Хелпикс

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Dreizehntes Kapitel



 

Der Nachmittag war schon weit vorgeschritten, als Cathé rine ihr Zimmer verließ und zum Vieleckturm ging, wo Pierre de Bré zé wohnte. Sie hatte eine Migrä ne vorgetä uscht, um Kö nigin Marie und die anderen nicht in den Obstgarten begleiten zu mü ssen, wo man einige Stunden die Lieder eines Minnesä ngers anhö ren und die Sonne genieß en wollte …

Die Sache mit der Migrä ne war nicht einmal eine Notlü ge. Seit dem Morgen preß te ein Eisenring sich um Cathé rines Schlä fen. Sie hatte entsetzlich schlecht geschlafen, und das Erwachen, spä t am Morgen, war hö chst unerfreulich gewesen. Sie hatte so oft nach Sara rufen kö nnen, wie sie nur wollte – niemand hatte geantwortet. Und als sie sich, beunruhigt, ohne es sich eingestehen zu wollen, endlich entschlossen hatte, die am Abend zuvor so fest verschlossene Tü r zu ö ffnen, hatte sie die kleine Kleiderkammer leer vorgefunden. Niemand war da, nur auf einer Truhe lag, deutlich sichtbar, ein Stü ck Pergament.

Sie hatte es kaum mit den Fingerspitzen zu berü hren gewagt, weil sie sich vor der Botschaft fü rchtete, deren Inhalt sie schon erriet. Die wenigen, von Sara in groß en, ungelenken Buchstaben hingekritzelten Worte hatten sie kaum ü berrascht: »Ich kehre nach Montsalvy zurü ck … Du brauchst mich nicht mehr …«

Der Schmerz, der sie durchzuckt hatte, war so grausam gewesen, daß sie sich mit geschlossenen Augen an die Wand hatte lehnen mü ssen, um sich zu beruhigen. Aber unter den geschlossenen Lidern waren Trä nen hervorgequollen, brennend heiß, drä ngend … Wie einsam sie sich plö tzlich fü hlte, wie verlassen … fast miß achtet! Gestern hatte sie den giftigen, von Geringschä tzung geladenen Blick des Grafen de Pardiac ertragen mü ssen. Und nun, an diesem Morgen, war Sara geflohen, als ob mit einem einzigen Schlag das Band, das sie aneinanderkettete, durchschnitten worden wä re … Dieses Band, das seine Wurzeln, wie Cathé rine jetzt begriff, tief in ihrem Herzen hatte. Mit diesem Bruch war ein Stü ck von ihr abgetrennt worden … ein Stü ck, das sehr wohl die Achtung vor sich selbst sein konnte!

Ihre erste Reaktion war es gewesen, aus dem Zimmer zu stü rzen. Sie wollte Sara verfolgen und, wenn nö tig, mit Gewalt zurü ckbringen lassen. Sie muß te am frü hen Morgen geflohen sein, bei Ö ffnung der Schloß portale, konnte also noch keine groß e Wegstrecke hinter sich gebracht haben. Doch dann besann sich Cathé rine. Die Soldaten des Kö nigs einer solchen Frau auf die Spur hetzen wie einem Verbrecher? Das konnte sie ihr nicht antun. Saras Stolz wü rde es ihr nie verzeihen, und nichts wü rde sich zwischen ihnen wieder einrenken. Die einzige Lö sung war, sich selbst nach ihr auf die Suche zu machen … Sie war dazu entschlossen.

Warum hatte nur in dem Augenblick, als sie sich eben fertig angezogen hatte, ein Page an ihre Tü r klopfen mü ssen, der, das Knie beugend, ihr eine neue Botschaft ü berbrachte … eine Botschaft diesmal von Pierre?

»Wenn Ihr mich ein wenig liebt, meine Vielgeliebte, dann kommt … kommt mich heute nachmittag besuchen. Ich werde alle wegschicken … Aber kommt! Mein Fieber nach Euch verzehrt mich mehr, als meine Wunde schmerzt. Ich erwarte Euch … Schlagt mir die Bitte nicht ab! «

Die Worte entflammten ihre Augen wie am Abend zuvor der Atem des jungen Mannes ihre Lippen. Ein heftiges Verlangen ü berkam sie, sofort zu ihm zu eilen und in seinen Armen zu weinen. Sie unterdrü ckte es, aber der Zauber des Briefchens hatte gewirkt. Cathé rine hatte nicht mehr den Wunsch, Sara schleunigst nachzujagen, und bot alle mö glichen Vernunftgrü nde zu ihrer Entschuldigung auf … Nach allem floh ihre alte Freundin nicht ans Ende der Welt, wo sie sie niemals wiederfinden wü rde. Ihr Ziel war lediglich Montsalvy … Ihre Verstimmung wü rde sich eines Tages schon wieder einrenken. Und wenn sie Sara nachliefe, wü rde sich die Gute natü rlicherweise sehr wichtig vorkommen, wä hrend sie selbst sich unnö tig kleiner machte. Dasselbe Gefü hl, das sie abends zuvor daran gehindert hatte, an die Tü r zu klopfen, hielt sie jetzt zurü ck, ein Pferd satteln zu lassen.

Um die Wahrheit zu sagen, vermied es Cathé rine, sich allzu genau zu prü fen. Unbewuß t war sie keineswegs stolz auf sich, aber je mehr ihre wahre Natur protestierte, desto mehr versteifte sie sich in ihre Auflehnung. Das Lä cheln Pierres hatte ihr eine Binde vor die Augen gelegt. Er reprä sentierte etwas, wovon sie glaubte, daß es ihr nie mehr widerfahren kö nnte: Liebe, Genuß, das sü ß e Gefü hl, sich anbeten zu lassen, in einer Welt ohne Leiden angenehm zu leben, kurz und gut, alles, was zum Erbe der frü hen Jugend gehö rte. Sie war wie die vom glitzernden Spiegel faszinierte Lerche. Ihre Augen wollten, konnten nichts anderes mehr sehen …

Auf der Schwelle des Turms, in dem Bré zé logierte, erwartete sie derselbe Page wie am Morgen, um sie zu seinem Herrn zu fü hren. Er grü ß te sie mit einer tiefen Verbeugung und entledigte sich dann schweigend seines Auftrags. Eine Tü r ö ffnete sich unter seiner Hand, und Cathé rine fand sich ein wenig geblendet in einem von den Strahlen der untergehenden Sonne durchfluteten Zimmer, in dem Pierre auf seinem Bett ausgestreckt lag.

