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Nathanael an Lothar



Sehr unlieb ist es mir, daß Clara neulich den Brief an Dich aus, freilich durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und las. Sie hat mir einen sehr tiefsinnigen philosophischen Brief geschrieben, worin sie ausfü hrlich beweiset, daß Coppelius und Coppola nur in meinem Innern existieren und Phantome meines Ichs sind, die augenblicklich zerstä uben, wenn ich sie als solche erkenne. In der Tat, man sollte gar nicht glauben, daß der Geist, der aus solch hellen holdlä chelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher sü ß er Traum, hervorleuchtet, so gar verstä ndig, so magistermä ß ig distinguieren kö nne. Sie beruft sich auf Dich. Ihr habt ü ber mich gesprochen. Du liesest ihr wohl logische Kollegia, damit sie alles fein sichten und sondern lerne. - Laß das bleiben! - Ü brigens ist es wohl gewiß, daß der Wetterglashä ndler Giuseppe Coppola keinesweges der alte Advokat Coppelius ist. Ich hö re bei dem erst neuerdings angekommenen Professor der Physik, der, wie jener berü hmte Naturforscher, Spalanzani heiß t und italienischer Abkunft ist, Kollegia. Der kennt den Coppola schon seit vielen Jahren und ü berdem hö rt man es auch seiner Aussprache an, daß er wirklich Piemonteser ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie mich dü nkt, kein ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr, Du und Clara, mich immerhin fü r einen dü stern Trä umer, aber nicht los kann ich den Eindruck werden, den Coppelius' verfluchtes Gesicht auf mich macht. Ich bin froh, daß er fort ist aus der Stadt, wie mir Spalanzani sagt. Dieser Professor ist ein wunderlicher Kauz. Ein kleiner rundlicher Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen, feiner Nase, aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Doch besser, als in jeder Beschreibung, siehst Du ihn, wenn Du den Cagliostro, wie er von Chodowiecki in irgend einem Berlinischen Taschenkalender steht, anschauest. - So sieht Spalanzani aus. - Neulich steige ich die Treppe herauf und nehme wahr, daß die sonst einer Glastü re dicht vorgezogene Gardine zur Seite einen kleinen Spalt lä ß t. Selbst weiß ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im reinsten Ebenmaß gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer saß im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Ä rme, die Hä nde zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie saß der Tü re gegenü ber, so, daß ich ihr engelschö nes Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht zu bemerken, und ü berhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe mö cht ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich leise fort ins Auditorium, das daneben gelegen. Nachher erfuhr ich, daß die Gestalt, die ich gesehen, Spalanzanis Tochter, Olimpia war, die er sonderbarer und schlechter Weise einsperrt, so, daß durchaus kein Mensch in ihre Nä he kommen darf. - Am Ende hat es eine Bewandtnis mit ihr, sie ist vielleicht blö dsinnig oder sonst. - Weshalb schreibe ich Dir aber das alles? Besser und ausfü hrlicher hä tte ich Dir das mü ndlich erzä hlen kö nnen. Wisse nä mlich, daß ich ü ber vierzehn Tage bei Euch bin. Ich muß mein sü ß es liebes Engelsbild, meine Clara, wiedersehen. Weggehaucht wird dann die Verstimmung sein, die sich (ich muß das gestehen) nach dem fatalen verstä ndigen Briefe meiner bemeistern wollte. Deshalb schreibe ich auch heute nicht an sie.

Tausend Grü ß e etc. etc. etc.

 

Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten Nathanael, zugetragen, und was ich dir, gü nstiger Leser! zu erzä hlen unternommen. Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfü llte, alles andere daraus verdrä ngend? Es gä rte und kochte in dir, zur siedenden Glut entzü ndet sprang das Blut durch die Adern und fä rbte hö her deine Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloß in dunkle Seufzer. Da frugen dich die Freunde: »Wie ist Ihnen, Verehrter? - Was haben Sie, Teurer? « Und nun wolltest du das innere Gebilde mit allen glü henden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und mü htest dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war dir, als mü ß test du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht zusammengreifen, so daß es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien dir farblos und frostig und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die nü chternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche, hinein in deine innere Glut, bis sie verlö schen will. Hattest du aber, wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du mit leichter Mü he immer glü hender und glü hender die Farben auf und das lebendige Gewü hl mannigfacher Gestalten riß die Freunde fort und sie sahen, wie du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemü t hervorgegangen! - Mich hat, wie ich es dir, geneigter Leser! gestehen muß, eigentlich niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael gefragt; du weiß t ja aber wohl, daß ich zu dem wunderlichen Geschlechte der Autoren gehö re, denen, tragen sie etwas so in sich, wie ich es vorhin beschrieben, so zumute wird, als frage jeder, der in ihre Nä he kommt und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: »Was ist es denn? Erzä hlen Sie Liebster? « - So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels verhä ngnisvollem Leben zu dir zu sprechen. Das Wunderbare, Seltsame davon erfü llte meine ganze Seele, aber eben deshalb und weil ich dich, o mein Leser! gleich geneigt machen muß te, Wunderliches zu ertragen, welches nichts Geringes ist, quä lte ich mich ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend - originell, ergreifend, anzufangen: »Es war einmal« - der schö nste Anfang jeder Erzä hlung, zu nü chtern! - »In der kleinen Provinzialstadt S. lebte« - etwas besser, wenigstens ausholend zum Klimax. - Oder gleich medias in res: »›Scher er sich zum Teufel‹, rief, Wut und Entsetzen im wilden Blick, der Student Nathanael, als der Wetterglashä ndler Giuseppe Coppola« - Das hatte ich in der Tat schon aufgeschrieben, als ich in dem wilden Blick des Studenten Nathanael etwas Possierliches zu verspü ren glaubte; die Geschichte ist aber gar nicht spaß haft. Mir kam keine Rede in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln schien. Ich beschloß gar nicht anzufangen. Nimm, geneigter Leser! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir gü tigst mitteilte, fü r den Umriß des Gebildes, in das ich nun erzä hlend immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bemü hen werde. Vielleicht gelingt es mir, manche Gestalt, wie ein guter Porträ tmaler, so aufzufassen, daß du es ä hnlich findest, ohne das Original zu kennen, ja daß es dir ist, als hä ttest du die Person recht oft schon mit leibhaftigen Augen gesehen. Vielleicht wirst du, o mein Leser! dann glauben, daß nichts wunderlicher und toller sei, als das wirkliche Leben und daß dieses der Dichter doch nur, wie in eines matt geschliffnen Spiegels dunklem Widerschein, auffassen kö nne.

Damit klarer werde, was gleich anfangs zu wissen nö tig, ist jenen Briefen noch hinzuzufü gen, daß bald darauf, als Nathanaels Vater gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitlä uftigen Verwandten, der ebenfalls gestorben und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael faß ten eine heftige Zuneigung zueinander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort verließ um seine Studien in G. - fortzusetzen. Da ist er nun in seinem letzten Brief und hö rt Kollegia bei dem berü hmten Professor Physices, Spalanzani.

