|
|||
Sechstes AbenteuerSeltsames Beginnen reisender Gaukler in einem Weinhause nebst hinlä nglichen Prü geln. Tragische Geschichte eines Schneiderleins zu Sachsenhausen. Wie George Pepusch ehrsame Leute in Staunen setzt. Das Horoskop. Vergnü glicher Kampf bekannter Leute im Zimmer Leuwenhoeks. Alle Vorü bergehende blieben stehen, reckten die Hä lse lang aus und kuckten durch die Fenster in die Weinstube hinein. Immer dichter wä lzte sich der Haufe heran, immer ä rger stieß und drä ngte sich alles durcheinander, immer toller wurde das Gewirre, das Gelä chter, das Toben, das Jauchzen. Diesen Rumor verursachten zwei Fremde, die sich in der Weinstube eingefunden, und die, auß erdem daß ihre Gestalt, ihr Anzug, ihr ganzes Wesen etwas ganz Fremdartiges in sich trug, das widerwä rtig war und lä cherlich zu gleicher Zeit, solche wunderliche Kü nste trieben, wie man sie noch niemals gesehen hatte. Der eine, ein alter Mensch von abscheulichem schmutzigem Ansehen, war in einen langen sehr engen Ü berrock von fahlschwarzem glä nzendem Zeuge gekleidet. Er wuß te sich bald lang und dü nn zu machen, bald schrumpfte er zu einem kurzen dicken Kerl zusammen, und es war seltsam, daß er sich dabei ringelte wie ein glatter Wurm. Der andere, hochfrisiert, im bunten seidnen Rock, ebensolchen Unterkleidern, groß en silbernen Schnallen, einem Petit Maitre aus der letzten Hä lfte des vorigen Jahrhunderts gleichend, flog dagegen einmal ü ber das andere hoch hinauf an die Stubendecke und ließ sich sanft wieder herab, indem er mit heiserer Stimme miß tö nende Lieder in gä nzlich unbekannter Sprache trä llerte. Nach der Aussage des Wirts waren beide, einer kurz auf den andern, als ganz vernü nftige bescheidene Leute in die Stube hineingetreten und hatten Wein gefordert. Dann blickten sie sich schä rfer und schä rfer ins Antlitz und fingen an zu diskurieren. Unerachtet ihre Sprache allen Gä sten unverstä ndlich war, so zeigte doch Ton und Gebä rde, daß sie in einem Zank begriffen, der immer heftiger wurde. Plö tzlich standen sie in ihre jetzige Gestalt verwandelt da und begannen das tolle Wesen zu treiben, das immer mehr Zuschauer herbeilockte. »Der Mensch«, rief einer von den Zuschauern, »der Mensch, der so schö n auf und niederfliegt, das ist ja wohl der Uhrmacher Degen aus Wien, der die Flugmaschine erfunden hat und damit einmal ü bers andre aus der Luft hinabpurzelt auf die Nase? « — »Ach nein«, erwiderte ein anderer, »das ist nicht der Vogel Degen. Eher wü rd' ich glauben, es wä re das Schneiderlein aus Sachsenhausen, wü ß t ich nicht, daß das arme Ding verbrannnt ist. « — Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser die merkwü rdige Geschichte von dem Schneiderlein aus Sachsenhausen kennt? — Hier ist sie:
Geschichte des Schneiderleins aus Sachsenhausen Es begab sich, daß ein zartes frommes Schneiderlein zu Sachsenhausen an einem Sonntage gar schö n geputzt mit seiner Frau Liebsten aus der Kirche kam. Die Luft war rauh, das Schneiderlein hatte zu Nacht nichts genossen als ein halbes weichgesottenes Ei und eine Pfeffergurke, morgens aber ein kleines Schä lchen Kaffee. Wollte ihm daher flau und erbä rmlich zumute werden, weil er ü berdem in der Kirche gar heftig gesungen, und ihm nach einem Magenschnä pschen gelü sten. War die Woche ü ber fleiß ig gewesen und auch artig gegen die Frau Liebste, der er von den Stü cken Zeug, die beim Zuschneiden unter die Bank gefallen, einen propren Unterrock gefertigt. Frau Liebste bewilligte also freundlich, daß das Schneiderlein in die Apotheke treten und ein erwä rmendes Schnä pschen genieß en mö ge. Trat auch wirklich in die Apotheke und forderte dergleichen. Der ungeschickte Lehrbursche, der allein in der Apotheke zurü ckgeblieben, da der Rezeptarius, das Subjekt, kurz, alle ü brigen klü geren Leute fortgegangen, vergriff sich und holte eine verschlossene Flasche vom Repositorio herab, in der kein Magenelixier befindlich, wohl aber brennbare Luft, womit die Luftbä lle gefü llt werden. Davon schenkte der Lehrbursche ein Glä schen voll; das setzte das Schneiderlein stracks an den Mund und schlurfte die Luft begierig hinunter, als ein angenehmes Labsal. Wurde ihm aber alsbald gar possierlich zumute, war ihm, als hä tte er ein Paar Flü gel an den Achseln oder als spiele jemand mit ihm Fangball. Denn ellenhoch und immer hö her muß te er in der Apotheke aufsteigen und niedersinken. »Ei Jemine, Jemine« rief er, »wie bin ich doch solch ein flinker Tä nzer geworden! « Aber dem Lehrburschen stand das Maul offen vor lauter Verwunderung. Geschah nun, daß jemand die Tü re rasch aufriß, so daß das Fenster gegenü ber aufsprang. Strö mte alsbald ein starker Luftzug durch die Apotheke, erfaß te das Schneiderlein, und schnell wie der Wind war es fort durch das offene Fensterin alle Lü fte; niemand hat es wieder gesehen. Begab sich nach mehrerer Zeit, daß die Sachsenhä user zur Abendzeit hoch in den Lü ften eine Feuerkugel erblickten, die mit blendendem Glanz die ganz Gegend erleuchtete und dann verlö schend zur Erde hinabfiel. Wollten alle wissen, was zur Erde gefallen, liefen hin an den Ort, fanden aber nichts als ein kleines Klü mpchen Asche; dabei aber den Dorn einer Schuhschnalle, ein Stü ckchen eiergelben Atlas mit bunten Blumen und ein schwarzes Ding, das beinahe anzusehen war wie ein Stockknopf von schwarzem Horn. Haben alle darü ber nachgedacht wie solche Sachen in einer Feuerkugel aus dem Himmel fallen mö gen. Da ist aber die Frau Liebste des entfahrenen Schneiderleins dazugekommen, und als diese die gefundenen Sachen erblickt, hat sie die Hä nde gerungen, gar erbä rmlich getan und geschrien: »Ach Jammer, das ist meines Liebsten Schnallendorn; ach Jammer, das ist meines Liebsten Sonntagsweste, ach Jammer, das ist meines Liebsten Stockknopf! « Hat aber ein groß er Gelehrter erklä rt, der Stockknopf sei kein Stockknopf, sondem ein Meteorstein oder ein miß ratener Weltkö rper. Ist nun aber auf diese Weise den Sachsenhä usern und aller Welt kund worden, daß das arme Schneiderlein, dem der Apothekerbursche brennbare Luft gegeben statt Magenschnaps, in den hohen Lü ften verbrannt und heruntergesunken ist zur Erde als Meteorstein oder miß ratner Weltkö rper. Ende der Geschichte von dem Schneiderlein aus Sachsenhausen.
