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Drei Kameraden 4 страница



Aber der Wirt klä rte mich auf. Heute war im Hinterzimmer die Abschiedsfeier fü r Rosas Freundin Lilly. Ich schlug mich vor den Kopf. Natü rlich, dazu war ich ja eingeladen! Als einziger Mann sogar, wie Rosa bedeutungsvoll gesagt hatte — denn der schwule Kiki, der auch da war, zä hlte nicht. Ich ging rasch noch einmal los und besorgte einen Strauß Blumen, eine Ananas, eine Kinderklapper und eine Tafel Schokolade.

Rosa empfing mich mit dem Lä cheln einer groß en Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzä hne leuchteten. Ich erkundigte mich, wie es ihrer Kleinen ginge, und ü berreichte fü r sie die Zelluloidklapper und die Schokolade. Rosa strahlte.

Ich wandte mich mit der Ananas und den Blumen an Lilly. »Meine herzlichsten Glü ckwü nsche! «

»Er ist und bleibt ein Kavalier! « sagte Rosa. »Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide. «

Lilly war die beste Freundin Rosas. Sie hatte eine glä nzende Karriere hinter sich. Sie war das gewesen, was die unerreichbare Sehnsucht jeder kleinen Hure ist: eine Hotelfrau. Eine Hotelfrau geht nicht auf den Straß enstrich — sie wohnt im Hotel und macht da ihre Bekanntschaften. Fast alle Huren kommen nicht dazu — sie haben nicht genug Garderobe und auch nie genug Geld, um einmal eine Zeitlang auf Freier warten zu kö nnen. Lilly hatte zwar nur in Provinzhotels gelebt; aber sie hatte doch im Laufe der Jahre fast viertausend Mark gespart. Jetzt wollte sie heiraten. Ihr kü nftiger Mann betrieb ein kleines Installationsgeschä ft. Er wuß te alles von ihr, und es war ihm gleichgü ltig. Fü r die Zukunft konnte er unbesorgt sein; wenn eines dieser Mä dchen heiratete, war es zuverlä ssig. Sie kannten den Rummel und hatten genug davon. Sie waren treu.

Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Alle waren dazu erschienen, um noch einmal mit Lilly zusammen zu sein. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.

Rosa schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Alois trabte mit einem riesigen Napfkuchen herbei, der gespickt war mit Rosinen, Mandeln und grü ner Sukkade. Sie legte mir ein mä chtiges Stü ck davon auf. Ich wuß te, was ich zu tun hatte. Kennerisch probierte ich einen Bissen und markierte gewaltiges Erstaunen. »Donnerwetter, der ist aber bestimmt nicht im Laden gekauft... «

»Selbstgebacken«, sagte Rosa glü cklich. Sie war eine fabelhafte Kö chin und hatte gern, wenn man es anerkannte. Besonders in Gulasch und Napfkuchen war sie unerreicht. Sie war nicht umsonst eine Bö hmin.

Ich blickte mich um. Da saß en sie rings um den Tisch, die Arbeiterinnen im Weinberge Gottes, die untrü glichen Menschenkennerinnen, die Soldaten der Liebe — Wally, die Schö ne, der man neulich bei einer nä chtlichen Autofahrt den Weiß fuchs gestohlen hatte; — Lina mit dem Holzbein, die immer noch Liebhaber fand; — Fritzi, das Luder, die den plattfü ß igen Alois liebte, obschon sie lä ngst eine eigene Wohnung hä tte haben kö nnen und einen Freund, der sie aushielt; — Margot mit den roten Backen, die immer in Dienstmä dchentracht ging und damit elegante Freier fing; — Marion, die jü ngste, strahlend und unbedenklich; — Kiki, der als Mann nicht mitzä hlte, weil er Frauenkleider trug und geschminkt war; — Mimi, das arme Biest, dem das Laufen mit seinen fü nfundvierzig Jahren und den Krampfadern immer schwerer fiel; — ein paar Barfrauen und Tischdamen, die ich nicht kannte; — und endlich, als zweiter Ehrengast, klein, grau und verschrumpelt wie ein Winterapfel, Muttchen, die Vertraute aller, Trost und Stü tze nä chtlicher Wanderer, Muttchen mit dem Wurstkessel von der Ecke Nikolaistraß e, fliegendes Bü fett und Wechselbü ro nachts, die neben ihren Frankfurter Wü rstchen auch noch heimlich Zigaretten und Gummiartikel verkaufte und angepumpt werden konnte.

