Хелпикс

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Drittes Buch 1 страница



97.

 

Man wird moralisch, nicht weil man moralisch ist! – Die Unterwerfung unter die Moral kann sclavenhaft oder eitel oder eigennü tzig oder resignirt oder dumpf‑ schwä rmerisch oder gedankenlos oder ein Act der Verzweiflung sein, wie die Unterwerfung unter einen Fü rsten: an sich ist sie nichts Moralisches.

 

98.

 

Wandel der Moral. – Es giebt ein fortwä hrendes Umwandeln und Arbeiten an der Moral, – das bewirken die Verbrechen mit glü cklichem Ausgange (wozu zum Beispiel alle Neuerungen des moralischen Denkens gehö ren).

 

99.

 

Worin wir Alle unvernü nftig sind. – Wir ziehen immer noch die Folgerungen von Urtheilen, die wir fü r falsch halten, von Lehren, an die wir nicht mehr glauben, – durch unsere Gefü hle.

 

100.

 

Vom Traume erwachen. – Edle und weise Menschen haben einmal an die Musik der Sphä ren geglaubt: edle und weise Menschen glauben noch immer an die» sittliche Bedeutung des Daseins«. Aber eines Tages wird auch diese Sphä renmusik ihrem Ohre nicht mehr vernehmbar sein! Sie erwachen und merken, dass ihr Ohr geträ umt hatte.

 

101.

 

Bedenklich. – Einen Glauben annehmen, blos weil er Sitte ist, – das heisst doch: unredlich sein, feige sein, faul sein! – Und so wä ren Unredlichkeit, Feigheit und Faulheit die Voraussetzungen der Sittlichkeit?

 

102.

 

Die ä ltesten moralischen Urtheile. – Wie machen wir es doch bei der Handlung eines Menschen in unsrer Nä he? – Zunä chst sehen wir darauf hin, was aus ihr fü r uns herauskommt, – wir sehen sie nur unter diesem Gesichtspunct. Diese Wirkung nehmen wir als die Absicht der Handlung – und endlich legen wir ihm das Haben solcher Absichten als dauernde Eigenschaft bei und nennen ihn zum Beispiel von nun an» einen schä dlichen Menschen«. Dreifache Irrung! Dreifacher uralter Fehlgriff! Vielleicht unsre Erbschaft von den Thieren und ihrer Urtheilskraft her! Ist nicht der Ursprung aller Moral in den abscheulichen kleinen Schlü ssen zu suchen: »was mir schadet, das ist etwas Bö ses (an sich Schä digendes); was mir nü tzt, das ist etwas Gutes (an sich Wohlthuendes und Nutzenbringendes); was mir einmal oder einigemale schadet, das ist das Feindliche an sich und in sich; was mir einmal oder einigemale nü tzt, das ist das Freundliche an sich und in sich. «O pudenda origo! Heisst das nicht: die erbä rmliche, gelegentliche, oft zufä llige Relation eines Anderen zu uns als sein Wesen und Wesentlichstes auszudichten, und zu behaupten, er sei gegen alle Welt und gegen sich selber eben nur solcher Relationen fä hig, dergleichen wir ein‑ oder einigemal erlebt haben? Und sitzt hinter dieser wahren Narrheit nicht noch der unbescheidenste aller Hintergedanken, dass wir selber das Princip des Guten sein mü ssen, weil sich Gutes und Bö ses nach uns bemisst? –

 

103.

 