Der Kellner wurde endlich ungeduldig, daß der wunderliche Fremde nicht aufhö rte, sich groß und klein zu machen, ohne auf ihn zu achten, und hielt ihm die Flasche Burgunder, die er bestellt hatte, dicht unter die Nase. Sogleich sog sich der Fremde an der Flasche fest und ließ nicht nach, bis der letzte Tropfen eingeschlü rft war. Dann fiel er wie ohnmä chtig in den Lehnsessel und konnte sich nur ganz schwach regen. Die Gä ste hatten mit Erstaunen gesehen, wie er wä hrend des Trinkens immer mehr aufgeschwollen und nun ganz dick und unfö rmlich erschien. Des andern Flugwerk schien nun auch zu stocken, er wollte sich keuchend und ganz auß er Atem niederlassen; als er aber gewahrte, daß sein Gegner halb tot dalag, sprang er schnell auf ihn zu und begann ihn mit geballter Faust derb abzubleuen. Da riß ihn aber der Hauswirt zurü ck und erklä rte, daß er ihn gleich zum Hause hinauswerfen werde, wenn er nicht Ruhe halte. Wollten sie beide ihre Taschenspielerkü nste zeigen, so mö chten sie das tun, jedoch ohne sich zu zanken und zu prü geln wie gemeines Volk. — Den Flugbegabten schien es etwas zu verschnupfen, daß der Wirt ihn fü r einen Taschenspieler hielt. Er versicherte, daß er nichts weniger sei als ein schnö der Gaukler, der lose Kü nste treibe. Sonst habe er die Ballettmeisterstelle bei dem Theater eines berü hmten Kö nigs bekleidet, jetzt privatisiere er als schö ner Geist und heiß e, wie es sein Metier erfordere, nä mlich Legé nie. Habe er im gerechten Zorn ü ber den fatalen Menschen dort etwas hö her gesprungen als gebü hrlich, so sei das seine Sache und gehe niemanden etwas an. Der Wirt meinte, daß das alles noch keine Prü gelei rechtfertige; der schö ne Geist erwiderte indessen, daß der Wirt den boshaften hinterlistigen Menschen nur nicht kenne, da er ihm sonst einen zerbleuten Rü cken recht herzlich gö nnen wü rde. Der Mensch sei nä mlich ehemals franzö sischer Douanier gewesen, nä hre sich jetzt vom Aderlassen, Schrö pfen und Barbieren und heiß e Monsieur Egel. Ungeschickt, tö lpisch, gefrä ß ig, sei er jedem zur Last. Nicht genug, daß der Taugenichts ü berall, wo er mit ihm zusammentreffe, so wie es eben jetzt geschehen, ihm den Wein vor dem Maule wegsaufe, so fü hre er auch, der Verruchte, jetzt nichts Geringeres im Schilde, als ihm die schö ne Braut wegzukapern, die er aus Frankfurt heimzufü hren gedenke. Der Douanier hatte alles gehö rt, was der schö ne Geist vorgebracht; er blitzte ihn an mit den kleinen, giftiges Feuer sprü henden Augen und sprach dann zum Wirt: »Glaubt doch, Herr Wirt, nicht von dem allem, was der Galgenschwengel, der unnü tz Haselant dort hergeplappert. Fü hrwahr, ein schö ner Ballettmeister. der mit seinen Elefantenfü ß en den zarten Tä nzerinnen die Beine zerquetscht und bei der Pirouette dem Maitre des Spektakels an der Kulisse einen Backzahn aus dem Kinnbacken und den Opernkucker vom Auge wegschlä gt! — Und seine Verse, die haben ebensolche plumpe Fü ß e wie er selbst und taumeln hin und her wie Betrunkene und treten die Gedanken zu Brei. Und da denkt der einbildische Faselhans, weil er zuweilen schwerfä llig durch die Lü fte flattert, wie ein verdrossener Gä nsericht, mü ß te die Schö nste seine Braut sein. « Der schö ne Geist schrie: »Du tü ckischer Satanswurm sollst den Schnabel des Gä nserichts fü hlen! « und wollte von neuem in voller Furie auf den Douanier los; der Wirt erfaß te ihn aber von hinten mit starken Armen und warf ihn unter dem unaussprechlichsten Jubel des versammelten Haufens zum Fenster hinaus. Sowie nun der schö ne Geist von hinnen war, hatte Monsieur Egel sogleich wieder die solide schlichte Gestalt angenommen, in der er hereingetreten war. Die Leute drauß en hielten ihn fü r einen ganz andern, als den, der sich so auseinanderzuschrauben gewuß t hatte, und zerstreuten sich. Der Douanier dankte dem Wirt in den verbindlichsten Ausdrü cken fü r die Hü lfe, die er ihm gegen den schö nen Geist geleistet, und erbot sich, um diese dankbare Gesinnung rechtan den Tag zu legen, den Wirt, ohne irgendeine Gratifikation, auf eine solche leichte, angenehme Weise zu rasieren, wie er es in seinem Leben noch nicht empfunden. Der Wirt faß te sich an den Bart, und da es in dem Augenblick ihm vorkam, als wü chsen ihm die Haare lang und stachelicht heraus, so ließ er sich Monsieur Egels Vorschlag gefallen. Der Douanier begann auch das Geschä ft mit geschicker leichter Hand zu besorgen, doch plö tzlich schnitt er dem Wirt so derb in die Nase, daß die hellen Blutstropfen hervorquollen. Der Wirt, dies fü r tü ckische Bosheit haltend, sprang wü tend auf, packte den Douanier, und er flog ebenso schnell und behende zur Tü re hinaus als der schö ne Geist durchs Fenster. Bald darauf entstand auf dem Hausflur ein unziemlicher Lä rm, der Wirt nahm sich kaum Zeit, die wunde Nase sattsam mit Feuerschwamm zu mappieren, und rannte hinaus, um nachzusehen, welch ein Satan den neuen Rumor errege. Da erblickte er zu seiner nicht geringen Verwunderung einen jungen Menschen, der mit einer Faust den schö nen Geist, mit der andern aber den Douanier bei der Brust gepackt hatte und, indem seine glü henden Augen wild rollten, wü tend schrie: »Ha, satanische Brut, du sollst mir nicht in den Weg treten, du sollst mir meine Gamaheh nicht rauben! « Dazwischen kreischten der schö ne Geist und der Douanier: »Ein wahnsinniger Mensch — rettet rettet uns, Herr Wirt! — Erwill uns ermorden — er miß kennt uns! « — »Ei«, rief der Wirt, »ei, lieber Herr Pepusch, was fangen Sie denn an? Sind Sie von diesen wunderlichen Leuten beleidigt worden? Irren Sie sich vielleicht in den Personen? Dies ist