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Drei Kameraden 3 страницаLenz verschwand miß mutig in der Bude, um dem Inserat bei aller Wahrung seines poetischen Schwunges doch etwas mehr technischen Halt zu geben. Ein paar Minuten spä ter erschien Oberinspektor Barsig plö tzlich in der Hoftü r. Wir empfingen ihn mit groß en Ehren. Er war Ingenieur und Sachverstä ndiger der Phö nix-Autoversicherung, ein wichtiger Mann, um Reparaturen zugewiesen zu bekommen. Wir standen glä nzend mit ihm. Als Ingenieur war er zwar ein scharfer Satan, der nichts durchgehen ließ, aber als Schmetterlingsfachmann war er weich wie Butter. Er hatte eine groß e Sammlung, und wir hatten ihm einmal einen dicken Schwä rmer geschenkt, der nachts in unsere Werkstatt geflogen war. Barsig war blaß und feierlich geworden, als wir ihm das Tier ü berreichten. Es war ein Totenkopf, eine unerhö rte Seltenheit, die ihm in seiner Sammlung noch gefehlt hatte. Er vergaß uns das nie und besorgte uns seitdem Reparaturen, wo es ging. Wir fingen ihm dafü r jede Motte, die wir erwischen konnten. »Einen Wermut, Herr Barsig? « fragte Lenz, der schon wieder obenauf war. »Keinen Alkohol vor abends«, erwiderte Barsig. »Eisernes Prinzip bei mir. « »Prinzipien muß man durchbrechen, sonst machen sie keine Freude«, erklä rte Gottfried und schenkte ein. »Auf die Zukunft der Ligusterschwä rmer, der Pfauenaugen und Perlmutterfalter! « Barsig zö gerte einen Moment. »Wenn Sie mir so kommen, kann ich nicht nein sagen«, sagte er und griff zu. »Aber dann wollen wir auch auf die kleinen Ochsenaugen anstoß en. « Er lä chelte verlegen, als gä be er etwas Zweideutiges von einer Frau zum besten. »Ich habe da nä mlich eine neue Spielart entdeckt. Mit borstigen Fü hlern. « »Donnerwetter«, sagte Lenz, »alle Achtung! Dann sind Sie ja ein Pionier, und Ihr Name kommt in die Naturgeschichte. « Wir tranken alle noch ein Glas auf die borstigen Fü hler. Barsig wischte sich den Schnurrbart. »Ich bringe Ihnen eine gute Nachricht. Sie kö nnen den Ford abholen. Die Direktion hat bewilligt, daß Sie die Reparatur machen. « »Groß artig«, sagte Kö ster. »Wir kö nnen sie gut brauchen. Und wie steht es mit unserm Kostenanschlag? « »Auch bewilligt. « »Ohne Abzug? « Barsig kniff ein Auge zu. »Die Herren wollten erst nicht recht. Aber schließ lich... « »Ein volles Glas auf die Phö nixversicherung! « sagte Lenz und schenkte erneut ein. Barsig stand auf und verabschiedete sich. »Denken Sie an«, sagte er im Gehen, »die Frau, die mit in dem Ford war, ist vor ein paar Tagen doch noch gestorben. Hatte nur Schnittwunden. Wahrscheinlich zuviel Blut verloren. « »Wie alt war sie denn? « fragte Kö ster. »Vierunddreiß ig«, erwiderte Barsig. »Schwanger im vierten Monat. Mit zwanzigtausend Mark versichert. « Wir fuhren gleich los, um den Wagen zu holen. Er stand bei einem Bä ckermeister. Der Mann war nachts halb betrunken damit gegen eine Mauer gerast. Nur seine Frau war verletzt worden; er selbst hatte nicht einen Kratzer abbekommen. Wir trafen ihn in der Garage, als wir den Wagen zum Abschleppen fertigmachten. Er sah uns eine Zeitlang schweigend zu und stand etwas zusammengesackt da, mit rundem Rü cken und kurzem Hals, den Kopf ein wenig vorgebeugt. Mit der ungesunden grauweiß en Gesichtsfarbe, die alle Bä cker haben, sah er im Halbdunkel aus wie ein groß er trauriger Mehlwurm. Langsam kann er heran. »Wann ist der Wagen fertig? « fragte