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Martin Mosebachs Roman Krass (2021 im Rowohlt Verlag, Hamburg, erschienen) als Intertextualität zu Werken von Thomas Mann und Ivan Bunin.



Holger Rudloff


Der Bü chner-Preisträ ger Martin Mosebach entwirft in seinem Roman Krass (2021) eine Fabel, die schon durch die Hauptfigur, den Groß industriellen Herrn Krass, eng mit dem Herrn aus San Francisco (Ivan Bunin) verbunden ist. Eine Reihe von Themen und Motiven verbindet die Figuren, die besonders dann zusammenrü cken, wenn man Mosebachs Affinitä t zum Werk Thomas Manns berü cksichtigt. Wä hrend die Kritik bisher einige Bezü ge zu Thomas Mann eher postuliert als bewiesen hat, ist die Verbindung zu Bunin noch nicht thematisiert worden.

Um die Beziehung des Romans Krass zu Bunins Gospodin iz San-Francisko (Erstausgabe 1915, dt. Ü bersetzung 1922) und zu Buddenbrooks zu diskutieren, bietet es sich an, die folgenden Fragen zu stellen:


1. Wovon erzä hlt Martin Mosebachs Roman Krass?

In aller Kü rze: Die drei Teile des Romans spielen in drei Zeiten und drei Lä ndern, 1988 in Neapel, 1989 in der franzö sischen Provinz, 2008 in Kairo. Im ersten Teil des Romans feiert Ralph Krass, ein ebenso undurchsichtiger wie windiger Machtmensch, Waffenhä ndler und dubioser Geschä ftsmann, in Neapel und auf Capri ü berschwä ngliche Festgelage, bei denen er einen Tross von angeheuerten Bewunderern um sich sammelt. Als ein Great Gatsby der erzä hlten Zeit des Jahres 1988 hä lt er seine zusammengewü rfelten Claqueure mit Champagnerströ men und Delikatessen bei Laune. Den Kontakt zur Realitä t hat ein promovierter Jungakademiker herzustellen, der bereits durch seinen Namen Dr. Jü ngel ü berdeutlich als ein nur bedingt ernst zu nehmendes Faktotum ausgewiesen ist. Als Diener seines Herren hat er einen stets prallgefü llten Geldkoffer mitzufü hren, um aus diesem Fü llhorn das Bezahlen von Hotel- und Restaurantrechnungen, die Buchungen von Events, von Museumsbesuchen oder Spritztouren zu bestreiten. Zum bevorzugten Ausflugsziel gehö rt das ausdrü cklich genannte Luxushotel Quisisana. In deren Nä he beabsichtigt Krass, eine reprä sentative Villa zu erwerben. Wie eine Villa so mö chte er auch eine junge Frau kaufen, um sie seinem Wanderzirkus beizufü gen. Es ist die junge belgische Abenteurerin Lidewine Schoonemarker, die als Assistentin eines Zauberers durch die Weltgeschichte tingelt. Sie soll, abgesichert durch einen von Dr. Jü ngel ausgehandelten Vertrag, der die zwischenmenschlichen Beziehungen mit dem Meister regelt, gebunden werden. Doch Krass, der sonst die Puppen tanzen lä sst, muss erleben, dass die libertinä re Lidewine vertragsbrü chig wird. Daraufhin lö st sich die Gesellschaft im Eklat auf. Aus ist es mit den luxuriö sen Amusements, Gelagen und Bootstouren nach Capri. Im zweiten Teil des Romans, die erzä hlte Zeit ist das Jahr 1989, zieht sich Dr. Jü ngel in die franzö sische Provinz zurü ck, um hier das Vergangene gedanklich zu ordnen, bzw. um es dann schließ lich allegorisch zu erfassen. Im dritten Teil folgt die Geschichte eines Niedergangs. Im Jahr 2008 kommt es in Kairo zu einem unverhofften Wiedersehen zwischen dem mitunter vö llig heruntergekommenen Ralph Krass und seinen ehemaligen Untergebenen Dr. Jü ngel und Lidewine Schoonemarker. Finanziell ruiniert, abgeschoben in ein Armenhaus, bricht der nun Mittellose zusammen. Nicht einmal ein Grab erinnert an ihn auf dem Friedhof der Totenhä user, sodass er in „das Heer der Namenlosen" (K, 524)[1] entschwindet. Bereits diese Thematik, ist in Bunins Novelle im ersten Satz vorgezeichnet. Vom Herrn aus San Francisco liest man: „[... ] an seinen Namen erinnerte sich sowohl in Neapel als auch auf Capri niemand [... ]. " (SF, 9)[2]


2. Lassen sich ü ber den Bezug zum Werk Thomas Manns Relationen zu Ivan Bunins Meisternovelle herstellen?

These: Der Roman Krass ist durch die Raumgestaltung mit Bunins Herr aus San Francisco verbunden.

