Хелпикс

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Drittes Buch 2 страница



 

114.

 

Von der Erkenntniss des Leidenden. – Der Zustand kranker Menschen, die lange und furchtbar von ihren Leiden gemartert werden und deren Verstand trotzdem dabei sich nicht trü bt, ist nicht ohne Werth fü r die Erkenntniss, – noch ganz abgesehen von den intellectuellen Wohlthaten, welche jede tiefe Einsamkeit, jede plö tzliche und erlaubte Freiheit von allen Pflichten und Gewohnheiten mit sich bringen. Der Schwerleidende sieht aus seinem Zustande mit einer entsetzlichen Kä lte hinaus auf die Dinge: alle jene kleinen lü gnerischen Zaubereien, in denen fü r gewö hnlich die Dinge schwimmen, wenn das Auge des Gesunden auf sie blickt, sind ihm verschwunden: ja, er selber liegt vor sich da ohne Flaum und Farbe. Gesetzt, dass er bisher in irgend einer gefä hrlichen Phantasterei lebte: diese hö chste Ernü chterung durch Schmerzen ist das Mittel, ihn herauszureissen: und vielleicht das einzige Mittel. (Es ist mö glich, dass diess dem Stifter des Christenthums am Kreuze begegnete: denn die bittersten aller Worte» mein Gott, warum hast du mich verlassen! «enthalten, in aller Tiefe verstanden, wie sie verstanden werden dü rfen, das Zeugniss einer allgemeinen Enttä uschung und Aufklä rung ü ber den Wahn seines Lebens; er wurde in dem Augenblicke der hö chsten Qual hellsichtig ü ber sich selber, so wie der Dichter es von dem armen sterbenden Don Quixote erzä hlt. ) Die ungeheure Spannung des Intellectes, welcher dem Schmerz Widerpart halten will, macht, dass Alles, worauf er nun blickt, in einem neuen Lichte leuchtet: und der unsä gliche Reiz, den alle neuen Beleuchtungen geben, ist oft mä chtig genug, um allen Anlockungen zum Selbstmorde Trotz zu bieten und das Fortleben dem Leidenden als hö chst begehrenswerth erscheinen zu lassen. Mit Verachtung gedenkt er der gemü thlichen warmen Nebelwelt, in der der Gesunde ohne Bedenken wandelt; mit Verachtung gedenkt er der edelsten und geliebtesten Illusionen, in denen er frü her mit sich selber spielte; er hat einen Genuss daran, diese Verachtung wie aus der tiefsten Hö lle heraufzubeschwö ren und der Seele so das bitterste Leid zu machen: durch dieses Gegengewicht hä lt er eben dem physischen Schmerze Stand, – er fü hlt es, dass gerade diess Gegengewicht jetzt noththut! In einer schauerlichen Hellsichtigkeit ü ber sein Wesen ruft er sich zu: »sei einmal dein eigener Anklä ger und Henker, nimm einmal dein Leiden als die von dir ü ber dich verhä ngte Strafe! Geniesse deine Ü berlegenheit als Richter; mehr noch: geniesse dein Belieben, deine tyrannische Willkü r! Erhebe dich ü ber dein Leben wie ü ber dein Leiden, sieh hinab in die Grü nde und die Grundlosigkeit! «Unser Stolz bä umt sich auf, wie noch nie: es hat fü r ihn einen Reiz ohne Gleichen, gegen einen solchen Tyrannen wie der Schmerz ist, und gegen alle die Einflü sterungen, die er uns macht, damit wir gegen das Leben Zeugniss ablegen, – gerade das Leben gegen den Tyrannen zu vertreten. In diesem Zustande wehrt man sich mit Erbitterung gegen jeden Pessimismus, damit er nicht als Folge unseres Zustandes erscheine und uns als Besiegte demü thige. Nie ist ebenfalls der Reiz, Gerechtigkeit des Urtheils zu ü ben, grö sser, als jetzt, denn jetzt ist es ein Triumph ü ber uns und den reizbarsten aller Zustä nde, der jede Ungerechtigkeit des Urtheils entschuldbar machen wü rde; – aber wir wollen nicht entschuldigt sein, gerade jetzt wollen wir zeigen, dass wir» ohne Schuld «sein kö nnen. Wir befinden uns in fö rmlichen Krä mpfen des Hochmuths. – Und nun kommt der erste Dä mmerschein der Milderung, der Genesung – und fast die erste Wirkung ist, dass wir uns gegen die Ü bermacht unseres Hochmuthes wehren: wir nennen uns darin albern und eitel, – als ob wir Etwas erlebt hä tten, das einzig wä re! Wir demü thigen ohne Dankbarkeit den allmä chtigen Stolz, durch den wir eben den Schmerz ertrugen und verlangen heftig nach einem Gegengift des Stolzes: wir wollen uns entfremdet und entpersö nlicht werden, nachdem der Schmerz uns zu gewaltsam und zu lange persö nlich gemacht hatte. »Weg, weg mit diesem Stolze! rufen wir, er war eine Krankheit und ein Krampf mehr! «Wir sehen wieder hin auf Menschen und Natur – mit einem verlangenderen Auge: wir erinnern uns wehmü thig lä chelnd, dass wir Einiges in Bezug auf sie jetzt neu und anders wissen, als vorher, dass ein Schleier gefallen ist, – aber es erquickt uns so, wieder die gedä mpften Lichter des Lebens zu sehen und aus der furchtbaren nü chternen Helle herauszutreten, in welcher wir als Leidende die Dinge und durch die Dinge hindurch sahen. Wir zü rnen nicht, wenn die Zaubereien der Gesundheit wieder zu spielen beginnen, – wir sehen wie umgewandelt zu, milde und immer noch mü de. In diesem Zustande kann man nicht Musik hö ren, ohne zu weinen. –

