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Drei Kameraden 10 страница»Sie haben einen guten Geschmack«, lobte Ferdinand, »das Bild ist ein Porträ t der Prinzessin Borghese. Es kostet achthundert Mark. Mit Rahmen. « Der Bä cker zuckte zusammen. »Und ohne Rahmen? « »Siebenhundertzwanzig. « Der Bä cker bot vierhundert Mark. Ferdinand schü ttelte den Lö wenschä del. »Fü r vierhundert Mark kö nnen Sie hö chstens ein Kopfbild im Profil haben. Aber nicht ein Kniestü ck en face. Das ist doppelte Arbeit. « Der Bä cker meinte, ein Kopfbild im Profil genü ge. Ferdinand machte ihn darauf aufmerksam, daß beide Fotos von vorn aufgenommen seien. Danach kö nne selbst Tizian kein Profilbild malen. Der Bä cker schwitzte; man sah ihm die Verzweiflung darü ber an, damals beim Fotografieren nicht umsichtig genug gewesen zu sein. Er muß te zugeben, daß Ferdinand recht hatte — en face muß te er ein halbes Gesicht mehr malen als im Profil. Der hö here Preis war gerechtfertigt. Er schwankte mä chtig. Ferdinand war bis dahin ziemlich zugeknö pft gewesen; jetzt begann er zu ü berreden. Sein mä chtiger Baß rollte gedä mpft durchs Atelier. Als Fachmann muß te ich sagen, daß er ein tadelloses Stü ck Arbeit leistete. Der Bä cker war auch bald reif — besonders, als Ferdinand ihm die Wirkung eines so pompö sen Bildes auf ü belwollende Nachbarn ausmalte. »Gut«, sagte er, »aber zehn Prozent Rabatt bei Barzahlung. « »Einverstanden«, erwiderte Ferdinand, »zehn Prozent Rabatt, und als Anzahlung fü r meine Auslagen, Farben und Leinwand, dreihundert Mark. « Sie redeten noch eine Zeitlang hin und her, dann wurden sie einig und besprachen die Ausfü hrung. Der Bä cker wollte eine Perlenkette und eine goldene Brosche mit Diamanten extra dazu gemalt haben. Sie waren auf den Fotos nicht zu sehen. »Selbstverstä ndlich«, erklä rte Ferdinand, »der Schmuck Ihrer Gattin wird mitgemalt. Am besten ist, Sie bringen ihn mir einmal fü r eine Stunde her, damit er mö glichst naturgetreu wird. « Der Bä cker wurde rot. »Ich habe ihn nicht mehr da. Er ist — ich habe ihn bei Verwandten. « »Ach so. Na, dann geht es auch so. Sah die Brosche ä hnlich aus wie die auf dem Bilde drü ben? « Der Bä cker nickte. »Nicht ganz so groß. « »Schö n. Dann werden wir sie so machen. Die Kette brauchen wir ohnehin nicht. Perlen sehen ja alle ä hnlich aus. « Der Bä cker atmete auf. »Und wann ist das Bild fertig? « »In sechs Wochen. « »Gut. « Der Bä cker verabschiedete sich. Ferdinand und ich saß en noch eine Weile allein im Atelier. »Sechs Wochen brauchst du dazu? « fragte ich. »Ach wo. Vier, fü nf Tage; das kann ich dem aber doch nicht sagen, sonst rechnet er aus, was ich pro Stunde verdiene, und fü hlt sich betrogen. Bei sechs Wochen ist er zufrieden. Ebenso wie bei der Prinzessin Borghese. Das ist die menschliche Natur, lieber Robby. Wü rde ich ihm sagen, es sei ein Nä hmä dchen, so wä re ihm sein Bild weniger wert. Es ist ü brigens das sechstemal, daß verstorbene Frauen den gleichen Schmuck gehabt haben wie drü ben auf dem Bild. So spielt der Zufall. Ein fabelhaft anregendes Reklamestü ck, das Porträ t der guten Luise Wolff. « Ich sah mich um. Von den Wä nden starrten aus unbeweglichen Gesichtern Augen herab, die lä ngst im Grabe moderten. Es waren Bilder, die von den Angehö rigen nicht abgenommen oder nicht bezahlt worden waren. Alles Menschen, die einmal gehofft und geatmet hatten. »Macht dich das hier nicht allmä hlich melancholisch, Ferdinand? « Er zuckte die Achseln. »Nein, hö chstens zynisch. Melancholisch wird man, wenn man ü ber das Leben nachdenkt — zynisch, wenn man sieht, wie die meisten damit fertig werden. « »Na, bei manchen geht's doch auch tiefer... « »Gewiß. Aber die lassen keine Bilder malen. « Er stand auf. »Ist auch ganz gut so, Robby, daß sie immer noch ihren wichtigen Kleinkram haben, der sie hä lt und schü tzt. Alleinsein — richtig Alleinsein, ohne jede Illusion —, das kommt kurz vor Wahnsinn und Selbstmord. « Der groß e kahle Raum schwamm im halben Dä mmerlicht. Nebenan hö rte man leise Schritte hin und her gehen. Es war die Haushä lterin. Sie ließ sich nie sehen, wenn einer von uns da war. Sie haß te uns, weil sie glaubte, wir hetzten Grau gegen sie auf. Ich ging. Unten kam der Schwall und Lä rm der Straß e mir wie ein warmes Bad entgegen.