Ich wuß te, was sich schickte. Kein Wort von Geschä ft, keine unzarte Andeutung heute — vergessen die wunderbare Leistung Rosas, die ihr den Beinamen das »Eiserne Pferd« eingetragen hatte; — vergessen Fritzis Unterhaltungen mit dem Viehhä ndler Stefan Grigoleit ü ber die Liebe; — vergessen Kikis Tä nze um den Salzbrezelkorb im Morgengrauen. Die Unterhaltung hier konnte jedem Damenkrä nzchen Ehre machen.

»Alles schon vorbereitet, Lilly? « fragte ich.

Sie nickte. »Die Aussteuer hatte ich ja schon lange. «

»Wunderbare Aussteuer«, sagte Rosa. »Fehlt aber auch nicht ein Spitzendeckchen. «

»Wozu braucht man denn Spitzendeckchen? « fragte ich.

»Na hö r mal, Robby! « Rosa sah mich so vorwurfsvoll an, daß ich rasch erklä rte, ich wü ß te es schon. Spitzendecken — gehä kelte Mö belschoner, natü rlich, sie waren das Symbol kleinbü rgerlicher Behaglichkeit, das geheiligte Symbol der Ehe, des verlorenen Paradies. Sie waren ja alle keine Huren aus Temperament; sie waren Gescheiterte der bü rgerlichen Existenz. Ihre geheime Sehnsucht war das Ehebett; nicht das Laster. Aber das hä tten sie nie eingestanden.

Ich setzte mich ans Klavier. Rosa hatte schon darauf gewartet. Sie liebte Musik wie alle diese Mä dchen. Ich spielte zum Abschied noch einmal alle ihre und Lillys Lieblingsschlager. Zu Anfang das »Gebet einer Jungfrau«. Der Titel war zwar nicht ganz angebracht fü r das Lokal, aber es war auch nur ein Bravourstü ck mit viel Geklimper. Dann folgte »Der Vö glein Abendlied«, das »Alpenglü hen«, »Wenn die Liebe stirbt«, »Die Millionen des Harlekin« und zum Schluß »Nach der Heimat mö cht' ich wieder«. Das liebte Rosa besonders. Huren sind ja das Hä rteste und Sentimentalste zugleich. Alle sangen es mit. Der schwule Kiki die zweite Stimme.

Lilly brach auf. Sie muß te ihren Brä utigam abholen. Rosa kü ß te sie herzhaft ab. »Mach's gut, Lilly. Laß dich nicht unterkriegen! «

Beladen mit Geschenken ging sie davon. Weiß der Henker, sie hatte ein ganz anderes Gesicht als frü her. Die harten Linien, die sich bei jedem eingraben, der mit der menschlichen Gemeinheit zu tun hat, waren weggewischt; das Gesicht war weicher geworden, es hatte wahrhaftig wieder etwas von einem jungen Mä dchen.

Wir standen vor der Tü r und winkten Lilly nach. Mimi fing plö tzlich an zu heulen. Sie war selbst mal verheiratet gewesen. Ihr Mann war im Kriege an Lungenentzü ndung gestorben. Wä re er gefallen, hä tte sie eine kleine Rente gehabt und nicht auf die Straß e mü ssen. Rosa klopfte ihr auf den Rü cken. »Na, Mimi, nur nicht weich werden! Komm, wir trinken noch einen Schluck Kaffee. «

Die ganze Gesellschaft kehrte in das dunkle International zurü ck, wie eine Schar Hü hner in den Stall. Aber es kam keine rechte Stimmung mehr auf. »Spiel uns noch einen zum Schluß, Robby! « sagte Rosa. »Zum Aufmuntern. «

»Schö n«, erwiderte ich. »Wollen wir mal den ›Alten Kameradenmarsch‹ 'runterhauen. «

Dann verabschiedete ich mich auch. Rosa steckte mir noch ein Paket Kuchen zu. Ich schenkte es Muttchens Sohn, der drauß en bereits den abendlichen Wurstkessel aufbaute.

Ich ü berlegte, was ich machen sollte. In die Bar wollte ich auf keinen Fall; in ein Kino auch nicht; in die Werkstatt? Unschlü ssig sah ich nach der Uhr. Es war acht. Jetzt muß te Kö ster wieder zurü ck sein. Wenn er da war, konnte Lenz nicht wieder stundenlang ü ber das Mä dchen reden. Ich ging hin.