der Ballettmeister Herr Legé nie und dieser der Douanier, Monsieur Egel? « »Ballettmeister Legé nie? — Douanier Egel? « wiederholte Pepusch mit dumpfer Stimme. Er schien, aus einem Traum erwachend, sich auf sich selbst besinnen zu mü ssen. Indessen waren auch zwei ehrsame Bü rgersleute aus der Stube getreten, die den Herrn George Pepusch ebenfalls kannten und die ihm auch zuredeten, ruhig zu bleiben und die schnakischen fremden Leute gehen zu lassen. Noch einmal wiederholte Pepusch: »Ballettmeister Legé nie? — Douanier Egel? « und ließ die Arme kaftlos herabsinken. Mit Windeseile waren die Freigelassenen fort, und manchem auf der Straß e wollt' es auffallen, daß der schö ne Geist ü ber das Dach des gegenü berstehenden Hauses hinwegflog, der Bartscherer sich aber in dem Schlammwasser verlor, das gerade vor der Tü re zwischen den Steinen sich gesammelt hatte. Die Bü rgersleute nö tigten den ganz verstö rten Pepusch, in die Stube zu treten und mit ihnen eine Flasche echten Nierensteiner zu trinken. Pepusch ließ sich das gefallen und schien auch den edlen Wein mit Lust und Appetit hinunterzuschlü rfen, wiewohl er ganz stumm und starr dasaß und auf alles Zureden kein Wö rtchen erwiderte. Endlich erheiterten sich seine Zü ge, und er sprach ganz leutselig: »ihr tatet gut, ihr lieben Leute und freundlichen Kumpane, daß ihr mich abhieltet, diese Elenden, die sich in meiner Gewalt befanden, auf der Stelle zu tö ten. Aber ihr wiß t nicht, was fü r bedrohliche Geschö pfe sich hinter diesen wunderlichen Masken versteckt hatten. « — Pepusch hielt inne, und man kann denken, mit welcher gespannten Neugier die Bü rgersieute aufhorchten, was nun Pepusch entdecken wü rde. Auch der Wirt hatte sich genä hert, und alle drei, die Bü rgersleute und der Wirt, steckten nun, indem sie sich mit ü bereinandergeschlagenen Armen ü ber den Tisch lehnten, die Kö pfe dicht zusammen und hielten den Atem an, daß ja kein Laut aus Pepuschens Munde verloren gehen mö ge. »Seht«, sprach Herr George Pepusch weiter, ganz leise und feierlich, »seht, ihr guten Mä nner, der, den ihr den Ballettmeister Legé nie nennt, ist kein anderer als der bö se, ungeschickte Genius Thetel, der, den ihr fü r den Douanier Egel haltet, ist aber der abscheuliche Blutsauger, der hä ß liche Egelprinz. Beide sind in die Prinzessin Gamaheh, die, wie es euch bekannt sein wird, die schö ne herrliche Tochter des mä chtigen Kö nigs Sekakis ist, verliebt und sind hier, um sie der Distel Zeherit abspenstig zu machen. Das ist nun die albernste Torheit, die nur in einem dummen Gehirn hausen kann, denn auß er der Distel Zeherit gibt es in der ganzen Welt nur noch ein einziges Wesen, dem die schö ne Gamaheh angehö ren darf, und dieses Wesen wird vielleicht auch ganz vergeblich in den Kampf treten mit der Distel Zeherit. Denn bald blü het die Distel um Mitternacht auf in voller Pracht und Kraft, und in dem Liebestod dä mmert die Morgenrö te des hö hern Lebens. — Ich selbst bin aber die Distel Zeherit, und eben daher kö nnet ihr mir's nicht verdenken, ihr guten Leute, wenn ich ergrimmt bin auf jene Verrä ter und mir ü berhaupt die ganze Geschichte gar sehr zu Herzen nehme. « Die Leute rissen die Augen auf und glotzten den Pepusch sprachlos an mit offnem Munde. Sie waren, wie man zu sagen pflegt, aus den Wolken gefallen, und der Kopf drö hnte ihnen vom jä hen Sturz. Pepusch stü rzte einen groß en Rö mer Wein hinunter und sprach dann, sich zum Wirt wendend: »Ja ja, Herr Wirt, bald werdet Ihr's erleben, bald blü he ich als Cactus grandiflorus, und in der ganzen Gegend wird es unmenschlich nach der schö nsten Vanille riechen; Ihr kö nnet mir das glauben. « Der Wirt konnte nichts herausbringen als ein dummes: »Ei, das wä re der Tausend! « Die andern beiden Mä nner warfen sich aber bedenkliche Blicke zu, und einer sprach, indem er Georges Hand faß te, mit zweideutigem Lä cheln: »Sie scheinen etwas in Unruhe geraten zu sein, lieber Herr Pepusch, wie wä r' es, wenn Sie ein Glä schen Wasser -« »Keinen Tropfen«, unterbrach Pepusch den gutgemeinten Rat, »keinen Tropfen; hat man jemals Wasser in siedendes Ö l gegossen, ohne die Wut der Flammen zu reizen? — In Unruhe sei ich, meint Ihr, geraten? In der Tat, das mag der Fall sein und der Teufel mag ruhig bleiben, wenn er sich, so wie ich es eben getan, mit dem Herzensfreunde herumgeschossen und dann sich selbst eine Kugel durchs Gehirn gejagt! — Hier! — in Eure Hä nde liefere ich die Mordwaffen, da nun alles vorbei ist. « Pepusch riß ein Paar Pistolen aus der Tasche, der Wirt prallte zurü ck, die beiden Bü rgersleute griffen darnach und brachen, sowie sie die Mordwaffen in Hä nden hatten, aus in ein unmä ß iges Gelä chter. — Die Pistolen waren von Holz, ein Kinderspielzeug vom Christmarkt her. Pepusch schien gar nicht zu bemerken, was um ihn her vorging; er saß da in tiefen Gedanken und rief dann ein Mal ü bers andre: »Wenn ich ihn nur finden kö nnte, wenn ich ihn nur finden kö nnte! « — DerWirt faß te Herz und fragte bescheiden: »Wen meinen Sie eigentlich. bester Herr Pepusch, wen kö nnen Sie nicht finden? « »Kennt Ihr«, sprach Pepusch feierlich, indem er den Wirt scharf ins Augefaß te, »kennt Ihr einen, der dem Kö nig Sekakis zu vergleichen an Macht und wunderbarer Kraft, so nennt seinen Namen, und ich kü sse Euch die Fü ß e! Doch wollt' ich ü brigens Euch fragen, ob Ihr jemanden wiß t, der den Herrn Peregrinus Tyß kennt und mir sagen kann, wo ich ihn in diesem Augenblick treffen werde? « »Da«, erwiderte freundlich schmunzelnd der Wirt, »da kann ich dienen, verehrtester Herr Pepusch, und Ihnen berichten, daß der gute Herr Tyß sich