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Zweites Abenteuer



Der Flohbä ndiger. Trauriges Schicksal der Prinzessin Gameheh in Famagusta. Ungeschicklichkeit des Genius Thetel und merkwü rdige mikroskopische Versuche und Belustigungen. Die schö ne Hollä nderin und seltsames Abenteuer des jungen Herrn George Pepusch, eines gewesenen Jenensers.

Es befand sich zu der Zeit ein Mann in Frankfurt, der die seltsamste Kunst betrieb. Man nannte ihn den Flohbä ndiger und das darum, weil es ihm, gewiß nicht ohne die grö ß este Mü he und Anstrengung, gelungen, Kultur in diese kleinen Tierchen zu bringen und sie zu allerlei artigen Kunststü ckchen abzurichten.

Zum grö ß ten Erstaunen sah man auf einer Tischplatte von dem schö nsten weiß en, glä nzend polierten Marmor Flö he, welche kleine Kanonen, Pulverkarren, Rü stwagen zogen, andre sprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patronentaschen auf dem Rü cken, Sä beln an der Seite.

Auf das Kommandowort des Kü nstlers fü hrten sie die schwierigsten Evolutionen aus, und alles schien lustiger und lebendiger wie bei wirklichen groß en Soldaten, weil das Marschieren in den zierlichsten Entrechats und Luftsprü ngen, das Linksum und Rechtsum aber in anmutigen Pirouetten bestand. Die ganze Mannschaft hatte ein erstaunliches Aplomb, und der Feldherr schien zugleich ein tü chtiger Ballettmeister. Noch beinahe hü bscher und wunderbarer waren aber die kleinen goldnen Kutschen, die von vier, sechs, acht Flö hen gezogen wurden. Kutscher und Diener waren Goldkä ferlein der kleinsten, kaum sichtbaren Art, was aber drin saß, war nicht recht zu erkennen.

Unwillkü rlich wurde man an die Equipage der Fee Mab erinnert, die der wackre Merkutio in Shakespeares »Romeo und Julie« so schö n beschreibt, daß man wohl merkt, wie oft sie ihm selbst ü ber die Nase gefahren.

Erst wenn man den ganzen Tisch mit einem guten Vergrö ß erungsglase ü berschaute, entwickelte sich aber die Kunst des Flohbä ndigers in vollem Maß e. Denn nun erst zeigte sich die Pracht, die Zierlichkeit der Geschirre, die feine Arbeit der Waffen, der Glanz, die Nettigkeit der Uniformen, und erregte die tiefste Bewunderung. Gar nicht zu begreifen schien es, welcher Instrumente sich der Flohbä ndiger bedient haben muß te, um gewisse kleine Nebensachen, z. B. Sporn, Rockknö pfe usw. sauber und proportionierlich anzufertigen, und jene Arbeit, die sonst fü r das Meisterstü ck des Schneiders galt und die in nichts Geringerem bestand, als einem Floh ein Paar vö llig anschließ ende Reithosen zu liefern, wobei freilich das Anmessen das schwierigste, schien dagegen als etwas ganz Leichtes und Geringes.

Der Flohbä ndiger hatte unendlichen Zuspruch. Den ganzen Tag wurde der Saal nicht leer von Neugierigen, die den hohen Eintrittspreis nicht scheuten. Auch zur Abendzeit war der Besuch zahlreich, ja beinahe noch zahlreicher, da alsdann auch solche Personen kamen, denen an derlei possierlichen Kü nsteleien eben nicht viel gelegen, um ein Werk zu bewundern, das dem Flohbä ndiger ein ganz anderes Ansehen und die wahre Achtung der Naturforscher erwarb. Dies Werk war ein Nachtmikroskop, das wie das Sonnenmikroskop am Tage, einer magischen Laterne ä hnlich, den Gegenstand hell erleuchtet mit einer Schä rfe und Deutlichkeit auf die weiß e Wand warf, die nichts zu wü nschen ü brig ließ. Dabei trieb der Flohbä ndiger auch noch Handel mit den schö nsten Mikroskopen, die man nur finden konnte und die man gern sehr teuer bezahlte. —

Es begab sich, daß ein junger Mensch, George Pepusch geheiß en — der geneigte Leser wird ihn bald nä her kennen lernen — Verlangen trug, noch am spä ten Abend den Flohbä ndiger zu besuchen. Schon auf der Treppe vernahm er Gezä nk, das immer heftiger und heftiger wurde und endlich ü berging in tolles Schreien und Toben. Sowie nun Pepusch eintreten wollte, sprang die Tü re des Saals auf mit Ungestü m, und in wildem Gedrä nge stü rzten die Menschen ihm entgegen, totenbleiches Entsetzen in den Gesichtern.

»Der verfluchte Hexenmeister! der Satanskerl! beim hohen Rat will ich ihn angeben! aus der Stadt soll er, der betrü gerische Taschenspieler! « — So schrieen die Leute durcheinander und suchten, von Furcht und Angst gehetzt, so schnell als mö glich aus dem Hause zu kommen. Ein Blick in den Saal verriet dem jungen Pepusch sogleich die Ursache des fü rchterlichen Entsetzens, das die Leute fortgetrieben. Alles lebte darin, ein ekelhaftes Gewirr der scheuß lichsten Kreaturen erfü llte den ganzen Raum. Das Geschlecht der Pucerons, der Kä fer, der Spinnen, der Schlammtiere, bis zum Ü bermaß vergrö ß ert, streckte seine Rü ssel aus, schritt daher auf hohen, haarichten Beinen, und die greulichen Ameisenrä uber faß ten, zerquetschten mit ihren zackichten Zangen die Schnacken, die sich wehrten und um sich schlugen mit den langen Flü geln, und dazwischen wanden sich Essigschlangen, Kleisteraale, hundertarmichte Polypen durcheinander, und aus allen Zwischenrä umen kuckten Infusionstiere mit verzerrten menschlichen Gesichtern. Abscheulicheres hatte Pepusch nie geschaut. Er wollte eben ein tiefes Grauen verspü ren, als ihm etwas Rauhes ins Gesicht flog und er sich eingehü llt sah in eine Wolke dicken Mehlstaubs. Darü ber verging ihm aber das Grauen, denn er wuß te sogleich, das das rauhe Ding nichts anders sein konnte als die runde gepuderte Perü cke des Flohbä ndigers, und das war es auch in der Tat. Als Pepusch sich den Puder aus den Augen gewischt, war das tolle widrige Insektenvolk verschwunden. Der Flohbä ndiger saß ganz erschö pft im Lehnstuhl. »Leuwenhoek«, so rief ihm Pepusch entgegen, »Leuwenhoek, seht Ihr nun wohl, was bei Eurem Treiben herauskommt? — Da habt Ihr wieder zu Euern Vasallen Zuflucht nehmen mü ssen, um Euch die Leute vom Leibe zu halten! — Ist's nicht so? «

