Хелпикс

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Fünftes Buch 2 страница



 

252.

 

Man erwä ge. – Der gestraft wird, ist nicht mehr Der, welcher die That gethan hat. Er ist immer der Sü ndenbock.

 

253.

 

Augenschein. – Schlimm! Schlimm! Was man am besten, am hartnä ckigsten beweisen muss, das ist der Augenschein. Denn Allzuvielen fehlen die Augen, ihn zu sehen. Aber es ist so langweilig!

 

254.

 

Die Vorwegnehmenden. – Das Auszeichnende, aber auch Gefä hrliche in den dichterischen Naturen ist ihre erschö pfende Phantasie: die, welche Das, was wird und werden kö nnte, vorweg nimmt, vorweg geniesst, vorweg erleidet und im endlichen Augenblick des Geschehens und der That bereits mü de ist. Lord Byron, der diess Alles zu gut kannte, schrieb in sein Tagebuch: »Wenn ich einen Sohn habe, so soll er etwas ganz Prosaisches werden – Jurist oder Seerä uber. »

 

255.

 

Gesprä ch ü ber Musik. – A: Was sagen Sie zu dieser Musik? – B: Sie hat mich ü berwä ltigt, ich habe gar Nichts zu sagen. Horch! Da beginnt sie von Neuem! – A. ‑ Um so besser! Sehen wir zu, dass wir sie diessmal ü berwä ltigen. Darf ich einige Worte zu dieser Musik machen? Und Ihnen auch ein Drama zeigen, welches Sie vielleicht beim ersten Hö ren nicht sehen wollten? – B: Wohlan! ich habe zwei Ohren und mehr, wenn es nö thig ist. Rü cken Sie dicht an mich heran! – A: – Diess ist es noch nicht, was er uns sagen will, er verspricht bisher nur, dass er Etwas sagen werde, etwas Unerhö rtes, wie er mit diesen Gebä rden zu verstehen giebt. Denn Gebä rden sind es. Wie er winkt! sich hoch aufrichtet! die Arme wirft! Und jetzt scheint ihm der hö chste Augenblick der Spannung gekommen: noch zwei Fanfaren, und er fü hrt sein Thema vor, prä chtig und geputzt, wie klirrend von edlen Steinen. Ist es eine schö ne Frau? Oder ein schö nes Pferd? Genug, er sieht entzü ckt um sich, denn er hat Blicke des Entzü ckens zu sammeln, – jetzt erst gefä llt ihm sein Thema ganz, jetzt wird er erfindsam, wagt neue und kü hne Zü ge. Wie er sein Thema heraustreibt! Ah! Geben Sie Acht, – er versteht nicht nur, es zu schmü cken, sondern auch zu schminken! Ja, er weiss, was Farbe der Gesundheit ist, er versteht sich darauf, sie erscheinen zu lassen, – er ist feiner in seiner Selbstkenntniss, als ich dachte. Und jetzt ist er ü berzeugt, dass er seine Hö rer ü berzeugt hat, er giebt seine Einfä lle, als seien es die wichtigsten Dinge unter der Sonne, er hat unverschä mte Fingerzeige auf sein Thema, als sei es zu gut fü r diese Welt. – Ha, wie misstrauisch er ist! Dass wir nur nicht mü de werden! So verschü ttet er seine Melodien unter Sü ssigkeiten, – jetzt ruft er sogar unsere grö beren Sinne an, um uns aufzuregen und so wieder unter seine Gewalt zu bringen! Hö ren Sie, wie er das Elementarische stü rmischer und donnernder Rhythmen beschwö rt! Und jetzt, da er merkt, dass diese uns fassen, wü rgen und beinahe zerdrü cken, wagt er es, sein Thema wieder in's Spiel der Elemente zu mischen und uns Halbbetä ubte und Erschü tterte zu ü berreden, unsere Betä ubung und Erschü tterung sei die Wirkung seines Wunder‑ Thema's. Und fü rderhin glauben es ihm die Zuhö rer: sobald es erklingt, entsteht in ihnen eine Erinnerung an jene erschü tternde Elementarwirkung, – diese Erinnerung kommt jetzt dem Thema zu Gute, – es ist nun» dä monisch «geworden! Was fü r ein Kenner der Seele er ist! Er gebietet mit den Kü nsten eines Volksredners ü ber uns. – Aber die Musik verstummt! – B: Und gut, dass sie es thut! denn ich kann es nicht mehr ertragen, Sie zu hö ren! Zehnmal lieber will ich doch mich tä uschen lassen, als Einmal in Ihrer Art die Wahrheit zu wissen! – A: Diess ist es, was ich von Ihnen hö ren wollte. So, wie Sie, sind die Besten jetzt: ihr seid zufrieden damit, euch tä uschen zu lassen! Ihr kommt mit groben und lü sternen Ohren, ihr bringt das Gewissen der Kunst zum Hö ren nicht mit, ihr habt eure feinste Redlichkeit unterwegs weggeworfen! Und damit verderbt ihr die Kunst und die Kü nstler! Immer, wenn ihr klatscht und jubelt, habt ihr das Gewissen der Kü nstler in den Hä nden, – und wehe, wenn sie merken, dass ihr zwischen unschuldiger und schuldiger Musik nicht unterscheiden kö nnt! Ich meine wahrlich nicht» gute «und» schlechte «Musik, – von dieser und jener giebt es in beiden Arten! Aber ich nenne eine unschuldige Musik jene, welche ganz und gar nur an sich denkt, an sich glaubt, und ü ber sich die Welt vergessen hat, – das Von‑ selber‑ Ertö nen der tiefsten Einsamkeit, die ü ber sich mit sich redet und nicht mehr weiss, dass es Hö rer und Lauscher und Wirkungen und Missverstä ndnisse und Misserfolge da draussen giebt. – Zuletzt: die Musik, welche wir eben hö rten, ist gerade von dieser edlen und seltenen Art, und Alles, was ich von ihr sagte, war erlogen, – verzeihen Sie meine Bosheit, wenn Sie Lust haben! – B: Oh, Sie lieben also diese Musik auch? Dann sind Ihnen viele Sü nden vergeben!