Nun kö nnte ich getrost in der Erzä hlung fortfahren; aber in dem Augenblick steht Claras Bild so lebendig mir vor Augen, daß ich nicht wegschauen kann, so wie es immer geschah, wenn sie mich holdlä chelnd anblickte. - Fü r schö n konnte Clara keinesweges gelten; das meinten alle, die sich von Amtswegen auf Schö nheit verstehen. Doch lobten die Architekten die reinen Verhä ltnisse ihres Wuchses, die Maler fanden Nacken, Schultern und Brust beinahe zu keusch geformt, verliebten sich dagegen sä mtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faselten ü berhaupt viel von Battonischem Kolorit. Einer von ihnen, ein wirklicher Fantast, verglich aber hö chstseltsamer Weise Claras Augen mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines Azur, Wald- und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes, heitres Leben spiegelt. Dichter und Meister gingen aber weiter und sprachen: »Was See - was Spiegel! - Kö nnen wir denn das Mä dchen anschauen, ohne daß uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische Gesä nge und Klä nge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen, daß da alles wach und rege wird? Singen wir selbst dann nichts wahrhaft Gescheutes, so ist ü berhaupt nicht viel an uns und das lesen wir denn auch deutlich in dem um Claras Lippen schwebenden feinen Lä cheln, wenn wir uns unterfangen, ihr etwas vorzuquinkelieren, das so tun will als sei es Gesang, unerachtet nur einzelne Tö ne verworren durcheinander springen. « Es war dem so. Clara hatte die lebenskrä ftige Fantasie des heitern unbefangenen, kindischen Kindes, ein tiefes weiblich zartes Gemü t, einen gar hellen scharf sichtenden Verstand. Die Nebler und Schwebler hatten bei ihr bö ses Spiel; denn ohne zu viel zu reden, was ü berhaupt in Claras schweigsamer Natur nicht lag, sagte ihnen der helle Blick, und jenes feine ironische Lä cheln: Lieben Freunde! wie mö get ihr mir denn zumuten, daß ich eure verfließ ende Schattengebilde fü r wahre Gestalten ansehen soll, mit Leben und Regung? - Clara wurde deshalb von vielen kalt, gefü hllos, prosaisch gescholten; aber andere, die das Leben in klarer Tiefe aufgefaß t, liebten ungemein das gemü tvolle, verstä ndige, kindliche Mä dchen, doch keiner so sehr, als Nathanael, der sich in Wissenschaft und Kunst krä ftig und heiter bewegte. Clara hing an dem Geliebten mit ganzer Seele; die ersten Wolkenschatten zogen durch ihr Leben, als er sich von ihr trennte. Mit welchem Entzü cken flog sie in seine Arme, als er nun, wie er im letzten Briefe an Lothar es verheiß en, wirklich in seiner Vaterstadt ins Zimmer der Mutter eintrat. Es geschah so wie Nathanael geglaubt; denn in dem Augenblick, als er Clara wiedersah, dachte er weder an den Advokaten Coppelius, noch an Claras verstä ndigen Brief, jede Verstimmung war verschwunden.

Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb, daß des widerwä rtigen Wetterglashä ndlers Coppola Gestalt recht feindlich in sein Leben getreten sei. Alle fü hlten das, da Nathanael gleich in den ersten Tagen in seinem ganzen Wesen durchaus verä ndert sich zeigte. Er versank in dü stre Trä umereien, und trieb es bald so seltsam, wie man es niemals von ihm gewohnt gewesen. Alles, das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung geworden; immer sprach er davon, wie jeder Mensch, sich frei wä hnend, nur dunklen Mä chten zum grausamen Spiel diene, vergeblich lehne man sich dagegen auf, demü tig mü sse man sich dem fü gen, was das Schicksal verhä ngt habe. Er ging so weit, zu behaupten, daß es tö richt sei, wenn man glaube, in Kunst und Wissenschaft nach selbsttä tiger Willkü r zu schaffen; denn die Begeisterung, in der man nur zu schaffen fä hig sei, komme nicht aus dem eignen Innern, sondern sei das Einwirken irgend eines auß er uns selbst liegenden hö heren Prinzips.

Der verstä ndigen Clara war diese mystische Schwä rmerei im hö chsten Grade zuwider, doch schien es vergebens, sich auf Widerlegung einzulassen. Nur dann, wenn Nathanael bewies, daß Coppelius das bö se Prinzip sei, was ihn in dem Augenblick erfaß t habe, als er hinter dem Vorhange lauschte, und daß dieser widerwä rtige Dä mon auf entsetzliche Weise ihr Liebesglü ck stö ren werde, da wurde Clara sehr ernst und sprach: »Ja Nathanael! du hast recht, Coppelius ist ein bö ses feindliches Prinzip, er kann Entsetzliches wirken, wie eine teuflische Macht, die sichtbarlich in das Leben trat, aber nur dann, wenn du ihn nicht aus Sinn und Gedanken verbannst. Solange du an ihn glaubst, ist er auch und wirkt, nur dein Glaube ist seine Macht. « - Nathanael, ganz erzü rnt, daß Clara die Existenz des Dä mons nur in seinem eignen Innern statuiere, wollte dann hervorrü cken mit der ganzen mystischen Lehre von Teufeln und grausen Mä chten, Clara brach aber verdrü ß lich ab, indem sie irgend etwas Gleichgü ltiges dazwischen schob, zu Nathanaels nicht geringem Ä rger. Der dachte, kalten unempfä nglichen Gemü tern verschließ en sich solche tiefe Geheimnisse, ohne sich deutlich bewuß t zu sein, daß er Clara eben zu solchen untergeordneten Naturen zä hle, weshalb er nicht abließ mit Versuchen, sie in jene Geheimnisse einzuweihen. Am frü hen Morgen, wenn Clara das Frü hstü ck bereiten half, stand er bei ihr und las ihr aus allerlei mystischen Bü chern vor, daß Clara bat: »Aber lieber Nathanael, wenn ich dich nun das bö se Prinzip schelten wollte, das feindlich auf meinen Kaffee wirkt? - Denn, wenn ich, wie du es willst, alles stehen und liegen lassen und dir, indem du liesest, in die Augen schauen soll, so lä uft mir der Kaffee ins Feuer und ihr bekommt alle kein Frü hstü ck! « - Nathanael klappte das Buch heftig zu und rannte voll Unmut fort in sein Zimmer. Sonst hatte er eine besondere Stä rke in anmutigen, lebendigen Erzä hlungen, die er aufschrieb, und die Clara mit dem innigsten Vergnü gen anhö rte, jetzt waren seine Dichtungen dü ster, unverstä ndlich, gestaltlos, so daß, wenn Clara schonend es auch nicht sagte, er doch wohl fü hlte, wie wenig sie davon angesprochen wurde. Nichts war fü r Clara tö tender, als das Langweilige; in Blick und Rede sprach sich dann ihre nicht zu besiegende geistige Schlä frigkeit aus. Nathanaels Dichtungen waren in der Tat sehr langweilig. Sein Verdruß ü ber Claras kaltes prosaisches Gemü t stieg hö her, Clara konnte ihren Unmut ü ber Nathanaels dunkle, dü stere, langweilige Mystik nicht ü berwinden, und so entfernten beide im Innern sich immer mehr voneinander, ohne es selbst zu bemerken. Die Gestalt des hä ß lichen Coppelius war, wie Nathanael selbst es sich gestehen muß te, in seiner Fantasie erbleicht und es kostete ihm oft Mü he, ihn in seinen Dichtungen, wo er als grauser Schicksalspopanz auftrat, recht lebendig zu kolorieren. Es kam ihm endlich ein, jene dü stre Ahnung, daß Coppelius sein Liebesglü ck stö ren werde, zum Gegenstande eines Gedichts zu machen. Er stellte sich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden, aber dann und wann war es, als griffe eine schwarze Faust in ihr Leben und risse irgend eine Freude heraus, die ihnen aufgegangen. Endlich, als sie schon am Traualtar stehen, erscheint der entsetzliche Coppelius und berü hrt Claras holde Augen; die springen in Nathanaels Brust wie blutige Funken sengend und brennend, Coppelius faß t ihn und wirft ihn in einen flammenden Feuerkreis, der sich dreht mit der Schnelligkeit des Sturmes und ihn sausend und brausend fortreiß t. Es ist ein Tosen, als wenn der Orkan grimmig hineinpeitscht in die schä umenden Meereswellen, die sich wie schwarze, weiß hauptige Riesen emporbä umen in wü tendem Kampfe. Aber durch dies wilde Tosen hö rt er Claras Stimme: »Kannst du mich denn nicht erschauen? Coppelius hat dich getä uscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja glü hende Tropfen deines eignen Herzbluts - ich habe ja meine Augen, sieh mich doch nur an! « - Nathanael denkt: Das ist Clara, und ich bin ihr eigen ewiglich. - Da ist es, als faß t der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, daß er stehen bleibt, und im schwarzen Abgrund verrauscht dumpf das Getö se. Nathanael blickt in Claras Augen; aber es ist der Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich anschaut.

