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Tag 3: Familie



Tag 3: Familie

Mitten in der Nacht wurde ich von Schritten geweckt. Es war stockfinster, doch an der Unterkante der Tür zu meinem Apartment sah ich einen Lichtschein, der von einer Taschenlampe stammen musste. Plötzlich waren da noch Stimmen. Ich habe kaum ein Wort verstanden, immerhin konnte ich etwas von Quarantäne und einer „Zone B“ aufschnappen. Ich war verunsichert und verkroch mich unter meiner Decke. Nach einigen Sekunden waren die Stimmen und der Lichtschein wieder verschwunden. Konzentriert hörte ich noch eine Weile in Richtung Tür, bis ich schließlich wieder in den Schlaf fiel. Am nächsten Morgen weckte mich die Kälte, die in meinem Apartment Einzug hielt. Das Feuer im Kamin ging über Nacht natürlich aus und ich fröstelte. Die allmorgendliche Dusche fiel aus gutem Grund flach, die Kombination aus eiskaltem Wasser und einer Zimmertemperatur von gefühlt unter dem Gefrierpunkt klang wenig überzeugend. Der Plan für den heutigen Tag war es, meine Großeltern aufzusuchen, zu sehen, ob es ihnen gut ging, ja, ob sie denn überhaupt noch am Leben waren. Dieser Gedanke nagte zu sehr an mir, um ihn einfach zu ignorieren. Ich musste das Risiko eingehen und machte mich mit ein wenig Proviant und möglichst warmen Klamotten auf den Weg ins Ungewisse.

Draußen herrschte ein völlig konträres Bild im Vergleich zum gestrigen Chaos. Die Straßen waren wie leergefegt. Es herrschte eine trügerische Stille. Verlassene Autos auf den Straßen, leere, geplünderte Geschäfte, brennende Mülltonnen, leichter Schneefall, zum Glück kaum Wind. Kalt war es trotzdem. In der Ferne sah ich zwei Soldaten auf der Straße patrouillieren, das Militär wurde scheinbar über Nacht eingeflogen und sollte nun für Ruhe sorgen. Über den Häusern kreisten in sicherer Entfernung ein paar Hubschrauber. Einer transportierte eine große Kiste, die an einem Seil hing. Hoffnungsvoll dachte ich spontan an den Transport von rettenden Impfstoffen, die binnen weniger Tage alles wieder ins Lot rücken und einem die grausamen Erlebnisse vergessen lassen würden. Der Realist in mir begrub diese Hoffnung jedoch schnell wieder. Plötzlich vernahm ich in der Ferne Schüsse. Vier Gestalten mit Sturmgewehren rannten auf die Soldaten zu, erschossen sie, nahmen ihre Ausrüstung und verschwanden wieder so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Reflexartig nahm ich die Beine in die Hand und versteckte mich in der nächsten Seitenstraße zwischen zwei Müllcontainern, zweifelnd an dem, was von Moral und Menschlichkeit nach nur wenigen Tagen noch übrig geblieben sein musste und erstaunt darüber, wie schnell sich die Welt doch in Richtung Verderben wandeln konnte.

Es lagen nun etwa 30 Meilen bis zum Haus meiner Großeltern vor mir. Zunächst bahnte ich mir den Weg durch zahlreiche Hinterhöfe und sorgsam gepflegte Gärten; ich kam gut voran. Je weiter ich mich vom Zentrum entfernte, desto sicherer fühlte ich mich. Auch vom Militär war hier keine Spur zu sehen. Ein paar wenige Menschen begegneten mir auf den Straßen, doch man hielt stets einen Sicherheitsabstand; niemand wollte das Risiko eingehen, sich anzustecken.

