Хелпикс

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Fünftes Buch 1 страница



208.

 

Gewissensfrage. – »Und in summa: was wollt ihr eigentlich Neues? «– Wir wollen nicht mehr die Ursachen zu Sü ndern und die Folgen zu Henkern machen.

 

209.

 

Die Nü tzlichkeit der strengsten Theorien. – Man sieht einem Menschen viele Schwä chen der Moralitä t nach und handhabt dabei ein grobes Sieb, vorausgesetzt, dass er sich immer zur strengsten Theorie der Moral bekennt! Dagegen hat man das Leben der freigeistischen Moralisten immer unter das Mikroskop gestellt: mit dem Hintergedanken, dass ein Fehltritt des Lebens das sicherste Argument gegen eine unwillkommene Erkenntniss sei.

 

210.

 

Das» an sich«. – Ehemals fragte man: was ist das Lä cherliche? wie als ob es ausser uns Dinge gebe, welchen das Lä cherliche als Eigenschaft anhafte, und man erschö pfte sich in Einfä llen (ein Theologe meinte sogar, dass es» die Naivitä t der Sü nde «sei). Jetzt fragt man: was ist das Lachen? Wie entsteht das Lachen? Man hat sich besonnen und endlich festgestellt, dass es nichts Gutes, nichts Schö nes, nichts Erhabenes, nichts Bö ses an sich giebt, wohl aber Seelenzustä nde, in denen wir die Dinge ausser und in uns mit solchen Worten belegen. Wir haben die Prä dicate der Dinge wieder zurü ckgenommen, oder wenigstens uns daran erinnert, dass wir sie ihnen geliehen haben: – sehen wir zu, dass wir bei dieser Einsicht die Fä higkeit zum Verleihen nicht verlieren, und dass wir nicht zugleich reicher und geiziger geworden sind.

 

211.

 

An die Trä umer der Unsterblichkeit. – Diesem schö nen Bewusstsein eurer selbst wü nscht ihr also ewige Dauer? Ist das nicht schamlos? Denkt ihr denn nicht an alle anderen Dinge, die euch dann in alle Ewigkeit zu ertragen hä tten, wie sie euch bisher ertragen haben mit einer mehr als christlichen Geduld? Oder meint ihr, ihnen ein ewiges Wohlgefü hl an euch geben zu kö nnen? Ein einziger unsterblicher Mensch auf der Erde wä re ja schon genug, um alles Andere, das noch da wä re, durch Ü berdruss an ihm in eine allgemeine Sterbe‑ und Aufhä ngewuth zu versetzen! Und ihr Erdenbewohner mit euren Begriffelchen von ein paar Tausend Zeitminü tchen wollt dem ewigen allgemeinen Dasein ewig lä stig fallen! Giebt es etwas Zudringlicheres! – Zuletzt: seien wir milde gegen ein Wesen von siebenzig Jahren! – es hat seine Phantasie im Ausmalen der eignen» ewigen Langenweile «nicht ü ben kö nnen, – es fehlte ihm an der Zeit!

 

212.

 

Worin man sich kennt. – Sobald ein Thier ein anderes sieht, so misst es sich im Geiste mit ihm; und ebenso machen es die Menschen wilder Zeitalter. Daraus ergiebt sich, dass sich da jeder Mensch fast nur in Hinsicht auf seine Wehr‑ und Angriffskrä fte kennen lernt.

 

213.

 

Die Menschen des verfehlten Lebens. – Die Einen sind aus solchem Stoffe, dass es der Gesellschaft erlaubt ist, Diess oder Jenes aus ihnen zu machen: unter allen Umstä nden werden sie sich gut dabei befinden und nicht ü ber ein verfehltes Leben zu klagen haben. Andere sind von zu besonderem Stoffe – es braucht desshalb noch kein besonders edler, sondern eben nur ein seltnerer zu sein –, als dass sie nicht sich schlecht befinden mü ssten, den einzigen Fall ausgenommen, dass sie ihrem einzigen Zwecke gemä ss leben kö nnen: – in allen anderen Fä llen hat die Gesellschaft den Schaden davon. Denn Alles, was dem Einzelnen als verfehltes, missrathenes Leben erscheint, seine ganze Bü rde von Missmuth, Lä hmung, Erkrankung, Reizbarkeit, Begehrlichkeit, wirft er auf die Gesellschaft zurü ck – und so bildet sich um sie eine schlechte dumpfe Luft und, im gü nstigsten Falle, eine Gewitterwolke.