Wä hrend Nathanael dies dichtete, war er sehr ruhig und besonnen, er feilte und besserte an jeder Zeile und da er sich dem metrischen Zwange unterworfen, ruhte er nicht, bis alles rein und wohlklingend sich fü gte. Als er jedoch nun endlich fertig worden, und das Gedicht fü r sich laut las, da faß te ihn Grausen und wildes Entsetzen und er schrie auf. »Wessen grauenvolle Stimme ist das? « - Bald schien ihm jedoch das Ganze wieder nur eine sehr gelungene Dichtung, und es war ihm, als mü sse Claras kaltes Gemü t dadurch entzü ndet werden, wiewohl er nicht deutlich dachte, wozu denn Clara entzü ndet, und wozu es denn nun eigentlich fü hren solle, sie mit den grauenvollen Bildern zu ä ngstigen, die ein entsetzliches, ihre Liebe zerstö rendes Geschick weissagten. Sie, Nathanael und Clara, saß en in der Mutter kleinem Garten, Clara war sehr heiter, weil Nathanael sie seit drei Tagen, in denen er an jener Dichtung schrieb, nicht mit seinen Trä umen und Ahnungen geplagt hatte. Auch Nathanael sprach lebhaft und froh von lustigen Dingen wie sonst, so, daß Clara sagte: »Nun erst habe ich dich ganz wieder, siehst du es wohl, wie wir den hä ß lichen Coppelius vertrieben haben? « Da fiel dem Nathanael erst ein, daß er ja die Dichtung in der Tasche trage, die er habe vorlesen wollen. Er zog auch sogleich die Blä tter hervor und fing an zu lesen: Clara, etwas Langweiliges wie gewö hnlich vermutend und sich darein ergebend, fing an, ruhig zu stricken. Aber so wie immer schwä rzer und schwä rzer das dü stre Gewö lk aufstieg, ließ sie den Strickstrumpf sinken und blickte starr dem Nathanael ins Auge. Den riß seine Dichtung unaufhaltsam fort, hochrot fä rbte seine Wangen die innere Glut, Trä nen quollen ihm aus den Augen. - Endlich hatte er geschlossen, er stö hnte in tiefer Ermattung - er faß te Claras Hand und seufzte wie aufgelö st in trostlosem Jammer: »Ach! - Clara - Clara! « - Clara drü ckte ihn sanft an ihren Busen und sagte leise, aber sehr langsam und ernst: »Nathanael - mein herzlieber Nathanael! - wirf das tolle - unsinnige - wahnsinnige Mä rchen ins Feuer. « Da sprang Nathanael entrü stet auf und rief, Clara von sich stoß end: »Du lebloses, verdammtes Automat! « Er rannte fort, bittre Trä nen vergoß die tief verletzte Clara: »Ach er hat mich niemals geliebt, denn er versteht mich nicht«, schluchzte sie laut. - Lothar trat in die Laube; Clara muß te ihm erzä hlen was vorgefallen; er liebte seine Schwester mit ganzer Seele, jedes Wort ihrer Anklage fiel wie ein Funke in sein Inneres, so, daß der Unmut, den er wider den trä umerischen Nathanael lange im Herzen getragen, sich entzü ndete zum wilden Zorn. Er lief zu Nathanael, er warf ihm das unsinnige Betragen gegen die geliebte Schwester in harten Worten vor, die der aufbrausende Nathanael ebenso erwiderte. Ein fantastischer, wahnsinniger Geck wurde mit einem miserablen, gemeinen Alltagsmenschen erwidert. Der Zweikampf war unvermeidlich. Sie beschlossen, sich am folgenden Morgen hinter dem Garten nach dortiger akademischer Sitte mit scharfgeschliffenen Stoß rapieren zu schlagen. Stumm und finster schlichen sie umher, Clara hatte den heftigen Streit gehö rt und gesehen, daß der Fechtmeister in der Dä mmerung die Rapiere brachte. Sie ahnte was geschehen sollte. Auf dem Kampfplatz angekommen hatten Lothar und Nathanael soeben dü sterschweigend die Rö cke abgeworfen, blutdü rstige Kampflust im brennenden Auge wollten sie gegeneinander ausfallen, als Clara durch die Gartentü r herbeistü rzte. Schluchzend rief sie laut: »Ihr wilden entsetzlichen Menschen! - stoß t mich nur gleich nieder, ehe ihr euch anfallt; denn wie soll ich denn lä nger leben auf der Welt, wenn der Geliebte den Bruder, oder wenn der Bruder den Geliebten ermordet hat! « - Lothar ließ die Waffe sinken und sah schweigend zur Erde nieder, aber in Nathanaels Innern ging in herzzerreiß ender Wehmut alle Liebe wieder auf, wie er sie jemals in der herrlichen Jugendzeit schö nsten Tagen fü r die holde Clara empfunden. Das Mordgewehr entfiel seiner Hand, er stü rzte zu Claras Fü ß en. »Kannst du mir denn jemals verzeihen, du meine einzige, meine herzgeliebte Clara! - Kannst du mir verzeihen, mein herzlieber Bruder Lothar! « - Lothar wurde gerü hrt von des Freundes tiefem Schmerz; unter tausend Trä nen umarmten sich die drei versö hnten Menschen und schwuren, nicht voneinander zu lassen in steter Liebe und Treue.