 

115.

 

Das sogenannte» Ich«. – Die Sprache und die Vorurtheile, auf denen die Sprache aufgebaut ist, sind uns vielfach in der Ergrü ndung innerer Vorgä nge und Triebe hinderlich: zum Beispiel dadurch, dass eigentlich Worte allein fü r superlativische Grade dieser Vorgä nge und Triebe da sind –; nun aber sind wir gewohnt, dort, wo uns Worte fehlen, nicht mehr genau zu beobachten, weil es peinlich ist, dort noch genau zu denken; ja, ehedem schloss man unwillkü rlich, wo das Reich der Worte aufhö re, hö re auch das Reich des Daseins auf. Zorn, Hass, Liebe, Mitleid, Begehren, Erkennen, Freude, Schmerz, – das sind Alles Namen fü r extreme Zustä nde: die milderen mittleren und gar die immerwä hrend spielenden niederen Grade entgehen uns, und doch weben sie gerade das Gespinnst unseres Charakters und Schicksals. Jene extremen Ausbrü che – und selbst das mä ssigste uns bewusste Wohlgefallen oder Missfallen beim Essen einer Speise, beim Hö ren eines Tones ist vielleicht immer noch, richtig abgeschä tzt, ein extremer Ausbruch – zerreissen sehr oft das Gespinnst und sind dann gewaltthä tige Ausnahmen, zumeist wohl in Folge von Aufstauungen: – und wie vermö gen sie als solche den Beobachter irre zu fü hren! Nicht weniger, als sie den handelnden Menschen in die Irre fü hren. Wir sind Alle nicht Das, als was wir nach den Zustä nden erscheinen, fü r die wir allein Bewusstsein und Worte – und folglich Lob und Tadel – haben; wir verkennen uns nach diesen grö beren Ausbrü chen, die uns allein bekannt werden, wir machen einen Schluss aus einem Material, in welchem die Ausnahmen die Regel ü berwiegen, wir verlesen uns in dieser scheinbar deutlichsten Buchstabenschrift unseres Selbst. Unsere Meinung ü ber uns aber, die wir auf diesem falschen Wege gefunden haben, das sogenannte» Ich«, arbeitet fü rderhin mit an unserem Charakter und Schicksal. –

 

116.