 

214.

 

Was Nachsicht! – Ihr leidet, und verlangt, dass wir nachsichtig gegen euch sind, wenn ihr im Leiden den Dingen und Menschen Unrecht thut! Aber was liegt an unserer Nachsicht! Ihr aber solltet vorsichtiger um euer selbst willen sein! Das ist eine schö ne Art, sich fü r sein Leiden so zu entschä digen, dass man noch dazu sein Urtheil schä digt! Auf euch selber fä llt eure eigne Rache zurü ck, wenn ihr Etwas verunglimpft; ihr trü bt damit euer Auge, nicht das der Anderen: ihr gewö hnt euch an das Falsch – und Schief‑ Sehen!

 

215.

 

Moral der Opferthiere. – »Sich begeistert hingeben«, »sich selber zum Opfer bringen«– diess sind die Stichworte eurer Moral, und ich glaube es gerne, dass ihr, wie ihr sagt, »es damit ehrlich meint«: nur kenne ich euch besser, als ihr euch kennt, wenn eure» Ehrlichkeit «mit einer solchen Moral Arm in Arm zu gehen vermag. Ihr seht von der Hö he derselben herab auf jene andere nü chterne Moral, welche Selbstbeherrschung, Strenge, Gehorsam fordert, ihr nennt sie wohl gar egoistisch, und gewiss! – ihr seid ehrlich gegen euch, wenn sie euch missfä llt, – sie muss euch missfallen! Denn indem ihr euch begeistert hingebt und aus euch ein Opfer macht, geniesst ihr jenen Rausch des Gedankens, nunmehr eins zu sein mit dem Mä chtigen, sei es ein Gott oder ein Mensch, dem ihr euch weiht: ihr schwelgt in dem Gefü hle seiner Macht, die eben wieder durch ein Opfer bezeugt ist. In Wahrheit scheint ihr euch nur zu opfern, ihr wandelt euch vielmehr in Gedanken zu Gö ttern um und geniesst euch als solche. Von diesem Genusse aus gerechnet, – wie schwach und arm dü nkt euch jene» egoistische «Moral des Gehorsams, der Pflicht, der Vernü nftigkeit: sie missfä llt euch, weil hier wirklich geopfert und hingegeben werden muss, ohne dass der Opferer sich in einen Gott verwandelt wä hnt, wie ihr wä hnt. Kurz, ihr wollt den Rausch und das Ü bermaass, und jene von euch verachtete Moral hebt den Finger auf gegen Rausch und Ü bermaass, – ich glaube euch wohl, dass sie euch Missbehagen macht!

 

216.

 

Die Bö sen und die Musik. – Sollte die volle Seligkeit der Liebe, welche im unbedingten Vertrauen liegt, jemals anderen Personen zu Theil geworden sein, als tief misstrauischen, bö sen und galligen? Diese nä mlich geniessen in ihr die ungeheure, nie geglaubte und glaubliche Ausnahme ihrer Seele! Eines Tages kommt jene grä nzenlose, traumhafte Empfindung ü ber sie, gegen die sich ihr ganzes, ü briges heimliches und sichtbares Leben abhebt: wie ein kö stliches Rä thsel und Wunder, voll goldenen Glanzes und ü ber alle Worte und Bilder hinaus. Das unbedingte Vertrauen macht stumm; ja, selbst ein Leiden und eine Schwere ist in diesem seligen Stumm‑ werden, wesshalb auch solche vom Glü ck gedrü ckte Seelen der Musik dankbarer zu sein pflegen, als alle anderen und besseren: denn durch die Musik hindurch sehen und hö ren sie, wie durch einen farbigen Rauch, ihre Liebe gleichsam ferner, rü hrender und weniger schwer geworden; Musik ist ihnen das einzige Mittel, ihrem ausserordentlichen Zustande zuzuschauen und mit einer Art von Entfremdung und Erleichterung erst seines Anblicks theilhaft zu werden. Jeder Liebende denkt bei der Musik: »Sie redet von mir, sie redet an meiner Statt, sie weiss Alles! «–

 

217.

