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Siebzehntes Kapitel



 

Le Poy‑ en‑ Velay! Eine Stadt, die sich wie ein Strom, riesig und vielfarbig, um den Berg herumwand, mit einer groß en, von Kuppeln und Tü rmen gekrö nten romanischen Kirche. Als Cathé rine und Bruder Eusebius ankamen, hielten sie einen Augenblick an, um das unglaubliche Bild zu betrachten, das sich ihnen bot. Die erstaunten Augen der jungen Frau schweiften von dem heiligen Hü gel, dem alten Berg Anis, der sich von dem fernen Blau des gewellten Landes abhob, zu dem riesigen, ihm benachbarten Felsen und weiter zu der seltsam vulkanischen Spitze von Saint‑ Michel d'Aiguillie, steil wie ein Finger zum Himmel aufragend und die kleine Kapelle fest in sich verankernd.

Alles in dieser fremden Stadt schien fü r den Dienst an Gott gemacht zu sein, alles kam von ihm oder kehrte zu ihm zurü ck …

Aber je mehr Tore sie durchritten und je weiter sie in die Stadt vordrangen, desto mehr verwunderte die Reisenden die Farbenpracht der Straß en und ihr Gedrä nge, ü berall sah man nur Fahnen, Lilienbanner, mit Seidentü chern geschmü ckte Fenster … ü berall war das kö nigliche Wappen Frankreichs zur Schau gestellt, und mit einer gewissen Verblü ffung sah Cathé rine plö tzlich vor sich einen Trupp lä rmender schottischer Armbrustschü tzen mit ihren Waffen vorbeiziehen.

»Die Stadt feiert ein Fest! « erklä rte Bruder Eusebius, der sonst wä hrend eines ganzen Tages keine zehn Worte sprach. »Wir mü ssen herausbekommen, warum. «

Cathé rine hatte sich in seiner Gesellschaft aufs Schweigen verlegt. Sie hielt es fü r ü berflü ssig zu antworten, rief aber einen kleinen Jungen an, der mit seinem Krug einem nahen Brunnen zustrebte, um Wasser zu schö pfen.

»Warum diese Fahnen, diese Behä nge, das ganze Gedrä nge? «

Der Junge hob sein mit Sommersprossen ü bersä tes Gesicht, in dem zwei haselnuß braune Augen frö hlich blitzten, zu der jungen Frau und zog hö flich die ausgefranste grü ne Mü tze.

»Unser Herr Kö nig ist vorgestern mit der Frau Kö nigin und dem ganzen Hof in die Stadt eingezogen, um zu Unserer Lieben Frau zu beten und Ostern zu feiern und dann nach Vienne zu gehen, wo die Stä nde sich versammeln … Wenn Ihr ein Logis sucht, werdet Ihr's schwer haben. Alle Herbergen sind voll, denn zu allem hin heiß t es, daß Monseigneur der Konnetabel heute hier eintreffen soll. «

»Der Kö nig und der Konnetabel? « fragte Cathé rine erstaunt. »Aber sie sind doch verfeindet. «

»Genau! Unser Herr hat die Kathedrale erwä hlt, um ihn da wieder in Gnaden zu empfangen. Sie werden heute nacht zusammen den Abend des Passahfestes begehen …«

»Versammeln sich die Pilger nicht hier, die bald nach Compostela aufbrechen werden? «

»Doch, gnä dige Dame! Das Stä dtische Hospital neben der Kathedrale ist voll von ihnen. Ihr mü ß t Euch beeilen, wenn Ihr Euch ihnen noch zugesellen wollt. «

Das Kind zeigte Cathé rine noch den Weg zum Hospital. Es war ganz einfach: Es genü gte, die lange, lange Straß e weiterzureiten, die vom Panessacturm, in dessen Nä he sie sich befanden, nach Notre‑ Dame hinauffü hrte und schließ lich in einer Treppe endete, einer Treppe, die unter dem Portalvorbau mü ndete. Ehe er seine Gesprä chspartnerin verließ, fü gte der Junge noch hinzu:

»Alle Pilger versorgen sich bei Meister Croizat, gleich neben dem Stä dtischen Hospital. Dort gibt es die haltbarsten Kleider fü r die groß e Reise und …«

»Ich danke dir«, unterbrach Cathé rine, als sie das Auge des Bruders Eusebius, das gewö hnlich ohne jeden Ausdruck war, mit Neugier auf sich ruhen sah. »Wir werden uns ein Logis suchen. «

»Gott helfe Euch, eins zu finden! Aber Ihr habt keine Chance. Selbst das Palais des Bischofs, Monseigneurs Guillaume de Chalenç on, ist zum Platzen voll. Der Kö nig hä lt dort Hof. «

Der Lausejunge rannte davon. Cathé rine ü berlegte einen Augenblick. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Morgen nach dem Hochamt brachen die Pilger auf, und sie wollte mit ihnen gehen. Sie ließ sich von ihrem Maultier gleiten und wandte sich an Bruder Eusebius, der gelassen ihre Entscheidung erwartete.

»Nehmt die Tiere, mein Bruder, und geht ohne mich zum Stä dtischen Hospital. Dort fragt, ob man uns freundlicherweise ein Logis geben wolle. Hier habt Ihr Gold, um unsere Zeche zu bezahlen. Was mich betrifft, mö chte ich sofort zur Kathedrale hinaufsteigen, zum Ziel unserer Pilgerfahrt. Ich habe Eile, Unserer Lieben Frau zu ü berreichen, was ich fü r sie bei mir trage, und es schickt sich nicht, daß ich mich dem heiligen Ort beritten nä here. Geht also ohne mich. Ich werde Euch spä ter wieder treffen. «

Der wü rdige Bruder Pfö rtner von Montsalvy begnü gte sich, durch ein Zeichen des Kopfes anzudeuten, daß er verstanden habe, nahm die Zü gel ihres Maultiers und ritt ruhig seines Weges.

Langsam ging Cathé rine die beflaggte Straß e mit den zahlreichen Schildern hinauf. Hä ndler mit Devotionalien wechselten mit Herbergen ab, mit Garkü chen, mit Verkaufsbuden aller Art, und auf den Steinstufen vor ihren Tü ren saß en Frauen, vor sich mit Fä den bespannte Kissen, und ließ en in ihren flinken Fingern eine Menge kleiner Spindeln hü pfen … Einen Augenblick blieb die Reisende vor einer dieser Spitzenklö pplerinnen stehen, die jung und hü bsch war und ihr, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, freundlich zulä chelte.

Sie wä re keine echte Frau gewesen, wenn die zierlichen Wunder, die unter den Feenfingern entstanden, nicht ihr Interesse erregt hä tten. Doch eine Bü ß erprozession zog, mit voller Stimme Litaneien singend, von der Kathedrale herunter, und Cathé rine, an ihr Gelü bde erinnert, machte sich wieder an ihren Aufstieg. Und je weiter sie ging, desto mehr vergaß sie allmä hlich ihre Umgebung.

Auf den Stufen der riesigen Treppe, die sich tief im Schatten der hohen romanischen Bogen verlor, staffelten sich die Menschen und stiegen mü hsam auf Knien die seit Jahrhunderten durch Inbrunst abgetretenen Stufen hinauf. Das Gemurmel der Anrufungen umgab Cathé rine wie Bienensummen, aber sie hö rte es gar nicht. Mit erhobenem Haupt sah sie die hohe, vielfarbige Fassade, auf der fremde arabische Muster die fernen Lä nder, die geheimnisvollen Kunsthandwerker aus uralter Zeit in Erinnerung riefen. Sie wollte nicht niederknien, nicht jetzt! Aufrecht ging sie dem Hochaltar zu, wie sie sich aufrecht der Gruft des Apostels nä hern wü rde. Der Schatten des Portalvorbaus verschlang sie. Bettler, echte oder falsche Krü ppel schleppten sich dahin, in monotonem Singsang um Almosen bittend. Andere umlagerten den uralten Stein des Fiebers, wo sich jeden Freitag die Kranken einfanden, lauthals verkü ndend, erst am Abend vor Karfreitag habe ein Lahmer den Gebrauch seiner Beine wiedererlangt. Aber Cathé rine schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit.