Es giebt zwei Arten von Leugnern der Sittlichkeit. – »Die Sittlichkeit leugnen«– das kann einmal heissen: leugnen, dass die sittlichen Motive, welche die Menschen angeben, wirklich sie zu ihren Handlungen getrieben haben, – es ist also die Behauptung, dass die Sittlichkeit in Worten bestehe und zur groben und feinen Betrü gerei (namentlich Selbstbetrü gerei) der Menschen gehö re, und vielleicht gerade bei den durch Tugend Berü hmtesten am meisten. Sodann kann es heissen: leugnen, dass die sittlichen Urtheile auf Wahrheiten beruhen. Hier wird zugegeben, dass sie Motive des Handelns wirklich sind, dass aber auf diese Weise Irrthü mer, als Grund alles sittlichen Urtheilens, die Menschen zu ihren moralischen Handlungen treiben. Diess ist mein Gesichtspunct: doch mö chte ich am wenigsten verkennen, dass in sehr vielen Fä llen ein feines Misstrauen nach Art des ersten Gesichtspunctes, also im Geiste des La Rochefoucauld, auch im Rechte und jedenfalls vom hö chsten allgemeinen Nutzen ist. – Ich leugne also die Sittlichkeit wie ich die Alchymie leugne, das heisst, ich leugne ihre Voraussetzungen: nicht aber, dass es Alchymisten gegeben hat, welche an diese Voraussetzungen glaubten und auf sie hin handelten. – Ich leugne auch die Unsittlichkeit: nicht, dass zahllose Menschen sich unsittlich fü hlen, sondern dass es einen Grund in der Wahrheit giebt, sich so zu fü hlen. Ich leugne nicht, wie sich von selber versteht – vorausgesetzt, dass ich kein Narr bin –, dass viele Handlungen, welche unsittlich heissen, zu vermeiden und zu bekä mpfen sind; ebenfalls, dass viele, die sittlich heissen, zu thun und zu fö rdern sind, – aber ich meine: das Eine wie das Andere aus anderen Grü nden, als bisher. Wir haben umzulernen, – um endlich, vielleicht sehr spä t, noch mehr zu erreichen: um zu fü hlen.

 

104.

 

Unsere Werthschä tzungen. – Alle Handlungen gehen auf Werthschä tzungen zurü ck, alle Werthschä tzungen sind entweder eigene oder angenommene, – letztere bei Weitem die meisten. Warum nehmen wir sie an? Aus Furcht, – das heisst: wir halten es fü r rathsamer, uns so zu stellen, als ob sie auch die unsrigen wä ren – und gewö hnen uns an diese Verstellung, sodass sie zuletzt unsere Natur ist. Eigene Werthschä tzung: das will besagen, eine Sache in Bezug darauf messen, wie weit sie gerade uns und niemandem Anderen Lust oder Unlust macht, – etwas ä usserst Seltenes! – Aber wenigstens muss doch unsre Werthschä tzung des Anderen, in der das Motiv dafü r liegt, dass wir uns in den meisten Fä llen seiner Werthschä tzung bedienen, von uns ausgehen, unsere eigene Bestimmung sein? Ja, aber als Kinder machen wir sie, und lernen selten wieder um; wir sind meist zeitlebens die Narren kindlicher angewö hnter Urtheile, in der Art, wie wir ü ber unsre Nä chsten (deren Geist, Rang, Moralitä t, Vorbildlichkeit, Verwerflichkeit) urtheilen und es nö thig finden, vor ihren Werthschä tzungen zu huldigen.

 

105.

 

Der ScheinEgoismus. – Die Allermeisten, was sie auch immer von ihrem» Egoismus «denken und sagen mö gen, thun trotzdem ihr Lebenlang Nichts fü r ihr ego, sondern nur fü r das Phantom von ego, welches sich in den Kö pfen ihrer Umgebung ü ber sie gebildet und sich ihnen mitgetheilt hat, – in Folge dessen leben sie Alle zusammen in einem Nebel von unpersö nlichen, halbpersö nlichen Meinungen und willkü rlichen, gleichsam dichterischen Werthschä tzungen, Einer immer im Kopfe des Andern, und dieser Kopf wieder in anderen Kö pfen: eine wunderliche Welt der Phantasmen, welche sich dabei einen so nü chternen Anschein zu geben weiss! Dieser Nebel von Meinungen und Gewö hnungen wä chst und lebt fast unabhä ngig von den Menschen, die er einhü llt; in ihm liegt die ungeheure Wirkung allgemeiner Urtheile ü ber» den Menschen«– alle diese sich selber unbekannten Menschen glauben an das blutlose Abstractum» Mensch«, das heisst, an eine Fiction; und jede Verä nderung, die mit diesem Abstractum vorgenommen wird, durch die Urtheile einzelner Mä chtiger (wie Fü rsten und Philosophen), wirkt ausserordentlich und in unvernü nftigem Maasse auf die grosse Mehrzahl, – Alles aus dem Grunde, dass jeder Einzelne in dieser Mehrzahl kein wirkliches, ihm zugä ngliches und von ihm ergrü ndetes ego der allgemeinen blassen Fiction entgegenzustellen und sie damit zu vernichten vermag.

