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Viertes Abenteuer



Unerwartetes Zusammentreffen zweier Freunde. Der Rat Knarrpanti und seine peinlichen Grundsä tze. Liebesverzweiflung der Distel Zeherit Optischer Zweikampf zweier Magier. Somnambuler Zustand der Prinzessin Gamaheh. Die Gedanken des Traums. Wie Dö rtje Elverdink beinahe die Wahrheit spricht und die Distel Zeherit mit der Prinzessin Gamaheh von dannen rennt.

Sehr bald war der Fehlgriff des Wä chters ausgemittelt, der den Herrn Pepusch als einen nä chtlichen Dieb, welcher einzubrechen versucht, zur Haft gebracht hatte. Man wollte indessen einige Unrichtigkeiten in seinen Pä ssen bemerkt haben, und dies war die Ursache, warum man ihn ersuchte, irgendeinen angemessenen Bü rger in Frankfurt als Gewä hrsmann aufzustellen, bis dahin sich aber den Aufenthalt auf dem Bü rgermeisteramt gefallen zu lassen.

Da saß nun Herr George Pepusch in einem ganz artigen Zimmer und sann hin und her, wen er wohl in Frankfurt als seinen Gewä hrsmann aufstellen kö nne. So lange war er abwesend gewesen, daß er befü rchten muß te, selbst von denen vergessen worden zu sein, die ihn vormals recht gut gekannt hatten, und an sonstigen Adressen fehlte es ihm gä nzlich.

Ganz miß mü tig sah er zum Fenster heraus und begann laut sein Schicksal zu verwü nschen. Da wurde dicht neben ihm ein anderes Fenster geö ffnet, und eine Stimme rief: »Wie? sehe ich recht? Bist du es, George? « — Herr Pepusch war nicht wenig erstaunt, als er den Freund erblickte, mit dem er wä hrend seines Aufenthalts in Madras den vertrautesten Umgang gepflogen.

»Wetter«, sprach Herr Pepusch, »Wetter, wie man so vergeß lich, ja so ganz vor den Kopf geschlagen sein kann! Ich wuß t'es ja, daß du glü cklich in den heimatlichen Stapel eingelaufen bist. Wunderdinge habe ich in Hamburg von deiner seltsamen Lebensweise gehö rt, und nun ich hier angekommen, denke ich nicht daran, dich aufzusuchen. Doch wer solche Dinge im Kopfe hat als ich — Nun, es ist gut, daß der Zufall mir dich zugefü hrt. Du siehst, ich bin verhaftet, du kannst mich aber augenblicklich in Freiheit setzen, wenn du Gewä hr leistest, daß ich wirklich der George Pepusch bin, den du seit langen Jahren kennest, und kein Spitzbube, kein Rä uber! «

»Ich bin«, rief Herr Peregrinus Tyß, »in der Tat jetzt ein herrlicher tadelsfreier Gewä hrsmann, da ich selbst verhaftet eines schweren Verbrechens halber, das ich nicht kenne, ja von dem ich auch nicht die leiseste Ahnung habe. « —

Doch, es mö chte geraten sein, das Gesprä ch der beiden Freunde, die sich auf eine Weise wiederfanden, wie sie es wohl nicht vermutet, zu unterbrechen und dem geneigten Leser zu sagen, was es mit der Verhaftung des Herrn Peregrinus Tyß fü r eine Bewandtnis hatte. Es ist schwer, ja wohl unmö glich darzutun, wie Gerü chte entstehen; sie gleichen dem Winde, von dem man nicht weiß, woher er kommt und wohin er fä hrt. So hatte sich auch in der Stadt das Gerü cht verbreitet, daß am Weihnachtsabende aus einer groß en Gesellschaft, die bei einem reichen Bankier versammelt gewesen, eine sehr vornehme Dame auf unbegreifliche Weise entfü hrt worden. Jeder sprach davon, nannte den Namen des Bankiers und klagte laut, daß die Polizei wenig wachsam sein mü sse, wenn eine solche gewaltsame Tat ohne Scheu verü bt werden dü rfe. Der Rat konnte nicht umhin, Nachforschungen anzustellen; alle Gä ste, die am Weihnachtsabende bei dem Bankier gewesen, wurden vernommen; jeder sagte: allerdings sei, wie er gehö rt habe, eine vornehme Dame aus der Gesellschaft entfü hrt worden, und der Bankier bedauerte gar sehr, daß in seinem Hause solch ein Streich geschehen. Keiner wuß te indessen den Namen der entfü hrten Dame anzugeben, und als der Bankier die Liste seiner Gä ste einreichte, fand es sich, daß keine einzige von den Damen, die zugegen gewesen, vermiß t wurde. War dies nun auch der Fall mit sä mtlichen einheimischen und fremden Frauen und Mä dchen in der ganzen Stadt, von denen keiner am Weihnachtsabende Leids geschehen, so sah der Rat, wie es nicht anders geschehen konnte, das entstandene Gerü cht fü r vö llig grundlos und die ganze Sache fü r erledigt an.