erst vor einer Stunde hier befand und ein Schö ppchen Wü rzburger zu sich nahm. Er war sehr in Gedanken und rief plö tzlich, als ich bloß erwä hnte, was die Bö rsenhalle Neues gebracht: ›Ja, sü ß e Gamaheh! — Ich habe dir entsagt! — Sei glü cklich in meines Georges Armen! ‹ — Dann sprach eine feine kuriose Stimme: ›Laß t uns jetzt zum Leuwenhoek gehen und ins Horoskop kucken! ‹ — Sogleich leerte Herr Tyß eiligst das Glas und machte sich samt der Stimme ohne Kö rper von dannen; wahrscheinlich sind beide, die Stimme und Herr Tyß, zum Leuwenhoek gegangen, der sich im Lamento befindet, weil ihm sä mtliche abgerichtete Flö he krepiert sind. « Da sprang George in voller Furie auf, packte den Wirt bei der Kehle und schrie: »Halunkischer Egelsbote, was sprichst du? — Entsagt? — ihr entsagt — Gamaheh — Peregrinus — Sekakis? « — Des Wirts Erzä hlung war ganz der Wahrheit gemä ß; den Meister Floh hatte er vernommen, der den Herrn Peregrinus Tyß mit feiner Silberstimme aufforderte, zum Mikroskopisten Leuwenhoek zu gehen, der geneigte Leser weiß bereits, zu welchem Zwecke. Peregrinus begab sich auch wirklich auf den Weg dahin. Leuwenhoek empfing den Peregrinus mit sü ß licher widerwä rtiger Freundlichkeit und mit jenem demü tigen Komplimentenwesen, in dem sich das lä stige, erzwungene Anerkenntnis der Superioritä t ausspricht. Da aber Peregrinus das mikroskopische Glas in der Pupille hatte, so half dem Herrn Anton von Leuwenhoek alle Freundlichkeit, alle Demut ganz und gar nichts, vielmehr erkannte Peregrinus alsbald den Miß mut, ja den Haß, der des Mikroskopisten Seele erfü llte. Wä hrend er versicherte, wie sehr ihn des Herrn Tyß Besuch ehre und erfreue, lauteten die Gedanken: »Ich wollte, daß dich der schwarzgefiederte Satan zehntausend Klafter tief in den Abgrund schleudere, aber ich muß freundlich und unterwü rfig gegen dich tun, da die verfluchte Konstellation mich unter deine Herrschaft gestellt hat und mein ganzes Sein in gewisser Art von dir abhä ngig ist. — Doch werde ich dich vielleicht ü berlisten kö nnen, denn trotz deiner vornehmen Abkunft bist du doch ein einfä ltiger Tropf. — Du glaubst, daß dich die schö ne Dö rtje Elverdink liebt, und willst sie vielleicht gar heiraten? — Wende dich nur deshalb an mich, denn fä llst du doch trotz der Macht, die dir inwohnt, ohne daß du es weiß t, in meine Hand, und ich werde alles anwenden, dich zu verderben und der Dö rtje sowie des Meisters Floh habhaft zu werden. « Natü rlicherweise richte Peregrinus sein Betragen nach diesen Gedanken ein und hü te sich wohl, der schö nen Dö rtje Elverdink auch nur mit einem Wort zu erwä hnen, vielmehr gab er vor, gekommen zu sein, Herrn von Leuwenhoeks gesammelte naturhistorische Merkwü rdigkeiten in Augenschein zu nehmen. Wä hrend nun Leuwenhoek die groß en Schrä nke ö ffnete, sagte Meister Floh dem Peregrinus ganz leise ins Ohr, daß auf dem Tische am Fenster sein (des Peregrinus) Horoskop liege. Peregrinus nä herte sich behutsam und blickte scharf hin. Da sah er nun zwar allerlei Linien, die sich mystisch durchkreuzten, und andere wunderbare Zeichen; da es ihm indessen an astrologischer Kenntnis gä nzlich mangelte, so konnte er so scharf hinblicken, als er nur wollte, alles blieb ihm doch undeutlich und verworren. Seltsam schien es ihm nur, daß er den roten glä nzenden Punkt in der Mitte der Tafel, auf der das Horoskop entworfen, ganz deutlich fü r sein Selbst anerkennen muß te. Je lä nger er den Punkt anschaute, desto mehr gewann er die Gestalt eines Herzens, desto brennender rö tete er sich; doch funkelte er nur wie durch Gespinst, womit er umzogen. Peregrinus merkte wohl, wie Leuwenhoek sich mü hte, ihn von dem Horoskop abzuziehen, und beschloß ganz vernü nftig, seinen freundlichen Feind ohne alle weitere Umschweife geradezu um die Bedeutung der geheimnisvollen Tafel zu befragen, da er nicht Gefahr laufe, belogen zu werden. Leuwenhoek versicherte, hä misch lä chelnd, daß ihm nichts grö ß ere Freude verursachen kö nne, als seinem hochverehrtesten Freund die Zeichen auf der Tafel, die er selbst nach seiner geringen Kenntnis von solchen Sachen entworfen, zu erklä ren. Die Gedanken lauteten: »Hoho! willst du da hinaus, mein kluger Patron? Fü rwahr, Meister Floh hat dir gar nicht ü bel geraten! Ich selbst soll, die geheimnisvolle Tafel erklä rend, dir vielleicht auf die Sprü nge helfen, rü cksichts der magischen Macht deiner werten Person? — Ich kö nnte dir was vorlü gen, doch was kö nnte das nü tzen, da du, wenn ich dir auch die Wahrheit sage, doch kein Jota von allem verstehst, sondern dumm bleibst, wie vorher. Aus purer Bequemlichkeit und um mich nicht mit neuer Erfindung in Unkosten zu setzen, will ich daher von den Zeichen der Tafel soviel sagen, als mir gerade gut dü nkt. « Peregrinus wuß te nun, daß er zwar nicht alles erfahren, jedoch wenigstens nicht belogen werden wü rde. Leuwenhoek brachte die Tafel auf das einer Staffelei ä hnliche Gestell, welches er aus einem Winkel in die Mitte des Zimmers hervorgerü ckt hatte. Beide, Leuwenhoek und Peregrinus, setzten sich vor die Tafel hin und betrachteten sie stillschweigend. »Ihr ahnet«, begann endlich Leuwenhoek mit einiger Feierlichkeit, »Ihr ahnet vielleicht nicht, Peregrinus Tyß, daß jene Zü ge, jene Zeichen auf der Tafel, die Ihr so aufmerksam betrachtet, Euer eignes Horoskop sind, das ich mit geheimnisvoller astrologischer Kunst, unter gü nstigem Einfluß der Gestirne, entworfen. — ›Wie kommt Ihr zu solcher Anmaß ung, wie mö gt Ihr eindringen in die Verschlingungen meines Lebens, wie mein Geschick enthü llen wollen? ‹ So kö nnet Ihr mich fragen, Peregrinus, und