Хелпикс

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Fünftes Buch 3 страница



 

299.

 

Anschein des Heroismus. – Sich mitten unter die Feinde werfen, kann das Merkmal der Feigheit sein.

 

300.

 

Gnä dig gegen den Schmeichler. – Die letzte Klugheit der unersä ttlich Ehrgeizigen ist, ihre Menschenverachtung nicht merken zu lassen, welche der Anblick der Schmeichler ihnen einflö sst: sondern gnä dig auch gegen sie zu erscheinen, wie ein Gott, der nicht anders als gnä dig sein kann.

 

301.

 

«Charaktervoll«. –»Was ich einmal gesagt habe, das thue ich«– diese Denkweise gilt als charaktervoll. Wie viele Handlungen werden gethan, nicht weil sie als die vernü nftigsten ausgewä hlt worden sind, sondern weil sie, als sie uns einfielen, auf irgend welche Art unsere Ehrsucht und Eitelkeit gereizt haben, sodass wir dabei verbleiben und sie blindlings durchsetzen! So mehren sie bei uns selber den Glauben an unseren Charakter und unser gutes Gewissen, also, im Ganzen, unsere Kraft: wä hrend das Auswä hlen des mö glichst Vernü nftigen die Skepsis gegen uns und dermaassen ein Gefü hl der Schwä che in uns unterhä lt.

 

302.

 

Einmal, zweimal und dreimal wahr! – Die Menschen lü gen unsä glich oft, aber sie denken hinterher nicht daran und glauben im Ganzen nicht daran.

 

303.

 

Kurzweil des Menschenkenners. – Er glaubt mich zu kennen und fü hlt sich fein und wichtig, wenn er so und so mit mir verkehrt: ich hü te mich, ihn zu enttä uschen. Denn ich wü rde es zu entgelten haben, wä hrend er mir jetzt wohlwill, da ich ihm ein Gefü hl der wissenden Ü berlegenheit verschaffe. – Da ist ein Anderer: der fü rchtet sich, dass ich mir einbilde, ihn zu kennen, und sieht sich dabei erniedrigt. So beträ gt er sich schauerlich und unbestimmt und sucht mich ü ber sich in die Irre zu fü hren, – um sich ü ber mich wieder zu erheben.

 

304.

 

Die WeltVernichter. – Diesem gelingt Etwas nicht; schliesslich ruft er empö rt aus: »so mö ge doch die ganze Welt zu Grunde gehen! «Dieses abscheuliche Gefü hl ist der Gipfel des Neides, welcher folgert: weil ich Etwas nicht haben kann, soll alle Welt Nichts haben! soll alle Welt Nichts sein.

 

305.

 

Geiz. – Unser Geiz beim Kaufen nimmt mit der Wohlfeilheit der Gegenstä nde zu, – warum? Ist es, dass die kleinen Preis‑ Unterschiede eben erst das kleine Auge des Geizes machen?

 

306.

 

Griechisches Ideal. – Was bewunderten die Griechen an Odysseus? Vor Allem die Fä higkeit zur Lü ge und zur listigen und furchtbaren Wiedervergeltung; den Umstä nden gewachsen sein; wenn es gilt, edler erscheinen als der Edelste; sein kö nnen, was man will; heldenhafte Beharrlichkeit; sich alle Mittel zu Gebote stellen; Geist haben – sein Geist ist die Bewunderung der Gö tter, sie lä cheln, wenn sie daran denken –: diess Alles ist griechisches Ideal! Das Merkwü rdigste daran ist, dass hier der Gegensatz von Scheinen und Sein gar nicht gefü hlt und also auch nicht sittlich angerechnet wird. Gab es je so grü ndliche Schauspieler!

 

307.

