinen Augen nicht; das war echt! Sofort schlug ich weiter in dieselbe Kerbe. »Herr Blumenthal, gestatten Sie, daß ich etwas richtigstelle. Bei einer Frau sind Schmonzes nie Schmonzes. Es sind Komplimente, die in unserer Jammerzeit leider immer seltener werden. Die Frau ist kein Stahlmö bel; sie ist eine Blume — sie verlangt keine Sachlichkeit; sie verlangt die heitere Schmonzessonne. Besser, ihr jeden Tag etwas Hü bsches zu sagen, als mit tierischem Ernst das ganze Leben fü r sie zu arbeiten. Ihnen gesagt. Ebenfalls im Vertrauen. Und dabei habe ich nicht einmal Schmonzes geredet, sondern ein physikalisches Grundgesetz herangezogen. Blau paß t gut zu Blond. «

»Gut gebrü llt, Lö we«, sagte Blumenthal strahlend. »Hö ren Sie, Herr Lohkamp! Ich weiß, daß ich Ihnen noch glatt tausend Mark abhandeln kann... «

Ich trat einen Schritt zurü ck. Tü ckischer Satan, dachte ich, das ist der erwartete Schlag. Ich sah mich bereits als Abstinent durchs Leben wandern und warf den Blick eines gemarterten Rehkitzes zu Frau Blumenthal hinü ber. »Aber Vater... «, sagte sie.

»Laß mal, Mutter«, erwiderte er. »Also ich kö nnte es — aber ich tue es nicht. Es hat mir Spaß als Geschä ftsmann gemacht, wie Sie gearbeitet haben. Noch etwas zu phantasievoll, aber immerhin — das mit Meyer und Sohn war schon gut. Haben Sie eine jü dische Mutter? «



  

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