»Seid Ihr's«, sprach der Flohbä ndiger mit matter Stimme, »seid Ihr's, guter Pepusch? — Ach! mit mir ist es aus, rein aus, ich bin ein verlorener Mann! Pepusch, ich fange an zu glauben, daß Ihr es wirklich gut mit mir gemeint habt und daß ich nicht gut getan, auf Eure Warnungen nichts zu geben. « Als nun Pepusch ruhig fragte, was sich denn begeben, drehte sich der Flohbä ndiger mit seinem Lehnstuhl nach der Wand, hielt beide Hä nde vors Gesicht und rief weinerlich dem Pepusch zu, er mö ge nur eine Lupe zur Hand nehmen und die Marmortafel des Tisches anschauen. Schon mit unbewaffnetem Auge gewahrte Pepusch, daß die kleinen Kutschen, die Soldaten usw. tot da standen und lagen, daß sich nichts mehr regte und bewegte. Die kunstfertigen Flö he schienen auch eine ganz andre Gestalt angenommen zu haben. Mittelst der Lupe entdeckte nun aber Pepusch sehr bald, daß kein einziger Floh mehr vorhanden, sondern daß das, was er dafü r gehalten, schwarze Pfefferkö rner und Obstkerne waren, die in den Geschirren, in den Uniformen steckten.

»Ich weiß «, begann nun der Flohbä ndiger ganz wehmü tig und zerknirscht, »ich weiß gar nicht, welcher bö se Geist mich mit Blindheit schlug, daß ich die Desertion meiner Mannschaft nicht eher bemerkte, als bis alle Leute an den Tisch getreten waren und sich gerü stet hatten zum Schauen. — Ihr kö nnet denken, Pepusch, wie die Leute, als sie sich getä uscht sahen, erst murrten und dann ausbrachen in lichterlohen Zorn. Sie beschuldigten mich des schnö desten Betruges und wollten mir, da sie sich immer mehr erhitzten und keine Entschuldigung mehr hö rten, zu Leibe, um selbst Rache zu nehmen. Was konnt' ich, um einer Tracht Schlä ge zu entgehen, Besseres tun, als sogleich das groß e Mikroskop in Bewegung setzen und die Leute ganz einhü llen in Kreaturen, vor denen sie sich entsetzten, wie das dem Pö bel eigen. « »Aber«, fragte Pepusch, »aber sagt mir nur, Leuwenhoek, wie es geschehen konnte, daß Euch Eure wohlexerzierte Mannschaft, die so viel Treue bewiesen, plö tzlich auf und davon gehen konnte, ohne daß Ihr es sogleich gewahr wurdet? «

»Oh«, jammerte der Flohbä ndiger, »o Pepusch! er hat mich verlassen, er, durch den allein ich Herrscher war, und er ist es, dessen bö sem Verrat ich meine Blindheit, all mein Unglü ck zuschreibe! « »Hab' ich«, erwiderte Pepusch, »hab' ich Euch nicht schon lä ngst gewarnt, Eure Sache nicht auf Kü nsteleien zu stellen, die Ihr, ich weiß es, ohne den Besitz des Meisters nicht vollbringen kö nnet, und wie dieser Besitz aller Mü he unerachtet doch auf dem Spiele steht, habt Ihr eben jetzt erfahren. « — Pepusch gab nun ferner dem Flohbä ndiger zu erkennen, wie er ganz und gar nicht begreife, daß, mü sse er jene Kü nsteleien aufgeben, dies sein Leben so verstö ren kö nne, da die Erfindung des Nachtmikroskops sowie ü berhaupt seine Geschicklichkeit im Verfertigen mikroskopischer Glä ser ihn lä ngstens festgestellt. Der Flohbä ndiger versicherte aber dagegen, daß ganz andre Dinge in jenen Kü nsteleien lä gen und daß er sie nicht aufgeben kö nne. ohne sich selbst, seine Existenz aufzugeben.

»Wo ist aber Dö rtje Elverdink? « — So fragte Pepusch, den Flohbä ndiger unterbrechend. »Wo sie ist«, kreischte der Flohbä ndiger, indem er die Hä nde rang, »wo Dö rtje Elverdink ist? — Fort ist sie, fort in alle Welt — verschwunden. — Schlagt mich nur gleich tot, Pepusch, denn ich sehe schon, wie Euch immer mehr der Zorn kommt und die Wut. — Macht es kurz mit mir! « »Da seht«, sprach Pepusch mit finsterm Blick, »da seht Ihr nun, was aus Eurer Torheit, aus Eurem albernen Treiben herauskommt. — Wer gab Euch das Recht, die arme Dö rtje einzusperren wie eine Sklavin und dann wieder, um nur Leute anzulocken, sie im Prunk auszustellen, wie ein naturhistorisches Wunder? — Warum tatet Ihr Gewalt an ihrer Neigung und ließ et es nicht zu, daß sie mir die Hand gab, da Ihr doch bemerken muß tet, wie innig wir uns liebten? — Entflohen ist sie? — Nun gut, so ist sie wenigstens nicht mehr in Eurer Gewalt, und weiß ich auch in diesem Augenblick nicht, wo ich sie suchen soll, so bin ich doch ü berzeugt, daß ich sie finden werde. Da, Leuwenhoek, setzt die Perü cke auf und ergebt Euch in Euer Geschick; das ist das Beste und Geratenste, was Ihr jetzt tun kö nnet. «