 

Facta! Ja Facta ficta. – Ein Geschichtsschreiber hat es nicht mit dem, was wirklich geschehen ist, sondern nur mit den vermeintlichen Ereignissen zu thun: denn nur diese haben gewirkt. Ebenso nur mit den vermeintlichen Helden. Sein Thema, die sogenannte Weltgeschichte, sind Meinungen ü ber vermeintliche Handlungen und deren vermeintliche Motive, welche wieder Anlass zu Meinungen und Handlungen geben, deren Realitä t aber sofort wieder verdampft und nur als Dampf wirkt, – ein fortwä hrendes Zeugen und Schwangerwerden von Phantomen ü ber den tiefen Nebeln der unergrü ndlichen Wirklichkeit. Alle Historiker erzä hlen von Dingen, die nie existirt haben, ausser in der Vorstellung.

 

308.

 

Sich nicht auf den Handel verstehen ist vornehm. – Seine Tugend nur zum hö chsten Preise verkaufen oder gar mit ihr Wucher treiben, als Lehrer, Beamter, Kü nstler, – macht aus Genie und Begabung eine Krä mer‑ Angelegenheit. Mit seiner Weisheit soll man nun einmal nicht klug sein wollen!

 

309.

 

Furcht und Liebe. – Die Furcht hat die allgemeine Einsicht ü ber den Menschen mehr gefö rdert, als die Liebe, denn die Furcht will errathen, wer der Andere ist, was er kann, was er will: sich hierin zu tä uschen, wä re Gefahr und Nachtheil. Umgekehrt hat die Liebe einen geheimen Impuls, in dem Andern so viel Schö nes als mö glich zu sehen oder ihn sich so hoch als mö glich zu heben: sich dabei zu tä uschen, wä re fü r sie eine Lust und ein Vortheil – und so thut sie es.

 

310.

 

Die Gutmü thigen. – Die Gutmü thigen haben ihr Wesen durch die bestä ndige Furcht erlangt, welche ihre Voreltern vor fremden Ü bergriffen gehabt haben, – sie milderten, beschwichtigten, baten ab, beugten vor, zerstreuten, schmeichelten, duckten sich, verbargen den Schmerz, den Verdruss, glä tteten sofort wieder ihre Zü ge – und zuletzt vererbten sie diesen ganzen zarten und wohlgespielten Mechanismus auf ihre Kinder und Enkel. Diesen gab ein gü nstigeres Geschick keinen Anlass zu jener bestä ndigen Furcht: nichtsdestoweniger spielen sie bestä ndig auf ihrem Instrumente.

 

311.

 

Die sogenannte Seele. – Die Summe innerer Bewegungen, welche dem Menschen leicht fallen und die er in Folge dessen gerne und mit Anmuth thut, nennt man seine Seele; – er gilt als seelenlos, wenn er Mü he und Hä rte bei inneren Bewegungen merken lä sst.

 

312.

 

Die Vergesslichen. – In den Ausbrü chen der Leidenschaft und im Phantasiren des Traumes und des Irrsinns entdeckt der Mensch seine und der Menschheit Vorgeschichte wieder: die Thierheit mit ihren wilden Grimassen; sein Gedä chtniss greift einmal weit genug rü ckwä rts, wä hrend sein civilisirter Zustand sich aus dem Vergessen dieser Urerfahrungen, also aus dem Nachlassen jenes Gedä chtnisses entwickelt. Wer als ein Vergesslicher hö chster Gattung allem Diesen immerdar sehr fern geblieben ist, versteht die Menschen nicht, – aber es ist ein Vortheil fü r Alle, wenn es hier und da solche Einzelne giebt, welche» sie nicht verstehen «und die gleichsam aus gö ttlichem Samen gezeugt und von der Vernunft geboren sind.

 

313.

 

Der nicht mehr erwü nschte Freund. – Den Freund, dessen Hoffnungen man nicht befriedigen kann, wü nscht man sich lieber zum Feinde.

 

314.

