Хелпикс

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Zwölftes Kapitel



 

Nachdem Cathé rine die hohe Pforte mit den eisenbeschlagenen Flü geltü ren durchschritten hatte, sah sie den riesigen Hof des Schlosses von Chinon vor sich. Schottische Bogenschü tzen, in zwei Reihen angetreten, bildeten Spalier, unbeweglich wie Statuen, nur die Reiherfedern ihrer Mü tzen bewegten sich leise im Abendwind. Auf der achtzehnstufigen Freitreppe, die zum Groß en Saal fü hrte, wo der Kö nig sie erwartete, standen zehn Herolde, die Trompeten an der Hü fte …

Cathé rines Herz hä mmerte dumpf in ihrer Brust. Es waren jetzt zehn Tage vergangen, daß der kü hne Handstreich gegen den Groß kä mmerer gelungen war. Als Gefangener in Montré sor erwartete La Tré moille die unnachgiebigen Bedingungen fü r sein gerettetes Leben: ein ungeheures Lö segeld, Rü cktritt von allen seinen Ä mtern, zukü nftiger Zwangsaufenthalt in seinem Schloß Sully, dem einzigen, das man ihm ließ. Aber sie wollte das Ungeheuer von einem Tyrannen vergessen, der sie und die Montsalvys so grausam bedrü ckt hatte. Heute war die Stunde ihres Triumphs. Kö nigin Yolande hatte sie wissen lassen, daß der Kö nig sie an diesem Abend des 15. Juni in groß er Gala empfangen werde.

Diesen Augenblick hatte sie ungeduldig in Meister Agnelets Herberge erwartet, nun nicht mehr im Verborgenen wie zuvor, sondern frei, nach ihrem Belieben auszugehen oder Besucher zu empfangen. Keine Gefahr bedrohte sie mehr … Hatte sie nicht am Tage nach dem Sturz La Tré moilles Gilles de Rais in aller Herrgottsfrü he Chinon mit seinen Leuten verlassen sehen? Ein fast heimlicher Aufbruch war es gewesen. Noch immer war die alte Arroganz nicht vom Gesicht des Marschalls gewichen, aber es war nichtsdestoweniger ein Besiegter, der sich da auf seine Gü ter bei Angers zurü ckzog. Ein trü bes Lä cheln war ü ber ihre Lippen gehuscht, als sie ihn vorü berziehen sah. »Eines Tages«, hatte sie zwischen den Zä hnen gemurmelt, »wirst auch du fü r das bü ß en, was du mir angetan hast! Ich werde dich nicht vergessen! «

Als sie sich der Freitreppe nä herte, setzten die Herolde die langen silbernen Trompeten an die Lippen, deren schmetternde Klä nge die Luft erfü llten und Cathé rine vor Erregung beben ließ en. Instinktiv suchte sie hinter sich die Gestalt Tristan l'Hermites, der ihr respektvoll im Abstand von drei Schritten folgte. Indessen mischte sich eine leise Bitternis in die Freude dieses Abends … Sie hatte gehofft, in dieser so wichtigen Minute Pierre de Bré zé bei sich zu haben. Aber seit er mit ihr den Schloß turm von Coudray verlassen und sie nach Hause gebracht hatte, war er wie vom Erdboden verschwunden. Niemand hatte ihr sagen kö nnen, was aus ihm geworden war. Nur Tristan hatte geglaubt, ihn gesehen zu haben, wie er noch am selben Tage in gestrecktem Galopp aus Chinon hinausgeritten war. Niemand hatte ihn wiedergesehen …

Die Trompeten schwiegen, doch als Cathé rine langsam die Stufen der Freitreppe hinaufschritt, ö ffneten sich die hohen Tü rflü gel des strahlend erleuchteten Groß en Saals. Hundert Fackeln brannten in dem riesigen Raum, dessen ü ber sechs Meter hohe Wä nde vollstä ndig mit Gobelins bekleidet waren. Frische Blü ten bedeckten die Fliesen bis hin zum groß en Kamin im Hintergrund. Eine farbenprä chtige Menge war dort versammelt, die still wurde, als die Tü r sich ö ffnete. Nahe dem Kamin bemerkte Cathé rine den hohen, von einem blau‑ goldenen Baldachin gekrö nten kö niglichen Sessel, in dem der Kö nig saß, neben ihm stehend der junge Mann, den sie in der Nacht von Amboise gesehen hatte, Charles d'Anjou, strahlend vor Jugend in seinem golddurchwirkten Kostü m. In einer Fensternische sah sie die Kö nigin, von ihren Damen umgeben, aber ihr Blick kehrte zu einem bejahrten, hochgewachsenen Mann zurü ck, der sie, auf einen weiß en Stab gestü tzt, am Saaleingang erwartete: der Graf de Vendô me, Zeremonienmeister und Erster Verwalter des kö niglichen Hauses.

Schon verneigte er sich vor ihr und bot ihr die Hand, um sie zum Thron zu fü hren, als eine weibliche Gestalt in prä chtiger Trauerkleidung schnell zwischen den sich verneigenden Gruppen der Herren und Damen vorschritt. Von Bewegung ergriffen, erkannte Cathé rine die Kö nigin Yolande. Diese wandte sich liebenswü rdig an Louis de Vendô me, der schon das Knie beugte.

»Wenn es Euch recht ist, Vetter, werde ich selbst Madame de Montsalvy zum Kö nig fü hren! « sagte sie.

»Das Protokoll hat zu schweigen, wenn die Kö nigin befiehlt! « erwiderte der Groß meister lä chelnd.

Yolande reichte Cathé rine, die in einen tiefen Hofknicks vor ihr versank, die Hand. »Kommt, meine Kleine! «

Seite an Seite, inmitten tiefer Stille, schritten die beiden Frauen durch die ganze Lä nge des Saals, die eine imposant und schö n unter der hohen Krone, die ihre dunklen Flechten wie eine Aureole umrahmte, die andere von Schö nheit strahlend trotz der Strenge ihrer dü steren Kleidung. Beide in Trauer, doch Yolandes Kleidung war aus Samt und Seide, wä hrend Cathé rine sich nur feine Wolle erlaubt und ihren blonden Kopf in einen Trauerflor gehü llt hatte. Je mehr sie sich dem Thron nä herten, desto mehr schnü rte ihr die Feierlichkeit des Augenblicks das Herz zusammen. Die dü rftige Gestalt des Kö nigs in dunkelblauem, diskret mit Gold verziertem Samtgewand wuchs und wuchs, und Cathé rine dachte schmerzlich, daß die freundschaftliche Hand, die sie fü hrte, die Arnauds hä tte sein mü ssen. Ohne das verfluchte Leiden wä ren sie diese Triumphstraß e zusammen entlanggeschritten und bestimmt nicht in Trauerkleidung. Ihm, ihrer verlorenen Liebe, widmete sie diese Minute, denn ihm gehö rte sie. In den Tiefen ihrer Erinnerung sah sie ihn wieder wie eine vom Blitz gefä llte Eiche vor den Trü mmern seines zerstö rten Heims, das auf Befehl dieses selben Kö nigs in Brand gesteckt worden war, der sie jetzt erwartete. Sie glaubte, das Schluchzen dieses starken und heldenmü tigen Mannes noch zu hö ren, und muß te die Augen schließ en, um ihre Trä nen zurü ckzuhalten.

