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E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. (Erstdruck 1817). Nathanael an Lothar



E. T. A. Hoffmann

Der Sandmann

(Erstdruck 1817)

Nathanael an Lothar

Gewiß seid Ihr alle voll Unruhe, daß ich so lange - lange nicht geschrieben. Mutter zü rnt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief mir in Herz und Sinn eingeprä gt, ganz und gar. - Dem ist aber nicht so; tä glich und stü ndlich gedenke ich Eurer aller und in sü ß en Trä umen geht meines holden Clä rchens freundliche Gestalt vorü ber und lä chelt mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl pflegte, wenn ich zu Euch hineintrat. - Ach wie vermochte ich denn Euch zu schreiben, in der zerrissenen Stimmung des Geistes, die mir bisher alle Gedanken verstö rte! - Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten! - Dunkle Ahnungen eines grä ß lichen mir drohenden Geschicks breiten sich wie schwarze Wolkenschatten ü ber mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. - Nun soll ich Dir sagen, was mir widerfuhr. Ich muß es, das sehe ich ein, aber nur es denkend, lacht es wie toll aus mir heraus. - Ach mein herzlieber Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermaß en empfinden zu lassen, daß das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich mein Leben so feindlich zerstö ren konnte! Wä rst Du nur hier, so kö nntest Du selbst schauen; aber jetzt hä ltst Du mich gewiß fü r einen aberwitzigen Geisterseher. - Kurz und gut, das Entsetzliche, was mir geschah, dessen tö dlichen Eindruck zu vermeiden ich mich vergebens bemü he, besteht in nichts anderm, als daß vor einigen Tagen, nä mlich am 30. Oktober mittags um 12 Uhr, ein Wetterglashä ndler in meine Stube trat und mir seine Ware anbot. Ich kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe herabzuwerfen, worauf er aber von selbst fortging.

Du ahnest, daß nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende Beziehungen diesem Vorfall Bedeutung geben kö nnen, ja, daß wohl die Person jenes unglü ckseligen Krä mers gar feindlich auf mich wirken muß. So ist es in der Tat. Mit aller Kraft fasse ich mich zusammen, um ruhig und geduldig Dir aus meiner frü hern Jugendzeit so viel zu erzä hlen, daß Deinem regen Sinn alles klar und deutlich in leuchtenden Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, hö re ich Dich lachen und Clara sagen: »Das sind ja rechte Kindereien! « - Lacht, ich bitte Euch, lacht mich recht herzlich aus! - ich bitt Euch sehr! - Aber Gott im Himmel! die Haare strä uben sich mir und es ist, als flehe ich Euch an, mich auszulachen, in wahnsinniger Verzweiflung, wie Franz Moor den Daniel. - Nun fort zur Sache!