 

Aus der Gesellschaft der Denker. – Inmitten des Ozeans des Werdens wachen wir auf einem Inselchen, das nicht grö sser als ein Nachen ist, auf, wir Abenteuerer und Wandervö gel, und sehen uns hier eine kleine Weile um: so eilig und so neugierig wie mö glich, denn wie schnell kann uns ein Wind verwehen oder eine Welle ü ber das Inselchen hinwegspü len, sodass Nichts mehr von uns da ist! Aber hier, auf diesem kleinen Raume, finden wir andere Wandervö gel und hö ren von frü heren, – und so leben wir eine kö stliche Minute der Erkenntniss und des Errathens, unter frö hlichem Flü gelschlagen und Gezwitscher mit einander und abenteuern im Geiste hinaus auf den Ozean, nicht weniger stolz als er selber!

 

315.

 

Sich entä ussern. – Etwas von seinem Eigenthume fahren lassen, sein Recht aufgeben – macht Freude, wenn es grossen Reichthum anzeigt. Dahin gehö rt die Grossmuth.

 

316.

 

Schwache Secten. – Die Secten, welche fü hlen, dass sie schwach bleiben werden, machen Jagd auf einzelne intelligente Anhä nger und wollen durch Qualitä t ersetzen, was ihnen an Quantitä t abgeht. Hierin liegt keine geringe Gefahr fü r die Intelligenten.

 

317.

 

Das Urtheil des Abends. – Wer ü ber sein Tages und Lebenswerk nachdenkt, wenn er am Ende und mü de ist, kommt gewö hnlich zu einer melancholischen Betrachtung: das liegt aber nicht am Tage und am Leben, sondern an der Mü digkeit. – Mitten im Schaffen nehmen wir uns gewö hnlich keine Zeit zu Urtheilen ü ber das Leben und das Dasein, und mitten im Geniessen auch nicht: kommt es aber einmal doch dazu, so geben wir Dem nicht mehr Recht, welcher auf den siebenten Tag und die Ruhe wartete, um Alles, was da ist, sehr schö n zu finden, – er hatte den besseren Augenblick verpasst.

 

318.

 

Vorsicht vor den Systematikern! – Es giebt eine Schauspielerei der Systematiker: indem sie ein System ausfü llen wollen und den Horizont darum rund machen, mü ssen sie versuchen, ihre schwä cheren Eigenschaften im Stile ihrer stä rkeren auftreten zu lassen, – sie wollen vollstä ndige und einartig starke Naturen darstellen.

 

319.

 

Gastfreundschaft. – Der Sinn in den Gebrä uchen der Gastfreundschaft ist: das Feindliche im Fremden zu lä hmen. Wo man im Fremden nicht mehr zunä chst den Feind empfindet, nimmt die Gastfreundschaft ab; sie blü ht, so lange ihre bö se Voraussetzung blü ht.

 

320.

 

Vom Wetter. – Ein sehr ungewö hnliches und unberechenbares Wetter macht die Menschen auch gegen einander misstrauisch; sie werden dabei neuerungssü chtig, denn sie mü ssen von ihren Gewohnheiten abgehen. Desshalb lieben die Despoten alle Lä nderstriche, wo das Wetter moralisch ist.

 

321.

 