hä ttet vollkommenes Recht dazu, wenn ich Euch nicht sogleich meinen innern Beruf dazu nachzuweisen imstande wä re. Ich weiß nicht, ob Ihr vielleicht den berü hmten Rabbi Isaac Ben Harravad gekannt, oder wenigstens von ihm gehö rt habt. Unter andern tiefen Kenntnissen besaß Rabbi Harravad die seltene Gabe, den Menschen es am Gesicht anzusehen, ob ihre Seele schon frü her einen andern Kö rper bewohnt oder ob solche fü r gä nzlich frisch und neu zu achten. Ich war noch sehr jung, als der alte Rabbi starb an einer Unverdaulichkeit, die er sich durch ein schmackhaftes Knoblauchgericht zugezogen. Die Juden liefen mit der Leiche so schnell von dannen, daß der Selige nicht Zeit hatte, alle seine Kenntnisse und Gaben, die die Krankheit auseinandergestreut, zusammenzuraffen und mitzunehmen. Lachende Erben teilten sich darin, ich aber hatte jene wunderbare Sehergabe in dem Augenblick weggefischt, als sie auf der Spitze des Schwerts schwebte, das der Todesengel auf die Brust des alten Rabbi setzte. So ist aber jene wunderbare Gabe auf mich ü bergegangen, und auch ich erschaue, wie Rabbi Issac Ben Harravad, aus dem Gesicht des Menschen, ob seine Seele schon einen andern Kö rper bewohnt hat oder nicht. Euer Antlitz, Peregrinus Tyß, erregte mir, als ich es zum ersten Male sah, die seltsamsten Bedenken und Zweifel. Gewiß wurde mir die lange Vorexistenz Eurer Seele, und doch blieb jede Euerm jetzigen Leben vorausgegangene Gestaltung vö llig dunkel. Ich muß te meine Zuflucht zu den Gestirnen nehmen und Euer Horoskop stellen, um das Geheimnis zu lö sen. « »Und«, unterbrach Peregrinus den Flohbä ndiger, »und habt Ihr etwas herausgebracht, Herr Leuwenhoek? « »Allerdings«, erwiderte Leuwenhoek, indem er noch einen feierlicheren Ton annahm, »allerdings! Ich habe erkannt, daß das psychische Prinzip, welches jetzt den angenehmeren Kö rper meines werten Freundes, des Herrn Peregrinus Tyß, belebt, schon lange vorher existierte, wiewohl nur als Gedanke ohne Bewuß tsein der Gestaltung. Schaut hin, Herr Peregrinus, betrachtet aufmerksam den roten Punkt in der Mitte der Tafel. Das seid Ihr nicht allein selbst, sondern der Punkt ist auch die Gestalt, deren sich Euer psychisches Prinzip einst nicht bewuß t werden konnte. Als strahlender Karfunkel lagt Ihr damals im tiefen Schacht der Erde, aber ü ber Euch hingestreckt, auf die grü ne Flä che des Bodens, schlummerte die holde Gamaheh, und nur in jener Bewuß tlosigkeit zerrann auch ihre Gestalt. Seltsame Linien, fremde Konstellationen durchschneiden nun Euer Leben von dem Zeitpunkt an, als der Gedanke sich gestaltete und zum Herrn Peregrinus Tyß wurde. Ihr seid im Besitz eines Talismans, ohne es zu wissen. Dieser Talisman ist eben der rote Karfunkei; es kann sein, daß der Kö nig Sekakis ihn als Edelstein in der Krone trug oder daß er gewissermaß en selbst der Karfunkel war; genug — Ihr besitzt ihn jetzt, aber ein gewisses Ereignis muß hinzutreten, wenn seine schlummernde Kaft erweckt werden soll, und mit diesem Erwachen der Kraft Eures Talismans entscheidet sich das Schicksal einer Unglü cklichen, die bis jetzt zwischen Furcht und schwankender Hoffnung ein mü hseliges Scheinleben gefü hrt hat. -Ach! nur ein Scheinleben konnte die sü ß e Gamaheh durch die tiefste magische Kunst gewinnen, da der wirkende Talisman uns geraubt war! Ihr allein habt sie getö tet, Ihr allein kö nnet ihr Leben einhauchen, wenn der Karfunkel aufgeglü ht ist in Eurer Brust! « »Und«, unterbrach Peregrinus den Flohbä ndiger aufs neue, »und jenes Ereignis, wodurch die Kraft des Talismans geweckt werden soll, wiß t Ihr mir das zu deuten, Herr Leuwenhoek? « Der Flohbä ndiger glotzte den Peregrinus an mit weit aufgerissenen Augen, und sah gerade so aus wie einer, den plö tzlich groß e Verlegenheit ü berrascht und der nicht weiß, was er sagen soll. Die Gedanken lauteten: »Wetter, wie ist es gekommen, daß ich viel mehr gesagt habe, als ich eigentlich sagen wollte? Hä tte ich wenigstens nicht von dem Talisman das Maul halten sollen, den der unglü ckselige Schlingel im Leibe trä gt, und der ihm so viel Macht geben kann ü ber uns, daß wir alle nach seiner Pfeife tanzen mü ssen? — Und nun soll ich ihm das Ereignis sagen, von dem das Erwachen der Kraft seines Talismans abhä ngt! — Darf ich ihm denn gestehen, daß ich es selbst nicht weiß, daß alle meine Kunst daran scheitert, den Knoten zu lö sen, in den sich alle meine Linien verschlingen, ja, daß, wenn ich dieses siderische Hauptzeichen des Horoskops betrachte, es mir ganz jä mmerlich zumute wird, und mein ehrwü rdiges Haupt mir selbst vorkommt wie ein bunt bemalter Haubenstock, aus schnö der Pappe gefertigt? — Fern sei von mir solch ein Gestä ndnis, das mich ja herabwü rdigen und ihm Waffen gegen mich in die Hä nde geben wü rde. Ich will dem Pinsel, der sich so klug dü nkt, etwas aufheften, das ihm durch alle Glieder fahren und ihm alle Lust benehmen soll, weiter in mich zu dringen. « — »Allerliebster«, sprach nun der Flohbä ndiger, indem er ein sehr bedenkliches Gesicht zog, »allerliebster Herr Tyß, verlangt nicht, daß ich von diesem Ereignis sprechen soll. Ihr wiß t, daß das Horoskop uns zwar ü ber das Eintreten gewisser Umstä nde klar und vollstä ndig belehrt, daß aber, so will es die Weisheit der ewigen Macht, der Ausgang bedrohlicher Gefahr stets dunkel bleibt und hierü ber nur zweifelhafte Deutungen mö glich und zulä ssig sind. Viel zu lieb hab' ich Euch als einen guten vortrefflichen Herzensmann, bester Herr Tyß, um Euch vor der Zeit in Unruhe und Angst zu setzen; sonstwü rde ich Euch wenigstens so viel sagen, daß das Ereignis, welches Euch das Bewuß