 

106.

 

Gegen die Definitionen der moralischen Ziele. – Man hö rt allerwä rts jetzt das Ziel der Moral ungefä hr so bestimmt: es sei die Erhaltung und Fö rderung der Menschheit; aber das heisst eine Formel haben wollen und weiter Nichts. Erhaltung, worin? muss man sofort dagegen fragen, Fö rderung wohin? Ist nicht gerade das Wesentliche, die Antwort auf dieses Worin? und Wohin? in der Formel ausgelassen? Was lä sst sich also mit ihr fü r die Pflichtenlehre festsetzen, was nicht Schon, stillschweigend und gedankenlos, jetzt als festgesetzt gilt! Kann man aus ihr genü gend absehen, ob man eine mö glichst lange Existenz der Menschheit in's Auge zu fassen habe? Oder die mö glichste Entthierung der Menschheit? Wie verschieden wü rden in beiden Fä llen die Mittel, das heisst die praktische Moral, sein mü ssen! Gesetzt, man wollte der Menschheit die hö chste ihr mö gliche Vernü nftigkeit geben: diess hiesse gewiss nicht ihr die hö chste ihr mö gliche Dauer verbü rgen! Oder gesetzt, man dä chte an ihr» hö chstes Glü ck «als das Wohin und Worin: meint man dann den hö chsten Grad, den allmä hlich einzelne Menschen erreichen kö nnten? Oder eine, ü brigens gar nicht zu berechnende letztens erreichbare Durchschnitts‑ Glü ckseligkeit Aller? Und warum wä re die Moralitä t gerade der Weg dahin? Ist nicht durch sie, im Grossen gesehen, eine solche Fü lle von Unlust‑ Quellen aufgethan worden, dass man eher urtheilen kö nnte, mit jeder Verfeinerung der Sittlichkeit sei der Mensch bisher mit sich, mit seinem Nä chsten und mit seinem Loose des Daseins unzufriedener geworden? Ist nicht der bisher moralischste Mensch des Glaubens gewesen, der einzig berechtigte Zustand des Menschen im Angesichte der Moral sei die tiefste Unseligkeit?

 

107.

 

Unser Anrecht auf unsere Thorheit. – Wie soll man handeln? Wozu soll man handeln? – Bei den nä chsten und grö bsten Bedü rfnissen des Einzelnen beantworten sich diese Fragen leicht genug, aber in je feinere, umfä nglichere und wichtigere Gebiete des Handelns man aufsteigt, um so unsicherer, folglich um so willkü rlicher wird die Beantwortung sein. Nun aber soll hier gerade die Willkü rlichkeit der Entscheidungen ausgeschlossen sein! – so heischt es die Autoritä t der Moral: eine unklare Angst und Ehrfurcht soll den Menschen unverzü glich gerade bei jenen Handlungen leiten, deren Zwecke und Mittel ihm am wenigsten so fort deutlich sind! Diese Autoritä t der Moral unterbindet das Denken, bei Dingen, wo es gefä hrlich sein kö nnte, falsch zu denken –: dergestalt pflegt sie sich vor ihren Anklä gern zu rechtfertigen. Falsch: das heisst hier» gefä hrlich«, – aber gefä hrlich fü r wen? Gewö hnlich ist es eigentlich nicht die Gefahr des Handelnden, welche die Inhaber der autoritativen Moral im Auge haben, sondern ihre Gefahr, ihre mö gliche Einbusse an Macht und Geltung, sobald das Recht, willkü rlich und thö richt, nach eigener, kleiner oder grosser Vernunft zu handeln, Allen zugestanden wird: fü r sich selber nä mlich machen sie unbedenklich Gebrauch von dem Rechte der Willkü rlichkeit und Thorheit, – sie befehlen, auch wo die Fragen» wie soll ich handeln? wozu soll ich handeln? «kaum oder schwierig genug zu beantworten sind. – Und wenn die Vernunft der Menschheit so ausserordentlich langsam wä chst, dass man dieses Wachsthum fü r den ganzen Gang der Menschheit oft geleugnet hat: was trä gt mehr die Schuld daran, als diese feierliche Anwesenheit, ja Allgegenwart moralischer Befehle, welche der individuellen Frage nach dem Wozu? und dem Wie? gar nicht gestattet, laut zu werden? Sind wir nicht daraufhin erzogen, gerade dann pathetisch zu fü hlen und uns in's Dunkle zu flü chten, wenn der Verstand so klar und kalt wie mö glich blicken sollte! Nä mlich bei allen hö heren und wichtigeren Angelegenheiten.