In der Bude war Licht. Nicht nur in der Bude — auch der ganze Hof war ü berflutet. Kö ster war allein da. »Was ist denn hier los, Otto? « fragte ich. »Hast du vielleicht den Cadillac verkauft? «

Kö ster lachte. »Nein. Gottfried hat nur ein biß chen illuminiert. «

Beide Scheinwerfer des Cadillac brannten. Der Wagen war so geschoben, daß die Lichtgarben durch das Fenster in den Hof fielen, mitten auf den weiß blü henden Pflaumenbaum. Es sah wunderbar aus, wie er so kreidig dastand. Die Dunkelheit zu beiden Seiten schien wie ein schwarzes Meer zu rauschen.

»Groß artig«, sagte ich. »Wo ist er denn? «

»Er holt was zu essen. «

»Glä nzende Idee. Fü hle mich so ein biß chen windig. Kann aber sein, daß es bloß Hunger ist. «

Kö ster nickte »Essen ist immer gut. Hauptgesetz aller alten Krieger. Ich habe heute nachmittag auch was Windiges gemacht. Habe Karl zum Rennen gemeldet. «

»Was? « sagte ich. »Etwa zum Sechsten? «

Er nickte.

»Verdammt noch mal, Otto, da starten doch allerlei Kanonen. «

Er nickte wieder. »In der Sportwagenklasse Braumü ller. «

Ich krempelte mir die Ä rmel auf. »Dann 'ran, Otto! Groß e Ö lwä sche fü r unsern Liebling. «

»Halt«, rief der letzte Romantiker, der gerade hereinkam, »erst futtern! « Er packte das Abendbrot aus — Kä se, Brot, steinharte Rä ucherwurst und Sprotten. Dazu tranken wir gut gekü hltes Bier. Wir aß en wie eine Kolonne ausgehungerter Drescher. Dann gingen wir Karl zu Leibe. Zwei Stunden arbeiteten wir an ihm herum und kontrollierten und schmierten alle Lager. Hinterher aß en Lenz und ich zum zweitenmal Abendbrot. Gottfried beleuchtete jetzt auch den Ford. Durch Zufall war bei dem Zusammenstoß einer der Scheinwerfer heil geblieben. Der starrte nun von dem hochgebogenen Chassis schrä g hinauf in den Himmel.

Lenz drehte sich zufrieden um. »So, Robby, nun hol mal die Flaschen. Wir wollen das ›Fest des blü henden Baumes‹ feiern. «

Ich stellte den Kognak, den Gin und zwei Glä ser auf den Tisch.

»Und du? « fragte Gottfried.

»Ich trinke nichts. «

»Was? Warum nicht? «

»Weil ich keine Lust zu dieser verdammten Sauferei mehr habe. «

Lenz betrachtete mich eine Weile. »Unser Kind ist ü bergeschnappt, Otto«, sagte er dann zu Kö ster.

»Laß ihn doch, wenn er nicht will. «

Lenz schenkte sich sein Glas voll. »Der Junge ist schon seit einiger Zeit etwas verrü ckt. «

»Ist noch nicht das Schlechteste«, erklä rte ich.

Der Mond kam groß und rot hinter dem Dach der Fabrik gegenü ber hervor. Wir saß en eine Weile und schwiegen.

»Sag mal, Gottfried«, begann ich dann, »du bist doch ein Fachmann in der Liebe, nicht? «

»Fachmann? Ich bin der Altmeister der Liebe«, erwiderte Lenz bescheiden.

»Schö n. Ich mö chte nä mlich mal wissen, ob man sich eigentlich dabei immer blö dsinnig benimmt. «

»Wieso blö dsinnig? «

»Na so, als ob man halb trunken ist. Herumredet und Unsinn quatscht und schwindelt. «

Lenz brach in ein Gelä chter aus. »Aber Baby! Das Ganze ist doch Schwindel. Ein wunderbarer Schwindel von Mama Natur. Schau dir den Pflaumenbaum an! Er schwindelt auch gerade. Macht sich schö ner, als er nachher ist. Es wä re ja scheuß lich, wenn Liebe was mit Wahrheit zu tun hä tte. Gott sei Dank, alles kö nnen die verdammten Ethiker doch nicht unterjochen. «