Da erschien aber vor dem Rat ein seltsamer Mensch, sowohl seiner Kleidung als seinem Wesen nach, welcher sagte, er sei Geheimer Hofrat und nenne sich Knarrpanti. Darauf zog er ein Papier mit einem groß en Siegel aus der Tasche und ü berreichte es mit einer hö flichen Verbeugung und einer Miene, die deutlich aussprach, wie sehr der Rat durch die hohe Wü rde, die er, der Geheime Hofrat Knarrpanti, bekleide, und durch den wichtigen Auftrag, den er erhalten, ü berrascht sein, und welcher Respekt ihm nun erwiesen werden wü rde. Knarrpanti war ein sehr wichtiger Mann, ein sogenanntes Faktotum an dem Hofe eines kleinen Fü rsten, auf dessen Namen sich der Herausgeber nicht besinnen kann und von dem nur zu sagen ist, daß es ihm bestä ndig an Gelde fehlte und daß von allen Staatseinrichtungen, die er aus der Geschichte kannte, ihm keine besser gefiel als die Geheime Staats-Inquisition, wie sie ehemals in Venedig stattfand. Diesem Fü rsten war wirklich vor einiger Zeit eine von seinen Prinzessinnen abhanden gekommen, man wuß te nicht recht, wie? Als nun dem Knarrpanti, der sich gerade in Frankfurt befand, um womö glich einiges Geld fü r seinen Herrn aufzuborgen, das Gerü cht von der entfü hrten vornehmen Dame zu Ohren kam, schrieb er sogleich an den Fü rsten, daß es seinen Bemü hungen gelungen, der verlornen Prinzessin auf die Spur zu kommen. Darauf erhielt er sofort den Auftrag, den Rä uber zu verfolgen und alles anzuwenden, die Prinzessin aufzufinden und sich ihrer zu bemä chtigen, koste es, was es wolle. Diesem Auftrag war ein hö fliches Schreiben an den Rat beigelegt, worin derselbe ersucht wurde, dem Geheimen Hofrat Knarrpanti in seinen Nachforschungen mö glichst beizustehen und auf seinen Antrag den Rä uber zu verhaften und ihm den Prozeß zu machen. Dies Schreiben war aber jenes Papier, welches Knarrpanti dem Rat in der Audienz ü berreichte und von dem er sich solch groß e Wirkung versprach.

Der Rat erwiderte, das Gerü cht von einer vornehmen Dame, die entfü hrt sein solle, sei als grundlos widerlegt, dagegen vollkommen ermittelt, daß ü berhaupt niemand entfü hrt worden, es kö nne daher von der Ausmittlung eines Entfü hrers nicht die Rede sein und werde der Herr Geheime Hofrat Knarrpanti, aller weiteren Nachforschungen entü brigt, wohl keines Beistandes bedü rfen. Knarrpanti hö rte dies alles mit einem selbstzufriedenen Lä cheln an und versicherte, daß es seiner ungemeinen Sagazitä t bereits gelungen, den Tä ter zu erforschen. Auf die Erinnerung, daß doch eine Tat begangen sein mü sse, wenn es einen Tä ter geben solle, meinte Knarrpanti, daß, sei erst der Verbrecher ausgemittelt, sich das begangene Verbrechen von selbst finde. Nur ein oberflä chlicher leichtsinniger Richter sei, wenn auch selbst die Hauptanklage wegen Verstocktheit des Angeklagten nicht festzustellen, nicht imstande, dies und das hineinzuinquirieren, welches dem Angeklagten doch irgendeinen kleinen Makel anhä nge und die Haft rechtfertige. Er mü sse schon jetzt dringend auf die schleunige Verhaftung des Entfü hrers seiner Prinzessin antragen, und dieser Entfü hrer sei niemand anders, als Herr Peregrinus Tyß, der ihm schon lä ngst als hö chst verdä chtig bekannt und dessen Papiere er sofort in Beschlag zu nehmen bitte.

Der Rat erstaunte ü ber die kecke Anklage eines stillen unbescholtenen Bü rgers und wies Knarrpantis Antrag mit vielem Gerä usch zurü ck.

Knarrpanti kam nicht im mindesten aus der Fassung, sondern versicherte mit einer gewissen widerlichen Anmaß ung, die ihm ü berhaupt eigen, daß, verlange man von ihm zuvor den Nachweis seiner Anklage, er diesen sehr leicht fü hren kö nne. Durch zwei Zeugen wolle er nä mlich dartun, daß Herr Peregrinus Tyß in der Weihnachtsnacht mit Gewalt ein schö n geputztes Mä dchen in sein Haus geschleppt habe.

Mehr, um die Absurditä t dieser Behauptung vö llig darzutun, als um auf diese Sache wirklich einzugehen, beschloß der Rat, die beiden vorgeschlagenen Zeugen vernehmen zu lassen. Beide, ein Nachbar des Herrn Peregrinus Tyß, der in jener verhä ngnisvollen Weihnachtsnacht zufä llig eben in sein Haus treten wollen, sowie der Wä chter hatten aus der Ferne den ganzen Auftritt, als Peregrinus die geheimnisvolle Schö ne herbeitrug, beobachtet und bekundeten einstimmig, daß Herr Tyß allerdings eine geputzte Dame in sein Haus gebracht. Beide wollten denn auch bemerkt haben, daß die Dame sich sehr gesträ ubt und jä mmerlich lamentiert. Auf die Frage, warum sie denn dem bedrä ngten Frauenzimmer nicht zu Hü lfe geeilt, erwiderten sie, solches sei ihnen nicht eingefallen. Die Aussage dieser Zeugen setzte den Rat in nicht geringe Verlegenheit, da Herr Peregrinus sich wirklich des Vergehens schuldig gemacht zu haben schien, dessen man ihn anklagte. Knarrpanti sprach wie ein Cicero und bewies, wie der Umstand, daß man jetzt keine Dame vermisse, gar nichts entscheide, da die Dame sich ja wieder aus Peregrinus' Hause gerettet haben und nun aus purer Scham den ganzen Vorfall verschweigen kö nne. Wer die Dame sei, sowie was Herr Tyß noch sonst in gefä hrlichen Liebesumtrieben begonnen, das wü rde sich gewiß aus des Verbrechers Papieren ergeben, und er nehme die Gerechtigkeitsliebe des Rats in Anspruch, nach der gewiß keine fluchwü rdige Tat ungeahndet bleiben dü rfe. Der Rat beschloß fü rs erste, dem Gesuch des wü rdigen Geheimen Hofrats nachzugeben, und so geschah es, daß des armen Herrn Peregrinus Tyß schnelle Verhaftung sowie die Beschlagnahme seiner Papiere erfolgte.