XI
Ich war unterwegs zu Pat. Es war das erstemal, daß ich sie besuchte. Bisher war sie immer nur bei mir gewesen, oder ich hatte sie vor ihrem Haus abgeholt, und wir waren irgendwohin gegangen. Aber das war stets so gewesen, als ob sie nur zu Besuch da war. Ich wollte mehr von ihr wissen. Ich wollte wissen, wie sie lebte. Mir fiel ein, daß ich ihr Blumen mitbringen kö nnte. Das war leicht; die stä dtischen Anlagen hinter dem Rummelplatz standen in voller Blü te. Ich sprang ü ber das Gitter und begann einen weiß en Fliederbusch zu plü ndern. »Was machen Sie da? « erscholl plö tzlich eine markige Stimme. Ich sah auf. Ein Mann mit einem Burgundergesicht und aufgezwirbeltem weiß en Schnurrbart starrte mich entrü stet an. Kein Polizist und kein Parkwä chter. Hö heres pensioniertes Militä r, das erkannte man sofort. »Das ist doch nicht schwer festzustellen«, erwiderte ich hö flich. »Ich breche hier Fliederzweige ab. « Dem Mann verschlug es einen Moment die Sprache. »Wissen Sie nicht, daß das stä dtische Anlagen sind? « knurrte er dann empö rt. Ich lachte. »Natü rlich weiß ich das! Oder glauben Sie, ich hielte das hier fü r die Kanarischen Inseln? « Der Mann wurde blau. Ich fü rchtete, der Schlag wü rde ihn treffen. »Sofort 'raus da, Kerl! « schrie er mit erstklassiger Kasernenhofstimme. »Sie vergreifen sich an stä dtischem Gut! Ich lasse Sie abfü hren! « Ich hatte inzwischen genug Flieder. »Dann fang mich mal, Groß vater! « forderte ich den Alten auf, sprang nach der andern Seite ü bers Gitter und entschwand.
Vor dem Hause Pats musterte ich noch einmal meinen Anzug. Dann stieg ich die Treppe hinauf und sah mich um. Das Haus war neu und modern gebaut — ein starker Gegensatz zu meiner verwohnten, pompö sen Baracke. Die Treppen waren mit einem roten Lä ufer belegt; das gab es bei Mutter Zalewski auch nicht. Vom Fahrstuhl gar nicht zu reden. Pat wohnte im zweiten Stock. An der Tü r war ein selbstbewuß tes Messingschild angebracht: Egbert von Hake, Oberstleutnant. Ich starrte es lange an. Unwillkü rlich rü ckte ich dann meinen Schlips zurecht, bevor ich klingelte. Ein Mä dchen mit weiß em Hä ubchen und blü tenweiß er Tä ndelschü rze ö ffnete — nicht in einem Atem zu nennen mit unserm schielenden Trampel Frida. Mir wurde plö tzlich unbehaglich zumute. »Herr Lohkamp? « fragte sie. Ich nickte. Sie fü hrte mich ü ber einen kleinen Vorplatz und ö ffnete dann eine Zimmertü r. Ich wä re nicht besonders erstaunt gewesen, wenn dort zunä chst einmal Oberstleutnant Egbert von Hake in voller Uniform gestanden und mich einem Verhö r unterzogen hä tte — so seriö s wirkten die Bilder von einer Anzahl Generä len, die, ordenbedeckt, grimmig von den Wä nden des Vorzimmers mir Zivilisten nachsahen. Aber da kam Pat mir schon entgegen mit ihren schö nen, langen Schritten, und das Zimmer war plö tzlich nichts als eine Insel von Wä rme und Heiterkeit. Ich schloß die Tü r und nahm sie zuerst einmal vorsichtig in die Arme. Dann ü bergab ich ihr den gestohlenen Flieder. »Hier«, sagte ich. »Mit einem Gruß von der Stadtverwaltung! « Sie stellte die Zweige