Ich richtete mich auf. »Du meinst, ohne etwas Schwindel geht's ü berhaupt nicht? «

»Ü berhaupt nicht, Kindchen. «

»Kann man sich aber doch verflucht lä cherlich durch machen. «

Lenz grinste. »Merke dir eins, Knabe: Nie, nie, nie kann man sich lä cherlich bei einer Frau machen, wenn man etwas ihretwegen tut. Selbst beim albernsten Theater nicht. Mach, was du willst — steh kopf, rede den dü mmsten Quatsch, prahle wie ein Pfau, singe vor ihrem Fenster, nur eins tu nicht; sei nicht sachlich! Nicht vernü nftig! «

Ich wurde lebendig. »Was meinst du dazu, Otto? «

Kö ster lachte. »Wird wohl stimmen. «

Er stand auf und klappte Karls Motorhaube auf. Ich holte meine Rumflasche und ein Glas und stellte sie auf den Tisch. Otto ließ den Wagen an. Der Motor schlurfte ganz tief und verhalten. Lenz hatte die Fü ß e auf der Fensterbank und starrte hinaus. Ich setzte mich neben ihn. »Warst du schon mal betrunken, wenn du mit einer Frau zusammen warst? «

»Oft«, erwiderte er, ohne sich zu rü hren.

»Und? «

Er sah mich aus schrä gen Augen an. »Du meinst, wenn man dann was verboxt hat? Nie entschuldigen, Baby. Nie reden. Blumen schicken. Ohne Brief. Nur Blumen. Die decken alles zu. Sogar Grä ber. «

Ich sah ihn an. Er rü hrte sich nicht. Seine Augen glitzerten im Widerschein des weiß en Lichtes drauß en. Der Motor lief immer noch, leise grollend, als bebe unter uns die Erde.

»Kö nnte nun eigentlich ruhig etwas trinken«, sagte ich und machte die Flasche auf.

Kö ster stellte den Motor ab. Dann wandte er sich an Lenz.

»Der Mond ist jetzt hell genug, um ein Glas zu finden, Gottfried. Mach die Illumination aus. Besonders den Ford. Das Biest erinnert mich mit dem schrä gen Scheinwerfer an den Krieg. War kein Spaß nachts, wenn die Dinger nach dem Flugzeug langten. «

Lenz nickte. »Und mich erinnert das da — na, ist ja egal... « Er stand auf und machte die Scheinwerfer aus.

Der Mond war ü ber das Fabrikdach emporgestiegen. Er war immer heller geworden und hing nun wie ein gelber Lampion in den Ä sten des Pflaumenbaumes. Die Zweige schwankten leise hin und her im schwachen Wind. »Merkwü rdig«, sagte Lenz nach einer Weile, »warum setzt man allen mö glichen Leuten Denkmä ler — warum nicht mal dem Mond oder einem blü henden Baum? «

Ich ging frü h nach Hause. Als ich die Korridortü r aufschloß, hö rte ich Musik. Es war das Grammophon Erna Bö nigs, der Sekretä rin. Eine leise, klare Frauenstimme sang. Dann kam ein Geglitzer von gedä mpften Geigen und Banjopizzikatis. Und wieder die Stimme, eindringlich, weich, als wä re sie ganz erfü llt von Glü ck. Ich horchte, um die Worte zu verstehen. Es klang sonderbar rü hrend, hier auf dem dunklen Korridor, zwischen der Nä hmaschine von Frau Bender und den Koffern der Familie Hasse, wie die Frau da so leise sang. Ich sah den ausgestopften Wildschweinschä del ü ber der Kü che an. Ich hö rte das Dienstmä dchen mit Geschirr rumoren. »Wie hab' ich nur leben kö nnen ohne dich«, sang die Stimme, ein paar Schritte weiter hinter der Tü r.

Ich zuckte die Achseln und ging in mein Zimmer.

Nebenan hö rte ich erregtes Gezä nk. Ein paar Minuten spä ter klopfte es bei mir und Hasse kam herein.

»Stö re ich Sie? « fragte er mü de.

