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Drei Kameraden 2 страница



»Verfolgt? Dann wollen Sie also nicht, daß man Ihnen gratuliert? «

»Doch«, sagte ich, »gratulieren ist was anderes. «

»Also alles Gute! «

Ich hielt einen Augenblick ihre Hand in meiner und spü rte ihren warmen, trockenen Druck. Dann ging ich hinaus, um den Rum zu holen.

Die Nacht stand groß und schweigend um das kleine Haus. Die ledernen Sitze unseres Wagens waren feucht. Ich blieb stehen und sah nach dem Horizont, wo der rö tliche Schein der Stadt am Himmel stand. Ich wä re gern noch drauß en geblieben; aber ich hö rte Lenz schon rufen.

Binding vertrug den Rum nicht. Nach dem zweiten Glas merkte man es schon. Er schwankte in den Garten hinaus. Ich stand auf und ging mit Lenz an die Theke. Er verlangte eine Flasche Gin. »Groß artiges Mä dchen, was? « sagte er.

»Weiß ich nicht, Gottfried«, erwiderte ich. »Habe nicht so drauf geachtet. «

Er betrachtete mich eine Weile mit seinen irisierenden blauen Augen und schü ttelte dann den glü henden Kopf. »Wozu lebst du eigentlich, sag mal, Baby? «

»Das wollte ich auch schon lange mal wissen. «

Er lachte. »Das kö nnte dir so passen! So leicht wird's einem doch nicht gemacht. Aber jetzt werde ich zunä chst mal herauspolken, wie das Mä dchen zu dem dicken Autokatalog drauß en steht. «

Er folgte Binding in den Garten. Nach einiger Zeit kamen beide an die Theke zurü ck. Die Auskunft muß te gut gewesen sein, denn Gottfried, der scheinbar die Bahn jetzt frei sah, schloß sich in heller Begeisterung darü ber stü rmisch an Binding an. Die beiden holten sich die Ginflasche und duzten sich eine Stunde spä ter. Lenz hatte, wenn er in guter Laune war, immer so etwas Hinreiß endes, daß man ihm schwer widerstehen konnte. Er konnte sich selbst dann auch nicht widerstehen. Jetzt ü berflutete er Binding einfach, und bald sangen beide in der Laube drauß en Soldatenlieder. Das Mä dchen hatte der letzte Romantiker darü ber vollstä ndig vergessen.

Wir drei blieben allein in der Wirtsstube. Es war plö tzlich sehr still. Die Schwarzwä lderuhr tickte. Die Wirtin rä umte ab und blickte mü tterlich auf uns herunter. Am Ofen dehnte sich ein brauner Jagdhund. Manchmal bellte er im Schlaf, leise, hoch und klagend. Drauß en strich der Wind am Fenster vorbei. Er wurde ü berweht von den Fetzen der Soldatenlieder, und mir war, als ob der kleine Raum sich hö be und mit uns durch die Nacht und durch die Jahre schwebe, vorbei an vielen Erinnerungen.

Es war eine merkwü rdige Stimmung. Die Zeit schien aufgehoben zu sein — sie war nicht mehr ein Strom, der aus dem Dunkel kam und ins Dunkel ging —, sie war ein See, in dem sich lautlos das Leben spiegelte. Ich hielt mein Glas in der Hand. Der Rum schimmerte. Ich dachte an den Zettel, den ich morgens in der Werkstatt geschrieben hatte. Ich war etwas traurig gewesen. Ich war es jetzt nicht mehr. Es war alles gleich — solange man lebte. Ich sah Kö ster an. Ich hö rte, wie er mit dem Mä dchen sprach; aber ich achtete nicht auf die Worte. Ich spü rte den weichen Glanz der ersten Trunkenheit, der das Blut wä rmer machte und den ich liebte, weil er ü ber das Ungewisse den Schein des Abenteuers breitete. Drauß en sangen Lenz und Binding das Lied vom Argonnerwald. Neben mir sprach das unbekannte Mä dchen — es sprach leise und langsam mit dieser dunklen, erregenden, etwas rauhen Stimme. Ich trank mein Glas aus.