Doch plö tzlich, aus ihren qualvollen Trä umen gerissen, wurde ihr die unglaubliche Ehre bewuß t, die Yolande ihr erwies, denn auf ihrem Wege verneigten sich die Herren und Damen oder beugten das Knie, und die der Kö nigin dargebrachte Huldigung strahlte auch auf ihre junge Begleiterin aus. Sie sah, wie selbst Prinzen von kö niglichem Geblü t sich verbeugten, und als sie an den Stufen des Throns angelangt waren, erhob sich der Kö nig. Seine braunen, glanzlosen Augen richteten sich mit Interesse auf Cathé rines Antlitz. Die junge Frau fü hlte, daß sie errö tete. So stiefmü tterlich Karl VII. von der Natur auch behandelt worden war, strö mten seine schwä chliche Gestalt und sein unschö nes Gesicht dennoch Majestä t aus. Er war eben der Kö nig, jener Kö nig, dem man, wenn man Montsalvy hieß, uneingeschrä nkt sein Blut, sein Leben und sein Vermö gen zu Fü ß en legte. Ohne den Blick zu senken, den sie fest auf den des Herrschers gerichtet hatte, beugte Cathé rine langsam das Knie, wä hrend die Stimme der Kö nigin Yolande sich erhob.

»Majestä t, mein Sohn«, sagte sie, »mö ge es Eurer Gerechtigkeit und Eurem groß mü tigen Herzen gefallen, Cathé rine, Grä fin de Montsalvy, Dame de là Châ taigneraie in Gnaden zu empfangen, die vor Euch kniet, um Eure Hilfe zu erflehen und um die Wiedergutmachung des vielfachen Unrechts und der grausamen Leiden zu bitten, die sie durch den ehemaligen Groß kä mmerer zu erdulden hatte. «

»Majestä t«, fü gte Cathé rine sogleich mit Leidenschaftlichkeit hinzu, »ich fordere Gerechtigkeit fü r meinen in der Verzweiflung gestorbenen Gatten, fü r Arnaud de Montsalvy, der Euch stets treu diente, nicht fü r mich! Ich bin nur seine Frau! «

Der Kö nig lä chelte, stieg zu der jungen Frau hinunter, nahm ihre beiden Hä nde, um ihr aufzuhelfen.

»Dame«, sagte er sanft, »eigentlich mü ß te der Kö nig zu Euren Fü ß en um Gnade bitten. Ich kenne all das Bö se, das dem treuesten meiner Hauptleute zugefü gt worden ist, und ich empfinde groß e Scham und groß en Schmerz darü ber. Heute kommt es darauf an, daß fü r Euch und Euren Sohn alles wieder wird wie frü her und daß das Haus Montsalvy wieder hoch zu Ehren und zu Vermö gen komme. Man rufe unseren Kanzler! «

Von neuem teilte sich die schillernde Menge, um Regnault de Chartres, Erzbischof von Reims und Kanzler von Frankreich, durchzulassen. Cathé rine erkannte nicht wenig erstaunt den hochmü tigen Prä laten, der einst ein Todfeind Jehanne d'Arcs gewesen war und sich zweifellos nur aus Vorsicht von La Tré moille losgesagt hatte. Instinktiv empfand sie eine Aversion gegen ihn, vielleicht seines hochmü tigen Blicks und des berechnenden Zuges um seine Lippen wegen. Aber plö tzlich fü hlte sie, wie eine tiefe Rö te ihre Wangen ü berzog. Einige Schritte hinter dem Kanzler ging ein Mann in staubbedeckter Kleidung und mit abgespannten Zü gen: Pierre de Bré zé. Er lä chelte ihr zu, als er sie bemerkte, und Cathé rine muß te, ob sie wollte oder nicht, das Lä cheln zurü ckgeben. Aber sie hatte keine Zeit, sich Fragen zu stellen. Karl VII. wandte sich an Regnault de Chartres.

»Seigneur Kanzler, habt Ihr, was Messire de Bré zé aus Montsalvy holen sollte? «

Statt einer Antwort streckte der Erzbischof die Hand aus, ohne Pierre anzusehen. Der junge Mann reichte ihm eine sichtlich beschmutzte, unansehnliche Pergamentrolle. Regnault de Chartres rollte das an allen vier Ecken durchlö cherte Pergament auf. Eine Blutwelle ü berflutete Cathé rines Hals. Dieses Pergament, an den Rä ndern zerfetzt, beschmutzt, durchlö chert, halb vergilbt, kannte sie. Es war mit vier Pfeilen an die noch rauchenden Ruinen von Montsalvy geheftet worden; es war das Edikt, das Arnaud de Montsalvy zum Verrä ter an Kö nig und Kö nigreich, zum Treubrü chigen und fü r immer Geä chteten erklä rte … Sie sah es zwischen den Fingern des Kanzlers zittern, wie sie es einst in Montsalvy im Abendwind hatte leise flattern sehen … Und dann geschah etwas: Ein in Rot gekleideter Mann trat vor, dem zwei Diener folgten, die einen mit glü henden Kohlen gefü llten eisernen Ofen trugen. Cathé rine erkannte den Scharfrichter! Ihre Augen blickten verstö rt, wä hrend unkontrollierbare Angst sie befiel. Diese makabre rote Gestalt erinnerte sie an Vorkommnisse, die noch zu frisch und zu sehr mit Entsetzen geladen waren! Aber es war kein Mensch, den er hinrichten sollte.

Regnault de Chartres trat vor, die Pergamentrolle in den Hä nden. Seine Stimme durchdrang die Stille.