 

Die unbekannte Welt des» Subjects«. – Das, was den Menschen so schwer zu begreifen fä llt, ist ihre Unwissenheit ü ber sich selber, von den ä ltesten Zeiten bis jetzt! Nicht nur in Bezug auf gut und bö se, sondern in Bezug auf viel Wesentlicheres! Noch immer lebt der uralte Wahn, dass man wisse, ganz genau wisse, wie das menschliche Handeln zu Stande komme, in jedem Falle. Nicht nur» Gott, der in's Herz sieht«., nicht nur der Thä ter, der seine That ü berlegt, – nein, auch jeder Andere zweifelt nicht, das Wesentliche im Vorgange der Handlung jedes Andern zu verstehen. »Ich weiss, was ich will, was ich gethan habe, ich bin frei und verantwortlich dafü r, ich mache den Andern verantwortlich, ich kann alle sittlichen Mö glichkeiten und alle inneren Bewegungen, die es vor einer Handlung giebt, beim Namen nennen; ihr mö gt handeln, wie ihr wollt, – ich verstehe darin mich und euch Alle! «– so dachte ehemals Jeder, so denkt fast noch Jeder. Sokrates und Plato, in diesem Stü cke grosse Zweifler und bewunderungswü rdige Neuerer, waren doch harmlos glä ubig in Betreff jenes verhä ngnissvollsten Vorurtheils, jenes tiefsten Irrthums, dass» der richtigen Erkenntniss die richtige Handlung folgen mü sse«, – sie waren in diesem Grundsatze immer noch die Erben des allgemeinen Wahnsinns und Dü nkels: dass es ein Wissen um das Wesen einer Handlung gebe. »Es wä re ja schrecklich, wenn der Einsicht in das Wesen der rechten That nicht die rechte That folgte«, – diess ist die einzige Art, wie jene Grossen diesen Gedanken zu beweisen fü r nö thig hielten, das Gegentheil schien ihnen undenkbar und toll – und doch ist diess Gegentheil gerade die nackte, seit Ewigkeiten tä glich und stü ndlich bewiesene Wirklichkeit! Ist es nicht gerade die» schreckliche «Wahrheit: dass, was man von einer That ü berhaupt wissen kann, niemals ausreicht, sie zu thun, dass die Brü cke von der Erkenntniss zur That in keinem einzigen Falle bisher geschlagen worden ist? Die Handlungen sind niemals Das, als was sie uns erscheinen! Wir haben so viel Mü he gehabt, zu lernen, dass die ä usseren Dinge nicht so sind, wie sie uns erscheinen, – nun wohlan! mit der inneren Welt steht es ebenso! Die moralischen Handlungen sind in Wahrheit» etwas Anderes«, – mehr kö nnen wir nicht sagen: und alle Handlungen sind wesentlich unbekannt. Das Gegentheil war und ist der allgemeine Glaube: wir haben den ä ltesten Realismus gegen uns; bis jetzt dachte die Menschheit: »eine Handlung ist Das, als was sie uns erscheint. «(Beim Wiederlesen dieser Worte kommt mir eine sehr ausdrü ckliche Stelle Schopenhauer's in's Gedä chtniss, welche ich anfü hren will, zum Beweise, dass auch er noch, und zwar ohne jeden Scrupel, in diesem moralischen Realismus hä ngt und hä ngen geblieben ist: »Wirklich ist Jeder von uns ein competenter und vollkommen moralischer Richter, Gutes und Bö ses genau kennend, heilig, indem er das Gute liebt und das Bö se verabscheut, – diess Alles ist Jeder, insofern nicht seine eigenen, sondern fremde Handlungen untersucht werden und er blos zu billigen und zu missbilligen hat, die Last der Ausfü hrung aber von fremden Schultern getragen wird. Jeder kann demnach als Beichtiger ganz und gar die Stelle Gottes vertreten. «)

 

117.

 