Die beiden andern kamen wieder herein. Sie waren nü chterner geworden in der frischen Luft. Wir brachen auf. Ich half dem Mä dchen in den Mantel. Es stand dicht vor mir, geschmeidig sich in den Schultern dehnend, den Kopf schrä g nach hinten gelegt, den Mund leicht geö ffnet, mit einem Lä cheln zur Zimmerdecke, das niemand galt. Ich ließ einen Moment den Mantel sinken. Wo hatte ich nur die ganze Zeit meine Augen gehabt? Hatte ich denn geschlafen? Ich verstand plö tzlich die Begeisterung von Lenz.

Sie drehte sich fragend halb um. Ich hob rasch den Mantel wieder hoch und schaute zu Binding hinü ber, der kirschrot und immer noch etwas glasig neben dem Tisch stand.

»Glauben Sie, daß er fahren kann? « fragte ich.

»Ich denke schon... «

Ich sah sie immer noch an. »Wenn er nicht sicher genug ist, kann einer von uns mitfahren. «

Sie zog ihre Puderdose hervor und klappte sie auf. »Es wird schon gehen«, sagte sie. »Er fä hrt viel besser, wenn er getrunken hat. «

»Besser und wahrscheinlich unvorsichtiger«, erwiderte ich.

Sie blickte mich ü ber den Rand ihres kleinen Spiegels an.

»Hoffentlich geht es gut«, sagte ich. Es war etwas ü bertrieben, denn Binding stand ganz leidlich auf den Beinen. Aber ich wollte irgend etwas tun, damit sie nicht so wegging. »Darf ich morgen einmal bei Ihnen anrufen und hö ren, wie es geworden ist? « fragte ich.

Sie antwortete nicht gleich. »Wir haben mit unserer Trinkerei doch so eine gewisse Verantwortung dafü r«, sagte ich weiter. »Besonders ich mit meinem Geburtstagsrum. «

Sie lachte. »Nun gut, wenn Sie wollen. Westen 2796. «

Ich schrieb mir die Nummer drauß en gleich auf. Wir sahen zu, wie Binding abfuhr, und tranken noch ein letztes Glas. Dann ließ en wir Karl losheulen. Er fegte durch den leichten Mä rznebel, wir atmeten rasch, die Stadt kam uns entgegen, feurig und schwankend im Dunst, und aus den Schwaden hob sich wie ein erleuchtetes, buntes Schiff Freddys Bar. Wir gingen mit Karl vor Anker. Golden floß der Kognak, der Gin glä nzte wie Aquamarin, und der Rum war das Leben selbst. Eisern saß en wir auf den Barstü hlen, die Musik plä tscherte, das Dasein war hell und stark; es floß mä chtig durch unsere Brust, die Trostlosigkeit der ö den mö blierten Zimmer, die uns erwartete, die Verzweiflung der Existenz war vergessen, die Bartheke war die Kommandobrü cke des Lebens, und wir fuhren brausend in die Zukunft hinein.

 

 

II

 

Der nä chste Tag war ein Sonntag. Ich schlief lange und erwachte erst, als die Sonne auf mein Bett schien. Ich sprang rasch auf und riß die Fenster auf. Drauß en war es frisch und klar. Ich stellte den Spirituskocher auf die Bank und suchte die Dose mit Kaffee. Meine Wirtin, Frau Zalewski, hatte mir erlaubt, im Zimmer meinen eigenen Kaffee zu kochen. Ihrer war zu dü nn. Besonders wenn man abends getrunken hatte.

Ich wohnte schon zwei Jahre in der Pension Zalewski. Die Gegend gefiel mir. Es war immer etwas los, weil das Gewerkschaftshaus, das Café International und das Versammlungslokal der Heilsarmee dicht beisammen waren. Vor dem Hause lag auß erdem ein alter Friedhof, der schon seit langem stillgelegt war. Er hatte Bä ume wie ein Park, und wenn es nachts ruhig war, konnte man meinen, man wohne auf dem Lande. Aber es wurde erst spä t ruhig, denn neben dem Friedhof war ein Rummelplatz mit Karussells und Schiffschaukeln.