»Wir, Karl, der Siebente dieses Namens, durch die Gnade des allmä chtigen Gottes Kö nig von Frankreich, befehlen, daß das Edikt, das den hochwohlgeborenen und hochedlen Seigneur Arnaud, Graf von Montsalvy, Seigneur de la Châ taigneraie im Lande der Auvergne, ebenso wie seine Nachkommen wegen Verrates mit dem Bann bestrafte, auf ewig hinfä llig sei. Wir befehlen, daß besagtes Edikt als falsch, wahrheitswidrig und niederträ chtig erklä rt und an diesem heutigen Tage unter unseren Augen durch die Hand des Scharfrichters als Schandmal vernichtet werde …«

Der Kanzler zog eine Schere aus der Tasche, schnitt das abgenutzte rote Band ab, an dem das Groß e Staatssiegel Frankreichs hing, und reichte es dem Kö nig, nachdem er es respektvoll gekü ß t hatte. Dann ü bergab er die Pergamentrolle dem Scharfrichter. Dieser nahm sie mit einer Kneifzange und warf sie in den Ofen. Die feine Schafshaut krü mmte sich, als sei sie mit einem eigenen Leben begabt, wurde dann schwarz und verbrannte mit einem unangenehmen Geruch, aber solange noch ein Stü ck davon ü brigblieb, ließ Cathé rine sie nicht aus den Augen. Erst als sie vö llig von den Flammen verzehrt war, hob sie den Kopf und traf auf den Blick des Kö nigs, der ihr zulä chelte.

»Euer Platz ist bei uns, Cathé rine de Montsalvy, bis Euer Sohn alt genug ist, um uns zu dienen. Seid in diesem Schloß willkommen, in dem Ihr heute abend Wohnung nehmen werdet. Morgen wird Euch unser Kanzler die Urkunden aushä ndigen, nach denen Euch Euer Vermö gen und Eure herrschaftlichen Gü ter voll und ganz zurü ckgegeben werden. Dann wird unser Schatzkanzler Euch eine Summe Goldes auszahlen, die dazu bestimmt ist, Euch fü r das Unrecht, das Euch angetan worden ist, zu entschä digen. Leider kann das Gold nicht alles wiedergutmachen, und der Kö nig hat es nie zuvor so sehr bedauert. «

»Sire«, murmelte sie mit heiserer Stimme, »so Gott will, werden die Montsalvy fortfahren, Euch zu dienen, wie sie Euch immer gedient haben. Mein Dank an Euch sei mir verstattet, daß Ihr es ihnen von neuem vergö nnt! «

»Geht nun und begrü ß t Eure Kö nigin. Sie erwartet Euch. «

Cathé rine wandte sich zu Marie d'Anjou, die einige Schritte hinter ihr inmitten ihrer Hofdamen stand und ihr zulä chelte. Spontan kniete sie zu Fü ß en dieser hä ß lichen und gü tigen Frau nieder, die nicht wuß te, was bö se ist. Marie empfing Cathé rine mit offenen Armen.

»Meine teure Cathé rine«, sagte sie zu ihr, wä hrend sie sie umarmte, »ich bin so glü cklich, Euch wiederzusehen! Ich rechne damit, daß Ihr Euren Platz unter meinen Damen wieder einnehmen werdet. «

»Eine gewisse Zeit, Madame … denn ich werde zu meinem Sohn zurü ckkehren mü ssen! «

»Das eilt nicht. Ihr werdet ihn holen lassen. Platz, meine Damen, fü r die Grä fin de Montsalvy, die zu uns zurü ckkehrt! «

Der Empfang, der Cathé rine zuteil wurde, war schmeichelhaft. Sie kannte bereits einige unter ihnen und fand mit Freuden die hü bsche Anne de Bueil, Dame von Chaumont, wieder, die sie in Angers getroffen hatte. Auch Jeanne du Mesnil sah sie, die sie noch von der Zeit her kannte, als sie Edeldame in Bourges gewesen war, und die Dame de Biosset; doch war sie bisher weder Madame de la Roche Guyon begegnet noch der Prinzessin Jeanne d'Orlé ans, der Tochter des lebenslä nglichen Gefangenen von London. Sie war erstaunt, Marguerite de Culan nicht wiederzutreffen, die ihre Freundin gewesen war, und ein wenig bekü mmert, als sie hö rte, das junge Mä dchen habe den Schleier genommen, aber sie war so glü cklich, wieder in den ihr zukommenden Kreis, auf ihren richtigen Platz zurü ckzukehren, daß nichts sie allzusehr treffen konnte. Sie war wie ein Stein, den ein heftiger Sturmwind aus seiner Mauer gerissen und ein sorgfä ltiger Maurer wieder an Ort und Stelle unter seinesgleichen zurü ckgesetzt hat. Es war gut, sich wieder von Freunden umgeben zu fü hlen, die hü bschen, lä chelnden Gesichter wiederzusehen, liebenswü rdige Worte zu hö ren nach so vielen ermü denden Ritten, so vielen dunklen Tagen! Einige Mä nner mischten sich jetzt unter die Damen, begierig, sich der Heldin des Tages zu nä hern. Etwas berauscht sah sie den schö nen Herzog von Alenç on auf sich zukommen, dann den Bastard von Orlé ans, Jean de Dunois, der sie einst vor der Folter gerettet hatte, den Marschall de La Fayette und andere mehr. Sie wuß te gar nicht, wem sie zuerst antworten, wem sie zulä cheln sollte, und suchte unter den Mä nnern Pierre, Pierre, der aus der Auvergne zurü ckkam und den sie dringend ausfragen wollte. Doch plö tzlich hö rte sie eine Stimme, deren Gaskogner Akzent frö hlich hinter ihr aufklang, und drehte sich um.

»Hatte ich nicht vorausgesagt, daß man Euch am Hof des Kö nigs wiedersehen wü rde? Habt Ihr auch ein Lä cheln fü r einen alten Freund ü brig? «

Sie streckte dem Neuangekommenen beide Hä nde entgegen und kä mpfte gegen das Verlangen an, sich ihm an den Hals zu werfen.

»Bernard der Jü ngere! « sagte sie liebevoll. »Wie gut, Euch wiederzusehen! Ihr habt uns also nicht vergessen? «

»Ich vergesse meine Freunde nie«, erwiderte Bernard d'Armagnac mit plö tzlichem Ernst, »besonders nicht, wenn sie Euren Namen tragen. Kommt mit …«

Er hatte sie am Arm genommen und zog sie beiseite. Man machte ihnen Platz. Die Gruppen formierten sich um den Kö nig und die Kö niginnen, das Hofleben nahm wieder seinen Gang, wä hrend man darauf wartete, daß zum Souper geblasen wurde. Cathé rine, von nun an zugelassen, war in die Gemeinschaft aufgenommen worden. Neben ihm gehend, betrachtete Cathé rine prü fend das faunhafte Gesicht des Grafen de Pardiac. Dieses braune Gesicht mit den grü nen Augen und den spitzen Ohren, fein und durchgeistigt, erinnerte sie an die grausamen und zä rtlichen Stunden von Montsalvy. Bernard hatte sie vor dem Tod gerettet, Arnaud und sie, hatte ihnen in Carlat Zuflucht gewä hrt. Ohne ihn – weiß Gott, was aus ihnen geworden wä re! …

In einer Fensternische angelangt, blieb Bernard stehen, blickte Cathé rine ins Gesicht und fragte plö tzlich ernst:

»Wo ist er? Was ist aus ihm geworden? «

Sie erbleichte und sah ihn mit verstö rter Miene an.