Auß er dem Mittagsessen sahen wir, ich und mein Geschwister, tagü ber den Vater wenig. Er mochte mit seinem Dienst viel beschä ftigt sein. Nach dem Abendessen, das alter Sitte gemä ß schon um sieben Uhr aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters Arbeitszimmer und setzten uns um einen runden Tisch. Der Vater rauchte Tabak und trank ein groß es Glas Bier dazu. Oft erzä hlte er uns viele wunderbare Geschichten und geriet darü ber so in Eifer, daß ihm die Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder anzü nden muß te, welches mir denn ein Hauptspaß war. Oft gab er uns aber Bilderbü cher in die Hä nde, saß stumm und starr in seinem Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, daß wir alle wie im Nebel schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig und kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: »Nun Kinder! - zu Bette! zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon. « Wirklich hö rte ich dann jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe heraufpoltern; das muß te der Sandmann sein. Einmal war mir jenes dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, indem sie uns fortfü hrte: »Ei Mama! wer ist denn der bö se Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? - wie sieht er denn aus? « - »Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind«, erwiderte die Mutter: »wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heiß en, ihr seid schlä frig und kö nnt die Augen nicht offen behalten, als hä tte man euch Sand hineingestreut. « - Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindischen Gemü t entfaltete sich deutlich der Gedanke, daß die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht fü rchten sollten, ich hö rte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll Neugierde, Nä heres von diesem Sandmann und seiner Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine jü ngste Schwester wartete: was denn das fü r ein Mann sei, der Sandmann? »Ei Thanelchen«, erwiderte diese, »weiß t du das noch nicht? Das ist ein bö ser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Hä ndevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trä gt sie in den Halbmond zur Atzung fü r seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnä bel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf. « - Grä ß lich malte sich nun im Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; sowie es abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen. Nichts als den unter Trä nen hergestotterten Ruf. »Der Sandmann! der Sandmann! « konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf in das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht ü ber quä lte mich die fü rchterliche Erscheinung des Sandmanns. - Schon alt genug war ich geworden, um einzusehen, daß das mit dem Sandmann und seinem Kindernest im Halbmonde, so wie es mir die Wartefrau erzä hlt hatte, wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben kö nne; indessen blieb mir der Sandmann ein fü rchterliches Gespenst, und Grauen - Entsetzen ergriff mich, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkommen, sondern auch meines Vaters Stubentü r heftig aufreiß en und hineintreten hö rte. Manchmal blieb er lange weg, dann kam er ö fter hintereinander. Jahrelang dauerte das, und nicht gewö hnen konnte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grausigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantasie immer mehr und mehr zu beschä ftigen: den Vater darum zu befragen hielt mich eine unü berwindliche Scheu zurü ck, aber selbst - selbst das Geheimnis zu erforschen, den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu keimte mit den Jahren immer mehr die Lust in mir empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemü t sich einnistet. Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolten, Hexen, Dä umlingen usw. zu hö ren oder zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann, den ich in den seltsamsten, abscheulichsten Gestalten ü berall auf Tische, Schrä nke und Wä nde mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die Mutter aus der Kinderstube in ein Kä mmerchen, das auf dem Korridor unfern von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer muß ten wir uns, wenn auf den Schlag neun Uhr sich jener Unbekannte im Hause hö ren ließ, schnell entfernen. In meinem Kä mmerchen vernahm ich, wie er bei dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir dann, als verbreite sich im Hause ein feiner seltsam riechender Dampf. Immer hö her mit der Neugierde wuchs der Mut, auf irgend eine Weise des Sandmanns Bekanntschaft zu machen. Oft schlich ich schnell aus dem Kä mmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter vorü bergegangen, aber nichts konnte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann schon zur Tü re hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir sichtbar werden muß te. Endlich von unwiderstehlichem Drange getrieben, beschloß ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu verbergen und den Sandmann zu erwarten.

An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines Abends, daß der Sandmann kommen werde; ich schü tzte daher groß e Mü digkeit vor, verließ schon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg mich dicht neben der Tü re in einen Schlupfwinkel. Die Haustü r knarrte, durch den Flur ging es, langsamen, schweren, drö hnenden Schrittes nach der Treppe. Die Mutter eilte mit dem Geschwister mir vorü ber. Leise - leise ö ffnete ich des Vaters Stubentü r. Er saß, wie gewö hnlich, stumm und starr den Rü cken der Tü re zugekehrt, er bemerkte mich nicht, schnell war ich hinein und hinter der Gardine, die einem gleich neben der Tü re stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider hingen, vorgezogen war. - Nä her - immer nä her drö hnten die Tritte - es hustete und scharrte und brummte seltsam drauß en. Das Herz bebte mir vor Angst und Erwartung. - Dicht, dicht vor der Tü re ein scharfer Tritt - ein heftiger Schlag auf die Klinke, die Tü r springt rasselnd auf! - Mit Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann steht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der fü rchterliche Sandmann ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittage iß t!

