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Meister Floh. E.T.A. Hoffmann. Erstes Abenteuer. Einleitung



Meister Floh

E. T. A. Hoffmann

 

 

Erstes Abenteuer

Einleitung

Worin der geneigte Leser so viel aus dem Leben des Herrn Peregrinus Tyß erfä hrt, als ihm zu wissen nö tig. — Die Weihnachtsbescherung bei dem Buchbinder Lä mmerhirt in der Kalbä cher Gasse und Beginn des ersten Abenteuers. — Die beiden Alinen.

Es war einmal — welcher Autor darf es jetzt wohl noch wagen, sein Geschichtlein also zu beginnen. — »Veraltet! — Langweilig! « — so ruft der geneigte oder vielmehr ungeneigte Leser, der nach des alten rö mischen Dichters weisen Rat gleich medias in res versetzt sein will. Es wird ihm dabei zumute, als nehme irgendein weitschweifiger Schwä tzer von Gast, der eben eingetreten, breiten Platz und rä uspre sich aus, um seinen endlosen Sermon zu beginnen, und er klappt unwillig das Buch zu, das er kaum aufgeschlagen. Gegenwä rtiger Herausgeber des wunderbaren Mä rchens von Meister Floh meint nun zwar, daß jener Anfang sehr gut und eigentlich der beste jeder Geschichte sei, weshalb auch die vortrefflichsten Mä rchenerzä hler, als da sind Ammen, alte Weiber u. a. sich desselben jederzeit bedient haben, da aber jeder Autor vorzugsweise schreibt, um gelesen zu werden, so will er (besagter Herausgeber nä mlich) dem gü nstigen Leser durchaus nicht die Lust benehmen, wirklich sein Leserzu sein. Er sagt demselben daher gleich ohne alle weitere Umschweife, daß demselben Peregrinus Tyß, von dessen seltsamen Schicksalen diese Geschichte handeln wird, an keinem Weihnachtsabende das Herz so geklopft hatte vor banger freudiger Erwartung, als gerade an demjenigen, mit welchem die Erzä hlung seiner Abenteuer beginnt.

Peregrinus befand sich in einer dunklen Kammer, die neben dem Prunkzimmer belegen, wo ihm der Heilige Christ einbeschert zu werden pflegte. Dort schlich er bald leise auf und ab, lauschte auch wohl ein wenig an der Tü re, bald setzte er sich still hin in den Winkel und zog mit geschlossenen Augen die mystischen Dü fte des Marzipans, der Pfefferkuchen ein, die aus dem Zimmer strö mten. Dann durchbebten ihn sü ß e heimliche Schauer, wenn, indem er schnell wieder die Augen ö ffnete, ihn die hellen Lichtstrahlen blendeten, die, durch die Ritzen der Tü re hineinfallend, an der Wand hin und her hü pften.

Endlich erklang das silberne Glö cklein, die Tü re des Zimmers wurde geö ffnet, und hinein stü rzte Peregrinus in ein ganzes Feuermeer von bunt flackernden Weihnachtslichtern. — Ganz erstarrt blieb Peregrinus vor dem Tische stehen, auf dem die schö nsten Gaben in gar hü bscher zierlicher Ordnung aufgestellt waren, nur ein lautes Ach! drä ngte sich aus seiner Brust hervor. Noch nie hatte der Weihnachtsbaum solche reiche Frü chte getragen, denn alles Zuckerwerk, wie es nur Namen haben mag, und dazwischen manche goldne Nuß, mancher goldne Apfel aus den Gä rten der Hesperiden hing an den Ä sten, die sich beugten unter der sü ß en Last. Der Vorrat von dem auserlesensten Spielzeug, schö nem bleiernen Militä r, ebensolcher Jä gerei, aufgeschlagenen Bilderbü chern usw. ist gar nicht zu beschreiben. Noch wagte er es nicht, irgend etwas von dem ihm bescherten Reichtum zu berü hren, er konnte sich nur mü hen, sein Staunen zu besiegen, den Gedanken des Glü cks zu erfassen, daß das alles nun wirklich sein sei.

»O meine lieben Eltern! — o meine gute Aline! « So rief Peregrinus im Gefü hl des hö chsten Entzü ckens. »Nun«, erwiderte Aline, »hab ich's so recht gemacht, Peregrinchen? — Freuest du dich auch recht von Herzen, mein Kind? — Willst du nicht all die schö ne Ware nä her betrachten, willst du nicht das neue Reitpferd, den hü bschen Fuchs hier, versuchen? « »Ein herrliches Pferd«, sprach Peregrinus, das aufgezä umte Steckenpferd mit Freudenträ nen in den Augen betrachtend, »ein herrliches Pferd, echt arabische Race. « Er bestieg denn auch sogleich das edle stolze Roß; mochte Peregrinus aber sonst auch ein vortrefflicher Reuter sein, er muß te es diesmal in irgend etwas verfehlt haben, denn der wilde Pontifex (so war das Pferd geheiß en) bä umte sich schnaubend und warf ihn ab, daß er klä glich die Beine in die Hö he streckte. Noch ehe indessen die zum Tode erschrockene Aline ihm zu Hü lfe springen konnte, hatte Peregrinus sich schon emporgerafft und den Zü gel des Pferdes ergriffen, das eben, hinten ausschlagend, durchgehen wollte. Aufs neue schwang sich Peregrinus nun auf und brachte, alle Reiterkü nste aufbietend und mit Kraft und Geschick anwendend, den wilden Hengst so zur Vernunft, daß er zitterte, keuchte, stö hnte, in Peregrinus seinen mä chtigen Zwangherrn erkannte. — Aline fü hrte, als Peregrinus abgesessen, den Gebeugten in den Stall.

Die etwas stü rmische Reiterei, die im Zimmer, vielleicht im ganzen Hause einen unbilligen Lä rm verursacht, war nun vorü ber, und Peregrinus setzte sich an den Tisch, um ruhig die andern glä nzenden Gaben in nä heren Augenschein zu nehmen. Mit Wohlbehagen verzehrte Peregrinus einigen Marzipan, indem er diese, jene Gliederpuppe ihre Kü nste machen ließ, in dieses, jenes Bilderbuch kuckte, dann Heerschau hielt ü ber seine Armee, die er sehr zweckmä ß ig uniformiert und mit Recht deshalb unü berwindlich fand, weil kein einziger Soldat einen Magen im Leibe, zuletzt aber fortschritt zum Jagdwesen. Mit Verdruß gewahrte er jetzt, daß nur eine Hasen- und Fuchsjagd vorhanden, die Hirschjagd sowie die wilde Schweinsjagd aber durchaus fehlte. Auch diese Jagd muß te ja da sein, keiner konnte das besser wissen als Peregrinus, der alles selbst mit unsä glicher Mü he und Sorgfalt eingekauft. —

Doch! — hö chst nö tig scheint es, den gü nstigen Leser vor den ä rgsten Miß verstä ndnissen zu bewahren, in die er geraten kö nnte, wenn der Autor ins Gelag hinein weitererzä hlte, ohne daran zu denken, daß er wohl weiß, was es mit der ganzen Weihnachts-Ausstellung, von der gesprochen wird, fü r ein Bewandtnis hat, nicht aber der gü tige Leser, der eben erfahren will, was er nicht weiß.