Ihr Blick war auf eine Stufe gerichtet, auf der Hö he der groß en vergoldeten Pforten der Hochaltarstä tte gelegen. Einige lateinisch geschriebene Worte waren da zu lesen: »Wenn du die Sü nde nicht fü rchtest, so fü rchte diese Schwelle, denn die Himmelskö nigin will Diener ohne Fehl. « Nä herte sie sich wirklich ohne Sü nde, sie, die um den Preis einer Lü ge ihre Freiheit erringen wollte? Sie blieb einen Augenblick bewegungslos stehen, die Inschrift betrachtend, das Herz von plö tzlicher Bangigkeit bedrü ckt. Doch ihr Elan war zu groß, als daß sie sich durch solche Bedenken hä tte hemmen lassen. Sie durchschritt die Pforten und setzte ihren Aufstieg im tiefen Dunkel der Kirche fort. Die Stufen stiegen zu einer Art Tunnel an, in dessen Hintergrund die Kerzen bis zum Chor des Hochaltars schimmerten. Oben war es wie die leuchtende Herrlichkeit der Morgenstunde am Ende einer schwarzen Nacht. Ein ernster Gesang, unheimlich und monoton, erfü llte das Steinschiff.

Als sie endlich aus dem Dunkel trat, glaubte Cathé rine, diese Welt verlassen zu haben, so fremd war der Dekor. Auf einem zwischen zwei Sä ulen aus blutrotem Porphyr errichteten Altar, mit einer Vielzahl von Kerzen und Lampen aus rotem Glas umgeben, sah die Schwarze Jungfrau sie aus Emailaugen an …

Der Chor war leer, aber an den Wä nden schienen hierarchische und byzantinischen Fresken entnommene Personen in dem zitternden Licht der kurzen Flammen wieder Leben anzunehmen. Eine aberglä ubische Furcht bemä chtigte sich Cathé rines, die alte Angst vor Himmel und Hö lle, die immer im Grunde der Herzen der Mä nner und Frauen dieses eisernen Jahrhunderts schlummerte. Langsam beugte sie die Knie und ließ sich auf die Stufen des Altars fallen, durch das fremde Standbild fasziniert.

Klein, aufrecht auf ihrem mit Edelsteinen besetzten goldenen Mantel sitzend, hatte die Schwarze Jungfrau das hierarchische und erschreckende Aussehen eines barbarischen Idols. Es hieß, die Kreuzfahrer hä tten sie einst aus dem Heiligen Land mitgebracht und sie sei so alt wie die Welt … Ihr schwarzes, plumpes Gesicht mit dem starren Ausdruck schimmerte unter der durch eine Taube verzierten Goldkrone. Nur die zu weiß en Augen aus Email schienen von unruhigem Leben beseelt, und Cathé rine begann, unter ihrem Blick zu zittern, von der barbarischen Majestä t des Standbilds erdrü ckt.

Der unheimliche Gesang hatte aufgehö rt. Stille hü llte die Kirche jetzt ein, die nur durch das leichte Flackern der Kerzen gestö rt wurde. Langsam nahm Cathé rine den Lederbeutel vom Hals, zog den Diamanten heraus und reichte ihn auf ihren beiden zusammengelegten Handflä chen der Jungfrau. Die uralte Geste des Opfers ließ den verfluchten Stein voll blutigen Feuers funkeln. Noch nie hatte er so geblitzt wie in diesem Sanktuarium, in dem sich die Grö ß e Gottes entfaltete. Auf Cathé rines Hä nden war er wie eine schwarze, der Gottheit gebotene Todessonne.

