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Friedrich Engels. Fränkische Zeit. Die Umwälzung der Grundbesitzverhältnisse unter Merowingern und Karolingern



 

Seitenzahlen verweisen auf:   Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unverä nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 474-518.
Korrektur:  
Erstellt:   18. 07. 1999

Friedrich Engels

Frä nkische Zeit

Die Umwä lzung der Grundbesitzverhä ltnisse unter Merowingern und Karolingern
Gau- und Heeresverfassung
Anmerkung: Der frä nkische Dialekt

Die Umwä lzung der Grundbesitzverhä ltnisse unter Merowingern und Karolingern

|474| Die Markverfassung blieb bis ans Ende des Mittelalters die Grundlage fast des gesamten Lebens der deutschen Nation. Nach anderthalbtausendjä hrigem Bestehn ging sie endlich allmä hlich zugrund auf rein ö konomischem Wege. Sie erlag vor den wirtschaftlichen Fortschritten, denen sie nicht lä nger entsprach. Wir werden ihren Verfall und schließ lichen Untergang spä ter zu untersuchen haben; wir werden finden, daß Reste von ihr noch heute fortbestehn.

Wenn sie aber so lange sich erhielt, so geschah dies auf Kosten ihrer politischen Bedeutung. Sie war jahrhundertelang die Form gewesen, in der die Freiheit der germanischen Stä mme sich verkö rpert hatte. Sie wurde jetzt die Grundlage tausendjä hriger Volksknechtschaft. Wie war dies mö glich?

Die ä lteste Genossenschaft, sahen wir, umfaß te das ganze Volk. Ihm gehö rte ursprü nglich alles in Besitz genommene Land. Spä ter wurde die, unter sich nä her verwandte, Gesamtheit der Bewohner eines Gaus Besitzer des von ihnen besiedelten Gebiets, und dem Volk als solchem blieb nur das Verfü gungsrecht ü ber die noch ü brigen herrenlosen Striche. Die Gaubewohnerschaft trat wieder an die einzelnen Dorfgenossenschaften - ebenfalls aus nä heren Geschlechtsverwandten gebildet - ihre Feld- und Waldmarken ab, wobei dann wieder das ü berschü ssige Land dem Gau verblieb. Ebenso die Stammdö rfer bei der Aussendung neuer, aus der alten Mark des Urdorfs mit Land ausgestatteter Dorfkolonien.

Der Blutsverband, auf dem hier wie ü berall die ganze Volksverfassung beruhte, kam mit der Vermehrung der Volkszahl und der Weiterentwicklung des Volks mehr und mehr in Vergessenheit.

Dies war der Fall zuerst mit Bezug auf die Gesamtheit des Volks. Die gemeinsame Abstammung wurde immer weniger als wirkliche Blutsverwandtschaft empfunden; die Erinnerung daran wurde immer schwä cher, |475| es blieb nur noch die gemeinsame Geschichte und Mundart. Dagegen erhielt sich das Bewuß tsein des Blutsverbandes der Gaubewohner, wie natü rlich, lä nger. Das Volk reduzierte sich damit auf eine mehr oder minder feste Konfö deration von Gauen. In diesem Zustand scheinen die Deutschen zur Zeit der Vö lkerwanderung gewesen zu sein. Von den Alamannen erzä hlt dies Ammianus Marcellinus ausdrü cklich; in den Volksrechten blickt es noch ü berall durch; bei den Sachsen bestand diese Entwicklungsstufe noch zur Zeit Karls des Groß en, bei den Friesen bis zum Untergang der friesischen Freiheit.

Aber die Wanderung auf rö mischen Boden brach auch den Blutsverband des Gaues und muß te ihn brechen. Lag auch die Ansiedlung nach Stä mmen und Geschlechtern in der Absicht, so war sie doch nicht durchzufü hren. Die langen Zü ge hatten nicht nur Stä mme und Geschlechter, sie hatten selbst ganze Vö lker durcheinandergeworfen. Nur mü hsam ließ sich noch der Blutsverband der einzelnen Dorfgenossenschaften zusammenhalten; und diese waren damit die wirklichen politischen Einheiten geworden, aus denen das Volk sich zusammensetzte. Die neuen Gaue auf rö mischem Gebiet waren schon von vornherein mehr oder weniger willkü rliche - oder durch vorgefundne Verhä ltnisse bedingte - Gerichtsbezirke oder wurden es doch sehr bald.