Sehr irren wü rde jeder, welcher glauben sollte, daß Peregrinus Tyß ein Kind sei, dem die gü tige Mutter oder sonst ein ihm zugewandtes weibliches Wesen, romantischerweise Aline geheiß en, den Heiligen Christ beschert. Nichts weniger als das! —

Herr Peregrinus Tyß hatte sechsunddreiß ig Jahre erreicht und daher beinahe die besten. Sechs Jahre frü her hieß es von ihm, er sei ein recht hü bscher Mensch, jetzt nannte man ihn mit Recht einen Mann von feinem Ansehen, immer, damals und jetzt wurde aber von allen getadelt, daß Peregrinus, zu sehr sich zurü ckziehe, daß er das Leben nicht kenne und daß er offenbar an einem krankhaften Trü bsinn leide. Vä ter, deren Tö chter eben mannbar, meinten, daß der gute Tyß, um sich von seinem Trü bsinn zu hellen, nichts Besseres tun kö nne als heiraten, er habe ja freie Wahl und einen Korb nicht so leicht zu fü rchten. Der Vä ter Meinung war wenigstens hinsichts des letztem Punkts insofern richtig, als Herr Peregrinus Tyß auß erdem, daß er, wie gesagt, ein Mann von feinem Ansehen war, ein sehr beträ chtliches Vermö gen besaß, das ihm sein Vater, Herr Balthasar Tyß, ein sehr angesehener Kaufherr, hinterlassen. Solchen hochbegabten Mä nnern pflegt ein Mä dchen, das, was Liebe betrifft, ü ber die Ü berschwenglichkeit hinaus, das heiß t wenigstens drei- bis vierundzwanzig Jahre alt geworden ist, auf die unschuldige Frage: »Wollen Sie mich mit Ihrer Hand beglü cken, o Teure? « selten anders als mit roten Wangen und niedergeschlagenen Augen zu antworten: »Sprechen sie mit meinen lieben Eltern, ihrem Befehl gehorche ich allein, ich habe keinen Willen! « Die Eltern falten aber die Hä nde und sprechen: »Wenn es Gottes Wille ist, wir haben nichts dagegen, Herr Sohn! « —

Zu nichts weniger schien aber Herr Peregrinus Tyß aufgelegt als zum Heiraten. Denn auß erdem, daß er ü berhaupt im allgemeinen menschenscheu war, so bewies er insbesondere eine seltsame ldiosynkrasie gegen das weibliche Geschlecht. Die Nä he eines Frauenzimmers trieb ihm Schweiß tropfen auf die Stirne, und wurde er vollends von einem jungen genugsam hü bschen Mä dchen angeredet, so geriet er in eine Angst, die ihm die Zunge band und ein krampfhaftes Zittern durch alle Glieder verursachte. Eben daher mocht' es auch kommen, daß seine alte Aufwä rterin von solch seltener Hä ß lichkeit war, daß sie in dem Revier, wo Herr Peregrinus Tyß wohnte, vielen fü r eine naturhistorische Merkwü rdigkeit galt. Sehr gut stand das schwarze struppige, halb ergraute Haar zu den roten triefenden Augen, sehr gut die dicke Kupfernase zu den bleichblauen Lippen, um das Bild einer Blocksberg-Aspirantin zu vollenden, so daß sie ein paar Jahrhunderte frü her schwerlich dem Scheiterhaufen entgangen sein wü rde, statt daß sie jetzt von Herrn Peregrinus Tyß und wohl auch noch von andern fü r eine sehr gutmü tige Person gehalten wurde. Dies war sie auch in der Tat und ihr daher wohl nachzusehen, daß sie zu ihres Leibes Nahrung und Notdurft in die Stundenreihe des Tages so manches Schnä pschen einflocht und vielleicht auch zu oft eine ungeheure schwarzlackierte Dose aus dem Brusttuch hervorzog und die ansehnliche Nase reichlich mit echtem Offenbacher fü tterte. Der geneigte Leser hat bereits bemerkt, daß diese merkwü rdige Person ebendieselbe Aline ist, die die Weihnachtsbescherung veranstaltet. Der Himmel weiß, wie sie zu dem berü hmten Namen der Kö nigin von Golkonda gekommen. —

Verlangten aber nun Vä ter, daß der reiche, angenehme Herr Peregrinus Tyß seiner Weiberscheu entsage und sich ohne weiteres vereheliche, so sprachen dagegen wieder alte Hagestolze, daß Herr Peregrinus ganz recht tue, nicht zu heiraten, da seine Gemü tsart nicht dazu tauge.

Schlimm war es aber, daß viele bei dem Worte »Gemü tsart« ein sehr geheimnisvolles Gesicht machten und auf nä heres Befragen nicht undeutlich zu verstehen gaben, daß Herr Peregrinus Tyß leider zuweilen was weniges ü berschnappe, ein Fehler, der ihm schon von frü her Jugend anklebe. — Die vielen Leute, die den armen Peregrinus fü r ü bergeschnappt hielten, gehö rten vorzü glich zu denjenigen, welche fest ü berzeugt sind, daß auf der groß en Landstraß e des Lebens, die man der Vernunft, der Klugheit gemä ß einhalten mü sse, die Nase der beste Fü hrer und Wegweiser sei, und die lieber Scheuklappen anlegen als sich verlocken lassen von manchem duftenden Gebü sch, von manchem blumichten Wiesenplä tzlein, das nebenher liegt.

Wahr ist es freilich, daß Herr Peregrinus manches Seltsame in und an sich trug, in das sich die Leute nicht finden konnten.

Es ist schon gesagt worden, daß der Vater des Herrn Peregrinus Tyß ein sehr reicher angesehener Kaufmann war, und wenn noch hinzugefü gt wird, daß derselbe ein sehr schö nes Haus auf dem freundlichen Roß markt besaß, und daß in diesem Hause und zwar in demselben Zimmer, wo dem kleinen Peregrinus stets der Heilige Christ einbeschert wurde, auch diesmal der erwachsene Peregrinus die Weihnachtsgaben in Empfang nahm, so ist gar nicht daran zu zweifeln, daß der Ort, wo sich die wundersamen Abenteuer zutrugen, die in dieser Geschichte erzä hlt werden sollen, kein anderer ist, als die berü hmte schö ne Stadt Frankfurt am Main. Von den Eltern des Herrn Peregrinus ist eben nichts Besonderes zu sagen, als daß es rechtliche stille Leute waren, denen niemand etwas anders als Gutes nachsagen konnte. Die unbegrenzte Hochachtung, welche Herr Tyß auf der Bö rse genoß, verdankte er dem Umstande, daß er stets richtig und sicher spekulierte, daß er eine groß e Summe nach der andern gewann, dabei aber nie vorlaut wurde, sondern bescheiden blieb, wie er gewesen, und niemals mit seinem Reichtum prahlte, sondern ihn nur dadurch bewies, daß er weder um geringes noch um vieles knickerte und die Nachsicht selbst war gegen insolvente Schuldner, die ins Unglü ck geraten, sei es auch verdienterweise. — Sehr lange Zeit war die Ehe des Herrn Tyß unfruchtbar geblieben, bis endlich nach beinahe zwanzig Jahren die Frau Tyß ihren Eheherrn mit einem tü chtigen hü bschen Knaben erfreute, welches eben unser Herr Peregrinus Tyß war.

Man kann denken, wie grenzenlos die Freude der Eltern war, und noch jetzt sprechen alle Leute in Frankfurt von dem herrlichen Tauffeste, das der alte Tyß gegeben und an welchem der edelste urä lteste Rheinwein kredenzt worden, als gelt' es ein Krö nungsmahl. Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachgerü hmt wird, ist, daß er zu jenem Tauffeste ein paar Leute geladen, die in feindseliger Gesinnung ihm gar ö fters wehe getan hatten, dann aber andere, denen er wehe getan zu haben glaubte, so daß der Schmaus ein wirkliches Friedens- und Versö hnungsfest wurde.

Ach! — der gute Herr Tyß wuß te, ahnte nicht, daß dasselbe Knä blein, dessen Geburt ihn so erfreute, ihm so bald Kummer und Not verursachen wü rde.