»Endlich! « rief er, ihr beide Hä nde entgegenstreckend, wä hrend der Page sich diskret zurü ckzog und die junge Frau aufs Bett zutrat. »Ich habe schon Stunden auf Euch gewartet! «

»Ich zö gerte zu kommen«, murmelte sie, bestü rzt, ihn im Bett zu finden. Noch nie war er ihr schö ner, anziehender vorgekommen als in diesem Augenblick. Sein krä ftiger nackter Oberkö rper hob sich von der Steppdecke und den Kopfkissen aus roter Seide ab. Ein Verband lag um seine linke Schulter, aber er schien nicht ü bermä ß ig zu leiden.

Sein Gesicht war vielleicht ein wenig blaß, doch seine Augen strahlten. Und wenn das Fieber zweifellos seinen Anteil an der ungewö hnlichen Wä rme seiner Hä nde hatte, die Cathé rines Hä nde hielten, so war es sicherlich nicht die einzige Ursache.

»Ihr zö gertet? « fragte er vorwurfsvoll und versuchte, sie zu sich zu ziehen. »Warum? «

Sie widerstand, plö tzlich gehemmt. Das Ungewö hnliche ihrer Anwesenheit im Gemach eines Mannes wurde ihr auf einmal bewuß t.

»Weil ich gar nicht hiersein dü rfte. Bedenkt, was man sagen wü rde, wenn man mich hier ü berraschte! Nach allem, was gestern geschehen ist …«

»Nichts ist gestern geschehen. Ich bin eine Treppe hinuntergefallen und habe mir dabei die Schulter aufgeschlagen. Ich habe ein wenig Fieber und bin deshalb auf meinem Zimmer geblieben. Was gibt es Normaleres? Ihr habt mich besucht, barmherzig wie ein Engel, um Euch nach meinem Befinden zu erkundigen. Was gibt es Natü rlicheres? «

»Und … Bernard? «

»Ist mit dem Kö nig seit heute morgen auf der Wildschweinjagd, wie Ihr zweifellos wiß t. Und glaubt Ihr vielleicht, ich lasse mich durch ihn einschü chtern? Setzt Euch neben mich, Ihr seid zu weit weg … Und nehmt vor allem diesen Schleier ab, der Euer entzü ckendes Gesicht verbirgt. «

Sie gehorchte ihm lä chelnd, gerü hrt ü ber dieses Verlangen eines verwö hnten Kindes, das so sehr von seiner stolz zur Schau getragenen Mä nnlichkeit abstach.

»Da«, sagte sie. »Aber ich bleibe nur einen Augenblick. Der Kö nig wird bald zurü ckkehren und Bernard mit ihm. «

»Ich mö chte seinen Namen nicht mehr hö ren, Cathé rine! « rief der junge Mann, rot vor Zorn. »Ihr seid wieder frei, und er hat nichts zwischen uns zu suchen. Er hat Euch unwü rdig behandelt. Er wird mir noch Rechenschaft geben mü ssen! … Sü ß e Freundin«, fü gte er zä rtlich hinzu, als er sah, wie Cathé rines Gesicht sich verfinsterte, »gebt mir das Recht, ü ber Euch zu wachen. «

»Aber … ich hindere Euch ja nicht! « entgegnete Cathé rine seufzend. »Wacht ü ber mich, mein Freund … Ich habe es dringend nö tig! «

»Und ich ersehne es mit aller Kraft! Ihr habt noch nicht begriffen, wie sehr ich Euch liebe, Cathé rine, sonst hä ttet Ihr mir schon Euer Jawort gegeben. «

Wä hrend er sprach, zog er sie unmerklich an sich und drü ckte ganz zart seine Lippen auf ihre gesenkten Lider. Seine Stimme klang einschlä fernd, fast schnurrend.

»Warum warten? Seit Eurer Wiederaufnahme in Gnaden gibt es hier niemand, der nicht erwartet, daß wir unsere Verlobung bekanntgeben. Selbst der Kö nig …«

»Der Kö nig ist sehr gut. Aber ich kö nnte nicht, so bald …«

»So bald? Viele Frauen heiraten kaum einen Monat nach dem Tod ihres Gatten wieder. So kö nnt ihr nicht bleiben, allein der Welt gegenü ber, vergebens schö n. Ihr braucht einen Degen, einen Verteidiger und einen Vater fü r Euer Kind. «

Seine Lippen glitten in kleinen schnellen Kü ssen zu denen der jungen Frau hinunter. Er riß sie leidenschaftlich an sich, und sie schloß unter seinem Kuß die Augen, eingehü llt von einem kö stlichen Wohlbefinden. All ihre Traurigkeit war verflogen.

»Sagt, was Ihr gern wollt, meine Liebe«, bat er zä rtlich. »Laß t mich Euch zu der Meinen machen und allen die Stirn bieten! Sagt ja, Cathé rine, meine Kleine …«

Das zä rtliche Wort durchbrach den Zauberkreis, in dem Cathé rine sich glü cklich hatte gehenlassen. Meine Kleine! So hatte Arnaud sie genannt … und mit welcher Liebe! Sie glaubte noch, die Stimme ihres Gatten zu hö ren, wenn er ihr diese Worte ins Ohr flü sterte. Cathé rine, meine Kleine! Niemand konnte es sagen wie er … Mit plö tzlich feuchten Augen, aber trockenen Lippen stammelte sie.