Wir kehren zu den beiden Freunden, die nebeneinander die Kö pfe aus den Fenstern ihrer Gefä ngnisse gesteckt haben, zurü ck. — Peregrinus hatte dem Freunde ausfü hrlich erzä hlt, wie er bei seiner Rü ckkehr nach Frankfurt sich verwaist gefunden und seitdem in vö lliger Abgeschiedenheit nur in der Erinnerung an die frü heren Tage mitten in der gerä uschvollen Stadt ein einsames freudenloses Leben fü hre.

»O, ja«, erwiderte Pepusch mü rrisch, »ich habe davon gehö rt, mir sind die Narrenspossen erzä hlt worden, die du treibst, um das Leben zu verbringen in kindischer Trä umerei. Du willst ein Held der Gemü tlichkeit, der Kindlichkeit sein, und darum verhö hnst du die gerechten Ansprü che, die das Leben, die menschliche Gesellschaft an dich macht. Du gibst eingebildete Familienschmä use und spendest die kö stlichen Speisen, die teuern Weine, die du fü r Tote auftischen ließ est, den Armen. Du bescherst dir selbst den Heilgen Christ ein und tust, als seist du noch ein Kind, dann schenkst du aber die Gaben, welche von der Art sind, wie sie wohl verwö hnten Kindern in reicher Eltern Hause gespendet zu werden pflegen, armen Kindern. Aber du bedenkst nicht, daß es den Armen eine schlechte Wohltat ist, wenn du einmal ihren Gaumen kitzelst und sie nachher ihr Elend doppelt fü hlen, wenn sie aus nagendem Hunger kaum genieß bare Speise, die mancher leckere Schoß hund verwirft, kauen mü ssen — ha, wie mir diese Armenfü tterungen anekeln, wenn ich bedenke, daß das, was an einem Tage verspendet wird, hinreichen wü rde, sie Monate hindurch zu ernä hren auf mä ß ige Weise! — Du ü berhä ufst die Kinder armer Leute mit glä nzenden Spielsachen und bedenkst nicht, daß ein hö lzerner buntbemalter Sä bel, ein Lumpenpü ppchen, ein Kuckuck, ein geringes Naschwerk, von Vater und Mutter einbeschert, sie ebenso, ja vielleicht noch mehr erfreut. Aber sie fressen sich ü berdem an deinem verdammten Marzipan matt und krank, und mit der Kenntnis glä nzenderer Gaben, die ihnen in der Folge versagt bleiben, ist der Keim der Unzufriedenheit, des Miß mutes in ihre Seele gepflanzt. Du bist reich, du bist lebenskrä ftig, und doch entziehstdu dich jeder Mitteilung und vereitelst so jedes freundliche Annä hern dir wohlwollender Gemü ter. Ich will es glauben, daß der Tod deiner Eltern dich erschü ttert hat, aber wenn jeder, der einen empfindlichen Verlust erlitten hat, in sein Schneckenhaus kriechen sollte, so wü rde, beim Teufel, die Welt einem Leichenhause gleichen, und ich wollte nicht darin leben. Aber, Patron! weiß t du wohl, daß dich die stö rrigste Selbstsucht regiert, die sich hinter einer albernen Menschenscheue versteckt? — Geh, geh, Peregrinus, ich kann dich nicht mehr achten, nicht mehr dein Freund sein, wenn du dein Leben nicht ä nderst, die fatale Wirtschaft in deinem Hause nicht aufgibst! «

Peregrinus schnappte mit dem Daumen, und sogleich warf ihm Meister Floh das mikroskopische Glas ins Auge. Die Gedanken des zü rnenden Pepusch lauteten: »Ist es nicht ein Jammer, daß ein solcher gemü tlicher verstä ndiger Mensch auf solche bedrohliche Abwege geraten konnte, die ihn zuletzt zu vö lliger Abgespanntheit aller bessern Krä fte bringen kö nnen? Aber es ist gewiß, daß sein weiches, zum Trü bsinn geneigtes Gemü t den Stoß nicht ertragen konnte, den ihm der Tod der Eltern versetzte, und daß er Trost in einem Treiben suchte, das an Wahnsinn grenzt. Er ist verloren, wenn ich ihn nicht rette. Ich will ihm desto hä rter zusetzen, mit desto grelleren Farben ihm das Bild seiner Torheit aufstellen, je mehr ich ihn hochschä tze, sein wahrer Freund bin und bleibe. « Peregrinus erkannte an diesen Gedanken, daß er in dem mü rrischen Pepusch seinen alten wahrhaften Freund unverä ndert wiedergefunden.

»George«, sprach Peregrinus, nachdem ihm Meister Floh wieder das mikroskopische Glas aus der Pupille genommen, »George, ich mag mit dir gar nicht darü ber rechten, was du ü ber das Tadelnswerte meiner Lebensweise sagst. denn ich weiß, daß du es sehr gut mit mir meinst. Doch muß ich dir sagen, daß es meine Brust hoch erhebt, wenn ich den Armen einen Freudentag bereiten kann, und ist dies, unerachtet ich dabei an niemanden weniger denke als an mich selbst, gehä ssige Selbstsucht, so fehle ich wenigstens unbewuß t. Das sind die Blumen in meinem Leben, das mir sonst vorkommt, wie ein trauriges unwirtbares Feld voll Disteln. «

»Was«, fuhr George Pepusch heftig auf, »was sprichst du von Disteln? warum verachtest du Disteln und setzest sie den Blumen entgegen? — Bist du so wenig erfahren in der Naturkunde, um nicht zu wissen, daß die wunderherrlichste Blume, die es nur geben mag, nichts anders ist als die Blü te einer Distel? Ich meine den Cactus grandiflorus. Und ist die Distel Zeherit nicht eben wieder der schö nste Cactus unter der Sonne? — Peregrinus, ich habe es dir so lange verschwiegen, oder vielmehr verschweigen mü ssen, weil ich selbst die klare Erkenntnis davon nicht hatte, aber jetzt erfahre es, daß ich selbst die Distel Zeherit bin und meine Ansprü che auf die Hand der Tochter des wü rdigen Kö nigs Sekakis, der holden, himmlischen Prinzessin Gamaheh, durchaus nicht aufgeben will und werde. Ich habe sie gefunden, aber in demselben Augenblick erfaß ten mich dä monische Wä chter und Bü rgerwachen und schleppten mich ins Gefä ngnis. «

»Wie«, rief Peregrinus halb erstarrt vor Erstaunen, »auch du, George, bist verflochten in die seltsamste aller Geschichten? «

»Was fü r eine Geschichte? « fragte Pepusch.