Schon in der frü hsten Zeit zeigte der Knabe Peregrinus eine ganz besondere Gemü tsart. Denn nachdem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht ununterbrochen geschrieen, ohne daß irgendein kö rperliches Ü bel zu entdecken, wurde er plö tzlich still und erstarrte zur regungslosen Unempfindlichkeit. Nicht des mindesten Eindrucks schien er fä hig, nicht zum Lä cheln, nicht zum Weinen verzog sich das keine Antlitz, das einer leblosen Puppe anzugehö ren schien. Die Mutter behauptete, daß sie sich versehen an dem alten Buchhalter, der schon seit zwanzig Jahren stumm und starr mit demselben leblosen Gesicht im Comptoir vor dem Hauptbuch sä ß e, und vergoß viele heiß e Trä nen ü ber das kleine Automat. Endlich geriet eine Frau Pate auf den glü cklichen Gedanken, dem kleinen Peregrinus einen sehr bunten und, im Grunde genommen, hä ß lichen Harlekin mitzubringen. Des Kindes Augen belebten sich auf wunderbare Art, der Mund verzog sich zum sanften Lä cheln, es griff nach der Puppe und drü ckte sie zä rtlich an sich, als man sie ihm gab. Dann schaute der Knabe wieder das bunte Mä nnlein an, mit solchen klugen beredten Blicken, daß es schien, als sei plö tzlich Empfindung und Verstand in ihm erwacht, und zwar zu hö herer Lebendigkeit, als es wohl bei Kindern des Alters gewö hnlich. »Der ist zu klug«, sprach die Frau Pate, »den werdet ihr nicht erhalten! — Betrachtet doch nur einmal seine Augen, der denkt schon viel mehr, als er soll! «

Dieser Ausspruch trö stete gar sehr den alten Herrn Tyß, der sich schon einigermaß en darin gefunden, daß er nach vielen Jahren vergeblicher Hoffnung einen Einfaltspinsel erzielt, doch bald kam er in neue Sorge.

Lä ngst war nä mlich die Zeit vorü ber, in der die Kinder gewö hnlich zu sprechen beginnen, und noch hatte Peregrinus keinen Laut von sich gegeben. Man wü rde ihn fü r taubstumm gehalten haben, hä tte er nicht manchmal den, der zu ihm sprach, mit solchem aufmerksamen Blick angeschaut, ja durch freudige, durch traurige Mienen seinen Anteil zu erkennen gegeben, daß gar nicht daran zu zweifeln, wie er nicht allein hö rte, sondern auch alles verstand. — In nicht geringes Erstaunen geriet indessen die Mutter, als sie bestä tigt fand, was ihr die Wä rterin gesagt. — Zur Nachtzeit, wenn der Knabe im Bette lag und sich unbehorcht glaubte, sprach er fü r sich einzelne Wö rter, ja ganze Redensarten und zwar so wenig Kauderwelsch, daß man schon eine lange Ü bung voraussetzen konnte. Der Himmel hat den Frauen einen ganz besondern sichern Takt verliehen, die menschliche Natur, wie sie sich im Aufkeimen bald auf diese, bald auf jene Weise entwickelt, richtig aufzufassen, weshalb sie auch, wenigstens fü r die ersten Jahre des Kindes, in der Regel bei weitem die besten Erzieherinnen sind. Diesem Takt gemä ß war auch Frau Tyß weit entfernt, dem Knaben ihre Beobachtung merken zu lassen und ihn zum Sprechen zwingen zu wollen, vielmehr wuß te sie es auf andere geschickte Weise dahin zu bringen, daß er von selbst das schö ne Talent des Sprechens nicht mehr verborgen hielt, sondern leuchten ließ vor der Welt und zu aller Verwunderung zwar langsam, aber deutlich sich vernehmen ließ.

Doch zeigte er gegen das Sprechen stets einigen Widerwillen und hatte es am liebsten, wenn man ihn still fü r sich allein ließ. —

Auch dieser Sorge wegen des Mangels der Sprache war daher Herr Tyß ü berhoben, doch nur, um spä ter in noch viel grö ß ere zu geraten. Als nä mlich das Kind Peregrinus, zum Knaben herangewachsen, tü chtig lernen sollte, schien es, als ob ihm nur mit der grö ß ten Mü he etwas beizubringen. Wunderbar ging es mit dem Lesen und Schreiben wie mit dem Sprechen; erst wollte es durchaus nicht gelingen, und dann konnt' er es mit einem Mal ganz vortrefflich und ü ber alle Erwartung. Spä ter verließ indessen ein Hofmeister nach dem andern das Haus, nicht, weil der Knabe ihnen miß behagte, sondern weil sie sich in seine Natur nicht finden konnten. Peregrinus war still, sittig, fleiß ig, und doch war an ein eigentliches systematisches Lernen, wie es die Hofmeister haben wollten, gar nicht zu denken, da er nur dafü r Sinn hatte, nur dem sich mit ganzer Seele hingab, was gerade sein inneres Gemü t in Anspruch nahm, und alles ü brige spurlos bei sich vorü bergehen ließ. Das, was sein Gemü t ansprach, war nun aber alles Wunderbare, alles, was seine Fantasie erregte, in dem er dann lebte und webte. — So hatte er z. B. einst einen Aufriß der Stadt Peking mit allen Straß en, Hä usern usw., der die ganze Wand seines Zimmers einnahm, zum Geschenk erhalten. Bei dem Anblick der mä rchenhaften Stadt, des wunderlichen Volks, das sich durch die Straß en zu drä ngen schien, fü hlte Peregrinus sich wie durch einen Zauberschlag in eine andre Weit versetzt, in der er heimisch werden muß te. Mit heiß er Begierde fiel er ü ber alles her, was er ü ber China, ü ber die Chinesen, ü ber Peking habhaft werden konnte, mü hte sich, die chinesischen Laute, die er irgendwo auf gezeichnet fand, mit feiner singender Stimme der Beschreibung gemä ß nachzusprechen, ja, er suchte mittels der Papierschere seinem Schlafrö cklein, von dem schö nsten Kalmank, mö glichst einen chinesischen Zuschnitt zu geben, um der Sitte gemä ß mit Entzü cken in den Straß en von Peking umherwandeln zu kö nnen. Alles ü brige konnte durchaus nicht seine Aufmerksamkeit reizen, zum groß en Verdruß des Hofmeisters, der eben ihm die Geschichte des Bundes der Hansa beibringen wollte, wie es der alte Herr Tyß ausdrü cklich gewü nscht, der nun zu seinem Leidwesen erfahren muß te, daß Peregrinus nicht aus Peking fortzubringen, weshalb er denn Peking selbst fortbringen ließ aus dem Zimmer des Knaben. —

Fü r ein schlimmes Omen hatte es der alte Herr Tyß schon gehalten, daß als kleines Kind Peregrinus Rechenpfennige lieber hatte als Dukaten, dann aber gegen groß e Geldsä cke und Hauptbü cher und Strazzen einen entschiedenen Abscheu bewies. Was aber am seltsamsten schien, war, daß er das Wort: Wechsel, nicht aussprechen hö ren konnte, ohne krampfhaft zu erbeben, indem er versicherte, es sei ihm dabei so, als kratze man mit der Spitze des Messers auf einer Glasscheibe hin und her. Zum Kaufmanne, das muß te Herr Tyß einsehen, war daher Peregrinus von Haus aus verdorben, und so gern er es gesehen, daß der Sohn in seine Fuß stapfen getreten, so stand er doch gern ab von diesem Wunsch, in der Voraussetzung, daß Peregrinus sich einem bestimmten Fach widmen werde. Herr Tyß hatte den Grundsatz, daß der reichste Mann ein Geschä ft und durch dasselbe einen bestimmten Standpunkt im Leben haben mü sse; geschä ftslose Leute waren ihm ein Greuel, und eben zu dieser Geschä ftslosigkeit neigte sich Peregrinus, bei allen Kenntnissen, die er nach seiner eigenen Weise erwarb, und die chaotisch durcheinanderlagen, gä nzlich hin. Das war nun des alten Tyß grö ß te und drü ckendste Sorge. Peregrinus wollte von der wirklichen Welt nichts wissen, der Alte lebte nur in ihr, und nicht anders konnt' es geschehen, als daß sich daraus, je ä lter Peregrinus wurde, ein desto ä rgerer Zwiespalt entspann zwischen Vater und Sohn, zu nicht geringem Leidwesen der Mutter, die dem Peregrinus, der sonst gutmü tig, fromm, der beste Sohn, sein ihr freilich unverstä ndliches Treiben in lauter Einbildungen und Trä umen herzlich gö nnte und nicht begreifen konnte, warum ihm der Vater durchaus ein bestimmtes Geschä ft aufbü rden wollte.

