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Kapitel 22. Zuckerwatte



Kapitel 22

Zuckerwatte

*" Sag mal, Bastian? "

" Mein Liebling? "

" Hast du noch gar nichts von der PH gekriegt? "

" Nein. "

 " Komisch. Die Schwester einer Freundin von mir hat zur selben Zeit wie du ihr Examen gemacht und bereits am 11. August die Mitteilung erhalten, dass sie durchge­fallen ist. "

" Die Arme. Wie heiß t sie denn? "

" Guggenmoser. "

" Ach, die Guggi. Und ist durchgefallen? Tut mir das Leid. "

" Heut haben wir den Fü nfundzwanzigsten. "

" Was? Schon? "

" Und du hast noch nichts gehö rt? Das gibt's doch gar nicht, Bastian! "

" Wenn ich's dir sage! "

" Aber du solltest dich wirklich darum kü mmern. "

" Ja. "

" Du sagst immer ja und tust nichts. "

" Warum sollte ich? Ich kann's abwarten. "

Dieser Dialog war die Ouvertü re zu ihrem ersten ernst­haften Krach, in dessen Verlauf Katharina Freude dem Bastian Guthmann Folgendes vorwarf:

1. Auß erhalb der Realitä t zu leben.

2. Die Dinge immer laufen zu lassen.

3. Ein Tagträ umer zu sein. (Begrü ndung dieses Vorwurfes: fü r " Taugenichtse" im Eichendorffschen Sinne gä be es in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts keinen Platz mehr. Bastians Gegenfrage: 'Warum nicht? " blieb unbeantwortet. )

4. Keinen Ehrgeiz zu haben.

5. Es am nö tigen Ernst fehlen zu lassen.

6. Ü berhaupt nicht an die Zukunft zu denken.

7. Eine Schlampe zu sein.

Bastian konterte darauf mit Gegenvorwü rfen. " Stä ndig reibst du mir deine Tü chtigkeit und dein Pflichtbewusstsein unter die Nase. Und wann hast du schon mal Zeit fü r mich? Na gut, das ist nicht deine Schuld. Aber dass du nie abschalten kannst, Kathinka. Dass du nicht begreifst, wie mir der Appetit vergeht, wenn du beim Abendbrot von Totaloperationen und Brustkrebs und Frü hgeburten erzä hlst. "

" Du hast eben kein Interesse an meinem Beruf! " " Ich hab' vor allem nicht die Nerven dafü r. Sonst war's ich vielleicht selber Arzt geworden. Aber ich kann kein Blut sehen, und schon gar nicht das anderer... " " Dann tu was gegen deine Zimperlichkeit. " Der Ausdruck " Zimperlichkeit" ä rgerte ihn sehr.

" Ist das vielleicht ein Verbrechen, wenn einer kein Blut sehen kann? Ich bin dir nicht abgebrü ht genug, wie? Da hast du allerdings recht. Ich nehme anderer Leute Leiden viel zu persö nlich. Und wenn ich jemals einen zusammenschlagen wü rde, dann nur, weil er einen ä ndern zu Unrecht schikaniert. "

" Du Gerechtigkeitsapostel, du edler Mensch! "

" Ich bin kein edler Mensch! " schrie er.

" Edel und unsachlich! " schrie sie zurü ck.

Ach, was wirft man sich im Verlaufe solch eines Kraches alles an den Kopf! Und dann scheidet man mit Tü renknallen und in der Hoffnung, dass der andere zu­erst einrenken wird.

Es renkte aber keiner.

Bastian hatte sein Telefon seit zwei Tagen auf Auftragsdienst gestellt, damit ihm wä hrend seiner Abwesenheit kein Anruf entging.

Kathinka fragte fü nfmal am Tag, ob kein Anruf fü r sie gewesen wä re.

Beide hatten eine groß e Wut aufeinander und eine groß e Sehnsucht nacheinander, und beide hatten ihren blö den Stolz.