Im Gefä ngniss. – Mein Auge, wie stark oder schwach es nun ist, sieht nur ein Stü ck weit, und in diesem Stü ck webe und lebe ich, diese Horizont‑ Linie ist mein nä chstes grosses und kleines Verhä ngniss, dem ich nicht entlaufen kann. Um jedes Wesen legt sich derart ein concentrischer Kreis, der einen Mittelpunct hat und der ihm eigenthü mlich ist. Ä hnlich schliesst uns das Ohr in einen kleinen Raum ein, ä hnlich das Getast. Nach diesen Horizonten, in welche, wie in Gefä ngnissmauern, Jeden von uns unsere Sinne einschliessen, messen wir nun die Welt, wir nennen Dieses nah und Jenes fern, Dieses gross und Jenes klein, Dieses hart und Jenes weich: diess Messen nennen wir Empfinden, – es sind Alles, Alles Irrthü mer an sich! Nach der Menge von Erlebnissen und Erregungen, die uns durchschnittlich in einem Zeitpuncte mö glich sind, misst man sein Leben, als kurz oder lang, arm oder reich, voll oder leer: und nach dem durchschnittlichen menschlichen Leben misst man das aller anderen Geschö pfe, – es sind Alles, Alles Irrthü mer an sich! Hä tten wir hundertfach schä rfere Augen fü r die Nä he, so wü rde uns der Mensch ungeheuer lang erscheinen; ja, es sind Organe denkbar, vermö ge deren er als unermesslich empfunden wü rde. Andererseits kö nnten Organe so beschaffen sein, dass ganze Sonnensysteme verengt und zusammengeschnü rt gleich einer einzigen Zelle empfunden werden: und vor Wesen entgegengesetzter Ordnung kö nnte Eine Zelle des menschlichen Leibes sich als ein Sonnensystem in Bewegung, Bau und Harmonie darstellen. Die Gewohnheiten unserer Sinne haben uns in Lug und Trug der Empfindung eingesponnen: diese wieder sind die Grundlagen aller unserer Urtheile und» Erkenntnisse«, – es giebt durchaus kein Entrinnen, keine Schlupf‑ und Schleichwege in die wirkliche Welt! Wir sind in unserem Netze, wir Spinnen, und was wir auch darin fangen, wir kö nnen gar Nichts fangen, als was sich eben in unsere in Netze fangen lä sst.

 

118.

 

Was ist denn der Nä chste! – Was begreifen wir denn von unserem Nä chsten, als seine Grä nzen, ich meine, Das, womit er sich auf und an uns gleichsam einzeichnet und eindrü ckt? Wir begreifen Nichts von ihm, als die Verä nderungen an uns, deren Ursache er ist, – unser Wissen von ihm gleicht einem hohlen geformten Raume. Wir legen ihm die Empfindungen bei, die seine Handlungen in uns hervorrufen, und geben ihm so eine falsche umgekehrte Positivitä t. Wir bilden ihn nach unserer Kenntniss von uns, zu einem Satelliten unseres eigenen Systems: und wenn er uns leuchtet oder sich verfinstert, und wir von Beidem die letzte Ursache sind, – so glauben wir doch das Gegentheil! Welt der Phantome, in der wir leben! Verkehrte, umgestü lpte, leere, und doch voll und gerade geträ umte Welt!

 

119.

 