Gefahr in der Unschuld. – Die unschuldigen Menschen werden in allen Stü cken die Opfer, weil ihre Unwissenheit sie hindert, zwischen Maass und Ü bermaass zu unterscheiden und bei Zeiten vorsichtig gegen sich selber zu sein. So gewö hnen sich unschuldige, das heisst unwissende junge Frauen an den hä ufigen Genuss der Aphrodisien und entbehren ihn spä ter sehr, wenn ihre Mä nner krank oder frü hzeitig welk werden; gerade die harmlose und glä ubige Auffassung, als ob diese hä ufige Art, mit ihnen zu verkehren, das Recht und die Regel sei, bringt sie zu einem Bedü rfniss, welches sie spä ter den heftigsten Anfechtungen und Schlimmerem aussetzt. Aber ganz allgemein und hoch genommen: wer einen Menschen und ein Ding liebt, ohne ihn und es zu kennen, wird die Beute von Etwas, das er nicht lieben wü rde, wenn er es sehen kö nnte. Ü berall, wo Erfahrenheit, Vorsicht und abgewogene Schritte noth thun, wird gerade der Unschuldige am grü ndlichsten verdorben werden, denn er muss mit blinden Augen die Hefe und das unterste Gift jeder Sache austrinken. Man erwä ge die Praxis aller Fü rsten, Kirchen, Secten, Parteien, Kö rperschaften: wird nicht immer der Unschuldige als der sü sseste Kö der zu den ganz gefä hrlichen und verruchten Fä llen verwendet? – so wie Odysseus den unschuldigen Neoptolemos verwendet, um dem alten kranken Einsiedler und Unhold von Lemnos den Bogen und die Pfeile abzulisten. – Das Christenthum, mit seiner Verachtung der Welt, hat aus der Unwissenheit eine Tugend gemacht, die christliche Unschuld, vielleicht weil das hä ufigste Resultat dieser Unschuld eben, wie angedeutet, die Schuld, das Schuldgefü hl und die Verzweiflung ist, somit eine Tugend, welche auf dem Umweg der Hö lle zum Himmel fü hrt: denn nun erst kö nnen sich die dü steren Propylä en des christlichen Heils aufthun, nun erst wirkt die Verheissung einer nachgeborenen zweiten Unschuld sie ist eine der schö nsten Erfindungen des Christenthums!

 

322.

 

Womö glich ohne Arzt leben. – Es will mir scheinen, als ob ein Kranker leichtsinniger sei, wenn er einen Arzt hat, als wenn er selber seine Gesundheit besorgt. Im ersten Falle genü gt es ihm, streng in Bezug auf alles Vorgeschriebene zu sein; im andern Falle fassen wir Das, worauf jene Vorschriften abzielen, unsere Gesundheit, mit mehr Gewissen in's Auge und bemerken viel mehr, gebieten und verbieten uns viel mehr, als auf Veranlassung des Arztes geschehen wü rde. – Alle Regeln haben diese Wirkung: vom Zwecke hinter der Regel abzuziehen und leichtsinniger zu machen. – Und wie wü rde der Leichtsinn der Menschheit in's Unbä ndige und Zerstö rerische gestiegen sein, wenn sie jemals vollkommen ehrlich der Gottheit als ihrem Arzte Alles ü berlassen hä tte, nach dem Worte» wie Gott will«! –

 

323.

 

Verdunkelung des Himmels. – Kennt ihr die Rache der schü chternen Menschen, welche sich in der Gesellschaft benehmen, als hä tten sie ihre Gliedmaassen gestohlen? Die Rache der demü thigen christenmä ssigen Seelen, welche sich auf Erden ü berall nur durchschleichen? Die Rache Derer, die immer sogleich urtheilen und immer sogleich Unrecht bekommen? Die Rache der Trunkenbolde aller Gattungen, denen der Morgen das Unheimlichste am Tage ist? Desgleichen der Krankenbolde aller Gattungen, der Krä nkelnden und Gedrü ckten, welche nicht mehr den Muth haben, gesund zu werden? Die Zahl dieser kleinen Rachsü chtigen und gar die ihrer kleinen Rache‑ Acte ist ungeheuer; die ganze Luft schwirrt fortwä hrend von den abgeschossenen Pfeilen und Pfeilchen ihrer Bosheit, sodass die Sonne und der Himmel des Lebens dadurch verdunkelt werden – nicht nur ihnen, sondern noch mehr uns, den Anderen, Ü brigen: was schlimmer ist, als dass sie uns allzu oft Haut und Herz ritzen. Leugnen wir nicht mitunter Sonne und Himmel, blos weil wir sie so lange nicht gesehen haben? – Also: Einsamkeit! Auch darum Einsamkeit!

 

324.