»Allmä chtige Jungfrau«, hauchte die junge Frau, »nehmt diesen Stein des Schmerzes und des Blutes an! Nehmt ihn zu Euch, auf daß ihn der Dä mon, der ihm innewohnt, auf immer verlasse, nehmt ihn, auf daß das Unglü ck sich endlich von uns wende … und das Glü ck wieder in Montsalvy einkehre! Auf daß ich meinen Gatten wiederfinde! «

Sanft legte sie den Stein zu Fü ß en des Standbildes und warf sich dann nieder. All ihre Angst war verflogen, doch sie wurde von einer neuen Erregung ergriffen.

»Gebt ihn mir zurü ck! « flehte sie schmerzlich. »Gebt ihn mir, barmherzige Jungfrau! … Selbst wenn ich noch viel leiden muß, wenn ich mich Tag und Nacht abmü hen muß … Macht, daß ich ihn am Ende des Weges endlich finde! Erlaubt wenigstens, daß ich ihn wiedersehe … ein Mal, ein einziges Mal … auf daß ich ihm sagen kann, daß ich ihn liebe, daß ich nie aufgehö rt habe, ihm zu gehö ren, und daß niemand … je … seinen Platz einnehmen wird! Habt Mitleid … o habt Mitleid! Laß t mich ihn wiederfinden … Danach kö nnt Ihr mit mir machen, was Ihr wollt! «

Sie barg das Gesicht in den Hä nden, die bald von ihren Trä nen benetzt wurden, und blieb so einen langen Augenblick, fü r ihr Kind und Sara betend, still weinend und unbewuß t eine Antwort auf ihre heiß e Bitte erwartend. Und plö tzlich hö rte sie:

»Frau … habt Vertrauen! Wenn Euer Glaube groß ist, werdet Ihr erhö rt werden. «

Sie hob den Kopf. Vor ihr stand ein Mö nch in einer langen weiß en Kutte, den grauen Kopf und sein von Milde strahlendes Gesicht ihr zuneigend. Von dieser weiß en Gestalt ging ein solcher Friede aus, daß Cathé rine ü berwä ltigt vor ihm auf den Knien blieb, die Hä nde gefaltet wie vor einer Erscheinung. Der Mö nch streckte seine blasse Hand nach dem neben dem Goldmantel der Jungfrau blitzenden Stein aus, berü hrte ihn aber nicht.

»Dieses fabelhafte Juwel, woher habt Ihr es? «

»Es gehö rte meinem verstorbenen Gatten, dem Finanzminister von Burgund. «

»Ihr seid Witwe? «

»Ich war es nicht mehr. Aber der Mann, den ich geheiratet habe, ist, von der Lepra heimgesucht, nach Compostela aufgebrochen, um seine Heilung zu erflehen, und ich mö chte auch dorthin gehen, um ihn wiederzufinden! «

»Habt Ihr Euch einen Platz unter den Pilgern besorgt? Ihr braucht einen Beichtzettel und die Genehmigung des Leiters der Fahrenden Ritter Gottes. Sie brechen morgen auf. «

»Ich weiß … aber ich bin soeben erst angekommen. Glaubt Ihr, mein Vater, daß es zu spä t ist? « fragte Cathé rine mit plö tzlicher Angst.

Ein gü tiges Lä cheln erhellte das Gesicht des weiß en Mö nches.

»Ihr habt den sehnlichen Wunsch zu gehen, nicht wahr? «

»Ich wü nsche es mehr als alles in der Welt. «

»Also kommt! Ich werde Euch die Beichte abnehmen und Euch dann einen Zettel fü r den Prior des Stä dtischen Hospitals mitgeben. «

»Habt Ihr denn die Macht, mir noch so spä t Einlaß zu verschaffen? «

»Es gibt keine festgesetzte Stunde, in der man sich Gott nä hern kann! Und ich bin Guillaume de Chalenç on, Bischof dieser Stadt. Kommt, meine Tochter. «

Das Herz von wunderbarer Hoffnung durchdrungen, folgte Cathé rine der weiß en Gestalt des Prä laten.