Peregrinus nahm gar keinen Anstand, auch seinem Freunde wie Herrn Swammer alles zu erzä hlen, was sich bei dem Buchbinder Lä mmerhirt und darauf in seinem Hause begeben. Er verschwieg auch nicht die Erscheinung des Meisters Floh, wiewohl, man mag es wohl denken, den Besitz des geheimnisvollen Glases.

Georges Augen brannten, er biß sich in die Lippen, er schlug sich vor die Stirn, er rief, als Peregrinus geendet, in voller Wut: »Die Verruchte! die Treulose! die Verrä terin! « — Um in der Selbstqual verzweifelter Liebe jeden Tropfen aus dem Giftbecher, den ihm Peregrinus, ohne es zu ahnen, gereicht, gierig auszukosten, ließ er sich jeden kleinen Zug von Dö rtjes Beginnen wiederholen. Dazwischen murmelte er: »In den Armen — an der Brust — glü hende Kü sse -« Dann sprang er vom Fenster zurü ck, lief in der Stube umher und gebä rdete sich wie ein Rasender. Vergebens rief Peregrinus ihm zu, er mö ge ihn doch nur weiter hö ren, er habe ihm noch viel Trö stliches zu sagen; Pepusch ließ nicht nach mit Toben.

Das Zimmer wurde auf geschlossen, und ein Abgeordneter des Rats kü ndigte dem Herrn Peregrinus Tyß an, daß gar kein gesetzlicher Grund zu seiner lä ngeren Haft gefunden worden und er zurü ckkehren kö nne in seine Wohnung.

Den ersten Gebrauch, den Peregrinus von seiner wiedererlangten Freiheit machte, war, daß er sich als Gewä hrsmann fü r den verhafteten George Pepusch gestellte, dem er bezeugte, daß er wirklich der George Pepusch sei, mit dem er, in innigster Freundschaft verbunden, zu Madras gelebt und der ihm als ein vermö gender, ganz unbescholtener Mann bekannt sei. Von der Distel Zeherit, der schö nsten aller Fackeldisteln, schwieg Peregrinus wohlweislich, da er einsah, daß unter den vorwaltenden Umstä nden dies dem Freunde hä tte mehr schä dlich als nü tzlich werden kö nnen. -

Meister Floh ergoß sich in sehr philosophischen lehrreichen Betrachtungen, die darauf hinausliefen, daß die Distel Zeherit, trotz der rauhen stö rrigen Auß enseite, sehr human und verstä ndig sei, jedoch sich stets ein wenig zu anmaß end zeige. Im Grunde genommen habe die Distel mit vollem Recht die Lebensweise des Herrn Peregrinus getadelt, sei auch dies in etwas zu harten Ausdrü cken geschehen. Er seinerseits wolle wirklich dem Herrn Peregrinus raten, sich von nun an in die Welt zu begeben.

»Glaubt mir«, so sprach Meister Floh, »glaubt mir, Herr Peregrinus, es wird Euch gar manchen Nutzen bringen, wenn Ihr Eure Einsamkeit verlaß t. Fü rs erste dü rftet Ihr nicht mehr fü rchten, scheu und verlegen zu erscheinen, da Ihr, das geheimnisvolle Glas im Auge, die Gedanken der Menschen beherrscht, es daher ganz unmö glich ist, daß Ihr nicht ü berall den richtigen Takt behaupten solltet. Wie fest, wie ruhig kö nnet Ihr vor den hö chsten Hä uptern auftreten, da ihr Innerstes klar vor Euern Augen liegt. Bewegt Ihr Euch frei in der Welt, so wird Euer Blut leichter fließ en, jedes trü bsinnige Brü ten aufhö ren und, was das beste ist, bunte Ideen und Gedanken werden aufgehen in Euerm Gehirn, das Bild der schö nen Gamaheh wird von seinem Glanz verlieren, und bald seid Ihr dann besser imstande, mir Wort zu halten. «

Herr Peregrinus fü hlte, daß beide, George Pepusch und Meister Floh, es sehr gut mit ihm meinten, und er nahm sich vor, ihren weisen Rat zu befolgen. Doch sowie er die sü ß e Stimme der holden Geliebten vernahm, welche ö fters sang und spielte, so glaubte er nicht, wie es mö glich sein werde, das Haus zu verlassen, das ihm zum Paradiese geworden.

Endlich gewann er es doch ü ber sich, einen ö ffentlichen Spaziergang zu besuchen. Meister Floh hatte ihm das Glas ins Auge gesetzt und Platz genommen im Jabot, wo er sich sanft hin und her zu schaukeln wuß te.

»Habe ich endlich das seltene Vergnü gen, meinen guten lieben Herrn Tyß wiederzusehen? Sie machen sich rar, bester Freund, und alles schmachtet doch nach Ihnen. Lassen Sie uns irgendwo eintreten, eine Flasche Wein leeren auf Ihr Wohl, mein Herzensfreund. — Wie ich mich freue, Sie zu sehen! « So rief ihm ein junger Mann entgegen, den er kaum zwei-, dreimal gesehen. Die Gedanken lauteten: »Kommt der alberne Misanthrop auch einmal zum Vorschein? — Aber ich muß ihm schmeicheln, weil ich nä chstens Geld von ihm borgen will. Er wird doch nicht des Teufels sein und meine Einladung annehmen? Ich habe keinen Groschen Geld, und kein Wirt borgt mir mehr. «

Zwei sehr zierlich gekleidete junge Mä dchen traten dem Peregrinus geradezu in den Weg. Es waren Schwestern, weitlä ufig mit ihm verwandt.