 

Philosophie der Schauspieler. – Es ist der beglü ckende Wahn der grossen Schauspieler, dass es den historischen Personen, welche sie darstellen, wirklich so zu Muthe gewesen sei, wie ihnen bei ihrer Darstellung, – aber sie irren sich stark darin: ihre nachahmende und errathende Kraft, die sie gerne fü r ein hellseherisches Vermö gen ausgeben mö chten, dringt nur gerade tief genug ein, um Gebä rden, Tö ne und Blicke und ü berhaupt das Ausserliche zu erklä ren; das heisst, der Schatten von der Seele eines grossen Helden, Staatsmannes, Kriegers, Ehrgeizigen, Eifersü chtigen, Verzweifelnden wird von ihnen erhascht, sie dringen bis nahe an die Seele, aber nicht bis in den Geist ihrer Objecte. Das wä re freilich eine schö ne Entdeckung, dass es nur des hellseherischen Schauspielers bedü rfe, statt aller Denker, Kenner, Fachmä nner, um in's Wesen irgend eines Zustandes hinabzuleuchten! Vergessen wir doch nie, sobald derartige Anmaassungen laut werden, dass der Schauspieler eben ein idealer Affe ist und so sehr Affe, dass er an das» Wesen «und das» Wesentliche «gar nicht zu glauben vermag: Alles wird ihm Spiel, Ton, Gebä rde, Bü hne, Coulisse und Publicum.

 

325.

 

Abseits leben und glauben. – Das Mittel, um der Prophet und Wundermann seiner Zeit zu werden, gilt heute noch wie vor Alters: man lebe abseits, mit wenig Kenntnissen, einigen Gedanken und sehr viel Dü nkel, – endlich stellt sich der Glaube bei uns ein, dass die Menschheit ohne uns nicht fortkommen kö nne, weil wir nä mlich ganz ersichtlich ohne sie fortkommen. Sobald dieser Glaube da ist, findet man auch Glauben. Zuletzt ein Rath fü r Den, der ihn brauchen mag (er wurde Wesley von seinem geistlichen Lehrer Bö hler gegeben): »Predige den Glauben, bis du ihn hast, und dann wirst du ihn predigen, weil du ihn hast! «–

 

326.

 

Seine Umstä nde kennen. – Unsere Krä fte kö nnen wir abschä tzen, aber nicht unsere Kraft. Die Umstä nde verbergen und zeigen uns dieselbe nicht nur, – nein! sie vergrö ssern und verkleinern sie. Man soll sich fü r eine variable Grö sse halten, deren Leistungsfä higkeit unter Umstä nden der Begü nstigung vielleicht der allerhö chsten gleichkommen kann: man soll also ü ber die Umstä nde nachdenken und keinen Fleiss in deren Beobachtung scheuen.

 

327.

 

Eine Fabel. – Der Don Juan der Erkenntniss: er ist noch von keinem Philosophen und Dichter entdeckt worden. Ihm fehlt die Liebe zu den Dingen, welche er erkennt, aber er hat Geist, Kitzel und Genuss an Jagd und Intriguen der Erkenntniss – bis an die hö chsten und fernsten Sterne der Erkenntniss hinauf! – bis ihm zuletzt Nichts mehr zu erjagen ü brig bleibt, als das absolut Wehethuende der Erkenntniss, gleich dem Trinker, der am Ende Absinth und Scheidewasser trinkt. So gelü stet es ihn am Ende nach der Hö lle, – es ist die letzte Erkenntniss, die ihn verfü hrt. Vielleicht, dass auch sie ihn enttä uscht, wie alles Erkannte! Und dann mü sste er in alle Ewigkeit stehen bleiben, an die Enttä uschung festgenagelt und selber zum steinernen Gast geworden, mit einem Verlangen nach einer Abendmahlzeit der Erkenntniss, die ihm nie mehr zu Theil wird! – denn die ganze Welt der Dinge hat diesem Hungrigen keinen Bissen mehr zu reichen.