Damit war das Volk aufgelö st in einen Verband kleiner Dorfgenossenschaften, unter denen kein oder doch fast kein ö konomischer Zusammenhang bestand, da ja jede Mark sich selbst genü gte, ihre eignen Bedü rfnisse selbst produzierte und auß erdem die Produkte der einzelnen benachbarten Marken fast genau dieselben waren. Austausch zwischen ihnen war also ziemlich unmö glich. Und eine solche Zusammensetzung des Volks aus lauter kleinen Genossenschaften, die zwar gleiche, aber ebendeshalb keine gemeinsamen ö konomischen Interessen haben, macht eine nicht aus ihnen hervorgegangene, ihnen fremd gegenü berstehende, sie mehr und mehr ausbeutende Staatsgewalt zur Bedingung der Fortexistenz der Nation.

Die Form dieser Staatsgewalt ist wieder bedingt durch die Form, in der sich die Genossenschaften zur Zeit befinden. Da, wo - wie bei den arischen Vö lkern Asiens und bei den Russen - sie entsteht zu einer Zeit, wo die Gemeinde den Acker noch fü r Gesamtrechnung bestellt oder doch den einzelnen Familien nur auf Zeit zuweist, wo also noch kein Privateigentum am Boden sich gebildet hat, tritt die Staatsgewalt als Despotismus auf. In den von den Deutschen eroberten rö mischen Lä ndern finden wir dagegen, wie wir sahen, die einzelnen Anteile an Acker und Wiese bereits als Allod, als freies, nur den gemeinen Markverpflichtungen unterworfenes Eigentum |476| der Besitzer. Wir haben nun zu untersuchen, wie auf Grundlage dieses Allods eine Gesellschafts- und Staatsverfassung entstand, die - mit der gewö hnlichen Ironie der Geschichte - schließ lich den Staat auflö ste und in ihrer klassischen Form alles Allod vernichtete.

Mit dem Allod war nicht nur die Mö glichkeit, sondern die Notwendigkeit gegeben, daß die ursprü ngliche Gleichheit des Grundbesitzes sich in ihr Gegenteil verkehrte. Von dem Augenblick seiner Herstellung auf ehemals rö mischem Boden wurde das deutsche Allod, was das rö mische Grundeigentum, das neben ihm lag, schon lange gewesen war - Ware. Und es ist ein unerbittliches Gesetz aller auf Warenproduktion und Warenaustausch beruhenden Gesellschaften, daß in ihnen die Verteilung des Besitzes immer ungleicher, der Gegensatz von Reichtum und Armut immer grö ß er, der Besitz immer mehr in wenigen Hä nden konzentriert wird; ein Gesetz, das in der modernen kapitalistischen Produktion zwar seine volle Entwicklung erhä lt, aber keineswegs erst in ihr ü berhaupt zur Wirkung kommt. Von dem Augenblick also, wo Allod, frei verä uß erliches Grundeigentum, Grundeigentum als Ware entstand, von dem Augenblick war also die Entstehung des groß en Grundeigentums nur eine Frage der Zeit.

In der Epoche aber, mit der wir uns beschä ftigen, waren Ackerbau und Viehzucht die entscheidenden Produktionszweige. Der Grundbesitz und seine Produkte machten bei weitem den grö ß ten Teil des damaligen Reichtums aus. Was sonst von beweglichen Reichtü mern existierte, folgte der Natur der Sache nach dem Grundbesitz, fand sich mehr und mehr in denselben Hä nden zusammen wie dieser. Industrie und Handel waren schon unter dem rö mischen Verfall heruntergebracht, die deutsche Invasion vernichtete sie fast vollstä ndig. Was davon noch blieb, wurde meist von Unfreien und Fremden betrieben und blieb verachtete Beschä ftigung. Die herrschende Klasse, die hier, bei aufkommender Ungleichheit des Besitzes, sich allmä hlich bildete, konnte nur eine Klasse groß er Grundbesitzer sein, ihre politische Herrschaftsform die einer Aristokratie. Wenn wir also sehn werden, wie bei der Entstehung und Ausbildung dieser Klasse vielfach, ja scheinbar vorwiegend, politische Hebel, Gewalt und Betrug wirksam sind, so dü rfen wir darü ber nicht vergessen, daß diese politischen Hebel nur dienen zur Befö rderung und Beschleunigung eines notwendigen ö konomischen Vorgangs. Wir werden freilich ebenso hä ufig sehn, wie diese politischen Hebel die ö konomische Entwicklung hemmen; dies geschieht oft genug und jedesmal da, wo die verschiednen Beteiligten sie in entgegengesetzten oder einander durchkreuzenden Richtungen ansetzen.