Als Cathé rine die Kirche verließ, schien sie fö rmlich zu schweben. Sie hatte das Gefü hl, daß alles gut werden wü rde, daß ihre Hoffnungen ihre ganze Kraft wiederfä nden, daß nichts mehr unmö glich sein wü rde.

Man brauchte nur Mut zu haben, und Mut hatte sie von jetzt an ü bergenug.

Am Eingang des Stä dtischen Hospitals, dessen hohes, spitzbogiges Portal, von zwei Steinlö wen bewacht, sich auf die Stufen der Kathedrale ö ffnete, fand sie Bruder Eusebius wartend vor, der, auf einem Eckstein sitzend, still den Rosenkranz betete. Als er sie bemerkte, sah er sie unglü cklich an.

»Dame Cathé rine, es gibt keinen Platz in den Schlafsä len. Die Pilger schlafen im Hof, und ich habe nicht einmal einen Strohsack fü r Euch auftreiben kö nnen. Ich kann ja immer in einem Kloster Unterkunft bekommen, aber Ihr? «

»Ich? Das ist unwichtig. Ich werde auch im Hof schlafen, mit den anderen. Ü brigens, Bruder Eusebius, es ist Zeit, daß ich Euch zu dieser Stunde die Wahrheit gestehe. Ich werde nicht mit Euch nach Montsalvy zurü ckkehren. Morgen werde ich mit den anderen Pilgern nach Compostela aufbrechen … Nichts kann mich daran hindern. Aber ich mö chte Euch wegen des Ä rgers, den ich Euch verursachen werde, um Verzeihung bitten. Der Herr Abt …«

Ein breites Lä cheln hellte das runde Gesicht des kleinen Mö nchs auf. Unter seiner Kutte zog er eine Pergamentrolle hervor und gab sie Cathé rine.

»Unser Sehr Ehrwü rdiger Vater Abt«, unterbrach er, »hat mich beauftragt, Euch dies zu ü berreichen, Dame Cathé rine. Aber ich sollte es Euch erst geben, nachdem Ihr Euer Gelü bde erfü llt habt. Es ist erfü llt, nicht wahr? «

»Es ist erfü llt! «

»Also, hier! «

Mit zö gernder Hand nahm Cathé rine die Rolle, brach das Siegel auf und entfaltete sie.

Sie enthielt nur wenige Worte, aber wä hrend sie las, stieg ihr die Freudenrö te ins Gesicht.

»Geht in Frieden«, hatte Bernard de Calmont geschrieben. »Und Gott begleite Euch! Ich werde ü ber das Kind und Montsalvy wachen …«

Der Blick, den sie dem Bruder Pfö rtner zuwarf, war glü ckstrahlend. In ihrer Begeisterung kü ß te sie die Unterschrift des Briefes, bevor sie ihn in ihren Almosenbeutel steckte, dann streckte sie ihrem Gefä hrten die Hand hin.

»Hier trennen wir uns nun. Kehrt nach Montsalvy zurü ck, Bruder Eusebius, und sagt dem Sehr Ehrwü rdigen Abt, daß ich mich schä me, ihm nicht genü gend Vertrauen geschenkt zu haben, aber daß ich ihm danke. Bringt ihm die Maultiere zurü ck, ich brauche sie nicht. Ich werde meinen Weg wie die anderen zu Fuß zurü cklegen. «

Dann wandte sie sich um und ging schnell davon, leicht wie ein befreiter Vogel, zur anderen Seite der Straß e, wo ein schö nes Schild hing, das einen Pilger mit einem groß en Hut, den Stab in der Hand, zeigte und allen verkü ndete, daß fü r ›Die Straß e nach Compostela‹ Meister Croizat eine Ausstattungsboutique fü r die fromme Reise unterhalte.

Die zum Aufbruch Gerü steten zä hlten an die fü nfzig, Mä nner und Frauen, aus der Auvergne, der Franche‑ Comté und sogar aus Deutschland. Sie gruppierten sich nach Herkunft oder geistiger Verwandtschaft, doch einige blieben fü r sich, zogen ihre Einsamkeit und ihre eigene Gesellschaft vor.