»Gar nicht«, sagte ich. »Wollen Sie was trinken? «

»Lieber nicht. Nur etwas sitzen. «

Er sah stumpf vor sich hin. »Sie haben's gut«, sagte er, »Sie sind allein... «

»Ach Unsinn«, erwiderte ich. »Immer so allein 'rumsitzen, das ist auch nichts — kö nnen Sie mir schon glauben... «

Er saß zusammengesunken in seinem Sessel. Seine Augen waren glä sern im Halbdunkel, das der Widerschein der Laternen von drauß en hereinwarf. Die schmalen, abfallenden Schultern... »Hab' mir das Leben ganz anders vorgestellt«, sagte er nach einer Weile.

»Haben wir alle«, sagte ich.

Nach einer halben Stunde ging er wieder hinü ber, um sich mit seiner Frau zu vertragen. Ich gab ihm ein paar Zeitungen und eine halbe Flasche Curaç ao mit, die noch von irgendwann auf meinem Schrank herumstand — ein unangenehmes, sü ß es Zeug, aber fü r ihn ganz gut. Er verstand doch nichts davon.

Leise, fast lautlos ging er hinaus, ein Schatten im Schatten, als wä re er schon erloschen. Ich machte die Tü r hinter ihm zu. Vom Korridor her wehte dabei wie ein buntes Seidentuch ein Fetzen Musik noch mit herein — Geigen, gedä mpfte Banjos — »wie hab' ich nur leben kö nnen ohne dich... «

Ich setzte mich ans Fenster. Drauß en lag der Friedhof im blauen Mondlicht. Die bunten Wü rfel der Lichtreklamen kletterten ü ber die Wipfel der Bä ume, und die Grabsteine schimmerten aus der Dunkelheit hervor. Sie waren still und ohne Schrecken. Autos hupten dicht an ihnen entlang, und das Licht der Scheinwerfer huschte ü ber ihre verwitterten Inschriften.

Ich saß ziemlich lange und dachte an allerlei Dinge. Auch daran, wie wir damals zurü ckgekommen waren aus dem Kriege, jung, ohne Glauben, wie Bergleute aus einem eingestü rzten Schacht. Wir hatten marschieren wollen gegen die Lü ge, die Ichsucht, die Gier, die Trä gheit des Herzens, die all das verschuldet hatten, was hinter uns lag — wir waren hart gewesen, ohne anderes Vertrauen als das zu dem Kameraden neben uns und das eine andere, das nie getrogen hatte: zu den Dingen — zu Himmel, Tabak, Baum und Brot und Erde —; aber was war daraus geworden? Alles war zusammengebrochen, verfä lscht und vergessen. Und wer nicht vergessen konnte, dem blieben nur die Ohnmacht, die Verzweiflung, die Gleichgü ltigkeit und der Schnaps. Die Zeit der groß en Menschen- und Mä nnerträ ume war vorbei. Die Betriebsamen triumphierten. Die Korruption. Das Elend.

 

»Sie haben's gut, Sie sind allein«, sagte Hasse. Alles ganz schö n — wer allein war, konnte nicht verlassen werden. Aber manchmal, abends, dann zerbrach das kü nstliche Gebä ude, das Leben verwandelte sich in eine schluchzende, jagende Melodie, einen Strudel von wilder Sehnsucht, von Begehren, Schwermut und Hoffnung, herauszukommen aus diesem sinnlosen Betä uben, heraus aus dem sinnlosen Geleier dieser ewigen Drehorgel, ganz gleich, wohin es ging. Ach, dieses armselige Bedü rfnis nach einem biß chen Wä rme — konnten es denn nicht zwei Hä nde sein und ein geneigtes Gesicht? Oder war das auch nur Tä uschung und Verzicht und Flucht? Gab es denn etwas anderes als Alleinsein?

Ich schloß das Fenster. Nein, es gab nichts anderes. Fü r alles andere hatte man viel zuwenig Boden unter den Fü ß en.

 

Aber am nä chsten Morgen brach ich frü hzeitig auf und klopfte den Besitzer eines kleinen Blumenladens aus seiner Wohnung, bevor ich zur Werkstatt ging. Ich suchte einen Busch Rosen bei ihm aus und sagte ihm, er mö ge sie gleich fortschicken. Es war ein wenig sonderbar fü r mich, als ich die Adresse langsam auf die Karte schrieb: Patrice Hollmann.

 

 

V

 

Kö ster war in seinem ä ltesten Anzug zum Finanzamt gefahren. Er wollte versuchen, unsere Steuern herunterzukriegen. Lenz und ich waren allein in der Werkstatt.