in eine groß e, helle Tonvase, die auf dem Boden vor dem Fenster stand. Ich sah mich unterdessen in ihrem Zimmer um. Weiche gedä mpfte Farben, wenige alte schö ne Mö bel, ein mattblauer Teppich, pastellfarbene Vorhä nge, bequeme kleine Sessel, mit verblichenem Samt gepolstert. — »Mein Gott, wie hast du nur so ein Zimmer gefunden, Pat? « fragte ich. »Die Leute stellen doch sonst nur ihre ausrangierten Brocken und die unbrauchbaren Geburtstagsgeschenke in Zimmer, die sie vermieten. « Sie schob die Vase mit den Blumen behutsam zur Seite an die Wand. Ich sah ihren schmalen, gebogenen Nacken, die geraden Schultern und die etwas zu dü nnen Arme. Sie sah aus wie ein Kind, wä hrend sie kniete, ein Kind, das man beschü tzen muß te. Aber sie hatte die Bewegungen eines geschmeidigen Tieres, und als sie sich dann aufrichtete und sich an mich lehnte, da war sie kein Kind mehr, da hatten ihre Augen und ihr Mund wieder etwas von der fragenden Erwartung und dem Geheimnis, das mich verwirrte und von dem ich geglaubt hatte, daß es das nicht mehr gä be in dieser dreckigen Welt. Ich legte die Hand um ihre Schulter. Es war schö n, sie so zu fü hlen. »Es sind alles meine eigenen Sachen, Robby. Die Wohnung hat frü her meiner Mutter gehö rt. Als sie starb, habe ich sie abgegeben und zwei Zimmer fü r mich behalten. « »Dann gehö rt sie also dir? « fragte ich erleichtert. »Und der Oberstleutnant Egbert von Hake wohnt nur bei dir zur Miete? « Sie schü ttelte den Kopf. »Nicht mehr. Ich konnte sie nicht behalten. Ich habe die ü brigen Mö bel verkauft und die Wohnung ganz abgegeben. Ich wohne jetzt hier zur Miete. Aber was hast du mit dem alten Egbert? « »Nichts. Ich habe nur eine natü rliche Scheu vor Polizisten und Stabsoffizieren. Das stammt noch aus meiner Militä rzeit. « Sie lachte. »Mein Vater war auch Major. « »Major ist gerade die Grenze«, erwiderte ich. »Kennst du denn den alten Hake? « fragte sie. Ich wurde plö tzlich von einer bö sen Ahnung erfaß t. »Ist es so ein Kleiner, Strammer, mit einem roten Gesicht, einem weiß en Schnauzbart und einer mä chtigen Stimme? Einer, der viel in den stä dtischen Anlagen spazierengeht? « »Aha! « Sie blickte auf den Flieder und sah mich dann lachend an. »Nein, es ist ein Groß er, Blasser mit einer Hornbrille! « »Dann kenne ich ihn nicht. « »Willst du ihn kennenlernen? Er ist sehr nett. « »Da sei Gott vor! Ich gehö re einstweilen mehr auf die Monteur- und die Zalewskiseite. « Es klopfte. Das Mä dchen von vorhin schob einen niedrigen, fahrbaren Tisch herein. Dü nnes, weiß es Porzellan, eine Silberplatte mit Kuchen, eine andere mit belegten, unwahrscheinlich kleinen Brö tchen, Servietten, Zigaretten und was weiß ich sonst noch — wie geblendet starrte ich darauf nieder. »Erbarme dich, Pat! « sagte ich dann. »Das ist ja wie im Film! Ich habe schon auf der Treppe gemerkt, daß wir auf verschiedenen sozialen Stufen stehen. Bedenke, daß ich gewö hnt bin, aus fettigem Papier auf der Zalewskischen Fensterbank zu essen, den braven Spirituskocher treu neben mir. Erbarme dich ü ber den Bewohner liebloser Pensionen, wenn