Inmitten ihrer neuen Gefä hrten wohnte Cathé rine dem ö sterlichen Hochamt bei. Sie sah nur einige Schritte von sich entfernt Kö nig Karl VII. vorü bergehen und den hohen Sessel einnehmen, der fü r ihn im Chor aufgestellt war. Neben ihm erkannte sie die mä chtige Gestalt Arthur de Richemonts. Der Konnetabel von Frankreich nahm an diesem Ostertag seinen Rang und sein Amt offiziell wieder ein. Zwischen seinen krä ftigen Hä nden sah die junge Frau den groß en blauen, mit goldenen Lilien verzierten Degen blitzen.

Sie sah auch die Kö nigin Marie, und im Gefolge Richemonts entdeckte sie die hohe Gestalt Tristan l'Hermites … Tristan, ihr letzter Freund!

Die Versuchung war groß, die schweigenden Reihen, die sie umgaben, zu durchbrechen, zu ihm zu gehen … Es wä re gut, seine Freudenrufe zu hö ren, alte Erinnerungen aus vergangenen Tagen wachzurufen …

Aber sie unterdrü ckte ihre Regung. Nein … sie gehö rte nicht mehr zu dieser glä nzenden, farbigen, prunkvollen Welt. Zwischen ihr und dieser Welt stand jetzt das Versprechen vom Abend zuvor, die weiß e Kutte dieses Bischofs, der da unten im erleuchteten Chor die Messe in vollem Ornat zelebrierte. Die unsichtbare Schranke, die sie von diesem Hof trennte, zu dem sie von Rechts wegen noch gehö rte, wollte Cathé rine nicht durchbrechen. Die Zukunft lag woanders, und weit davon entfernt, sich zu zeigen, machte sie sich ganz klein inmitten ihrer Nachbarn, zwischen einem riesigen, angegrauten und bä rtigen Burschen, der mit einer Stimme wie eine groß e Orgel sang, und einer hageren, blassen Frau, deren fanatischer Blick am schimmernden Altar hing. Als sie sie betrachtete, schwankte Cathé rine zwischen Mitleid und Abscheu, aber sie bezweifelte, ob diese Frau, die offensichtlich krank war und von Zeit zu Zeit einen trockenen, dumpfen Husten hö ren ließ, die Anstrengungen der Wallfahrt aushalten kö nnte.

Was sie betraf, wer hä tte denn die Grä fin de Montsalvy, die schö ne Witwe von Chinon, die von Pierre de Bré zé angebetet worden war, wer hä tte sie in dieser Frau, die wie alle ihre Gefä hrten gekleidet war, erkannt? Ein grobes graues Kleid aus dickem Wollstoff ü ber einem Linnenhemd, feste Stiefel, ein weiter, jedem Wind und Wetter gewachsener Mantel und ü ber dem dü nnen, feinen Kopftuch, das ihr Gesicht umschloß, ein groß er schwarzer Filzhut, dessen Krempe vorn durch eine Muschelspange aus Zinn aufgebogen wurde. Im Almosenbeutel an ihrem Gü rtel hatte sie Gold und natü rlich Arnauds Dolch, ihren treuen Kameraden in schweren Tagen und auf gefä hrlichen Reisen. Schließ lich hielt sie in der rechten Hand das Sinnbild des Pilgers, den berü hmten Pilgerstab, den langen Stock, an dessen Spitze ein runder Kü rbis hing … Nein, niemand hä tte sie in diesem Aufzug erkannt, und Cathé rine freute sich darü ber. Sie war nur eine Pilgerin unter anderen Pilgern …