Der Flohbä ndiger stutzte mit der linken Hand die Perü cke auf das kahle Haupt, wä hrend er mit der rechten Pepusch beim Arm ergriff. »Pepusch«, sprach er, »Pepusch, Ihr seid mein wahrer Freund; denn Ihr seid der einzige Mensch in der ganzen Stadt Frankf urt, welcher weiß, daß ich begraben liege in der alten Kirche zu Delft seit dem Jahre Eintausendsiebenhundertundfü nfundzwanzig, und habt es doch noch niemanden verraten, selbst wenn Ihr auf mich zü rntet wegen der Dö rtje Elverdink. Will es mir auch zuweilen nicht recht in den Kopf, daß ich wirklich jener Anton van Leuwenhoek bin, den man in Delft begraben, so muß ich es denn doch, betrachte ich meine Arbeiten und bedenke ich mein Leben, wiederum glauben, und es ist mir deshalb sehr angenehm, daß man davon ü berhaupt gar nicht spricht. — Ich sehe jetzt ein, liebster Pepusch, daß ich, was die Dö rtje Elverdink betrifft, nicht recht gehandelt habe, wiewohl auf ganz andere Weise, als Ihr wohl meinen mö get. Recht tat ich nä mlich daran, daß ich Eure Bewerbungen fü r ein tö richtes zweckloses Streben erklä rte, unrecht aber, daß ich nicht ganz offenherzig gegen Euch war, daß ich Euch nicht sagte, was es mit der Dö rtje Elverdink eigentlich fü r eine Bewandtnis hat. Eingesehen hä ttet Ihr dann, wie lö blich es war, Euch Wü nsche aus dem Sinn zu reden, deren Erfü llung nicht anders als verderblich sein konnte. — Pepusch! setzt Euch zu mir und vernehmt eine wunderbare Historie! «

»Das kann ich wohl tun«, erwiderte Pepusch mit giftigem Blick, indem er Platz nahm auf einem gepolsterten Lehnstuhl, dem Flohbä ndiger gegenü ber. »Da«, begann der Flohbä ndiger, »da Ihr, mein lieber Freund Pepusch, in der Geschichte wohl bewandert seid, so wiß t Ihr ohne Zweifel, daß der Kö nig Sekakis viele Jahre hindurch mit der Blumenkö nigin im vertraulichen Verhä ltnis lebte und daß die schö ne, anmutige Prinzessin Gamaheh die Frucht dieser Liebe war. Weniger bekannt dü rft' es sein, und auch ich kann es Euch nicht sagen, auf welche Weise Prinzessin Gamaheh nach Famagusta kam. Manche behaupten, und nicht ohne Grund, daß die Prinzessin in Famagusta sich verbergen sollte vor dem widerlichen Egelprinzen, dem geschwornen Feinde der Blumenkö nigin. Genug! — in Famagusta begab es sich, daß die Prinzessin einst in der erfrischenden Kü hle des Abends lustwandelte und in ein dunkles anmutiges Zypressenwä ldchen geriet. Verlockt von dem lieblichen Sä useln des Abendwindes, dem Murmeln des Bachs, dem melodischen Gezwitscher der Vö gel, streckte die Prinzessin sich hin in das weiche duftige Moos und fiel bald in tiefen Schlaf. Gerade der Feind, dem sie hatte entgehen wollen, der hä ß liche Egelprinz streckte aber sein Haupt empor aus dem Schlammwasser, erblickte die Prinzessin und verliebte sich in die schö ne Schlä ferin dermaß en, daß er dem Verlangen, sie zu kü ssen, nicht widerstehen konnte. Leise kroch er heran und kü ß te sie hinter das linke Ohr. Nun wiß t Ihr aber wohl, Freund Pepusch, daß die Dame, die der Egelprinz zu kü ssen sich unterfä ngt, verloren, denn er ist der ä rgste Blutsauger von der Welt. So geschah es denn auch, daß der Egelprinz die arme Prinzessin so lange kü ß te, bis alles Leben aus ihr geflohen war. Da fiel er ganz ü bersä ttigt und trunken ins Moos und muß te von seinen Dienern, die sich schnell aus dem Schlamm hinanwä lzten, nach Hause gebracht werden. — Vergebens arbeitete sich die Wurzel Mandragora aus der Erde hervor, legte sich auf die Wunde, die der heimtü ckische Egelprinz der Prinzessin gekü ß t, vergebens erhoben sich auf das Wehgeschrei der Wurzel alle Blumen und stimmten ein in die trostlose Klage! Da geschah es, daß der Genius Thetel gerade des Weges kam; auch er wurde tief gerü hrt von Gamahehs Schö nheit und ihrem unglü cklichen Tode. Er nahm die Prinzessin in die Arme, drü ckte sie an seine Brust, mü hte sich, ihr Leben einzuhauchen mit seinem Atem, aber sie erwachte nicht aus dem Todesschlaf. Da erblickte der Genius Thetel den abscheulichen Egelprinzen, den (so schwerfä llig und trunken war er) die Diener nicht hatten hinunterschaffen kö nnen in den Palast, entbrannte in Zorn und warf eine ganze Faust voll Kristallsalz dem hä ß lichen Feinde auf den Leib, so daß er sogleich allen purpurnen Ichor, den er der Prinzessin Gamaheh ausgezogen, ausströ mte und dann seinen Geist aufgab unter vielen Zuckungen und Grimassen, auf elendigliche Weise. Alle Blumen, die ringsum standen, tauchten aber ihre Kleider in diesen lchor und fä rbten sie zum ewigen Andenken der ermordeten Prinzessin in ein solches herrliches Rot, wie es kein Maler auf Erden herauszubringen vermag. — Ihr wiß t, Pepusch, daß die schö nsten dunkelroten Nelken, Amaryllen und Cheiranthen eben aus jenem Zypressenwä ldchen, wo der Egelprinz die schö ne Gamaheh totkü ß te, herstammen. Der Genius Thetel wollte forteilen, da er noch vor Einbruch der Nacht in Samarkand viel zu tun hatte, noch einen Blick warf er aber auf die Prinzessin, blieb festgezaubert stehen und betrachtete sie mit der innigsten Wehmut. Da kam ihm plö tzlich ein Gedanke. Statt weiter zu gehen, nahm er die Prinzessin in die Arme und schwang sich mit ihr hoch auf in die Lü fte. — Zu derselben Zeit beobachteten zwei weise Mä nner, von denen einer, nicht verschwiegen sei es, ich selbst war, auf der Galerie eines hohen Turmes den Lauf der Gestirne. Diese gewahrten hoch ü ber sich den Genius Thetel mit der Prinzessin Gamaheh, und in demselben Augenblick fiel auch dem einen — doch! das gehö rt fü r jetzt nicht zur Sache! — Beide Magier hatten zwar den Genius Thetel erkannt, nicht aber die Prinzessin und erschö pften sich in allerlei Vermutungen, was die Erscheinung wohl zu bedeuten, ohne irgend etwas Gewisses oder auch nur Wahrscheinliches ergrü beln zu kö nnen. Bald darauf wurde aber das unglü ckliche Schicksal der Prinzessin Gamaheh in Famagusta allgemein bekannt, und nun wuß ten auch die Magier sich die Erscheinung des GeniusThetel mitdem Mä dchen im Arm zu erklä ren.