Nach zirka zwei Stunden Fußmarsch erreichte ich eine Schnellstraße, die mich direkt zu meiner Familie in die Vorstadt führen würde. Den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen wäre unmöglich an einem Tag zu schaffen, geschweige denn den Weg zurück. Glücklicherweise standen auch hier jede Menge verlassene Autos herum. Ich versuchte eines zu finden, das noch lief. Doch bei den meisten Karren wurden die Benzintanks bereits geleert. Neben Nahrung und Wasser waren Benzin und Diesel die aktuell wertvollsten Güter und damit besonders beliebt bei Plünderern. Ich wollte schon enttäuscht aufgeben, da sah ich in einer Einfahrt einen verschneiten Van stehen. Er war nicht abgeschlossen und sprang gleich nach dem zweiten Versuch an – endlich hatte ich auch mal Glück. Auf der Schnellstraße kam ich trotz einiger Hindernisse gut voran. Auf meiner Reise begegnete ich kaum anderen Menschen. Ich hatte mir vorgenommen mitzuzählen, doch weit kam ich nicht. Die magere Bilanz nach mehr als 25 zurückgelegten Meilen: Drei Autos, ein Kleinbus und ganze elf Passanten. Wo waren nur all die anderen Menschen? Verschanzt in ihren Häusern? Die letzte Meile musste ich wieder laufen, eine Straßensperre verhinderte die Weiterfahrt. Bevor ich ausstieg, warf ich noch einen Blick in das Handschuhfach und wurde einmal mehr überrascht. Ein blankpolierter Revolver lachte mich an, außerdem eine Straßenkarte von New York und Umgebung. Eigentlich bin ich strikt gegen Waffen, doch wenn die Welt scheinbar am Abgrund steht und man die Erlebnisse der letzten zwei Tage Revue passieren lässt, wirft man auch schnell das ein oder andere Prinzip über Bord. Der Revolver verschwand in meiner Jackentasche, ebenso die Karte.

Je näher ich dem Haus meiner Großeltern kam, desto stärker wurde dieses komische Gefühl, dass etwas nicht stimmen könnte. Ich machte mir wirklich große Sorgen. Die Jüngsten waren sie ja nicht mehr, aber rüstig, nicht rostig. Doch ein jeder weiß, dass bei ansteckenden Krankheiten kleine Kinder und ältere Menschen am gefährdetsten sind. Ich redete mir immer wieder ein, dass alles in Ordnung sei, versuchte positiv zu denken.

Von weitem konnte ich das Haus schon sehen, die Rollladen waren unten, das Star-Spangled Banner wehte einsam im Wind. Alles wirkte verlassen. Die Haustür des Nachbarhauses stand offen. Als ich näher kam, vernahm ich verdächtige Geräusche, die aus dem Bungalow kamen. Vorsichtig warf ich einen Blick nach drinnen, griff in die Jackentasche und hielt mich am Revolver fest. Ein jähes Poltern durchdrang die Stille, eine scheue Katze floh aus dem Haus. Vermutlich erschrak sie sich mehr als ich. Meine sich krampfhaft an den Schießprügel klammernde Hand entspannte sich langsam wieder. Einen Augenblick später stand ich dann auch schon vor der Tür meiner Großeltern. Ich war so aufgeregt wie am ersten Schultag. Mein Kopf war völlig leer. Ich klopfte an. Keine Reaktion. Ich klopfte fester. Noch immer keine Reaktion. Ich rief nach meiner Großmutter, doch das einzige was sich tat, war das Wackeln eines Vorhangs im ersten Stock des anderen Nachbarhauses. Doch auch nach einiger Zeit des Wartens und erneuten Klopfversuchen, vernahm ich noch immer keine Reaktion. Mich beschlich ein sehr mulmiges Gefühl und so wollte ich es nun durch den Garten an der Terrassentür versuchen.

Obwohl es Winter war, konnte man bereits mit einem kurzem Blick erkennen, mit wie viel Liebe und Hingabe meine Großmutter sich um den Garten kümmerte. Auch ohne Blüten oder Blattwerk konnte man die akkurat geschnittenen Formen der Hecken und Büsche problemlos erkennen. Ein paar wenige Schritte weiter, stand ich vor der Terrassentür.