Wie entstand nun diese Klasse groß er Grundbesitzer?

|477| Fü rs erste wissen wir, daß sich auch nach der frä nkischen Eroberung in Gallien eine Menge rö mischer Groß grundbesitzer forterhielten, die ihre Gü ter meist durch freie oder hö rige Hintersassen gegen Zins (Canon) bebauen ließ en.

Dann aber haben wir gesehn, wie das Kö nigtum durch die Eroberungskriege bei allen ausgezogenen Deutschen eine stä ndige Einrichtung und wirkliche Macht geworden, wie es das alte Volksland in kö nigliche Domä ne verwandelt und ebenso die rö mischen Staatslä ndereien seinem Besitz einverleibt hatte. Wä hrend der vielen Bü rgerkriege, die aus den Teilungen des Reichs entsprangen, vermehrte sich dies Krongut noch fortwä hrend durch massenhafte Einziehungen der Gü ter sogenannter Rebellen. Aber so rasch es wuchs, so rasch wurde es verschleudert in Schenkungen an die Kirche wie an Privatleute, Franken und Romanen, Gefolgsleute (Antrustionen) oder sonstige Gü nstlinge des Kö nigs. Als wä hrend und durch die Bü rgerkriege sich bereits die Anfä nge einer herrschenden Klasse von Groß en und Mä chtigen, Grundbesitzern, Beamten und Heerfü hrern gebildet, wurde auch ihr Beistand von den Teilfü rsten durch Landschenkungen erkauft. Daß dies alles in weitaus den meisten Fä llen wirkliche Schenkungen, Ü bertragungen zu freiem, erblichem und verä uß erlichem Eigentum waren, bis mit Karl Martell hierin eine Ä nderung eintrat, hat Roth unwiderleglich bewiesen (1).

Als Karl das Staatsruder ergriff, war die Macht der Kö nige vollstä ndig gebrochen, aber die der Hausmeier darum noch lange nicht an ihre Stelle gesetzt. Die unter den Merowingern auf Kosten der Krone geschaffene Klasse von Groß en begü nstigte auf jede Weise den Ruin der kö niglichen Gewalt, aber keineswegs, um sich den Hausmeiern, ihren Standesgenossen, zu unterwerfen. Im Gegenteil, ganz Gallien war in der Hand, wie Einhard sagt. dieser " Tyrannen, die ü berall die Herrschaft in Anspruch nahmen" (tyrannos per totam Galliam dominatum sibi vindicantes). Neben den weltlichen Groß en geschah dies auch von den Bischö fen, die in vielen Gegenden sich die Herrschaft ü ber umliegende Grafschaften und Herzogtü mer angeeignet hatten und durch Immunitä t wie durch feste Organisation der Kirche geschü tzt wurden. Dem innern Zerfall des Reichs folgten Einfä lle des ä uß ern Feindes; die Sachsen drangen in das rheinische Franken, die Avaren nach Bayern, die Araber ü ber die Pyrenä en nach Aquitanien. In solcher Lage konnte einfache Niederwerfung der inneren, Vertreibung der |478| ä uß ern Feinde nicht auf die Dauer helfen; es muß te ein Weg gefunden werden, die gedemü tigten Groß en oder die von Karl an ihre Stelle gesetzten Nachfolger fester an die Krone zu binden. Und da ihre bisherige Macht auf dem Groß grundbesitz beruht hatte, war erste Bedingung hierzu eine totale Umwä lzung der Grundbesitzverhä ltnisse. Diese Umwä lzung ist das Hauptwerk der karolingischen Dynastie. Sie zeichnet sich wieder dadurch aus, daß das Mittel, gewä hlt, das Reich zu einigen, die Groß en auf immer an die Krone zu binden und diese dadurch zu stä rken, schließ lich bewirkt die vollstä ndigste Machtlosigkeit der Krone, die Unabhä ngigkeit der Groß en und den Zerfall des Reichs.

Um zu verstehn, wie Karl dazu kam, dies Mittel zu wä hlen, mü ssen wir vorher die Besitzverhä ltnisse der Kirche zu jener Zeit untersuchen, die ohnehin als wesentliches Element der damaligen Agrarverhä ltnisse hier nicht zu ü bergehn sind.