Und ü berhaupt ist es gar nicht so einfach, wenn man erkennt, dass man nicht zueinander passt, und sich den­noch sehr, sehr lieb hat. *

Bastian kostete dieser Ausnahmezustand seinen Job als Taxifahrer.

Und das kam so: Da war ein Fahrgast aus Berlin, der war gesprä chig auf der Fahrt vom Flughafen zum Bayerischen Hof.

Er fragte zu viel. Ob Bastian Student sei und was er studiere. Und als er hö rte, dass Bastian Student an der PH sei, meinte er, das wä ren doch bloß sechs Semester und dafü r sei er eigentlich zu alt.

Da fuhr Bastian das Taxi an den Straß enrand und bat seinen Fahrgast auszusteigen. Samt Koffern. Denn er habe zwar ein Recht, seine Fahrweise zu kritisieren, nicht aber sein Privatleben.

Der Fahrgast beschwerte sich beim Taxiunter­nehmer. Bastian wurde noch am gleichen Tag gefeuert.

Immer 'rauf aufs Schlimme.

Schadete Katharina gar nichts, wenn er seinen Job verlor. Was stritt sie mit ihm wegen seines Examen­briefes. Warum warf sie ihm vor, zimperlich zu sein und ein Taugenichts. Sie hatte kein Recht dazu...

... da ging sein Telefon. Er hob sofort ab, in der Hoffnung, Katharina rufe an.

Aber es war Martha Guthmann am Apparat. Martha Guthmann aus der Telefonzelle.

" Dein Onkel Alois ist heut den letzten Tag in Bayern. Da mö ch' er gerne zu seiner Schwester Rosa nach Tutzing. Und da dachte ich, du fä hrst uns. Es ist ein schö nes Verdienen fü r dich, Bastian. "

" Ich fahr' aber nicht", sagte Bastian.

" Typisch, typisch", sagte Groß mutter, " eine Groß ­mutter kriegt spielend dreizehn Enkel groß, aber dreizehn Enkel kö nnen nicht eine Groß mutter zu Tante Rosa nach Tutzing fahren! "

" Ich kann euch nicht fahren, weil ich kein Taxi mehr habe", schrie Bastian in den Hö rer. " Ich bin gefeuert, ver­stehst du? Warum nehmt ihr nicht den Zug? Habt ihr noch nie was von der S-Bahn gehö rt, nein? Die fä hrt auch zu Tante Rosa nach Tutzing, ach scheiß auf Tante Rosa. Lasst mich doch alle in Ruh! "

Er knallte den Hö rer auf.

Martha Guthmann in ihrer Telefonzelle war in Druck. Denn vor der Zelle wartete Schwager Alois in Seemannskleidung und in Erwartung des Ausfluges an den Starnberger See.

" Sein Wagen ist kaputt. Wir mü ssen die S-Bahn nehmen. "

Tante Rosa und Groß mutter hatten sich schon als junge Frauen nicht ausstehen kö nnen.

Wä hrend sie ihre Himbeertorte mit Schlagrahm aß en (backen konnte die Rosa ja, das musste man ihr lassen) dachte Martha Guthmann immerzu an Bastian. Irgend­was stimmte nicht mit ihm. Sonst hä tte er sich nicht so am Telefon benommen. Nicht ihr gegenü ber. Nein, nicht der Bastian. Was war bloß mit dem Bastian?

Auf der Rü ckfahrt nach Mü nchen fing ihr Schwager Alois plö tzlich zu reden an. Sagte vielleicht Sachen —!

" Schau mal, Martha", sagte er zwischen Starnberg und Mü hltal, " unsere Kinder sind versorgt. Wir sind beide allein. Es ist nicht gut, allein zu sein. Ich hab' Gespartes, du hast deine Pension und die Dreizimmerwohnung. Schweden ist ein schö nes Land, aber in der Heimat mö chte ich sterben. Martha, lass uns unseren Lebens­abend zusammen tun! "

Martha Guthmann hatte aus dem Fenster geschaut und anfangs nicht zugehö rt. Nachträ glich erschrak sie sehr.