 

256.

 

Glü ck der Bö sen. – Diese stillen, dü steren, bö sen Menschen haben Etwas, das ihr ihnen nicht streitig machen kö nnt, einen seltenen und seltsamen Genuss im dolce far niente, eine Abend‑ und Sonnenuntergangs‑ Ruhe, wie sie nur ein Herz kennt, das allzu oft durch Affecte verzehrt, zerrissen, vergiftet worden ist.

 

257.

 

Worte in uns gegenwä rtig. – Wir drü cken unsere Gedanken immer mit den Worten aus, die uns zur Hand sind. Oder um meinen ganzen Verdacht auszudrü cken: wir haben in jedem Momente eben nur den Gedanken, fü r welchen uns die Worte zur Hand sind, die ihn ungefä hr auszudrü cken vermö gen.

 

258.

 

Dem Hunde schmeicheln. – Man muss diesem Hunde nur einmal das Fell streichen: sofort knistert er und sprü ht Funken, wie jeder andere Schmeichler – und ist geistreich auf seine Art. Warum sollten wir ihn nicht so ertragen!

 

259.

 

Der ehemalige Lobredner. – »Er ist stumm ü ber mich geworden, obwohl er die Wahrheit jetzt weiss und sie sagen kö nnte. Aber sie wü rde wie Rache klingen – und er achtet die Wahrheit so hoch, der Achtungswü rdige!

 

260.

 

Amulet der Abhä ngigen. – Wer unvermeidlich von einem Gebieter abhä ngig ist, soll Etwas haben, wodurch er Furcht einflö sst und den Gebieter im Zaume hä lt, zum Beispiel Rechtschaffenheit oder Aufrichtigkeit oder eine bö se Zunge.

 

261.

 

Warum so erhaben! – Oh, ich kenne diess Gethier! Freilich gefä llt es sich selber besser, wenn es auf zwei Beinen» wie ein Gott «daher schreitet, – aber wenn es wieder auf seine vier Fü sse zurü ckgefallen ist, gefä llt es mir besser: diess steht ihm so unvergleichlich natü rlicher!