Beide vermuteten, daß der Genius Thetel gewiß noch ein Mittel gefunden haben mü sse, die Prinzessin ins Leben zurü ckzurufen, und beschlossen in Samarkand Nachfrage zu halten, wohin er, ihrer Beobachtung nach, offenbar seinen Flug gerichtet hatte. In Samarkand war aber von der Prinzessin alles stille, niemand wuß te ein Wort.

Viele Jahre waren vergangen, die beiden Magier hatten sich entzweit, wie es wohl unter gelehrten Mä nnern desto ö fter zu geschehen pflegt, je gelehrter sie sind, und nur noch die wichtigsten Entdeckungen teilten sie sich aus alter eiserner Gewohnheit einander mit. — Ihr habt nicht vergessen, Pepusch, daß ich selbst einer dieser Magier bin. — Also, nichtwenig erstaunte ich ü ber eine Mitteilung meines Kollegen, die ü ber die Prinzessin Gamaheh das Wunderbarste und zugleich Glü ckseligste enthielt, was man nur hä tte ahnen kö nnen. Die Sache verhielt sich folgendergestalt: Mein Kollege hatte durch einen wissenschaftlichen Freund aus Samarkand die schö nsten und seltensten Tulpen und so vollkommen frisch erhalten, als seien sie eben vom Stengel geschnitten. Es war ihm unverzü glich um die mikroskopische Untersuchung der innern Teile und zwar des Blumenstaubes zu tun. Er zergliederte deshalb eine schö ne lila und gelb gefä rbte Tulpe und entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdartiges Kö rnlein, welches ihm auffiel in ganz besonderer Weise. Wie groß war aber die Verwunderung, als er mittelst Anwendung des Suchglases deutlich gewahrte, daß das kleine Kö rnlein nichts anders als die Prinzessin Gamaheh, die, in den Blumenstaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und sü ß zu schlummern schien.

Solch eine weite Strecke mich auch von meinem Kollegen trennen mochte, dennoch setzte ich mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er hatte indessen alle Operationen beiseite gestellt, um mir das Vergnü gen des ersten Anblicks zu gö nnen, wohl auch aus Furcht, ganz nach eignem Kopf handelnd, etwas zu verderben. Ich ü berzeugte mich bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobachtung meines Kollegen und war auch ebenso wie er des festen Glaubens, daß es mö glich sein mü sse, die Prinzessin dem Schlummer zu entreiß en und ihr die vorige Gestalt wiederzugeben. Der uns inwohnende sublime Geist ließ uns bald die richtigen Mittel finden. — Da Ihr, Freund Pepusch, sehr wenig, eigentlich gar nichts von unserer Kunst verstehet, so wü rde es hö chst ü berflü ssig sein, Euch die verschiedenen Operationen zu beschreiben, die wir nun vornahmen, um zu unserm Zweck zu gelangen. Es genü gt, wenn ich Euch sage, daß es uns mittelst des geschickten Gebrauchs verschiedener Glä ser, die ich meistenteils selbst prä parierte, glü ckte, nicht allein die Prinzessin unversehrt aus dem Blumenstaub hervorzuziehen, sondern auch ihr Wachstum in der Art zu fö rdern, daß sie bald zu ihrer natü rlichen Grö ß e gelangt war. — Nun fehlte freilich noch das Leben, und ob ihr dieses zu verschaffen mö glich, das hing von der letzten und schwü rigsten Operation ab. — Wir reflektierten ihr Bild mittelst eines herrlichen Kuffischen Sonnenmikroskops und lö sten dieses Bild geschickt los von der weiß en Wand, welches ohne allen Schaden vonstatten ging. Sowie das Bild frei schwebte, fuhr es wie ein Blitz in das Glas hinein, welches in tausend Stü cken zersplitterte. Die Prinzessin stand frisch und lebendig vor uns. Wir jauchzten vor Freude, aber auch um so grö ß er war unser Entsetzen, als wir bemerkten, daß der Umlauf des Blutes gerade da stockte, wo der Egelprinz sich angekü ß t hatte. Schon wollte sie ohnmä chtig hinsinken, als wir eben an der Stelle hinter dem linken Ohr einen kleinen schwarzen Punkt erscheinen und ebenso schnell wieder verschwinden sahen. Die Stockung des Bluts hö rte sogleich auf, die Prinzessin erholte sich wieder, und unser Werk war gelungen.

Jeder von uns, ich und mein Kollege, wuß te recht gut, welch unschä tzbaren Wert der Besitz der Prinzessin fü r ihn haben muß te, und jeder strebte darnach, indem er grö ß eres Recht zu haben glaubte als der andere. Mein Kollege fü hrte an, daß die Tulpe, in deren Kelch er die Prinzessin gefunden, sein Eigentum gewesen, und daß er die erste Entdeckung gemacht, die er mir mitgeteilt, so daß ich nur als Hü lfeleistender zu betrachten, der das Werk selbst, bei dem er geholfen, nicht als Lohn der Arbeit verlangen kö nne. Ich dagegen berief mich darauf, daß ich die letzte, schwü rigste Operation, wodurch die Prinzessin zum Leben gelangt, erfunden und bei der Ausfü hrung mein Kollege nur geholfen, weshalb, habe er auch Eigentumsansprü che auf den Embryo im Blumenstaub gehabt, mir doch die lebendige Person gehö re. Wir zankten uns mehrere Stunden, bis endlich, als wir uns die Kehlen heiser geschrieen hatten, ein Vergleich zustande kam. Der Kollege ü berließ mir die Prinzessin, wogegen ich ihm ein sehr wichtiges, geheimnisvolles Glas einhä ndigte. Eben dieses Glas ist aber die Ursache unserer jetzigen gä nzlichen Verfeindung. Mein Kollege behauptet nä mlich, ich habe das Glas betrü gerischerweise unterschlagen; dies ist aber eine grobe, unverschä mte Lü ge, und wenn ich auch wirklich weiß, daß ihm das Glas bei der Aushä ndigung abhandengekommen ist, so kann ich doch auf Ehre und Gewissen beteuern, daß ich nicht daran schuld bin, auch durchaus nicht begreife, wie das hat geschehen kö nnen. Das Glas ist nä mlich gar nicht so klein, da ein Pulverkorn nur hö chstens achtmal grö ß er sein mag. — Seht, Freund Pepusch, nun habe ich Euch mein ganzes Vertrauen geschenkt, nun wiß t Ihr, daß Dö rtje Elverdink keine andere ist als eben die ins Leben zurü ckgerufene Prinzessin Gamaheh, nun seht Ihr ein, daß ein schlichter junger Mann wie Ihr wohl auf solch eine hohe mystische Verbindung keinen -«