tsein Eurer Macht geben dü rfte, auch in demselben Augenblick die jetzige Gestaltung Eures Seins unter den entsetzlichsten Qualen der Hö lle zerstö ren kö nnte. — Doch nein! — Auch das will ich Euch verschweigen, und nun kein Wort weiter von dem Horoskop. Ä ngstigt Euch nur ja nicht, bester Herr Tyß, unerachtet die Sache sehr schlimm steht und ich, nach aller meiner Wissenschaft, kaum einen guten Ausgang des Abenteuers herausdeuten kann. Vielleicht rettet Euch doch eine ganz unvermutete Konstellation, die noch jetzt auß er dem Bereich der Beobachtung liegt, aus der bö sen Gefahr. « — Peregrinus erstaunte ü ber Leuwenhoeks tü ckische Falschheit, indessen kam ihm die ganze Lage der Sache, die Stellung, in der Leuwenhoek, ohne es zu wissen, zu ahnen, ihm gegenü berstand, so ungemein ergö tzlich vor, daß er sich nicht enthalten konnte, in ein schallendes Gelä chter auszubrechen. »Worü ber«, fragt der Flohbä ndiger etwas betreten, »worü ber lacht Ihr so sehr, mein wertester Herr Tyß? « »Ihr tut«, erwiderte Peregrinus, noch immer lachend, »Ihr tut sehr klug, Herr Leuwenhoek, daß Ihr mir das bedrohliche Ereignis aus purer Schonung verschweigt. Denn auß erdem, daß Ihr viel zu sehr mein Freund seid, um mich in Angst und Schrecken zu setzen, so habt Ihr noch einen andern triftigen Grund dazu, der in nichts anderem besteht, als daß Ihr selbst nicht das mindeste von jenem Ereignisse wiß t. Vergebens blieb ja all Euer Mü hen, jenen verschlungenen Knoten zu lö sen; mit Eurer ganzen Astrologie ist es ja nicht weit her; und wä re Euch Meister Floh nicht ohnmä chtig auf die Nase gefallen, so stü nde es mit all Euren Kü nsten herzlich schlecht. « Wut entflammte Leuwenhoeks Antlitz, er ballte die Fä uste. er knirschte mit den Zä hnen, er zitterte und schwankte so sehr, daß er vom Stuhle gefallen, hä tte ihn nicht Peregrinus beim Arm so fest gepackt, als George Pepusch den unglü cklichen Weinwirt bei der Kehle. Diesem Wirt gelang es, sich durch einen geschickten Seitensprung zu retten. Alsbald flog Pepusch zur Tü re hinaus und trat in Leuwenhoeks Zimmer, gerade in dem Augenblick, als Peregrinus ihn auf dem Stuhle festhielt und er grimmig zwischen den Zä hnen murmelte: »Verruchter Swammerdamm, hä ttest du mir das getan! « Sowie Peregrinus seinen Freund Pepusch erblickte, ließ er den Flohbä ndiger los, trat dem Freunde entgegen und fragte ä ngstlich, ob denn die entsetzliche Stimmung vorü ber, die ihn mit solcher verderblichen Gewalt ergriffen. Pepusch schien beinahe bis zu Trä nen erweicht, er versicherte, daß er zeit seines Lebens nicht so viel abgeschmackte Torheiten begangen als eben heute, wozu er vorzü glich rechne, daß er, nachdem er sich im Walde eine Kugel durch den Kopf geschossen, in einem Weinhause, selbst wisse er nicht mehr, wo es gewesen, ob bei Protzler, im »Schwan«, im »Weidenhof« oder sonst irgendwo, zu gutmü tigen Leuten von ü berschwenglichen Dingen gesprochen und den Wirt meuchelmö rderischerweise erwü rgen wollen, bloß weil er aus seinen abgebrochenen Reden zu entnehmen geglaubt, daß das Glü ckseligste geschehen, was ihm (dem Pepusch) nur widerfahren kö nne. Alle seine Unfä lle wü rden nun bald die hö chste Spitze erreichen, denn nur zu gewiß hä tten die Leute seine Reden, sein ganzes Benehmen fü r den stä rksten Ausbruch des Wahnsinns gehalten, und er mü ß te fü rchten, statt die Frü chte des frohsten Ereignisses zu genieß en, in das Irrenhaus gesperrt zu werden. — Pepusch deutete hierauf an, was der Weinwirt ü ber Peregrinus' Betragen und Ä uß erungen fallen lassen, und fragte hocherrö tend mit niedergeschlagenen Augen. ob ein solches Opfer, eine solche Entsagung zugunsten eines unglü cklichen Freundes, wie er es ahnen wolle, in der jetzigen Zeit, in der der Heroismus von der Erde verschwunden, wohl noch mö glich, wohl noch denkbar sein kö nne. Peregrinus lebte im Innern ganz auf bei den Ä uß erungen seines Freundes; erversicherte feurig, daß er seinerseits weit entfernt sei, den bewä hrten Freund nur im mindesten zu krä nken, daß er allen Ansprü chen auf Herz und Hand der schö nen Dö rtje Elverdink feierlichst entsage und gern auf ein Paradies verzichte, das ihm freilich in glä nzendem verfü hrerischem Schimmer entgegengelacht. »Und dich«, rief Pepusch, indem er an die Brust des Freundes stü rzte, »und dich wollte ich ermorden, und weil ich nicht an dich glaubte, darum erschoß ich mich selbst! — O der Raserei, o des wü sten Treibens eines verstö rten Gemü ts! « »Ich«, unterbrach Peregrinus den Freund, »ich bitte dich, George, komme zur Besinnung. Du sprichst von Totschieß en und stehest frisch und gesund vor mir! — Wie reimt sich das zusammen. « »Du hast recht«, erwiderte Pepusch, »es scheint, als ob ich nicht mit dir so vernü nftig reden kö nnte, wie es wirklich geschieht, wenn ich mir in der Tat eine Kugel durchs Gehirn gejagt hä tte. Die Leute behaupteten auch, meine Pistolen wä ren keine sonderlich ernste Mordwaffen, auch gar nicht von Eisen, sondern von Holz, mithin nur Kinderspielzeug, und so kö nnte vielleicht derZweikampf, sowie der Selbstmord nichts gewesen sein als eine vergnü gliche Ironie. Hä tten wir denn nicht unsere Rollen getauscht und ich begä nne mit der Selbstmystifikation und hantierte mit dummen Kindereien in dem Augenblick, da du aus deiner kindischen Fabelwelt heraustrittst in das wirkliche rege Leben. — Doch dem sei wie ihm wolle. es ist nö tig, daß ich deines Edelmuts und meines Glü cks gewiß werde, dann zerstreuen sich wohl bald alle Nebel, die meinen Blick trü ben oder die mich vielleicht tä uschen mit morganischen Truggebilden. Komm, mein Peregrinus, begleite mich