 

Der Kü nstler. – Die Deutschen wollen durch den Kü nstler in eine Art erträ umter Passion kommen; die Italiä ner wollen durch ihn von ihren wirklichen Passionen ausruhen; die Franzosen wollen von ihm Gelegenheit, ihr Urtheil zu beweisen, und Anlä sse zum Reden haben. Also seien wir billig!

 

218.

 

Mit seinen Schwä chen als Kü nstler schalten. – Wenn wir durchaus Schwä chen haben sollen und sie als Gesetze ü ber uns endlich auch anerkennen mü ssen, so wü nsche ich Jedem wenigstens so viel kü nstlerische Kraft, dass er aus seinen Schwä chen die Folie seiner Tugenden und durch seine Schwä chen uns begehrlich nach seinen Tugenden zu machen verstehe: Das, was in so ausgezeichnetem Maasse die grossen Musiker verstanden haben. Wie hä ufig ist in Beethoven's Musik ein grober rechthaberischer, ungeduldiger Ton, bei Mozart eine Jovialitä t biederer Gesellen, bei der Herz und Geist ein Wenig fü rlieb nehmen mü ssen, bei Richard Wagner eine abspringende und zudringende Unruhe, bei der dem Geduldigsten die gute Laune eben abhanden kommen will: da aber kehrt er zu seiner Kraft zurü ck, und ebenso Jene; sie Alle haben uns mit ihren Schwä chen einen Heisshunger nach ihren Tugenden und eine zehnmal empfindlichere Zunge fü r jeden Tropfen tö nenden Geistes, tö nender Schö nheit, tö nender Gü te gemacht.

 

219.

 

Der Betrug bei der Demü thigung. – Du hast deinem Nä chsten mit deiner Unvernunft ein tiefes Leid zugefü gt und ein unwiederbringliches Glü ck zerstö rt – und nun gewinnst du es ü ber deine Eitelkeit, zu ihm zu gehen, du demü thigst dich vor ihm, giebst deine Unvernunft vor ihm der Verachtung preis und meinst, nach dieser harten, fü r dich ä usserst beschwerlichen Scene sei im Grunde alles wieder in Ordnung gebracht, – deine freiwillige Einbusse an Ehre gleiche die unfreiwillige Einbusse des Andern an Glü ck aus: mit diesem Gefü hle gehst du erhoben und in deiner Tugend wiederhergestellt davon. Aber der Andere hat sein tiefes Leid wie vorher, es liegt ihm gar nichts Trö stliches darin, dass du unvernü nftig bist und es gesagt hast, er erinnert sich sogar des peinlichen Anblicks, den du ihm gegeben hast, als du dich vor ihm selbst verachtetest, wie einer neuen Wunde, welche er dir verdankt, – aber er denkt nicht an Rache und begreift nicht, wie zwischen dir und ihm Etwas ausgeglichen werden kö nnte. Im Grunde hast du jene Scene vor dir selber aufgefü hrt und fü r dich selber: du hattest einen Zeugen dazu eingeladen, deinetwegen wiederum und nicht seinetwegen, – betrü ge dich nicht!

 

220.