Auf den Rat bewä hrter Freunde schickte der Tyß den Sohn nach der Universitä t Jena, aber als er nach drei Jahren wiederkehrte, da rief der alte Herr voller Ä rger und Grimm: »Hab'ich's nicht gedacht! Hans der Trä umer ging hin, Hans der Trä umer kehrt zurü ck! « — Herr Tyß hatte insofern ganz recht, als Peregrinus in seinem ganzen Wesen sich ganz und gar nicht verä ndert hatte, sondern vö llig derselbe geblieben. — Doch gab Herr Tyß die Hoffnung noch nicht auf, den ausgearteten Peregrinus zur Vernunft zu bringen, indem er meinte, daß, wü rde er erst mit Gewalt hineingestoß en in das Geschä ft, er vielleicht doch am Ende Gefallen daran finden und anderes Sinnes werden kö nne. — Er schickte ihn mit Aufträ gen nach Hamburg, die eben nicht sonderliche Handelskenntnisse erforderten, und empfahl ihn ü berdies einem dortigen Freunde, der ihm in allem treulich beistehen sollte.

Peregrinus kam nach Hamburg, gab nicht allein den Empfehlungsbrief, sondern auch alle Papiere, die seine Aufträ ge betrafen, dem Handelsfreunde seines Vaters in die Hä nde und verschwand darauf, niemand wuß te wohin.

Der Handelsfreund schrieb darauf an Herrn Tyß:

Ich habe Dero Geehrtes vom — durch Ihren Herrn Sohn richtig erhalten. Derselbe hat sich aber nicht weiter blicken lassen, sondern ist schnell von Hamburg abgereist, ohne Auftrag zu hinterlassen. — In Pfeffern geht hier wenig um, Baumwolle ist flau, in Kaffee nur nach Mittelsorte Frage, dagegen erhä lt sich der Melis angenehm, und auch im Indigo zeigt sich fortwä hrend divers gute Meinung. Ich habe die Ehre etc.

Dieser Brief hä tte Herrn Tyß und seine Ehegattin nicht wenig in Bestü rzung gesetzt, wä re nicht mit derselben Post ein Brief von dem verlornen Sohn selbst angelangt, in dem er sich mit den wehmü tigsten Ausdrü cken entschuldigte, daß es ihm ganz unmö glich gewesen, die erhaltenen Aufträ ge nach dem Wunsche des Vaters auszurichten, und daß er sich unwiderstehlich hingezogen gefü hlt habe nach fernen Gegenden, aus denen er nach Jahresfrist glü cklicher und froher in die Heimat zurü ckzukehren hoffe.

»Es ist gut«, sprach der alte Herr, »daß der Junge sich umsieht in der Welt, da werden sie ihn wohl herausrü tteln aus seinen Trä umereien. « Auf die von der Mutter geä uß erte Besorgnis, daß es dem Sohne doch an Geld fehlen kö nne zur groß en Reise, und daß daher sein Leichtsinn, nicht geschrieben zu haben, wohin er sich begebe, sehr zu tadeln, erwiderte aber der Alte lachend: »Fehlt es dem Jungen an Gelde, so wird er sich desto eher mit der wirklichen Welt befreunden, und hat er uns nicht geschrieben, wohin er reisen will, so weiß er doch, wo uns seine Briefe treffen. « —

Es ist unbekannt geblieben, wohin Peregrinus eigentlich seine Reise gerichtet; manche wollen behaupten, er sei in dem fernen Indien gewesen, andere meinen dagegen, er habe sich das nur eingebildet; so viel ist gewiß, daß er weit weg gewesen sein muß, denn nicht so, wie er den Eltern versprochen, nach Jahresfrist, sondern erst nach Verlauf voller dreier Jahre kehrte Peregrinus zurü ck nach Frankfurt und zwar zu Fuß, in ziemlich ä rmlicher Gestalt. Er fand das elterliche Haus fest verschlossen, und niemand rü hrte sich darin, er mochte klingeln und klopfen, so viel er wollte.

Da kam endlich der Nachbar von der Bö rse, den Peregrinus augenblicklich fragte, ob Herr Tyß vielleicht verreiset.

Der Nachbar prallte ganz erschrocken zurü ck und rief: »Herr Peregrinus Tyß! — sind Sie es? kommen Sie endlich? — wissen Sie denn nicht? « —

Genug, Peregrinus erfuhr, daß wä hrend seiner Abwesenheit beide Eltern hintereinander gestorben, daß die Gerichte den Nachlaß in Beschlag genommen und ihn, dessen Aufenthalt gä nzlich unbekannt gewesen, ö ffentlich aufgefordert, nach Frankfurt zurü ckzukehren und die Erbschaft des Vaters in Empfang zu nehmen.

Sprachlos blieb Peregrinus vor dem Nachbar stehen, zum erstenmal durchschnitt der Schmerz des Lebens seine Brust, zertrü mmert sah er die schö ne glä nzende Welt, in der er sonst lustig gehauset.

Der Nachbar gewahrte wohl, wie Peregrinus gä nzlich unfä hig, auch nur das Kleinste, was jetzt nö tig, zu beginnen. Er nahm ihn daher in sein Haus und besorgte selbst in mö glicher Schnelle alles, so daß noch denselben Abend Peregrinus sich in dem elterlichen Hause befand. Ganz erschö pft, ganz vernichtet von einer Trostlosigkeit, die er noch nicht gekannt, sank er in den groß en Lehnstuhl des Vaters, der noch an derselben Stelle stand, wo er sonst gestanden; da sprach eine Stimme: »Es ist nur gut, daß Sie wieder da sind, lieber Herr Peregrinus. — Ach, wä ren Sie nur frü her gekommen! «

Peregrinus schaute auf und gewahrte dicht vor sich die Alte, die sein Vater vorzü glich deshalb, weil sie wegen ihrer furchtbaren Hä ß lichkeit schwer einen Dienst finden konnte, in seiner frü hen Kindheit als Wä rterin angenommen, und die das Haus nicht wieder verlassen hatte. Lange starrte Peregrinus das Weib an, endlich begann er, seltsam lä chelnd: »Bist du es, Aline? — Nicht wahr, die Eltern leben noch? « Damit stand er auf, ging durch alle Zimmer, betrachtete jeden Stuhl, jeden Tisch, jedes Bild usw. Dann sprach er ruhig: »Ja, es ist alles noch so, wie ich es verlassen, und so soll es auch bleiben! « Von diesem Augenblick begann Peregrinus das seltsame Leben, wie es gleich anfangs angedeutet. Zurü ckgezogen von aller Gesellschaft, lebte er mit seiner alten Aufwä rterin in dem groß en gerä umigen Hause, in tiefster Einsamkeit, erst ganz allein, bis er spä ter ein paar Zimmer einem alten Mann, der des Vaters Freund gewesen, mietweise abtrat. Dieser Mann schien ebenso menschenscheu wie Peregrinus. Grund genug, warum sich beide, Peregrinus und der Alte, sehr gut vertrugen, da sie sich niemals sahen.