Dem Nathanael war es zumute, als sei eine schwere Last, die ihn zu Boden gedrü ckt, von ihm abgewä lzt, ja als habe er, Widerstand leistend der finstern Macht, die ihn befangen, sein ganzes Sein, dem Vernichtung drohte, gerettet. Noch drei selige Tage verlebte er bei den Lieben, dann kehrte er zurü ck nach G., wo er noch ein Jahr zu bleiben, dann aber auf immer nach seiner Vaterstadt zurü ckzukehren gedachte.

Der Mutter war alles, was sich auf Coppelius bezog, verschwiegen worden; denn man wuß te, daß sie nicht ohne Entsetzen an ihn denken konnte, weil sie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes schuld gab.

 

Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, daß das ganze Haus niedergebrannt war, so daß aus dem Schutthaufen nur die nackten Feuermauern hervorragten. Unerachtet das Feuer in dem Laboratorium des Apothekers, der im untern Stocke wohnte, ausgebrochen war, das Haus daher von unten herauf gebrannt hatte, so war es doch den kü hnen, rü stigen Freunden gelungen, noch zu rechter Zeit in Nathanaels im obern Stock gelegenes Zimmer zu dringen, und Bü cher, Manuskripte, Instrumente zu retten. Alles hatten sie unversehrt in ein anderes Haus getragen, und dort ein Zimmer in Beschlag genommen, welches Nathanael nun sogleich bezog. Nicht sonderlich achtete er darauf, daß er dem Professor Spalanzani gegenü ber wohnte, und ebensowenig schien es ihm etwas Besonderes, als er bemerkte, daß er aus seinem Fenster gerade hinein in das Zimmer blickte, wo oft Olimpia einsam saß, so, daß er ihre Figur deutlich erkennen konnte, wiewohl die Zü ge des Gesichts undeutlich und verworren blieben. Wohl fiel es ihm endlich auf, daß Olimpia oft stundenlang in derselben Stellung, wie er sie einst durch die Glastü re entdeckte, ohne irgend eine Beschä ftigung an einem kleinen Tische saß und daß sie offenbar unverwandten Blickes nach ihm herü berschaute; er muß te sich auch selbst gestehen, daß er nie einen schö neren Wuchs gesehen; indessen, Clara im Herzen, blieb ihm die steife, starre Olimpia hö chst gleichgü ltig und nur zuweilen sah er flü chtig ü ber sein Kompendium herü ber nach der schö nen Bildsä ule, das war alles. - Eben schrieb er an Clara, als es leise an die Tü re klopfte; sie ö ffnete sich auf seinen Zuruf und Coppolas widerwä rtiges Gesicht sah hinein. Nathanael fü hlte sich im Innersten erbeben; eingedenk dessen, was ihm Spalanzani ü ber den Landsmann Coppola gesagt und was er auch rü cksichts des Sandmanns Coppelius der Geliebten so heilig versprochen, schä mte er sich aber selbst seiner kindischen Gespensterfurcht, nahm sich mit aller Gewalt zusammen und sprach so sanft und gelassen, als mö glich: »Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen Sie nur! « Da trat aber Coppola vollends in die Stube und sprach mit heiserem Ton, indem sich das weite Maul zum hä ß lichen Lachen verzog und die kleinen Augen unter den grauen langen Wimpern stechend hervorfunkelten: »Ei, nix Wetterglas, nix Wetterglas! - hab auch skö ne Oke - skö ne Oke! « - Entsetzt rief Nathanael: »Toller Mensch, wie kannst du Augen haben? - Augen - Augen? -« Aber in dem Augenblick hatte Coppola seine Wetterglä ser beiseite gesetzt, griff in die weiten Rocktaschen und holte Lorgnetten und Brillen heraus, die er auf den Tisch legte. - »Nu - Nu - Brill - Brill auf der Nas su setze, das sein meine Oke - skö ne Oke! « - Und damit holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, so, daß es auf dem ganzen Tisch seltsam zu flimmern und zu funkeln begann. Tausend Augen blickten und zuckten krampfhaft und starrten auf zum Nathanael; aber er konnte nicht wegschauen von dem Tisch, und immer mehr Brillen legte Coppola hin, und immer wilder und wilder sprangen flammende Blicke durcheinander und schossen ihre blutrote Strahlen in Nathanaels Brust. Ü bermannt von tollem Entsetzen schrie er auf. - »Halt ein! halt ein, fü rchterlicher Mensch! « - Er hatte Coppola, der eben in die Tasche griff, um noch mehr Brillen herauszubringen, unerachtet schon der ganze Tisch ü berdeckt war, beim Arm festgepackt. Coppola machte sich mit heiserem widrigen Lachen sanft los und mit den Worten: »Ah! - nix fü r Sie - aber hier skö ne Glas« - hatte er alle Brillen zusammengerafft, eingesteckt und aus der Seitentasche des Rocks eine Menge groß er und kleiner Perspektive hervorgeholt. Sowie die Brillen fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend sah er wohl ein, daß der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern hervorgegangen, sowie daß Coppola ein hö chst ehrlicher Mechanikus und Optikus, keineswegs aber Coppelii verfluchter Doppeltgä nger und Revenant sein kö nne. Zudem hatten alle Glä ser, die Coppola nun auf den Tisch gelegt, gar nichts Besonderes, am wenigsten so etwas Gespenstisches wie die Brillen und, um alles wieder gutzumachen, beschloß Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er ergriff ein kleines sehr sauber gearbeitetes Taschenperspektiv und sah, um es zu prü fen, durch das Fenster. Noch im Leben war ihm kein Glas vorgekommen, das die Gegenstä nde so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen rü ckte. Unwillkü rlich sah er hinein in Spalanzanis Zimmer; Olimpia saß, wie gewö hnlich, vor dem kleinen Tisch, die Arme darauf gelegt, die Hä nde gefaltet. - Nun erschaute Nathanael erst Olimpias wunderschö n geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer schä rfer und schä rfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzü ndet wü rde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die himmlisch-schö ne Olimpia betrachtend. Ein Rä uspern und Scharren weckte ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola stand hinter ihm: »Tre Zechini - drei Dukat« - Nathanael hatte den Optikus rein vergessen, rasch zahlte er das Verlangte. »Nick so? - skö ne Glas - skö ne Glas! « frug Coppola mit seiner widerwä rtigen heisern Stimme und dem hä mischen Lä cheln. »Ja ja, ja! « erwiderte Nathanael verdrieß lich. »Adieu, lieber Freund! « - Coppola verließ nicht ohne viele seltsame Seitenblicke auf Nathanael, das Zimmer. Er hö rte ihn auf der Treppe laut lachen. »Nun ja«, meinte Nathanael, »er lacht mich aus, weil ich ihm das kleine Perspektiv gewiß viel zu teuer bezahlt habe - zu teuer bezahlt! « - Indem er diese Worte leise sprach, war es, als halle ein tiefer Todesseufzer grauenvoll durch das Zimmer, Nathanaels Atem stockte vor innerer Angst. - Er hatte ja aber selbst so aufgeseufzt, das merkte er wohl. »Clara«, sprach er zu sich selber, »hat wohl recht, daß sie mich fü r einen abgeschmackten Geisterseher hä lt; aber nä rrisch ist es doch - ach wohl mehr, als nä rrisch, daß mich der dumme Gedanke, ich hä tte das Glas dem Coppola zu teuer bezahlt, noch jetzt so sonderbar ä ngstigt; den Grund davon sehe ich gar nicht ein. « - Jetzt setzte er sich hin, um den Brief an Clara zu enden, aber ein Blick durchs Fenster ü berzeugte ihn, daß Olimpia noch dasä ß e und im Augenblick, wie von unwiderstehlicher Gewalt getrieben, sprang er auf, ergriff Coppolas Perspektiv und konnte nicht los von Olimpias verfü hrerischem Anblick, bis ihn Freund und Bruder Siegmund abrief ins Kollegium bei dem Professor Spalanzani. Die Gardine vor dem verhä ngnisvollen Zimmer war dicht zugezogen, er konnte Olimpia ebensowenig hier, als die beiden folgenden Tage hindurch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er kaum das Fenster verließ und fortwä hrend durch Coppolas Perspektiv hinü berschaute. Am dritten Tage wurden sogar die Fenster verhä ngt. Ganz verzweifelt und getrieben von Sehnsucht und glü hendem Verlangen lief er hinaus vors Tor. Olimpias Gestalt schwebte vor ihm her in den Lü ften und trat aus dem Gebü sch, und guckte ihn an mit groß en strahlenden Augen, aus dem hellen Bach. Claras Bild war ganz aus seinem Innern gewichen, er dachte nichts, als Olimpia und klagte ganz laut und weinerlich: »Ach du mein hoher herrlicher Liebesstern, bist du mir denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verschwinden, und mich zu lassen in finstrer hoffnungsloser Nacht? «