Fü r Frau Zalewski war der Friedhof ein sicheres Geschä ft. Sie wies auf die gute Luft und den freien Ausblick hin und konnte dafü r hö here Preise nehmen. Ihr stä ndiges Wort bei Reklamationen war: »Aber meine Herrschaften, bedenken Sie doch — die Lage! «

Ich zog mich sehr langsam an. Das gab mir das Gefü hl von Sonntag. Ich wusch mich, ich wanderte im Zimmer umher, ich las die Zeitung, ich brü hte den Kaffee auf, ich stand am Fenster und sah zu, wie die Straß e gesprengt wurde, ich hö rte die Vö gel singen in den hohen Friedhofsbä umen — sie sangen wie kleine, silberne Pfeifen des lieben Gottes zu dem leisen, sü ß en Gebrumm der melancholischen Drehorgeln vom Rummelplatz —, ich wä hlte zwischen meinen paar Hemden und Strü mpfen, als hä tte ich zwanzigmal soviel, ich leerte pfeifend meine Taschen aus: Kleingeld, Messer, Schlü ssel, Zigaretten — und da der Zettel von gestern mit dem Namen des Mä dchens und der Telefonnummer.

Patrice Hollmann. Ein merkwü rdiger Vorname — Patrice. Ich legte den Zettel auf den Tisch. War das wirklich erst gestern gewesen? Wie weit war das schon wieder weg — fast vergessen im perlgrauen Rausch des Alkohols. — Wunderbar war das beim Trinken — es brachte einen rasch zusammen —, aber zwischen Abend und Morgen schaffte es auch wieder Zwischenrä ume, als wä ren es Jahre.

Ich steckte den Zettel unter einen Pack Bü cher. Anrufen? Vielleicht — vielleicht auch nicht. Tagsü ber sah so etwas immer anders aus als abends. Ich war eigentlich ganz froh, meine Ruhe zu haben. War Lä rm genug gewesen in den letzten Jahren. Nur nichts herankommen lassen, sagte Kö ster. Was man herankommen lä ß t, will man halten. Und halten kann man nichts — In diesem Augenblick ging der Sonntagvormittagskrach im Zimmer nebenan los. Ich suchte meinen Hut, den ich gestern abend irgendwo gelassen haben muß te, und horchte eine Weile hin. Es war das Ehepaar Hasse, das da gegeneinander raste. Die beiden wohnten seit fü nf Jahren hier in einem kleinen Zimmer. Es waren keine schlechten Leute. Hä tten sie eine Dreizimmerwohnung gehabt, mit einer Kü che fü r die Frau, und auß erdem noch ein Kind, dann wä re ihre Ehe wahrscheinlich gut geblieben. Aber eine Wohnung kostete Geld, und ein Kind bei diesen unsicheren Zeiten — wer konnte sich das leisten! So hockten sie zu dicht aufeinander, die Frau war hysterisch geworden, und der Mann hatte stä ndig Angst, seinen kleinen Posten zu verlieren. Dann war er fertig. Er war fü nfundvierzig Jahre alt. Niemand nahm ihn mehr, wenn er einmal arbeitslos wurde. Das war das Elend — frü her sackte man langsam ab, und es gab immer noch wieder Mö glichkeiten, hochzukommen —, aber heute stand hinter jeder Kü ndigung sofort der Abgrund der ewigen Arbeitslosigkeit.

Ich versuchte mich leise herauszudrü cken, aber es klopfte schon, und Hasse stolperte herein. Er fiel auf einen Stuhl: »Ich ertrage es nicht mehr... «

Er war eigentlich ein sanfter Mann, mit abfallenden Schultern und einem kleinen Schnurrbart. Ein bescheidener, pflichttreuer Angestellter. Aber gerade die hatten es heute am schwersten. Sie hatten es wohl immer am schwersten. Bescheidenheit und Pflichttreue werden nur in Romanen belohnt. Im Leben werden sie ausgenutzt und dann beiseite geschoben. Hasse hob die Hä nde. »Denken Sie, schon wieder zwei Kü ndigungen im Geschä ft. Der nä chste bin ich, passen Sie auf, ich! « In dieser Angst lebte er von einem Ersten zum andern. Ich schenkte ihm einen Schnaps ein. Er zitterte am ganzen Kö rper. Eines Tages wü rde er zusammenklappen, das sah man. Er hatte nicht mehr viel zuzusetzen. »Und immer diese Vorwü rfe«, flü sterte er.

Wahrscheinlich hatte die Frau ihm ihr Dasein vorgeworfen. Sie war zweiundvierzig, etwas schwammig und verblü ht, aber natü rlich noch nicht so verbraucht wie der Mann. Sie litt an Torschluß panik.