er in seiner Verwirrung vielleicht eine Tasse umschmeiß t! « Sie lachte. »Das darfst du nicht. Deine Ehre als Motorenfachmann erlaubt das nicht. Du muß t geschickt sein. « Sie ergriff den Henkel einer Kanne. »Willst du Tee oder Kaffee? « »Tee oder Kaffee? Gibt es denn beides? « »Ja. Sieh hier! « »Herrlich! Wie in den besten Lokalen! Jetzt fehlt nur noch Musik. « Sie beugte sich zur Seite und knipste ein kleines Kofferradio an, das ich gar nicht gesehen hatte. »Also, was willst du nun, Tee oder Kaffee? « »Kaffee, einfach Kaffee, Pat. Ich bin vom Lande. Und du? « »Ich trinke mit dir Kaffee. « »Aber sonst trinkst du Tee? « »Ja. « »Da haben wir es. « »Ich fange schon an, mich an Kaffee zu gewö hnen. Willst du Kuchen dazu? Oder Brö tchen? « »Beides, Pat. Man muß solche Gelegenheiten ausnutzen. Ich werde nachher auch noch Tee trinken. Ich muß alles versuchen, was es hier bei dir gibt. « Sie lachte und packte meinen Teller voll. Ich wehrte ab. »Genug, genug! Bedenke, daß wir in der Nä he eines Oberstleutnants sind! Das Militä r liebt Mä ß igkeit bei den niederen Chargen. « »Nur im Trinken, Robby. Der alte Egbert iß t selbst leidenschaftlich gern Kuchen mit Schlagsahne. « »Im Komfort auch«, erwiderte ich. »Den haben sie uns seinerzeit grü ndlich abgewö hnt. « Ich schob den Tisch auf seinen Gummirä dern hin und her. Er reizte dazu. Lautlos rollte er ü ber den Teppich. Ich sah mich um. Alles paß te zueinander. »Ja, Pat«, sagte ich, »so haben unsere Vorfahren nun gelebt! « Sie lachte. »Was erzä hlst du da fü r Geschichten! « »Das sind keine Geschichten. Das sind Zeitereignisse. « »Es ist doch nur ein Zufall, daß ich die paar Sachen habe, Robby. « Ich schü ttelte den Kopf. »Es ist kein Zufall. Und es sind auch nicht die Sachen. Es ist das, was dahintersteht. Die Sicherheit. Das verstehst du nicht. Das versteht nur jemand, der nicht mehr dazugehö rt. « Sie sah mich an. »Du kö nntest es doch ebenso haben, wenn du wirklich wolltest. « Ich nahm ihre Hand. »Ich will aber nicht, Pat, das ist es. Ich wü rde mir dann vorkommen wie ein Hochstapler. Unsereins lebt am besten immer auf Abbruch. Das ist man nun mal so gewö hnt. Es liegt in der Zeit. « »Es ist auch sehr bequem. « Ich lachte. »Vielleicht. Und nun gib mir etwas Tee. Ich mö chte ihn mal probieren. « »Nein«, sagte sie, »wir bleiben beim Kaffee. Aber iß noch etwas. Auch auf Abbruch. « »Eine gute Idee. Aber rechnet Egbert, der leidenschaftliche Kuchenesser, nicht damit, daß noch etwas zurü ckkommt? « »Vielleicht. Aber er soll auch mit der Rache der niederen Chargen rechnen. Das liegt ebenfalls in der Zeit. Iß ihm ruhig alles weg. « Ihre Augen strahlten, und sie sah herrlich aus. »Du«, sagte ich, »weiß t du, wo der Abbruch aber ohne Gnade aufhö rt? « Sie antwortete nicht; aber sie sah mich an. »Bei dir! « sagte ich. »Und jetzt ohne Reue an die Gewehre gegen Egbert! « Ich hatte mittags nur eine Tasse Bouillon in der Chauffeurkneipe getrunken. Es war deshalb nicht besonders schwer, alles aufzuessen, was da war. Dazu trank ich, ermuntert von Pat, auch die ganze Kanne Kaffee leer.