»Arnaud? Aber … wiß t Ihr es denn nicht? Er ist nicht mehr …«

»Das glaube ich nicht! « erwiderte er mit einer heftigen Bewegung, die das unheilvolle, einen Augenblick heraufbeschworene Bild verscheuchte. »In Cariâ t haben sich Dinge ereignet, die ich nicht verstehe. Hugh Kennedy, den ich gesprochen habe, ist stumm wie ein Fisch, und jeder hier schwö rt, Arnaud sei tot. Aber ich, ich bin vom Gegenteil ü berzeugt. Sagt mir die Wahrheit, Cathé rine, Ihr schuldet sie mir! «

Sie schü ttelte traurig den Kopf, schob mechanisch mit dem Finger den schwarzen Flor zurü ck, der ihre Wange gestreift hatte.

»Es ist eine furchtbare Wahrheit, Bernard, schlimmer als der Tod … Ich schulde sie Euch natü rlich, und trotzdem wü nschte ich, Ihr wü rdet mich nicht danach fragen. Sie ist so grausam. Wisset also, daß mein Gatte fü r die ganze Welt tot ist! «

»Fü r die ganze Welt, aber nicht fü r mich! Cathé rine, mir geht es wie Euch, es sind nur einige Tage her, seit ich wieder an diesem Hof bin. Vorher habe ich nö rdlich der Seine Krieg gefü hrt, mit La Hire und Xaintrailles. Auch sie weigern sich, an diesen unerklä rlichen, unaufgeklä rten Tod Montsalvys zu glauben. «

»Wie kommt es, daß sie nicht hier sind? « fragte Cathé rine in dem Bestreben, vom Thema abzuschweifen. »Ich hoffte, sie wiederzusehen! «

Aber der Graf de Pardiac ließ sich nicht ablenken. Er antwortete kurz:

»Sie kä mpfen gegen Robert Willoughby an der Oise. Wenn ich nicht bei ihnen gewesen wä re, wä re ich nach Carlat zurü ckgekehrt. Ich bin der Lehnsherr dort, erinnert Euch, und ich hä tte den Leuten des Schlosses sehr wohl die Wahrheit entreiß en kö nnen, und sei es durch die Folter. «

»Die Folter, die Folter! Ihr kennt also nichts anderes als dieses entsetzliche Mittel? « entgegnete Cathé rine mit Schaudern.

»Die Mittel sind, wie sie sind«, antwortete er ruhig. »Das Wichtige ist das Ergebnis. Sprecht, Cathé rine, Ihr wiß t genau, daß ich es frü her oder spä ter herausbekommen werde. Und ich gebe Euch mein Wort als Edelmann, daß Euer Geheimnis bei mir wohlverwahrt ist. Ihr wiß t, daß es nicht eitle Neugier ist, was mich bewegt. «

Sie musterte ihn einen Augenblick scharf. Wie sollte sie an seiner Ehrlichkeit zweifeln, nach allem, was er fü r sie getan hatte? Sie machte eine Bewegung des Ü berdrusses.

»Ich werde es Euch sagen. Ohnehin, was spielt es fü r eine Rolle? «

Sie brauchte nur wenige Worte, um ihm die furchtbare Wahrheit ü ber Arnaud zu berichten. Doch als sie schwieg, war der gaskognische Edelmann leichenblaß. Er wischte sich mit seinem Ä rmel aus Goldbrokat den Schweiß von der Stirn. Und plö tzlich wurde er rot vor Zorn, warf der jungen Frau einen wü tenden, giftigen Blick zu.

»Und Ihr habt ihn in diesem Drecknest gelassen, unter diesen Bauernlü mmeln, damit er langsam verreckt? Ihn, den edelsinnigsten von uns allen? «

»Was konnte ich tun? « rief Cathé rine, sofort empö rt. »Ich stand allein gegen die Besatzung, gegen das Dorf … Es muß te sein. Er hat es selbst so gewollt. Vergeß t Ihr, daß wir nichts mehr hatten, kein anderes Asyl als das, welches wir Euch verdanken? «

Bernard d'Armagnac wandte den Kopf ab, hob die Schultern und warf Cathé rine dann einen unsicheren Blick zu.

»Das ist wahr! Verzeiht mir … aber dabei kann es nicht bleiben, Cathé rine! Kann man ihn nicht in irgendeinem entlegenen Schloß unterbringen und dort von ein paar ergebenen Dienern versorgen lassen? «

»Wer wü rde sich dazu bereit finden, da es sich um Lepra handelt? « murmelte Cathé rine. »Und dennoch glaube ich, daß es mö glich wä re. Aber wo? Er will sich nicht von Montsalvy entfernen. «

»Ich werde etwas finden, ich werd's Euch dann sagen … Allmä chtiger Gott! Ich kö nnte den Gedanken nicht ertragen, ihn da zu wissen, wo er ist. «

Cathé rine stiegen die Trä nen in die Augen, aber die Freude war bald verflogen, und sie stammelte:

»Und ich? Glaubt Ihr, ich kö nnte es ertragen? Seit Monaten quä lt mich dieser Gedanke! Wenn ich keinen Sohn hä tte, wä re ich bei ihm geblieben, hä tte ihn nie allein gelassen. Was macht es mir schon aus zu sterben, selbst an dieser entsetzlichen Krankheit, wenn es nur mit ihm wä re? Aber ich habe Michel … Und Arnaud hat mich verstoß en! Ich hatte eine Aufgabe zu bewä ltigen. Jetzt ist sie es, um die Wahrheit zu sagen. «

Bernard biß sich auf die schmalen Lippen und sah sie neugierig an.

»Was werdet Ihr also tun? «

Sie hatte keine Zeit zu antworten. Eine hohe, blaugekleidete Gestalt trat zu ihnen, und eine trockene Stimme fragte:

»Solltet Ihr Madame de Montsalvy Anlaß zum Weinen gegeben haben, Graf? In ihren Augen stehen Trä nen. «

»Ihr habt einen scharfen Blick, wie mir scheint«, gab Bernard hochmü tig und ungehalten ü ber die Stö rung zurü ck. »Dü rfte ich fragen, was Euch das angeht? «

Doch wenn die Einmischung Bré zé s Bernard d'Armagnac hö chlichst befremdet hatte, schien Bernards Ton dem Herrn aus Angers noch viel weniger zu gefallen.