Als er zurü ckkehren wollte in seine Wohnung, wurde er in Spalanzanis Hause ein gerä uschvolles Treiben gewahr. Die Tü ren standen offen, man trug allerlei Gerä te hinein, die Fenster des ersten Stocks waren ausgehoben, geschä ftige Mä gde kehrten und stä ubten mit groß en Haarbesen hin- und herfahrend, inwendig klopften und hä mmerten Tischler und Tapezierer. Nathanael blieb in vollem Erstaunen auf der Straß e stehen; da trat Siegmund lachend zu ihm und sprach: »Nun, was sagst du zu unserem alten Spalanzani? « Nathanael versicherte, daß er gar nichts sagen kö nne, da er durchaus nichts vom Professor wisse, vielmehr mit groß er Verwunderung wahrnehme, wie in dem stillen dü stern Hause ein tolles Treiben und Wirtschaften losgegangen; da erfuhr er denn von Siegmund, daß Spalanzani morgen ein groß es Fest geben wolle, Konzert und Ball, und daß die halbe Universitä t eingeladen sei. Allgemein verbreite man, daß Spalanzani seine Tochter Olimpia, die er so lange jedem menschlichen Auge recht ä ngstlich entzogen, zum erstenmal erscheinen lassen werde.

Nathanael fand eine Einladungskarte und ging mit hochklopfendem Herzen zur bestimmten Stunde, als schon die Wagen rollten und die Lichter in den geschmü ckten Sä len schimmerten, zum Professor. Die Gesellschaft war zahlreich und glä nzend. Olimpia erschien sehr reich und geschmackvoll gekleidet. Man muß te ihr schö ngeformtes Gesicht, ihren Wuchs bewundern. Der etwas seltsam eingebogene Rü cken, die wespenartige Dü nne des Leibes schien von zu starkem Einschnü ren bewirkt zu sein. In Schritt und Stellung hatte sie etwas Abgemessenes und Steifes, das manchem unangenehm auffiel; man schrieb es dem Zwange zu, den ihr die Gesellschaft auflegte. Das Konzert begann. Olimpia spielte den Flü gel mit groß er Fertigkeit und trug ebenso eine Bravour-Arie mit heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme vor. Nathanael war ganz entzü ckt; er stand in der hintersten Reihe und konnte im blendenden Kerzenlicht Olimpias Zü ge nicht ganz erkennen. Ganz unvermerkt nahm er deshalb Coppolas Glas hervor und schaute hin nach der schö nen Olimpia. Ach! - da wurde er gewahr, wie sie voll Sehnsucht nach ihm herü bersah, wie jeder Ton erst deutlich aufging in dem Liebesblick, der zü ndend sein Inneres durchdrang. Die kü nstlichen Rouladen schienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des in Liebe verklä rten Gemü ts, und als nun endlich nach der Kadenz der lange Trillo recht schmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie von glü henden Ä rmen plö tzlich erfaß t sich nicht mehr halten, er muß te vor Schmerz und Entzü cken laut aufschreien: »Olimpia! « - Alle sahen sich um nach ihm, manche lachten. Der Domorganist schnitt aber noch ein finstreres Gesicht, als vorher und sagte bloß: »Nun nun! « - Das Konzert war zu Ende, der Ball fing an. »Mit ihr zu tanzen! - mit ihr! « das war nun dem Nathanael das Ziel aller Wü nsche, alles Strebens; aber wie sich erheben zu dem Mut, sie, die Kö nigin des Festes, aufzufordern? Doch! - er selbst wuß te nicht wie es geschah, daß er, als schon der Tanz angefangen, dicht neben Olimpia stand, die noch nicht aufgefordert worden, und daß er, kaum vermö gend einige Worte zu stammeln, ihre Hand ergriff. Eiskalt war Olimpias Hand, er fü hlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in dem Augenblick war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und des Lebensblutes Strö me zu glü hen. Und auch in Nathanaels Innerm glü hte hö her auf die Liebeslust, er umschlang die schö ne Olimpia und durchflog mit ihr die Reihen. - Er glaubte sonst recht taktmä ß ig getanzt zu haben, aber an der ganz eignen rhythmischen Festigkeit, womit Olimpia tanzte und die ihn oft ordentlich aus der Haltung brachte, merkte er bald, wie sehr ihm der Takt gemangelt. Er wollte jedoch mit keinem andern Frauenzimmer mehr tanzen und hä tte jeden, der sich Olimpia nä herte, um sie aufzufordern, nur gleich ermorden mö gen. Doch nur zweimal geschah dies, zu seinem Erstaunen blieb darauf Olimpia bei jedem Tanze sitzen und er ermangelte nicht, immer wieder sie aufzuziehen. Hä tte Nathanael auß er der schö nen Olimpia noch etwas andres zu sehen vermocht, so wä re allerlei fataler Zank und Streit unvermeidlich gewesen; denn offenbar ging das halbleise, mü hsam unterdrü ckte Gelä chter, was sich in diesem und jenem Winkel unter den jungen Leuten erhob, auf die schö ne Olimpia, die sie mit ganz kuriosen Blicken verfolgten, man konnte gar nicht wissen, warum? Durch den Tanz und durch den reichlich genossenen Wein erhitzt, hatte Nathanael alle ihm sonst eigne Scheu abgelegt. Er saß neben Olimpia, ihre Hand in der seinigen und sprach hochentflammt und begeistert von seiner Liebe in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia. Doch diese vielleicht; denn sie sah ihm unverrü ckt ins Auge und seufzte einmal ü bers andere: »Ach - Ach - Ach! « - worauf denn Nathanael also sprach: »O du herrliche, himmlische Frau! - du Strahl aus dem verheiß enen Jenseits der Liebe - du tiefes Gemü t, in dem sich mein ganzes Sein spiegelt« und noch mehr dergleichen, aber Olimpia seufzte bloß immer wieder: »Ach, Ach! « - Der Professor Spalanzani ging einigemal bei