 

108.

 

Einige Thesen. – Dem Individuum, sofern es sein Glü ck will, soll man keine Vorschriften ü ber den Weg zum Glü ck geben: denn das individuelle Glü ck quillt aus eigenen, Jedermann unbekannten Gesetzen, es kann mit Vorschriften von Aussen her nur verhindert, gehemmt werden. – Die Vorschriften, welche man» moralisch «nennt, sind in Wahrheit gegen die Individuen gerichtet und wollen durchaus nicht deren Glü ck. Ebenso wenig beziehen sich diese Vorschriften auf das» Glü ck und die Wohlfahrt der Menschheit, «– mit welchen Worten strenge Begriffe zu verbinden ü berhaupt nicht mö glich ist, geschweige dass man sie als Leitsterne auf dem dunklen Ozean moralischer Bestrebungen gebrauchen kö nnte. – Es ist nicht wahr, dass die Moralitä t, wie das Vorurtheil will, der Entwickelung der Vernunft gü nstiger sei als die Unmoralitä t. – Es ist nicht wahr, dass das unbewusste Ziel in der Entwickelung jedes bewussten Wesens (Thier, Mensch, Menschheit u. s. w. ) sein» hö chstes Glü ck «sei: vielmehr giebt es auf allen Stufen der Entwickelung ein besonderes und unvergleichbares, weder hö heres noch niederes, sondern eben eigenthü mliches Glü ck zu erlangen. Entwickelung will nicht Glü ck, sondern Entwickelung und weiter Nichts. – Nur wenn die Menschheit ein allgemein anerkanntes Ziel hä tte, kö nnte man vorschlagen» so und so soll gehandelt werden«: einstweilen giebt es kein solches Ziel. Also soll man die Forderungen der Moral nicht in Beziehung zur Menschheit setzen, es ist diess Unvernunft und Spielerei. – Der Menschheit ein Ziel anempfehlen ist etwas ganz Anderes: dann ist das Ziel als Etwas gedacht, das in unserem Belieben ist; gesetzt, es beliebte der Menschheit so wie vorgeschlagen wird, so kö nnte sie sich daraufhin auch ein Moralgesetz geben, ebenfalls aus ihrem Belieben heraus. Aber bisher sollte das Moralgesetz ü ber dem Belieben stehen: man wollte diess Gesetz sich nicht eigentlich geben, sondern es irgendwoher nehmen oder irgendwo es auffinden oder irgendwoher es sich befehlen lassen.

 

109.

 