Wir saß en am Fenster und rauchten. Der Abend stand rot ü ber den Dä chern. »Es ist schö n bei dir, Pat«, sagte ich. »Ich kö nnte verstehen, daß man wochenlang keinen Schritt hinaustä te — bis man den ganzen Kram da drauß en vergessen hä tte. « Sie lä chelte. »Es gab eine Zeit, da konnte ich gar nicht erwarten, hier herauszukommen. « »Wann denn? « »Als ich krank war. « »Das ist was anderes. Was hast du denn gehabt? « »Nichts sehr Schlimmes. Ich muß te nur liegen. Ich war wohl zu schnell gewachsen und hatte zuwenig zu essen bekommen. Im Krieg und nach dem Krieg gab's ja nicht viel. « Ich nickte. »Wie lange hast du denn gelegen? « Sie zö gerte einen Augenblick. »Ungefä hr ein Jahr. « »Das ist aber sehr lange. « Ich sah sie aufmerksam an. »Es ist jetzt lä ngst vorbei. Aber damals erschien es mir wie ein ganzes Leben. Du hast mir in der Bar einmal von deinem Freunde Valentin erzä hlt. Daß er nie vergessen konnte nach dem Kriege, welch ein Glü ck es sei, zu leben. Und daß ihm alles andere gleichgü ltig wurde darü ber. « »Das hast du gut behalten«, sagte ich. »Weil ich es gut verstehe. Ich kann mich seit damals auch so leicht freuen. Ich glaube, ich bin sehr oberflä chlich. « »Oberflä chlich sind nur Leute, die glauben, daß sie es nicht sind. « »Ich bin es aber bestimmt. Ich habe nicht viel Verstä ndnis fü r die groß en Dinge des Lebens. Nur fü r die schö nen. Dieser Flieder hier macht mich schon glü cklich. « »Das ist keine Oberflä chlichkeit — das ist letzte Philosophie. « »Bei mir nicht. Ich bin oberflä chlich und leichtsinnig. « »Ich auch. « »Nicht so wie ich. Du hast vorhin etwas von Hochstapelei gesagt. Ich bin ein richtiger Hochstapler. « »Das habe ich mir gedacht«, sagte ich. »Ja. Ich mü ß te schon lä ngst eine andere Wohnung und einen Beruf haben und Geld verdienen. Aber ich habe es immer wieder hinausgeschoben. Ich wollte einmal eine Zeitlang so leben, wie ich es mir dachte. Ganz gleich, ob es vernü nftig war. Und das habe ich getan. « Ich lachte. »Warum machst du denn so ein trotziges Gesicht dabei? « »Weil jeder mir gesagt hat, es wä re grenzenlos leichtsinnig — ich solle mein biß chen Geld lieber sparen und mir Arbeit und Stellung suchen. Aber ich wollte einmal leicht und froh und nicht bedrü ckt sein und tun, was ich wollte. Es war nach dem Tode meiner Mutter und nachdem ich so lange gelegen hatte. « »Hast du Geschwister? « fragte ich. Sie schü ttelte den Kopf. »Kö nnte ich mir auch nicht denken«, sagte ich. »Findest du auch, daß ich leichtsinnig war? « »Nein, mutig. « »Ach, Mut — ich bin nicht sehr mutig. Ich habe manchmal Angst genug dabei gehabt. So wie jemand, der im Theater auf dem falschen Platz sitzt und sich doch nicht wegrü hrt. « »Also warst du mutig«, sagte ich. »Mut hat man nur, wenn man auch Angst hat. Auß erdem war es vernü nftig. Du hä ttest dein Geld sonst nur verloren. So hast du wenigstens was davon gehabt. Was hast du denn gemacht? « »Eigentlich nichts. Nur so fü r mich gelebt. « »Alle Achtung! Das ist das Exklusivste, was es gibt. « Sie lä chelte. »Es ist jetzt bald vorbei damit. Ich