 

262.

 

Der Dä mon der Macht. – Nicht die Nothdurft, nicht die Begierde, – nein, die Liebe zur Macht ist der Dä mon der Menschen. Man gebe ihnen Alles, Gesundheit, Nahrung, Wohnung, Unterhaltung, – sie sind und bleiben unglü cklich und grillig: denn der Dä mon wartet und wartet und will befriedigt sein. Man nehme ihnen Alles und befriedige diesen: so sind sie beinahe glü cklich, – so glü cklich als eben Menschen und Dä monen sein kö nnen. Aber warum sage ich diess noch? Luther hat es schon gesagt, und besser als ich, in den Versen: »Nehmen sie uns den Leib, Gut, Ehr', Kind und Weib: lass fahren dahin, – das Reich muss uns doch bleiben! «Ja! Ja! Das» Reich«!

 

263.

 

Der Widerspruch leibhaft und beseelt. – Im sogenannten Genie ist ein physiologischer Widerspruch, es besitzt einmal viele wilde, unordentliche, unwillkü rliche Bewegung und sodann wiederum viele hö chste Zweckthä tigkeit der Bewegung, – dabei ist ihm ein Spiegel zu eigen, der beide Bewegungen neben einander und in einander, aber auch oft genug wider einander zeigt. In Folge dieses Anblicks ist es oft unglü cklich, und wenn es ihm am wohlsten wird, im Schaffen, so ist es, weil es vergisst, dass es gerade jetzt mit hö chster Zweckthä tigkeit etwas Phantastisches und Unvernü nftiges thut (das ist alle Kunst) – thun muss.

 

264.

 

Sich irren wollen. – Neidische Menschen mit feinerer Witterung suchen ihren Rivalen nicht genauer kennen zu lernen, um sich ihm ü berlegen fü hlen zu kö nnen.

 

265.

 

Das Theater hat seine Zeit. – Wenn die Phantasie eines Volkes nachlä sst, entsteht der Hang in ihm, seine Sagen sich auf der Bü hne vorfü hren zu lassen, jetzt erträ gt es die groben Ersatzstü cke der Phantasie, – aber fü r jenes Zeitalter, dem der epische Rhapsode zugehö rt, ist das Theater und der als Held verkleidete Schauspieler ein Hemmschuh anstatt ein Flü gel der Phantasie: zu nah, zu bestimmt, zu schwer, zu wenig Traum und Vogelflug.

 

266.

 

Ohne Anmuth. – Er hat einen Mangel an Anmuth, und weiss es: oh, wie er es versteht, diess zu maskiren! Durch strenge Tugend, durch Dü sterkeit des Blickes, durch angenommenes Misstrauen gegen die Menschen und das Dasein, durch derbe Possen, durch Verachtung der feineren Lebensart, durch Pathos und Ansprü che, durch cynische Philosophie, – ja, er ist zum Charakter geworden, im steten Bewusstsein seines Mangels.

 

267.

 

Warum so stolz – Ein edler Charakter unterscheidet sich von einem gemeinen dadurch, dass er eine Anzahl Gewohnheiten und Gesichtspuncte nicht zur Hand hat, wie jener: sie sind ihm zufä llig nicht vererbt und nicht anerzogen.

 

268.

 

Scylla und Charybdis des Redners. – Wie schwer war es in Athen, so zu sprechen, dass man die Zuhö rer fü r die Sache gewann, ohne sie durch die Form abzustossen oder von der Sache mit ihr abzuziehen! Wie schwer ist es noch in Frankreich, so zu schreiben!

 

269.

 

Die Kranken und die Kunst. – Gegen jede Art von Trü bsal und Seelen‑ Elend soll man zunä chst versuchen: Verä nderung der Diä t und kö rperliche derbe Arbeit. Aber die Menschen sind gewohnt, in diesem Falle nach Mitteln der Berauschung zu greifen: zum Beispiel nach der Kunst, – zu ihrem und der Kunst Unheil! Merkt ihr nicht, dass, wenn ihr als Kranke nach der Kunst verlangt, ihr die Kü nstler krank macht?