SelbstBeherrschung und Mä ssigung und ihr letztes Motiv. – Ich finde nicht mehr als sechs wesentlich verschiedene Methoden, um die Heftigkeit eines Triebes zu bekä mpfen. Einmal kann man den Anlä ssen zur Befriedigung des Triebes ausweichen und durch lange und immer lä ngere Zeitstrecken der Nichtbefriedigung ihn schwä chen und abdorren machen. Sodann kann man eine strenge regelmä ssige Ordnung in seiner Befriedigung sich zum Gesetz machen; indem man in ihn selber auf diese Weise eine Regel bringt und seine Fluth und Ebbe in feste Zeitgrä nzen einschliesst, hat man Zwischenzeiten gewonnen, wo er nicht mehr stö rt, – und von da aus kann man vielleicht zur ersten Methode ü bergehen. Drittens kann man sich absichtlich einer wilden und unbä ndigen Befriedigung eines Triebes ü berlassen, um den Ekel davon einzuernten und mit dem Ekel eine Macht ü ber den Trieb zu erlangen: vorausgesetzt, dass man es nicht dem Reiter gleich thut, der sein Pferd zu Tode hetzt und selber dabei den Hals bricht, – was leider die Regel bei diesem Versuche ist. Viertens giebt es einen intellectuellen Kunstgriff, nä mlich mit der Befriedigung ü berhaupt irgend einen sehr peinlichen Gedanken so fest zu verbinden, dass, nach einiger Ü bung, der Gedanke der Befriedigung immer sogleich selber als sehr peinlich empfunden wird (zum Beispiel wenn der Christ sich gewö hnt, an die Nä he und den Hohn des Teufels beim Geschlechtsgenusse, oder an ewige Hö llenstrafen fü r einen Mord aus Rache, oder auch nur an die Verä chtlichkeit zu denken, welche zum Beispiel einem Geld‑ Diebstahl im Auge der von ihm verehrtesten Menschen folgt, oder wenn Mancher schon zu hundert Malen einem heftigen Verlangen nach dem Selbstmord die Vorstellung des Jammers und der Selbstvorwü rfe von Verwandten und Freunden entgegengestellt und damit sich auf der Schwebe des Lebens erhalten hat: – jetzt folgen diese Vorstellungen in ihm auf einander, wie Ursache und Wirkung). Hierhin gehö rt es auch, wenn der Stolz des Menschen, wie zum Beispiel bei Lord Byron und Napoleon, sich aufbä umt, und das Ü bergewicht eines einzelnen Affectes ü ber die gesammte Haltung und die Ordnung der Vernunft als Beleidigung empfindet: woraus dann die Gewohnheit und die Lust entsteht, den Trieb zu tyrannisiren und ihn gleichsam knirschen zu machen. (»Ich will nicht der Sclave irgend eines Appetites sein«– schrieb Byron in sein Tagebuch. ) Fü nftens: man nimmt eine Dislocation seiner Kraftmengen vor, indem man sich irgend eine besonders schwere und anstrengende Arbeit auferlegt oder sich absichtlich einem neuen Reize und Vergnü gen unterwirft und dergestalt Gedanken und physisches Krä ftespiel in andere Bahnen lenkt. Eben darauf lä uft es auch hinaus, wenn man einen anderen Trieb zeitweilig begü nstigt, ihm reiche Gelegenheit der Befriedigung giebt und ihn so zum Verschwender jener Kraft macht, ü ber welche sonst der durch seine Heftigkeit lä stig gewordene Trieb gebieten wü rde. Dieser oder Jener versteht es wohl auch, den einzelnen Trieb, der den Gewaltherrn spielen mö chte, dadurch im Zaume zu halten, dass er allen seinen ihm bekannten anderen Trieben eine zeitweilige Aufmunterung und Festzeit giebt und sie das Futter aufzehren heisst, welches der Tyrann fü r sich allein haben will. Endlich sechstens: wer es aushä lt und vernü nftig findet, seine gesammte leibliche und seelische Organisation zu schwä chen und niederzudrü cken, der erreicht natü rlich das Ziel der Schwä chung eines einzelnen heftigen Triebes ebenfalls damit: wie zum Beispiel Der thut, welcher seine Sinnlichkeit aushungert und dabei freilich auch seine Rü stigkeit und nicht selten seinen Verstand mit aushungert und zu Schanden macht, gleich dem Asketen. – Also: den Anlä ssen ausweichen, Regel in den Trieb hineinpflanzen, Ü bersä ttigung und Ekel an ihm erzeugen, und die Association eines quä lenden Gedankens (wie den der Schande, der bö sen Folgen oder des beleidigten Stolzes) zu Stande bringen, sodann die Dislocation der Krä fte und endlich die allgemeine Schwä chung und Erschö pfung, – das sind die sechs Methoden: dass man aber ü berhaupt die Heftigkeit eines Triebes bekä mpfen will, steht nicht in unserer Macht, ebenso wenig, auf welche Methode man verfä llt, ebenso wenig, ob man mit dieser Methode Erfolg hat. Vielmehr ist unser Intellect bei diesem ganzen Vorgange ersichtlich nur das blinde Werkzeug eines anderen Triebes, welcher ein Rival dessen ist, der uns durch seine Heftigkeit quä lt: sei es der Trieb nach Ruhe oder die Furcht vor Schande und anderen bö sen Folgen oder die Liebe. Wä hrend» wir «uns also ü ber die Heftigkeit eines Triebes zu beklagen meinen, ist es im Grunde ein Trieb, weicher ü ber einen anderen klagt; das heisst: die Wahrnehmung des Leidens an einer solchen Heftigkeit setzt voraus, dass es einen ebenso heftigen oder noch heftigeren anderen Trieb giebt, und dass ein Kampf bevorsteht, in welchem unser Intellect Partei nehmen muss.