werde nä chstens anfangen zu arbeiten. « »Was denn? War das etwa damals deine geschä ftliche Besprechung mit Binding? « Sie nickte. »Mit Binding und Doktor Max Matuscheit, Direktor der Elektro-Grammophonlä den. Verkä uferin mit Musikkenntnissen. « »Na«, sagte ich, »was anderes konnte dem Binding wohl nicht einfallen. «. »Doch«, erwiderte sie, »aber das wollte ich nicht. « »Das mö chte ich ihm auch nicht raten. Wann soll das denn losgehen? « »Am ersten August. « »Na, bis dahin ist ja noch viel Zeit. Vielleicht finden wir da noch etwas anderes. Auf jeden Fall: unsere Kundschaft ist dir sicher. « »Hast du denn ein Grammophon? « »Nein, aber ich werde mir selbstverstä ndlich sofort eins anschaffen. Vorlä ufig gefä llt mir die Geschichte allerdings noch nicht. « »Mir schon«, sagte sie. »Ich kann ja nichts Rechtes. Und so was ist alles viel einfacher fü r mich, seit du da bist. Aber ich hä tte dir gar nichts davon erzä hlen sollen. « »Doch. Du muß t mir immer alles erzä hlen. « Sie sah mich einen Augenblick an. »Gut, Robby«, sagte sie. Dann stand sie auf und ging zu einem Schrä nkchen. »Weiß t du, was ich hier habe? Rum fü r dich. Guten Rum, glaube ich. « Sie stellte ein Glas auf den Tisch und sah mich erwartungsvoll an. »Der Rum ist gut, das rieche ich schon von weitem«, sagte ich. »Aber eigentlich, Pat — solltest du nicht lieber ein biß chen sparen, jetzt? Um die Grammophonplatten noch etwas hinauszuschieben? « »Nein«, erwiderte sie. — »Auch richtig«, sagte ich. Der Rum war, das sah ich schon an der Farbe, Verschnitt. Der Hä ndler hatte Pat bestimmt betrogen. Ich trank das Glas aus. »Hö chste Klasse«, sagte ich, »gib mir noch einen. Wo hast du ihn her? « »Aus dem Geschä ft an der Ecke. « Aha, dachte ich, natü rlich so ein verdammter Delikatessenladen. Ich nahm mir vor, gelegentlich mal 'reinzusehen und dem Mann Bescheid zu sagen. »Jetzt muß ich wohl gehen, Pat, was? « fragte ich. Sie sah mich an. »Noch nicht... « Wir standen am Fenster. Unten flammten die Lichter auf. »Zeig mir einmal dein Schlafzimmer«, sagte ich. Sie machte die Tü r auf und knipste das Licht an. Ich blieb an der Tü r stehen und sah hinein. Mir ging allerlei durch den Kopf. »Das ist also dein Bett, Pat... «, sagte ich schließ lich. Sie lä chelte. »Wem soll es denn sonst gehö ren, Robby? « »Wahrhaftig! « Ich blickte auf. »Und, da ist ja auch das Telefon. Nun weiß ich das auch. Jetzt werde ich gehen. Leb wohl, Pat. « Sie legte ihre Hä nde um meine Schlä fen. Es wä re wunderbar gewesen, jetzt dazubleiben, im hereinbrechenden Abend, dicht beieinander, unter der weichen, blauen Decke im Schlafzimmer — aber es war etwas da, was mich abhielt. Es war keine Hemmung, auch keine Angst und keine Vorsicht — es war einfach nur eine sehr groß e Zä rtlichkeit, eine Zä rtlichkeit, die das Begehren ü berschwemmte. »Leb wohl, Pat«, sagte ich. »Es war schö n bei dir. Viel schö ner fü r mich, als du dir vielleicht denken kannst. Und das mit dem Rum — daß du daran gedacht hast... « »Aber das war doch so einfach... « »Fü r mich nicht. Bin es nicht so gewö hnt. «