Es hatte keinen Zweck, sich da einzumischen. »Hö ren Sie, Hasse«, sagte ich, »bleiben Sie ruhig hier sitzen, solange Sie wollen. Ich muß weg. Kognak steht im Kleiderschrank, wenn Sie den lieber mö gen. Das hier ist Rum. Da liegen Zeitungen. Und dann gehen Sie heute nachmittag mit Ihrer Frau doch mal 'raus aus dem Bau hier. Vielleicht ins Kino. Das kostet ebensoviel wie zwei Stunden im Café, und Sie haben mehr davon! Vergessen ist heute die Parole, nicht grü beln! « Ich klopfte ihm mit etwas schlechtem Gewissen auf die Schulter. Obschon, Kino war immer gut. Da konnte sich jeder was trä umen.

Nebenan stand die Tü r offen. Die Frau schluchzte, daß man es drauß en hö ren konnte. Ich wanderte den Korridor hinunter. Die nä chste Tü r war angelehnt. Dort hatte man gehorcht. Eine Wolke Parfü m kam heraus. Da wohnte Erna Bö nig, Privatsekretä rin. Viel zu elegant fü r ihr Gehalt; aber einmal in der Woche diktierte ihr Chef ihr bis zum Morgen. Dann war sie am nä chsten Tag sehr schlechter Laune. Dafü r ging sie jeden Abend tanzen. Wenn sie nicht mehr tanzen kö nne, wolle sie nicht mehr leben, erklä rte sie. Sie hatte zwei Freunde. Einer liebte sie und brachte ihr Blumen. Den anderen liebte sie und gab ihm Geld.

Neben ihr Rittmeister Graf Orlow, russischer Emigrant. Eintä nzer, Kellner, Filmkomparse, Gigolo mit grauen Schlä fen, wunderbarer Gitarrespieler. Betete jeden Abend zur Mutter Gottes von Kasan um eine Stellung als Empfangschef in einem mittleren Hotel. Weinte leicht, wenn er betrunken wurde. Nä chste Tü r. Frau Bender, Krankenschwester in einem Sä uglingsheim. Fü nfzig Jahre alt. Mann im Kriege gefallen. Zwei Kinder 1918 an Unterernä hrung gestorben. Hatte eine bunte Katze. Das einzige.

Daneben — Mü ller, pensionierter Rechnungsrat. Schriftfü hrer eines Philatelistenvereins. Lebendige Briefmarkensammlung, sonst nichts. Glü cklicher Mensch.

An der letzten Tü r klopfte ich. »Na, Georg«, sagte ich, »immer noch nichts? «

Georg Block schü ttelte den Kopf. Er war Student im vierten Semester. Um die vier Semester machen zu kö nnen, hatte er zwei Jahre im Bergwerk gearbeitet. Das ersparte Geld war jetzt fast verbraucht; er hatte nur noch fü r zwei Monate zu leben. Ins Bergwerk konnte er nicht wieder zurü ck — da waren heute schon zuviel Bergleute ohne Arbeit. Er hatte auf jede Weise versucht, eine Stelle nebenbei zu bekommen. Eine Woche lang war er Zettelausteiler fü r eine Margarinefabrik gewesen; aber die Fabrik war pleite gegangen. Kurz darauf bekam er einen Posten als Zeitungsausträ ger und atmete schon auf. Drei Tage spä ter wurde er im Morgengrauen von zwei Leuten mit Schirmmü tzen angehalten, die ihm die Zeitungen abnahmen, zerrissen und ihm erklä rten, er solle sich nicht zum zweiten Male sehen lassen in einem Beruf, der ihn nichts anginge. Sie hä tten selbst genug Arbeitslose. Er ging trotzdem am nä chsten Morgen, obschon er die zerrissenen Zeitungen hatte bezahlen mü ssen. Jemand fuhr ihn mit einem Fahrrad nieder. Die Zeitungen flogen in den Dreck. Das kostete ihn zwei Mark. Er ging zum drittenmal und kam mit zerfetztem Anzug und zerschlagenem Gesicht wieder. Da gab er es auf. Jetzt saß er jeden Tag in seinem Zimmer, verzweifelt, und bü ffelte wie verrü ckt, als hä tte es noch Zweck. Er aß einmal am Tage. Dabei war es egal, ob er die Restsemester noch machte oder nicht — auf eine Stelle konnte er auch nach dem Examen in frü hestens zehn Jahren rechnen. Ich schob ihm ein Paket Zigaretten hin. »Laß den Kram sausen, Georgie. Ich hab's auch getan. Kannst spä ter immer wieder anfangen. «

Er schü ttelte den Kopf. »Ich hab's damals gemerkt, nach dem Bergwerk. Man kommt vö llig 'raus, wenn man nicht jeden Tag dabeibleibt, und zum zweitenmal schaff' ich es nicht. «

Das blasse Gesicht mit abstehenden Ohren und kurzsichtigen Augen, die schmä chtige Gestalt mit der eingefallenen Brust — verflucht — »na, mach's gut, Georgie. « Eltern hatte er auch nicht mehr.