 

110.

 

Das, was sich widersetzt. – Man kann folgenden Vorgang an sich beobachten, und ich wollte, er wü rde oft beobachtet und bestä tigt. Es entsteht in uns die Witterung einer Art von Lust, die wir noch nicht kannten, und folglich entsteht ein neues Verlangen. Nun kommt es darauf an, was diesem Verlangen sich widersetzt: sind es Dinge und Rü cksichten gemeinerer Art, auch Menschen, welche wenig in unserer Achtung gelten, – so umkleidet sich das Ziel des neuen Verlangens mit der Empfindung» edel, gut, lobenswerth, opferwü rdig, «die ganze vererbte moralische Anlage nimmt es nunmehr in sich auf, legt es zu ihren als moralisch empfundenen Zielen – und jetzt meinen wir nicht mehr nach einer Lust, sondern nach einer Moralitä t zu streben: was die Zuversichtlichkeit unseres Strebens sehr vermehrt.

 

111.

 

An die Bewunderer der Objectivitä t. – Wer als Kind mannichfaltige und starke Gefü hle, aber wenig feines Urtheil und Lust an der intellectualen Gerechtigkeit, bei den Verwandten und Bekannten, unter denen er aufwuchs, wahrgenommen und folglich im Nachbilden von Gefü hlen seine beste Kraft und Zeit verbraucht hat: bemerkt als Erwachsener an sich, dass jedes neue Ding, jeder neue Mensch sofort Zuneigung oder Abneigung oder Neid oder Verachtung in ihm rege macht; unter dem Drucke dieser Erfahrung, gegen den er sich ohnmä chtig fü hlt, bewundert er die Neutralitä t der Empfindung, oder die» Objectivitä t«, wie ein Wunderding, als Sache des Genie's oder der seltensten Moralitä t, und will nicht daran glauben, dass auch sie nur das Kind der Zucht und Gewohnheit ist.

 

112.

 