»Ei«, rief die eine lachend, »ei, Vetterchen, trifft man Sie einmal? Es ist gar nicht hü bsch von Ihnen, daß Sie sich so einsperren, daß Sie sich nicht sehen lassen. Sie glauben nicht, wie Mü tterchen Ihnen gut ist, weil Sie solch ein verstä ndiger Mensch sind. Versprechen Sie mir, bald zu kommen — Da! — Kü ssen Sie mir die Hand. « — Die Gedanken lauteten: »Wie, was ist das? was ist mit dem Vetter vorgegangen? Ich wollte ihn recht in Furcht und Angst setzen. Sonst lief er vor mir, vor jedem Frauenzimmer, und jetzt bleibt er stehen und kuckt mir so ganz sonderbar ins Auge und kü ß t mir die Hand ohne alle Scheu? Sollte er in mich verliebt sein? Das fehlte noch! — Die Mutter sagt, er sei etwas dä misch. Was tut's, ich nehm' ihn; ein dä mischer Mann ist, wenn er reich ist, wie der Vetter, eben der beste. « Die Schwester hatte mit niedergeschlagenen Augen und hochroten Wangen bloß gelispelt: »Ja, besuchen Sie uns recht bald, lieber Vetter! « — Die Gedanken lauteten: »Der Vetter ist ein recht hü bscher Mensch, und ich begreife nicht, warum ihn die Mutter albern und abgeschmackt nennt und ihn nicht leiden mag. Wenn er in unser Haus kommt, verliebt er sich in mich, denn ich bin das schö nste Mä dchen in ganz Frankfurt. Ich nehme ihn, weil ich einen reichen Menschen heiraten will, damit ich bis elf Uhr schlafen darf und teurere Shawls tragen kann als die Frau von Carsner. « Ein vorü berfahrender Arzt ließ, als er den Peregrinus erblickte, den Wagen anhalten und schrie zum Schlage heraus: »Guten Morgen, bester Tyß! — Sie sehen aus wie das Leben! der Himmel erhalte Sie bei guter Gesundheit! Aber wenn Ihnen was zustoß en sollte, so denken Sie an mich, an den alten Freund Ihres seligen Herrn Vaters. — Solchen krä ftigen Naturen helfe ich auf die Beine in weniger Zeit! Adieu! « Die Gedanken lauteten: »Ich glaube, der Mensch ist aus purem Geiz bestä ndig gesund? Aber er sieht mir so blaß, so verstö rt aus, er scheint mir endlich was am Halse zu haben. Nun! kommt er mir unter die Hä nde, so soll er nicht wieder so bald vom Lager aufstehen; er soll tü chtig bü ß en fü r seine hartnä ckige Gesundheit. «

»Sei'n Sie schö nstens gegrü ß t, Wohledler«, rief ihm gleich darauf ein alter Kaufmann entgegen; »sehen Sie, wie ich laufe und renne, wie ich mich plagen muß der Geschä fte halber. Wie weise ist es, daß Sie sich den Geschä ften entzogen, unerachtet es bei Ihren Einsichten Ihnen garnicht fehlen kö nnte, den Reichtum Ihres braven Herrn Vaters zu verdoppeln. «

Die Gedanken lauteten: »Wenn der Mensch nur Geschä fte machen wollte, der verwirrte Einfaltspinsel wü rde in kurzer Zeit seinen ganzen Reichtum verspekulieren, und das wä re denn ein Gaudium. Der alte Herr Papa, der seine Freude daran hatte, andere ehrliche Leute, die sich durch ein klein Bankerottchen aufhelfen wollten, schonungslos zu ruinieren, wü rde sich im Grabe umdrehen. « —

Noch viel mehr solche schneidende Widersprü che zwischen Worten und Gedanken liefen dem Peregrinus in den Weg. Stets richtete er seine Antworten mehr nach dem ein, was die Leute gedacht, als nach dem, was sie gesprochen, und so konnt' es nicht fehlen, daß, da Peregrinus in der Leute Gedanken eingedrungen, sie selbst gar nicht wuß ten, was sie von dem Peregrinus denken sollten. Zuletzt fü hlte sich Herr Peregrinus ermü det und betä ubt. Er schnappte mit dem Daumen, und sogleich verschwand das Glas aus der Pupille des linken Auges. Als Peregrinus in sein Haus trat, wurde er durch ein seltsames Schauspiel ü berrascht. Ein Mann stand in der Mitte des Flurs und sah durch ein seltsam geformtes Glas unverwandten Blickes nach Herrn Swammers Stubentü re. Auf dieser Tü re spielten aber sonnenhelle Kreise in Regenbogenfarben, fuhren zusammen in einen feurig glü henden Punkt, der durch die Tü re zu dringen schien. Sowie dies geschehen, vernahm man ein dumpfes Ä chzen, von Schmerzenslauten unterbrochen, das aus dem Zimmer zu kommen schien.

Zu seinem Entsetzen glaubte Herr Peregrinus Gamahehs Stimme zu erkennen.

»Was wollen Sie? was treiben Sie hier? « So fuhr Peregrinus auf den Mann los, der wirklich Teufelskü nste zu treiben schien, indem stets rascher, stets feuriger die Regenbogenkreise spielten, stets glü hender der Punkt hineinfuhr, stets schmerzlicher die Jammerlaute aus dem Zimmer ertö nten.