»Kein Freund Dame Cathé rines sieht sie gern leiden. «

»Ich bin einer ihrer Freunde, mehr, als Ihr es je sein werdet, Messire de Bré zé, und, was noch wichtiger ist, ich bin auch der Freund ihres Gatten. «

»Wart Ihr«, berichtigte Bré zé. »Wiß t Ihr nicht, daß der edle Arnaud de Montsalvy ruhmvoll gestorben ist? «

»Eure fü rsorgliche Haltung seiner – Witwe gegenü ber lä ß t darauf schließ en, daß Euch das wenig Kummer bereitet. Was mich betrifft …«

Der Ton wurde schä rfer. Cathé rine, erschrocken ü ber den Streit, den sie kommen sah, griff vermittelnd ein.

»Messeigneurs! Ich bitte Euch! Ihr werdet doch meine Rü ckkehr in Gnaden nicht mit einem Zank brandmarken. Was wü rde der Kö nig, was wü rden die Kö niginnen sagen? «

Die plö tzlich aggressive Haltung Bernards erstaunte sie. Aber sie wuß te schon lange, daß die alte Rivalitä t zwischen den Herren des Nordens und denen des Sü dens nach wie vor bestand. Diese beiden muß ten sich hassen, wofü r sie zweifellos nur einen Vorwand abgab.

Die Mä nner schwiegen, aber die Blicke, die sie tauschten, bewiesen, daß sie mehr als schlechter Stimmung waren. Sie standen sich schweigend gegenü ber, wie Kampfhä hne. Cathé rine begriff, daß sie darauf brannten, ihren Streit auszutragen, und daß sie sie nicht mehr lange zurü ckhalten kö nnte. Instinktiv sah sie sich nach Unterstü tzung um, bemerkte Tristan l'Hermite, der sich bescheiden in eine Ecke verzogen hatte, und warf ihm einen stummen, hilfesuchenden Blick zu. Er eilte lä chelnd, liebenswü rdig herbei.

»Kö nigin Yolande sucht Euch, Dame Cathé rine. Darf ich Euch zu ihr fü hren? «

Aber ach, Pierre de Bré zé war fest entschlossen, Cathé rine fü r sich zu behalten. Er warf Tristan ein knappes Lä cheln zu.

»Ich werde sie selbst hinfü hren! « sagte er lebhaft. Und als Cathé rine sah, daß Bernard schon den Mund ö ffnete, begriff sie verzweifelt, daß alles wieder von vorn anfangen wü rde. Und dabei starb sie vor Verlangen, Pierre auszufragen. Er kam aus Montsalvy zurü ck, mü ß te ihr so vieles zu sagen haben! Aber wie konnte sie sich mit ihm unter dem verä chtlichen Blick Bernards absondern, der sich zum Verteidiger der Rechte Arnauds aufgeschwungen zu haben schien? Glü cklicherweise kü ndigten genau in diesem Augenblick Hornstö ß e den Beginn des Soupers an, und gleichzeitig nä herte sich der Zeremonienmeister Cathé rine.

»Es ist der Wunsch unserer Majestä t, daß Ihr an seinem Tisch speist, Madame. Erlaubt mir, Euch hinzufü hren. «

Ein Seufzer der Erleichterung drang aus Cathé rines Brust. Sie warf dem Grafen von Vendô me ein dankbares Lä cheln zu, entbot, die Hand des alten Edelmannes annehmend, den beiden Streithä hnen einen kurzen Gruß, schenkte Tristan ein Lä cheln und wandte sich dem Bankettsaal zu.

Das kö nigliche Souper war fü r Cathé rine gleichzeitig ein Triumph und eine Prü fung. Ein Triumph, weil sie, zur Rechten der Kö nigin Marie sitzend, das Ziel aller Blicke war. In ihrem strengen schwarzen Flor leuchtete ihre Schö nheit inmitten heller Seidenstoffe, milchweiß er Dekolleté s, blumenbestickter Wä mser und kostbaren Schmucks, wie einst der unglü ckbringende schwarze Diamant unter den Edelsteinen Garins gefunkelt hatte. Wiederholt kehrte der Blick des Kö nigs zu ihr zurü ck. Er ließ ihr Kostproben von seinem eigenen Teller hinü bergeben, und der kö nigliche Mundschenk servierte ihr denselben Wein wie dem Herrscher, den Landwein aus Anjou, den er ü ber alles liebte. Aber es war auch eine Prü fung, denn sie konnte die drohenden Blicke sehen, die Bernard d'Armagnac und Pierre de Bré zé ü ber die wenigen sie trennenden Plä tze hinweg einander zuwarfen. Und Cathé rines Vergnü gen wurde gedä mpft durch die Furcht, daß nicht einmal die Anwesenheit des Kö nigs die beiden Mä nner zurü ckhalten wü rde, wenn ihr Zorn sich neu entfachte. Sie hatte den unerfreulichen Eindruck, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Daher war sie zufrieden, als das Souper ein Ende nahm und man wieder in den Groß en Saal zum Tanz ging. Ihre Trauer entband sie leicht von dieser Verpflichtung.

Sie bat Kö nigin Marie und Kö nigin Yolande, sich zurü ckziehen zu dü rfen, was ihr sofort gestattet wurde, wä hrend zwei Fackelträ ger angewiesen wurden, sie in ihr neues Quartier zu geleiten. Erhobenen Hauptes verließ sie den Saal, von vielen bewundernden Blicken verfolgt.

Das ihr zugewiesene Zimmer befand sich im Schatzturm, und Sara erwartete sie bereits. Sie war zur selben Stunde wie das Gepä ck angekommen. Die sorgenvolle Miene Cathé rines beunruhigte sie.

»Du bist heute abend Kö nigin gewesen. Warum diese bekü mmerte Miene? «

Sie sagte es ihr, erklä rte ihr ihren natü rlichen Wunsch, einen Augenblick mit dem aus Montsalvy Zurü ckgekehrten zu plaudern, und daß der Graf d'Armagnac sie daran gehindert habe.