 

Wü rde und Furchtsamkeit. – Die Ceremonien, die Amts‑ und Standestrachten, die ernsten Mienen, das feierliche Dreinschauen, die langsame Gangart, die gewundene Rede und Alles ü berhaupt, was Wü rde heisst: das ist die Verstellungsform Derer, welche im Grunde furchtsam sind, – sie wollen damit fü rchten machen (sich oder Das, was sie reprä sentiren). Die Furchtlosen, das heisst ursprü nglich: die jederzeit und unzweifelhaft Fü rchterlichen haben Wü rde und Ceremonien nicht nö thig, sie bringen die Ehrlichkeit, das Geradezu in Worten und Gebä rden in Ruf und noch mehr in Verruf, als Anzeichen der selbstbewussten Fü rchterlichkeit.

 

221.

 

Moralitä t des Opfers. – Die Moralitä t, welche sich nach der Aufopferung bemisst, ist die der halbwilden Stufe. Die Vernunft hat da nur einen schwierigen und blutigen Sieg innerhalb der Seele, es sind gewaltige Gegentriebe niederzuwerfen; ohne eine Art Grausamkeit, wie bei den Opfern, welche kanibalische Gö tter verlangen, geht es dabei nicht ab.

 

222.

 

Wo Fanatismus zu wü nschen ist. – Phlegmatische Naturen sind nur so zu begeistern, dass man sie fanatisirt.

 

223.

 

Das gefü rchtete Auge. – Nichts wird von Kü nstlern, Dichtern und Schriftstellern mehr gefü rchtet, als jenes Auge, welches ihren kleinen Betrug sieht, welches nachträ glich wahrnimmt, wie oft sie an dem Grä nzwege gestanden haben, wo es entweder zur unschuldigen Lust an sich selber oder zum Effect‑ machen abfü hrte; welches ihnen nachrechnet, wenn sie Wenig fü r Viel verkaufen wollten, wenn sie zu erheben und zu schmü cken suchten, ohne selber erhoben zu sein; welches den Gedanken durch allen Trug ihrer Kunst hindurch so sieht, wie er zuerst vor ihnen stand, vielleicht wie eine entzü ckende Lichtgestalt, vielleicht aber auch als ein Diebstahl an aller Welt, als ein Alltags‑ Gedanke, den sie dehnen, kü rzen, fä rben, einwickeln, wü rzen mussten, um Etwas aus ihm zu machen, anstatt dass der Gedanke Etwas aus ihnen machte, – oh dieses Auge, welches alle eure Unruhe, euer Spä hen und Gieren, euer Nachmachen und ü berbieten (diess ist nur ein neidisches Nachmachen) eurem Werke anmerkt, welches eure Schamrö the so gut kennt, wie eure Kunst, diese Rö the zu verbergen und vor euch selber umzudeuten!

 

224.

 

Das Erhebende «am Unglü ck des Nä chsten. – Er ist im Unglü ck, und nun kommen die» Mitleidigen «und malen ihm sein Unglü ck aus, – endlich gehen sie befriedigt und erhoben fort: sie haben sich an dem Entsetzen des Unglü cklichen wie an dem eigenen Entsetzen geweidet und sich einen guten Nachmittag gemacht.

 

225.

 

Mittel, um schnell verachtet zu werden. – Ein Mensch, der schnell und viel spricht, sinkt ausserordentlich tief in unserer Achtung, nach dem kü rzesten Verkehre, und selbst wenn er verstä ndig spricht, – nicht nur in dem Maasse als er lä stig fä llt, sondern weit tiefer. Denn wir errathen, wie vielen Menschen er schon lä stig gefallen ist, und rechnen zu dem Missbehagen, das er macht, noch die Missachtung hinzu, welche wir fü r ihn voraussetzen.

 

226.

 

Vom Verkehre mit Celebritä ten. – A: Aber warum weichst du diesem grossen Manne aus? – B: Ich mö chte ihn nicht verkennen lernen! Unsere Fehler vertragen sich nicht bei einander: ich bin kurzsichtig und misstrauisch, und er trä gt seine falschen Diamanten so gern wie seine ä chten.

 

227.