Erleben und Erdichten. – Wie weit Einer seine Selbstkenntniss auch treiben mag, Nichts kann doch unvollstä ndiger sein, als das Bild der gesammten Triebe, die sein Wesen constituiren. Kaum dass er die grö beren beim Namen nennen kann: ihre Zahl und Stä rke, ihre Ebbe und Fluth, ihr Spiel und Widerspiel unter einander, und vor Allem die Gesetze ihrer Ernä hrung bleiben ihm ganz unbekannt. Diese Ernä hrung wird also ein Werk des Zufalls: unsere tä glichen Erlebnisse werfen bald diesem, bald jenem Triebe eine Beute zu, die er gierig erfasst, aber das ganze Kommen und Gehen dieser Ereignisse steht ausser allem vernü nftigen Zusammenhang mit den Nahrungsbedü rfnissen der gesammten Triebe: sodass immer Zweierlei eintreten wird, das Verhungern und Verkü mmern der einen und die Ü berfü tterung der anderen. Jeder Moment unseres Lebens lä sst einige Polypenarme unseres Wesens wachsen und einige andere verdorren, je nach der Nahrung, die der Moment in sich oder nicht in sich trä gt. Unsere Erfahrungen, wie gesagt, sind alle in diesem Sinne Nahrungsmittel, aber ausgestreut mit blinder Hand, ohne Wissen um den, der hungert, und den, der schon Ü berfluss hat. Und in Folge dieser zufä lligen Ernä hrung der Theile wird der ganze ausgewachsene Polyp etwas ebenso Zufä lliges sein, wie es sein Werden ist. Deutlicher gesprochen: gesetzt, ein Trieb befindet sich in dem Puncte, wo er Befriedigung begehrt – oder Ü bung seiner Kraft, oder Entladung derselben oder Sä ttigung einer Leere – es ist Alles Bilderrede –: so sieht er jedes Vorkommniss des Tages darauf an, wie er es zu seinem Zwecke brauchen kann; ob der Mensch nun lä uft oder ruht oder zü rnt oder liest oder spricht oder kä mpft oder jubelt, der Trieb in seinem Durste betastet gleichsam jeden Zustand, in den der Mensch gerä th, und durchschnittlich findet er Nichts fü r sich daran, er muss warten und weiter dü rsten: eine Weile noch und dann wird er matt, und noch ein paar Tage oder Monate der Nicht‑ Befriedigung, dann dorrt er ab, wie eine Pflanze ohne Regen. Vielleicht wü rde diese Grausamkeit des Zufalls noch greller in die Augen fallen, wenn alle Triebe es so grü ndlich nehmen wollten, wie der Hunger: der sich nicht mit geträ umter Speise zufrieden giebt; aber die meisten Triebe, namentlich die sogenannten moralischen, thun gerade diess, – wenn meine Vermuthung erlaubt ist, dass unsere Trä ume eben den Werth und Sinn haben, bis zu einem gewissen Grade jenes zufä llige Ausbleiben der» Nahrung «wä hrend des Tages zu compensiren. Warum war der Traum von gestern voller Zä rtlichkeit und Thrä nen, der von vorgestern scherzhaft und ü bermü thig, ein frü herer abenteuerlich und in einem bestä ndigen dü steren Suchen? Wesshalb geniesse ich in diesem unbeschreibliche Schö nheiten der Musik, wesshalb schwebe und fliege ich in einem anderen mit der Wonne eines Adlers hinauf nach fernen Bergspitzen? Diese Erdichtungen, welche unseren Trieben der Zä rtlichkeit oder des Scherzes oder der Abenteuerlichkeit oder unserm Verlangen nach Musik und Gebirge Spielraum und Entladung geben – und Jeder wird seine schlagenderen Beispiele zur Hand haben –, sind Interpretationen unserer Nervenreize wä hrend des Schlafens, sehr freie, sehr willkü rliche Interpretationen von Bewegungen des Blutes und der Eingeweide, vom Druck des Armes und der Decken, von den Tö nen der Thurmglocken, der Wetterhä hne, der Nachtschwä rmer und anderer Dinge der Art. Dass dieser Text, der im Allgemeinen doch fü r eine Nacht wie fü r die andere sehr ä hnlich bleibt, so verschieden commentirt wird, dass die dichtende Vernunft heute und gestern so verschiedene Ursachen fü r die selben Nervenreize sich vorstellt: das hat darin seinen Grund, dass der Souffleur dieser Vernunft heute ein anderer war, als er gestern war, – ein anderer Trieb wollte sich befriedigen, bethä tigen, ü ben, erquicken, entladen, – gerade er war in seiner hohen Fluth, und gestern war ein anderer darin. – Das wache Leben hat nicht diese Freiheit der Interpretation wie das trä umende, es ist weniger dichterisch und zü gellos, – muss ich aber ausfü hren, dass unsere Triebe im Wachen ebenfalls nichts Anderes thun, als die Nervenreize interpretiren und nach ihrem Bedü rfnisse deren» Ursachen «ansetzen? dass es zwischen Wachen und Trä umen keinen wesentlichen Unterschied giebt? dass selbst bei einer Vergleichung sehr verschiedener Culturstufen die Freiheit der wachen Interpretation in der einen der Freiheit der anderen im Trä umen Nichts nachgiebt? dass auch unsere moralischen Urtheile und Werthschä tzungen nur Bilder und Phantasien ü ber einen uns unbekannten physiologischen Vorgang sind, eine Art angewö hnter Sprache, gewisse Nervenreize zu bezeichnen? dass all unser sogenanntes Bewusstsein ein mehr oder weniger phantastischer Commentar ü ber einen ungewussten, vielleicht unwissbaren, aber gefü hlten Text ist? – Man nehme ein kleines Erlebniss. Gesetzt, wir bemerken eines Tages, dass Jemand auf dem Markte ü ber uns lacht, da wir vorü bergehen: jenachdem dieser oder jener Trieb in uns gerade auf seiner Hö he ist, wird diess Ereigniss fü r uns diess oder das bedeuten, – und je nach der Art Mensch, die wir sind, ist es ein ganz verschiedenes Ereigniss. Der Eine nimmt es hin wie einen Regentropfen, der Andere schü ttelt es von sich wie ein Insect, Einer sucht daraus Hä ndel zu machen, Einer prü ft seine Kleidung, ob sie Anlass zum Lachen gebe, Einer denkt ü ber das Lä cherliche an sich in Folge davon nach, Einem thut es wohl, zur Heiterkeit und zum Sonnenschein der Welt, ohne zu wollen, einen Strahl gegeben zu haben – und in jedem Falle hat ein Trieb seine Befriedigung daran, sei es der des Ä rgers oder der Kampflust oder des Nachdenkens oder des Wohlwollens. Dieser Trieb ergriff das Vorkommniss wie seine Beute: warum er gerade? Weil er durstig und hungernd auf der Lauer lag. – Neulich Vormittags um elf Uhr fiel unmittelbar und senkrecht vor mir ein Mann plö tzlich zusammen, wie vom Blitz getroffen, alle Weiber der Umgebung schrieen laut auf; ich selber stellte ihn auf seine Fü sse und wartete ihn ab, bis die Sprache sich wieder einstellte, – wä hrend dem regte sich bei mir kein Muskel des Gesichts und kein Gefü hl, weder das des Schreckens, noch das des Mitleidens, sondern ich that das Nä chste und Vernü nftigste und gieng kalt fort. Gesetzt, man hä tte mir Tags vorher angekü ndigt, dass morgen um elf Uhr Jemand neben mir in dieser Weise niederstü rzen werde, – ich hä tte Qualen aller Art vorher gelitten, die Nacht nicht geschlafen und wä re vielleicht im entscheidenden Augenblick dem Manne gleich geworden, anstatt ihm zu helfen. Inzwischen hä tten nä mlich alle mö glichen Triebe Zeit gehabt, das Erlebniss sich vorzustellen und zu commentiren. – Was sind denn unsere Erlebnisse? Vielmehr Das, was wir hineinlegen, als Das, was darin liegt! Oder muss es gar heissen: an sich liegt Nichts darin? Erleben ist ein Erdichten? –