»Nein, es ist unmö glich! «

Sie riß sich von ihm los, zwang ihn, seine Arme von ihr zu lö sen, die sie einen Augenblick zuvor so fest gedrü ckt hatten. Er klagte mit einem Anflug von Gereiztheit:

»Aber warum unmö glich? Warum nicht? Es wü rde niemand ü berraschen, das habe ich Euch schon gesagt! Nicht einmal Eure Familie! Selbst die Dame de Montsalvy erwartet, daß Ihr meine Frau werdet. Sie versteht, daß Ihr nicht allein bleiben kö nnt …«

Brü sk war Cathé rine auf gestanden! Blaß bis zu den Lippen, starrte sie Pierre mit ebenso unglä ubigen wie entsetzten Augen an.

»Was habt Ihr da gesagt? Habe ich richtig gehö rt? «

Er begann zu lachen, streckte ihr von neuem die Hä nde entgegen:

»Wie auß er Euch Ihr seid! Mein Herz, Ihr macht aus einer ganz natü rlichen Sache ein Problem und …«

»Wiederholt, was Ihr gesagt habt! « sagte Cathé rine hart und bestimmt. »Was hat meine Schwiegermutter mit alldem zu tun? «

Pierre antwortete nicht sofort. Das Lä cheln war von seinen Lippen geschwunden, und er runzelte leicht die Stirn.

»Ich habe nichts Besonderes gesagt! Aber was fü r einen Ton Ihr anschlagt, meine Teure! «

»Laß t den Ton, und um der Liebe Gottes willen antwortet mir. Was hat das mit der Dame de Montsalvy zu tun? «

»Eine Kleinigkeit nur! Ich habe Euch lediglich gesagt, sie erwartet, daß Ihr meine Frau werdet. Anlä ß lich meiner Reise da hinunter habe ich ihr die groß e Liebe gestanden, die ich fü r Euch empfinde, habe ihr gesagt, daß es mein glü hender Wunsch sei, Euch zu heiraten, und daß ich fest glaube, den Sieg bei Euch davonzutragen. Das war normal … Ich fü rchtete so sehr, sie wolle Euch zwingen, in der Erinnerung und in dieser alten Auvergne zu leben. Aber sie hat mich sehr gut verstanden …«

»Sie hat verstanden«, wiederholte Cathé rine schmerzlich. »Aber was dachtet Ihr Euch eigentlich, als Ihr es wagtet, ihr das zu sagen? Wer hat Euch erlaubt, so etwas anzukü ndigen? «

Das aufgelö ste Gesicht der jungen Frau beeindruckte Pierre. In dem instinktiven Gefü hl, sich gegen eine unvorhergesehene Gefahr verteidigen zu mü ssen, hü llte er sich in die Steppdecke und schwang sich auf den Bettrand. Cathé rine hatte sich auf eine Fuß bank sinken lassen, die Augen voll zurü ckgehaltener Trä nen, die Finger kalt und zitternd.

Sie wiederholte: »Warum … warum habt Ihr das getan? Ihr hattet nicht das Recht dazu! «

Er kniete vor ihr nieder, nahm ihre kalten Hä nde in die seinen.

»Cathé rine«, flü sterte er, »ich verstehe Eure Betrü bnis nicht. Ich gebe zu, ich war etwas zu voreilig, aber ich wollte wissen, ob Ihr keine Hindernisse haben wü rdet im Falle, daß Ihr einwilligtet, mich zu heiraten. Und dann, etwas frü her, etwas spä ter …«

Er war wirklich untrö stlich, sie spü rte es und hatte fü rs erste nicht den Mut, ihm bö se zu sein. Jä h aus dem Traumzustand gerissen, in dem sie seit Wochen gelebt hatte, machte sie sich nur selbst Vorwü rfe … Aber sie blickte ihn mit bekü mmerten Augen an:

»Und was hat meine Schwiegermutter darauf gesagt? «

»Sie hoffe, wir wü rden sehr glü cklich sein und daß ich Euch den Rang und das Leben werde geben kö nnen, das Euch gebü hrt. «

»Das hat sie zu Euch gesagt? « entgegnete Cathé rine mit erstickter Stimme.

»Aber ja … Ihr seht also, daß Ihr Euch um nichts Kummer macht! «

Cathé rine schob die Hä nde zurü ck, die sie halten wollten, und stand auf. Sie stieß ein trockenes Lachen aus.

»Um nichts? … Hö rt mir genau zu, Pierre: Ihr habt kein Recht gehabt, das zu sagen, weil ich Euch nie heiraten werde! Ihr habt dieser edlen Dame grundlos Leid zugefü gt. «

Mit einem Sprung stand er auf. Diesmal war er wü tend und packte sie an den Schultern.

»Laß t diesen schlafwandlerischen Ton! Seht mich an! Was Ihr sagt, ist dumm! Ich habe ihr kein Leid angetan, und Ihr habt kein Recht, uns beide deswegen zu bestrafen. Das ist Ü berheblichkeit von Euch, Cathé rine! In Wahrheit fü rchtet Ihr, falsch beurteilt zu werden! Aber Ihr habt unrecht: Ihr seid frei, das habe ich Euch schon hundertmal gesagt. Euer Gatte ist tot. «

»Nein! « sagte Cathé rine leidenschaftlich.

Jetzt war es an Pierre, unter dem Schock zusammenzuzucken. Seine Hä nde fielen kraftlos herunter, wä hrend er die junge Frau vor ihm mit zusammengepreß ten Zä hnen und geballten Fä usten ansah.