»Los, Gottfried«, sagte ich, »'ran an den dicken Cadillac. «

Am Abend vorher war unser Inserat erschienen. Wir konnten also heute mit Kunden rechnen — wenn ü berhaupt jemand kam. Es galt, den Wagen vorzubereiten.

Zunä chst gingen wir mit Polierwasser ü ber den Lack. Er bekam dadurch Hochglanz und sah aus, als hä tte er hundert Mark mehr gekostet. Dann fü llten wir das dickste Ö l, das es gab, in den Motor. Die Kolben waren nicht mehr ganz erstklassig und lä rmten etwas. Durch das dicke Ö l wurde das ausgeglichen, und die Maschine lief wunderbar ruhig. Auch in das Getriebe und das Differential gaben wir dickes Fett, um sie vö llig ruhig zu machen.

Dann fuhren wir hinaus. In der Nä he war ein Stü ck sehr schlechter Straß e. Wir gingen mit fü nfzig Kilometertempo darü ber. Die Karosserie klapperte. Wir ließ en eine Viertel Atmosphä re Luft aus den Reifen und versuchten es noch einmal. Es war schon besser. Wir ließ en noch ein Viertel heraus. Jetzt rü hrte sich nichts mehr.

Wir fuhren zurü ck, ö lten die quietschende Motorhaube, klemmten etwas Gummi dazwischen, fü llten heiß es Wasser in den Kü hler, damit der Motor gleich gut ansprang, und spritzten den Wagen unten noch einmal mit einem Petroleumzerstä uber ab, damit er auch da glä nzte. Dann hob Gottfried Lenz die Hä nde zum Himmel. »Nun komm, gesegneter Kunde! Komm, lieblicher Brieftaschenbesitzer!

Wir harren deiner wie der Brä utigam der Braut! «

 

Die Braut ließ auf sich warten. Wir schoben deshalb das Dampfroß des Bä ckermeisters ü ber die Grube und begannen, ihm die Vorderachse auszubauen. Ein paar Stunden arbeiteten wir ruhig, ohne viel zu reden. Dann hö rte ich Jupp von der Benzinpumpe her das Lied: »Horch, was kommt von drauß en 'rein... « pfeifen.

Ich kletterte aus der Grube und schaute durchs Fenster. Ein kleiner, untersetzter Mann strich um den Cadillac herum. Er sah bü rgerlich und solide aus. »Schau mal, Gottfried«, flü sterte ich, »sollte das da eine Braut sein? «

»Klar«, sagte Lenz nach dem ersten Blick. »Sieh dir das Gesicht an. Der ist schon miß trauisch, bevor jemand da ist. Los, 'ran! Ich bleibe hier als Reserve. Komme nach, wenn du es nicht schaffst. Denk an meine Tricks! «

»Gut. « Ich ging 'raus.

Der Mann sah mir aus klugen schwarzen Augen entgegen.

Ich stellte mich vor. »Lohkamp. «

»Blumenthal. «

Das war Gottfrieds erster Trick: sich vorzustellen. Er behauptete, es gä be gleich eine intimere Atmosphä re. Sein zweiter Trick war, sehr reserviert zu beginnen und den Kunden auszuhorchen, um dann da einzuhaken, wo es richtig war.

»Sie kommen wegen des Cadillacs, Herr Blumenthal? « fragte ich. Blumenthal nickte.

»Da drü ben ist er«, sagte ich und zeigte hinü ber.

»Das sehe ich«, erwiderte Blumenthal.

Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Achtung! dachte ich, ein Heimtü cker!

Wir gingen ü ber den Hof. Ich ö ffnete eine Tü r des Wagens und ließ den Motor an. Dann schwieg ich, um Blumenthal Zeit zur Besichtigung zu lassen. Er wü rde sicher etwas zu kritisieren haben; da wollte ich dann ansetzen.

Aber Blumenthal besichtigte nicht. Er kritisierte auch nicht. Er schwieg ebenfalls und stand wie ein Ö lgö tze da. Es blieb mir nichts ü brig, ich muß te aufs Geratewohl vom Leder ziehen.

Ich begann langsam und systematisch, den Cadillac zu beschreiben, wie eine Mutter ihr Kind, und versuchte dabei herauszukriegen, ob der Mann irgend etwas verstand. War er Fachmann, dann muß te ich mehr auf Motor und Chassis gehen — verstand er nichts, auf Komfort und Kinkerlitzchen.