 

Kettenträ ger. – Vorsicht vor allen Geistern, die an Ketten liegen! Zum Beispiel vor den klugen Frauen, welche ihr Schicksal in eine kleine, dumpfe Umgebung gebannt hat und die darin alt werden. Zwar liegen sie scheinbar trä ge und halb blind in der Sonne da: aber bei jedem fremden Tritt, bei allem Unvermutheten fahren sie auf, um zu beissen; sie nehmen an Allem Rache, was ihrer Hundehü tte entkommen ist.

 

228.

 

Rache im Lobe. – Hier ist eine geschriebene Seite voller Lob, und ihr nennt sie flach: aber wenn ihr errathet, dass Rache in diesem Lobe verborgen liegt, so werdet ihr sie fast ü berfein finden und an dem Reichthum kleiner kü hner Striche und Figuren euch sehr ergö tzen. Nicht der Mensch, sondern seine Rache ist so fein, reich und erfinderisch; er selber merkt kaum Etwas davon.

 

229.

 

Stolz. – Ach, ihr kennt alle das Gefü hl nicht, welches der Gefolterte nach der Folterung hat, wenn er in die Zelle zurü ckgebracht wird und sein Geheimniss mit ihm! – er hä lt es immer noch mit den Zä hnen fest. Was wisst ihr vom Jubel des menschlichen Stolzes!

 

230.

 

«Utilitarisch«– jetzt gehen die Empfindungen in moralischen Dingen so kreuz und quer, dass man fü r diesen Menschen eine Moral durch ihre Nü tzlichkeit beweist, fü r jenen gerade durch die Nü tzlichkeit widerlegt.

 

231.

 

Von der deutschen Tugend. – Wie entartet in seinem Geschmack, wie sclavisch vor Wü rden, Stä nden, Trachten, Pomp und Prunk muss ein Volk gewesen sein, als es das Schlichte als das Schlechte, den schlichten Mann als den schlechten Mann abschä tzte! Man soll dem moralischen Hochmuthe der Deutschen immer diess Wö rtlein» schlecht «und Nichts weiter entgegenhalten!

 

232.

 

Aus einer Disputation. – A: Freund, Sie haben sich heiser gesprochen! – B: So bin ich widerlegt. Reden wir nicht weiter davon.

 

233.

 

Die» Gewissenhaften«. – Habt ihr Acht gegeben, was fü r Menschen am meisten Werth auf strengste Gewissenhaftigkeit legen? Die, welche sich vieler erbä rmlicher Empfindungen bewusst sind, ä ngstlich von sich und an sich denken und Angst vor Anderen haben, die ihr Inneres so sehr wie mö glich verbergen wollen, – sie suchen sich selber zu imponiren, durch jene Strenge der Gewissenhaftigkeit und Hä rte der Pflicht, vermö ge des strengen und harten Eindrucks, den Andere von ihnen dadurch bekommen mü ssen (namentlich Untergebene).

 

234.

 

Scheu vor dem Ruhme. – A: Dass Einer seinem Ruhme ausweicht, dass Einer seinen Lobredner absichtlich beleidigt, dass Einer sich scheut, Urtheile ü ber sich zu hö ren, aus Scheu vor dem Lobe, – das findet man, das giebt es, – glaubt oder glaubt es nicht! – B: Das findet sich, das giebt sich! Nur etwas Geduld, Junker Hochmuth! –

 

235.

 

Dank abweisen. – Man darf wohl eine Bitte abweisen, aber nimmermehr darf man einen Dank abweisen (oder, was das Selbe ist, ihn kalt und conventionell annehmen). Diess beleidigt tief – und warum?

 

236.

 

Strafe. – Ein seltsames Ding, unsere Strafe! Sie reinigt nicht den Verbrecher, sie ist kein Abbü ssen: im Gegentheil, sie beschmutzt mehr, als das Verbrechen selber.

 

237.

 

Eine Parteinoth. – Es giebt eine lä cherliche, aber nicht ungefä hrliche Betrü bniss fast in jeder Partei: an ihr leiden alle Die, welche die jahrelangen, treuen und ehrenwerthen Verfechter der Parteimeinung waren und plö tzlich, eines Tages, merken, dass ein viel Mä chtigerer die Trompete in die Hand genommen hat. Wie wollen sie es ertragen, stumm gemacht zu sein! Und so werden sie laut und mitunter in neuen Tö nen.