Zu meinem Erstaunen war sie nicht abgeschlossen, also betrat ich vorsichtig das Haus und stand im Wohnzimmer. Es war aufgeräumt, alles befand sich an seinem Platz, ganz so wie ich es in Erinnerung hatte. Meine Suche führte mich weiter über die Küche und das Badezimmer, ohne jegliche Spur von meinen Großeltern. Ich stand nun im Flur, vor der Treppe zum ersten Stock. Ein vorsichtig nach oben gerichtetes „Hallo?“ meinerseits blieb leider unbeantwortet. Sorgenvoll und bemüht, keine unnötigen Geräusche zu verursachen, folgte ich der Treppe langsam nach oben. Mit jeder Stufe nahm das flaue Gefühl in der Magengegend zu. Eigentlich war mir schon klar, dass etwas nicht stimmen würde, doch wer möchte das in so einer Situation schon wahr haben? Angekommen im ersten Stock, stand ich vor der Tür zum Schlafzimmer. Ein leicht modriger Geruch lag in der Luft, ich machte mich auf das Schlimmste gefasst.

Vorsichtig nahm ich den Türgriff in die Hand, klopfte mit der anderen Hand leise an. Warum wusste ich selbst nicht, ich hielt es in diesem Moment einfach für richtig. Den Griff heruntergedrückt öffnete ich langsam die Tür. Als sie etwa einen halben Meter offen stand, streckte ich meinen Oberkörper durch den Spalt und lugte in den Raum. Da sah ich sie liegen, meine Großeltern, in ihrem Bett, zugedeckt und völlig regungslos. Sie waren tot, vermutlich friedlich eingeschlafen. Zumindest hoffte ich das. In jenem Moment traf mich ein tiefer Schmerz in der Brust, als würde mir jemand ein Messer mitten ins Herz rammen. Förmlich ungläubig dessen, was ich gerade gesehen hatte, verschloss ich die Tür wieder; konnte den Anblick nicht länger ertragen, wollte es nicht wahr haben. Mit Tränen in den Augen und völliger Leere im Kopf ging ich die Treppe nach unten zurück Richtung Wohnzimmer. Auf der vorletzten Stufe blieb ich stehen und setzte mich hin, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in die Hände gelegt.

Langsam fing ich an zu begreifen, dass ich nun völlig auf mich selbst gestellt war. Meine Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben. Ich war gerade mal zwei Jahre alt. Meine Großeltern waren immer für mich da, waren mein letzter familiärer Halt. Eigentlich hatte ich mir erhofft, bei Oma und Opa Unterstützung beim Durch- und vor allem Überleben dieser schwieriger Situation zu erhalten, doch nun war alle Hoffnung dahin. Den Rest des Tages verbrachte ich auf der Treppe, allein mit meinen Gedanken an meine Großeltern und vielen Tränen.

Einige Zeit später hatte ich mich ein wenig beruhigt, konnte wieder den ein oder anderen klaren Gedanken fassen. Ich wollte meinen Großeltern eine würdevolle Bestattung ermöglichen, doch in diesem Chaos samt gratis Endzeitstimmung war dies unmöglich. Daher beschloss ich sie für die nächsten Tage in ihrem Schlafzimmer ruhen zu lassen und, sobald sich die Lage einigermaßen normalisieren würde, diesen Plan wiederaufzunehmen.

Es war schon dunkel als ich die anderen Räume nach brauchbaren Utensilien durchsuchte. Wusste ich doch, dass der verbliebene Saft im Akku meines Smartphones und die installierte Taschenlampen-App für irgendetwas gut sein würden. Ich konnte einige haltbare Konserven sowie einen fast kompletten Kasten Mineralwasser in der Küche ausfindig machen. Der Plan war, diese Vorräte am nächsten Morgen mit nach Hause zu nehmen. Zwar hatte ich noch einige Vorräte übrig, doch so wie es aussah, musste ich noch länger durchhalten als anfangs erhofft. Dann lag ich mich auf die Couch, hüllte mich in mehrere warme Decken; es war verdammt kalt und ich war sicher, die Nacht über kein Auge zuzubekommen. Doch schon bald übermannte mich die Müdigkeit, die mit der Trauer kam und ich schlief doch noch ein.


 



  

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