»Nein? Was wollt Ihr damit sagen? «

»Nichts anderes als das, was ich sage. Wenn mein Gatte auch nach dem menschlichen Gesetz fü r alle Menschen dieser Welt tot ist, ist er es nicht in Gottes Augen. «

»Ich verstehe nicht … Erklä rt Euch! «

Wieder einmal erzä hlte sie die traurige Geschichte, gestand die fü rchterliche Wahrheit ein, aber je weiter sie sprach, desto mehr empfand sie eine Art von Befreiung. Es war, als streifte sie den Rausch der letzten Zeit von sich ab, den gleichermaß en romantischen wie sinnlichen Reiz, der sie fü r wenige Augenblicke in die Arme dieses Jungen getrieben hatte. Indem sie die lebende Wirklichkeit Arnauds bestä tigte, wurde sie sich auch wieder ihrer Liebe zu ihm bewuß t. Sie hatte geglaubt, sich von ihm abwenden, ihn vergessen zu kö nnen, aber nun stellte er sich von neuem, unglaublich gegenwä rtig, zwischen sie und den Mann, den zu lieben sie sich eingebildet hatte. Als alles gesagt war, bohrte sie ihren veilchenblauen Blick in den Pierres.

»Das ist es! Jetzt wiß t Ihr alles … Ihr wiß t auß erdem, daß Ihr einen groß en Fehler begangen habt, als Ihr zu dieser armen Frau von Heirat spracht … aber daran bin ich ganz allein schuld. Ich hä tte Euch nicht die geringsten Hoffnungen machen dü rfen! «

Er wandte sich ab, zog mechanisch die rote Decke um die Lenden zusammen, die ihm wie zum Hohn hinunterzugleiten drohte, was ihm etwas Rü hrendes gab. Plö tzlich schien er um zehn Jahre gealtert zu sein.

»Es ist mir zu spä t klargeworden, Cathé rine, und ich bedaure es … Das ist eine abscheuliche Geschichte! Aber ich wage, Euch zu sagen, daß dies nichts an meinem Entschluß ä ndert, Euch frü her oder spä ter zu heiraten … Meine Kleine … Ich werde so lange, wie es sein muß, auf Euch warten! «

»Meine Kleine! « murmelte sie. »So hat er mich genannt … Und er hat es so gut gesagt! «

Er richtete sich trotzig auf bei diesem Vergleich, der ihm zu seinem Nachteil auszufallen schien.

»Ich sage es von ganzem Herzen, Cathé rine«, erklä rte er in beleidigtem Ton. »Wacht auf! Ihr habt entsetzlich gelitten, aber Ihr seid jung und lebenslustig. Ihr habt Euren Gatten geliebt, wie man nur lieben kann. Aber Ihr kö nnt nichts mehr fü r ihn tun … und Ihr liebt mich! «

Worauf Cathé rine zum zweitenmal mit derselben Bestimmtheit antwortete:

»Nein! «

Und als er mit verzerrtem Gesicht und einem leisen Zornesfunkeln in den Augen einen Schritt zurü cktrat, wiederholte sie: »Nein, Pierre, ich liebte Euch nicht wirklich … Ich habe es einen Augenblick geglaubt, ich gebe es zu, und noch vor einer Stunde glaubte ich's. Aber ohne es zu wollen, habt Ihr mir die Augen geö ffnet. Ich habe geglaubt, Euch lieben zu kö nnen, ich tä uschte mich … Niemals werde ich einen anderen Mann lieben als ihn! «

»Cathé rine! « murmelte er schmerzlich.

»Ihr kö nnt mich nicht verstehen, Pierre. Ich habe immer nur ihn geliebt, nur fü r ihn und durch ihn geatmet … Ich bin Fleisch von seinem Fleisch, und was immer ihm zustoß en wird, wie sehr die verfluchte Krankheit ihn auch verwü sten mag, er wird fü r mich stets der Unvergleichliche bleiben … der einzige Mann auf der Welt! Meine alte Sara, die mich heute morgen Euretwegen verlassen hat, hatte sich nicht getä uscht. Ich gehö re Arnaud, ihm allein … Solange noch ein Atemzug in mir lebt, wird es so sein. «

Es folgte Stille. Pierre hatte sich von ihr entfernt und trat ans Fenster. Die Sonne ging jetzt unter, das goldene Licht wurde allmä hlich violett. Von jenseits des Flusses erklang ein Jagdhorn, dann ein zweites, denen das Gebell einer Meute antwortete.

»Der Kö nig! « sagte Pierre mechanisch. »Er kommt zurü ck …«

Seine Stimme hatte einen brü chigen Klang, der Cathé rine zusammenfahren ließ. Sie wandte sich ihm zu. Er sah sie nicht an … Aufrecht vor dem Fenster stehend, gegen dessen Helligkeit sich seine krä ftige Gestalt scharf umrissen abhob, rü hrte er sich nicht. Den Kopf gesenkt, schien er nachzudenken, doch plö tzlich sah Cathé rine seine Schultern beben. Sie begriff, daß er weinte.

Tiefes Mitleid bemä chtigte sich ihrer. Zö gernd nä herte sie sich ihm und hob die Hand, um sie dem jungen Mann auf die Schulter zu legen, wagte es aber nicht.