Aber die grä ß lichste Gestalt hä tte mir nicht tieferes Entsetzen erregen kö nnen, als eben dieser Coppelius. - Denke Dir einen groß en breitschultrigen Mann mit einem unfö rmlich dicken Kopf, erdgelbem Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar grü nliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln, groß er, starker ü ber die Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum hä mischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote Flecke sichtbar und ein seltsam zischender Ton fä hrt durch die zusammengekniffenen Zä hne. Coppelius erschien immer in einem altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Strü mpfe und Schuhe mit kleinen Steinschnallen. Die kleine Perü cke reichte kaum bis ü ber den Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen hoch ü ber den groß en roten Ohren und ein breiter verschlossener Haarbeutel starrte von dem Nacken weg, so daß man die silberne Schnalle sah, die die gefä ltelte Halsbinde schloß. Die ganze Figur war ü berhaupt widrig und abscheulich; aber vor allem waren uns Kindern seine groß en knotigten, haarigten Fä uste zuwider, so daß wir, was er damit berü hrte, nicht mehr mochten. Das hatte er bemerkt und nun war es seine Freude, irgend ein Stü ckchen Kuchen, oder eine sü ß e Frucht, die uns die gute Mutter heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem, oder jenem Vorwande zu berü hren, daß wir, helle Trä nen in den Augen, die Nä scherei, der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr genieß en mochten vor Ekel und Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns an Feiertagen der Vater ein klein Glä schen sü ß en Weins eingeschenkt hatte. Dann fuhr er schnell mit der Faust herü ber, oder brachte wohl gar das Glas an die blauen Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern Ä rger nur leise schluchzend ä uß ern durften. Er pflegte uns nur immer die kleinen Bestien zu nennen; wir durften, war er zugegen, keinen Laut von uns geben und verwü nschten den hä ß lichen, feindlichen Mann, der uns recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb. Die Mutter schien ebenso, wie wir, den widerwä rtigen Coppelius zu hassen; denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres unbefangenes Wesen umgewandelt in traurigen, dü stern Ernst. Der Vater betrug sich gegen ihn, als sei er ein hö heres Wesen, dessen Unarten man dulden und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten mü sse. Er durfte nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und seltene Weine kredenzt.

Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in meiner Seele auf, daß ja niemand anders, als er, der Sandmann sein kö nne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem Ammenmä rchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung holt - nein! - ein hä ß licher gespenstischer Unhold, der ü berall, wo er einschreitet, Jammer - Not - zeitliches, ewiges Verderben bringt.

Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich dachte, hart gestraft zu werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater empfing den Coppelius feierlich. »Auf! - zum Werk«, rief dieser mit heiserer, schnurrender Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel. Wo sie die hernahmen, hatte ich ü bersehen. Der Vater ö ffnete die Flü geltü r eines Wandschranks; aber ich sah, daß das, was ich solange dafü r gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze Hö hlung war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu und eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames Gerä te stand umher. Ach Gott! - wie sich nun mein alter Vater zum Feuer herabbü ckte, da sah er ganz anders aus. Ein grä ß licher krampfhafter Schmerz schien seine sanften ehrlichen Zü ge zum hä ß lichen widerwä rtigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius ä hnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte damit hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig hä mmerte. Mir war es als wü rden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen - scheuß liche, tiefe schwarze Hö hlen statt ihrer. »Augen her, Augen her! « rief Coppelius mit dumpfer drö hnender Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfaß t und stü rzte aus meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich Coppelius, »kleine Bestie! - kleine Bestie! « meckerte er zä hnfletschend! - riß mich auf und warf mich auf den Herd, daß die Flamme mein Haar zu sengen begann: »Nun haben wir Augen - Augen - ein schö n Paar Kinderaugen. « So flü sterte Coppelius, und griff mit den Fä usten glutrote Kö rner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte. Da hob mein Vater flehend die Hä nde empor und rief. »Meister! Meister! laß meinem Nathanael die Augen - laß sie ihm! « Coppelius lachte gellend auf und rief. »Mag denn der Junge die Augen behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den Mechanismus der Hä nde und der Fü ß e recht observieren. « Und damit faß te er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und schrob mir die Hä nde ab und die Fü ß e und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein. »'s steht doch ü berall nicht recht! 's gut so wie es war! - Der Alte hat's verstanden! « So zischte und lispelte Coppelius; aber alles um mich her wurde schwarz und finster, ein jä her Krampf durchzuckte Nerv und Gebein - ich fü hlte nichts mehr. Ein sanfter warmer Hauch glitt ü ber mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem Todesschlaf, die Mutter hatte sich ü ber mich hingebeugt. »Ist der Sandmann noch da? « stammelte ich. »Nein, mein liebes Kind, der ist lange, lange fort, der tut dir keinen Schaden! « - So sprach die Mutter und kü ß te und herzte den wiedergewonnenen Liebling.