Schon zur Rö merzeit hatte die Kirche in Gallien nicht unbedeutenden Grundbesitz, dessen Erträ ge durch groß e Privilegien in Beziehung auf Steuern und andre Leistungen noch gesteigert wurden. Nach der Bekehrung der Franken zum Christentum jedoch brach erst die goldene Zeit fü r die gallische Kirche an. Die Kö nige wetteiferten unter sich, wer der Kirche die meisten Schenkungen an Land, Geld, Kleinodien, Kirchengerä t etc. machen wü rde. Schon Chilperich pflegte (Gregor von Tours) zu sagen:

" Seht, wie arm unser Fiskus geworden, seht, wie alle unsere Reichtü mer der Kirche ü berwiesen sind. "

Unter Guntram, dem Liebling und Knecht der Pfaffen, hatten die Schenkungen keine Grenzen mehr. So floß dann der eingezogne Grundbesitz freier Franken, die der Rebellion bezichtigt, groß enteils in den Besitz der Kirche.

Wie die Kö nige, so das Volk. Kleine wie Groß e konnten der Kirche nicht genug schenken.

" Eine wunderbare Heilung von einem wirklichen oder vermeinten Ü bel, die Erfü llung eines sehnlichen Wunsches, z. B. die Geburt eines Sohnes, die Rettung aus einer Gefahr, trug der Kirche, deren Heiliger sich hü lfreich gezeigt hatte, eine Schenkung ein. Es wurde fü r um so notwendiger erachtet, die Hand immer offenzuhalten, als bei Hohen und Niederen die Meinung verbreitet war, daß Schenkungen an die Kirche Vergebung der Sü nden bewirkten. " (Roth, S. 250. )

Dazu kam die Immunitä t, die das Eigentum der Kirche vor Vergewaltigung schü tzte zu einer Zeit unaufhö rlicher Bü rgerkriege, Plü nderungen, Konfiskationen. Mancher kleine Mann fand es angebracht, sein Eigentum der Kirche abzutreten, wenn ihm dessen Nieß brauch gegen mä ß igen Zins verblieb.

|479| Alles das indes genü gte den frommen Pfaffen noch nicht. Durch Drohungen mit ewiger Hö llenstrafe erpreß ten sie fö rmlich immer ausgedehntere Schenkungen, so daß Karl der Groß e noch 811 im Aachener Kapitular ihnen dies vorwirft und auß erdem, daß sie die Leute

" zu Meineid und falschem Zeugnis verfü hren, um euren Reichtum (der Bischö fe und Ä bte) zu mehren".

Ungesetzliche Schenkungen wurden erschlichen im Vertrauen darauf, daß die Kirche, auß er ihrem privilegierten Gerichtsstand, noch Mittel genug besitze, der Justiz eine Nase zu drehn. Es verging im 6. und 7. Jahrhundert kaum ein gallisches Konzil, das nicht alle und jede Anfechtung von Schenkungen an die Kirche mit Kirchenbann bedrohte. Selbst formell ungü ltige Schenkungen sollten auf diesem Wege in gü ltige verwandelt, die Privatschulden einzelner Geistlichen vor Eintreibung geschü tzt werden.

" Wirklich verä chtlich sind die Mittel, die wir anwenden sehn, um die Lust zu Schenkungen immer von neuem zu erwecken. Zogen die Schilderungen der himmlischen Seligkeiten und hö llischen Qualen nicht mehr, so ließ man aus entfernten Gegenden Reliquien kommen, hielt Translationes und baute neue Kirchen; es war dies im 9. Jahrhundert ein fö rmlicher Geschä ftszweig. " (Roth, S. 254. ) " Als die Abgesandten des Klosters St. Medard von Soissons in Rom mit groß er Mü he den Kö rper des Heiligen Sebastian erbettelt und den des Gregorius dazu gestohlen hatten und beide nun in dem Kloster niedergelegt waren, liefen so viele Leute zu den neuen Heiligen, daß die Gegend wie mit Heuschrecken besä t war und die Hü lfesuchenden nicht einzeln, sondern in ganzen Herden geheilt wurden. Die Folge war, daß die Mö nche das Geld in Scheffeln maß en, deren sie 85 zä hlten, und daß sich ihr Vorrat an Gold auf 900 Pfund belief. " (S. 255. )

Betrug, Taschenspielerstü cke, Erscheinungen Verstorbener, besonders Heiliger, dienten zur Erschwindelung von Reichtü mern fü r die Kirche, endlich aber auch und hauptsä chlich - Urkundenfä lschung. Diese wurde - wir lassen wieder Roth sprechen -