 

238.

 

Das Streben nach Anmuth. – Wenn eine starke Natur nicht den Hang der Grausamkeit hat und nicht immer von sich selber occupirt ist, so strebt sie unwillkü rlich nach Anmuth, – diess ist ihr Abzeichen. Die schwachen Charaktere dagegen lieben die herben Urtheile, – sie gesellen sich zu den Helden der Menschenverachtung, zu den religiö sen oder philosophischen Anschwä rzern des Daseins oder ziehen sich hinter strenge Sitten und peinliche» Lebensberufe «zurü ck: so suchen sie sich einen Charakter und eine Art Stä rke zu schaffen. Und diess thun sie ebenfalls unwillkü rlich.

 

239.

 

Wink fü r Moralisten. – Unsere Musiker haben eine grosse Entdeckung gemacht: die interessante Hä sslichkeit ist auch in ihrer Kunst mö glich! Und so werfen sie sich in diesen erö ffneten Ozean des Hä sslichen, wie trunken, und noch niemals war es so leicht, Musik zu machen. Jetzt hat man erst den allgemeinen dunkelfarbigen Hintergrund gewonnen, auf dem ein noch so kleiner Lichtstreifen schö ner Musik den Glanz von Gold und Smaragd erhä lt; jetzt wagt man erst den Zuhö rer in Sturm, Empö rung und ausser Athem zu bringen, um ihm nachher durch einen Augenblick des Hinsinkens in Ruhe ein Gefü hl der Seligkeit zu geben, welches der Schä tzung der Musik ü berhaupt zu Gute kommt. Man hat den Contrast entdeckt: jetzt erst sind die stä rksten Effecte mö glich – und wohlfeil: Niemand fragt mehr nach guter Musik. Aber ihr mü sst euch beeilen! Es ist fü r jede Kunst nur eine kurze Spanne Zeit noch, wenn sie erst zu dieser Entdeckung gelangt ist. – Oh, wenn unsere Denker Ohren hä tten, um in die Seelen unserer Musiker, vermittelst ihrer Musik, hineinzuhö ren! Wie lange muss man warten, ehe solch eine Gelegenheit sich wiederfindet, den innerlichen Menschen auf der bö sen That und in der Unschuld dieser That zu ertappen! Denn unsere Musiker haben nicht den leisesten Geruch davon, dass sie ihre eigene Geschichte, die Geschichte der Verhä sslichung der Seele, in Musik setzen. Ehemals musste der gute Musiker beinahe um seiner Kunst willen ein guter Mensch werden –. Und jetzt!

 

240.

 