 

120.

 

Zur Beruhigung des Skeptikers. – »Ich weiss durchaus nicht, was ich thue! Ich weiss durchaus nicht, was ich thun soll! «– Du hast Recht, aber zweifle nicht daran: du wirst gethan! in jedem Augenblicke! Die Menschheit hat zu allen Zeiten das Activum und das Passivum verwechselt, es ist ihr ewiger grammatikalischer Schnitzer.

 

121.

 

«Ursache und Wirkung«! – Auf diesem Spiegel – und unser Intellect ist ein Spiegel – geht Etwas vor, das Regelmä ssigkeit zeigt, ein bestimmtes Ding folgt jedesmal wieder auf ein anderes bestimmtes Ding, – das nennen wir, wenn wir es wahrnehmen und nennen wollen, Ursache und Wirkung, wir Thoren! Als ob wir da irgend Etwas begriffen hä tten und begreifen kö nnten! Wir haben ja Nichts gesehen, als die Bilder von» Ursachen und Wirkungen«! Und eben diese Bildlichkeit macht ja die Einsicht in eine wesentlichere Verbindung, als die der Aufeinanderfolge ist, unmö glich!

 

122.

 

Die Zwecke in der Natur. – Wer, als unbefangener Forscher, der Geschichte des Auges und seiner Formen bei den niedrigsten Geschö pfen nachgeht und das ganze schrittweise Werden des Auges zeigt, muss zu dem grossen Ergebniss kommen: dass das Sehen nicht die Absicht bei der Entstehung des Auges gewesen ist, vielmehr sich eingestellt hat, als der Zufall den Apparat zusammengebracht hatte. Ein einziges solches Beispiel: und die» Zwecke «fallen uns wie Schuppen von den Augen!