" von vielen Geistlichen in groß artigem Maß stab betrieben... es begann dies Geschä ft schon sehr frü h... In welcher Ausdehnung dies Gewerbe betrieben wurde, ergibt sich aus der groß en Zahl gefä lschter Dokumente, welche unsre Sammlungen enthalten. Unter den 360 merowingischen Diplomen bei Bré quigny sind ungefä hr 130 entschieden falsch... Das falsche Testament des Remigius wurde schon von Hinkmar von Reims dazu angewandt, seiner Kirche eine Reihe von Besitzungen zu verschaffen, von denen das echte nichts sagt, obwohl das letztere nie verloren war und Hinkmar die Unechtheit des ersteren recht gut kannte. " Selbst Papst Johann VIII. suchte " den Besitz des Klosters St. Denis bei Paris durch eine ihm als falsch bekannte Urkunde zu erwerben". (Roth, S. 256 ff. )

|480| So kann es uns nicht wundern, wenn der durch Schenkung, Erpressung, Erschleichung, Prellerei, Fä lschung und andre Zuchthausindustrien zusammengeraffte Grundbesitz der Kirche in wenigen Jahrhunderten ganz kolossale Verhä ltnisse annahm. Das Kloster Saint-Germain-des-Pré s, jetzt im Umfang von Paris, hatte zu Anrang des 9. Jahrhunderts einen Grundbesitz von 8. 000 Mansi oder Hufen, deren Flä cheninhalt Gué rard auf 429. 987 Hektar mit einem Jahresertrag von 1 Mill. frs. = 800. 000 Mark berechnet. Legen wir denselben Durchschnitt von 54 Hektar Flä che und 125 frs. = 100 Mark Einkommen fü r die Hufe zugrunde, so hatten um dieselbe Zeit die Klö ster St. Denis, Luxeuil, St. Martin von Tours jedes bei 15. 000 Mansi einen Grundbesitz von 810. 000 Hektar und ein Einkommen von 11/2 Mill. Mark. Und dies war nach der Konfiskation des Kirchenguts durch Pippin den Kleinen! Das gesamte Kirchengut in Gallien zu Ende des 7. Jahrhunderts schä tzt Roth (S. 249) eher ü ber, als unter ein Drittel der Gesamtflä che.

Diese ungeheuren Gü termassen wurden bebaut teils von unfreien, teils aber auch von freien Hintersassen der Kirche. Von den Unfreien waren die Sklaven (servi) ursprü nglich ungemessenen Leistungen an ihre Herrn unterworfen, da sie keine Rechtspersonen waren; es scheint aber auch hier fü r ansä ssige Sklaven bald ein gewohnheitsmä ß iges Maß von Abgaben und Diensten hergestellt. Die Leistungen der ü brigen beiden unfreien Klassen, der Kolonen und Liten (ü ber deren rechtlichen Unterschied zu jener Zeit keine Nachricht vorliegt), waren, dagegen festgesetzt und bestanden in gewissen Hand- und Spanndiensten sowie in einem bestimmten Teil des Gutsertrags. Es waren dies Abhä ngigkeitsverhä ltnisse lä ngst hergebrachter Art. Dagegen war es fü r Deutsche etwas Neues, daß freie Mä nner auf anderm als gemeinem oder ihrem eignen Boden saß en. Freilich fanden die Deutschen in Gallien und ü berhaupt im Gebiet des rö mischen Rechts oft genug freie Rö mer als Pä chter; daß sie aber selbst nicht Pä chter zu werden brauchten, sondern auf eignem Land sitzen konnten, dafü r war bei der Landnahme gesorgt. Ehe also freie Franken Hintersassen irgend jemandes werden konnten, muß ten sie ihr bei der Landnahme erhaltenes Allod auf irgendeine Weise verloren, muß te sich eine eigne Klasse landloser freier Franken gebildet haben.