Die Zeremonie ging ihrem Ende zu. Die ernste Stimme des Bischofs hatte seine guten Reisewü nsche an die Aufbrechenden ausgesprochen. Jetzt segnete er die Pilgerstä be, die ihm alle mit derselben Bewegung entgegenstreckten. Die Priester, die, das groß e Kreuz der Prozession vorantragend, dem Zug das Geleit bis zu den Stadttoren geben wollten, setzten sich bereits in Bewegung. Cathé rine warf noch einen letzten Blick auf den Chor, schloß in diesen Blick auch den Kö nig, den Konnetabel, den von Bewaffneten bewachten glä nzenden Hof ein. Sie schienen sich bereits in die Zeit, in die nebelhafte Welt der Wunder zurü ckzuziehen. Ganz oben, alles beherrschend, konnte sie Garins verfluchten Diamanten am goldenen Stirnband der starren kleinen Jungfrau im goldenen Mantel schwarze Funken sprü hen sehen. Die groß en Portale ö ffneten sich ins Freie, auf einen blaß blauen Himmel, ü ber den die Wolken eilten …

Auf der Schwelle hob Cathé rine die Brust und holte tief Atem. Sie hatte das Gefü hl, daß diese Pforten sich ins Unendliche ö ffneten, auf eine Hoffnung, so groß wie die ganze weite Welt …

Hinter den Priestern und Mö nchen stü rzten die Pilger, Freudenrufe ausstoß end, die abschü ssige Straß e hinunter. Auf beiden Seiten drü ckten sich die guten Leute an die Hä user, um sie vorbeigehen zu sehen. Einige riefen ihnen gute Wü nsche zu, andere sagten einem Freund, einem Verwandten ein letztes Lebewohl.

Nachdem die Granitwä lle, auf denen die kö niglichen Lilienbanner knatterten, durchschritten waren, trennte sich die letzte Eskorte von den Pilgern. Vor der Kolonne wand sich ein steiler Weg einen Berghang hinauf, der wie die Himmelsleiter aussah. An der Spitze stimmte der Fü hrer der Pilger, ein krä ftiger Bursche mit feurigen Augen, mit kraftvoller Stimme das alte Marschlied an, das schon so viele durch zu lange Wegstrecken Entmutigte wiederaufgerichtet hatte, den fremden Gesang in alter Sprache, der einen so guten Takt fü r den Marschtritt abgab:

»E ul treia! (Und weiter! ) E sus eia! (Und noch mal! ) Deus aî a nos! (Gott hilft uns! )«

Das einfache, rhythmische Lied hob den Marschtritt gut hervor. Es pflanzte sich durch die Reihen der Pilger wie ein Lauffeuer fort. Cathé rine stimmte es wie die anderen an. Ihr Herz war leicht, ihre Seele in Frieden, ihre Energie stä rker als je. Hinter ihr, in der Stadt, die schon langsam verschwand, lä uteten die Glocken mit voller Kraft. Ihr Siegesklang lö schte die grausame Erinnerung an die Totenglocke von Carlat aus, die so lange in ihrem Herzen widergehallt hatte. Am Ende dieses vor ihr liegenden Weges war Cathé rine gewiß, durch einen ebenso groß en Glauben ü ber sich selbst erhoben wie jener, der einst die Kreuzfahrer zur Eroberung des Heiligen Landes getrieben hatte, daß sie Arnaud antreffen wü rde! Und wenn sie bis ans Ende der Welt gehen mü ß te, um ihn zu finden, und sei es auch nur, um mit ihm zu sterben, wü rde sie bis dorthin gehen …

Oben, nach dem beschwerlichen Aufstieg, empfing ein scharfer, schneidender Wind und feiner, kalter Regen, der in die Gesichter peitschte, die Pilger beim Betreten des Plateaus. Cathé rine senkte den Kopf, um sich zu schü tzen, und ging, auf ihren Stab gestü tzt, dem Wind entgegen. Aber weil sie den Elementen nicht das letzte Wort in diesem ersten Handgemenge lassen wollte, sang sie lauter als je. Dieser Wind, das war der Sü dwind. Er war vor ihr durch die unbekannten Lande gefegt, in die sie, Tag um Tag, weiter vordringen wü rde, um endlich ihre verlorene Liebe wiederzufinden … Er war ihr Freund!

 

 



  

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