Doch er verriet auch jetzt nichts. Er ließ mich reden, bis ich mir vorkam wie ein Luftballon.

»Wozu wollen Sie den Wagen haben? Fü r die Stadt oder fü r die Reise? « fragte ich schließ lich, um vielleicht da einen Punkt zu finden.

»Fü r alles mö gliche«, erklä rte Blumenthal.

»Aha! Und wollen Sie ihn selbst fahren oder mit Chauffeur? «

»Je nachdem. «

Je nachdem. Antworten gab der Mann wie ein Papagei. Er schien einem Orden schweigender Brü der anzugehö ren.

Um ihn aufzumuntern, versuchte ich, ihn irgend etwas probieren zu lassen. Gewö hnlich wurden Kunden zugä nglicher dadurch. Ich fü rchtete, daß er mir sonst einschlief.

»Das Verdeck geht fü r ein so groß es Kabriolett besonders leicht«, sagte ich. »Versuchen Sie selbst einmal, es zu schließ en. Sie kö nnen es mit einer Hand. «

Aber Blumenthal meinte, es wä re nicht nö tig. Er sä he es schon. Ich warf die Tü ren krachend ins Schloß und rü ttelte an den Griffen.

»Nichts ausgeleiert. Fest wie das Steuer. Probieren Sie. «

Blumenthal probierte nicht. Er fand es selbstverstä ndlich. Eine verflucht harte Nuß.

Ich fü hrte ihm die Fenster vor. »Spielend leicht zu kurbeln. Stehen auf jeder Hö he fest. «

Er rü hrte sich nicht.

»Dazu unzerbrechliches Glas«, fuhr ich, schon leicht verzweifelt, fort.

»Ein unschä tzbarer Vorteil! In der Werkstatt drü ben steht ein Ford... « Ich erzä hlte die Sache von der Frau des Bä ckermeisters und schmü ckte sie noch etwas aus, indem ich ein Kind mit verunglü cken ließ.

Aber Blumenthal hatte ein Innenleben wie ein Kassenschrank.

»Unzerbrechliches Glas haben alle Wagen«, unterbrach er mich, »das ist doch nichts Besonderes. «

»Unzerbrechliches Glas gehö rt bei keinem Wagen zur Serienausrü stung«, erwiderte ich mit sanfter Schä rfe. »Hö chstens bei einigen Typen die Vorderscheibe. Auf keinen Fall aber die groß en Seitenfenster. «

Ich ließ die Hupen ertö nen und ging zur Beschreibung des inneren Komforts ü ber — der Koffer, der Sitze, der Taschen, des Schaltbretts —, ich ging bis in jede Kleinigkeit, ich reichte Blumenthal sogar den Zigarettenanzü nder hin und benutzte die Gelegenheit, ihm eine Zigarette anzubieten, um ihn vielleicht damit etwas umzustimmen — aber er lehnte ab.

»Ich rauche nicht, danke«, sagte er und sah mich so gelangweilt an, daß mir plö tzlich ein fü rchterlicher Verdacht kam: vielleicht wollte er gar nicht zu uns, vielleicht hatte er sich nur geirrt und wollte etwas ganz anderes kaufen, eine Maschine, um Knopflö cher zu nä hen, oder einen Radioapparat, und er stand hier nur ein biß chen unschlü ssig herum, ehe er weiterging.

»Machen wir eine Probefahrt, Herr Blumenthal«, schlug ich schließ lich, schon stark abgekä mpft, vor.

»Probefahrt? « erwiderte er, als hä tte ich Bahnhof gesagt.

»Ja, Probefahrt. Sie mü ssen doch sehen, was der Wagen leistet. Er liegt wie ein Brett auf der Straß e. Wie auf Schienen. Und die Maschine zieht an, als wä re das schwere Kabriolett eine Flaumfeder... «

»Ach, Probefahrten... «, er machte eine wegwerfende Handbewegung, »Probefahrten zeigen nichts. Was am Wagen fehlt, merkt man immer erst hinterher. «

Natü rlich, du guß eiserner Satan, dachte ich ä rgerlich, oder meinst du, ich stoß e dich mit der Nase drauf? »Na schö n, dann nicht«, sagte ich und ließ alle Hoffnung fahren. Der Mann wollte nicht, das war klar.