er. »In ungefä hr drei Wochen«, erklä rte Kö ster. Er zeigte auf das Verdeck. »Das ist mit drin, nicht wahr? « »Wieso? « fragte Otto. »Es ist doch ganz unbeschä digt. « Der Bä ckermeister machte eine ungeduldige Bewegung. »Natü rlich. Aber ein neues Verdeck kann doch dabei abfallen. Ist ja ein ziemlich groß er Auftrag fü r Sie. Wir verstehen uns, was? « »Nein«, sagte Kö ster. Er verstand ihn sehr gut. Der Mann wollte kostenlos ein neues Verdeck, fü r das die Versicherung nicht haftbar war, in die Reparatur hineinschmuggeln. Wir stritten uns eine Weile herum. Der Mann drohte, alles rü ckgä ngig zu machen und einen Kostenanschlag von einer gefä lligeren Werkstatt einholen zu lassen. Schließ lich gab Kö ster nach. Er hä tte es nicht getan, wenn wir nicht Arbeit gebraucht hä tten. »Na also, warum denn nicht gleich«, meinte der Bä ckermeister mit schiefem Lä cheln. »Ich komme in den nä chsten Tagen, den Stoff aussuchen. Beige, denke ich. Zarte Farben. « Wir fuhren los. Drauß en zeigte Lenz auf die Sitze des Fords. Sie hatten groß e schwarze Flecken. »Das Blut seiner toten Frau. Und ein neues Verdeck herausgeschunden. Beige. Zarte Farben. Alle Achtung. Dem trau' ich auch zu, daß er die Versicherungssumme fü r zwei Tote 'rausholt. Die Frau war ja schwanger. « Kö ster zuckte die Achseln. »Er sagt sich wahrscheinlich, daß das eine mit dem andern nichts zu tun hat. « »Mö glich«, sagte Lenz. »Es soll ja Leute geben, fü r die so was direkt ein Trost im Unglü ck ist. Uns kostet es glatt fü nfzig Mark von unserm Verdienst. « Nachmittags ging ich unter einem Vorwand nach Hause. Ich war um fü nf Uhr mit Patrice Hollmann verabredet, aber ich sagte in der Werkstatt nichts davon. Nicht, daß ich es verbergen wollte; aber es kam mir auf einmal ziemlich unwahrscheinlich vor. Sie hatte mir ein Café als Treffpunkt angegeben. Ich kannte es nicht; ich wuß te nur, daß es ein kleines, elegantes Lokal war. Ahnungslos ging ich hin. Aber ich prallte erschrocken zurü ck, als ich eintrat. Der Raum war ü berfü llt mit schwä tzenden Frauen. Ich war in eine typische Damenkonditorei geraten. Mit Mü he gelang es mir, einen Tisch, der gerade frei wurde, zu ergattern. Unbehaglich blickte ich umher. Auß er mir waren nur noch zwei Mä nner da, und die gefielen mir nicht. »Kaffee, Tee, Schokolade? « fragte der Kellner und wedelte mit seiner Serviette eine Anzahl Kuchenkrü mel von der Tischplatte auf meinen Anzug. »Einen groß en Kognak«, erwiderte ich. Er brachte ihn. Aber er brachte gleichzeitig ein Kaffeekrä nzchen mit, das Platz suchte, an der Spitze eine Athletin reiferen Alters mit einem Pleureusenhut. »Vier Plä tze, bitte! « sagte er und zeigte auf meinen Tisch. »Halt«, antwortete ich, »der Tisch ist nicht frei. Ich erwarte jemand. « »Das geht nicht, mein Herr! « sagte der Kellner. »Um diese Zeit kö nnen keine Plä tze reserviert werden. « Ich sah ihn an. Dann sah ich die Athletin an, die jetzt dicht am Tisch stand und eine Sessellehne umklammerte. Ich sah ihr Gesicht und verzichtete auf jeden Widerstand. Selbst mit Kanonen hä tte man diese Person nicht wankend gemacht in ihrem Entschluß, den Tisch zu erobern. »Kö nnen Sie mir wenigstens noch einen Kognak bringen? « knurrte ich den Kellner an. »Sehr wohl, mein Herr. Wieder einen groß en? « »Ja. « »Bitte sehr. « Er verbeugte sich. »Es ist doch ein Tisch fü r sechs Personen, mein Herr«, sagte er entschuldigend. »Schon