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Tag 5: Beitritt ⇐ ПредыдущаяСтр 5 из 5 Tag 5: Beitritt Der Morgen darauf. Ich wurde von der Visite geweckt und war noch nicht richtig wach, wusste aber, dass die nun folgende Diagnose über mein Leben entscheiden konnte. Daher gab ich mir alle Mühe, mich auf die Worte des Arztes zu konzentrieren. Sein Name war Dr. Woolsey, so stellte er sich mir zumindest vor; das typische Namensschild an seinem weißen Kittel fehlte nämlich gänzlich. Sein Händedruck war sehr fest, die Stimme tief und nüchtern. So hinterließ er auf den ersten Blick einen bestimmenden Eindruck. Besser so als irgendein Quacksalber, der um den heißen Brei redet, dachte ich mir. „Der Schnelltest war nicht eindeutig. Es wurde eine geringe Zahl Grippeviren auf dem Teststreifen festgestellt, doch die Anzahl war nicht ausreichend, um mit Sicherheit eine Erkrankung nachzuweisen. Aus diesem Grund wurden Sie unter Berücksichtigung der Quarantäneauflagen für nationale Notstände hierher verlegt und weiteren Tests unterzogen. Gestern haben wir Ihnen Blut abgenommen, das Ergebnis liegt seit wenigen Minuten vor. Ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Wir konnten keine der gefährlichen Viren im Blut nachweisen, Sie sind gesund. Wir gehen davon aus, dass Sie kürzlich Kontakt mit Infizierten gehabt haben müssen, weshalb ein paar wenige inaktive Viren an Ihren Händen und der Stirn hafteten.“, erklärte mir Doc Woolsey. Schlagartig kam mir der Gedanke an meine Großeltern, die Viren mussten von der Türklinke der Schlafzimmertür stammen, was wohl alles erklären würde. Doch ich verschwieg ihm die Geschichte, wollte nicht darüber sprechen. Ich bedankte mich ganz herzlich bei ihm für die guten Neuigkeiten; innerlich fiel eine riesige Last von mir. Meiner nächsten Frage, wann ich denn hier wieder raus könne, kam er zuvor. „Sie müssen jetzt hier raus, wir brauchen jedes Bett“, schallte es mir im Befehlston entgegen. Freundlicherweise hat man über Nacht sogar meine Kleidung gewaschen und desinfiziert. Kaum war die weiße Truppe aus meinem Zimmer verschwunden, stand ich auf und wechselte das Hemdchen gegen meine eigenen, frischen Klamotten. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass ich mich mindestens im zehnten Stock befinden musste und offenbarte den Blick auf den Central Park. Der sonst so beliebte Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen war menschenleer. Ein wirklich bizarrer Anblick. Auf den Straßen noch mehr Blechlawinen, sogar Müllberge fingen an sich zu stapeln. Binnen weniger Tage wandelte sich New York von einer pulsierenden Metropole in ein zweites Detroit. Dann betrat ich den Flur. Das Hotel wurde trotz der knappen Zeit in ein voll funktionstüchtiges Krankenhaus umfunktioniert. Neben anderen erspähte ich Wegweiser beschriftet mit „Röntgen“, „OP“ und „Notaufnahme“. Letztere schien sich – wie der Ausgang - im Erdgeschoß zu befinden. Die Aufzüge waren zwar funktionstüchtig, durften aber ausschließlich vom Personal für Krankentransporte genutzt werden. Verständlich. Ich nahm also den kleinen Umweg über das Treppenhaus. Im Erdgeschoß sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Die Notaufnahme machte ihrem Namen alle Ehre. Der Boden war blutverschmiert, Verletzte schrien panisch vor Schmerzen, an jeder Ecke wurde gehustet und geschnieft, verzweifelte Angehörige saßen in einer Art provisorischen Wartezimmer, nur durch Vorhänge getrennt von den notdürftigen und alles andere als klinisch sauberen Behandlungsräumen. Im Krieg konnte es nicht schlimmer sein. Ich wurde von all dem durch eine Plexiglasscheibe abgeschirmt, welche das Foyer in zwei Hälften teilte. So wollte man scheinbar sicherstellen, dass man sich nicht anstecken konnte. An der frischen Luft angekommen, verließ ich die Quarantänezone. Es war wie erwartet bitterkalt und obwohl ich unendlich glücklich war, gesund zu sein und nach Hause zu können, sehnte ich mich irgendwie nach dem warmen Bett im Plaza. Nach einigen Schritten drehte ich mich um, sah das ehemalige Hotel in voller Pracht. Es war umhüllt von einer riesigen Plane mit einem Kreuz an der Stirnseite und „Zone B“ Schriftzügen an den Ecken. Im Abstand von etwa zehn Metern wurde eine Absperrung samt Stacheldrahtzaun errichtet; das Areal wurde vom Militär bewacht. Dann schlug auch noch das Wetter um. Ein stürmischer Wind zog durch die Häuserschluchten, riesige Schneeflocken schlugen mir ins Gesicht, während Dunstschwaden über den Kanaldeckeln aufstiegen. Trotz Schal im