 

123.

 

Vernunft. – Wie die Vernunft in die Welt gekommen ist? Wie billig, auf eine unvernü nftige Weise, durch einen Zufall. Man wird ihn errathen mü ssen, wie ein Rä thsel.

 

124.

 

Was ist Wollen! – Wir lachen ü ber Den, welcher aus seiner Kammer tritt, in der Minute, da die Sonne aus der ihren tritt, und sagt: »ich will, dass die Sonne aufgehe«; und ü ber Den, welcher ein Rad nicht aufhalten kann und sagt: »ich will, dass es rolle«; und ü ber Den, welcher im Ringkampf niedergeworfen wird und sagt: »hier liege ich, aber ich will hier liegen! «Aber, trotz allem Gelä chter! Machen wir es denn jemals anders, als einer von diesen Dreien, wenn wir das Wort gebrauchen: »ich will«?

 

125.

 

Vom» Reiche der Freiheit«. – Wir kö nnen viel, viel mehr Dinge denken, als thun und erleben, – das heisst, unser Denken ist oberflä chlich und zufrieden mit der Oberflä che, ja, es merkt sie nicht. Wä re unser Intellekt streng nach dem Maasse unserer Kraft und unserer Ü bung der Kraft entwickelt, so wü rden wir den Grundsatz zu oberst in unserem Denken haben, dass wir nur begreifen kö nnen, was wir thun kö nnen, – wenn es ü berhaupt ein Begreifen giebt. Der Durstige entbehrt des Wassers, aber seine Gedankenbilder fü hren ihm unaufhö rlich das Wasser vor die Augen, wie als ob Nichts leichter zu beschaffen wä re, – die oberflä chliche und leicht zufriedengestellte Art des Intellectes kann das eigentliche nothleidende Bedü rfniss nicht fassen und fü hlt sich dabei ü berlegen: er ist stolz darauf, mehr zu kö nnen, schneller zu laufen, im Augenblick fast am Ziele zu sein, – und so erscheint das Reich der Gedanken im Vergleich mit dem Reiche des Thuns, Wollens und Erlebens als ein Reich der Freiheit: wä hrend es, wie gesagt, nur ein Reich der Oberflä che und der Genü gsamkeit ist.

 

126.

 

Vergessen. – Dass es ein Vergessen giebt, ist noch nicht bewiesen; was wir wissen, ist allein, dass die Wiedererinnerung nicht in unserer Macht steht. Vorlä ufig haben wir in diese Lü cke unserer Macht jenes Wort» Vergessen «gesetzt: gleich als ob es ein Vermö gen mehr im Register sei. Aber was steht zuletzt in unserer Macht! – Wenn jenes Wort in einer Lü cke unserer Macht steht, sollten nicht die anderen Worte in einer Lü cke unseres Wissens um unsere Macht stehen?

 

127.

 

Nach Zwecken. – Von allen Handlungen werden wohl am wenigsten die nach Zwecken verstanden, weil sie immer als die verstä ndlichsten gegolten haben und fü r unser Bewusstsein das Alltä glichste sind. Die grossen Probleme liegen auf der Gasse.

 

128.

 

Der Traum und die Verantwortlichkeit. – In Allem wollt ihr verantwortlich sein! Nur nicht fü r eure Trä ume! Welche elende Schwä chlichkeit, welcher Mangel an folgerichtigem Muthe! Nichts ist mehr euer Eigen, als eure Trä ume! Nichts mehr euer Werk! Stoff, Form, Dauer, Schauspieler, Zuschauer, – in diesen Komö dien seid ihr Alles ihr selber! Und hier gerade scheut und schä mt ihr euch vor euch, und schon Oedipus, der weise Oedipus wusste sich Trost aus dem Gedanken zu schö pfen, dass wir Nichts fü r Das kö nnen, was wir trä umen! Ich schliesse daraus: dass die grosse Mehrzahl der Menschen sich abscheulicher Trä ume bewusst sein muss. Wä re es anders: wie sehr wü rde man seine nä chtliche Dichterei fü r den Hochmuth des Menschen ausgebeutet haben! – Muss ich hinzufü gen, dass der weise Oedipus Recht hatte, dass wir wirklich nicht fü r unsere Trä ume, – aber ebenso wenig fü r unser Wachen verantwortlich sind, und dass die Lehre von der Freiheit des Willens im Stolz und Machtgefü hl des Menschen ihren Vater und ihre Mutter hat? Ich sage diess vielleicht zu oft: aber wenigstens wird es dadurch noch nicht zum Irrthum.