recht. Bringen Sie nur den Kognak. « Die Athletin schien auch einem Abstinentenklub anzugehö ren. Sie starrte auf meinen Schnaps, als wä re er ein verfaulter Fisch. Um sie zu ä rgern, bestellte ich noch einen und starrte zurü ck. Das ganze Unternehmen erschien mir plö tzlich lä cherlich. Was wollte ich hier? Und was wollte ich von dem Mä dchen? Ich wuß te nicht einmal, ob ich sie in all dem Durcheinander und Geschwä tz ü berhaupt wiedererkennen wü rde. Ä rgerlich schü ttete ich meinen Kognak hinunter. — »Salute! « sagte jemand hinter mir. Ich fuhr auf. Da stand sie und lachte. »Sie fangen ja recht zeitig an! « Ich stellte das Glas, das ich immer noch in der Hand hielt, auf den Tisch. Ich war plö tzlich verwirrt. Das Mä dchen sah ganz anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Zwischen den vielen Kuchen essenden, wohlgenä hrten Weibern wirkte es wie eine schmale, junge Amazone, kü hl, strahlend, sicher und unangreifbar. — Das wird nie etwas mit uns, dachte ich und sagte: »Wo sind Sie denn nur so geisterhaft hergekommen? Ich habe doch die ganze Zeit die Tü r beobachtet. « Sie zeigte nach rechts hinü ber. »Dort drü ben ist noch ein Eingang. Aber ich habe mich verspä tet. Warten Sie schon lange? « »Gar nicht. Hö chstens zwei, drei Minuten. Ich bin auch erst eben gekommen. « Das Kaffeekrä nzchen an meinem Tisch wurde still. Ich spü rte die abschä tzenden Blicke von vier soliden Mü ttern im Nacken. »Wollen wir hier bleiben? « fragte ich. Das Mä dchen streifte mit einem raschen Blick den Tisch. Ihr Mund zuckte. Sie sah mich belustigt an. »Ich fü rchte, Café s sind ü berall gleich. « Ich schü ttelte den Kopf. »Wenn sie leer sind, sind sie besser. Dies hier ist ein Teufelslokal, in dem man Minderwertigkeitskomplexe bekommt. Wir kö nnten am besten in eine Bar gehen. « »In eine Bar? Gibt es denn Bars, die am hellen Tage offen sind? « »Ich weiß eine«, sagte ich. »Sie ist allerdings sehr ruhig. Wenn Sie das mö gen... « »Manchmal schon... « Ich blickte auf. Ich konnte im Augenblick nicht feststellen, wie sie das meinte. Ich hatte nichts gegen Ironie, wenn sie nicht gegen mich ging; aber ich hatte ein schlechtes Gewissen. »Also gehen wir«, sagte sie. Ich winkte dem Kellner. »Drei groß e Kognaks«, brü llte der Unglü cksvogel mit einer Stimme, als wollte er einem Gast im Grabe die Rechnung machen. »Drei Mark dreiß ig! « Das Mä dchen drehte sich um. »Drei Kognaks in drei Minuten? Ganz schö nes Tempo! « »Es sind noch zwei von gestern dabei. « »So ein Lü gner«, zischte die Athletin am Tisch hinter mir. Sie hatte lange geschwiegen. Ich wandte mich um und verbeugte mich. »Ein gesegnetes Weihnachtsfest, meine Damen! « Dann ging ich rasch. »Haben Sie Streit gehabt? « fragte mich das Mä dchen drauß en. »Nichts Besonderes. Ich habe nur eine ungü nstige Wirkung auf Hausfrauen in gesicherten Verhä ltnissen. « »Ich auch«, erwiderte sie. Ich sah sie an. Sie erschien mir wie aus einer andern Welt. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sie war und wie sie lebte. Die Bar war sicherer Boden fü r mich. Fred, der Mixer, stand hinter der Theke und polierte gerade die groß en Schwenkglä ser fü r Kognak, als wir hereinkamen. Er begrü ß te mich, als sä he er mich zum erstenmal und hä tte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen mü ssen. Er hatte eine gute Schule und eine riesige Erfahrung hinter sich. Der Raum war leer bis auf einen Tisch. Dort saß, wie fast immer, Valentin Hauser. Ich kannte ihn vom Kriege her; wir waren in derselben Kompanie gewesen. Er hatte mir einmal durchs Sperrfeuer einen Brief nach vorne gebracht, weil er dachte, er wä re von meiner Mutter. Er wuß te, daß ich darauf wartete, denn meine Mutter war operiert worden. Aber er hatte sich geirrt — es war nur eine Reklame fü r Kopfschü tzer aus Brennesselstoff gewesen. Auf dem Rü ckwege hatte er einen Schuß ins Bein bekommen. Valentin hatte einige Zeit nach dem Kriege eine Erbschaft gemacht. Die vertrank er seitdem. Er behauptete, das Glü ck feiern zu mü ssen, lebend herausgekommen zu sein. Es war ihm gleich, daß das schon eine Anzahl Jahre her war. Er erklä rte, man kö nne es gar nicht genug feiern. Er war einer der Menschen, die ein unheimliches Gedä chtnis fü r den Krieg haben. Wir andern hatten vieles vergessen; er aber erinnerte sich an jeden Tag und jede Stunde. Ich sah, daß er schon viel getrunken hatte: Er saß ganz versunken und abwesend in seiner Ecke. Ich hob die Hand. »Salü, Valentin! « Er blickte auf und nickte. »Salü, Robby! « Wir setzten uns in eine Ecke. Der Mixer kam. »Was mö chten Sie trinken? « fragte ich das Mä dchen. »Vielleicht einen Martini«, erwiderte sie. »Einen trockenen Martini. « »Darin ist Fred Spezialist. « Fred erlaubte sich ein Lä cheln. »Mir wie immer«, sagte ich. Die Bar war kü hl und halbdunkel. Sie roch nach vergossenem Gin und Kognak. Es war ein wü rziger Geruch, wie nach Wacholder und Brot. Von der Decke hing das holzgeschnitzte Modell eines Segelschiffs herab. Die Wand hinter der Theke war mit Kupfer beschlagen. Das gedä mpfte Licht eines Leuchters warf rote Reflexe hinein, als spiegele sich dort ein unterirdisches Feuer. Von den kleinen, schmiedeeisernen Wandarmen brannten nur zwei — einer bei Valentin und einer bei uns. Sie hatten gelbe Pergamentschirme, die aus alten Landkarten gemacht waren, und sahen aus wie schmale, erleuchtete Ausschnitte der Welt. Ich war etwas verlegen und wuß te nicht recht, wie ich ein Gesprä ch anfangen sollte. Ich kannte das Mä dchen ja ü berhaupt nicht, und je lä nger ich es ansah, um so fremder erschien es mir. Es war lange her, daß ich mit jemand so zusammen gewesen war; ich hatte keine Ü bung mehr darin. Ich hatte mehr Ü bung im Umgang mit Mä nnern. Vorhin, im Café, war es mir zu laut gewesen — jetzt, hier, war es plö tzlich zu ruhig. Jedes Wort bekam durch die Stille des Raumes so viel Gewicht, daß es schwer war, unbefangen zu reden. Fast wü nschte ich mich schon wieder ins Café zurü ck. Fred brachte die Glä ser. Wir tranken. Der Rum war stark und frisch. Er schmeckte nach Sonne. Er war etwas, woran man sich halten konnte. Ich trank und gab das Glas Fred gleich wieder mit. »Gefä llt es Ihnen hier? « fragte ich. Das Mä dchen nickte. »Besser als in der Konditorei drü ben? « »Ich hasse Konditoreien«, sagte sie. »Weshalb haben wir uns dann gerade da getroffen? « fragte ich verblü fft. »Ich weiß nicht. « Sie nahm ihre Kappe ab. »Mir fiel nichts anderes ein. « »Um so besser, daß es Ihnen dann hier gefä llt. Wir sind oft hier. Abends ist diese Bude fü r uns schon fast so eine Art Zuhause. « Sie lachte. »Ist das nicht eigentlich traurig? « »Nein«, sagte ich, »zeitgemä ß. « Fred brachte mir das zweite Glas. Er legte eine grü ne Havanna dazu auf den Tisch. »Von Herrn Hauser. « Valentin winkte aus seiner Ecke herü ber und hob sein Glas. »31. Juli 17, Robby«, sagte er mit schwerer Stimme. Ich nickte ihm zu und hob ebenfalls mein Glas. Er muß te immer jemand zutrinken; ich hatte ihn abends schon getroffen, wie er dem Mond oder einem Fliederbusch in einer Bauernkneipe zutrank. Dann erinnerte er sich an irgendeinen Tag aus den Schü tzengrä ben, wo es besonders schwer zugegangen war, und war dankbar dafü r, daß er noch da war und so sitzen konnte. »Er ist mein Freund«, sagte ich zu dem Mä dchen. »Ein Kamerad aus dem Kriege. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der aus einem groß en Unglü ck ein kleines Glü ck gemacht hat. Er weiß nicht mehr, was er mit seinem Leben anfangen soll — deshalb freut er sich einfach, daß er noch lebt. « Sie sah mich nachdenklich an. Ein Streifen Licht fiel schrä g ü ber ihre Stirn und ihren Mund. »Das kann ich gut verstehen«, sagte sie. Ich blickte auf. »Das sollten Sie aber nicht. Dafü r sind Sie viel zu jung. « Sie lä chelte. Es war ein leichtes, schwebendes Lä cheln, das nur in den Augen war. Das Gesicht verä nderte sich kaum dabei; es wurde nur heller, von innen heraus heller. »Zu jung«, sagte sie, »das ist so ein Wort. Ich finde, zu jung ist man nie. Nur immer zu alt. « Ich schwieg einen Augenblick. »Dagegen ließ e sich eine Menge sagen«, erwiderte ich dann und machte Fred ein Zeichen, mir noch etwas zu trinken zu bringen. Das Mä dchen war so sicher und selbstverstä ndlich; ich fü hlte mich wie ein Holzblock dagegen. Ich hä tte gern ein leichtes, spielerisches Gesprä ch gefü hrt, so ein richtiges Gesprä ch, wie es einem gewö hnlich hinterher einfä llt, wenn man wieder allein ist. Lenz konnte das; bei mir aber wurde es immer gleich ungeschickt und schwer. Gottfried behauptete nicht mit Unrecht von mir, als Unterhalter stä nde ich ungefä hr auf der Stufe eines Postsekretä rs. Zum Glü ck war Fred vernü nftig. Er brachte mir statt der kleinen Fingerhü te jetzt gleich ein anstä ndiges Weinglas voll heran. So brauchte er nicht immer hin und her zu laufen, und es fiel auch nicht so auf, wieviel ich trank. Ich muß te trinken; anders konnte ich diese stockige Schwere nicht loswerden. »Wollen Sie nicht noch einen Martini nehmen? « fragte ich das Mä dchen. »Was trinken Sie denn da? « »Das hier ist Rum. « Sie betrachtete mein Glas. »Das haben Sie neulich auch schon getrunken. « »Ja«, sagte ich, »das trinke ich meistens. « Sie schü ttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß das schmeckt. « »Ob es schmeckt, weiß ich schon gar nicht mehr. « Sie sah mich an. »Weshalb trinken Sie es denn? « »Rum«, sagte ich, froh, etwas gefunden zu haben, ü ber das ich reden konnte. »Rum hat mit Schmecken nicht viel zu tun. Er ist nicht so einfach ein Geträ nk — er ist schon mehr ein Freund. Ein Freund, der alles leichter macht. Er verä ndert die Welt. Und deshalb trinkt man ja« — Ich schob das Glas beiseite. »Aber soll ich Ihnen nicht noch einen Martini bestellen? « »Lieber einen Rum«, sagte sie. »Ich mö chte ihn auch mal versuchen. « »Gut«, erwiderte ich, »aber nicht diesen. Der ist fü r den Anfang zu schwer. Bring einen Baccardi-Cocktail«, rief ich zu Fred hinü ber. Fred brachte die Glä ser. Er setzte auch eine Schale mit Salzmandeln und schwarzgebrannten Kaffeebohnen dazu. »Laß meine Flasche nur gleich hier stehen«, sagte ich. Langsam bekam alles Griff und Glanz. Die Unsicherheit schwand, die Worte kamen von selber, und ich achtete nicht mehr so darauf, was