hin zu der holden Dö rtje Elverdink, aus deiner Hand empfange ich die sü ß e Braut. « Pepusch faß te den Freund unter den Arm und wollte mit ihm schnell davoneilen, doch der Gang, den sie zu tun gedachten, sollte ihnen erspart werden. Die Tü re ö ffnete sich nä mlich, und hinein trat Dö rtje Elverdink, schö n und anmutig wie ein Engelskind, hinter ihr her aber der alte Herr Swammer. Leuwenhoek, der so lange stumm und starr dagestanden und nur bald dem Pepusch, bald dem Peregrinus zornfunkelnde Blicke zugeworfen hatte, schien, als er den alten Swammerdamm erblickte, wie von einem elektrischen Schlage getroffen. Er streckte ihm die geballten Fä uste entgegen und schrie mit vor Wut gellender Stimme: »Ha! kommst du mich zu verhö hnen, alter, betrü gerischer Unhold? — Aber es soll dir nicht gelingen. Verteidige dich, deine letzte Stunde hat geschlagen. « Swammerdamm prallte einige Schritte zurü ck und zog, da Leuwenhoek mit dem Fernglas bereits gegen ihn ausfiel, die gleiche Waffe zu seiner Verteidigung. Der Zweikampf, der im Hause des Herrn Peregrinus Tyß sich entzü ndet, schien aufs neue beginnen zu wollen. George Pepusch warf sich zwischen die Kä mpfenden, und indem er einen mö rderischen Blick Leuwenhoeks, der den Gegner zu Boden gestreckt haben wü rde, geschickt mit der linken Faust wegschlug, drü ckte er mit der rechten die Waffe, womit der Swammerdamm sich eben blickfertig ausgelegt hatte, hinab, so daß sie den Leuwenhoek nicht verwunden konnte. Pepusch erklä rte dann laut, daß er irgendeinen Streit, irgendeinen gefä hrlichen Kampf zwischen Leuwenhoek und Swammerdamm nicht eher zulassen werde, bis er die Ursache ihres Zwists von Grund aus erfahren. Peregrinus fand das Beginnen seines Freundes so vernü nftig, daß er gar keinen Anstand nahm, ebenfalls zwischen die Kä mpfer zu treten und sich ebenso zu erklä ren wie Pepusch. Beide, Leuwenhoek und Swammerdamm, waren genö tigt, den Fremden nachzugeben. Swammerdamm versicherte ü berdem, daß er durchaus nicht in feindlicher Absicht, sondern nur deshalb gekommen sei, um rü cksichts der Dö rtje Elverdink mit Leuwenhoek in gü tlichen Vergleich zu treten und so eine Fehde zu enden, die zwei fü r einander geschaffene Prinzipe, deren gemeinschaftliches Forschen nur den tiefsten Born der Wissenschaft erschö pfen kö nne, feindlich entzweit und nur zu lange gedauert habe. Er blickte dabei den Herrn Peregrinus Tyß lä chelnd an und meinte, Peregrinus werde, wie er zu hoffen sich unterstehe, da Dö rtje doch eigentlich in seine Arme geflohen, den Vermittler machen. Leuwenhoek versicherte dagegen, daß Dö rtjes Besitz freilich der Zankapfel sei, indessen habe er soeben eine neue Tü cke seines unwü rdigen Kollegen entdeckt. Nicht allein, daß er den Besitz eines gewissen Mikroskops leugne, das er bei einer gewissen Gelegenheit als Abfindung erhalten, um seine unrechtmä ß ige Ansprü che auf Dö rtjes Besitz zu erneuern, so habe er noch ü berdem jenes Mikroskop einem andern ü berlassen, um ihn, den Leuwenhoek, noch mehr zu quä len und zu ä ngstigen. Swammerdamm schwur dagegen hoch und teuer, daß er das Mikroskop niemals empfangen und groß e Ursache habe zu glauben, daß es von Leuwenhoek boshafterweise unterschlagen worden. »Die Narren«, lispelte Meister Floh dem Peregrinus leise zu, »die Narren, sie sprechen von dem Mikroskop, das Euch im Auge sitzt. Ihr wiß t, daß ich bei dem Friedenstrakt, den Swammerdamm und Leuwenhoek ü ber den Besitz der Prinzessin Gamaheh abgeschlossen, zugegen war. Als nun Swammerdamm das mikroskopische Glas, das er in der Tat von Leuwenhoek erhalten, in die Pupille des linken Auges werfen wollte, schnappte ich es weg, weil es nicht Leuwenhoeks, sondern mein rechtmä ß iges Eigentum war. Sagt nur gerade heraus, Herr Peregrinus, daß Ihr das Kleinod habt. « Peregrinus nahm auch gar keinen Anstand, sogleich zu verkü ndigen, daß er das mikroskopische Glas besitze, welches Swammerdamm von Leuwenhoek erhalten sollte, aber nicht erhalten; mithin sei jener Vergleich noch gar nicht ausgefü hrt worden, und keiner, weder Leuwenhoek noch Swammerdamm, habe zurzeit das unbedingte Recht, die Dö rtje Elverdink fü r seine Pflegetochter anzusehen. Nach vielen Hin- und Herreden kamen die beiden Streitenden dahin ü berein, daß Herr Peregrinus Tyß die Dö rtje Elverdink, welche ihn auf das zä rtlichste liebe, zu seiner Frau Gemahlin erkiesen und dann nach sieben Monaten selbst entscheiden solle, wer von beiden Mikroskopisten als wü nschenswerter Pflege- und Schwiegervater anzusehen. So anmutig und allerliebst auch Dö rtje Elverdink in dem zierlichsten Anzuge, den Amoretten geschneidert zu haben schienen, aussehen, solche sü ß e, schmachtende Liebesblicke sie auch dem Herrn Peregrinus Tyß zuwerfen mochte, doch gedachte Peregrinus seines Schü tzlings sowie seines Freundes und blieb dem gegebenen Wort getreu und erklä rte von neuem, daß er auf Dö rtjes Hand verzichte. Die Mikroskopisten waren nicht wenig betreten, als Peregrinus den George Pepusch fü r denjenigen erklä rte, der die mehrsten und gerechtesten Ansprü che auf Dö rtjes Hand habe, und meinten, daß er wenigstens zurzeit gar keine Macht habe, ihren Willen zu bestimmen. Dö rtje Elverdink wankte, indem ein Trä nenstrom ihr aus den Augen stü rzte, auf Peregrinus zu, der sie in seinen Armen auffing, als sie eben halb ohnmä chtig zu Boden sinken wollte. »Undankbarer«, seufzte sie, »du brichst mir das Herz, indem du mich von dir stö ß est! — Doch du willst es! — nimm noch diesen Abschiedskuß und laß mich sterben. « Peregrinus bü ckte sich hinab, als aber sein Mund den Mund der Kleinen berü hrte, biß sie ihn so