Es gab nur vier Familienfeste, die Peregrinus sehr feierlich beging, und das waren die beiden Geburtstage des Vaters und der Mutter, der erste Osterfeiertag und sein eignes Tauffest. An diesen Tagen muß te Aline einen Tisch fü r so viele Personen, als der Vater sonst eingeladen, und dieselbe Schü sseln, die gewö hnlich aufgetragen worden, bereiten, sowie denselben Wein aufsetzen lassen, wie ihn der Vater gegeben. Er versteht sich, daß dasselbe Silber, dieselben Teller, dieselben Glä ser, wie alles damals gebraucht worden und wie es sich noch unversehrt im Nachlasse befand, auch jetzt nach der so viele Jahre hindurch ü blichen Weise gebraucht werden muß te. Peregrinus hielt strenge darauf. War die Tafel fertig, so setzte sich Peregrinus ganz allein hinan, aß und trank nur wenig, horchte auf die Gesprä che der Eltern, der eingebildeten Gä ste und antwortete nur bescheiden auf diese, jene Fragen, die jemand aus der Gesellschaft an ihn richtete. Hatte die Mutter den Stuhl gerü ckt, so stand er mit den ü brigen auf und empfahl sich jedem auf die hö flichste Weise. — Er ging dann in ein abgelegenes Zimmer und ü berließ seiner Aline die Verteilung der vielen nicht angerü hrten Schü sseln und des Weins an Hausarme, welches Gebot des Herrn die treue Seele gar gewissenhaft auszufü hren pflegte. Die Feier der Geburtstage des Vaters und der Mutter begann Peregrinus schon am frü hen Morgen damit, daß er, wie es sonst zu seiner Knabenzeit geschehen, einen schö nen Blumenkranz in das Zimmer trug, wo die Eltern zu frü hstü cken pflegten, und auswendig gelernte Verse hersagte. — An seinem eignen Tauffeste konnte er sich natü rlicherweise nicht an die Tafel setzen, da er nicht lä ngst geboren, Aline muß te daher alles allein besorgen, d. h. die Gä ste zum Trinken nö tigen, ü berhaupt, wie man zu sagen pflegt, den Honneurs der Tafel machen; sonst geschah alles wie bei den ü brigen Festen. — Auß er denselben gab es aber noch fü r Peregrinus einen besondern Freudentag oder vielmehr Freudenabend im Jahre, und das war die Weihnachtsbescherung, die mehr als jede andere Lust sein junges Gemü t in sü ß em frommen Entzü cken aufgeregt hatte.

Selbst kaufte er sorgsam bunte Weihnachtslichter, Spielsachen, Naschwerk ganz in dem Sinn ein, wie es die Eltern ihm in seinen Knabenjahren beschert hatten, und dann ging die Bescherung vor sich, wie es der geneigte Leser bereits erfahren. — »Sehr unlieb«, sprach Peregrinus, nachdem er noch einige Zeit gespielt, »sehr unlieb ist es mir doch, daß die Hirsch- und die wilde Schweinsjagd abhanden gekommen. Wo sie nur geblieben sein mag! -Ach! -sieh da! « Er gewahrte in dem Augenblick eine noch ungeö ffnete Schachtel, nach welcher er schnell griff, die vermiß te Jagd darin vermutend; als er sie indessen ö ffnete, fand er sie leer und fuhr zurü ck, als durchbebe ihn ein jä her Schreck. —

»Seltsam«, sprach er dann leise vor sich hin, »seltsam! was ist es mit dieser Schachtel? war es mir doch, als sprä nge mir daraus etwas Bedrohliches entgegen, das mit dem Blick zu erfassen, mein Auge zu stumpf war! « Aline versicherte auf Befragen, daß sie die Schachtel unter den Spielsachen gefunden, indessen alle Mü he vergeblich angewandt hä tte, sie zu ö ffnen; geglaubt habe sie daher, daß darin etwas Besonderes enthalten und der Deckel nur der kunstverstä ndigen Hand des Herrn weichen werde. »Seltsam«, wiederholte Peregrinus, »sehr seltsam! — Und auf diese Jagd hatte ich mich ganz besonders gefreut; ich hoffe nicht, daß das etwas Bö ses bedeuten dü rfte! — Doch wer wird am Weihnachtsabende solchen Grillen nachhä ngen, die doch eigentlich gar keinen Grund haben! — Aline, bringe Sie den Korb! « — Aline brachte alsbald einen groß en weiß en Henkelkorb herbei, in den Peregrinus mit vieler Sorglichkeit die Spielsachen, das Zuckerwerk, die Lichter einpackte, dann den Korb unter den Arm, den groß en Weihnachtsbaum aber auf die Schulter nahm und so seinen Weg antrat. —

Herr Peregrinus Tyß hatte die lö bliche, gemü tliche Gewohnheit, mit seiner ganzen Bescherung, wie er sie sich selbst bereitet hatte, um sich ein paar Stunden hinü berzuträ umen in die schö ne vergnü gliche Knabenzeit, hineinzufallen in irgendeine bedü rftige Familie, von der ihm bekannt war, daß muntre Kinder vorhanden, wie der Heilige Christ selbst mit blanken, bunten Gaben. Wenn dann die Kinder in der hellsten, lebendigsten Freude, schlich er leise davon und lief oft die halbe Nacht ü ber durch die Straß en, weil er sich vor tiefer, die Brust beengender Rü hrung gar nicht zu lassen wuß te und sein eignes Haus ihm vorkam wie ein dü stres Grabmal, in dem er selbst mit allen seinen Freuden begraben. Diesmal war die Bescherung den Kindern eines armen Buchbinders bestimmt, namens Lä mmerhirt, der, ein geschickter fleiß iger Mann, fü r Herrn Peregrinus seit einiger Zeit arbeitete, und dessen drei muntre Knaben von fü nf bis neun Jahren Herr Peregrinus kannte.

Der Buchbinder Lä mmerhirt wohnte in dem hö chsten Stock eines engen Hauses in der Kalbä cher Gasse, und pfiff und tobte nun der Wintersturm, regnete und schneite es wild durcheinander, so kann man denken, daß Herr Peregrinus nicht ohne groß e Beschwerde zu seinem Ziel gelangte. Aus Lä mmerhirts Fenstern blinkten ein paar ä rmliche Lichterchen herab, mü hsam erkletterte Peregrinus die steile Treppe. »Aufgemacht«, rief er, indem er an die Stubentü re pochte, »aufgemacht, aufgemacht, der Heilige Christ schickt frommen Kindern seine Gaben! « Der Buchbinder ö ffnete ganz erschrocken und erkannte den ganz eingeschneiten Peregrinus erst, nachdem er ihn lange genug betrachtet.

»Hochgeehrtester Herr Tyß «, rief Lä mmerhirt voll Erstaunen, »hochgeehrtester Herr Tyß, wie komm' ich um des Herrn willen am heiligen Christabend zu der besondern Ehre -« Herr Peregrinus ließ ihn aber gar nicht ausreden, sondern bemä chtigte sich, laut rufend: »Kinder — Kinder! aufgepaß t, der Heilige Christ schickt seine Gaben! « des groß en Klapptisches, der in der Mitte des Stü bchens befindlich, und begann sofort die wohlverdeckten Weihnachtsgaben aus dem Korbe zu holen. Den ganz nassen tropfenden Weihnachtsbaum hatte er freilich vor der Tü re stehen lassen mü ssen. Der Buchbinder konnte noch immer nicht begreifen, was das werden sollte; die Frau sah es besser ein, denn sie lachte den Peregrinus an mit Trä nen in den Augen, aber die Knaben standen von ferne und verschlangen schweigend mit den Augen jede Gabe, wie sie aus der Hü lle hervorkam, und konnten sich oft eines lauten Ausrufs der Freude und der Verwundrung nicht erwehren! — Als Peregrinus nun endlich die Gaben nach dem Alter jedes Kindes geschickt getrennt und geordnet, alle Lichter angezü ndet hatte, als er rief: »Heran — heran, ihr Kinder! — das sind die Gaben, die der Heilige Christ euch geschickt! « da jauchzten sie, die den Gedanken, daß das alles ihnen gehö ren solle, noch gar nicht gefaß t hatten, laut auf und sprangen und jubelten, wä hrend die Eltern Anstalten machten, sich bei dem Wohltä ter zu bedanken.