Zur Naturgeschichte von Pflicht und Recht. – Unsere Pflichten – das sind die Rechte Anderer auf uns. Wodurch haben sie diese erworben? Dadurch, dass sie uns fü r vertrags‑ und vergeltungsfä hig nahmen, fü r gleich und ä hnlich mit sich ansetzten, dass sie uns daraufhin Etwas anvertrauten, uns erzogen, zurechtwiesen, unterstü tzten. Wir erfü llen unsre Pflicht – das heisst: wir rechtfertigen jene Vorstellung von unserer Macht, auf welche hin uns Alles erwiesen wurde, wir geben zurü ck, in dem Maasse, als man uns gab. So ist es unser Stolz, der die Pflicht zu thun gebeut, – wir wollen unsre Selbstherrlichkeit wiederherstellen, wenn wir dem, was Andre fü r uns thaten, Etwas entgegenstellen, das wir fü r sie thun, – denn Jene haben damit in die Sphä re unserer Macht eingegriffen und wü rden dauernd ihre Hand in ihr haben, wenn wir nicht mit der» Pflicht «eine Wiedervergeltung ü bten, das heisst in ihre Macht eingriffen. Nur auf Das, was in unsrer Macht steht, kö nnen sich die Rechte Anderer beziehen; es wä re unvernü nftig, wenn sie Etwas von uns wollten, das uns selber nicht gehö rt. Genauer muss man sagen: nur auf Das, was sie meinen, dass es in unserer Macht steht, voraussetzend, dass es das Selbe ist, von dem wir meinen, es stehe in unserer Macht. Es kö nnte leicht auf beiden Seiten der gleiche Irrthum sein: das Gefü hl der Pflicht hä ngt daran, dass wir in Bezug auf den Umkreis unserer Macht den selben Glauben haben, wie die Anderen: nä mlich dass wir bestimmte Dinge versprechen, uns zu ihnen verpflichten kö nnen (»Freiheit des Willens«). – Meine Rechte: das ist jener Theil meiner Macht, den mir die Anderen nicht nur zugestanden haben, sondern in welchem sie mich erhalten wollen. Wie kommen diese Anderen dazu? Einmal: durch ihre Klugheit und Furcht und Vorsicht: sei es, dass sie etwas Ä hnliches von uns zurü ckerwarten (Schutz ihrer Rechte), dass sie einen Kampf mit uns fü r gefä hrlich oder unzweckmä ssig halten, dass sie in jeder Verringerung unserer Kraft einen Nachtheil fü r sich erblicken, weil wir dann zum Bü ndniss mit ihnen im Gegensatz zu einer feindseligen dritten Macht ungeeignet werden. Sodann: durch Schenkung und Abtretung. In diesem Falle haben die Anderen Macht genug und ü bergenug, um davon abgeben zu kö nnen und das abgegebene Stü ck Dem, welchem sie es schenkten, zu verbü rgen: wobei ein geringes Machtgefü hl bei Dem, der sich beschenken lä sst, vorausgesetzt wird. So entstehen Rechte: anerkannte und gewä hrleistete Machtgrade. Verschieben sich die Machtverhä ltnisse wesentlich, so vergehen Rechte und es bilden sich neue, – diess zeigt das Vö lkerrecht in seinem fortwä hrenden Vergehen und Entstehen. Nimmt unsere Macht wesentlich ab, so verä ndert sich das Gefü hl Derer, welche bisher unser Recht gewä hrleisteten: sie ermessen, ob sie uns wieder in den alten Vollbesitz bringen kö nnen, – fü hlen sie sich hierzu ausser Stande, so leugnen sie von da an unsere» Rechte«. Ebenso, wenn unsere Macht erheblich zunimmt, verä ndert sich das Gefü hl Derer, welche sie bisher anerkannten und deren Anerkennung wir nun nicht mehr brauchen: sie versuchen wohl, dieselbe auf das frü here Maass herabzudrü cken, sie werden eingreifen wollen und sich auf ihre» Pflicht «dabei berufen, – aber diess ist nur ein unnü tzes Wortemachen. Wo Recht herrscht, da wird ein Zustand und Grad von Macht aufrecht erhalten, eine Verminderung und Vermehrung abgewehrt. Das Recht Anderer ist die Concession unseres Gefü hls von Macht an das Gefü hl von Macht bei diesen Anderen. Wenn sich unsere Macht tief erschü ttert und gebrochen zeigt, so hö ren unsere Rechte auf: dagegen hö ren, wenn wir sehr viel mä chtiger geworden sind, die Rechte Anderer fü r uns auf, wie wir sie bis jetzt ihnen zugestanden. – Der» billige Mensch «bedarf fortwä hrend des feinen Tactes einer Wage: fü r die Macht‑ und Rechtsgrade, welche, bei der vergä nglichen Art der menschlichen Dinge, immer nur eine kurze Zeit im Gleichgewichte schweben werden, zumeist aber sinken oder steigen: – billig sein ist folglich schwer und erfordert viel Ü bung, < viel> guten Willen und sehr viel sehr guten Geist. –

 

113.

 