den Glü cklichen vorü ber und lä chelte sie ganz seltsam zufrieden an. Dem Nathanael schien es, unerachtet er sich in einer ganz andern Welt befand, mit einemmal, als wü rd es hienieden beim Professor Spalanzani merklich finster; er schaute um sich und wurde zu seinem nicht geringen Schreck gewahr, daß eben die zwei letzten Lichter in dem leeren Saal herniederbrennen und ausgehen wollten. Lä ngst hatten Musik und Tanz aufgehö rt. »Trennung, Trennung«, schrie er ganz wild und verzweifelt, er kü ß te Olimpias Hand, er neigte sich zu ihrem Munde, eiskalte Lippen begegneten seinen glü henden! - So wie, als er Olimpias kalte Hand berü hrte, fü hlte er sich von innerem Grausen erfaß t, die Legende von der toten Braut ging ihm plö tzlich durch den Sinn; aber fest hatte ihn Olimpia an sich gedrü ckt, und in dem Kuß schienen die Lippen zum Leben zu erwarmen. - Der Professor Spalanzani schritt langsam durch den leeren Saal, seine Schritte klangen hohl wieder und seine Figur, von flackernden Schlagschatten umspielt, hatte ein grauliches gespenstisches Ansehen. »Liebst du mich - liebst du mich Olimpia? - Nur dies Wort! - Liebst du mich? « So flü sterte Nathanael, aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: »Ach - Ach! « - »Ja du mein holder, herrlicher Liebesstern«, sprach Nathanael, »bist mir aufgegangen und wirst leuchten, wirst verklä ren mein Inneres immerdar! « - »Ach, ach! « replizierte Olimpia fortschreitend. Nathanael folgte ihr, sie standen vor dem Professor. »Sie haben sich auß erordentlich lebhaft mit meiner Tochter unterhalten«, sprach dieser lä chelnd: »Nun, nun, lieber Herr Nathanael, finden Sie Geschmack daran, mit dem blö den Mä dchen zu konvergieren, so sollen mir Ihre Besuche willkommen sein. « - Einen ganzen hellen strahlenden Himmel in der Brust schied Nathanael von dannen. Spalanzanis Fest war der Gegenstand des Gesprä chs in den folgenden Tagen. Unerachtet der Professor alles getan hatte, recht splendid zu erscheinen, so wuß ten doch die lustigen Kö pfe von allerlei Unschicklichem und Sonderbarem zu erzä hlen, das sich begeben, und vorzü glich fiel man ü ber die todstarre, stumme Olimpia her, der man, ihres schö nen Ä uß ern unerachtet, totalen Stumpfsinn andichten und darin die Ursache finden wollte, warum Spalanzani sie so lange verborgen gehalten. Nathanael vernahm das nicht ohne innern Grimm, indessen schwieg er; denn, dachte er, wü rde es wohl verlohnen, diesen Burschen zu beweisen, daß eben ihr eigner Stumpfsinn es ist, der sie Olimpias tiefes herrliches Gemü t zu erkennen hindert? »Tu mir den Gefallen, Bruder«, sprach eines Tages Siegmund, »tu mir den Gefallen und sage, wie es dir gescheuten Kerl mö glich war, dich in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drü ben zu vergaffen? « Nathanael wollte zornig auffahren, doch schnell besann er sich und erwiderte: »Sage du mir Siegmund, wie deinem, sonst alles Schö ne klar auffassenden Blick, deinem regen Sinn, Olimpias himmlischer Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe ich, Dank sei es dem Geschick, dich nicht zum Nebenbuhler; denn sonst mü ß te einer von uns blutend fallen. « Siegmund merkte wohl, wie es mit dem Freunde stand, lenkte geschickt ein, und fü gte, nachdem er geä uß ert, daß in der Liebe niemals ü ber den Gegenstand zu richten sei, hinzu: »Wunderlich ist es doch, daß viele von uns ü ber Olimpia ziemlich gleich urteilen. Sie ist uns - nimm es nicht ü bel, Bruder! - auf seltsame Weise starr und seelenlos erschienen. Ihr Wuchs ist regelmä ß ig, so wie ihr Gesicht, das ist wahr! - Sie kö nnte fü r schö n gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl, ich mö chte sagen, ohne Sehkraft wä re. Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Rä derwerks bedingt. Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm richtigen geistlosen Takt der singenden Maschine und ebenso ist ihr Tanz. Uns ist diese Olimpia ganz unheimlich geworden, wir mochten nichts mit ihr zu schaffen haben, es war uns als tue sie nur so wie ein lebendiges Wesen und doch habe es mit ihr eine eigne Bewandtnis. « - Nathanael gab sich dem bittern Gefü hl, das ihn bei diesen Worten Siegmunds ergreifen wollte, durchaus nicht hin, er wurde Herr seines Unmuts und sagte bloß sehr ernst: »Wohl mag euch, ihr kalten prosaischen Menschen, Olimpia unheimlich sein. Nur dem poetischen Gemü t entfaltet sich das gleich organisierte! - Nur mir ging ihr Liebesblick auf und durchstrahlte Sinn und Gedanken, nur in Olimpias Liebe finde ich mein Selbst wieder. Euch mag es nicht recht sein, daß sie nicht in platter Konversation faselt, wie die andern flachen Gemü ter. Sie spricht wenig Worte, das ist wahr; aber diese wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der Anschauung des ewigen Jenseits. Doch fü r alles das habt ihr keinen Sinn und alles sind verlorne Worte. « - »Behü te dich Gott, Herr Bruder«, sagte Siegmund sehr sanft, beinahe wehmü tig, »aber mir scheint es, du seist auf bö sem Wege. Auf mich kannst du rechnen, wenn alles - Nein, ich mag nichts weiter sagen! -« Dem Nathanael war es plö tzlich, als meine der kalte prosaische Siegmund es sehr treu mit ihm, er schü ttelte daher die ihm dargebotene Hand recht herzlich.