Die Kü che. Ein ausgestopfter Wildschweinschä del. Erinnerung an den verstorbenen Zalewski. Das Telefon. Halbdunkel. Geruch nach Gas und schlechtem Fett. Die Korridortü r mit den vielen Visitenkarten neben dem Klingelknopf. Meine auch. »Robert Lohkamp, stud. phil., zweimal lang klingeln. « Sie war gelb und schmutzig. Stud. phil. Hatte sich was! War lange her. Ich ging die Treppe hinunter zum Café International. Das International war ein groß er, dunkler, verrä ucherter Schlauch mit mehreren Hinterzimmern. Vorn, neben der Theke, stand das Klavier. Es war verstimmt, ein paar Saiten waren gesprungen, und von den Elfenbeintasten fehlten auch einige; aber ich liebte den braven, ausgedienten Musikschimmel. Er hatte das Jahr meines Lebens mit mir geteilt, als ich als Stimmungsklavierspieler hier engagiert gewesen war.  

In den hinteren Zimmern des Cafes hielten die Viehhä ndler ihre Versammlung ab; manchmal auch die Rummelplatzleute. Vorn saß en die Huren.  

Das Lokal war leer. Nur der plattfü ß ige Kellner Alois stand hinter der Theke. »Wie immer? « fragte er.

Ich nickte. Er brachte mir ein Glas Portwein mit Rum, halb und halb. Ich setzte mich an einen Tisch und sah gedankenlos vor mich hin. Ein grauer Streifen Sonne kam schrä g durch das Fenster. Er fing sich in den Schnapsflaschen auf den Regalen. Der Cherry-Brandy glü hte wie ein Rubin.

Alois spü lte Glä ser. Die Katze des Wirtes saß auf dem Klavier und schnurrte. Ich rauchte langsam eine Zigarette. Die Luft machte schlä frig. Eine sonderbare Stimme hatte das Mä dchen gestern gehabt. Dunkel, etwas rauh, fast heiser, aber doch weich. »Gib mir mal ein paar Magazine, Alois«, sagte ich.

Da knarrte die Tü r. Rosa kam. Rosa, die Friedhofshure, genannt das Eiserne Pferd. Den Beinamen hatte sie, weil sie so unverwü stlich war. Sie wollte eine Tasse Schokolade trinken. Die leistete sie sich jeden Sonntagmorgen hier; dann fuhr sie nach Burgdorf, um ihr Kind zu besuchen.

»Servus, Robert. «

»Servus, Rosa. Was macht die Kleine? «

»Will mal sehen. Hier — das bring' ich ihr mit. «

Sie packte aus einem Paket eine Puppe mit roten Backen und drü ckte ihr auf den Bauch. »Ma-ma«, quä kte die Puppe. Rosa strahlte.

»Fabelhaft! « sagte ich.

»Paß mal auf. « Sie beugte die Puppe nach hinten. Mit einem Klapp schlö ssen sich die Augen.

»Unerhö rt, Rosa. «

Sie war befriedigt und packte die Puppe wieder weg. »Du verstehst was von solchen Sachen, Robert. Wirst mal ein guter Ehemann. «

»Na, na«, sagte ich zweifelnd.

Rosa hing an ihrem Kinde. Bis vor einem Vierteljahr, solange es noch nicht laufen konnte, hatte sie es bei sich in ihrem Zimmer gehabt. Das ging, trotz ihres Berufes, weil nebenan ein kleiner Verschlag war. Wenn sie dann mit einem Kavalier abends ankam, ließ sie ihn unter irgendeinem Vorwand einen Augenblick drauß en warten, ging rasch voran, schob den Kinderwagen in den Verschlag, schloß die Tü r und ließ den Kavalier eintreten. Aber im Dezember muß te die Kleine zu oft aus dem warmen Zimmer in den ungeheizten Verschlag. So kam es, daß sie sich erkä ltete und oft weinte, wenn gerade jemand da war. Rosa muß te sich von ihr trennen, so schwer es ihr auch wurde. Sie gab sie in ein teures Kinderheim. Dort galt sie als honette Witwe. Sonst hä tte man das Kind nicht angenommen.