»Schließ lich wollte ich nur wissen, wie es meinem Sohn geht! « rief sie endlich. »Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, daß es ein Duell herausfordern kö nnte. «

»Manchmal bist du wirklich recht unü berlegt! « entgegnete Sara. »Oder du hä ltst den Grafen d'Armagnac fü r dü mmer, als er ist. Wie sollte er nicht ü berrascht sein, einen Grandseigneur wie Bré zé Tag und Nacht, ich weiß nicht wie lange, galoppieren zu sehen, um ein altes, vergilbtes Pergament zu holen, obwohl irgendein kö niglicher Reiter mit einem entsprechend unterzeichneten Befehl des Kanzlers durchaus dafü r genü gt hä tte? Es war eine Liebeserklä rung, dieser Streich, und nichts anderes bedeuten die schwarzweiß en Bä nder, die der junge Bré zé mit einem Hochmut spazierenträ gt, als trü ge er Unsern Herrn persö nlich. «

»Na und? « begehrte Cathé rine ä rgerlich auf. »Daß Pierre de Bré zé sich als mein Ritter erklä rt und ö ffentlich seine Liebe bekennt, geht Messire Bernard d'Armagnac gar nichts an. Die Tatsache, daß er ein Vetter des Kö nigs ist, gibt ihm nicht das Recht, sich in die Angelegenheiten anderer Leute einzumischen, mö chte ich annehmen! «

Saras Augen verengten sich, wä hrend sie Cathé rine scharf ansah.

»Es ist nicht der Vetter des Kö nigs, der sich in deine Angelegenheiten eingemischt hat. Es ist der Jugendfreund deines Gatten, Cathé rine! … Ich hab' dich schon einmal vor deiner Neigung fü r den jungen Bré zé gewarnt. Schon verfü hrt sie dich zur Undankbarkeit. Als Bernard dich in Montsalvy vorm Scheiterhaufen rettete, als er dir Carlat als Zufluchtsort bot, hast du ihm nicht vorgeworfen, daß er sich in deine Angelegenheiten mische. Erinnere dich an die echte, tiefe Liebe, die ihn an Messire Arnaud bindet. Dieser Mann wird es nie ü berwinden, dich einem anderen zugehö rig zu sehen. Er hat den Instinkt eines Wachhundes, der in Abwesenheit seines Herrn dessen Gut behü tet. Du gehö rst seinem Freund, und nichts wird ihn das vergessen machen. «

»Wenn es mein Wunsch wä re, hä tte niemand etwas dazu zu sagen! « erwiderte Cathé rine trocken. Sie fü hlte sich unbehaglich, innerlich und ä uß erlich, denn die Juninacht war warm, und sie glaubte in dem schwarzen Flor, der ihr Gesicht umschloß, zu ersticken. Gereizt wollte sie einen der Schleier lö sen, aber ihre nervö sen Finger waren ungeschickt; sie stach sich, riß ein Stü ck aus dem zarten Stoff.

»Hilf mir doch! « sagte sie ä rgerlich. »Du siehst doch, daß es mir nicht gelingt. «

Sara lä chelte und machte sich ruhig daran, die Stecknadeln eine nach der anderen herauszuziehen. Sie hatte Cathé rine auf einen Schemel gesetzt und verhielt sich fü r ein Weilchen still. Wenn der Zorn sich dieses ü berempfindlichen Wesens bemä chtigte, war es besser zu schweigen, bis es sich wieder beruhigte. Nachdem sie sie von ihrem zarten Schleierkopfputz befreit hatte, schnü rte sie ihr das Kleid auf und zog es ihr aus. Als Cathé rine nichts mehr auf dem Leib hatte als ein dü nnes Batisthemd, begann sie, das kurze Haar zu bü rsten, das sich bereits auf dem Kopf der jungen Frau lockte und ihr das fremde, zauberhafte Antlitz eines griechischen Hirten verlieh. Erst als sie merkte, daß Cathé rine sich allmä hlich entspannte, erkundigte sie sich vorsichtig:

»Darf ich dir eine Frage stellen? «

»Aber … natü rlich! «

»Wie, glaubst du wohl, hä tte sich Messire de Xaintrailles gegenü ber Bré zé verhalten … oder auch der Hauptmann La Hire? «

Cathé rine antwortete nicht, und Sara gab sich mit diesem Schweigen zufrieden, das ihrer Meinung nach die beste Antwort war. Gewiß hä tte der jä hzornige La Hire an Ort und Stelle, Kö nig hin, Kö nig her, den Unvorsichtigen gefordert, der es wagte, eine von ihm sicher als ungehö rig betrachtete Liebe fü r die Frau seines Freundes zur Schau zu tragen. Was Xaintrailles betraf, konnte Cathé rine sich mü helos seine zornblitzenden braunen Augen und das drohende Lä cheln vorstellen, das seine Lippen wie die Lefzen eines Wolfs zurü ckzog. Und sie war zu ehrlich, um sich nicht einzugestehen, daß das Recht auf ihrer Seite gewesen wä re, aber sie wollte es nicht zulassen, daß man sie wie ein verantwortungsloses kleines Mä dchen behandelte, das sich nicht zu benehmen wuß te und auf das man aufpassen muß te. Das Bedü rfnis, sich ihre Unabhä ngigkeit zu bewahren, bemä chtigte sich ihrer gebieterisch und trieb sie zur Herausforderung. Nachdem sie frisiert war, ließ sie sich ein leichtes, knisternd frisches weiß es Hauskleid geben, das ein breiter Silbergü rtel unter der Brust zusammenhielt, legte etwas Rot auf die Lippen, drehte sich dann zu Sara um und warf ihr einen herrischen Blick zu.

»Hol mir Messire de Bré zé! « befahl sie.

Vor Verblü ffung blieb Sara stumm. Dann wurde sie puterrot und wiederholte:

»Ich soll …«

»Ihn mir holen, jawohl! « sagte Cathé rine lä chelnd. »Ich mö chte ihn augenblicklich sprechen. Und sorge dafü r, daß Bernard ihm nicht wie ein Spü rhund folgt. Beruhige dich, du wirst bei unserer Unterhaltung dabeisein! «

Sara zö gerte einen Augenblick. Sie hatte groß e Lust, sich zu weigern, aber sie wuß te nur zu gut, daß Cathé rine imstande war, selbst zu gehen.

»Warum nicht? « erwiderte sie endlich. »Schließ lich ist es deine Angelegenheit! Es betrifft dich! «

Voller Wü rde begab sie sich hinaus, was der jungen Frau ein neues Lä cheln entlockte. Ihre alte Sara beherrschte die wunderbare Kunst der Haltungen und kultivierte die Tragö die mit seltenem Geschick. Es war ihre Methode, sich gegen sie aufzulehnen.

Einige Augenblicke spä ter kehrte die Zigeunerin mit einem vor Freude blassen Pierre de Bré zé zurü ck, der, kaum ü ber die Schwelle getreten, sich Cathé rine zu Fü ß en warf, ihre Hä nde ergriff und sie mit Kü ssen bedeckte.