»Halt«, unterbrach George Pepusch den Flohbä ndiger, indem er ihn etwas satanisch anlä chelte, »halt, ein Vertrauen ist des andern wert, und so will ich Euch meinerseits denn vertrauen, daß ich das alles, was Ihr mir da erzä hlt habt, schon viel frü her und besser wuß te als Ihr. Nicht genug kann ich mich ü ber Eure Beschrä nktheit, ü ber Eure alberne Anmaß ung verwundern. — Vernehmt, was Ihr lä ngst erkennen mü ß tet, wä re es, auß er dem was die Glasschleiferei betrifft, mit Eurer Wissenschaft nicht so schlecht bestellt, vernehmt, daß ich selbst die Distel Zeherit bin, welche dort stand, wo die Prinzessin Gamaheh ihr Haupt niedergelegt hatte, und von der Ihr gä nzlich zu schweigen fü r gut gefunden habt. «

»Pepusch«, rief der Flohbä ndiger, »seid Ihr bei Sinnen? Die Distel Zeherit blü ht im fernen Indien und zwar in dem schö nen, von hohen Bergen umschlossenen Tale, wo sich zuweilen die weisesten Magier der Erde zu versammeln pflegen. Der Archivarius Lindhorst kann Euch darü ber am besten belehren. Und Ihr, den ich hier im Polrö ckchen zum Schulmeister laufen gesehen, den ich als vor lauter Studieren und Hungern vermagerten, vergelbten Jenenser gekannt, Ihr wollt die Distel Zeherit sein? Das macht einem andern weis, aber mich laß t damit in Ruhe. «

»Was Ihr«, sprach Pepusch lachend, »was Ihr doch fü r ein weiser Mann seid, Leuwenhoek. Nun! haltet von meiner Person, was Ihr wollt, aber seid nicht albern genug, zu leugnen, daß die Distel Zeherit in dem Augenblick, da sie Gamahehs sü ß er Atem traf, in glü hender Liebe und Sehnsucht erblü hte und daß, als sie die Schlä fe der holden Prinzessin berü hrte, diese auch sü ß trä umend in Liebe kam. Zu spä t gewahrte die Distel den Egelprinzen, den sie sonst mit ihren Stacheln augenblicklich getö tet hä tte. Doch wä r'es ihr mit Hü lfe der Wurzel Mandragora gelungen, die Prinzessin wieder in das Leben zurü ckzubringen, kam nicht der tö lpische Genius Thetel dazwischen mit seinen ungeschickten Rettungsversuchen. -Wahr ist es, daß Thetel im Zorn in die Salzmeste griff, die er auf Reisen gewö hnlich am Gü rtel zu tragen pflegt, wie Pantagruel seine Gewü rzbarke, und eine tü chtige Handvoll Salz nach dem Egelprinzen warf, ganz falsch aber, daß er ihn dadurch getö tet haben sollte. Alles Salz fiel in den Schlamm, nicht ein einziges Kö rnlein traf den Egelprinzen, den die Distel Zeherit mit ihren Stacheln tö tete, so den Tod der Prinzessin rä chte und sich dann selbst dem Tode weihte. Bloß der Genius Thetel, der sich in Dinge mischte, die ihn nichts angingen, ist schuld daran, daß die Prinzessin so lange im Blumenschlaf liegen muß te; die Distel Zeherit erwachte viel frü her. Denn beider Tod war nur die Betä ubung des Blumenschlafs, aus der sie ins Leben zurü ckkehren durften, wiewohl in anderer Gestalt. Das Maß Eures grö blichen Irrtums wü rdet Ihr nä mlich vollmachen, wenn ihr glauben solltet, daß die Prinzessin Gamaheh vö llig so gestaltet war, als es jetzt Dö rtje Elverdink ist, und daß Ihr es waret, der ihr das Leben wiedergab. Es ging Euch so, mein guter Leuwenhoek, wie dem ungeschickten Diener in der wahrhaft merkwü rdigen Geschichte von den drei Pomeranzen, der zwei Jungfrauen aus den Pomeranzen befreite, ohne sich vorher des Mittels versichert zu haben, sie am Leben zu erhalten, und die dann vor seinen Augen elendiglich umkamen. — Nicht Ihr, nein jener, der Euch entlaufen, dessen Verlust Ihr so hart fü hlt und bejammert, der war es, der das Werk vollendete, welches Ihr ungeschickt genug begonnen. «

»Ha«, schrie der Flohbä ndiger ganz auß er sich, »ha, meine Ahnung! — Aber Ihr, Pepusch, Ihr, dem ich so viel Gutes erzeigt, Ihr seid mein ä rgster, schlimmster Feind, das sehe ich nun wohl ein. Statt mir zu raten, statt mir beizustehen in meinem Unglü ck, tischt Ihr mir allerlei unziemliche Narrenspossen auf. « — »Die Narrenspossen auf Euern Kopf«, schrie Pepusch ganz erbost, »zu spä t werdet Ihr Eure Torheit bereuen, einbildischer Charlatan! — Ich gehe, Dö rtje Elverdink aufzusuchen. — Doch damit Ihr nicht mehr ehrliche Leute vexiert -«

Pepusch faß te nach der Schraube, die das ganze mikroskopische Maschinenwerk in Bewegung setzte. »Bringt mich nur gleich ums Leben! « kreischte der Flohbä ndiger; doch in dem Augenblick krachte auch alles zusammen, und ohnmä chtig stü rzte der Flohbä ndiger zu Boden.