" Du meinst, ich soll die Restpflege bei dir ü ber­nehmen, ja? "

" Aber Martha, so habe ich das doch nicht gemeint. Ich bin rü stiger, als du glaubst. "

" Ja, Alois", sie tä tschelte bekü mmert seine Hand mit dem viel zu groß en Siegelring. " Aber glaub mir, das ginge nie gut mit uns. Das gab' Mord und Totschlag, glaub mir. "

" Warum denn, Martha? "

Sie wollte ihm nicht die Wahrheit sagen. Die Wahrheit hieß: Ich bin erst siebzig und du schon Sechs­undsechzig, aber ich hatte immer Kinder um mich und junge Leute, was soll ich auf meine geschä ftigen Tage mit einem Pensionä r!?

Sie schieden herzlich vor ihrer Haustü r.

Da es zu keiner Verlobung gekommen war, wollte Alois Guthmann nicht die fü r den letzten Abend seines Mü nchen-Aufenthaltes vorgesehene Theatervorstellung versä umen. Schließ lich hatte er sie bereits bezahlt.

Groß mutter winkte seinem Taxi nach und schoss darauf in ihre Bä ckerei — zwei Minuten vor Geschä ftsschluss.

Sie sagte ü ber den Ladentisch: " Ein halbes Mischbrot, Frau Hufnagel, und stellen Sie sich vor, mein Besuch aus Schweden hat mir einen Antrag gemacht, einen ernsthaften. Aber bin ich blö d? Werd' ich mich 284

binden? Meine schö ne Freiheit aufgeben? Ich bitt' Sie, Frau Hufnagel. Und dann noch zwei Brezen. "

Bastian war seinen Taxijob los. War zerstritten mit sich und der Umwelt. Und vor allem mit Kathinka.

Er tigerte ziellos durch die Isarauen und kam zwi­schen drei und vier Uhr nachmittags auf der Flussbö ­schung nieder.

Schaute der Isar beim Fließ en zu und zä hlte an den Fingern ab, mit wem er alles zerstritten war. Es waren nicht viele, aber entscheidende Persö nlichkeiten. Katharina Freude. Der Taxiunternehmer. Martha Guthmann. Und dann war zufä llig Biggy vorbeigekommen, Biggy mit einem degenerierten Langhaardackel an der Leine.

Ein Vollmondgesicht.. Glubschaugen. Krause Haare. Noch kein Busen, dafü r Magen. Fü nfzehn Jahre alt und auf dem Gipfelpunkt weiblicher Pubertä t angelangt.

Biggy ließ sich neben Bastian auf der Bö schung nieder und guckte auf seine denkenden Finger.

" Was machen Se denn da? Zä hln Se Ihre Piepen? "

Bastian guckte kurz auf. " Ich zä hle nach, mit wem ich alles zerstritten bin. "

" Warum? " fragte Biggy.

" Ja, warum... "

" Knies (hier: Dreck, Streit)  mit Ihrer Ische (ugs.: das Mä dchen)? "

Er antwortete nicht.

Sie nahm neben ihm Platz und streckte die Beine vor sich her, die in roten Socken endeten. Blassrosa Beine mit Narben am Knie und ohne jede Form.

" Ick komm' aus Berlin. Kenn' Se Berlin? "

" Ja. "

" Kenn' Se's ehrlich? "

" Meine Kusine ist da verheiratet. "

" Wo denn da? "

" Wilmersdorf. "

" Wilmersdorf! Da wohn ick ooch. Zufall, was? "

" Ja. "

" Die Welt ist klein. "

'Wie groß ist denn Wilmersdorf? "

" Irre groß. "

" Dann ist die Welt wirklich klein im Vergleich zu Wilmersdorf. "

" Sarickja4. "

Bastian sank in seinen Kummer zurü ck. Vergaß darü ber Biggy aus Berlin.