Nathanael hatte rein vergessen, daß es eine Clara in der Welt gebe, die er sonst geliebt; - die Mutter - Lothar - alle waren aus seinem Gedä chtnis entschwunden, er lebte nur fü r Olimpia, bei der er tä glich stundenlang saß und von seiner Liebe, von zum Leben erglü hter Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasierte, welches alles Olimpia mit groß er Andacht anhö rte. Aus dem tiefsten Grunde des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben. Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzä hlungen, das wurde tä glich vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonetten, Stanzen, Kanzonen, und das alles las er der Olimpia stundenlang hintereinander vor, ohne zu ermü den. Aber auch noch nie hatte er eine solche herrliche Zuhö rerin gehabt. Sie stickte und strickte nicht, sie sah nicht durchs Fenster, sie fü tterte keinen Vogel, sie spielte mit keinem Schoß hü ndchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte keine Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein Gä hnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen - kurz! - stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rü cken und zu bewegen und immer glü hender, immer lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und ihr die Hand, auch wohl den Mund kü ß te, sagte sie: »Ach, Ach! « - dann aber: »Gute Nacht, mein Lieber! « - »O du herrliches, du tiefes Gemü t«, rief Nathanael auf seiner Stube: »nur von dir, von dir allein werd ich ganz verstanden. « Er erbebte vor innerm Entzü cken, wenn er bedachte, welch wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpias Gemü t tä glich mehr offenbare; denn es schien ihm, als habe Olimpia ü ber seine Werke, ü ber seine Dichtergabe ü berhaupt recht tief aus seinem Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern selbst herausgetö nt. Das muß te denn wohl auch sein; denn mehr Worte als vorhin erwä hnt, sprach Olimpia niemals. Erinnerte sich aber auch Nathanael in hellen nü chternen Augenblicken, z. B. morgens gleich nach dem Erwachen, wirklich an Olimpias gä nzliche Passivitä t und Wortkargheit, so sprach er doch: »Was sind Worte - Worte! - Der Blick ihres himmlischen Auges sagt mehr als jede Sprache hienieden. Vermag denn ü berhaupt ein Kind des Himmels sich einzuschichten in den engen Kreis, den ein klä gliches irdisches Bedü rfnis gezogen? « - Professor Spalanzani schien hocherfreut ü ber das Verhä ltnis seiner Tochter mit Nathanael; er gab diesem allerlei unzweideutige Zeichen seines Wohlwollens und als es Nathanael endlich wagte von ferne auf eine Verbindung mit Olimpia anzuspielen, lä chelte dieser mit dem ganzen Gesicht und meinte: er werde seiner Tochter vö llig freie Wahl lassen. - Ermutigt durch diese Worte, brennendes Verlangen im Herzen, beschloß Nathanael, gleich am folgenden Tage Olimpia anzusehen, daß sie das unumwunden in deutlichen Worten ausspreche, was lä ngst ihr holder Liebesblick ihm gesagt, daß sie sein eigen immerdar sein wolle. Er suchte nach dem Ringe, den ihm beim Abschiede die Mutter geschenkt, um ihn Olimpia als Symbol seiner Hingebung, seines mit ihr aufkeimenden, blü henden Lebens darzureichen. Claras, Lothars Briefe fielen ihm dabei in die Hä nde; gleichgü ltig warf er sie beiseite, fand den Ring, steckte ihn ein und rannte herü ber zu Olimpia. Schon auf der Treppe, auf dem Flur, vernahm er ein wunderliches Getö se; es schien aus Spalanzanis Studierzimmer herauszuschallen. - Ein Stampfen - ein Klirren - ein Stoß en - Schlagen gegen die Tü r, dazwischen Flü che und Verwü nschungen. Laß los - laß los - Infamer - Verruchter! - Darum Leib und Leben daran gesetzt? - ha ha ha ha! - so haben wir nicht gewettet - ich, ich hab die Augen gemacht - ich das Rä derwerk - dummer Teufel mit deinem Rä derwerk - verfluchter Hund von einfä ltigem Uhrmacher - fort mit dir - Satan - halt - Peipendreher - teuflische Bestie! - halt - fort - laß los! - Es waren Spalanzanis und des grä ß lichen Coppelius Stimmen, die so durcheinander schwirrten und tobten. Hinein stü rzte Nathanael von namenloser Angst ergriffen. Der Professor hatte eine weibliche Figur bei den Schultern gepackt, der Italiener Coppola bei den Fü ß en, die zerrten und zogen sie hin und her, streitend in voller Wut um den Besitz. Voll tiefen Entsetzens prallte Nathanael zurü ck, als er die Figur fü r Olimpia erkannte; aufflammend in wildem Zorn wollte er den Wü tenden die Geliebte entreiß en, aber in dem Augenblick wand Coppola sich mit Riesenkraft drehend die Figur dem Professor aus den Hä nden und versetzte ihm mit der Figur selbst einen fü rchterlichen Schlag, daß er rü cklings ü ber den Tisch, auf dem Phiolen, Retorten, Flaschen, glä serne Zylinder standen, taumelte und hinstü rzte; alles Gerä t klirrte in tausend Scherben zusammen. Nun warf Coppola die Figur ü ber die Schulter und rannte mit fü rchterlich gellendem Gelä chter rasch fort die Treppe herab, so daß die hä ß lich herunterhä ngenden Fü ß e der Figur auf den Stufen hö lzern klapperten und drö hnten. - Erstarrt stand Nathanael - nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpias toderbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze Hö hlen; sie war eine leblose Puppe. Spalanzani wä lzte sich auf der Erde, Glasscherben hatten ihm Kopf, Brust und Arm zerschnitten, wie aus Springquellen strö mte das Blut empor. Aber er raffte seine Krä fte zusammen. - »Ihm nach - ihm nach, was zauderst du? - Coppelius - Coppelius, mein bestes Automat hat er mir geraubt - Zwanzig Jahre daran gearbeitet - Leib und Leben daran gesetzt - das Rä derwerk - Sprache - Gang - mein - die Augen - die Augen dir gestohlen. - Verdammter - Verfluchter - ihm nach - hol mir Olimpia - da hast du die Augen! -« Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten Hand und warf sie nach ihm, daß sie seine Brust trafen. - Da packte ihn der Wahnsinn mit glü henden Krallen und fuhr in sein Inneres hinein Sinn und Gedanken zerreiß end. »Hui - hui - hui! - Feuerkreis - Feuerkreis! dreh dich Feuerkreis - lustig - lustig! - Holzpü ppchen hui schö n Holzpü ppchen dreh dich -« damit warf er sich auf den Professor und drü ckte ihm die Kehle zu. Er hä tte ihn erwü rgt, aber das Getö se hatte viele Menschen herbeigelockt, die drangen ein, rissen den wü tenden Nathanael auf und retteten so den Professor, der gleich verbunden wurde. Siegmund, so stark er war, vermochte nicht den Rasenden zu bä ndigen; der schrie mit fü rchterlicher Stimme immerfort: »Holzpü ppchen dreh dich« und schlug um sich mit geballten Fä usten. Endlich gelang es der vereinten Kraft mehrerer, ihn zu ü berwä ltigen, indem sie ihn zu Boden warfen und banden. Seine Worte gingen unter in entsetzlichem tierischen Gebrü ll. So in grä ß licher Raserei tobend wurde er nach dem Tollhause gebracht.