Gesicht war es verdammt ungemütlich, der Nachhauseweg zog sich fürchterlich in die Länge. Teilweise konnte man keine drei Häuser weit sehen, so dicht war die Wand aus Schnee. Als ich endlich meiner Haustür näher kam, konnte ich erkennen, dass irgendetwas an ihr zu kleben schien. Dann stand ich vor ihr und wollte meinen Augen nicht trauen. „POLICE LINE DO NOT CROSS“ stand auf einem gelben Band, welches am Rahmen befestigt und quer über die Tür gespannt war. Ich hatte Angst um meine Wohnung, mein Hab und Gut, allem, was mir noch geblieben war. In diesem Moment war mir die Absperrung völlig egal, ich riss das Band ab und betrat das Haus. Vorsichtig nahm ich Stufe für Stufe des Treppenhauses, stand letztlich im ersten Stock vor der Tür meines Apartments. Vom Inneren drängten mehrere Stimmen nach draußen. Mich beschlich das dumpfe Gefühl, dass meine Wohnung besetzt wurde. Auch wenn es sich als Fehler herausstellen sollte, öffnete ich ohne Nachzudenken die Tür und stürmte hinein. Ich stand drei Gestalten in verwahrlosten Klamotten gegenüber; meine Einrichtung war total verwüstet. Einer der Drei kam auf mich zu und stieß mich zu Boden. Die anderen Zwei zogen ihre Pistolen. Einer der zwei Bewaffneten stellte sich neben mich und richtete den Lauf der Waffe auf mich. Mein Herz pochte wie verrückt. Er schrie mich an, was ich hier wolle. Bevor ich eine Antwort geben konnte schallte ein lautes „Waffen weg und keine Bewegung!“ aus dem Treppenhaus. Die beiden Kerle mit ihren Waffen ließen von mir ab und zielten in Richtung Tür. In diesem Moment fielen unter ohrenbetäubenden Lärm mehrere Schüsse in schneller Abfolge. Alle drei Besetzer gingen getroffen zu Boden. Im Nu bildeten sich Blutlachen auf dem Laminat. Dann betraten zwei weitere Kerle mit Maschinengewehren meine Wohnung, sahen mich an, wahrnehmend wie gelähmt ich war. „Keine Sorge, Sir. Wir tun Ihnen nichts. Wir sind hier um zu helfen.“, sagte einer der Männer. Ich wusste nicht, wer sie waren, sie trugen keine Uniformen, lediglich einen Aufnäher auf den rechten Ärmeln ihrer Jacken mit einem Greifvogel und den Buchstaben „SHD“ sowie seltsame Uhren mit leuchtenden Ringen. Sie versuchten mich zu beruhigen, brachten mir ein Glas Wasser. Dann erklärte mir einer der Männer, dass sie Feldagenten der Strategic Homeland Division seien. Der Hauptunterschied zu anderen Nachrichtendiensten oder Organisationen bestünde darin, dass die sogenannte Division den allerletzten Ausweg darstelle. Als solcher lösen die Mitglieder der Division jeden anderen Agenten oder Regierungsangestellten im Feldeinsatz ab. Sie gehören zur ausführenden Gewalt und unterstehen allein dem Präsidenten. Es handle sich bei der SHD in Friedenszeiten um eine verdeckt operierende Organisation, deren Mitglieder in der Gesellschaft fest verankert sind, sich vorbereiten und auf die Aktivierung warten. Die Division hat die Aufgabe sicherzustellen, dass sowohl Schlüsselinfrastrukturen als auch Überlebende geschützt werden. Auf ihrem Streifzug hatten sie die verdächtigen Geräusche aus meinem Apartment gehört und sind keine Sekunde zu spät gekommen. Ich war erleichtert und zugleich erstaunt, dass solche Organisationen wirklich existieren würden. Um sicherzustellen, dass ich nicht auch ein Störenfried sei, fragten sie mich aus und wollten meine Geschichte hören. Ich erzählte den Agenten von mir und den Erlebnissen der letzten fünf Tage. Ich glaube, ich habe sie auf eine gewisse Art und Weise beeindruckt. Der größere der Beiden klopfte mir auf die Schulter und wünschte mir alles erdenklich Gute. Dankend begleitete ich die beiden Agenten bis zur Haustür. Unten angekommen boten sie mir an, sie zu begleiten. Man wäre auf der Suche nach Verstärkung und ich hätte gute Chancen der SHD beizutreten, müsse aber erst noch einige Tests und ein Training hinter mich bringen. Der Gedanke gefiel mir. Ich zögerte kurz, doch dann wurde mir bewusst, dass ich alles verloren hatte, was mir wichtig war: Meine Familie, mein Zuhause, mein Job, einfach alles. Einzig der Glaube an die Menschheit und eine bessere Zukunft war geblieben. Mit ihnen zu gehen könnte die einzige Möglichkeit sein, wirklich etwas zu bewegen, meinem Leben wieder einen Sinn zu geben. Ich wusste nicht, was mich erwarten oder welche Risiken ich eingehen würde, aber dennoch oder gerade deshalb entschied ich mich für die Division. Die alles entscheidende Frage ist: Was kostet es zu retten, was übrig bleibt? Hier beginnt meine Geschichte.
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