Von der Moralitä t der Schaubü hne. – Wer da meint, Shakespeare's Theater wirke moralisch und der Anblick des Macbeth ziehe unwiderstehlich vom Bö sen des Ehrgeizes ab, der irrt sich: und er irrt sich noch einmal, wenn er glaubt, Shakespeare selber habe so empfunden wie er. Wer wirklich vom rasenden Ehrgeiz besessen ist, sieht diess sein Bild mit Lust; und wenn der Held an seiner Leidenschaft zu Grunde geht, so ist diess gerade die schä rfste Wü rze in dem heissen Geträ nke dieser Lust. Empfand es der Dichter denn anders? Wie kö niglich, und durchaus nicht schurkenhaft, lä uft sein Ehrgeiziger vom Augenblick des grossen Verbrechens an seine Bahn! Erst von da ab zieht er» dä monisch «an und reizt ä hnliche Naturen zur Nachahmung auf; – dä monisch heisst hier: zum Trotz gegen Vortheil und Leben, zu Gunsten eines Gedankens und Triebes. Glaubt ihr denn, Tristan und Isolde gä ben dadurch eine Lehre gegen den Ehebruch, dass sie Beide an ihm zu Grunde gehen? Diess hiesse die Dichter auf den Kopf stellen: welche, wie namentlich Shakespeare, verliebt in die Leidenschaften an sich sind, und nicht am geringsten in ihre todbereiten Stimmungen: – jene, wo das Herz nicht fester mehr am Leben hä ngt, als ein Tropfen am Glase. Nicht die Schuld und deren schlimmer Ausgang liegt ihnen am Herzen, dem Shakespeare so wenig wie dem Sophokles (im Ajax, Philoktet, Oedipus): so leicht es gewesen wä re, in den genannten Fä llen die Schuld zum Hebel des Drama's zu machen, so bestimmt ist diess gerade vermieden. Ebensowenig will der Tragö diendichter mit seinen Bildern des Lebens gegen das Leben einnehmen! Er ruft vielmehr: »es ist der Reiz allen Reizes, dieses aufregende, wechselnde, gefä hrliche, dü stere und oft sonnendurchglü hte Dasein! Es ist ein Abenteuer, zu leben, – nehmt diese oder jene Partei darin, immer wird es diesen Charakter behalten! «– So spricht er aus einer unruhigen und kraftvollen Zeit heraus, die von ihrer Ü berfü lle an Blut und Energie halb trunken und betä ubt ist, – aus einer bö seren Zeit heraus, als die unsere ist: wesshalb wir nö thig haben, uns den Zweck eines Shakespearlschen Drama's erst zurecht und gerecht zu machen, das heisst, es nicht zu verstehen.

 

241.

 

Furcht und Intelligenz. – Wenn es wahr ist, was man jetzt des Bestimmtesten behauptet, dass die Ursache des schwarzen Hautpigmentes nicht im Lichte zu suchen sei: kö nnte es vielleicht die letzte Wirkung hä ufiger und durch Jahrtausende gehä ufter Wuthanfä lle sein (und Blutunterströ mungen der Haut)? Wä hrend bei anderen intelligenteren Stä mmen das ebenso hä ufige Erschrecken und Bleichwerden endlich die weisse Hautfarbe ergeben hä tte? – Denn der Grad der Furchtsamkeit ist ein Gradmesser der Intelligenz: und sich oft der blinden Wuth ü berlassen, das Zeichen davon, dass die Thierheit noch ganz nahe ist und sich wieder durchsetzen mö chte. – Braun‑ grau wä re also wohl die Urfarbe des Menschen, – etwas Affen‑ und Bä renhaftes, wie billig.

 

242.

 

Unabhä ngigkeit. – Unabhä ngigkeit (in ihrer schwä chsten Dosis» Gedankenfreiheit «benannt) ist die Form der Entsagung, welche der Herrschsü chtige endlich annimmt, – er, der lange Das gesucht hat, was er beherrschen kö nnte, und Nichts gefunden hat, als sich selber.

 

243.

 

Die zwei Richtungen. – Versuchen wir den Spiegel an sich zu betrachten, so entdecken wir endlich Nichts, als die Dinge auf ihm. Wollen wir die Dinge fassen, so kommen wir zuletzt wieder auf Nichts, als auf den Spiegel. – Diess ist die allgemeinste Geschichte der Erkenntniss.

 

244.

 

Freude am Wirklichen. – Unser jetziger Hang zur Freude am Wirklichen – wir haben ihn fast Alle – ist nur daraus zu verstehen, dass wir so lange und bis zum Ü berdruss Freude am Unwirklichen gehabt haben. An sich ist es ein nicht unbedenklicher Hang, so wie er jetzt auftritt, ohne Wahl und Feinheit: – seine mindeste Gefahr ist die Geschmacklosigkeit.

 

245.