 

328.

 

Worauf idealistische Theorien rathen lassen. – Man trifft die idealistischen Theorien am sichersten bei den unbedenklichen Praktikern; denn sie brauchen deren Lichtglanz fü r ihren Ruf. Sie greifen darnach mit ihren Instincten und haben gar kein Gefü hl von Heuchelei dabei: so wenig ein Englä nder mit seiner Christlichkeit und Sonntagsheiligung sich als Heuchler fü hlt. Umgekehrt: den beschaulichen Naturen, welche sich gegen alles Phantasiren in Zucht zu halten haben und auch den Ruf der Schwä rmerei scheuen, genü gen allein die harten realistischen Theorien: nach ihnen greifen sie mit der gleichen instinctiven Nö thigung, und ohne ihre Ehrlichkeit dabei zu verlieren.

 

329.

 

Die Verleumder der Heiterkeit. – Tief vom Leben verwundete Menschen haben alle Heiterkeit verdä chtigt, als ob sie immer kindlich und kindisch sei und eine Unvernunft verrathe, bei deren Anblick man nur Erbarmen und Rü hrung empfinden kö nne, wie wenn ein dem Tode nahes Kind auf seinem Bette noch seine Spielsachen liebkost. Solche Menschen sehen unter allen Rosen verborgene und verhehlte Grä ber; Lustbarkeiten, Getü mmel, frö hliche Musik erscheint ihnen wie die entschlossene Selbsttä uschung des Schwerkranken, der noch einmal eine Minute den Rausch des Lebens schlü rfen will. Aber dieses Urtheil ü ber die Heiterkeit ist nichts Anderes, als deren Strahlenbrechung auf dem dü steren Grunde der Ermü dung und Krankheit: es ist selber etwas Rü hrendes, Unvernü nftiges, zum Mitleiden Drä ngendes, ja sogar etwas Kindliches und Kindisches, aber aus jener zweiten Kindheit her, welche dem Alter folgt und dem Tode voranlä uft.

 

330.

 

Noch nicht genug! – Es ist noch nicht genug, eine Sache zu beweisen, man muss die Menschen zu ihr auch noch verfü hren oder zu ihr erheben. Desshalb soll der Wissende lernen, seine Weisheit zu sagen: und oft so, dass sie wie Thorheit klingt!

 

331.

 

Recht und Grä nze. – Der Asketismus ist fü r Solche die rechte Denkweise, welche ihre sinnlichen Triebe ausrotten mü ssen, weil dieselben wü thende Raubthiere sind. Aber auch nur fü r Solche!

 

332.

 

Der auf geblasene Stil. – Ein Kü nstler, der sein hochgeschwollenes Gefü hl nicht im Werke entladen und sich so erleichtern, sondern vielmehr gerade das Gefü hl der Schwellung mittheilen will, ist schwü lstig und sein Stil ist der aufgeblasene Stil.

 

333.

 

«Menschlichkeit«. – Wir halten die Thiere nicht fü r moralische Wesen. Aber meint ihr denn, dass die Thiere uns fü r moralische Wesen halten? – Ein Thier, welches reden konnte, sagte: »Menschlichkeit ist ein Vorurtheil, an dem wenigstens wir Thiere nicht leiden. »

 

334.

 

Der Wohlthä tige. – Der Wohlthä tige befriedigt ein Bedü rfniss seines Gemü ths, wenn er wohlthut. Je stä rker dieses Bedü rfniss ist, um so weniger denkt er sich in den Anderen hinein, der ihm dient, sein Bedü rfniss zu stillen, er wird unzart und beleidigt unter Umstä nden. (Diess sagt man der jü dischen Wohlthä tigkeit und Barmherzigkeit nach: welche bekanntlich etwas hitziger ist, als die anderer Vö lker. )

 

335.