»Pierre«, murmelte sie, »ich mö chte Euch keinen Schmerz zufü gen. «

»Ihr kö nnt nichts dafü r! « erwiderte er hart. Wieder breitete sich Stille ü ber sie, dann, immer noch ohne sich umzuwenden, fragte er:

»Was werdet Ihr tun? «

»Nach Hause reisen! « antwortete sie ohne Zö gern. »Nach Hause und ihnen allen sagen, daß ich mich nicht geä ndert habe, daß ich immer noch ›seine‹ Frau bin …«

»Und dann? « fragte er bitter. »Werdet Ihr Euch in Eure Berge einschließ en, um auf den Tod zu warten? «

»Nein … Dann werde ich Arnaud aus dieser grauenhaften Leprastation herausholen, in die ich ihn habe gehen lassen mü ssen, werde ihn an einen zurü ckgezogenen, ruhigen Ort bringen und bei ihm bleiben, bis …«

Ein kalter Schauer schü ttelte Bré zé. Er drehte sich brü sk um und zeigte der jungen Frau sein verwü stetes Gesicht:

»Das kö nnt Ihr nicht tun! … Ihr habt einen Sohn, Ihr habt nicht das Recht, Selbstmord zu begehen, besonders nicht auf diese entsetzliche Art! «

»Das Leben ohne ihn ist Selbstmord … Ich habe meine Aufgabe hier erfü llt. Die Montsalvys haben sich wieder den Platz erobert, den sie nie hä tten verlieren dü rfen. La Tré moille ist geschlagen … Jetzt kann ich an mich denken … an ihn! «

Lautlos ging sie zur Tü r und ö ffnete sie. Drauß en wartete der Page, doch auf der Schwelle drehte sie sich um. Immer noch vor dem Fenster stehend, hob Pierre noch einmal die Arme, als wolle er sie halten.

»Cathé rine«, flehte er. »Kommt zu mir zurü ck! «

Aber sie schü ttelte den Kopf und lä chelte ihm mit einer Art Zä rtlichkeit zu.

»Nein, Pierre … Vergeß t mich! Es ist besser so. «

Und als fü rchte sie trotz allem, sich durch diese Stimme, die sie so gefä hrlich aufzuwü hlen vermochte, noch einmal erweichen zu lassen, wandte sie sich auf den Fersen um und lief eilends die Treppe hinunter. Als sie auf den Hof hinaustrat, kamen die Jä ger eben mit schmetterndem Hö rnerklang durchs Torgewö lbe geritten. Mitten unter ihnen gewahrte sie den Kö nig und neben ihm die sehnige, schmale Gestalt Bernard d'Armagnacs. Er lachte. Mit einem Schlage wimmelte der weite Platz von heiß em, pittoreskem Leben. Einige Damen liefen herzu, andere lehnten sich aus den Fenstern und wechselten Scherze mit den Jä gern. Rufe ertö nten, Gelä chter erscholl. Doch diesmal hatte Cathé rine kein Verlangen, sich unter sie zu mischen. Arnaud hatte sie wiedergewonnen. Zwischen ihr und diesen Leuten hatte sich eine Kluft aufgetan, zu tief, als daß sie sie ü berschreiten konnte. Eine einzige Hand hä tte sie in diese Welt zurü ckfü hren kö nnen, von der sie sich schon gelö st fü hlte. Und diese Hand hatte weder das Recht noch die Mö glichkeit dazu. Aber im Grunde war dies ohne Bedeutung! Sie muß te dorthin, wo ihr Schicksal lag, und sie hatte jetzt Eile, zu den Ihren zurü ckzukehren.

Am nä chsten Morgen verabschiedete sie sich vom Kö nig, nachdem sie nicht ohne Mü he von der Kö nigin Maria die Erlaubnis zum Aufbruch erhalten hatte, da diese ihre Eile, den Hof zu verlassen, nicht begriff.

»Ihr seid eben erst angekommen, meine Teure! « sagte sie zu ihr. »Seid Ihr unserer schon ü berdrü ssig? «

»Nein, Madame … aber ich sehne mich nach meinem Sohn, und ich gehö re nach Montsalvy. «

»Gut, dann geht! Aber kommt zurü ck, sobald es Euch mit dem Kind mö glich sein wird. Ihr gehö rt zu meinen Ehrendamen, und der Dauphin wird bald Pagen brauchen. «

Karl VII. sagte ungefä hr dasselbe zu der jungen Frau, fü gte aber hinzu:

»So hü bsche Frauen wie Ihr sind selten, und jetzt wollt Ihr abreisen? Was gibt es denn so Anziehendes in dieser Auvergne, daß Ihr den sehnlichen Wunsch habt, dorthin zurü ckzukehren? «

»Es ist ein bewundernswertes Land, Sire, und Ihr wü rdet es lieben. Und was die Frage betrifft, was mich dahin zieht, so bitte ich Euer Majestä t um Verzeihung, wenn ich sage, daß es vor allem mein Sohn und sodann die Ruinen sind …! «

Eine Falte furchte die Stirn des Kö nigs, aber er glä ttete sie sofort mit einem Lä cheln.

»Und Ihr fü hlt die Seele eines Baumeisters in Euch? Ausgezeichnet, Dame Cathé rine! Ich sehe es gern, wenn eine Frau Entschlossenheit und Energie mit soviel Schö nheit verbindet. Aber … was wird bei alldem aus meinem Freund Pierre de Bré zé? Plant Ihr, ihn mitzunehmen? Ich muß Euch nä mlich sagen, daß ich ihn hier sehr brauche. «

Cathé rine wurde steif, senkte jedoch die Augen, um die Erregung, die sich ihrer bemä chtigte, zu verbergen. Sie war ja kaum von dem fü r einen Augenblick geträ umten Traum geheilt. Der Name Pierres verursachte ihr noch immer Schmerz.

»Ich nehme ihn nicht mit, Sire! Der Seigneur de Bré zé hat sich mir als ein treuer Freund erwiesen, als echter Ritter. Aber er lebt sein Leben, wie ich das meine lebe. Der Kampf ruft ihn, und ich muß mein Haus wiederaufbauen …«

Karl VII. mangelte es nicht an Scharfsinn. Dem leisen Tremolo, das in der Stimme der jungen Frau schwang, entnahm er, daß etwas geschehen sein mü sse, und bestand plö tzlich nicht mehr darauf, sie noch weiter zurü ckzuhalten.