Der Dank der Eltern und auch der Kinder, das war es nun eben, was Herr Peregrinus jedesmal zu vermeiden suchte, er wollte sich daher wie gewö hnlich ganz still davonmachen. Schon war er an der Tü re, als diese plö tzlich aufging und in dem hellen Schimmer der Weihnachtslichter ein junges, glä nzend gekleidetes Frauenzimmer vor ihm stand.

Es tut selten gut, wenn der Autor sich unterfä ngt, dem geneigten Leser genau zu beschreiben, wie diese oder jene sehr schö ne Person, die in seiner Geschichte vorkommt, ausgesehen, was Wuchs, Grö ß e, Stellung, Farbe der Augen, der Haare betrifft, und scheint es dagegen viel besser, demselben ohne diesen Detailhandel die ganze Person in den Kauf zu geben. Genü gen wü rde es auch hier vollkommen, zu versichern, daß das Frauenzimmer, welches dem zum Tode erschrockenen Peregrinus entgegentrat, ü ber die Maß en hü bsch und anmutig war, kä me es nicht durchaus darauf an, gewisser Eigentü mlichkeiten zu erwä hnen, die die kleine Person an sich trug.

Klein, und zwar etwas kleiner als gerade recht, war nä mlich das Frauenzimmer in der Tat, dabei aber sehr fein und zierlich gebaut. Ihr Antlitz, sonst schö n geformt und voller Ausdruck, erhielt aber dadurch etwas Fremdes und Seltsames, daß die Augä pfel stä rker waren und die schwarzen, feingezeichneten Augenbraun hö her standen, als gewö hnlich. Gekleidet oder vielmehr geputzt war das Dä mchen, als kä me es soeben vom Ball. Ein prä chtiges Diadem blitzte in den schwarzen Haaren, reiche Kanten bedeckten nur halb den vollen Busen, das lila und gelb gegatterte Kleid von schwerer Seide schmiegte sich um den schlanken Leib und fiel nur in Falten so weit herab, daß man die niedlichsten weiß beschuhten Fü ß chen erblicken konnte, so wie die Spitzenä rmel kurz genug waren und die weiß en Glacé handschuhe aber nur so weit hinaufgingen, um den schö nsten Teil des blendenden Arms sehen zu lassen. Ein reiches Halsband, brillantne Ohrgehenke vollendeten den Anzug.

Es konnte nicht fehlen, daß der Buchbinder ebenso bestü rzt war als Herr Peregrinus, daß die Kinder von ihren Spielsachen abließ en und die fremde Dame angafften mit offnem Munde; wie aber die Weiber am wenigsten ü ber irgend etwas Seltsames, Ungewö hnliches zu erstaunen pflegen und sich ü berhaupt am geschwindesten fassen, so kam denn auch des Buchbinders Frau zuerst zu Worten und fragte, was der schö nen fremden Dame zu Diensten stehe.

Die Dame trat nun vollends in das Zimmer, und diesen Augenblick wollte der beä ngstete Peregrinus benutzen, um sich schnell davonzumachen, die Dame faß te ihn aber bei beiden Hä nden, indem sie mit einem sü ß en Stimmchen lispelte: »So ist das Glü ck mir doch gü nstig, so habe ich Sie doch ereilt! — O Peregrin, mein teurer Peregrin, was fü r ein schö nes, heilbringendes Wiedersehen! « —

Damit erhob sie die rechte Hand so, daß sie Peregrins Lippen berü hrte und er genö tigt war, sie zu kü ssen, unerachtet ihm dabei die kalten Schweiß tropfen auf der Stirne standen. — Die Dame ließ nun zwar seine Hä nde los und er hä tte entfliehen kö nnen, aber gebannt fü hlte er sich, nicht von der Stelle konnte er weichen, wie ein armes Tierlein, das der Blick der Klapperschlange festgezaubert. — »Lassen Sie«, sprach jetzt die Dame, »lassen Sie mich, bester Peregrin, an dem schö nen Fest teilnehmen, das Sie mit edlem Sinn, mit zartem innigem Gemü t frommen Kindern bereitet, lassen Sie mich auch etwas dazu beitragen. «

Aus einem zierlichen Kö rbchen, das ihr am Arme hing und das man jetzt erst bemerkte, zog sie nun allerlei artige Spielsachen hervor, ordnete sie mit anmutiger Geschä ftigkeit auf dem Tische, fü hrte die Knaben heran, wies jedem, was sie ihm zugedacht, und wuß te dabei mit den Kindern so schö n zu tun, daß man nichts Lieblicheres sehen konnte. Der Buchbinder glaubte, er lä ge im Traum, die Frau lä chelte aber schalkisch, weil sie ü berzeugt war, daß es mit dem Herrn Peregrin und der fremden Dame wohl eine besondere Bewandtnis haben mü sse.

Wä hrend nun die Eltern sich wunderten und die Kinder sich freuten, nahm die fremde Dame Platz auf einem alten gebrechlichen Kanapee und zog den Herrn Peregrinus Tyß, der in der Tat beinahe selbst nicht mehr wuß te, ob er diese Person wirklich sei, neben sich nieder. »Mein teurer«, begann sie dann leise ihm ins Ohr lispelnd, »mein teurer Freund, wie froh, wie selig fü hle ich mich an deiner Seite. « — »Aber«, stotterte Peregrinus, »aber mein verehrtestes Frä ulein« — doch plö tzlich kamen, der Himmel weiß wie, die Lippen der fremden Dame den seinigen so nahe, daß, ehe er daran denken konnte, sie zu kü ssen, sie schon gekü ß t hatte, und daß er darü ber die Sprache aufs neue und gä nzlich verlor, ist zu denken. »Mein sü ß er Freund«, sprach nun die fremde Dame weiter, indem sie dem Peregrinus so nahe auf den Leib rü ckte, daß nicht viel daran gefehlt, sie hä tte sich auf seinen Schoß gesetzt, »mein sü ß er Freund! ich weiß, was dich bekü mmert, ich weiß, was heute abend dein frommes kindliches Gemü t schmerzlich berü hrt hat. Doch! — sei getrost! — Was du verloren, was du jemals wieder zu erlangen kaum hoffen durftest, das bring' ich dir. « Damit holte die fremde Dame aus demselben Kö rbchen, in dem sich die Spielsachen befunden hatten, eine hö lzerne Schachtel hervor und gab sie dem Peregrin in die Hä nde. Es war die Hirsch- und wilde Schweinsjagd, die er auf dem Weihnachtstische vermiß t. Schwer mö cht' es fallen, die seltsamen Gefü hle zu beschreiben, die in Peregrins Innerm sich durchkreuzten.