Das Streben nach Auszeichnung. – Das Streben nach Auszeichnung hat forwä hrend ein Augenmerk auf den Nä chsten und will wissen, wie es ihm zu Muthe ist: aber die Mitempfindung und das Mitwissen, welche dieser Trieb zu seiner Befriedigung nö thig hat, sind weit davon entfernt, harmlos oder mitleidig oder gü tig zu sein. Man will vielmehr wahrnehmen oder errathen, wie der Nä chste an uns ä usserlich oder innerlich leidet, wie er die Gewalt ü ber sich verliert und dem Eindrucke nachgiebt, den unsere Hand oder auch nur unser Anblick auf ihn machen; und selbst wenn der nach Auszeichnung Strebende einen freudigen, erhebenden oder erheiternden Eindruck macht und machen wollte, so geniesst er diesen Erfolg doch nicht, insofern er dabei den Nä chsten erfreute, erhob, erheiterte, sondern insofern er sich der fremden Seele eindrü ckte, deren Form verä nderte und nach seinem Willen ü ber ihr waltete. Das Streben nach Auszeichnung ist das Streben nach Ü berwä ltigung des Nä chsten, sei es auch eine sehr mittelbare und nur gefü hlte oder gar erträ umte. Es giebt eine lange Reihe von Graden dieser heimlich begehrten Ü berwä ltigung, und ein vollstä ndiges Verzeichniss derselben kä me beinahe einer Geschichte der Cultur gleich, von der ersten noch fratzenhaften Barbarei an bis zur Fratze der Ü berfeinerung und der krankhaften Idealitä t hinauf. Das Streben nach Auszeichnung bringt fü r den Nä chsten mit sich – um nur einige Stufen dieser langen Leiter mit Namen zu nennen –: Martern, dann Schlä ge, dann Entsetzen, dann angstvolles Erstaunen, dann Verwunderung, dann Neid, dann Bewunderung, dann Erhebung, dann Freude, dann Heiterkeit, dann Lachen, dann Verlachen, dann Verspotten, dann Verhö hnen, dann Schlä ge‑ austheilen, dann Martern‑ anthun: – hier am Ende der Leiter steht der Asket und Mä rtyrer, er empfindet den hö chsten Genuss dabei, eben Das als Folge seines Triebes nach Auszeichnung selber davon zu tragen, was sein Gegenbild auf der ersten Sprosse der Leiter, der Barbar, dem Anderen zu leiden giebt, an dem und vor dem er sich auszeichnen will. Der Triumph des Asketen ü ber sich selber, sein dabei nach Innen gewendetes Auge, welches den Menschen zu einem Leidenden und zu einem Zuschauenden zerspaltet sieht und fü rderhin in die Aussenwelt nur hineinblickt, um aus ihr gleichsam Holz zum eigenen Scheiterhaufen zu sammeln, diese letzte Tragö die des Triebes nach Auszeichnung, bei der es nur noch Eine Person giebt, welche in sich selber verkohlt, – das ist der wü rdige Abschluss, der zu dem Anfange gehö rt: beidemal ein unsä gliches Glü ck beim Anblick von Martern! In der That, das Glü ck, als das lebendigste Gefü hl der Macht gedacht, ist vielleicht auf der Erde nirgendwo grö sser gewesen, als in den Seelen aberglä ubischer Asketen. Diess drü cken die Brahmanen in der Geschichte vom Kö nig Viç vamitra aus, der aus tausendjä hrigen Bussü bungen eine solche Kraft Schö pfte, dass er es unternahm, einen neuen Himmel zu erbauen. Ich glaube, in dieser ganzen Gattung innerer Erlebnisse sind wir jetzt grobe Neulinge und tastende Rä thselrather; vier Jahrtausende frü her wusste man mehr von diesen verruchten Verfeinerungen des Selbstgenusses. Die Schö pfung der Welt: vielleicht, dass sie damals von einem indischen Trä umer als eine asketische Procedur gedacht worden ist, welche ein Gott mit sich vornimmt! Vielleicht, dass der Gott sich in die bewegte Natur wie in ein Marterwerkzeug bannen wollte, um dabei seine Seligkeit und Macht verdoppelt zu fü hlen! Und gesetzt, es wä re gar ein Gott der Liebe: welcher Genuss fü r einen solchen, leidende Menschen zu schaffen, an der ungestillten Marter im Anblick derselben recht gö ttlich und ü bermenschlich zu leiden und sich dergestalt selber zu tyrannisiren! Und gar gesetzt, es wä re nicht nur ein Gott der Liebe, sondern auch ein Gott der Heiligkeit und Sü ndlosigkeit: welche Delirien des gö ttlichen Asketen sind zu ahnen, wenn er Sü nde und Sü nder und ewige Verdammnisse und unter seinem Himmel und Throne eine ungeheure Stä tte der ewigen Qual und des ewigen Stö hnens und Seufzens schafft! – Es ist nicht ganz unmö glich, dass auch die Seelen des Paulus, des Dante, des Calvin und ihres Gleichen einmal in die schauerlichen Geheimnisse solcher Wollü ste der Macht eingedrungen sind; – und angesichts solcher Seelen kann man fragen: ja, ist denn wirklich der Kreislauf im Streben nach Auszeichnung mit dem Asketen am letzten Ende angelangt und in sich abgerollt? Kö nnte dieser Kreis nicht noch einmal von Anfang an durchlaufen werden, mit der festgehaltenen Grundstimmung des Asketen und zugleich des mitleidenden Gottes? Also Anderen wehe thun, um sich dadurch wehe zu thun, um damit wiederum ü ber sich und sein Mitleiden zu triumphiren und in der ä ussersten Macht zu schwelgen! – Verzeihung fü r die Ausschweifung im Nachdenken ü ber Alles, was in der seelischen Ausschweifung des Machtgelü stes auf Erden schon mö glich gewesen sein kann!



  

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