Die Zalewskische Bude. Ich saß eine Weile herum. Es gefiel mir nicht, daß Pat Binding etwas verdanken sollte. Schließ lich ging ich ü ber den Korridor zu Erna Bö nig. »Ich komme seriö s«, sagte ich. »Wie steht's mit dem weiblichen Arbeitsmarkt, Erna? « »Nanu«, erwiderte sie, »was fü r eine Frage so kalt vor die nü chterne Brust! Im ü brigen: oberfaul. « »Nichts zu machen? « fragte ich. »Worin denn? « »Sekretä rin, Assistentin... « Sie winkte ab. »Hunderttausend ohne Stellung. Kann die Dame irgendwas Besonderes? « »Sie sieht groß artig aus«, sagte ich. »Wieviel Silben? « fragte Erna. »Was? « »Wieviel Silben schreibt sie in der Minute? In wieviel Sprachen? « »Keine Ahnung«, sagte ich, »aber wissen Sie, so zur Reprä sentation... « »Mein lieber Junge«, erwiderte Erna, »ich hö re schon — Dame aus guter Familie, frü her bessere Tage gesehen, ist gezwungen, und so weiter. Hoffnungslos, sage ich Ihnen. Hö chstens, daß jemand sich besonders dafü r interessiert und sie deshalb irgendwo hineinschiebt. Sie wissen ja, warum. Aber das wollen Sie doch nicht? « »Komische Frage«, sagte ich. »Weniger komisch, als Sie ahnen«, erwiderte Erna etwas bitter. »Ich kenne andere Fä lle. « Mir fiel die Sache mit ihrem Chef ein. »Aber ich will Ihnen einen Rat geben«, fuhr sie fort. »Sehen Sie zu, daß Sie fü r zwei verdienen. Das ist die einfachste Lö sung. Heiraten. « »Das wä re so was«, sagte ich und lachte. »So viel Zutrauen mö chte ich mal zu mir haben. « Erna sah mich sonderbar an. Sie erschien bei aller Lebendigkeit plö tzlich ä lter und fast etwas welk. »Ich will Ihnen mal was erzä hlen«, sagte sie. »Ich lebe gut und habe allerhand, das ich gar nicht brauche. Aber glauben Sie mir — wenn einer kä me und mir vorschlü ge, zusammen zu leben, so richtig, ehrlich, ich ließ e den ganzen Kram hier und zö ge mit ihm in eine Dachkammer, wenn's sein mü ß te. « Ihr Gesicht bekam den frü heren Ausdruck wieder. »Na, Schwamm drü ber — jeder Mensch hat seine Ecke Sentimentalitä t. « Sie blinzelte mir durch den Rauch ihrer Zigarette zu. »Sogar Sie anscheinend? « »Ach wo... «, sagte ich. »Na, na... «, meinte Erna. »Wenn man's gar nicht erwartet, erwischt's einen am leichtesten... « »Mich nicht«, erwiderte ich. Bis acht Uhr hielt ich es in meiner Bude noch aus — dann hatte ich genug davon, allein herumzusitzen, und ging in die Bar, um irgend jemand zu treffen. Valentin war da. »Setz dich«, sagte er. »Was willst du trinken? « »Rum«, erwiderte ich. »Habe zu Rum seit heute ein besonderes Verhä ltnis. « »Rum ist die Milch des Soldaten«, sagte Valentin. »Siehst ü brigens gut aus, Robby. « »So? « »Ja, jü nger. « »Auch was«, sagte ich. »Prost, Valentin. « »Prost, Robby. « Wir stellten die Glä ser auf den Tisch und sahen uns an. Dann muß ten wir gleichzeitig lachen. »Alter Junge«, sagte Valentin. »Verfluchter Salzknabe«, erwiderte ich. »Was trinken wir jetzt? « »Dasselbe noch mal. « »Schö n. « Fred schenkte ein. »Also prost, Valentin. « »Prost, Robby. « »Herrliches Wort — prost, was? « »Das Wort der Wö rter. « Wir sagten es noch einigemal. Dann brach Valentin auf.