»Wie mag es«, sprach George Pepusch zu sich selbst, als er auf der Straß e war, »wie mag es geschehen, daß einer, der ü ber ein hü bsches warmes Zimmer, ü ber ein wohlaufgeklopftes Bette gebietet, sich zur Nachtzeit in dem ä rgsten Sturm und Regen auf den Straß en herumtreibt? « — »Wenn er den Hausschlü ssel vergessen, und wenn ü berdem Liebe, tö richtes Verlangen ihn jagt. « So muß te er sich selbst antworten. — Tö richt kam ihm nä mlich jetzt sein ganzes Beginnen vor. — Er erinnerte sich des Augenblicks, als er Dö rtje Elverdink zum erstenmal gesehen. — Vor mehreren Jahren zeigte nä mlich der Flohbä ndiger seine Kunststü ckchen in Berlin und hatte nicht geringen Zuspruch, solange die Sache neu blieb. Bald hatte man sich aber an den kultivierten und exerzierten Flö hen satt gesehen, man hielt nun nicht einmal die Schneider-, Riemer-, Sattler-, Waffenarbeiten zum Gebrauch der kleinen Personen fü r so gar bewundrungswü rdig, unerachtet man erst von Unbegreiflichkeit, zauberischem Wesen gesprochen, und der Flohbä ndiger schien ganz in Vergessenheit zu geraten. Bald hieß es aber, daß eine Nichte des Flohbä ndigers, die sonst noch gar nicht zum Vorschein gekommen, jetzt den Vorstellungen beiwohne. Diese Nichte sei aber solch ein schö nes, anmutiges Mä dchen und dabei so allerliebst geputzt, daß es gar nicht zu sagen. Die bewegliche Welt der jungen und modernen Herren, welche als tü chtige Konzertmeister in der Sozietä t Ton und Takt anzugeben pflegen, strö mte hin, und weil in dieser Welt nur die Extreme gelten, so weckte des Flohbä ndigers Nichte ein nie gesehenes Wunder. — Bald war es Ton, den Flohbä ndiger zu besuchen, wer seine Nichte nicht gesehen, durfte nicht mitsprechen, und so war dem Manne geholfen. Kein Mensch konnte sich ü brigens in den Vornamen »Dö rtje« finden, und da gerade zu der Zeit die herrliche Bethmann in der Rolle der Kö nigin von Golkonda alle hohe Liebenswü rdigkeit, alle hinreiß ende Anmut, alle weibliche Zartheit entwickelte, die dem Geschlecht nur eigen, und ein Ideal des unnennbaren Zaubers schien, mit dem ein weibliches Wesen alles zu entzü cken vermag, so nannte man die Hollä nderin »Aline«.

Zu der Zeit kam George Pepusch nach Berlin, Leuwenhoeks schö ne Nichte war das Gesprä ch des Tages, und so wurde auch an der Wirtstafel des Hotels, in dem Pepusch sich einlogiert, beinahe von nichts anderem gesprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Mä nner, jung oder alt, ja selbst die Weiber entzü cke. Man drang in Pepusch, sich nur gleich auf die hö chste Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu stellen und die schö ne Hollä nderin zu sehen. — Pepusch hatte ein reizbares melancholisches Temperament; in jedem Genuß spü rte er zu sehr den bittern Beigeschmack, der freilich aus dem schwarzen stygischen Bä chlein kommt, das durch unser ganzes Leben rinnt, und das machte ihn finster, in sich gekehrt, ja oft ungerecht gegen alles, was ihn umgab. Man kann denken, daß auf diese Weise Pepusch wenig aufgelegt war, hü bschen Mä dchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbä ndiger, mehr um seine vorgefaß te Meinung, daß auch hier, wie so oft im Leben, nur ein seltsamer Wahn spuke, bewä hrt zu sehen, als des gefä hrlichen Wunders halber. Er fand die Hollä nderin gar hü bsch, anmutig, angenehm, indem er sie aber betrachtete, muß te er selbstgefä llig seine Sagazitä t belä cheln, vermö ge der er schon erraten, daß die Kö pfe, welche die Kleine vollends verdreht hatte, schon von Haus aus ziemlich wackelicht gewesen sein muß ten.

Die Schö ne hatte den leichten, ungezwungenen Ton, der von der feinsten sozialen Bildung zeugt, ganz in ihrer Gewalt; mit jener liebenswü rdigen Koketterie, die dem, dem sie vertraulich die Fingerspitze hinreicht, zugleich den Mut benimmt, sie zu erfassen, wuß te das kleine holde Ding die sie von allen Seiten Bestü rmenden ebenso anzuziehen als in den Grenzen des zartesten Anstandes zu erhalten.

Niemand kü mmerte sich um den fremden Pepusch, der Muß e genug empfand, die Schö ne in ihrem ganzen Tun und Wesenzu beobachten. Indem er aber lä nger und lä nger ihr in das holde Gesichtchen kuckte, regte sich in dem tiefsten Hintergrunde des innern Sinnes eine dumpfe Erinnerung, als habe er die Hollä nderin irgendwo einmal gesehen, wiewohl in ganz andern Umgebungen und anders gekleidet, so wie es ihm war, als sei er auch damals ganz anders gestaltet gewesen. Vergebens quä lte er sich ab, diese Erinnerung zu irgendeiner Deutlichkeit zu bringen; wiewohl der Gedanke, daß er die Kleine wirklich schon gesehen, immer mehr an Festigkeit gewann. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, als ihn endlich jemand leise anstieß und ihm ins Ohr lispelte: »Nicht wahr, Herr Philosoph, auch Sie hat der Blitzstrahl getroffen? « Es war sein Nachbar von der Wirtstafel her, dem er geä uß ert hatte, daß er die Ekstase, in die alles versetzt sei, fü r einen seltsamen Wahnsinn halte, der ebenso schnell dahinschwinde, als er entstehe. — Pepusch bemerkte, daß, wä hrend er die Kleine unverwandten Auges angestarrt, der Saal leer geworden, so daß eben die letzten Personen davonschritten. Erst jetzt schien die Hollä nderin ihn zu gewahren; sie grü ß te ihn mit anmutiger Freundlichkeit. —

Pepusch wurde die Hollä nderin nicht los; er marterte sich ab in der schlaflosen Nacht, um nur auf die Spur jener Erinnerung zu kommen, indessen vergebens. Der Anblick der Schö nen konnte allein ihn nicht auf jene Spur bringen, so dachte er ganz richtig und unterließ nicht, gleich andern Tages und dann alle folgenden Tage zum Flohbä ndiger zu wandern und zwei — drei Stunden die hü bsche Dö rtje Elverdink anzustarren. —

Kann der Mann den Gedanken an ein liebenswü rdiges Frauenzimmer, das seine Aufmerksamkeit erregte auf diese, jene Weise, nicht los werden, so ist das fü r ihn der erste Schritt zur Liebe, und so kam es denn auch, daß Pepusch in dem Augenblick, als er bloß jener dunklen Erinnerung nachzugrü beln glaubte, in die schö ne Hollä nderin schon ganz verliebt war.

Wer wollte sich jetzt noch um die Flö he kü mmern, ü ber die die Hollä nderin, alles an sich ziehend, den glä nzendsten Sieg davongetragen hatte. Der Flohbä ndiger fü hlte selbst, daß er mit seinen Flö hen eine etwas alberne Rolle spiele, er sperrte daher seine Mannschaft bis auf andere Zeiten ein und gab mit vielem Geschick seinem Schauspiel eine andere Gestalt, der schö nen Nichte aber die Hauptrolle.