ich sagte. Ich trank weiter und spü rte, wie die groß e, weiche Welle herankam und mich erfaß te, wie sich die leere Stunde der Dä mmerung mit Bildern fü llte und geisterhaft ü ber den gleichgü ltigen, grauen Bezirken des Daseins der lautlose Zug der Trä ume wiederauftauchte. Die Wä nde der Bar weiteten sich, und plö tzlich war es nicht mehr die Bar — es war eine Ecke der Welt, ein Winkel der Zuflucht, ein halbdunkler Unterstand, um den ringsumher die ewige Schlacht des Chaos brauste und in dem wir geborgen hockten, rä tselhaft zueinandergeweht durch das Zwielicht der Zeit. Das Mä dchen saß zusammengekauert in seinem Stuhl, fremd und geheimnisvoll, als wä re es hierher verschlagen von der anderen Seite des Lebens. Ich hö rte mich sprechen, aber es war, als wä re ich es nicht mehr, als sprä che jetzt ein anderer, einer, der ich hä tte sein mö gen. Die Worte stimmten nicht mehr, sie verschoben sich, sie drä ngten hinü ber in andere, buntere Gebiete, als sie die kleinen Ereignisse meines Lebens geben konnten — ich wuß te, daß sie schon nicht mehr Wahrheit waren, daß sie zu Phantasie und Lü ge wurden, aber es war mir gleich —, die Wahrheit war trostlos und fahl, und nur das Gefü hl und der Abglanz der Trä ume waren Leben... In der kupfernen Wanne der Bar glü hte das Licht. Ab und zu hob Valentin sein Glas und murmelte ein Datum vor sich hin. Drauß en spü lte sich gedä mpft die Straß e mit den Raubvogelrufen der Autos vorbei. Sie schrie herein, wenn jemand die Tü r ö ffnete. Sie schrie wie ein keifendes, neidisches, altes Weib. Es war schon dunkel, als ich Patrice Hollmann nach Hause brachte. Langsam ging ich zurü ck. Ich fü hlte mich plö tzlich allein und leer. Ein feiner Regen sprü hte hernieder. Ich blieb vor einem Schaufenster stehen. Ich hatte zuviel getrunken, das merkte ich jetzt. Nicht, daß ich schwankte — aber ich merkte es doch deutlich. Mir wurde mit einem Schlage mä chtig heiß. Ich knö pfte den Mantel auf und schob den Hut zurü ck. Verdammt, es hatte mich wieder einmal ü berrumpelt! Was mochte ich da vorhin nur alles zusammengeredet haben? Ich wagte gar nicht, genau darü ber nachzudenken. Ich wuß te es nicht einmal mehr, das war das schlimmste. Hier allein, auf der kalten, autobusdrö hnenden Straß e sah das alles ganz anders aus als im Halbdunkel der Bar. Ich verfluchte mich selber. Einen schö nen Eindruck muß te das Mä dchen von mir bekommen haben! Sie hatte es sicher gemerkt. Sie hatte ja selbst fast nichts getrunken. Beim Abschied hatte sie mich auch so sonderbar angesehen... Herrgott! Ich drehte mich um. Dabei stieß ich mit einem dicken kleinen Mann zusammen. »Na«, sagte ich wü tend. »Sperren Sie doch Ihre Augen auf, Sie bockender Strohwisch! « bellte der Dicke. Ich starrte ihn an. »Wohl noch nicht oft Menschen gesehen, was? « klä ffte er weiter. Er kam mir gerade recht. »Menschen wohl«, sagte ich, »aber noch keine Bierfä sser, die Spazierengehen. « Der Dicke besann sich keine Sekunde. Er stoppte und schwoll. »Wissen Sie was? « fauchte er. »Gehen Sie in den Zoo! Trä umerische Kä nguruhs haben auf der Straß e nichts zu suchen. « Ich merkte, daß ich einen Schimpfer hoher Klasse vor mir hatte. Es galt, trotz aller Depression, die Ehre zu wahren. »Wandere weiter, geisteskrankes Siebenmonatskind«, sagte ich und hob segnend die Hand. Er beachtete meine Aufforderung nicht. »Laß dir Beton ins Gehirn spritzen, runzliger Hundsaffe! « bellte