" Ick bin bloß bis ü bermorgen hier. "

" Ach. "

" Dis is mein Opa sein Hund. "

" Nett. "

" Aber kiebig. "

Er stand auf, wü nschte Biggy noch viel Spaß in Mü nchen und ging Richtung Corneliusbrü cke, und als er einmal zufä llig zur Seite blickte, war Biggy neben ihm.

" Glooben Se ja nich, dass ick Ihnen nachjeschlichen bin. Ick muss hier lang. Da drü ben wohnt mein Opa", ver­sicherte sie, rot bis zu den Ohren.

Ging immer einen Schritt hinter ihm. Unterhielt sich mit Opas Hund. War plö tzlich wieder auf Bastians Hö he.

" Wissen Se zufä llig, wo't hier Zuckerwatte jibt? "

Bastian seufzte.

" Kenn' Se nicht? "

" Doch. " Kannte er. Er hatte bisher nur nicht gewusst, dass Zuckerwatte ein Ansprechungsgrund war.

" Schmeckt dufte. Ehrlich", sagte Biggy beschwö rend.

" Beiß t man rein — plö tzlich hat man nischt mehr im Mund. Ein irret Jefü hl. "

Sie schaute ihn an. " Is Ihnen nie nach Zuckerwatte? "

Bastian blieb stehen und lachte.

Diese Biggy hatte etwas von einem jungen Hund, der einen mit seiner Zutraulichkeit verfolgt und sich nicht abwimmeln lä sst.

" Also komm", sagte er.

Zwei Stunden lang suchten sie in der Au rund um den Viktualienmarkt vergebens nach Zuckerwatte.

Dabei gab Bastian all sein Geld, das er bei sich trug, fü r Eis, Bonbons, Strohblumen, einen Stoffhund, Weiß ­wü rste und gebrannte Erdnü sse aus.

Dass er seine Frö hlichkeit wiederfand, hatte er Biggy aus Wilmersdorf zu verdanken. Eine groß e Klappe, hinter der sich ein schü chternes Mä uschen versteckte.

" Gehst du immer so vertrauensselig mit fremden Mä nnern mit? "

" Bin ick doof? Aber mit Ihnen — Sie tun doch keinem nischt. Sieht man ja. Wat machen Se eigentlich? "

" Ich werd' Lehrer. "

Biggy ließ ein Lachen platzen. " Ick wer varrü ckt. Sie und Pauker! "

" Na und? Was ist denn daran so komisch? " ä rgerte er sich.

" Naja... ick meine bloß — die Mä ä chens. " Sie war plö tzlich sehr verlegen.

Schrä g gegenü ber von dem Haus, in dem ihr Groß vater wohnte, verabschiedete er sich von ihr.

" Mach's gut, Biggy. Grü ß Wilmersdorf. "

" Wir machen erst ü bermorgen zurü ck. Ich hä tt' mor­gen noch Zeit. " Ihre Munterkeit war verflogen. " Ick geh' hier immer mit'n Wastl spazieren. " Todtrauriger Blick. " Ick kann schon vormittags... "

Sie tat ihm plö tzlich Leid.

" Ich werd' versuchen, Biggy. "

" Ehrlich? " Sie glaubte ihm nicht.

" Servus, Biggy. "

" Tschü ss. Und vielen Dank fü r alles. " Sie zog eine Blü te, aus ihrem Strohblumensträ uß chen. " Ne janze Kleinigkeit zum Erinnern. "

Bastian nahm die Blume und kü sste Biggy auf die Wange. Und ahnte nicht, was er damit anrichtete.

Wie sollte Biggy nach ihm noch einen von ihren pick­ligen Knilchen nett finden.

Wie denn, Mensch?

Bastian kam nach Haus und ging sofort ans Telefon. Beim Auftragsdienst war nur ein Anruf von seiner Groß ­mutter. Schö nen Gruß und sie kä me morgen frü h vorbei.

Sonst war nichts?

Nein.

O Kathinka, dachte er, warum nicht? Ruf doch an! All die gute Laune, die ihm Biggy geschenkt hatte, war wieder verflogen.



  

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