Was soll ich Dich ermü den, mein herzlieber Lothar! was soll ich so weitlä ufig einzelnes hererzä hlen, da noch so vieles zu sagen ü brig bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt, und von Coppelius gemiß handelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag. »Ist der Sandmann noch da? « - Das war mein erstes gesundes Wort und das Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den schrecklichsten Moment meiner Jugendjahre darf ich Dir erzä hlen; dann wirst Du ü berzeugt sein, daß es nicht meiner Augen Blö digkeit ist, wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, daß ein dunkles Verhä ngnis wirklich einen trü ben Wolkenschleier ü ber mein Leben gehä ngt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreiß e.

Coppelius ließ sich nicht mehr sehen, es hieß, er habe die Stadt verlassen.

Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unverä nderten Sitte gemä ß abends an dem runden Tische saß en. Der Vater war sehr heiter und erzä hlte viel Ergö tzliches von den Reisen, die er in seiner Jugend gemacht. Da hö rten wir, als es neune schlug, plö tzlich die Haustü r in den Angeln knarren und langsame eisenschwere Schritte drö hnten durch den Hausflur die Treppe herauf. »Das ist Coppelius«, sagte meine Mutter erblassend. »Ja! - es ist Coppelius«, wiederholte der Vater mit matter gebrochener Stimme. Die Trä nen stü rzten der Mutter aus den Augen. »Aber Vater, Vater! « rief sie, »muß es denn so sein? « - »Zum letzten Male! « erwiderte dieser, »zum letzten Male kommt er zu mir, ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht - geht zu Bette! Gute Nacht! «

Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepreß t - mein Atem stockte! - Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich unbeweglich stehen blieb: »Komm Nathanael, komme nur! « Ich ließ mich fortfü hren, ich trat in meine Kammer. »Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins Bette! - schlafe - schlafe«, rief mir die Mutter nach; aber von unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequä lt, konnte ich kein Auge zutun. Der verhaß te abscheuliche Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen und lachte mich hä misch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Geschü tz losgefeuert wü rde. Das ganze Haus erdrö hnte, es rasselte und rauschte bei meiner Tü re vorü ber, die Haustü re wurde klirrend zugeworfen. »Das ist Coppelius! « rief ich entsetzt und sprang aus dem Bette. Da kreischte es auf in schneidendem trostlosen Jammer, fort stü rzte ich nach des Vaters Zimmer, die Tü re stand offen, erstickender Dampf quoll mir entgegen, das Dienstmä dchen schrie: »Ach, der Herr! - der Herr! « - Vor dem dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz verbranntem grä ß lich verzerrtem Gesicht, um ihn herum heulten und winselten die Schwestern - die Mutter ohnmä chtig daneben! - »Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen! « - So schrie ich auf, mir vergingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf meinen Vater in den Sarg legte, waren seine Gesichtszü ge wieder mild und sanft geworden, wie sie im Leben waren. Trö stend ging es in meiner Seele auf, daß sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn nicht ins ewige Verderben gestü rzt haben kö nne.

Die Explosion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar und kam vor die Obrigkeit, welche den Coppelius zur Verantwortung vorfordern wollte. Der war aber spurlos vom Orte verschwunden.

Wenn ich Dir nun sage, mein herzlieber Freund! daß jener Wetterglashä ndler eben der verruchte Coppelius war, so wirst Du mir es nicht verargen, daß ich die feindliche Erscheinung als schweres Unheil bringend deute. Er war anders gekleidet, aber Coppelius' Figur und Gesichtszü ge sind zu tief in mein Innerstes eingeprä gt, als daß hier ein Irrtum mö glich sein sollte. Zudem hat Coppelius nicht einmal seinen Namen geä ndert. Er gibt sich hier, wie ich hö re, fü r einen piemontesischen Mechanikus aus, und nennt sich Giuseppe Coppola.

Ich bin entschlossen es mit ihm aufzunehmen und des Vaters Tod zu rä chen, mag es denn nun gehen wie es will.

Der Mutter erzä hle nichts von dem Erscheinen des grä ß lichen Unholds - Grü ß e meine liebe holde Clara, ich schreibe ihr in ruhigerer Gemü tsstimmung. Lebe wohl etc. etc.



  

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