 

129.

 

Der angebliche Kampf der Motive. – Man redet vom» Kampf der Motive«, aber bezeichnet damit einen Kampf, der nicht der Kampf der Motive ist. Nä mlich: in unserm ü berlegenden Bewusstsein treten vor einer That der Reihe nach die Folgen verschiedener Thaten hervor, welche alle wir meinen thun zu kö nnen, und wir vergleichen diese Folgen. Wir meinen, zu einer That entschieden zu sein, wenn wir festgestellt haben, dass ihre Folgen die ü berwiegend gü nstigeren sein werden; ehe es zu diesem Abschluss unserer Erwä gung kommt, quä len wir uns oft redlich, wegen der grossen Schwierigkeit, die Folgen zu errathen, sie in ihrer ganzen Stä rke zu sehen und zwar alle, ohne Fehler der Auslassung zu machen: wobei die Rechnung ü berdiess noch mit dem Zufalle dividirt werden muss. Ja, um das Schwierigste zu nennen: alle die Folgen, die einzeln so schwer festzustellen sind, mü ssen nun mit einander auf Einer Wage gegen einander abgewogen werden; und so hä ufig fehlt uns fü r diese Casuistik des Vortheils die Wage nebst den Gewichten, wegen der Verschiedenheit in der Qualitä t aller dieser mö glichen Folgen. Gesetzt aber, auch damit kä men wir in's Reine, und der Zufall hä tte uns gegenseitig abwä gbare Folgen auf die Wage gelegt: so haben wir jetzt in der That im Bilde der Folgen Einer bestimmten Handlung ein Motiv, gerade diese Handlung zu thun, – ja! Ein Motiv! Aber im Augenblicke, da wir schliesslich handeln, werden wir hä ufig genug von einer anderen Gattung Motiven bestimmt, als es die hier besprochene Gattung, die des» Bildes der Folgen«, ist. Da wirkt die Gewohnheit unseres Krä ftespiels, oder ein kleiner Anstoss von einer Person, die wir fü rchten oder ehren oder lieben, oder die Bequemlichkeit, welche vorzieht, was vor der Hand liegt zu thun, oder die Erregung der Phantasie, durch das nä chste beste kleinste Ereigniss im entscheidenden Augenblick herbeigefü hrt, es wirkt Kö rperliches, das ganz unberechenbar auftritt, es wirkt die Laune, es wirkt der Sprung irgend eines Affectes, der gerade zufä llig bereit ist, zu springen: kurz, es wirken Motive, die wir zum Theil gar nicht, zum Theil sehr schlecht kennen und die wir nie vorher gegen einander in Rechnung setzen kö nnen. Wahrscheinlich, dass auch unter ihnen ein Kampf Statt findet, ein Hin‑ und Wegtreiben, ein Aufwiegen und Niederdrü cken von Gewichttheilen – und diess wä re der eigentliche» Kampf der Motive«: – etwas fü r uns vö llig Unsichtbares und Unbewusstes. Ich habe die Folgen und Erfolge berechnet und damit Ein sehr wesentliches Motiv in die Schlachtreihe der Motive eingestellt, – aber diese Schlachtreihe selber stelle ich ebensowenig auf, als ich sie sehe: der Kampf selber ist mir verborgen, und der Sieg als Sieg ebenfalls; denn wohl erfahre ich, was ich schliesslich thue, – aber welches Motiv damit eigentlich gesiegt hat, erfahre ich nicht. Wohl aber sind wir gewohnt, alle diese unbewussten Vorgä nge nicht in Anschlag zu bringen und uns die Vorbereitung einer That nur so weit zu denken, als sie bewusst ist: und so verwechseln wir den Kampf der Motive mit der Vergleichung der mö glichen Folgen verschiedener Handlungen, – eine der folgenreichsten und fü r die Entwickelung der Moral verhä nnissvollsten Verwechselungen!



  

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