 

Damit Liebe als Liebe gespü rt werde. – Wir haben nö thig, gegen uns redlich zu sein und uns sehr gut zu kennen, um gegen Andere jene menschenfreundliche Verstellung ü ben zu kö nnen, welche Liebe und Gü te genannt wird.

 

336.

 

Wessen sind wir fä hig? – Einer war durch seinen ungerathenen und boshaften Sohn den ganzen Tag so gequä lt worden, dass er ihn Abends erschlug und aufathmend zur ü brigen Familie sagte: »So! nun kö nnen wir ruhig schlafen! «– Was wissen wir, wozu uns Umstä nde treiben kö nnten.

 

337.

 

«Natü rlich«. – In seinen Fehlern wenigstens natü rlich zu sein, – ist vielleicht das letzte Lob eines kü nstlichen und ü berall sonst schauspielerischen und halbä chten Kü nstlers. Ein solches Wesen wird deshalb gerade seine Fehler keck herauslassen.

 

338.

 

ErsatzGewissen. – Der eine Mensch ist fü r den anderen sein Gewissen: und diess ist namentlich wichtig, wenn der andere sonst keines hat.

 

339.

 

Verwandlung der Pflichten. – Wenn die Pflicht aufhö rt, schwer zu fallen, wenn sie sich nach langer Ü bung zur lustvollen Neigung und zum Bedü rfniss umwandelt, dann werden die Rechte Anderer, auf welche sich unsere Pflichten, jetzt unsere Neigungen beziehen, etwas Anderes: nä mlich Anlä sse zu angenehmen Empfindungen fü r uns. Der Andere wird vermö ge seiner Rechte von da an liebenswü rdig (anstatt ehrwü rdig und furchtbar, wie vordem). Wir suchen unsere Lust, wenn wir jetzt den Bereich seiner Macht anerkennen und unterhalten. Als die Quietisten keine Last mehr an ihrem Christenthume hatten und in Gott nur ihre Lust fanden, nahmen sie ihren Wahlspruch» Alles zur Ehre Gottes! «an: was sie auch immer in diesem Sinne thaten, es war kein Opfer mehr; es hiess so viel als» Alles zu unserm Vergnü gen! «Zu verlangen, dass die Pflicht immer etwas lä stig falle – wie es Kant thut – heisst verlangen, dass sie niemals Gewohnheit und Sitte werde: in diesem Verlangen steckt ein kleiner Rest von asketischer Grausamkeit.

 

340.

 

Der Augenschein ist gegen den Historiker. – Es ist eine gut bewiesene Sache, dass die Menschen aus dem Mutterleibe hervorgehen: trotzdem lassen erwachsene Kinder, die neben ihrer Mutter stehen, die Hypothese als sehr ungereimt erscheinen; sie hat den Augenschein gegen sich.

 

341.

 

Vortheil im Verkennen. – Jemand sagte, er habe in der Kindheit eine solche Verachtung gegen die gefallsü chtigen Grillen des melancholischen Temperaments gehabt, dass es ihm bis zur Mitte seines Lebens verborgen geblieben sei, welches Temperament er habe: nä mlich eben das melancholische. Er erklä rte diess fü r die beste aller mö glichen Unwissenheiten.

 

342.

 

Nicht zu verwechseln! – Ja! Er betrachtet die Sache von allen Seiten, und ihr meint, das sei ein rechter Mann der Erkenntniss. Aber er will nur den Preis herabsetzen, – er will sie kaufen!

 

343.

 

Angeblich moralisch. – Ihr wollt nie mit euch unzufrieden werden, nie an euch leiden, – und nennt diess euren moralischen Hang! Nun gut, ein Andrer mag es eure Feigheit nennen. Aber Eins ist gewiss: ihr werdet niemals die Reise um die Welt (die ihr selber seid! ) machen und in euch selber ein Zufall und eine Scholle auf der Scholle bleiben! Glaubt ihr denn, dass wir Andersgesinnten der reinen Narrheit halber uns der Reise durch die eigenen ö den, Sü mpfe und Eisgebirge aussetzen und Schmerzen und Ü berdruss an uns freiwillig erwä hlen, wie die Sä ulenheiligen?