 

270.

 

Anscheinende Toleranz. – Es sind diess gute, wohlwollende, verstä ndige Worte ü ber und fü r die Wissenschaft, aber! aber! ich sehe hinter diese eure Toleranz gegen die Wissenschaft! Im Winkel eures Herzens meint ihr trotz alledem, sie sei euch nicht nö thig, es sei grossmü thig von euch, sie gelten zu lassen, ja, ihre Fü rsprecher zu sein, zumal die Wissenschaft gegen eure Meinungen nicht diese Grossmuth ü be! Wisst ihr, dass ihr gar kein Recht zu dieser Toleranz‑ Ü bung habt? dass diese huldreiche Gebä rde eine grö bere Verunglimpfung der Wissenschaft ist, als ein offener Hohn, welchen sich irgend ein ü bermü thiger Priester oder Kü nstler gegen sie erlaubt? Es fehlt euch jenes strenge Gewissen fü r Das, was wahr und wirklich ist, es quä lt und martert euch nicht, die Wissenschaft im Widerspruch mit euren Empfindungen zu finden, ihr kennt die gierige Sehnsucht der Erkenntniss nicht als ein Gesetz ü ber euch waltend, ihr fü hlt keine Pflicht in dem Verlangen, mit dem Auge ü berall gegenwä rtig zu sein, wo erkannt wird, Nichts sich entschlü pfen zu lassen, was erkannt ist. Ihr kennt Das nicht, was ihr so tolerant behandelt! Und nur, weil ihr es nicht kennt, gelingt es euch, so gnä dige Mienen anzunehmen! Ihr, gerade ihr wü rdet erbittert und fanatisch blicken, wenn die Wissenschaft euch einmal in's Gesicht leuchten wollte, mit ihren Augen – Was kü mmert es uns also, dass ihr Toleranz ü bt – gegen ein Phantom! und nicht einmal gegen uns! Und was liegt an uns!

 

271.

 

Die Feststimmung. – Gerade fü r jene Menschen, welche am hitzigsten nach Macht streben, ist es unbeschreiblich angenehm, sich ü berwä ltigt zu fü hlen! Plö tzlich und tief in ein Gefü hl, wie in einen Strudel hinabzusinken! Sich die Zü gel aus der Hand reissen zu lassen, und einer Bewegung wer weiss wohin? zuzusehen! Wer es ist, was es ist, das uns diesen Dienst leistet, – es ist ein grosser Dienst: wir sind so glü cklich und athemlos und fü hlen eine Ausnahme‑ Stille um uns wie im mittelsten Grunde der Erde. Einmal ganz ohne Macht! Ein Spielball von Urkrä ften! Es ist eine Ausspannung in diesem Glü ck, ein Abwerfen der grossen Last, ein Abwä rtsrollen ohne Mü hen wie in blinder Schwerkraft. Es ist der Traum des Bergsteigers, der sein Ziel zwar oben hat, aber unterwegs aus tiefer Mü digkeit einmal einschlä ft und vom Glü ck des Gegensatzes – eben vom mü helosesten Abwä rtsrollen – trä umt. – Ich beschreibe das Glü ck, wie ich es mir bei unserer jetzigen gehetzten, machtdü rstigen Gesellschaft Europas und Amerika's denke. Hier und da wollen sie einmal in die Ohnmacht zurü cktaumeln, – diesen Genuss bieten ihnen Kriege, Kü nste, Religionen, Genie's. Wenn man sich einem Alles verschlingenden und zerdrü ckenden Eindruck einmal zeitweilig ü berlassen hat – es ist die moderne Feststimmung! – dann ist man wieder freier, erholter, kä lter, strenger und strebt unermü dlich nach dem Gegentheil weiter: nach Macht. –

 

272.