Rosa erhob sich. »Du kommst doch Freitag? «

Ich nickte.

Sie sah mich an. »Du weiß t doch, was los ist? «

»Natü rlich. «

Ich hatte keine Ahnung, was los war; aber ich hatte auch keine Lust, danach zu fragen. Das hatte ich mir hier so angewö hnt in dem Jahr als Klavierspieler. Es war immer am bequemsten. Ebenso wie ich zu all den Mä dchen du sagte. Das ging gar nicht anders.

»Servus, Robert. «

»Servus, Rosa. «

Ich saß noch eine Weile. Aber ich hatte nicht die richtige schlä frige Ruhe wie sonst, wenn das International so eine Art Sonntagsheimat fü r mich war. Ich trank noch einen Rum, streichelte die Katze und ging dann.

Tagsü ber trieb ich mich umher. Ich wuß te nicht recht, was ich machen sollte, und hielt es nirgendwo lange aus. Am spä ten Nachmittag ging ich in unsere Werkstatt. Kö ster war da. Er arbeitete an dem Cadillac. Wir hatten ihn vor einiger Zeit fü r einen Spottpreis alt gekauft. Jetzt war er von uns grü ndlich ü berholt worden, und Kö ster gab ihm gerade den letzten Schliff. Es war eine Spekulation. Wir hofften, gut damit zu verdienen. Ich zweifelte, ob es ein Geschä ft sein wü rde. Bei den schlechten Zeiten wollten alle Leute kleine Wagen kaufen, aber nicht so einen Omnibus. »Wir bleiben darauf sitzen, Otto«, sagte ich.

Doch Kö ster war zuversichtlich. »Auf mittleren Wagen bleibt man sitzen, Robby«, erklä rte er. »Billige werden gekauft und ganz teure auch. Es gibt immer noch Leute, die Geld haben. Oder so aussehen wollen. «

»Wo ist Gottfried? « fragte ich.

»In irgendeiner politischen Versammlung... «

»Verrü ckt! Was will er denn da? «

Kö ster lachte. »Das weiß er selbst nicht. Wahrscheinlich sitzt ihm das Frü hjahr in den Knochen. Da muß er ja immer irgend etwas Neues haben. «

»Kann sein«, sagte ich. »Komm, ich helf' dir etwas. «

Wir murksten herum, bis es dunkel wurde. »Schluß jetzt«, sagte Kö ster. Wir wuschen uns. »Weiß t du, was ich hier habe? « fragte er und klopfte auf seine Brieftasche.

»Na? «

»Karten zum Boxen heute abend. Zwei. Du gehst doch mit, was? « Ich zö gerte. Er sah mich erstaunt an. »Stilling boxt«, sagte er, »gegen Walker. Wird ein guter Kampf. «

»Nimm Gottfried mit«, schlug ich vor und fand mich lä cherlich, daß ich nicht mitging. Aber ich hatte keine rechte Lust, ich wuß te nicht warum.

»Hast du was vor? « fragte er.

»Nein. «

Er sah mich an.

»Ich gehe mal nach Hause«, sagte ich. »Briefe schreiben und so was. Muß auch mal sein... «

»Bist du krank? « fragte er besorgt.

»Ach wo, keine Spur. Habe vielleicht auch den Frü hling etwas in den Knochen. «

»Na schö n. Wie du willst. «

Ich schlenderte nach Hause. Aber als ich in meinem Zimmer saß, wuß te ich auch nicht, was ich anfangen sollte. Unschlü ssig wanderte ich umher. Ich verstand jetzt nicht mehr, weshalb ich eigentlich hierher gewollt hatte. Schließ lich ging ich ü ber den Korridor, um Georgie zu besuchen. Dabei stieß ich auf Frau Zalewski. »Nanu«, sagte sie verblü fft, »Sie hier? «

»Wä re schwer abzustreiten«, erwiderte ich etwas gereizt.