er. Ich gab ihm einen dekadenten Plattfuß zurü ck. Er mir einen Kakadu in der Mauser; ich ihm einen arbeitslosen Leichenwä scher. Darauf bezeichnete er mich, schon mit Respekt, als krebskranken Kuhkopf; ich ihn, um ein Ende zu machen, als wandelnden Beefsteakfriedhof. Sein Gesicht verklä rte sich plö tzlich. »Beefsteakfriedhof ist gut! « sagte er. »Kannte ich noch nicht. Kommt in mein Repertoire! Alsdann... « Er lü ftete den Hut, und wir trennten uns voll Achtung voneinander. Das Schimpfen hatte mich erfrischt. Aber der Ä rger war geblieben. Er wurde sogar immer stä rker, je nü chterner ich wurde. Ich kam mir vor wie ein ausgewrungenes nasses Handtuch. Aber allmä hlich ä rgerte ich mich nicht nur ü ber mich — ich ä rgerte mich ü ber alles —, auch ü ber das Mä dchen. Sie war ja der Anlaß gewesen, daß ich mich betrunken hatte. Ich schlug den Kragen hoch. Sollte sie meinetwegen denken, was sie wollte, mir war es jetzt egal — sie wuß te so wenigstens gleich, woran sie war. Und meinetwegen sollte die ganze Sache zum Teufel gehen — was geschehen war, war geschehen. Konnte man nichts mehr dran tun. War vielleicht sogar besser... Ich ging in die Bar zurü ck und betrank mich nun erst richtig.
IV
Das Wetter wurde warm und feucht, und es regnete einige Tage lang. Dann klä rte es sich auf, die Sonne fing an zu brü ten, und als ich am Freitagmorgen in die Werkstatt kam, sah ich Mathilde Stoß auf dem Hof stehen, den Besen unter den Arm geklemmt, mit einem Gesicht wie ein gerü hrtes Nilpferd. »Nu sehen Sie doch mal, Herr Lohkamp, die Pracht! Is doch immer wieder'n Wunder. « Ich blieb ü berrascht stehen. Der alte Pflaumenbaum neben der Benzinpumpe war ü ber Nacht aufgeblü ht. Er hatte den ganzen Winter krumm und kahl dagestanden, wir hatten alte Reifen darangehä ngt und Ö lkanister zum Trocknen ü ber die Ä ste gestü lpt, er war nichts anderes gewesen als ein bequemer Stä nder fü r alles, vom Putzlappen bis zur Motorhaube — noch vor ein paar Tagen hatten unsere gewaschenen blauen Leinenhosen daran herumgeflattert, noch gestern hatte man ihm kaum etwas angemerkt —, und nun auf einmal, ü ber Nacht, war er verwandelt und verzaubert in eine schimmernde Wolke von Rosa und Weiß, eine Wolke von hellen Blü ten, als hä tte sich ein Schmetterlingsschwarm auf unsern dreckigen Hof verflogen... »Und der Geruch«, sagte Mathilde schwä rmerisch und verdrehte die Augen, »wunderbar — genauso wie Ihr Rum... « Ich roch nichts. Aber ich verstand sofort. »Es riecht mehr nach dem Kundenkognak«, behauptete ich. Sie wehrte energisch ab. »Herr Lohkamp, Sie mü ssen erkä ltet sein. Vielleicht ha'm Sie auch Polypen in der Nase. Polypen hat heute fast jeder Mensch. Nee, die alte Stoß hat 'ne Nase wie'n Windhund, verlassen Sie sich drauf, es ist Rum — alter Rum... « »Na schö n, Mathilde... « Ich schenkte ihr ein Glas Rum ein und ging dann zur Benzinpumpe, Jupp saß schon da. Er hatte in einer verrosteten Konservenbü chse vor sich eine Anzahl abgeschnittener Blü tenzweige stehen. »Was soll denn das heiß en? « fragte ich erstaunt. »Fü r die Damen«, erklä rte Jupp. »Wenn sie tanken, gibt's so einen Zweig gratis. Habe daraufhin schon neunzig Liter mehr verkauft. Der Baum ist Gold wert, Herr Lohkamp. Wenn wir den nicht hä tten, mü ß ten wir ihn kü nstlich nachmachen. « »Du bist ein geschä ftstü chtiger Knabe. « Er grinste. Die Sonne durchleuchtete seine Ohren, daß sie aussahen wie rubinfarbene