 

Die Reinigung der Rasse. – Es giebt wahrscheinlich keine reinen, sondern nur reingewordene Rassen, und diese in grosser Seltenheit. Das Gewö hnliche sind die gekreuzten Rassen, bei denen sich immer, neben der Disharmonie von Kö rperformen (zum Beispiel wenn Auge und Mund nicht zu einander stimmen), auch Disharmonien der Gewohnheiten und Werthbegriffe finden mü ssen. (Livingstone hö rte Jemand sagen: »Gott schuf weisse und schwarze Menschen, der Teufel aber schuf die Halbrassen«. ) Gekreuzte Rassen sind stets zugleich auch gekreuzte Culturen, gekreuzte Moralitä ten: sie sind meistens bö ser, grausamer, unruhiger. Die Reinheit ist das letzte Resultat von zahllosen Anpassungen, Einsaugungen und Ausscheidungen, und der Fortschritt zur Reinheit zeigt sich darin, dass die in einer Rasse vorhandene Kraft sich immer mehr auf einzelne ausgewä hlte Functionen beschrä nkt, wä hrend sie vordem zu viel und oft Widersprechendes zu besorgen hatte: eine solche Beschrä nkung wird sich immer zugleich auch wie eine Verarmung ausnehmen und will vorsichtig und zart beurtheilt sein. Endlich aber, wenn der Process der Reinigung gelungen ist, steht alle jene Kraft, die frü her bei dem Kampfe der disharmonischen Eigenschaften daraufgieng, dem gesammten Organismus zu Gebote: wesshalb reingewordene Rassen immer auch stä rker und schö ner geworden sind. – Die Griechen geben uns das Muster einer reingewordenen Rasse und Cultur: und hoffentlich gelingt einmal auch eine reine europä ische Rasse und Cultur.

 

273.

 

Das Loben. – Hier ist Einer, dem du anmerkst, dass er dich loben will: du beisst die Lippen zusammen, das Herz wird geschnü rt: ach, dass der Kelch vorü bergienge! Aber er geht nicht, er kommt! Trinken wir also die sü sse Unverschä mtheit des Lobredners, ü berwinden wir den Ekel und die tiefe Verachtung fü r den Kern seines Lobes, ziehen wir die Falten der dankbaren Freude ü ber's Gesicht! – er hat uns ja wohlthun wollen! Und jetzt, nachdem es geschehen, wissen wir, dass er sich sehr erhaben fü hlt, er hat einen Sieg ü ber uns errungen, – ja! und auch ü ber sich selber, der Hund! – denn es wurde ihm nicht leicht, sich diess Lob abzuringen.

 

274.

 

Menschenrecht und – vorrecht. – Wir Menschen sind die einzigen Geschö pfe, welche, wenn sie missrathen, sich selber durchstreichen kö nnen wie einen missrathenen Satz, – sei es, dass wir diess zur Ehre der Menschheit oder aus Mitleiden mit ihr oder aus Widerwillen gegen uns thun.

 

275.

 

Der Verwandelte. – jetzt wird er tugendhaft, nur um Anderen wehe damit zu thun. Seht nicht soviel nach ihm hin!

 

276.

 

Wie oft! Wie unverhofft! – Wie viele verheirathete Mä nner haben den Morgen erlebt, wo es ihnen tagte, dass ihre junge Gattin langweilig ist und das Gegentheil glaubt! Gar nicht zu reden von jenen Weibern, deren Fleisch willig und deren Geist schwach ist!

 

277.

 

Warme und kalte Tugenden. – Den Muth als kalte Herzhaftigkeit und Unerschü tterlichkeit und den Muth als hitzige, halbblinde Bravour, – beides nennt man mit Einem Namen! Wie verschieden sind doch die kalten Tugenden von den warmen! Und Narr wä re Der, welcher meinte, das» Gutsein «werde nur durch die Wä rme hinzugethan: und kein geringerer Narr Der, welcher es nur der Kä lte zuschreiben wollte! Die Wahrheit ist, dass die Menschheit den warmen und den kalten Muth sehr nü tzlich gefunden hat, und ü berdiess nicht hä ufig genug, um ihn nicht in beiden Farben unter die Edelsteine zu rechnen.

 

278.