Diese Klasse bildete sich durch die beginnende Konzentration des Grundbesitzes, durch dieselben Ursachen, aus denen diese hervorging; einerseits durch die Bü rgerkriege und Konfiskationen, andrerseits durch die groß enteils dem Drang der Zeitumstä nde, dem Verlangen nach Sicherheit geschuldeten Ü bertragungen von Land an die Kirche. Und die Kirche fand |481| bald noch ein besonderes Mittel, solche Ü bertragungen zu befö rdern, indem sie dem Schenker nicht nur sein Gut zu Nieß brauch gegen Zins ließ, sondern ihm auch noch ein Stü ck Kirchengut dazu in Zins gab. Diese Schenkungen geschahen nä mlich in doppelter Form. Entweder behielt der Schenker sich den Nieß brauch des Guts auf Lebenszeit vor, so daß es erst nach seinem Tode ins Eigentum der Kirche ü berging (donatio post obitum); in diesem Fall war es ü blich und wurde spä ter in den Kapitularien der Kö nige ausdrü cklich festgesetzt, daß der Schenker von der Kirche das Doppelte des geschenkten Guts zu Zins verliehen erhalte. Oder die Schenkung wurde gleich wirksam (cessio a die praesente), und dann erhielt der Schenker das Dreifache an Kirchengut nebst seinem eignen Gut zu Zins vermittelst einer sog. Prekaria, eines von der Kirche ausgestellten Dokuments, das ihm diese Grundstü cke, meist auf Lebenszeit, manchmal aber auch auf lä ngere oder kü rzere Zeit, ü bertrug. Die Klasse landloser Freien einmal geschaffen, traten auch manche von diesen in ein solches Verhä ltnis; die ihnen bewilligten Prekarien scheinen anfangs meist auf 5 Jahre ausgestellt gewesen zu sein, wurden aber auch hier bald lebenslä nglich.

Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß schon zur Merowingerzeit sich auf den Gü tern der weltlichen Groß en ganz ä hnliche Verhä ltnisse herausbildeten wie auf dem Kirchengut, daß also auch dort neben unfreien freie Hintersassen zu Zins angesiedelt waren. Sie mü ssen sogar unter Karl Martell schon sehr zahlreich gewesen sein, weil sonst die durch ihn begonnene, von seinem Sohn und Enkel vollendete Umwä lzung der Grundbesitzverhä ltnisse wenigstens nach einer Seite hin unerklä rlich blieb.

Diese Umwä lzung beruht in ihrer Grundlage auf zwei neuen Einrichtungen. Erstens wurde, um die Groß en des Reichs an die Krone zu fesseln, von nun an das Krongut ihnen in der Regel nicht mehr geschenkt, sondern nur noch lebenslä nglich, als " beneficium", verliehen, und dies unter bestimmten, bei Strafe der Einziehung einzuhaltenden Bedingungen. Sie wurden auf diese Weise selbst Hintersassen der Krone. Und zweitens, um die Gestellung der freien Hintersassen der Groß en zum Kriegsdienst zu sichern, wurde diesen ein Teil der Amtsbefugnisse des Gaugrafen ü ber die auf ihren Gü tern angesiedelten Freien ü bertragen, sie zu " Senioren" ü ber diese ernannt. Von diesen beiden Ä nderungen haben wir hier vorlä ufig nur die erste zu betrachten.

Bei der Unterwerfung der rebellischen kleinen " Tyrannen" wird Karl - die Nachrichten fehlen - nach alter Sitte ihren Grundbesitz eingezogen, ihnen aber, soweit er sie nachher in Amt und Wü rden wieder einsetzte, denselben ganz oder teilweise als Benefizium neu verliehen haben. Mit dem |482| Kirchengut der widerspenstigen Bischö fe wagte er noch nicht so zu verfahren; er entsetzte sie und gab ihre Stellen an ihm ergebne Leute, von denen freilich mancher vom Geistlichen nichts als die Tonsur hatte (sola tonsura clericus). Diese neuen Bischö fe und Ä bte fingen jetzt an, auf sein Geheiß groß e Striche des Kirchenguts an Laien zu Prekarien zu ü bertragen; das war schon frü her nicht ohne Beispiel, geschah aber jetzt massenhaft. Sein Sohn Pippin ging bedeutend weiter. Die Kirche war verfallen, die Geistlichkeit verachtet, der Papst von den Langobarden bedrä ngt, allein auf die Hü lfe Pippins angewiesen. Dieser half dem Papst, begü nstigte die Ausdehnung seiner kirchlichen Herrschaft, hielt ihm den Steigbü gel. Aber er machte sich bezahlt, indem er den weitaus grö ß ten Teil des Kirchenguts dem Krongut einverleibte und den Bischö fen und Klö stern nur das zu ihrem Unterhalt Nö tige ließ. Diese erste Sä kularisation auf groß em Maß stab ließ sich die Kirche widerstandslos gefallen, die Synode von Lestines bestä tigte sie, zwar mit beschrä nkender Klausel, die indes nie eingehalten wurde. Diese gewaltige Gü termasse stellte das erschö pfte Krongut wieder auf einen respektablen Fuß und diente groß enteils zu weiteren Verleihungen, die tatsä chlich bald die Form gewö hnlicher Benefizien annahmen.