»Die Zeit heilt vieles, schö ne Dame … Ich habe einen Augenblick geglaubt, daß wir in kurzem eine Verlobung feiern wü rden, aber offenbar habe ich mich geirrt. Trotzdem, Dame Cathé rine, wü rdet Ihr Eurem Kö nig erlauben, Euch einen Rat zu geben? ü berstü rzt nichts … Brecht nicht alle Brü cken ab! Ich sagte Euch, die Zeit heilt alles, die Zeit ä ndert die Mä nner und Frauen. Ihr sollt eines Tages nichts zu bereuen haben! Das wä re ungerecht! «

Mehr, als sie eingestehen wollte, durch die kö nigliche Fü rsorge bewegt, kniete Cathé rine nieder, um die Hand zu kü ssen, die Karl ihr reichte.

Sie lä chelte ihm tapfer zu.

»Ich werde nichts bereuen! Aber ich weiß Eurer Majestä t fü r Ihre Gü te tiefen Dank. Ich werde sie nie vergessen. «

Er gab ihr ihr Lä cheln zurü ck, mit jener Schü chternheit, die ihn immer angesichts einer sehr schö nen Frau befiel.

»Es kann sein, daß ich eines nahen Tages auch einmal in die Auvergne reise«, sagte er sinnend. »Geht jetzt, Grä fin de Montsalvy! Geht zu dieser Pflicht, die Ihr so gern ü bernommen habt. Wiß t nur, daß Euer Kö nig Euch vermissen wird, daß er hofft, Euch an einem nicht zu fernen Tag wiederzusehen … und daß Ihr seine Hochachtung mitnehmt! «

Er war es, der sich entfernte und Cathé rine inmitten des Groß en Saals, in dem nur die unbeweglichen Posten standen, kniend zurü ckließ. Sie hö rte seinen Schritt verhallen und erhob sich leise. Sie fü hlte sich weniger traurig, eine Art Stolz erfü llte sie darü ber, daß Karl mit ihr nicht wie mit einer Frau, sondern wie mit einem seiner Feldhauptleute gesprochen hatte! Wie er zweifellos mit Arnaud selbst gesprochen hatte.

Blieb noch, der Kö nigin Yolande adieu zu sagen.

Cathé rine begab sich alsbald zu ihr, darauf vorbereitet, ein drittes Mal dieselbe Erklä rung abgeben zu mü ssen. Aber es war nicht nö tig. Die Herrscherin der Vier Kö nigreiche begnü gte sich damit, sie zu umarmen.

»Ihr handelt richtig! « sagte sie zu ihr. »Ich habe nichts anderes von Euch erwartet! Der junge Bré zé hä tte nicht zu Euch gepaß t … weil er eben zu jung ist! «

»Wenn Ihr so dachtet, Madame und meine Kö nigin, warum habt Ihr mir dann nichts gesagt? «

»Weil es sich um Euer Leben handelt, meine Schö ne! Und weil niemand das Recht hat, das Schicksal anderer zu bestimmen. Nicht einmal … was sage ich? … schon gar nicht eine alte Kö nigin! Geht in Eure Auvergne zurü ck! An Arbeit wird es nicht fehlen, denn wir mü ssen dieses schö ne Kö nigreich jetzt wieder zusammenflicken. Wir werden in den Provinzen Leute wie die Montsalvys brauchen. Ihr von Eurer Rasse, meine Teure, seid wie die Berge Eures Landes: Man bedient sich ihrer, aber zerstö rt sie nicht! Trotzdem … mö chte ich Euch nicht ganz verlieren! «

Mit einer Bewegung rief Yolande Anne de Bueil zu sich, die, dem Brauch gemä ß, in einer Ecke ü ber einer Stickerei saß.

»Bringt mir meine Elfenbeinkassette! « befahl sie.

Als die junge Frau sie ihr gebracht hatte, griff sie mit ihren schlanken Fingern hinein und zog einen wunderbaren Smaragd mit ihrem eingravierten Wappen heraus, den sie der verwirrten Cathé rine auf den Finger streifte.

»Der Emir Saladin hat diesen Smaragd einst einem meiner Vorfahren geschenkt, der ihn vor dem Tod errettet hatte, ohne ü brigens zu wissen, wer er war. Ich habe ihn gravieren lassen … Behaltet ihn, Cathé rine, als Erinnerung an mich, an meine Freundschaft und an meine Dankbarkeit. Dank Euch werden wir endlich regieren, der Kö nig und ich! «

Cathé rine schloß die zitternde Hand ü ber den wunderbaren Edelstein. Auch hier kniete sie nieder, um die Hand ihrer Monarchin zu kü ssen.

»Madame … Ein solches Geschenk! Wie kann ich sagen …«

»Sagt nichts! Ihr seid wie ich. Wenn Ihr tief bewegt seid, findet Ihr keine Worte, und das ist besser so. Dieser Ring wird Euch Glü ck bringen und Euch vielleicht auch helfen. Alle von mir Abhä ngigen in Frankreich wie in Spanien, in Sizilien wie auf Zypern oder in Jerusalem werden Euch beim Anblick dieses Juwels Beistand leisten. Es ist eine Art Geleitbrief, den ich Euch gebe, denn ich habe ein Vorgefü hl, daß Ihr ihn brauchen kö nntet. Und ich rechne damit, Euch eines Tages wiederzusehen … bei bester Gesundheit! «

Die Audienz war beendet. Ein letztes Mal verneigte sich Cathé rine.

»Adieu, Madame …«

»Nein, Cathé rine«, lä chelte die Kö nigin. »Nicht Adieu! Auf Wiedersehen! Und Gott behü te Euch! «

Wenn Cathé rine glaubte, sie habe sich nun ü berall verabschiedet, so tä uschte sie sich. Als sie auf den groß en Hof hinaustrat, um sich in die Staatskanzlei zu begeben, wo man ihr die Papiere ihrer Rehabilitierung ü berreichen sollte, die sie noch nicht hatte holen lassen, stieß sie auf Bernard d'Armagnac, der ungeduldig auf und ab schritt, als warte er auf jemand. Seit der Szene im Obstgarten hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen, und das Zusammentreffen bereitete ihr durchaus kein Vergnü gen. Sie versuchte vorbeizugehen, indem sie so tat, als sä he sie ihn nicht, aber er stü rzte sich auf sie.