Ein besonderer Ort der Handlung ist bereits bei Thomas Mann zu finden. Ivan Bunins Figur logiert in einem Luxushotel auf Capri, das Quisisana. Hier feiert auch Ralph Krass, der Machtmensch und Waffenhä ndler seine ü berschwä nglichen Festgelage. Auch Christian Buddenbrook sucht wiederholt eine ganz bestimmte Herberge namens Quisisana in seiner Heimatstadt auf. Das Grand Hotel Quisisana gehö rt sowohl in der Entstehungszeit in Thomas Manns Romanen als auch in der Gegenwart zur absoluten Topadresse des exquisiten Italienurlaubs. Unternimmt man eine Internetrecherche zu Mosebachs Roman, so sind die dort zu findenden Rezensionen der Printmedien - wie heutzutage ü blich - am Textrand mit Werbeanzeigen ausgestattet. Wer sich im Internet ü ber die Rezeption des Romans informiert, stö ß t auf Sonderangebote deutscher und internationaler Reiseveranstalter, die das Grand Hotel Quisisana anpreisen. Offenbar hat es sich in der Werbebranche herumgesprochen, dass der Krass-Roman in der genannten Luxusherberge spielt. Das hat den Vorteil, Informationen ü ber das Quisisana zu bekommen: Das Grand Hotel wurde 1885 als Sanatorium gegrü ndet. Ab 1861 existiert es als Luxusunterkunft mit 148 Zimmern, 3 Restaurants und 8 Konferenzrä umen. Adel, gehobenes Bü rgertum und Kü nstler haben sich hier schon immer ein Stelldichein gegeben. Auf der Gä steliste stehen neben Maxim Gorki, Oscar Wilde oder Jean Paul Satre auch der Sä nger Sting.

       In den Buddenbrooks trä gt sich Christian Buddenbrook regelmä ß ig in die Gä steliste des Hotels Quisisana in seiner norddeutschen Heimatstadt ein. Er besucht eine „kleine, grü nbewachsene und behaglich ausgestatte Villa [... ], die von einer noch jungen und auß erordentlich hü bschen Dame unbestimmter Herkunft ganz allein bewohnt ward. " (GKFA 1. 1, 487)[3] Ü ber jenes Etablissement erfä hrt man zudem:

Ü ber der Hausthü r prangte in zierlich vergoldeten Buchstaben das Wort: > > Quisisana< <, und in der ganzen Stadt war das friedliche Hä uschen bekannt unter diesem Namen, den man ü brigens mit sehr weichen S-und sehr getrü bten A-Lauten sprach. (Ebd. )

Alles, was mit dem Hotel Quisisana zu tun hat, gehö rt zu den erfolgreichen Episoden im Leben Christians; er „hatte sich Zutritt verschafft im Quisisana, und er hatte dort auf nä mliche Art reü ssiert wie zu Hamburg bei Aline Puvogel und bei ä hnlichen Gelegenheiten in London, in Valparaiso und an so vielen anderen Punkten der Erde. " (Ebd. ) Hier, in der Atmosphä re des Quisisana, die von Lü beck ü ber Hamburg, London, Valparaiso bis ans Ende der Erde reicht, erweist sich Christian als Kosmopolit mit besonderen Fä higkeiten.


3. Gibt es ein zentrales Thema, das Mosebachs Roman Krass mit Bunins Novelle vergleichbar macht?

These: Sowohl Ivan Bunins Novelle als auch Mosebachs Roman erzä hlen von Verträ gen ü ber gekaufte Gefü hle.

Der Roman Krass beginnt mit dem Auftritt eines Zauberers, dem eine „junge Frau" als Assistentin zur Hand geht. Ü ber sie liest man Vielversprechendes: „Alles an ihr war betrachtenswert [... ]. " (K, 13) Um die Frau ihrem bisherigen Arbeitgeber abspenstig zu machen, erteilt Krass dem Dr. Jü ngel „eine besondere Aufgabe". (K, 61) Jener habe ihr den „folgenden Vorschlag zu unterbreiten:

       Sie zieht hier ins Hotel, in eine eigene Suite. Sie wird neu eingekleidet. Diese Bluse will ich nicht mehr        sehen. Sie nimmt an unserem Programm teil, sie ist mir zugeordnet. Es wird keinesfalls Intimitä ten        zwischen ihr und mir geben; sie hat in dieser Hinsicht weder Erwartungen zu hegen, noch hat sie in dieser Richtung Initiativen zu ergreifen. Eine Bedingung: Sie unterhä lt wä hrend der Zeit unseres   Zusammenseins keine andere intime Beziehung. [... ] wenn sie in den nä chsten zehn Tagen mit einem anderen Mann ertappt werde, fliege sie sofort hinaus, auch ihr Honoraranspruch verfalle dann. (K, 62)

Ihr Honorar solle „das Dreifache" (K, 63) von dem des Dr. Jü ngel betragen. Was als „Vorschlag" (K, 62) beginnt, soll zu einer Art von Vertrag werden, der die Bedingungen seiner Auflö sung impliziert. Denn „im Fall des Vertragsbruchs", so Krass, seien alle erhaltenen „Geschenke [... ] natü rlich zurü ckzugeben". (K, 63) Lidewine akzeptiert die fü r sie „ungewö hnlichen Bedingungen" (K, 71), die der Erzä hler eulenspieglerisch als „neue Regelung ihrer Beziehung" (K, 77) kommentiert.