Fü gen wir hier ein, daß die Kirche sich recht bald von diesem Schlag zu erholen wuß te. Kaum war die Auseinandersetzung mit Pippin erfolgt, so begannen die braven Mä nner Gottes die alten Praktiken wieder. Die Schenkungen regneten wieder von allen Seiten, die kleinen freien Bauern waren fortwä hrend in derselben, schlimmen Lage zwischen Hammer und Amboß wie seit 200 Jahren; unter Karl dem Groß en und seinen Nachfolgern ging es ihnen noch weit schlechter, und viele begaben sich mit Haus und Hof unter den Schutz des Krummstabs. Die Kö nige gaben bevorzugten Klö stern einen Teil des Raubs zurü ck, andern, besonders in Deutschland, schenkten sie enorme Striche Kronland; unter Ludwig dem Frommen schienen die gesegneten Zeiten Guntrams fü r die Kirche wiedergekehrt. Die Archive der Klö ster sind besonders reich an Schenkungen aus dem neunten Jahrhundert.

Das Benefizium, diese neue Institution, die wir jetzt nä her zu untersuchen haben, war noch nicht das spä tere Lehen, wohl aber sein Keim. Es war von vornherein ü bertragen fü r die gemeinsame Lebenszeit sowohl des Verleihers wie des Empfä ngers. Starb der eine oder der andre, so fiel es dem Eigentü mer oder dessen Erben wieder zu. Zur Erneuerung des bisherigen Verhä ltnisses muß te eine neue Ü bertragung an den Empfä nger oder dessen Erben stattfinden. Das Benefizium war also, in der spä teren Ausdrucksweise, dem Thronfall wie dem Heimfall unterworfen. Der Thronfall kam bald |483| auß er Anwendung; die groß en Benefiziare wurden eben mä chtiger als der Kö nig. Der Heimfall fü hrte schon frü h nicht selten die Weiterverleihung des Guts an den Erben des vorigen Benefiziars mit sich. Ein Gut Patriciacum (Percy) bei Autun, von Karl Martell dem Hildebrannus als Benefiz verliehen, blieb in der Familie von Vater auf Sohn durch vier Generationen, bis der Kö nig es 839 dem Bruder des vierten Benefiziars als volles Eigentum schenkt. Andre Beispiele sind seit Mitte des 8. Jahrhunderts nicht selten.

Das Benefizium konnte vom Verleiher eingezogen werden in allen Fä llen, wo ü berhaupt Vermö genskonfiskation verwirkt war. Und diese Fä lle gab es auch unter den Karolingern genug und ü bergenug. Die Aufstä nde in Alamannien unter Pippin dem Kleinen, die Verschwö rung der Thü ringer, die wiederholten Aufstä nde der Sachsen fü hrten zu immer neuen Einziehungen, sei es von freiem Bauernland, sei es von Gü tern und Benefizien der Groß en. Dasselbe war der Fall, allen entgegenstehenden Vertragsbestimmungen zum Trotz, wä hrend der innern Kriege unter Ludwig dem Frommen und seinen Sö hnen. Auch gewisse nichtpolitische Verbrechen zogen Konfiskationen nach sich.

Ferner konnten die Benefizien von der Krone eingezogen werden, wenn der Benefiziar seine allgemeinen Untertanenpflichten vernachlä ssigte, z. B. den Rä uber aus der Immunitä t nicht ausliefert, seinen Harnisch nicht zum Feldzug bringt, kö nigliche Briefe nicht respektiert etc.

Dann aber waren die Benefizien ü bertragen unter besonderen Bedingungen, deren Bruch die Einziehung nach sich zog, von der dann selbstredend das ü brige Vermö gen des Benefiziars nicht betroffen wurde. So z. B., wenn ehemalige Kirchengü ter verliehen waren und der Benefiziar vernachlä ssigte, die darauf haftenden Abgaben an die Kirche (nonae et decimae) zu entrichten. So, wenn er das Gut verkommen ließ, in welchem Fall gewö hnlich erst ein einjä hriger Warnungstermin gesetzt wurde, damit der Benefiziar sich durch Aufbesserung vor der sonst eintretenden Konfiskation schü tzen kö nne etc. Ferner konnte auch die Ü bertragung des Guts an bestimmte Dienstverrichtungen geknü pft sein und wurde es in der Tat mehr und mehr in dem Maß, als sich das Benefizium zum eigentlichen Lehen fortentwickelte. Aber ursprü nglich war dies durchaus nicht nö tig; am wenigsten, was Kriegsdienst betrifft; eine Menge Benefizien wurde an niedre Geistliche, an Mö nche, an geistliche und weltliche Frauen verliehn.