Der Flohbä ndiger hatte nä mlich den glü cklichen Gedanken gefaß t, Abendunterhaltungen anzuordnen, auf die man sich mit einer ziemlich hohen Summe abonnierte und in denen, nachdem er einige artige optische Kunststü cke gezeigt, die fernere Unterhaltung der Gesellschaft seiner Nichte oblag. — In vollem Maß ließ die Schö ne ihr soziales Talent glä nzen, dann nü tzte sie aber die kleinste Stockung, um durch Gesang, den sie selbst auf der Guitarre begleitete, der Gesellschaft einen neuen Schwung zu geben. Ihre Stimme war nicht stark, ihre Methode nicht grandios, oft wider die Regel, aber der sü ß e Ton, die Klarheit, Nettigkeit ihres Gesangs entsprach ganz ihrem holden Wesen, und vollends wenn sie unter den schwarzen seidnen Wimpern den schmachtenden Blick wie feuchten Mondesstrahl hineinleuchten ließ unter die Zuhö rer, da wurde jedem die Brust enge, und selbst der Tadel des eigensinnigsten Pedanten muß te verstummen. — Pepusch setzte in diesen Abendunterhaltungen sein Studium eifrig fort, das heiß t, er starrte zwei Stunden lang die Hollä nderin an und verließ dann mit den ü brigen den Saal.

Einmal stand er der Hollä nderin nä her als gewö hnlich und hö rte deutlich, was sie zu einem jungen Manne sprach: »Sagen Sie mir, wer ist dieses leblose Gespenst, das mich jeden Abend stundenlang anstarrt und dann lautlos verschwindet? «

Pepusch fü hlte sich tief verletzt, tobte und lä rmte auf seinem Zimmer, stellte sich so ungebä rdig, daß kein Freund ihn in diesem tollen Wesen wiedererkannt haben wü rde. Er schwur hoch und teuer, die boshafte Hollä nderin niemals wiederzusehen, unterließ aber nicht, gleich am andern Abend sich zur gewö hnlichen Stunde bei Leuwenhoek einzufinden und womö glich die schö ne Dö rtje mit noch erstarrterem Blick anzugaffen. Schon auf der Treppe war er freilich darü ber sehr erschrocken, daß er eben die Treppe hinaufstieg, und hatte in aller Schnelligkeit den weisen Vorsatz gefaß t, sich wenigstens von dem verfü hrerischen Wesen ganz entfernt zu halten. Diesen Vorsatz fü hrte er auch wirklich aus, indem er sich in einen Winkel des Saals verkroch; der Versuch, die Augen niederzuschlagen, miß glü ckte aber durchaus, und wie gesagt, noch starrer als sonst schaute er der Hollä nderin in die Augen.

Selbst wuß te er nicht, wie es geschah, daß Dö rtje Elverdink plö tzlich in seinem Winkel dicht neben ihm stand.

Mit einem Stimmlein, das sü ß lispelnde Melodie war, sprach die Holde: »Ich erinnere mich nicht, mein Herr, Sie schon anderwä rts gesehen zu haben als hier in Berlin, und doch finde ich in den Zü gen Ihres Antlitzes, in Ihrem ganzen Wesen so viel Bekanntes. Ja, es ist mir, als wä ren wir vor gar langer Zeit einander ganz befreundet gewesen, jedoch in einem sehr fernen Lande und unter ganz andern seltsamen Umstä nden. Ich bitte Sie, mein Herr, reiß en Sie mich aus der Ungewiß heit, und tä uscht mich nicht vielleicht eine Ä hnlichkeit, so lassen Sie uns das freundschaftliche Verhä ltnis erneuern, das in dunkler Erinnerung ruht, wie ein schö ner Traum. «

Dem Herrn George Pepusch wurde bei diesen anmutigen Worten der schö nen Hollä nderin gar sonderbar zumute. Die Brust war enge, und indem ihm die Stirn brannte, frö stelte es ihm durch alle Glieder, als lä g'er im stä rksten Fieber. Wollte das nun auch nichts anders bedeuten, als daß Herr Pepusch in die Hollä nderin bis ü ber den Kopf verliebt war, so gab es doch noch eine andere Ursache des durchaus verwirrten Zustandes, der ihm alle Sprache, ja beinahe alle Besinnung raubte. Sowie nä mlich Dö rtje Elverdink davon sprach, daß sie glaube, vor langer Zeit ihn schon gekannt zu haben, war es ihm, als wü rde in seinem Innern wie in einer Laterna magica plö tzlich ein anderes Bild vorgeschoben und er erblickte ein weit entferntes Sonst, das lange zurü ckliege hinter der Zeit, als er zum erstenmal Muttermilch gekostet, und in dem er selbst doch ebensogut als Dö rtje Elverdink sich rege und bewege. Genug! — der Gedanke, der sich eben durch vieles Denken erst recht klar und fest gestaltete, blitzte in diesem Augenblick auf, und dieser Gedanke war nicht Geringeres, als daß Dö rtje Elverdink die Prinzessin Gamaheh, Tochter des Kö nigs Sekakis sei, die er schon in der grü nen Zeit geliebt, da er noch die Distel Zeherit gewesen. Gut war es, daß er diesen Gedanken andern Leuten nicht sonderlich mitteilte; man hä tte ihn sonst vielleicht fü r wahnsinnig gehalten und eingesperrt, wiewohl die fixe Idee eines Partiell-Wahnsinnigen oft nichts anders sein mag, als die Ironie eines Seins, welches dem jetzigen vorausging.