 

Das verbindliche Gedä chtniss. – Wer einen hohen Rang hat, thut gut, sich ein verbindliches Gedä chtniss anzuschaffen, das heisst, sich von den Personen alles mö gliche Gute zu merken und dahinter einen Strich zu machen: damit hä lt man sie in einer angenehmen Abhä ngigkeit. So kann der Mensch auch mit sich selber verfahren: ob er ein verbindliches Gedä chtniss hat oder nicht, das entscheidet zuletzt ü ber seine eigene Haltung zu sich selber, ü ber die Vornehmheit, Gü te oder das Misstrauen bei der Beobachtung seiner Neigungen und Absichten und zuletzt wieder ü ber die Art der Neigungen und Absichten selber.

 

279.

 

Worin wir Kü nstler werden. – Wer Jemanden zu seinem Abgott macht, versucht, sich vor sich selber zu rechtfertigen, indem er ihn in's Ideal erhebt; er wird zum Kü nstler daran, um ein gutes Gewissen zu haben. Wenn er leidet, so leidet er nicht am Nicht wissen, sondern am Sich‑ belü gen, als ob er nicht wü sste. – Die innere Noth und Lust eines solchen Menschen – und alle leidenschaftlich Liebenden gehö ren dazu – ist mit gewö hnlichen Eimern nicht auszuschö pfen.

 

280.

 

Kindlich. – Wer lebt, wie die Kinder – also nicht um sein Brod kä mpft und nicht glaubt, dass seinen Handlungen eine endgü ltige Bedeutung zukomme – bleibt kindlich.

 

281.

 

Das Ich will Alles haben. – Es scheint, dass der Mensch ü berhaupt nur handelt, um zu besitzen: wenigstens legen die Sprachen diesen Gedanken nahe, welche alles vergangene Handeln so betrachten, als ob wir damit Etwas besä ssen (»ich habe gesprochen, gekä mpft, gesiegt«: das ist, ich bin nun im Besitze meines Spruches, Kampfes, Sieges). Wie habsü chtig nimmt sich hierbei der Mensch aus! Selbst die Vergangenheit sich nicht entwinden lassen, gerade auch sie noch haben wollen!

 

282.

 

Gefahr in der Schö nheit. – Diese Frau ist schö n und klug: ach, wie viel klü ger aber wü rde sie geworden sein, wenn sie nicht schö n wä re!

 

283.

 

Hausfrieden und Seelenfrieden. – Unsere gewö hnliche Stimmung hä ngt von der Stimmung ab, in der wir unsere Umgebung zu erhalten wissen.

 

284.

 

Das Neue als alt vorbringen. – Viele erscheinen, gereizt, wenn man ihnen eine Neuigkeit erzä hlt, sie empfinden das Ü bergewicht, welches die Neuigkeit Dem giebt, der sie frü her weiss.

 

285.

 

Wo hö rt das Ich auf? – Die Meisten nehmen eine Sache, die sie wissen, unter ihre Protection, wie als ob das Wissen sie schon zu ihrem Eigenthum mache. Die Aneignungslust des Ichgefü hls hat keine Grä nzen: die grossen Mä nner reden so, als ob die ganze Zeit hinter ihnen stü nde und sie der Kopf dieses langen Leibes seien, und die guten Frauen rechnen sich die Schö nheit ihrer Kinder, ihrer Kleider, ihres Hundes, ihres Arztes, ihrer Stadt zum Verdienste und wagen es nur nicht, zu sagen» das Alles bin ich«. Chi non ha, non sagt man in Italien.

 

286.

 

Hausund Schoossthiere und Verwandtes. – Giebt es etwas Ekelhafteres, als die Sentimentalitä t gegen Pflanzen und Thiere, von Seiten eines Geschö pfes, das wie der wü thendste Feind von Anbeginn unter ihnen gehaust hat und zuletzt bei seinen geschwä chten und verstü mmelten Opfern gar noch auf zä rtliche Gefü hle Anspruch erhebt! Vor dieser Art» Natur «geziemt dem Menschen vor Allem Ernst, wenn anders er ein denkender Mensch ist.

 

287.