 

344.

 

Feinheit im Fehlgreifen. – Wenn Homer, wie man sagt, bisweilen geschlafen hat, so war er klü ger als alle die Kü nstler des schlaflosen Ehrgeizes. Man muss die Bewunderer zu Athem kommen lassen, dadurch dass man sie von Zeit zu Zeit in Tadler verwandelt; denn Niemand hä lt eine ununterbrochen glä nzende und wache Gü te aus; und statt wohlzuthun, wird ein Meister der Art zum Zuchtmeister, den man hasst, wä hrend er vor uns hergeht.

 

345.

 

Unser Glü ck ist kein Argument fü r und wider. – Viele Menschen sind nur eines geringen Glü ckes fä hig: es ist ebenso wenig ein Einwand gegen ihre Weisheit, dass diese ihnen nicht mehr Glü ck geben kö nne, als es ein Einwand gegen die Heilkunst ist, dass manche Menschen nicht zu curiren und andere immer krä nklich sind. Mö ge Jeder mit gutem Glü ck gerade die Lebensauffassung finden, bei der er sein hö chstes Maass von Glü ck verwirklichen kann: dabei kann sein Leben immer noch erbä rmlich und wenig neidenswerth sein.

 

346.

 

Weiberfeinde. – »Das Weib ist unser Feind«– wer so als Mann zu Mä nnern spricht, aus dem redet der ungebä ndigte Trieb, der nicht nur sich selber, sondern auch seine Mittel hasst.

 

347.

 

Eine Schule des Redners. – Wenn man ein Jahr lang schweigt, so verlernt man das Schwä tzen und lernt das Reden. Die Pythagoreer waren die besten Staatsmä nner ihrer Zeit.

 

348.

 

Gefü hl der Macht. – Man unterscheide wohl: wer das Gefü hl der Macht erst gewinnen will, greift nach allen Mitteln und verschmä ht keine Nahrung desselben. Wer es aber hat, der ist sehr wä hlerisch und vornehm in seinem Geschmack geworden; selten, dass ihm Etwas noch genugthut.

 

349.

 

Nicht gar so wichtig. – Bei einem Sterbefalle, dem man zusieht, steigt ein Gedanke regelmä ssig auf, den man sofort, aus einem falschen Gefü hl der Anstä ndigkeit, in sich unterdrü ckt: dass der Act des Sterbens nicht so bedeutend sei, wie die allgemeine Ehrfurcht behauptet, und dass der Sterbende im Leben wahrscheinlich wichtigere Dinge verloren habe, als er hier zu verlieren im Begriffe steht. Das Ende ist hier gewiss nicht das Ziel. –

 

350.

 

Wie man am besten verspricht. – Wenn ein Versprechen gemacht wird, so ist es nicht das Wort, welches verspricht, sondern das Unausgesprochene hinter dem Worte. Ja, die Worte machen ein Versprechen unkrä ftiger, indem sie eine Kraft entladen und verbrauchen, welche ein Theil jener Kraft ist, die verspricht. Lasst euch also die Hand reichen und legt dabei den Finger auf den Mund, – so macht ihr die sichersten Gelö bnisse.

 

351.

 

Gewö hnlich missverstanden. – Im Gesprä che bemerkt man den Einen bemü ht, eine Falle zu legen, in welche der Andere fä llt, nicht aus Bosheit, wie man denken sollte, sondern aus Vergnü gen an der eignen Pfiffigkeit: dann wieder Andre, welche den Witz vorbereiten, damit der Andre ihn mache, und welche die Schleife knü pfen, damit Jener den Knoten daraus ziehe: nicht aus Wohlwollen, wie man denken sollte, sondern aus Bosheit und Verachtung der groben Intellecte.



  

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