»Meine sü ß e Dame! Der Wunsch, Euch zu sehen, hat mich verzehrt. Ihr habt es gefü hlt und mich gerufen! Wie glü cklich ich bin! «

Er brannte vor Leidenschaft, von neuem zu allen Verrü cktheiten bereit, und Cathé rine genoß einen Augenblick das Vergnü gen, diesen jungen Lö wen, dessen Kraft sich mit Schö nheit paarte, so innig unterworfen zu ihren Fü ß en zu sehen. Welcher Frau wü rde es nicht schmeicheln, einen solchen Mann zur Liebe zu inspirieren? … Dabei entging ihr keineswegs, daß Sara sich trotz ihrer Bereitschaft, sich zu fü gen, die sie beim Hinausgehen hatte erkennen lassen, im Hintergrund des Zimmers im Schatten der Bettvorhä nge verborgen hielt, die Hä nde ü ber dem Bauch gefaltet, fast unsichtbar, aber dennoch anwesend, und das in einer zu allem entschlossenen Haltung, die nichts Gutes ahnen ließ.

Es war besser, nicht ihren Zorn zu erregen.

»Steht auf, Messire«, sagte sie sanft, »und setzt Euch neben mich auf diese Bank. Ich wollte Euch ohne Zeugen sprechen … zuerst, um Euch zu danken, daß Ihr nach Montsalvy geritten seid, denn Ihr hä ttet auch einen Reiter des Groß en Marstalls schicken kö nnen. Das war sehr liebenswü rdig von Euch, und ich weiß Euch Dank dafü r. «

Pierre de Bré zé schü ttelte den blonden Kopf und lä chelte.

»Ihr hä ttet sicher nicht gewollt, daß ich einen Fremden beauftragt hä tte, sich mit etwas zu beschä ftigen, was Euch so unmittelbar betrifft. Ich wollte, daß Ihr auß er dieser Pergamentrolle aus meinem Munde Nachrichten von Eurer Familie empfangt, nach denen Ihr Euch sicherlich gesehnt habt. «

Ein glü ckliches Lä cheln ö ffnete halb die Lippen Cathé rines.

»Das ist wahr! « sagte sie freundlich. »Erzä hlt mir von meinem Sohn! Wie geht es ihm? «

»Wunderbar! Er ist schö n, krä ftig, frö hlich … Er spricht schon ganz gut, alle gehorchen ihm … angefangen mit einem rothaarigen Riesen, der sich Gauthier nennt und ihm ü berallhin folgt! Euer Sohn ist das schö nste Kind, das ich je gesehen habe. Er ä hnelt Euch! «

Aber Cathé rine schü ttelte den Kopf.

»Haltet Euch nicht zu lü gen verpflichtet, wie sie Eltern immer zu verlangen scheinen, mein Freund. Michel ist Montsalvy von Kopf bis Fuß! «

»Er hat Euren Charme … das ist das Wichtige! «

»Um ein wahrer Ritter zu sein, wä re es fü r ihn besser, wenn er den seines Vaters hä tte! « brummte Sara hinter ihren Bettvorhä ngen. »Hü bsches Kompliment fü r eine Frau, ihr zu sagen, ihr Sohn sei ihr lebendes Ebenbild! «

Verdutzt warf Pierre einen Blick zum Bett hinü ber. Cathé rine lachte – nicht ganz ungezwungen, um die Wahrheit zu sagen. Sie sah das Gewitter heraufziehen. Sara war nicht die Frau, ihre Gefü hle fü r sich zu behalten.

»Sara, nö rgle hier nicht herum! Messire de Bré zé hat mir nur zu Gefallen sein wollen. Komm her! «

Die Zigeunerin trat unwillig nä her. Sie gab sich sichtlich groß e Mü he, die Aversion, die sie gegen den jungen Mann hegte, zu verbergen.

»Fü r mich wä re das kein Gefallen! Wie es mir auch nicht gefallen wird, wenn man morgen darü ber klatscht, daß Messire de Bré zé in diesem Zimmer gewesen ist. «

»Ich werde schon wissen, wie ich die bö sen Zungen zum Schweigen bringe! « rief der junge Mann. »Ich werde die Urheber zur Zurü cknahme ihrer Verleumdungen zwingen, mit dem Degen, wenn's sein muß! «

»Von einer Verleumdung bleibt immer etwas zurü ck! Wenn Ihr Dame Cathé rine wirklich liebt, bleibt nicht hier, Messire. Es ist die erste Nacht, die sie in diesem Schloß verbringt, und sie ist Witwe! Ihr hä ttet gar nicht hierherkommen dü rfen! «

»Aber Ihr habt mich doch geholt! Und welcher Mann wü rde auch nur einen Augenblick ein Glü ck ablehnen, das man ihm anbietet? « fü gte er hinzu, Cathé rine mit Bewunderung anblickend. »Jedesmal, wenn ich Euch sehe, seid Ihr schö ner, Cathé rine … Warum weigert Ihr Euch, mich fü r immer fü r Euch sorgen zu lassen? «

»Weil«, rief Sara, endlich die Geduld verlierend, als sie sah, daß Pierre sich nicht von der Stelle rü hrte, »meine Herrin erwachsen genug ist, fü r sich selbst zu sorgen. Auß erdem bin ich noch da! «

»Sara! « rief Cathé rine, rot vor Zorn. »Du gehst zu weit. Ich bitte dich, uns allein zu lassen! «

»Und ich lasse es nicht zu, daß du deinen Ruf ruinierst. Wenn dieser Herr so viel von dir hä lt, wie er behauptet, wird er mich verstehen. «

»Du vergiß t, daß er uns gerettet hat! «

»Wenn es nur geschehen ist, um dich um so tiefer ins Unglü ck zu stü rzen, kann ich ihm nicht dankbar sein! «

Pierre de Bré zé hatte einen Augenblick geschwankt, was er tun sollte. Er schwankte zwischen der Lust, dieser dicken Frau, in der er nur eine unverschä mte Dienerin sah, barsch Schweigen zu gebieten, und der Furcht, Cathé rine zu miß fallen. Indes, er zog es vor, die Waffen zu strecken.

»Sie hat recht, Cathé rine. Es ist besser, wenn ich Euch verlasse, wenn ich auch nicht genau verstehe, wessen sie mich bezichtigt. Ich habe nichts anderes getan, als Euch von ganzem Herzen, mit allem, was ich bin, zu lieben …«

»Das ist genau das, was ich Euch vorwerfe«, sagte Sara ernst. »Aber Ihr kö nnt nicht begreifen! Gute Nacht, Seigneur. Ich werde Euch hinausgeleiten! «

Cathé rine ergriff die Hand des jungen Mannes.