Endlich ist keineswegs ausgeschlossen, daß die Krone anfangs auch Lä ndereien auf Widerruf oder auf bestimmte Zeit, also als Prekarien, verliehen habe. Einzelne Nachrichten und der Vorgang der Kirche machen es |484| wahrscheinlich. Doch hö rte dies jedenfalls bald auf, da die Verleihung auf Benefiziar Bedingungen im 9. Jahrhundert die allgemeine wurde.

Die Kirche nä mlich - und von den groß en Grundbesitzern und Benefiziaren mü ssen wir dasselbe annehmen - die Kirche, die frü her ihren freien Hintersassen Gü ter meist nur als Prekarien auf Zeit ü bertragen hatte, muß te dem von der Krone gegebnen Impuls folgen. Nicht nur fing sie an, auch Benefizien zu verleihen, diese Verleihungsweise wurde sogar so vorherrschend, daß die schon bestehenden Prekarien lebenslä nglich werden, unmerklich die Natur des Benefiziums annehmen, bis im 9. Jahrhundert die erstere fast ganz in das letztere aufgeht. In der letzten Hä lfte des 9. Jahrhunderts mü ssen die Benefiziare der Kirche und ebenso die der weltlichen Groß en schon eine wichtige Stellung im Staat angenommen haben; manche davon mü ssen Leute von bedeutendem Besitz, Grü nder des spä teren niederen Adels gewesen sein. Sonst hä tte sich Karl der Kahle wohl nicht so lebhaft derer angenommen, denen Hinkmar von Laon ihre Benefizien ohne Grund genommen hatte.

Wir sehn, das Benefizium hat schon manche Seiten, die sich im entwickelten Lehen wiederfinden. Beiden ist gemeinsam Thronfall wie Heimfall. Wie das Lehen ist das Benefizium nur unter bestimmten Bedingungen der Einziehung unterworfen. In der durch die Benefizien geschaffenen gesellschaftlichen Hierarchie, die von der Krone durch die groß en Benefiziare -Vorgä nger der Reichsfü rsten - zu den mittleren Benefiziaren - dem spä teren Adel - und von diesen zu freien und unfreien, weitaus grö ß ten Teils im Markverband lebenden Bauern hinabsteigt, sehn wir die Grundlage der spä teren geschlossenen Feudalhierarchie. Wenn das spä tere Lehnsgut unter allen Umstä nden ein Dienstgut ist und zum Kriegsdienst fü r den Lehnsherrn verpflichtet, so ist letzteres zwar beim Benefizium noch nicht der Fall und ersteres durchaus nicht notwendig. Aber die Tendenz des Benefiziums, Dienstgut zu werden, ist bereits unverkennbar vorhanden und erhä lt im 9. Jahrhundert mehr und mehr Spielraum; und in demselben Maß, wie sie sich frei entfaltet, entwickelt sich auch das Benefizium zum Lehen.

Bei dieser Entwicklung wirkt aber noch ein zweiter Hebel mit: die Verä nderung, die Gau- und Heeresverfassung erst unter dem Einfluß des groß en Grundeigentums erfuhr und spä ter unter dem der groß en Benefizien, in die das frü here groß e Grundeigentum sich mehr und mehr verwandelt hatte infolge der unaufhö rlichen inneren Kriege und der damit verknü pften Konfiskationen und Wiederverleihungen.

Es ist begreiflich, daß in diesem Kapitel die Rede ist nur von dem Benefizium in seiner reinen, klassischen Gestalt, in der es allerdings nur |485| eine verschwindende, nicht einmal ü berall gleichzeitig auftretende Form war. Aber solche historische Erscheinungsformen ö konomischer Verhä ltnisse versteht man nur, wenn man sie in dieser ihrer Reinheit erfaß t, und diese klassische Gestalt des Benefiziums aus all den wirren Anhä ngseln herausgeschä lt zu haben, ist eins der Hauptverdienste von Roth.



  

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