»Ah«, sprach der Mann, indem er seine Glä ser zusammenschob und schnell einsteckte, »ah, sieh da, der Herr Wirt! Verzeihen Sie, bester Herr Tyß, daß ich hier ohne Ihre gü tige Erlaubnis operiere. Aber ich war bei Ihnen, um mir diese Erlaubnis zu erbitten. Da sagte mir aber die gute freundliche Aline, daß Sie ausgegangen wä ren, und die Sache hier unten litt keinen Aufschub. «

»Welche Sache? « fragte Peregrinus ziemlich barsch, »welche Sache hier unten ist's, die keinen Aufschub leidet? «

»Sollten Sie«, fuhr der Mann mit widrigem Lä cheln fort, »sollten Sie, wertester Herr Tyß, denn nicht wissen, daß mir meine ungeratene Nichte Dö rtje Elverdink entlaufen ist? Sie sind ja, wiewohl mit groß em Unrecht, als ihr Entfü hrer verhaftet worden, weshalb ich denn auch, sollte es darauf ankommen, mit vielem Vergnü gen Ihre vö llige Unschuld bezeugen werde. Nicht zu Ihnen, nein, zu dem Herrn Swammerdamm, der sonst mein Freund war, sich aber jetzt in meinen Feind verkehrt hat, ist die treulose Dö rtje geflü chtet. Sie sitzt hier im Zimmer, ich weiß es, und zwar allein, da Herr Swammerdamm ausgegangen. Eindringen kann ich nicht, da die Tü re fest verschlossen und verriegelt ist, ich aber viel zu gutmü tig bin, um Gewalt anzuwenden. Deshalb nehme ich mir die Freiheit, die Kleine mit meinem optischen Marter-Instrument etwas zu quä len, damit sie doch erkenne, daß ich, trotz ihres eingebildeten Prinzessintums, ihr Herr und Meister bin. «

»Der Teufel«, schrie Peregrinus im hö chsten Grimm, »der Teufel sind Sie, Herr! aber nicht Herr und Meister der holden himmlischen Gamaheh. Fort aus dem Hause, treiben Sie Ihre Satanskü nste, wo Sie wollen, aber hier scheitern Sie damit, dafü r werde ich sorgen! «

»Ereifern«, sprach Leuwenhoek, »ereifern Sie sich doch nur nicht, bester Herr Tyß, ich bin ein unschuldiger Mann, der nichts will als alles Gute. Sie wissen nicht, wessen Sie sich annehmen. Es ist ein kleiner Unhold, ein kleiner Basilisk, der dort im Zimmer sitzt in der Gestalt des holdesten Weibleins. Mö chte sie, wenn ihr der Aufenthalt bei meiner Wenigkeit durchaus miß fiel, doch geflohen sein, aber durfte die treulose Verrä terin mir mein schö nstes Kleinod, den besten Freund meiner Seele, ohne den ich nicht leben, nicht bestehen kann, rauben? — Durfte sie mir den Meister Floh entfü hren? — Sie werden, Verehrtester, nicht verstehen, was ich meine, aber -«

Hier konnte sich Meister Floh, der von dem Jabot des Herrn Peregrinus hinaufgesprungen war und den sicheren und bequemeren Platz in der Halsbinde eingenommen hatte, nicht enthalten, ein feines hö hnisches Gelä chter aufzuschlagen.

»Ha«, rief Leuwenhoek, wie vom jä hen Schreck getroffen, »ha! was war das! — sollte es doch mö glich sein? — ja, hier an diesem Orte! — erlauben Sie doch, verehrtester Herr Peregrinus! « Damit streckte Leuwenhoek den Arm aus, trat dicht heran an Herrn Peregrinus und wollte nach seiner Halsbinde greifen.

Peregrinus wich ihm aber geschickt aus, faß te ihn mit starker Faust und schleppte ihn nach der Haustü re, um ihn ohne weiteres hinauszuwerfen. Eben als Peregrinus sich mit Leuwenhoek, der sich in ohnmä chtigen Protestationen erschö pfte, dicht an der Tü re befand, wurde diese von auß en geö ffnet, und hinein stü rmte George Pepusch, hinter ihm aber Herr Swammerdamm.

Sowie Leuwenhoek seinen Feind Swammerdamm erblickte, riß er sich los mit der hö chsten Anstrengung seiner letzten Krä fte, sprang zurü ck und stemmte sich mit dem Rü cken gegen die Tü re des verhä ngnisvollen Zimmers, wo die Schö ne gefangen saß.

Swammerdamm zog, dies gewahrend, ein kleines Fernglas aus der Tasche, schob es lang aus und ging dem Feinde zu Leibe, indem er laut rief: »Zieh, Verdammter, wenn du Courage hast! «

Schnell hatte Leuwenhoek ein ä hnliches Instrument in der Hand, schob es ebenfalls auseinander und schrie: »Nur heran, ich stehe dir, bald sollst du meine Macht fü hlen! « — Beide setzten sich nun die Fernglä ser ans Auge und fielen grimmig gegeneinander aus mit scharfen mö rderischen Streichen, indem sie ihre Waffen durch Aus- und Einschieben bald verlä ngerten, bald verkü rzten. Da gab es Finten, Paraden, Volten, kurz alle nur mö glichen Fechterkü nste, und immer mehr schienen sich die Gemü ter zu erhitzen. Wurde einer getroffen, so schrie er laut auf, sprang in die Hö he, machte die wunderlichsten Kapriolen, die schö nsten Entrechats, Pirouetten, wie der beste Solotä nzer von der Pariser Bü hne, bis der andere ihn mit dem verkü rzten Fernglase fest fixierte. Geschah diesem nun Gleiches, so machte er es ebenso. So wechselten sie mit den ausgelassensten Sprü ngen, mit den tollsten Gebä rden, mit dem wü tendsten Geschrei; der Schweiß troff ihnen von der Stirne herab, die blutroten Augen traten ihnen zum Kopfe heraus, und da man nur ihr wechselseitiges Anblicken durch die Fernglä ser, sonst aber keine Ursache ihres Veitstanzes gewahrte, so muß te man sie fü r Rasende halten, die dem Irrenhause entsprungen. — Die Sache war ü brigens ganz artig anzusehen. —

Herrn Swammerdamm gelang es endlich, den bö sen Leuwenhoek aus seiner Stellung an der Tü re, die er mit hartnä ckiger Tapferkeit behauptet, zu vertreiben und den Kampf in den Hintergrund des Flurs zu spielen.