Ehe ich, gü nstiger Leser! dir zu erzä hlen fortfahre, was sich weiter mit dem unglü cklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten Spalanzani nehmen, versichern, daß er von seinen Wunden vö llig geheilt wurde. Er muß te indes die Universitä t verlassen, weil Nathanaels Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein fü r gä nzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernü nftigen Teezirkeln (Olimpia hatte sie mit Glü ck besucht) statt der lebendigen Person eine Holzpuppe einzuschwä rzen. Juristen nannten es sogar einen feinen und um so hä rter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum gerichtet und so schlau angelegt worden, daß kein Mensch (ganz kluge Studenten ausgenommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise tun und sich auf allerlei Tatsachen berufen wollten, die ihnen verdä chtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z. B. wohl irgend jemanden verdä chtig vorgekommen sein, daß nach der Aussage eines eleganten Teeisten Olimpia gegen alle Sitte ö fter genieset, als gegä hnt hatte? Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw. Der Professor der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu, rä usperte sich und sprach feierlich: »Hochzuverehrende Herren und Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze ist eine Allegorie - eine fortgefü hrte Metapher! - Sie verstehen mich! - Sapienti sat! « Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefaß t und es schlich sich in der Tat abscheuliches Miß trauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz ü berzeugt zu werden, daß man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Mö pschen spiele usw. vor allen Dingen aber, daß sie nicht bloß hö re, sondern auch manchmal in der Art spreche, daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesbü ndnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander. »Man kann wahrhaftig nicht dafü r stehen«, sagte dieser und jener. In den Tees wurde unglaublich gegä hnt und niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen. - Spalanzani muß te, wie gesagt, fort, um der Kriminaluntersuchung wegen [des] der menschlichen Gesellschaft betrü glicherweise eingeschobenen Automats zu entgehen. Coppola war auch verschwunden.

Nathanael erwachte wie aus schwerem, fü rchterlichem Traum, er schlug die Augen auf und fü hlte wie ein unbeschreibliches Wonnegefü hl mit sanfter himmlischer Wä rme ihn durchströ mte. Er lag in seinem Zimmer in des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich ü ber ihn hingebeugt und unfern standen die Mutter und Lothar. »Endlich, endlich, o mein herzlieber Nathanael - nun bist du genesen von schwerer Krankheit - nun bist du wieder mein! « - So sprach Clara recht aus tiefer Seele und faß te den Nathanael in ihre Arme. Aber dem quollen vor lauter Wehmut und Entzü cken die hellen glü henden Trä nen aus den Augen und er stö hnte tief auf. »Meine - meine Clara! « - Siegmund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in groß er Not, trat herein. Nathanael reichte ihm die Hand: »Du treuer Bruder hast mich doch nicht verlassen. « - Jede Spur des Wahnsinns war verschwunden, bald erkrä ftigte sich Nathanael in der sorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Glü ck war unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim, von dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter nebst einem nicht unbedeutenden Vermö gen ein Gü tchen in einer angenehmen Gegend unfern der Stadt hinterlassen. Dort wollten sie hinziehen, die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu heiraten gedachte, und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher geworden, als er je gewesen und erkannte nun erst recht Claras himmlisch reines, herrliches Gemü t. Niemand erinnerte ihn auch nur durch den leisesten Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund von ihm schied, sprach Nathanael: »Bei Gott Bruder! ich war auf schlimmen Wege, aber zu rechter Zeit leitete mich ein Engel auf den lichten Pfad! - Ach es war ja Clara! -« Siegmund ließ ihn nicht weiter reden, aus Besorgnis, tief verletzende Erinnerungen mö chten ihm zu hell und flammend aufgehen. - Es war an der Zeit, daß die vier glü cklichen Menschen nach dem Gü tchen ziehen wollten. Zur Mittagsstunde gingen sie durch die Straß en der Stadt. Sie hatten manches eingekauft, der hohe Ratsturm warf seinen Riesenschatten ü ber den Markt. »Ei! « sagte Clara: »steigen wir doch noch einmal herauf und schauen in das ferne Gebirge hinein! « Gesagt, getan! Beide, Nathanael und Clara, stiegen herauf, die Mutter ging mit der Dienstmagd nach Hause, und Lothar, nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern, wollte unten warten. Da standen die beiden Liebenden Arm in Arm auf der hö chsten Galerie des Turmes und schauten hinein in die duftigen Waldungen, hinter denen das blaue Gebirge, wie eine Riesenstadt, sich erhob.

»Sieh doch den sonderbaren kleinen grauen Busch, der ordentlich auf uns los zu schreiten scheint«, frug Clara. - Nathanael faß te mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppolas Perspektiv, er schaute seitwä rts - Clara stand vor dem Glase! - Da zuckte es krampfhaft in seinen Pulsen und Adern - totenbleich starrte er Clara an, aber bald glü hten und sprü hten Feuerströ me durch die rollenden Augen, grä ß lich brü llte er auf, wie ein gehetztes Tier; dann sprang er hoch in die Lü fte und grausig dazwischen lachend schrie er in schneidendem Ton: »Holzpü ppchen dreh dich - Holzpü ppchen dreh dich« - und mit gewaltiger Kraft faß te er Clara und wollte sie herabschleudern, aber Clara krallte sich in verzweifelnder Todesangst fest an das Gelä nder. Lothar hö rte den Rasenden toben, er hö rte Claras Angstgeschrei, grä ß liche Ahnung durchflog ihn, er rannte herauf, die Tü r der zweiten Treppe war verschlossen - stä rker hallte Claras Jammergeschrei. Unsinnig vor Wut und Angst stieß er gegen die Tü r, die endlich aufsprang - Matter und matter wurden nun Claras Laute: » Hü lfe - rettet - rettet -« so erstarb die Stimme in den Lü ften. »Sie ist hin - ermordet von dem Rasenden«, so schrie Lothar. Auch die Tü r zur Galerie war zugeschlagen. - Die Verzweiflung gab ihm Riesenkraft, er sprengte die Tü r aus den Angeln. Gott im Himmel - Clara schwebte von dem rasenden Nathanael erfaß t ü ber der Galerie in den Lü ften - nur mit einer Hand hatte sie noch die Eisenstä be umklammert. Rasch wie der Blitz erfaß te Lothar die Schwester, zog sie hinein, und schlug im demselben Augenblick mit geballter Faust dem Wü tenden ins Gesicht, daß er zurü ckprallte und die Todesbeute fallen ließ.

Lothar rannte herab, die ohnmä chtige Schwester in den Armen. - Sie war gerettet. - Nun raste Nathanael herum auf der Galerie und sprang hoch in die Lü fte und schrie »Feuerkreis dreh dich - Feuerkreis dreh dich« - Die Menschen liefen auf das wilde Geschrei zusammen; unter ihnen ragte riesengroß der Advokat Coppelius hervor, der eben in die Stadt gekommen und gerades Weges nach dem Markt geschritten war. Man wollte herauf, um sich des Rasenden zu bemä chtigen, da lachte Coppelius sprechend: »Ha ha - wartet nur, der kommt schon herunter von selbst«, und schaute wie die ü brigen hinauf. Nathanael blieb plö tzlich wie erstarrt stehen, er bü ckte sich herab, wurde den Coppelius gewahr und mit dem gellenden Schrei: »Ha! Skö ne Oke - Skö ne Oke«, sprang er ü ber das Gelä nder.

Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem, Steinpflaster lag, war Coppelius im Gewü hl verschwunden.

Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Tü re eines schö nen Landhauses saß und vor ihr zwei muntre Knaben spielten. Es wä re daraus zu schließ en, daß Clara das ruhige hä usliche Glü ck noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals hä tte gewä hren kö nnen.

 



  

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