 

Zwei Freunde. – Es waren Freunde, aber sie haben aufgehö rt, es zu sein, und sie knü pften von beiden Seiten zugleich ihre Freundschaft los, der Eine, weil er sich zu sehr verkannt glaubte, der Andere, weil er sich zu sehr erkannt glaubte – und Beide haben sich dabei getä uscht! – denn Jeder von ihnen kannte sich selber nicht genug.

 

288.

 

Komö die der Edlen. – Die, welchen die edle herzliche Vertraulichkeit nicht gelingt, versuchen es, ihre edle Natur durch Zurü ckhaltung und Strenge und eine gewisse Geringschä tzung der Vertraulichkeit errathen zu lassen: wie als ob das starke Gefü hl ihres Vertrauens Scham hä tte, sich zu zeigen.

 

289.

 

Wo man Nichts gegen eine Tugend sagen darf. – Unter den Feiglingen ist es von schlechtem Tone, etwas gegen die Tapferkeit zu sagen, und erregt Verachtung; und rü cksichtslose Menschen zeigen sich erbittert, wenn Etwas gegen das Mitleiden gesagt wird.

 

290.

 

Eine Vergeudung. – Bei erregbaren und plö tzlichen Naturen sind die ersten Worte und Handlungen meisthin unbezeichnend fü r ihren eigentlichen Charakter (sie werden durch die Umstä nde eingegeben und sind gleichsam Nachahmungen vom Geiste der Umstä nde), aber weil sie einmal gesprochen und gethan sind, so mü ssen die spä ter nachkommenden eigentlichen Charakterworte und Charakterhandlungen hä ufig im Ausgleichen oder im Wieder‑ gut‑ oder – vergessen‑ Machen daraufgehen.

 

291.

 

Anmaassung. – Anmaassung ist ein gespielter und erheuchelter Stolz; dem Stolze aber ist gerade eigenthü mlich, dass er kein Spiel, keine Verstellung und Heuchelei kann und mag, – insofern ist die Anmaassung die Heuchelei der Unfä higkeit zur Heuchelei, etwas sehr Schweres und meist Misslingendes. Gesetzt aber, dass er sich, wie gewö hnlich geschieht, dabei verrä th, so erwartet den Anmaassenden eine dreifache Unannehmlichkeit: man zü rnt ihm, weil er uns betrü gen will, und zü rnt ihm, weil er sich ü ber uns hat erhaben zeigen wollen, – und zuletzt lacht man noch ü ber ihn, weil ihm Beides missrathen ist. Wie sehr ist also von der Anmaassung abzurathen!

 

292.

 

Eine Art Verkennung. – Wenn wir Jemanden sprechen hö ren, so genü gt oft der Klang eines einzigen Consonanten (zum Beispiel eines r), um uns einen Zweifel ü ber die Ehrlichkeit seiner Empfindung einzuflö ssen: wir sind diesen Klang nicht gewö hnt und wü rden ihn machen mü ssen, mit Willkü r, – er klingt uns» gemacht«. Hier ist ein Gebiet der grö bsten Verkennung: und das Selbe gilt vom Stile eines Schriftstellers, der Gewohnheiten hat, welche nicht aller Welt Gewohnheiten sind. Seine» Natü rlichkeit «wird nur von ihm als solche empfunden, und gerade mit dem, was er selber als» gemacht «fü hlt, weil er damit einmal der Mode und dem sogenannten» guten Geschmacke «nachgegeben hat, gefä llt er vielleicht und erregt Zutrauen.

 

293.

 

Dankbar. – Ein Gran dankbaren Sinnes und Pietä t zu viel: – und man leidet daran wie an einem Laster und gerä th mit seiner ganzen Selbstä ndigkeit und Redlichkeit unter das bö se Gewissen.

 

294.

 

Heilige. – Die sinnlichsten Mä nner sind es, welche vor den Frauen fliehn und den Leib martern mü ssen.

 

295.

 

Feinheit des Dienens. – Innerhalb der grossen Kunst des Dienens gehö rt es zu den feinsten Aufgaben, einem unbä ndig Ehrgeizigen zu dienen, der zwar der stä rkste Egoist in Allem ist, aber durchaus nicht dafü r gelten will (es ist diess gerade ein Stü ck seines Ehrgeizes), dem Alles nach Willen und Laune geschehen muss und doch immer so, dass es den Anschein hat, als ob er sich aufopferte und selten fü r sich selber Etwas wollte.