Hatte die ganze Erscheinung der fremden Dame, aller Anmut und Lieblichkeit unerachtet, dennoch etwas Spukhaftes, das auch andern, die die Nä he eines Frauenzimmers nicht so gescheut als Peregrin, recht durch alle Glieder frö stelnd empfunden haben wü rden, so muß te ja dem armen, schon genug geä ngsteten Peregrin ein tiefes Grauen anwandeln, als er gewahrte, daß die Dame von all dem, was er in der tiefsten Einsamkeit begonnen, auf das genaueste unterrichtet war. Und mitten in diesem Grauen wollte sich, wenn er die Augen aufschlug und der siegende Blick der schö nsten schwarzen Augen unter den langen seidenen Wimpern hervorleuchtete, wenn er des holden Wesens sü ß en Atem, die elektrische Wä rme ihres Kö rpers fü hlte — doch wollte sich dann in wunderbaren Schauern das namenlose Weh eines unaussprechlichen Verlangens regen, das er noch nicht gekannt! Dann kam ihm zum erstenmal seine ganze Lebensweise, das Spiel mit der Weihnachtsbescherung kindisch und abgeschmackt vor, und er fü hlte sich beschä mt, daß die Dame darum wuß te; und nun war es ihm wieder, als sei das Geschenk der Dame der lebendige Beweis, daß sie ihn verstanden, wie niemand sonst auf Erden, und daß das innigste tiefste Zartgefü hl sie gelenkt, als sie ihn auf diese Weise erfreuen wollen. Er beschloß, die teure Gabe ewig aufzubewahren, nie aus den Hä nden zu lassen, und drü ckte, fortgerissen von einem Gefü hl, das ihn ganz ü bermannt, die Schachtel, worin die Hirsch- und wilde Schweinsjagd befindlich, mit Heftigkeit an die Brust. »O«, lispelte das Dä mchen, »o des Entzü ckens! — Dich erfreut meine Gabe! o mein herziger Peregrin, so haben mich die Trä ume, meine Ahnungen nicht getä uscht! « Herr Peregrinus Tyß kam etwas zu sich selbst, so, daß er imstande war, sehr deutlich und vernehmlich zu sprechen: »Aber mein bestes, hochverehrtes Frä ulein, wenn ich nur in aller Welt wü ß te, wem ich die Ehre hä tte -« »Schalkischer Mann«, unterbrach ihn die Dame, indem sie ihm leise die Wange klopfte, »schalkischer Mann, du stellst dich gar, als ob du deine treue Aline nicht kenntest! — Doch es ist Zeit, daß wir hier den guten Leuten freien Spielraum lassen. Begleiten Sie mich, Herr Tyß! « Als Peregrinus den Namen Aline hö rte, muß te er natü rlicherweise an seine alte Aufwä rterin denken, und es war ihm nun vollends, als drehe sich in seinem Kopfe eine Windmü hle.

Der Buchbinder vermochte, als nun die fremde Dame von ihm, seiner Frau und den Kindern auf das freudigste, anmutigste Abschied nahm, vor lauter Verwunderung und Ehrfurcht nur unverstä ndliches Zeug zu stammeln, die Kinder taten, als seien sie mit der Fremden lange bekannt gewesen; die Frau sprach aber: »Ein solcher schmuckes gü tiger Herr, wie Sie, Herr Tyß, verdient wohl eine so schö ne, herzensgute Braut zu haben, die ihm noch in der Nacht Werke der Wohltä tigkeit vollbringen hilft. Nun, ich gratuliere von ganzem Herzen! « Die fremde Dame dankte gerü hrt, versicherte, daß ihr Hochzeitstag auch ihnen ein Festtag sein solle, verbot dann ernsthaft jede Begleitung und nahm selbst eine kleine Kerze vom Weihnachtstisch, um sich die Treppe hinabzuleuchten.

Man kann denken, wie dem Herrn Tyß, in dessen Arm sich nun die f remde Dame hä ngte, bei allem dem zumute war! — »Begleiten Sie mich, Herr Tyß «, dachte er bei sich, »das heiß t, die Treppe hinab bis an den Wagen, der vor der Tü re hä lt, und wo der Diener oder vielleicht eine ganze Dienerschaft wartet, denn am Ende ist es irgendeine wahnsinnige Prinzessin, die hier — der Himmel erlö se mich nur bald aus dieser seltsamen Qual und erhalte mir mein biß chen Verstand! « —

Herr Tyß ahnte nicht, daß alles, was bis jetzt geschehen, nur das Vorspiel des wunderlichsten Abenteuers gewesen, und tat ebendeshalb unbewuß t sehr wohl daran, den Himmel im voraus um die Erhaltung seines Verstandes zu bitten.

Als das Paar die Treppe herabgekommen, wurde die Haustü re von unsichtbaren Hä nden auf- und, als Peregrinus mit der Dame hinausgetreten, ebenso wieder zugeschlossen. Peregrinus merkte gar nicht darauf, denn viel zu sehr erstaunte er, als sich vor dem Hause auch nicht die mindeste Spur eines Wagens oder eines wartenden Dieners fand.

»Um des Himmels willen«, rief Peregrinus, »wo ist Ihr Wagen, Gnä digste? « — »Wagen«, erwiderte die Dame, »Wagen? — was fü r ein Wagen? Glauben Sie, lieber Peregrinus, daß meine Ungeduld, meine Angst, Sie zu finden, es mir erlaubt haben sollte, mich ganz ruhig hierherfahren zu lassen? Durch Sturm und Wetter bin ich, getrieben von Sehnsucht und Hoffnung, umhergelaufen, bis ich Sie fand. Dem Himmel Dank, daß mir dies gelungen. Fü hren Sie mich nur jetzt nach Hause, lieber Peregrinus, meine Wohnung ist nicht sehr weit entlegen. «

Herr Peregrinus entschlug sich mit aller Gewalt des Gedankens, wie es ja ganz unmö glich, daß die Dame, geputzt wie sie war, in weiß seidnen Schuhen, auch nur wenige Schritte hatte gehen kö nnen, ohne den ganzen Anzug im Sturm, Regen und Schnee zu verderben, statt daß man jetzt auch keine Spur irgendeiner Zerrü ttung der sorgsamsten Toilette wahrnahm, fand sich darin, die Dame noch weiter zu begleiten, und war nur froh, daß die Witterung sich geä ndert. Vorü ber war das tolle Unwetter, kein Wö lkchen am Himmel, der Vollmond schien freundlich herab, und nur die schneidend scharfe Luft ließ die Winternacht fü hlen.

Kaum war Peregrinus aber einige Schritte gegangen, als die Dame leise zu wimmern begann, dann aber in laute Klagen ausbrach, daß sie vor Kä lte erstarren mü sse. Peregrinus, dem das Blut glü hendheiß durch die Adern strö mte, der deshalb nichts von der Kä lte empfunden und nicht daran gedacht, daß die Dame so leicht gekleidet und nicht einmal einen Shawl oder ein Tuch umgeworfen hatte, sah plö tzlich seine Tö lpelei ein und wollte die Dame in seinen Mantel hü llen. Die Dame wehrte dies indessen ab, indem sie jammerte: »Nein, mein lieber Peregrin! das hilft mir nichts! — Meine Fü ß e — ach meine Fü ß e, umkommen muß ich vor fü rchterlichem Schmerz. « Halb ohnmä chtig wollte die Dame zusammensinken, indem sie mit ersterbender Stimme rief: »Trage mich, trage mich, mein holder Freund! « —