heftig in die Lippen, daß das Blut hervorsprang. »Unart«, rief sie dabei ganz lustig, »so muß man dich zü chtigen! — Komm zu Verstande, sei artig und nimm mich, mag auch der andere schreien wie er will. « — Die beiden Mikroskopisten waren indessen wieder, der Himmel weiß, worü ber, in heftigen Zank geraten. George Pepusch warf sich aber ganz trostlos der schö nen Dö rtje zu Fü ß en und rief mit einer Stimme, die jä mmerlich genug klang, um aus der heiseren Kehle des unglü cklichsten Liebhabers zu kommen: »Gamaheh! so ist denn die Flamme in deinem Innern ganz erloschen, so gedenkst du nicht mehr der herrlichen Vorzeit in Famagusta, nicht mehr der schö nen Tage in Berlin, nicht mehr -« »Du bist«, fiel die Kleine dem Unglü cklichen lachend ins Wort, »du bist ein Hasenfuß, George, mit deiner Gamaheh, mit deiner Distel Zeherit und all dem andern tollen Zeuge, das dir einmal geträ umt hat. Ich war dir gut, mein Freund, und bin es noch und nehme dich, unerachtet mir der Groß e dort besser gefä llt, wenn du mir heilig versprichst, ja feierlich schwö rst, daß du alle deine Krä fte anwenden willst« — Die Kleine lispelte dem Pepusch etwas ganz leise ins Ohr; Peregrinus glaubte aber zu vernehmen, daß von Meister Floh die Rede. Immer heftiger war indessen der Zank zwischen den beiden Mikroskopisten geworden, sie hatten aufs neue zu den Waffen gegriffen, und Peregrinus mü hte sich eben, die erhitzten Gemü ter zu besä nftigen, als die Gesellschaft sich wiederum vermehrte. Unter widerwä rtigem Kreischen und hä ß lichem Geschrei wurde die Tü re aufgestoß en, und hinein stü rzten der schö ne Geist, Monsieur Legé nie, und der Bartscherer Egel. Mit wilder entsetzlicher Gebä rde sprangen sie los auf die Kleine, und der Bartscherer hatte sie schon bei der Schulter gepackt, als Pepusch den hä ß lichen Feind mit unwiderstehlicher Gewalt wegdrä ngte, ihn gleichsam mit dem ganzen biegsamen Kö rper umwand und dermaß en zusammendrü ckte, daß er ganz lang und spitz in die Hö he schoß, indem er vor Schmerzen laut brü llte. Wä hrend dies dem Bartscherer geschah, hatten die beiden Mikroskopisten bei der Erscheinung der Feinde sich augenblicklich miteinander versö hnt und den schö nen Geist gemeinschaftlich bekä mpft mit vielem Glü ck. Nichts half es nä mlich dem schö nen Geist, daß er sich, als er unten gehö rig abgebleut worden, zur Stubendecke erhob. Denn beide, Leuwenhoek und Swammerdamm, hatten kurze dicke Knittel ergriffen und trieben den schö nen Geist, sowie er herabschweben wollte, durch demjenigen Teil des Kö rpers, der es am besten vertragen kann, geschickt applizierte Schlä ge immer wieder in die Hö he. Es war ein zierliches Ballonspiel, bei dem freilich der schö ne Geist notgedrungen die ermü dendste und zugleich die undankbarste Rolle ü bernommen, nä mlich die des Ballons. Der Krieg mit den dä monischen Fremden schien der Kleinen groß es Entsetzen einzujagen; sie schmiegte sich fest an Peregrinus und flehte ihn an, sie fortzuschaffen aus diesem bedrohlichen Getü mmel. Peregrinus konnte das um so weniger ablehnen, als er ü berzeugt sein muß te, daß es auf dem Kampfplatz seiner Hü lfe nicht bedurfte; er brachte daher die Kleine in ihre Wohnung, das heiß t, in die Zimmer seines Mietsmanns. Es genü gt zu sagen, daß die Kleine, als sie sich mit Herrn Peregrinus allein befand, aufs neue alle Kü nste der feinsten Koketterie anwandte, um ihn in ihr Netz zu verlocken. Mocht' er es auch noch so fest im Sinn behalten, daß das alles Falschheit sei und nur dahin ziele, seinen Schü tzling in Sklaverei zu bringen, so ergriff ihn doch eine solche Verwirrung, daß er sogar nicht an das mikroskopische Glas dachte, welches ihm zum wirksamen Gegengift gedient haben wü rde. Meister Floh geriet aufs neue in Gefahr, er wurde jedoch auch diesmal durch Herrn Swammer gerettet, der mit George Pepusch einrat. Herr Swammer schien ausnehmend vergnü gt, Pepusch hatte dagegen Wut und Eifersucht im glü henden Blick. Peregrinus verließ das Zimmer. Den tiefsten bittersten Unmut im wunden Herzen, durchstrich er dü ster und in sich gekehrt die Straß en von Frankfurt, er ging zum Tore hinaus und weiter, bis er endlich zu dem anmutigen Plä tzchen kam, wo das seltsame Abenteuer mit seinem Freunde Pepusch sich zugetragen. Er bedachte aufs neue sein wunderbares Verhä ngnis, anmutiger, holder, im hö heren Liebreiz als jemals ging ihm das Bild der Kleinen auf, sein Blut wallte stä rker in den Adern, heftiger schlugen die Pulse, die Brust wollte ihm zerspringen vor brü nstiger Sehnsucht. Nur zu schmerzlich fü hlte er die Grö ß e des Opfers, das er gebracht und mit dem er alles Glü ck des Lebens verloren zu haben glaubte. Die Nacht war eingebrochen, als er zurü ckkehrte nach der Stadt. Ohne es zu gewahren, vielleicht aus unbewuß ter Scheu, in sein Haus zurü ckzukehren, war er in mancherlei Nebenstraß en und zuletzt in die Kalbä cher Gasse geraten. Ein Mensch, der ein Felleisen auf dem Rü cken trug, fragte ihn, ob hier nicht der Buchbinder Lä mmerhirt wohne. Peregrinus schaute auf und gewahrte, daß er wirklich vor dem schmalen hohen Hause stand, in welchem der Buchbinder Lä mmerhirt wohnte; er erblickte in luftiger Hö he die hellerleuchteten Fenster des fleiß igen Mannes, der die Nacht hindurch arbeitete. Dem Menschen mit dem Felleisen wurde die Tü re geö ffnet, und er ging ins Haus. Schwer fiel es dem Peregrinus aufs Herz, daß er in der Verwirrung der letzten Zeit vergessen hatte, dem Buchbinder Lä mmerhirt verschiedene Arbeiten zu bezahlen, die er fü r ihn gefertigt hatte; er beschloß, gleich am folgenden Morgen hinzugeben und seine Schuld zu tilgen.
|
|||
|