»Ich erwartete Euch! « sagte er. »Man spricht in diesem Schloß nur von Eurer Abreise, und als ich hö rte, daß Ihr bei der Kö nigin Yolande seid, dachte ich mir gleich, daß Ihr bald wieder herauskommen wü rdet. Ihr seid nicht die Frau, die Abschiedsbesuche in die Lä nge zieht, und sie ist es auch nicht. «

»Ihr habt recht. Adieu, Graf«, entgegnete Cathé rine kalt.

Ein reumü tiges Lä cheln fä ltelte das intelligente Gesicht des gaskognischen Edelmanns.

»Hm! Ihr zü rnt mir, wie es scheint! Und da dü rftet Ihr im Recht sein! Aber ich bin gekommen, Eure Verzeihung zu erbitten, Cathé rine. Neulich habe ich rot gesehen. Ich hä tte Euch beide tö ten kö nnen! «

»Aber Ihr habt nichts dergleichen getan. Seid versichert, daß ich Euch dafü r sehr dankbar bin. «

Sie glaubte, daß ihre wü rdevolle Haltung Bernard beschä men wü rde. Zu ihrer groß en Ü berraschung war er es durchaus nicht. Der Gaskogner brach in Gelä chter aus.

»Gottes Blut! Cathé rine, laß t diesen gespreizten Ton! Er steht Euch nicht, glaubt mir! «

»Ob er mir nun steht oder nicht, ich habe keinen anderen fü r Euch zur Verfü gung. Dachtet Ihr etwa, ich wü rde Euch um den Hals fallen? «

»Ihr mü ß tet es eigentlich! Schließ lich habe ich Euch vor einer gewaltigen Dummheit bewahrt! Wenn Ihr dem Vorhaben dieses Stutzers nachgegeben hä ttet, wü rdet Ihr's jetzt von ganzem Herzen bereuen. «

»Woher wiß t Ihr das? «

»Aber geht! Bré zé ist nicht an meinem Degenhieb gestorben, weit entfernt davon! Wenn Ihr wirklich zu ihm gehalten hä ttet, wä ret Ihr noch in derselben Nacht zu ihm aufs Zimmer gegangen. Aber das habt Ihr nicht getan! «

»Ich bin am anderen Tag zu ihm gegangen …«

»Und seid mit roten Augen wieder herausgekommen, mit der entschlossenen Miene eines Menschen, der eine ernste Entscheidung getroffen hat. Ihr seht, ich bin gut unterrichtet. «

»Etwas sagt mir, daß Eure Spione Euch belü gen! Sie haben Euch nicht alles gesagt! « erwiderte Cathé rine, gezwungen lä chelnd. Aber sofort war Bernard wieder ernst geworden:

»Doch, Cathé rine! Ihr habt mit ihm gebrochen, und die Erinnerung an Euren Gatten hat Euch zur Besinnung gebracht. Wenn das nicht so wä re, warum reist Ihr dann ab? Warum hat Bré zé vor einer Stunde an der Spitze seiner Lanzenreiter die Zugbrü cke dieses Schlosses passiert? Er bricht zur Unterstü tzung Lores auf, dessen Festung Saint‑ Ceneri die Englä nder angegriffen haben. «

»Ah! « sagte die junge Frau mit ganz leiser Stimme. »Er ist fort? «

»Ja, er ist fort! Weil Ihr ihn abgewiesen habt! Ich habe mich nicht in Euch getä uscht, Cathé rine, Ihr seid ganz die, die der groß e Montsalvy sich erwä hlt hat! Nur neulich nacht hab' ich mich irrefü hren lassen. Wollen wir nicht Frieden schließ en? Ich habe den groß en Wunsch, wieder Euer Freund zu werden. «

Seine Zerknirschung und sein Bedauern waren echt. Und Cathé rine konnte gegen jemand, der seine Fehler so freimü tig eingestand, keinen Groll hegen. Plö tzlich lä chelte sie und streckte dem jungen Mann beide Hä nde entgegen.

»Ich tä uschte mich auch. Vergessen wir das alles, Bernard … und kommt nach Montsalvy, wenn Ihr nach Lectoure zurü ckkehrt! Ihr werdet immer willkommen sein! Spä ter werde ich Euch Michel anvertrauen, wenn die Zeit gekommen sein wird, einen Pagen aus ihm zu machen. Ich glaube, Ihr werdet das aus ihm zu machen verstehen, was Arnaud erwartet hä tte. Und jetzt sagt mir auf Wiedersehen! «

»Verlaß t Euch auf mich! Auf Wiedersehen, schö ne Cathé rine! «

Ehe sie sich's versah, packte er sie an den Schultern und versetzte ihr auf beide Wangen einen schallenden Kuß. Dann ließ er sie los.

»Ich werde Xaintrailles und La Hire erzä hlen, was fü r eine tapfere Kameradin Ihr seid! Ich wollte Euch eine Eskorte auf den Heimweg mitgeben, aber anscheinend hat der Kö nig da schon vorgesorgt. «

»Gott sei Dank«, sagte Cathé rine lachend. »Ich mö chte auch lieber etwas Friedfertigeres um mich haben als Eure Teufel aus der Gascogne. Um die im Zaum zu halten, muß man eine Fü hrernatur sein, und ich bin nicht Arnaud de Montsalvy! «

Schon im Begriff, sich zu entfernen, blieb Bernard stehen, machte kehrt und sah Cathé rine einen Augenblick prü fend an. Dann, ernst:

»Ich glaube doch! « sagte er.