Kirchenfenster. »Zweimal bin ich auch schon fotografiert worden«, berichtete er. »Mit dem Baum dahinter. « »Paß auf, du wirst noch ein Filmstar«, sagte ich und ging zur Grube hinü ber, wo Lenz gerade unter dem Ford hervorkroch. »Robby«, sagte er, »mir ist da was eingefallen. Wir mü ssen uns mal um das Mä dchen von dem Binding kü mmern. « Ich starrte ihn an. »Wie meinst du das? « »Genau, wie ich es sage. Aber was starrst du denn so? « »Ich starre nicht... « »Du stierst sogar. Wie hieß das Mä dchen eigentlich noch? Pat, aber wie weiter? « »Weiß ich nicht«, erwiderte ich. Er richtete sich auf. »Das weiß t du nicht? Du hast doch ihre Adresse aufgeschrieben! Ich habe es selbst gesehen. « »Habe den Zettel verloren. « »Verloren! « Er griff sich mit beiden Hä nden in seinen gelben Haarwald. »Und dazu habe ich damals den Binding eine Stunde drauß en beschä ftigt! Verloren! Na, vielleicht weiß Otto sie noch. « »Otto weiß sie auch nicht. « Er sah mich an. »Jammervoller Dilettant! Um so schlimmer! Weiß t du denn nicht, daß das ein fabelhaftes Mä dchen war? Herrgott! « Er starrte zum Himmel. »Lä uft uns endlich schon mal was Richtiges ü ber den Weg, dann verliert so ein Trauerbolzen die Adresse! « »So groß artig fand ich sie gar nicht. « »Weil du ein Esel bist«, erwiderte Lenz, »ein Trottel, der nichts kennt, was ü ber das Niveau der Huren aus dem Café International hinausgeht! Du Klavierspieler, du! Ich sage dir nochmals: Es war ein Glü cksfall, ein besonderer Glü cksfall, dieses Mä dchen! Du hast natü rlich keine Ahnung von so was! Hast du dir die Augen angesehen? Natü rlich nicht — du hast dein Schnapsglas angesehen... « »Halt den Schnabel! « unterbrach ich ihn, denn mit dem Schnapsglas traf er in eine offene Wunde. »Und die Hä nde«, fuhr er fort, ohne mich zu beachten, »schmale, lange Hä nde wie eine Mulattin, davon versteht Gottfried etwas, das kannst du glauben! Heiliger Moses! Endlich einmal ein Mä dchen, wie es sein muß, schö n, natü rlich und, was das wichtigste ist, mit Atmosphä re« — er unterbrach sich —, »weiß t du ü berhaupt, was das ist, Atmosphä re? « »Luft, die man in einen Reifen pumpt«, erklä rte ich mü rrisch. »Natü rlich«, sagte er mitleidig und verachtungsvoll, »Luft, natü rlich! Atmosphä re, Aura, Strahlung, Wä rme, Geheimnis — das, was die Schö nheit erst beseelt und lebendig macht —, aber was rede ich — deine Atmosphä re ist der Rumdunst... « »Hö r jetzt auf oder ich lasse was auf deinen Schä del fallen«, knurrte ich. Aber Gottfried redete weiter, und ich tat ihm nichts. Er hatte ja keine Ahnung davon, was passiert war und daß jedes Wort von ihm mich mä chtig traf. Besonders jedes ü ber das Trinken. Ich war schon drü ber weg gewesen und hatte mich ganz gut getrö stet; jetzt aber wü hlte er alles wieder auf. Er lobte und lobte das Mä dchen, und mir wurde bald zumute, als hä tte ich wirklich etwas Besonderes unwiederbringlich verloren.
Ä rgerlich ging ich um sechs Uhr zum Café International. Das war meine Zuflucht; Lenz hatte es mir ja auch bestä tigt. Zu meinem Erstaunen herrschte ein Riesenbetrieb, als ich eintrat. Auf der Theke standen Torten und Napfkuchen, und der plattfü ß ige Alois rannte mit einem Tablett voll Kaffeegeschirr klappernd ins Hinterzimmer. Ich blieb stehen. Kaffee, kannenweise? Da muß te ja ein ganzer Verein schwer betrunken unter den Tischen liegen.
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