Ich blieb sitzen. Es war auß er Fred niemand mehr da. Ich betrachtete die alten beleuchteten Landkarten, die Schiffe mit ihren vergilbten Segeln und dachte an Pat. Ich hä tte sie gern angerufen, aber ich zwang mich, es nicht zu tun. Ich wollte auch nicht soviel an sie denken. Ich wollte sie nehmen als ein unerwartetes, beglü ckendes Geschenk, das gekommen war und wieder gehen wü rde — nicht mehr. Ich wollte nie dem Gedanken Raum geben, daß es mehr sein kö nnte. Ich wuß te zu sehr, daß alle Liebe den Wunsch nach Ewigkeit hatte und daß darin ihre ewige Qual lag. Es gab nichts, was blieb. Nichts. »Gib mir noch ein Glas, Fred«, sagte ich. Ein Mann und eine Frau kamen herein. Sie tranken einen Cobbler an der Bar. Die Frau sah mü de aus, der Mann gierig. Sie gingen bald wieder. Ich trank das Glas aus. Vielleicht wä re es besser gewesen, wenn ich nachmittags nicht zu Pat gegangen wä re. Ich wurde das Bild nicht mehr los — das im Dä mmerlicht verschwindende Zimmer, die weichen blauen Schatten des Abends und das zusammengekauerte schö ne Mä dchen, das mit seiner dunklen, rauhen Stimme von seinem Leben und seinem Wunsch nach dem Leben sprach. Verdammt, ich wurde sentimental! Aber zerrann nicht das, was bisher ein atemloses, ü berraschendes Abenteuer gewesen war, schon in den Nebel der Zä rtlichkeit, hatte es mich nicht schon tiefer ergriffen, als ich wuß te und wollte, hatte ich es nicht heute gespü rt, gerade heute, wie sehr ich mich schon verä ndert hatte? Warum war ich fortgegangen, warum war ich nicht bei ihr geblieben, wie ich es eigentlich gewollt hatte? Ach, verflucht, ich wollte nicht mehr daran denken, nicht an das eine und an das andere. Sollte kommen, was wollte, sollte ich meinetwegen verrü ckt werden vor Unglü ck, wenn ich sie verlor, sie war da, jetzt war sie da, und alles andere war egal und sollte zum Teufel gehen! Was lag schon daran, das biß chen Leben zu sichern! Eines Tages kam doch die groß e Flutwelle und riß alles weg. »Wollen wir einen zusammen trinken, Fred? « fragte ich. »Immer«, sagte er. Wir tranken zwei Absinthe. Dann knobelten wir zwei weitere aus. Ich gewann. Es war mir nicht recht. Wir knobelten deshalb weiter. Aber ich verlor erst beim fü nften. Da allerdings drei hintereinander. »Bin ich besoffen oder donnert es drauß en? « fragte ich. Fred lauschte. »Es donnert tatsä chlich. Das erste Gewitter in diesem Jahr. « Wir gingen unter die Tü r und sahen zum Himmel auf. Es war nichts zu sehen. Es war nur warm, und ab und zu donnerte es. »Darauf kö nnten wir eigentlich noch einen nehmen«, schlug ich vor. Fred war auch dafü r. »Ein verdammtes Lakritzenwasser«, sagte ich und stellte das leere Glas wieder auf die Theke. Fred meinte auch, wir kö nnten nun mal was Herzhaftes trinken. Er meinte, am besten Kirsch — ich sagte Rum. Um uns nicht zu streiten, tranken wir abwechselnd beides. Damit Fred nicht soviel Arbeit mit dem Eingieß en hatte, nahmen wir ziemlich groß e Glä ser. Wir waren jetzt in glä nzender Stimmung. Ab und zu sahen wir drauß en nach, ob es auch blitzte. Wir hä tten es ganz gern blitzen sehen, aber wir hatten kein Glü ck. Es blitzte immer gerade dann, wenn wir drin waren. Fred sagte, daß er eine Braut hä tte, die Tochter eines Automatenrestaurantbesitzers. Aber er wollte mit dem Heiraten noch warten, bis der Alte tot wä re, damit er ganz genau wü ß te, daß sie das Restaurant mitbekä me. Ich fand ihn etwas vorsichtig, aber er bewies mir, daß der Alte ein unberechenbares Aas sei, das es fertigbrä chte, im letzten Augenblick das Restaurant der Methodistengemeinde zu vermachen. Da gab ich nach. Fred war ü brigens ziemlich optimistisch. Der Alte hatte sich erkä ltet, und Fred meinte, vielleicht sei es Grippe, und die wä re doch sehr gefä hrlich. Ich muß te ihm leider sagen, daß Grippe fü r Alkoholiker nichts bedeute, im Gegenteil, daß klapprige Sä ufer manchmal darunter geradezu aufblü hten und Speck ansetzten. Fred meinte, es wä re auch egal, vielleicht kä me er dann unter irgendein Auto. Ich gab zu, daß besonders auf nassem Asphalt die Mö glichkeit bestü nde. Fred ging darauf hin und sah nach, ob es schon regnete. Aber es war noch trocken. Es donnerte nur stä rker. Ich gab ihm ein Glas Zitronensaft zu trinken und ging zum Telefon. Im letzten Augenblick besann ich mich, daß ich ja nicht telefonieren wollte. Ich winkte dem Apparat zu und wollte meinen Hut vor ihm ziehen. Aber dann merkte ich, daß ich ihn gar nicht aufhatte.
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