Die Morgenrö te ließ die Dä cher von Chinon und das ruhige Wasser der Vienne aufglü hen, als Cathé rine in der Frü he des folgenden Tages unter dem Fallgatter des Uhrenturms hindurchritt. Alle Glocken der Stadt lä uteten zum Morgengebet, und ihr Klang stieg in die reine Luft bis zu der kleinen Reitergruppe hinauf, die das Schloß verließ. Die Eskorte, die der Kö nig zu Cathé rines Verfü gung gestellt hatte, bestand aus Bretonen, wie die mit Hermelinschwä nzen gesprenkelten Wappenrö cke der Soldaten bezeugten. Tristan l'Hermite befehligte sie, und als er am Abend zuvor zu Cathé rine gekommen war, um ihr zu sagen, daß er sie nach Montsalvy begleiten wü rde, bevor er zum Konnetabel de Richemont nach Parthenay gehe, hatte sie groß e Freude darü ber empfunden. Der Kö nig hä tte keine bessere Maß nahme zu ihrem Schutze treffen kö nnen, als ihr diesen schweigsamen Flamen mitzugeben, dessen Tapferkeit sie schä tzengelernt hatte. Er besaß gelassene Schlauheit, ruhigen Mut und eine Begabung fü r Verwaltung und Regierungsgeschä fte. Sie hatte zu ihm gesagt:

»Ihr werdet es weit bringen, Freund Tristan. Ihr habt alle Eigenschaften eines Staatsmannes. «

Worauf er lachte.

»Das hat man mir auch schon gesagt … sogar erst gestern! Wiß t Ihr, Dame Cathé rine, daß unser zehnjä hriger Dauphin sich fü r meine Person interessieren will? Er hat mir versprochen, mein Glü ck zu machen, wenn er einmal Kö nig sein wird. Offenbar haben ihn unsere Taten gegen La Tré moille beeindruckt. Wohlverstanden, ich werde dieser Art Versprechungen nicht allzuviel Glauben schenken. Die Fü rsten, besonders, wenn sie so jung sind, haben ein schlechtes Gedä chtnis. «

Aber Cathé rine hatte den Kopf geschü ttelt. Sie erinnerte sich an den forschenden, bis zur Unerträ glichkeit scharfen Blick des Dauphins Louis. Ein Blick, der bestimmt nicht vergessen wü rde.

»Ich glaube, er wird sich erinnern! « sagte sie nur.

Tristan hatte sich damit begnü gt, zweifelnd den Kopf zu schü tteln. Und nun ritt er ruhig an ihrer Seite, lä ssig im Sattel hä ngend wie jemand, den man ü ber die Eintö nigkeit langer Ritte nicht mehr zu belehren braucht und der es sich angewö hnt hatte, im Sattel zu schlafen. Seine Kappe hatte er auf die Augen heruntergezogen, um sie gegen die Strahlen der aufgehenden Sonne zu schü tzen, und ü berließ sich dem ausgewogenen Gang des Pferdes.

Cathé rine war wieder in das Jü nglingskostü m geschlü pft, das sie beim Verlassen Angers' getragen hatte. Sie liebte es, sich als Mann anzuziehen, der grö ß eren Bewegungsfreiheit wegen und weil es sie mit einer Art von Verwegenheit erfü llte. Gut in ihre Steigbü gel gestü tzt, betrachtete sie die Stadt, als sä he sie sie zum erstenmal. In ihr hatte sie den Sieg davongetragen, den sie sich wü nschte, und dazu noch einen weiteren, unerwarteten, ü ber sich selbst. In dem Augenblick, in dem sie Chinon verließ, wurde es ihr plö tzlich teuer.

Die guten Leute begannen ihren Tag. Ü berall knarrten die Fensterlä den, die Boutiquen wurden geö ffnet, und die Hausierer mit Blumen und Gemü se setzten sich in Bewegung. Ein starker Regen hatte abends zuvor die kleinen, runden Pflastersteine frisch gewaschen. Als sie zum Grand Carroi kamen, sah Cathé rine neben dem Brunnen ein junges Mä dchen von etwa fü nfzehn Jahren, das, auf dem Brunnenrand sitzend, Rosensträ uß e band. Sie waren so frisch, diese Rosen, und sie erinnerten Cathé rine an einen anderen Strauß, den man ihr eines Abends durchs Fenster von Meister Agnelets Herberge geworfen hatte. Sie hielt ihr Pferd neben dem Blumenmä dchen an.

»Deine Rosen sind hü bsch! « sagte sie. »Verkauf mir einen Strauß! «

Die Kleine reichte ihr sofort das schö nste ihrer duftenden Gebilde.

»Das macht einen Sou, edler Herr! « sagte sie lä chelnd und knicksend. Aber gleich wurde sie rot wie eine Kirsche und rief freudig: »Oh, danke, edler Herr! «, als sie von Cathé rine ein Goldstü ck fü r den Strauß bekam.

Cathé rine setzte ihr Pferd wieder in Bewegung und ritt auf die befestigte Brü cke zu, die ü ber die Vienne fü hrte. Sie hatte ihr Gesicht in den Blumen vergraben und roch mit geschlossenen Augen den kö stlichen Duft. Tristan begann zu lachen:

»Das sind zweifellos die letzten Rosen, die wir lange Zeit zu sehen bekommen werden. In Eurer armen Auvergne gedeihen sie nicht. Hier sind sie zu Hause. Die Touraine ist ihre Domä ne! «

»Aus diesem Grund habe ich sie auch gekauft. Sie reprä sentieren fü r mich dieses schö ne Land der Loire und einige Erinnerungen … Spuren, die vielleicht verwehen, wenn sie verwelkt sind. «

Der Bewaffnetentrupp ritt ü ber die Brü cke, von den Soldaten der Wache gegrü ß t, die das Wappen des Konnetabels erkannten. Nachdem man den Fluß hinter sich hatte, setzte man die Pferde in Galopp. Cathé rine und ihre Eskorte verschwanden in einer Staubwolke.

 

 



  

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