George Pepusch nahm den Augenblick wahr, drü ckte die freigewordene Tü re, die weder verschlossen noch verriegelt war, auf und schlü pfte ins Zimmer hinein. Sogleich stü rzte er aber auch wieder heraus, schrie: »Sie ist fort — fort! « und eilte mit Blitzesschnelle aus dem Hause von dannen. — Beide, Leuwenhoek und Swammerdamm, hatten sich schwer getroffen, denn beide hü pften, tanzten auf ganz tolle Weise und machten dazu mit Heulen und Schreien eine Musik, die dem Wehgeschrei der Verdammten in der Hö lle zu gleichen schien.

Peregrinus wuß te in der Tat nicht recht, was er beginnen sollte, die Wü tenden auseinanderzubringen und so einen Auftritt zu endigen, der ebenso lä cherlich als entsetzlich war. Endlich gewahrten beide, daß die Tü re des Zimmers weit offen stand, vergaß en Kampf und Schmerz, steckten die verderblichen Waffen ein und stü rzten sich ins Zimmer.

Schwer fiel es nun erst dem Herrn Peregrinus Tyß aufs Herz, daß die Schö nste aus dem Hause entflohen, er verwü nschte den abscheulichen Leuwenhoek in die Hö lle. Da ließ sich auf der Treppe Alinens Stimme vernehmen. Sie lachte laut und rief wiederum dazwischen: »Was man nicht alles erlebt! Wundersam — unglaublich — Wer hä tte sich das trä umen lassen! «

»Was ist«, fragte Peregrinus kleinlaut, »was ist denn schon wieder Unglaubliches vorgefallen? «

»O lieber Herr Tyß «, rief ihm die Alte entgegen, »kommen Sie doch nur schnell herauf, gehen Sie doch nur in Ihr Zimmer. «

Die Alte ö ffnete ihm schalkisch kichernd die Tü r seines Gemachs. Als er hineintrat, da, o Wunder! o Wonne! hü pfte ihm die holde Dö rtje Elverdink entgegen, gekleidet in das verfü hrerische Gewand von Silberzindel, wie er sie bei dem Herrn Swammer erblickt. »Endlich, endlich sehe ich dich wieder, mein sü ß er Freund«, lispelte die Kleine, und wuß te sich dem Peregrinus so anzuschmiegen, daß er nicht umhin konnte, sie, aller guten Vorsä tze unerachtet, auf das zä rtlichste zu umarmen. Die Sinne wollten ihm vergehen vor Entzü cken und Liebeslust. —

Wohl oft hat es sich aber begeben, daß jemand gerade im hö chsten Rausch der ü berschwenglichsten Wonne sich recht derb die Nase stieß und plö tzlich geweckt durch den irdischen Schmerz aus dem seligen Jenseits hinabfiel in das ordinä re Diesseits. Geradeso ging es Herrn Peregrinus. Als er sich nä mlich hinabbü ckte, um Dö rtjes sü ß en Mund zu kü ssen, stieß er sich ganz entsetzlich die nicht unansehnliche Nase an dem Diadem von funkelnden Brillanten, das die Kleine in den schwarzen Locken trug. Der empfindliche Schmerz des Stoß es an den eckicht geschaffenen Steinen brachte ihn hinlä nglich zu sich selbst, um das Diadem zu gewahren. Das Diadem mahnte ihn aber an die Prinzessin Gamaheh, und dabei muß te ihm wieder alles einfallen, was ihm Meister Floh von dem verfü hrerischen Wesen gesagt hatte. Er bedachte, daß einer Prinzessin, der Tochter eines mä chtigen Kö nigs, unmö glich an seiner Liebe etwas gelegen sein kö nne und daß ihr ganzes Liebe atmendes Betragen wohl als gleisnerischer Trug gelten dü rfe, durch den die Verrä terin sich den zauberischen Floh wiederverschaffen wolle. — Dies betrachtend, glitt ein Eisstrom durch sein Innres, der die Liebesflamme, wenn auch nicht gä nzlich auslö schte, so doch wenigstens dä mpfte.

Peregrinus wand sich aus den Armen der Kleinen, die ihn liebend umfaß t hatte. und sprach leise mit niedergeschlagenen Augen: »Ach du lieber Himmel! Sie sind ja doch die Tochter des mä chtigen Kö nigs Sekakis, die schö ne, hohe, herrliche Prinzessin Gamaheh! — Verzeihung, Prinzessin, wenn mich ein Gefü hl, dem ich nicht widerstehen konnte, hinriß zur Torheit, zum Wahnsinn. Aber Sie selbst, Durchlauchtige -«

»Was«, unterbrach Dö rtje Elverdink den Peregrinus, »was sprichst du, mein holder Freund? Ich eines mä chtigen Kö nigs Tochter? ich eine Prinzessin? Ich bin ja deine Aline, die dich lieben wird bis zum Wahnsinn, wenn du — doch, wie ist mir denn? Aline, die Kö nigin von Golkonda? die ist ja schon bei dir; ich habe mit ihr gesprochen. Eine gute, liebe Frau, doch alt ist sie geworden, und lange nicht mehr so hü bsch als zur Zeit ihrer Verheiratung mit einem franzö sischen General! — Weh mir! ich bin wohl nicht die rechte, ich habe wohl nie in Golkonda geherrscht? — Weh mir! «

Die Kleine hatte die Augen geschlossen und begann zu wanken. Peregrinus brachte sie auf den Sofa.