»Aber mein Himmel, Sie scheinen ja stumm, mein Herr! « So sprach die Kleine, indem sie mit den niedlichsten Fingerchen Georges Brust berü hrte. Doch aus den Spitzen dieser Finger fuhr ein elektrischer Strahl dem George bis ins Herz hinein, und er erwachte aus seiner Betä ubung. In voller Ekstase ergriff er die Hand der Kleinen, bedeckte sie mit glü henden Kü ssen und rief: »Himmlisches, gö ttliches Wesen« — usw. Der geneigte Leser wird sich wohl denken kö nnen, was Herr George Pepusch in diesem Augenblick noch alles gerufen. —

Es genü gt zu sagen, daß die Kleine Georges Liebesbeteuerungen so aufnahm, wie er es nur wü nschen konnte, und daß die verhä ngnisvolle Minute im Winkel des Leuwenhoekschen Saals ein Liebesverhä ltnis gebar, das den guten Herrn George Pepusch erst in den Himmel, dann aber der Abwechslung wegen in die Hö lle versetzte. War nä mlich Pepusch melancholischen Temperaments und dabei mü rrisch und argwö hnisch, so konnt' es nicht fehlen, daß Dö rtjes Betragen ihm Anlaß gab zu mancher Eifersü chtelei. Gerade diese Eifersü chtelei reizte aber Dö rtjes etwas schalkischen Humor, und es war ihre Lust, den armen Herrn George Pepusch auf die sinnreichste Weise zu quä len. Da nun aber jedes Ding nur bis zu einer gewissen Spitze getrieben werden kann, so kam es denn auch zuletzt bei Pepusch zum Ausbruch des lang verhaltenen Ingrimms. Er sprach nä mlich einmal gerade von jener wunderbaren Zeit, da er als Distel Zeherit die schö ne Hollä nderin, die damals die Tochter des Kö nigs Sekakis gewesen, so innig geliebt, und gedachte mit aller Begeisterung der innigsten Liebe, daß eben jenes Verhä ltnis, der Kampf mit dem Egelkö nig ihm schon das unbestrittenste Recht auf Dö rtjes Hand gegeben. Dö rtje Elverdink versicherte, wie sie sich jener Zeit, jenes Verhä ltnisses gar wohl erinnere und die Ahnung davon zuerst wieder in ihre Seele gekommen, als Pepusch sie mit dem Distelblick angeschaut. Die Kleine wuß te so anmutig von diesen wunderbaren Dingen zu reden, sie tat so begeistert von der Liebe zu der Distel Zeherit, die dazu bestimmt gewesen, in Jena zu studieren und dann in Berlin die Prinzessin Gamaheh wiederzufinden, daß Herr George Pepusch im Eldorado alles Entzü ckens zu sein glaubte. — Das Liebespaar stand am Fenster, und die Kleine litt es, daß der verliebte George den Arm um sie schlug. In dieser vertraulichen Stellung kosten sie miteinander, denn zum Gekose wurde das trä umerische Reden von den Wundern in Famagusta. Da begab es sich, daß ein sehr hü bscher Offizier von den Garde-Husaren in funkelnagelneuer Uniform vorü berging und die Kleine, die er aus den Abendgesellschaften kannte, sehr freundlich grü ß te. Dö rtje hatte die Augen halb geschlossen und das Kö pfchen abgewendet von der Straß e; man hä tte denken sollen, daß es ihr unmö glich sein mü ß te, den Offizier zu gewahren, aber mä chtig ist der Zauber einer neuen glä nzenden Uniform! Die Kleine, vielleicht schon erregt durch das bedeutungsvolle Klappern des Sä bels auf dem Steinpflaster, ö ffnete die Ä uglein hell und klar, wand sich aus Georges Arm, riß das Fenster auf, warf dem Off izier ein Kuß hä ndchen zu und schaute ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden.

»Gamaheh«, schrie die Distel Zeherit ganz auß er sich, »Gamaheh, was ist das? — spottest du meiner? Ist das die Treue, die du deiner Distel angelobt? « — Die Kleine drehte sich auf dem Absatz herum, schlug ein helles Gelä chter auf und rief: »Geht, geht, George! Bin ich die Tochter des wü rdigen alten Kö nigs Sekakis, seid Ihr die Distel Zeherit, so ist jener allerliebste Offizier der Genius Thetel, der mir eigentlich viel besser gefä llt wie die traurige stachlichte Distel. « — Damit sprang die Hollä nderin fort durch die Tü re, George Pepusch geriet aber, wie man denken kann, sofort in Wut und Verzweiflung und rannte wild die Treppe hinab, zum Hause hinaus, als hetzten ihn tausend Teufel. Das Geschick wollt' es, daß George einem Freunde begegnete, der in einer Postkalesche saß und fort wollte. »Halt, ich reise mit Euch! « So rief die Distel Zeherit, flog schnell nach Hause, zog einen Ü berrock an, steckte Geld ein, gab den Stubenschlü ssel der Wirtin, setzte sich in die Kalesche hinein und fuhr mit dem Freunde von dannen.

Unerachtet dieser feindseligen Trennung war aber die Liebe zur schö nen Hollä nderin in Georges Brust ganz und gar nicht erloschen, und ebensowenig konnte er sich entschließ en, die gerechten Ansprü che aufzugeben, die er als Distel Zeherit auf Gamahehs Hand und Herz zu haben glaubte. Er erneuerte daher diese Ansprü che, als er nach etlichen Jahren wiederum im Haag mit Leuwenhoek zusammentraf, und wie eifrig er sie auch in Frankfurt verfolgte, hat der geneigte Leser bereits erfahren. — -

Ganz trostlos rannte Herr George Pepusch in der Nacht durch die Gassen, als der flackernde, ungewö hnlich helle Schein eines Lichts, der durch die Spalte eines Fensterladens im untern Stock eines ansehnlichen Hauses auf die Straß e fiel, seine Aufmerksamkeit erregte. Er glaubte, es mü sse in der Stube brennen, und schwang sich daher am Gitterwerk hinauf, um in die Stube zu schauen. Grenzenlos war aber sein Erstaunen ü ber das, was er erblickte.

Ein helles, lustiges Feuer loderte im Kamin, der dem Fenster geradeü ber gelegen; vor diesem Kamin saß oder lag vielmehr in einem breiten altvä terischen Lehnstuhl die kleine Hollä nderin, geputzt wie ein Engel. Sie schien zu schlummern, wä hrend ein sehr alter ausgetrockneter Mann vor dem Feuer kniete und, Brill' auf der Nase, in einen Topf kuckte, in dem wahrscheinlich irgendein Geträ nk kochte. Pepusch wollte sich noch hö her hinaufschwingen, um besser die Gruppe ins Auge zu fassen, fü hlte sich indessen bei den Beinen gepackt und mit Gewalt heruntergezogen. Eine barsche Stimme rief: »Seht mal den Spitzbuben, das wä re mir recht. — Fort, Patron, ins Hundeloch! « — Es war der Nachtwä chter, der Georgen bemerkt hatte, wie er an das Fenster hinanklimmte, und nichts anders vermuten konnte, als daß er einbrechen wolle ins Haus. Aller Protestationen unerachtet wurde Herr George Pepusch von dem Wä chter, dem die herbeieilende Patrouille zu Hü lfe geeilt war, fortgeschleppt, und auf diese Weise endete seine nä chtliche Wanderung frö hlich in der Wachtstube. -



  

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