Sie wiegte den Kopf mit den grauen Locken. »Nicht unterwegs? Zeichen und Wunder. «

Ich hielt mich nicht lange bei Georgie auf. Nach einer Viertelstunde ging ich zurü ck. Ich ü berlegte, ob ich etwas trinken wollte. Aber ich wollte nicht. Ich setzte mich ans Fenster und schaute auf die Straß e. Die Dä mmerung wehte mit Fledermausflü geln ü ber den Friedhof. Der Himmel hinter dem Gewerkschaftshause war grü n wie ein unreifer Apfel. Drauß en brannten schon die Laternen; aber es war noch nicht dunkel genug — sie sahen aus, als frö ren sie. Ich kramte unter meinen Bü chern nach dem Zettel mit der Telefonnummer. Schließ lich — anrufen konnte ich ja mal. Hatte es doch sogar halb und halb versprochen. Wahrscheinlich war das Mä dchen auch gar nicht zu Hause.

Ich ging zum Vorplatz, wo das Telefon stand, hob den Hö rer ab und sagte die Nummer. Wä hrend ich auf Antwort wartete, fü hlte ich, wie eine weiche Welle, eine leichte Erwartung aus der schwarzen Muschel sich hob. Das Mä dchen war da. Als ihre dunkle, etwas rauhe Stimme geisterhaft plö tzlich in Frau Zalewskis Vorzimmer zwischen Wildschweinskö pfen, Fettgeruch und Kü chengeklirr sprach, leise und etwas langsam, als dä chte sie vor jedem Worte nach, verschwand auf einmal meine Unzufriedenheit. Ich hä ngte wieder an, nachdem ich, anstatt mich nur zu erkundigen, eine Verabredung fü r ü bermorgen abgemacht hatte. Plö tzlich erschien mir alles nicht mehr so stumpf. Verrü ckt, dachte ich und schü ttelte den Kopf. Dann hob ich noch einmal den Hö rer auf und rief Kö ster an. »Hast du die Karten noch Otto? «

»Ja. «

»Gut. Ich gehe doch mit zum Boxen. «

Nachher wanderten wir noch eine Zeitlang durch die nä chtliche Stadt. Die Straß en waren hell und leer. Die Firmenschilder leuchteten. In den Schaufenstern brannte zwecklos das Licht. In einem standen nackte Wachspuppen mit gemalten Kö pfen. Sie sahen gespenstisch und pervers aus. Daneben glitzerte Schmuck. Dann kam ein Warenhaus, weiß bestrahlt wie eine Kathedrale. Die Fenster schä umten ü ber von bunter, glä nzender Seide. Vor einem Kino hockten blasse, verhungerte Gestalten. Neben ihnen glä nzte die Auslage eines Lebensmittelgeschä ftes. Zu zinnernen Tü rmen standen da die Konserven geschichtet, in Watte gebettet lagen mü rbe Kalvillä pfel, eine Schnur fetter Gä nse baumelte wie Wä sche auf einer Leine, braune runde Brote lagen zwischen harten Dauerwü rsten, angeschnitten, zartgelb und rosig schimmerte das Bukett der Lachsschinken und Leberpasteten.

Wir setzten uns auf eine Bank in der Nä he der Anlagen. Es war kü hl. Der Mond stand wie eine Bogenlampe ü ber den Hä usern. Es war schon weit nach Mitternacht. In der Nä he hatten Arbeiter auf dem Fahrdamm ein Zelt aufgerichtet. Sie arbeiteten an den Straß enbahnschienen. Die Geblä se zischten, und Strö me von Funken sprü hten ü ber die ernsthaft gebeugten, dunklen Gestalten. Neben ihnen qualmten Kessel mit Teerasphalt wie Gulaschkanonen.

Wir hingen unseren Gedanken nach.

»Komisch, so ein Sonntag, Otto, was? «

Kö ster nickte.

»Man ist eigentlich ganz froh, wenn er 'rum ist. «

Kö ster zuckte die Achseln. »Vielleicht ist man den Trott so gewohnt, daß einen das biß chen Freiheit schon stö rt. «

Ich schlug meinen Kragen hoch. »Spricht eigentlich etwas gegen unser Leben, Otto? «

Er sah mich an und lä chelte. »Hat schon ganz was anderes dagegen gesprochen, Robby. «

»Stimmt«, gab ich zu. »Immerhin... «

Das scharfe Licht der Preß luftbohrer spritzte grü n ü ber den Asphalt.