»Gamaheh«, fuhr sie wie somnambul sprechend fort, »Gamaheh sagst du? — Gamaheh, die Tochter des Kö nigs Sekakis? Ja, ich erinnere mich, in Famagusta! — ich war eigentlich eine schö ne Tulpe — doch nein, schon damals fü hlte ich Sehnsucht und Liebe in der Brust — Still, still davon! «

Die Kleine schwieg, sie schien ganz einschlummern zu wollen. Peregrinus unternahm das gefä hrliche Wagestü ck, sie in eine bequemere Stellung zu bringen. Doch wie er die Holde sanft umschlang, stach ihn eine versteckte Nadel recht derb in den Finger. Seiner Gewohnheit nach schnappte er mit dem Daumen. Meister Floh hielt das aber fü r das verabredete Zeichen und setzte ihm augenblicklich das mikroskopische Glas in die Pupille.

So wie immer erblickte Peregrinus hinter der Hornhaut der Augen das seltsame Geflecht der Nerven und Adern, die bis in das tiefe Gehirn hineingingen. Aber durch dies Geflecht schlangen sich hell blinkende Silberfaden, wohl hundertmal dü nner als die Faden des dü nnsten Spinngewebes, und eben diese Faden, die endlos zu sein schienen, da sie sich hinausrankten aus dem Gehirn in ein selbst dem mikroskopischen Auge unentdeckbares Etwas, verwirrten, vielleicht Gedanken sublimerer Art, die andern von leichter zu erfassender Gattung. Peregrinus gewahrte bunt durcheinanderwirbelnde Blumen, die sich zu Menschen gestalteten, dann wieder Menschen, die in die Erde zerflossen und dann als Steine, Metalle hervorblinkten. Und dazwischen bewegten sich allerlei seltsame Tiere, die sich unzä hlichemal verwandelten und wunderbare Sprachen redeten. Keine Erscheinung paß te zu der andern, und in der bangen Klage brustzerreiß ender Wehmut, die durch die Luft ertö nte, schien sich die Dissonanz der Erscheinungen auszusprechen. Doch eben diese Dissonanz verherrlichte nur noch mehr die tiefe Grundharmonie, die siegend hervorbrach und alles, was entzweit geschienen, vereinigte zu ewiger namenloser Lust.

»Verwirrt«, zischelte Meister Floh, »verwirrt Euch nicht, guter Herr Peregrinus, das sind Gedanken des Traums, die Ihr da schaut. Sollte auch vielleicht noch etwas mehr dahinterstecken, so ist es wohl jetzt nicht an der Zeit, das weiter zu untersuchen. Ruft nur die verfü hrerische Kleine bei ihrem rechten Namen und fragt sie denn aus, wie Ihr nur Lust habt. «

Da die Kleine verschiedene Namen fü hrte, so hä tte es, wie man denken sollte, dem Peregrinus schwerfallen mü ssen, den rechten zu treffen. Peregrinus rief aber, ohne sich im mindesten zu besinnen: »Dö rtje Elverdink! holdes, liebes Mä dchen, wä re es kein Trug? wä re es mö glich, daß du mich wirklich lieben kö nntest? « Sogleich erwachte die Kleine aus ihrem trä umerischen Zustande, schlug die Ä ugelein auf und sprach mit leuchtendem Blick: »Welche Zweifel, mein Peregrinus? Kann ein Mä dchen wohl das beginnen, was ich begann, wenn nicht die glü hendste Liebe ihre Brust erfü llt? Peregrinus, ich liebe dich wie keinen andern, und willst du mein sein, so bin ich dein mit ganzer Seele und bleibe bei dir, weil ich nicht von dir lassen kann und nicht etwa bloß, um der Tyrannei des Onkels zu entfliehen. «

Die Silberfaden waren verschwunden, und die gehö rig geordneten Gedanken lauteten: »Wie ist das zugegangen? Erst heuchelte ich ihm Liebe, bloß um den Meister Floh mir und dem Leuwenhoek wiederzugewinnen, und jetzt bin ich ihm in der Tat gut geworden. Ich habe mich in meinen eignen Fallstricken gefangen. Ich denke kaum mehr an den Meister Floh; ich mö chte ewig dem Mann angehö ren, der mir liebenswü rdiger vorkommt als alle, die ich bis jetzt gesehen. «

Man kann sich vorstellen, wie diese Gedanken alles selige Entzü cken in Peregrinus' Brust entflammten. Er fiel vor der Holden nieder, bedeckte ihre Hä ndchen mit tausend glü henden Kü ssen, nannte sie seine Wonne, seinen Himmel, sein ganzes Glü ck. —

»Nun«, lispelte die Kleine, indem sie ihn sanft an ihre Seite zog, »nun, mein Teurer, wirst du gewiß einen Wunsch nicht zurü ckweisen, von dessen Erfü llung die Ruhe, ja das ganze Dasein deiner Geliebten abhä ngt. « —

»Verlange«, erwiderte Peregrinus, indem er die Kleine zä rtlich umschlang, »verlange alles, mein sü ß es Leben, alles was du willst, dein leisester Wunsch ist mir Gebot. Nichts in der Welt ist mir so teuer, daß ich es nicht dir, nicht deiner Liebe mit Freuden opfern sollte. «

»Weh mir«, zischelte Meister Floh. »Wer hä tte das gedacht, daß die Treulose siegen sollte. — Ich bin verloren! « »So hö re denn«, fuhr die Kleine fort, nachdem sie die glü henden Kü sse, die Peregrinus auf ihre Lippen gedrü ckt, feurig erwidert hatte, »so hö re denn, ich weiß, auf welche Art der -«

Die Tü re sprang auf, und hinein trat Herr George Pepusch.

»Zeherit! « schrie wie in Verzweiflung die Kleine auf und sank leblos in den Sofa zurü ck.

Die Distel Zeherit flog aber auf die Prinzessin Gamaheh los, nahm sie in den Arm und rannte mit ihr blitzschnell von dannen.

Meister Floh war fü r diesmal gerettet. -



  

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