Trotz hoffnungsfrohen Beginns mit neuer Ausstaffage von Garderobe und Schmuck, mit zahlreichen Besuchen in Museen, Hotels, Bars und Restaurants, mit Bootstouren und Villenbesichtigungen, geht die Sache schief. Ausgerechnet der als Zwischenhä ndler der Liason auftretende Dr. Jü ngel verpetzt den nä chtlichen Besuch eines Kellners mit „schwarze[m] reichgelockte[n] Haar" im Schlafzimmer der attraktiven Belgierin an seinen Auftraggeber: „Mademoiselle hat den Packt gebrochen. " (K, 186) Ü ber die „Folgen ihres Vertragsbruchs" befindet Krass unverzü glich:

       Sie wird das Hotel innerhalb einer Stunde verlassen. Hä ndigen Sie ihr fü nfhundert Dollar fü r die Reise        aus. Kleider darf sie behalten, der Schmuck ist zurü ckzugeben. (K. 187)

Wie sehr ein Vertrag ü ber gekaufte und falsche Gefü hle in Ivan Bunins Novelle vorgezeichnet ist, lä sst sich anhand eines gekauften Liebespaares darstellen. Auf dem Ozeandampfer auf dem der Herr aus San Francisco nach Italien reist, tanzt ein gekauftes Liebespaar auf den abendlichen Bä llen:

       [... ] da war ein elegantes Liebespaar, dem alle Blicke voll Neugier folgten, und das sein Glü ck nicht        verbarg: „er" tanze nur mit ihr, sang - und zwar mit groß em Kö nnen - nur, wenn „sie" begleitete, und        alles an ihnen wirkte so bezaubernd, daß einzig der Kapitä n wuß te, daß diese beiden vom Lloyd        angestellt waren, um fü r gutes Geld Liebespaar zu spielen, und schon lange, bald auf diesem, bald auf        jenem Schiff herumschwammen. (SF, 17)

Das simulierte Gehabe des Tanzpaars basiert auf der vereinbarten Geheimhaltung ihres Rollenspiels. Es ist von Beginn an nur eine erlogene und vorgespielte Romanze fü r Schaulustige. Am Ende der Erzä hlung greift Bunins Erzä hler noch einmal auf beide Figuren zurü ck. Er nennt sie das „biegsam bezahlte Liebespaar" bestehend aus dem „sü ndig-sittsame[n], liebliche[n] junge[n] Mä dchen mit den gesenkten Wimpern und der unschuldigen Frisur" und dem „hochgewachsene[n] junge[n] Mann, bleich von Puder, mit schwarzen, gleichsam angeklebten Haaren, in eleganten Lackschuhen, in engem Frack mit langen Schö ß en. " (SF, 54) Dabei spielt das Liebespaar seine Rollen ausschließ lich unter dem Motto der auferlegten Vertragspflicht. Sie selbst sind es mehr als Leid, sich wie Schaufensterpuppen ausstaffieren zu lassen und sich um ihre wirklichen Gefü hle betrü gen zu lassen. Sie sind, wie der Erzä hler betont, „schon lange ü berdrü ssig [... ], sich zu den Klä ngen der schamlos-wehmü tigen Musik in seiner geheuchelten seligen Liebesqual zu winden [... ]. " (Ebd. )

       Die Gemeinsamkeit zwischen Bunins und Mosebachs Figuren besteht in der vertraglich auferlegten Seelenlosigkeit. Gefü hlsregungen sollen vertraglich reguliert werden:

       - In Bunins Erzä hlung kauft die Schiffsrederei die Emotionen des Liebespaars. Emotionen        sollen zur Staffage werden wie modische Kleidungen und Frisuren.

       - In Mosebachs Roman beabsichtigt Krass die Gefü hle von Lidewine zu kaufen. Entsprechend    hat sie sich in ihrer Kleidung und ihren Empfindungen bedingungslos nach Krass zu richten.

Ü bereinstimmend zeigen beide Erzä hlwerke, wie Menschen zu Schablonen degradiert werden. Sie handeln nur noch als Abziehbilder ihrer Rollen und sind um ihr eigenes Leben betrogen. Nun liegen zwischen der Entstehungszeit der beiden Erzä hlwerke gut 100 Jahre. Die Widersprü che der sogenannten Moderne und ihrer Seelenlosigkeit haben sich in dieser Zeit immer mehr zugespitzt. Mosebachs Erzä hler antwortet auf diese menschenverachtende Situation im kulturindustriellen Zeitalter mit einer besonderen kü nstlerischen Gestaltung. Die Satire scheint ihm eine Mö glichkeit mit den Widrigkeiten umzugehen. Entsprechend spitzt sich der Liebesvertrag zwischen Krass und Lidewine als Groteske zu: Die schö ne gekaufte Liebschaft brennt mit den italienischen Kellner durch.

 



  

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