Aber da wandte er sich plö tzlich um, sah mir voll in die Augen und sagte leise und scharf und sehr rasch: »Was kostet der Wagen? «

»Siebentausend Mark«, erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, wie aus der Pistole geschossen. Dieser Mann durfte nicht merken, daß ich auch nur einen Moment ü berlegte, das wuß te ich. Jede Sekunde Zö gern hä tte tausend Mark gekostet, die er abgehandelt hä tte. »Siebentausend Mark netto«, wiederholte ich fest und dachte: Wenn du jetzt fü nf bietest, hast du ihn weg.

Aber Blumenthal bot gar nichts. Er stieß nur ein kurzes Schnaufen aus. »Viel zu teuer! «

»Natü rlich! « sagte ich und gab den Fall endgü ltig auf.

»Wieso natü rlich? « fragte Blumenthal auf einmal ziemlich menschlich.

»Herr Blumenthal«, erwiderte ich, »haben Sie heutzutage schon mal jemanden getroffen, der auf einen Preis was anderes antwortet? «

Er sah mich aufmerksam an. Dann zog so etwas wie der Schimmer eines Lä chelns ü ber sein Gesicht. »Stimmt. Aber der Wagen ist wirklich zu teuer. «

Ich traute meinen Ohren nicht. Da war er ja endlich, der richtige Ton! Der Ton des Interessenten! Oder war das wieder ein neuer verfluchter Dreh?

In diesem Augenblick kam ein eleganter Stutzer durch das Hoftor. Er zog eine Zeitung aus der Tasche, verglich die Hausnummer noch einmal und schritt auf mich zu. »Ist hier der Cadillac zu verkaufen? «

Ich nickte und sah sprachlos auf den gelben Bambusspazierstock und die Wildlederhandschuhe des Stutzers.

»Kö nnte ich ihn mal sehen«, fragte der weiter, ohne eine Miene zu verziehen.

»Das ist er hier«, sagte ich, »aber vielleicht gedulden Sie sich einen Moment, ich habe noch zu tun. Wollen Sie solange drinnen Platz nehmen? «

Der Stutzer horchte einen Augenblick auf das Summen des Motors, machte erst ein kritisches, dann ein anerkennendes Gesicht und ließ sich von mir in die Werkstatt fü hren.

»Idiot«, knurrte ich ihn an und ging dann rasch zu Blumenthal zurü ck.

»Wenn Sie den Wagen einmal gefahren haben, werden Sie anders ü ber den Preis denken«, sagte ich. »Sie kö nnen ihn gern so lange probieren, wie Sie wollen. Vielleicht kann ich Sie auch abends zu einer Probefahrt abholen, wenn Ihnen das besser paß t. «

Aber die flü chtige Regung war bereits verflogen. Blumenthal stand schon wieder da wie ein Gesangvereinsprä sident aus Granit. »Lassen Sie nur«, sagte er, »ich muß jetzt gehen. Wenn ich eine Probefahrt machen will, kann ich Ihnen ja noch telefonieren. «

Ich sah, daß vorlä ufig nichts weiter zu machen war. Dieser Mann war nicht zu bereden. »Gut«, erklä rte ich, »aber wollen Sie mir nicht Ihre Telefonnummer geben, damit ich Ihnen Bescheid sagen kann, wenn noch ein Interessent da ist? «

Blumenthal sah mich merkwü rdig an. »Interessenten sind noch keine Kä ufer. «

Er zog eine Zigarrentasche heraus und hielt sie mir hin. Auf einmal rauchte er. Sogar Corona-Coronas — er muß te Geld wie Heu haben. Aber es war mir schon egal. Ich nahm die Zigarre.

Er gab mir freundlich die Hand und ging. Ich sah ihm nach und verfluchte ihn leise, aber grü ndlich. Dann ging ich zurü ck in die Werkstatt.

»Na«, begrü ß te mich der Stutzer Gottfried Lenz, »wie hab' ich das gemacht? Sah, wie du da herumwü rgtest, und wollte mal etwas nachhelfen. Ein Glü ck, daß Otto sich hier fü rs Finanzamt umgezogen hat! Sah seinen guten Anzug da hä ngen — sauste im Galopp 'rein, durchs Fenster 'raus und wieder hierher als seriö ser Kä ufer! Gut gemacht, was? «



  

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