Da nahm ohne weiteres Peregrinus das federleichte Dä mchen auf den Arm wie ein Kind und wickelte sie sorglich ein in den weiten Mantel. Kaum war er aber eine kleine Strecke mit der sü ß en Last fortgeschritten, als ihn stä rker und stä rker der wilde Taumel brü nstiger Lust erfaß te. Er bedeckte Nacken, Busen des holden Wesens, das sich fest an seine Brust geschmiegt hatte, mit glü henden Kü ssen, indem er halb sinnlos fortrannte durch die Straß en. Endlich war es ihm, als erwache er mit einem Ruck aus dem Traum; er befand sich dicht vor seiner Haustü re, und aufschauend erkannte er sein Haus auf dem Roß markt. Nun erst fiel ihm ein, daß er die Dame ja gar nicht nach ihrer Wohnung gefragt, mit Gewalt nahm er sich zusammen und fragte: »Frä ulein! — himmlisches gö ttliches Wesen, wo wohnen Sie? « »Ei«, erwiderte die Dame, indem sie das Kö pfchen emporstreckte, »ei, lieber Peregrin, hier, hier in diesem Hause, ich bin ja deine Aline, ich wohne ja bei dir! Laß nur schnell das Haus ö ffnen. « »Nein! nimmermehr«, schrie Peregrinus entsetzt, indem er die Dame hinabsinken ließ. »Wie«, rief diese, »wie, Peregrin, du willst mich verstoß en und kennst doch mein fü rchterliches Verhä ngnis und weiß t doch, daß ich Kind des Unglü cks kein Obdach habe, daß ich elendiglich hier umkommen muß, wenn du mich nicht aufnimmst bei dir wie sonst! — Doch du willst vielleicht daß ich sterbe — so geschehe es denn! — Trage mich wenigstens an den Springbrunnen, damit man meine Leiche nicht vor deinem Hause finde — ha — jene steinernen Delphine haben vielleicht mehr Erbarmen als du. — Weh mir — weh mir die Kä lte. « — Die Dame sank ohnmä chtig nieder, da faß te Herzensangst und Verzweiflung wie eine Eiszange Peregrins Brust und quetschte sie zusammen. Wild schrie er: »Mag es nun werden, wie es will, ich kann nicht anders! « hob die Leblose auf, nahm sie in seine Arme und zog stark an der Glocke. Schnell rannte Peregrin bei dem Hausknecht vorü ber, der die Tü re geö ffnet, und rief schon auf der Treppe, statt daß er sonst erst oben ganz leise anzupochen pflegte: »Aline — Aline — Licht, Licht! « und zwar so laut, daß der ganze weite Flur widerhallte. »Wie? — was? — was ist das? — was soll das heiß en? « So sprach die alte Aline, indem sie die Augen weit aufriß, als Peregrinus die ohnmä chtige Dame aus dem Mantel loswickelte und mit zä rtlicher Sorgfalt auf den Sofa legte. »Geschwind«, rief er dann, »geschwind, Aline, Feuer in den Kamin — die Wunderessenz her — Tee — Punsch — Betten herbei! «

Aline rü hrte sich nicht von der Stelle, sondern blieb, die Dame anstarrend, bei ihrem: »Wie? was? was ist das? was soll das heiß en? «

Da sprach Peregrinus von einer Grä fin, vielleicht gar Prinzessin, die er bei dem Buchbinder Lä mmerhirt angetroffen, die auf der Straß e ohnmä chtig geworden, die er nach Hause tragen mü ssen, und schrie dann, als Aline noch immer unbeweglich blieb, indem er mit dem Fuß e stampfte: »Ins Teufels Namen, Feuer sag' ich, Tee — Wunderessenz! «

Da flimmerte es aber wie Katzengold in den Augen des alten Weibes, und es war, als leuchte die Nase hö her auf in phosphorischem Glanz. Sie holte die groß e schwarze Dose hervor, schlug auf den Deckel, daß es schallte, und nahm eine mä chtige Prise. Dann stemmte sie beide Arme in die Seite und sprach mit hö hnischem Ton: »Ei, seht doch, eine Grä fin, eine Prinzessin! die findet man beim armen Buchbinder in der Kalbä cher Gasse, die wird ohnmä chtig auf der Straß e! Ho ho, ich weiß wohl, wo man solche geputzte Dä mchen zur Nachtzeit herholt! — Das sind mir schö ne Streiche, das ist mir eine saubere Auffü hrung! — Eine lockere Dirne ins ehrliche Haus bringen und, damit das Maß der Sü nden noch voll werde, den Teufel anrufen in der heiligen Christnacht. — Und da soll ich auf meine alten Tage noch die Hand dazu bieten? Nein, mein Herr Tyß, da suchen Sie sich eine andere, mit mir ist es nichts, morgen verlaß ich den Dienst. «

Und damit ging die Alte hinaus undschlug die Tü re so heftig hinter sich zu, daß alles klapperte und klirrte.

Peregrinus rang die Hä nde vor Angst und Verzweiflung, keine Spur des Lebens zeigte sich bei der Dame. Doch in dem Augenblick, als Peregrinus in der entsetzlichen Not eine Flasche Kö lnisches Wasser gefunden und die Schlä fe der Dame geschickt damit einreiben wollte, sprang sie ganz frisch und munter von dem Sofa auf und rief: »Endlich — endlich sind wir allein! Endlich, o mein Peregrinus, darf ich es Ihnen sagen, warum ich Sie verfolgte bis in die Wohnung des Buchbinders Lä mmerhirt, warum ich Sie nicht lassen konnte in der heutigen Nacht. — Peregrinus! geben Sie mir den Gefangenen heraus, den Sie verschlossen haben bei sich im Zimmer. Ich weiß, daß Sie dazu keineswegs verpflichtet sind, daß das nur von Ihrer Gutmü tigkeit abhä ngt, aber ebenso kenne ich auch Ihr gutes, treues Herz, darum, o mein guter, liebster Peregrin, geben Sie ihn heraus, den Gefangenen! « »Was«, fragte Peregrinus im tiefsten Staunen, »was fü r einen Gefangenen? — wer sollte bei mir gefangen sein? « »Ja«, sprach die Dame weiter, indem sie Peregrins Hand ergriff und zä rtlich an ihre Brust drü ckte, »ja, ich muß es bekennen, nur ein groß es edles Gemü t gibt Vorteile auf, die ein gü nstiges Geschick ihm zufü hrte, und wahr ist es, daß Sie auf manches verzichten, was zu erlangen Ihnen leicht geworden sein wü rde, wenn Sie den Gefangenen nicht herausgegeben hä tten — aber! — bedenken Sie, Peregrin, daß Alinens ganzes Schicksal, ganzes Leben abhä ngt von dem Besitz dieses Gefangenen, daß -« »Wollen Sie«, unterbrach Peregrinus die Dame, »wollen Sie nicht, englisches Frä ulein, daß ich alles fü r einen Fiebertraum halten, daß ich vielleicht selbst auf der Stelle ü berschnappen soll, so sagen Sie mir nur, von wem Sie reden, von was fü r einem Gefangenen. « — »Wie«, erwiderte die Dame, »Peregrin, ich verstehe Sie nicht, wollen Sie vielleicht gar leugnen, daß er wirklich in Ihre Gefangenschaft geriet? — War ich denn nicht dabei, als er, da Sie die Jagd kauften -«

»Wer«, schrie Peregrin ganz auß ersich, »wer ist der Er? - Zum erstenmal in meinem Leben sehe ich Sie, mein Frä ulein, wer sind Sie, wer ist der Er? «

Da fiel die Dame, ganz aufgelö st in Schmerz, dem Peregrin zu Fü ß en und rief, indem ihr die Trä nen reichlich aus den Augen strö mten: »Peregrin, sei menschlich, sei barmherzig, gib ihn mir wieder! — gib ihn mir wieder! « Und dazwischen schrie Herr Peregrinus: »Ich werde wahnsinnig — ich werde toll! « —

Plö tzlich raffte sich die Dame auf. Sie erschien viel grö ß er als vorher, ihre Augen sprü hten Feuer, ihre Lippen bebten, sie rief mit wilder Gebä rde: »Ha Barbar! — in dir wohnt kein menschliches Herz — du bist unerbittlich — du willst meinen Tod, mein Verderben — du gibst ihn mir nicht wieder! — Nein — nimmer — nimmer — ha ich Unglü ckselige verloren — verloren. « — Und damit stü rzte die Dame zum Zimmer hinaus, und Peregrin vernahm, wie sie die Treppe hinablief und ihr kreischender Jammer das ganze Haus erfü llte, bis unten eine Tü re heftig zugeschlagen wurde. Dann war alles totenstill wie im Grabe. -



  

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