 

Feinheit des Machtgefü hls. – Napoleon ä rgerte sich, schlecht zu sprechen, und belog sich hierü ber nicht: aber seine Herrschsucht, die keine Gelegenheit verschmä hte und feiner war, als sein feiner Geist, brachte ihn dahin, noch schlechter zu sprechen, als er konnte. So rä chte er sich an seinem eignen Ä rger (er war eifersü chtig auf alle seine Affecte, weil sie Macht hatten) und genoss sein autokratisches Belieben. Sodann, in Hinsicht auf Ohren und Urtheil der Hö renden, genoss er diess Belieben noch einmal: wie als ob so zu ihnen zu reden immer noch gut genug sei. Ja, er frohlockte im Geheimen bei dem Gedanken, durch Blitz und Donner der hö chsten Autoritä t – welche im Bunde von Macht und Genialitä t liegt – das Urtheil zu betä uben und den Geschmack irrezufü hren; wä hrend Beides in ihm kalt und stolz an der Wahrheit festhielt, dass er schlecht spreche. – Napoleon, als ein vollkommen zu Ende gedachter und ausgearbeiteter Typus Eines Triebes, gehö rt zu der antiken Menschheit: deren Merkmale – der einfache Aufbau und das erfinderische Ausbilden und Ausdichten Eines Motivs oder weniger Motive – leicht genug zu erkennen sind.

 

246.

 

Aristoteles und die Ehe. – Bei den Kindern der grossen Genie's bricht der Wahnsinn heraus, bei den Kindern der grossen Tugendhaften der Stumpfsinn – bemerkt Aristoteles. Wollte er damit die Ausnahme‑ Menschen zur Ehe einladen?

 

247.

 

Herkunft des schlechten Temperaments. – Das Ungerechte und Sprunghafte im Gemü th mancher Menschen ihre Unordnung und Maasslosigkeit sind die letzten Folgen unzä hliger logischer Ungenauigkeiten, Ungrü ndlichkeiten und ü bereilter Schlü sse, welcher sich ihre Vorfahren schuldig gemacht haben. Die Menschen mit gutem Temperament dagegen stammen aus ü berlegsamen und grü ndlichen Geschlechtern, welche die Vernunft hochgestellt haben, – ob zu lö blichen oder bö sen Zwecken, das kommt nicht so sehr in Betracht.

 

248.

 

Verstellung als Pflicht. – Am meisten ist die Gü te durch die lange Verstellung, welche Gü te zu scheinen suchte, entwickelt worden: ü berall, wo grosse Macht bestand, wurde die Nothwendigkeit gerade dieser Art von Verstellung eingesehen, – sie flö sst Sicherheit und Vertrauen ein und verhundertfacht die wirkliche Summe der physischen Macht. Die Lü ge ist, wenn nicht die Mutter, so doch die Amme der Gü te. Die Ehrlichkeit ist ebenfalls am meisten durch die Anforderung eines Anscheins der Ehrlichkeit und Biederkeit grossgezogen worden: in den erblichen Aristokratien. Aus der dauernden Ü bung einer Verstellung entsteht zuletzt Natur: die Verstellung hebt sich am Ende selber auf, und Organe und Instincte sind die kaum erwarteten Frü chte im Garten der Heuchelei.

 

249.

 

Wer ist denn je allein! – Der Furchtsame weiss nicht, was Alleinsein ist: hinter seinem Stuhle steht immer ein Feind. – Oh, wer die Geschichte jenes feinen Gefü hls, welches Einsamkeit heisst, uns erzä hlen kö nnte!

 

250.

 

Nacht und Musik. – Das Ohr, das Organ der Furcht, hat sich nur in der Nacht und in der Halbnacht dunkler Wä lder und Hö hlen so reich entwickeln kö nnen, wie es sich entwickelt hat, gemä ss der Lebensweise des furchtsamen, das heisst des allerlä ngsten menschlichen Zeitalters, welches es gegeben hat: im Hellen ist das Ohr weniger nö thig. Daher der Charakter der Musik, als einer Kunst der Nacht und Halbnacht.

 

251.

 

Stoisch. – Es giebt eine Heiterkeit des Stoikers, wenn er sich von dem Ceremoniell beengt fü hlt, das er selber seinem Wandel vorgeschrieben hat, er geniesst sich dabei als Herrschenden.



  

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