Das von innen erleuchtete Zelt der Arbeiter sah wie eine warme kleine Heimat aus.

»Glaubst du, daß der Cadillac Dienstag schon fertig ist? « fragte ich.

»Vielleicht«, sagte Kö ster. »Warum? «

»Ach, nur so —«

Wir standen auf und gingen nach Hause. »Bin ein biß chen verdreht heute, Otto«, sagte ich. »Ist jeder mal. Schlaf gut, Robby. « »Du auch, Otto. « In meinem Zimmer saß ich noch eine Weile auf. Die Bude gefiel mir auf einmal gar nicht mehr. Der Kronleuchter war scheuß lich, das Licht viel zu grell, die Sessel waren verschlissen, das Linoleum trostlos nü chtern, der Waschtisch, das Bett mit dem Gemä lde von der Schlacht bei Waterloo darü ber — kann man eigentlich keinen anstä ndigen Menschen 'reinfü hren, dachte ich. Eine Frau schon gar nicht. Hö chstens eine Hure aus dem International.

 

 

III

 

Am Dienstag vormittag saß en wir vor unserer Werkstatt im Hof und frü hstü ckten, Der Cadillac war fertig. Lenz hielt ein Blatt Papier in der Hand und schaute uns triumphierend an. Er war unser Reklamechef und hatte Kö ster und mir gerade ein Inserat vorgelesen, das er fü r den Verkauf des Wagens verfaß t hatte. Es begann mit den Worten: »Urlaub an sü dlichen Gestaden im Luxusgefä hrt« und war ein Mittelding zwischen einem Gedicht und einer Hymne.

Kö ster und ich schwiegen eine Weile. Wir muß ten uns von dieser Sturzflut an blumiger Phantasie erst erholen. Lenz hielt uns fü r ü berwä ltigt. »Das Ding hat Poesie und Schmiß, was? « fragte er stolz. »Im Zeitalter der Sachlichkeit muß man romantisch sein, das ist der Trick. Gegensä tze ziehen an. «

»Nicht, wenn es sich um Geld handelt«, erwiderte ich.

»Automobile kauft man nicht, um Geld anzulegen, Knabe«, erklä rte Gottfried abweisend. »Man kauft sie, um Geld auszugeben; und da beginnt bereits die Romantik, wenigstens fü r den Geschä ftsmann. Fü r die meisten Leute hö rt sie sogar damit auf. Was meinst du, Otto? «

»Weiß t du... «, begann Kö ster vorsichtig.

»Wozu lange reden«, unterbrach ich ihn. »Das ist ein Inserat fü r einen Kurort oder eine Schö nheitscreme, aber nicht fü r ein Automobil. «

Lenz ö ffnete den Mund.

»Augenblick«, fuhr ich fort. »Uns hä ltst du ja doch fü r befangen, Gottfried. Ich mache dir deshalb einen Vorschlag: Fragen wir mal Jupp. Das ist die Stimme des Volkes! «

Jupp war unser einziger Angestellter, ein Junge von fü nfzehn Jahren, der eine Art Lehrlingsstelle bei uns hatte. Er bediente die Benzinpumpe, besorgte das Frü hstü ck und rä umte abends auf. Er war klein, ü bersä t mit Sommersprossen und hatte die grö ß ten abstehenden Ohren, die ich kannte. Kö ster erklä rte, wenn Jupp aus einem Flugzeug fiele, kö nnte ihm nichts geschehen. Er kä me durch die Ohren in sanftem Gleitflug zur Erde.

Wir holten ihn heran. Lenz las ihm das Inserat vor. »Wü rdest du dich fü r so 'nen Wagen interessieren, Jupp? « fragte Kö ster.

»Einen Wagen? « fragte Jupp zurü ck.

Ich lachte. »Natü rlich einen Wagen«, knurrte Gottfried. »Meinst du ein Heupferd? «

»Hat er Schnellgang, von oben gesteuerte Nockenwelle und hydraulische Bremsen? « erkundigte Jupp sich ungerü hrt.

»Schafskopf, es ist doch unser Cadillac«, fauchte Lenz.

»Nicht mö glich«, erwiderte Jupp und grinste von einem Ohr zum andern.

»Da hast du's, Gottfried! « sagte Kö ster. »Das ist die Romantik von heute. «

»Scher dich wieder an deine Pumpe, Jupp, verfluchter Sohn des zwanzigsten Jahrhunderts! «



  

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