 

296.

 

Das Duell. – Ich erachte es als einen Vortheil, sagte Jemand, ein Duell haben zu kö nnen, wenn ich durchaus eines nö thig habe; denn es giebt allezeit brave Kameraden um mich. Das Duell ist der letzte ü brig gebliebene, vö llig ehrenvolle Weg zum Selbstmord, leider ein Umschweif, und nicht einmal ein ganz sicherer.

 

297.

 

Verderblich. – Man verdirbt einen Jü ngling am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden hö her zu achten, als den Andersdenkenden.

 

298.

 

Der HeroenCultus und seine Fanatiker. – Der Fanatiker eines Ideals, welches Fleisch und Blut hat, ist gewö hnlich so lange im Rechte, als er verneint, und er ist furchtbar darin: er kennt das Verneinte so gut wie sich selber, aus dem einfachsten Grunde, dass er von dorther kommt, dort zu Hause ist und sich im Geheimen immer fü rchtet, dorthin noch zurü ckzumü ssen, – er will sich die Rü ckkehr unmö glich machen, durch die Art, wie er verneint. Sobald er aber bejaht, macht er die Augen halb zu und fä ngt an zu idealisiren (hä ufig auch nur, um den zu Hause Gebliebenen damit wehe zu thun – ); man nennt diess wohl etwas Kü nstlerisches, – gut, aber es ist auch etwas Unredliches daran. Der Idealist einer Person stellt sich diese Person so in die Ferne, dass er sie nicht mehr scharf sehen kann – und nun deutet er, was er noch sieht, in's» Schö ne «um, das will sagen: in's Symmetrische, Weichlinienhafte, Unbestimmte. Da er sein in der Ferne und Hö he schwebendes Ideal nunmehr auch anbeten will, so hat er, zum Schutze vor dem profanum vulgus, nö thig, einen Tempel fü r seine Anbetung zu bauen. Hierhin bringt er alle ehrwü rdigen und geweihten Gegenstä nde, die er sonst noch besitzt, damit deren Zauber auch noch dem Ideal zu Gute komme und es in dieser Nahrung wachse und immer gö ttlicher werde. Zuletzt hat er wirklich seinen Gott fertig gemacht, – aber wehe! es giebt Einen, der darum weiss, wie das zugegangen ist, sein intellectuelles Gewissen, – und es giebt auch Einen, der dagegen, ganz unbewusst, protestirt, nä mlich der Vergö ttlichte selber, der nunmehr, in Folge von Cultus, Lobgesang und Weihrauch, unausstehlich wird und augenscheinlich in abscheulicher Weise sich als Nicht‑ Gott und All‑ zu‑ sehr‑ Mensch verrä th. Hier bleibt nun einem solchen Fanatiker nur noch Ein Ausweg: er lä sst sich und seines Gleichen geduldig misshandeln und interpretirt das ganze Elend auch noch in majorem dei gloriam, durch eine neue Gattung von Selbstbetrug und edler Lü ge: er nimmt gegen sich Partei und empfindet, als Gemisshandelter und als Interpret, dabei Etwas wie ein Martyrium, – so steigt er auf den Gipfel seines Dü nkels. – Menschen dieser Art lebten zum Beispiel um Napoleon: ja vielleicht ist gerade er es, der die romantische dem Geiste der Aufklä rung fremde Prostration vor dem» Genie «und dem» Heros «unserem Jahrhundert in die Seele gegeben hat, er, vor dem ein Byron sich nicht zu sagen schä mte, er sei ein» Wurm gegen solch ein Wesen«. (Die Formeln einer solchen Prostration sind von jenem alten anmaasslichen Wirr‑ und Murrkopfe, Thomas Carlyle, gefunden worden, der ein langes Leben darauf verwendet hat, die Vernunft seiner Englä nder romantisch zu machen: umsonst! )



  

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