»Verzeiht ihr dieses Ü bermaß an Ergebenheit, Pierre! Sie wacht ein wenig zu eifersü chtig ü ber mich. Aber Ihr habt mir noch nichts von meiner Schwiegermutter erzä hlt? Wie geht es ihr? «

Bré zé runzelte die Stirn. Er antwortete nicht sofort, und sein Zö gern fiel Cathé rine auf und beunruhigte sie.

»Sie ist doch nicht etwa krank? Was ist? «

»Nichts, auf Ehre! Gewiß, sie wirkte nicht sehr rü stig, jedoch ihre Gesundheit schien mir gut! Aber welche Schwermut! Es scheint, daß ein inneres Leid an ihrem Herzen nagt … Oh! « beeilte er sich hinzuzufü gen, als er sah, daß Cathé rines Augen sich mit Trä nen fü llten. »Das hä tte ich nicht sagen sollen. Vielleicht habe ich mich auch getä uscht. «

»Nein«, entgegnete Cathé rine traurig. »Ihr habt Euch nicht getä uscht. Ein Leid nagt an ihr … und ich kenne dieses Leid. Gute Nacht, Pierre … und vielen Dank! Wir werden uns morgen wiedersehen. «

Die Lippen des jungen Mannes preß ten sich auf ihre Hä nde, aber sie blieb kalt unter ihrer Liebkosung. Es war, als wä re die Dame de Montsalvy plö tzlich ins Zimmer getreten, als sä he sie ihr Antlitz vor sich, jenen schmerzerfü llten Ausdruck, den es seit dem Tage, an dem Arnaud fortgegangen war, nicht mehr verloren hatte. Sara, die dem Gang der Gedanken auf dem wandelbaren Gesicht Cathé rines folgte, zog Bré zé mit sich fort.

Er ging ohne ein Wort, doch schweren Herzens, suchte noch einen Blick von ihr zu erhaschen, aber ohne Erfolg. Cathé rine merkte nicht einmal, daß er gegangen war. Erst als Sara zurü ckkam, begriff sie, daß er nicht mehr da war, und warf der alten Freundin einen schlafwandlerischen Blick zu.

»Ist er gegangen? « Und als Sara nickte, fü gte sie bissig hinzu: »Bist du jetzt zufrieden? «

»Jawohl, ich bin zufrieden! Vor allem, weil schon der bloß e Name Dame Isabelles genü gte, um dich abzulenken. Ich flehe dich an, Cathé rine, um deinet‑ und unser aller willen, laß dir durch diesen jungen und verfü hrerischen Burschen nicht den Kopf verdrehen. Glaubst du vielleicht, du kö nntest dich am Feuer dieser Liebe wä rmen? Du wirst daran verbrennen, wenn du nicht aufpaß t …«

Aber Cathé rine hatte keine Lust, sich zu streiten. Sie zuckte mit den Schultern und lehnte sich ans Fenster, um in die Nacht hinauszublicken. Worte schienen ihr leer und vö llig unnü tz! Sie hallten in ihrem Kopf wider wie Glockenschlä ge. Plö tzlich hatte sie das Gefü hl, Luft und Raum zu brauchen. Der Anblick der zu ihren Fü ß en friedlich schlummernden Stadt, des sanften blauen Landes, der vom Fluß heraufdringende Ruch nach Wasser und feuchter Erde weckten unversehens eine Art schmerzenden Hungers in ihr, ein Gefü hl von Leere und Enttä uschung …

Der Triumph des Abends ließ ihr einen bitteren Nachgeschmack zurü ck. Gewiß, La Tré moille war geschlagen, hart bestraft, und seine Frau nicht minder. Gewiß, die Montsalvys siegten auf der ganzen Linie. Aber wo war ihr, Cathé rines, Sieg? Sie war einsamer denn je, und es nü tzte ihr nichts, daß der Kö nig ihr Rang und Vermö gen wiedergegeben hatte. In Kü rze wü rde sie in ihre wilde Auvergne zurü ckreisen, um dort zum Ruhme der Montsalvys zu wirken! Von neuem in der Einsamkeit!

An diesem glä nzenden, frö hlichen Hofe, wo jeder nur damit beschä ftigt schien, den flü chtigen Augenblick zu ergreifen und zu genieß en, predigte man ihr Strenge, harte Pflicht. Jung und schö n, wurde ihr die Liebe verboten … und das in dem Augenblick, in dem sie ihrer am meisten bedurfte, im Augenblick, in dem der Rachedurst, der sie beseelt und bisher aufrecht gehalten hatte, endlich abgeklungen war.

Sich brü sk umdrehend, sah sie Sara ins Gesicht und rief zornig:

»Und wenn ich Lust zu leben hä tte? Wenn ich Lust hä tte zu lieben, nicht mehr eine lebende Leiche zu sein, Gegenstand des Respekts und der Verehrung, sondern bebendes Fleisch, schlagendes Herz, rinnendes Blut! Wenn ich also leben wollte? «

Die schwarzen Augen Saras hielten Cathé rines Blick wortlos stand, aber das Mitleid darin erregte den Zorn der jungen Frau nur noch mehr. Sie rief:

»Also? Was hast du darauf zu antworten? «

»Nichts! « entgegnete Sara tonlos. »Niemand wird dich daran hindern, nicht einmal ich! «

»Gut, daß ich das hö re! Gute Nacht! Laß mich allein! Ich will allein sein, denn das ist alles, was man mir erlaubt! «

Zum erstenmal seit langem schlief Sara in dieser Nacht nicht im Zimmer Cathé rines, sondern in der benachbarten Kleiderkammer.

In den folgenden Tagen wich Pierre de Bré zé nicht von Cathé rines Seite. Er trug ihr das Gebetbuch, wenn sie zur Kapelle ging, setzte sich bei Tisch neben sie, begleitete sie auf Spaziergä ngen und plauderte abends in einer Fensternische lange mit ihr, wä hrend die Musikanten des Kö nigs spielten und die anderen tanzten. Es wurde vieldeutig gelä chelt, wenn sie vorbeigingen, und selbst die Kö nigin Marie hatte zu Cathé rine gesagt, die neben ihr an einem Gobelin arbeitete:

»Pierre de Bré zé ist ein sehr charmanter Junge, nicht wahr, meine Teure? «

»Charmant, Madame … Euer Majestä t haben vö llig recht. «

»Er ist auch ein tapferer Mann. Er wird es weit bringen, und ich glaube, daß die, die ihn sich zum Gatten wä hlt, keine schlechte Wahl treffen wird. «

Cathé rine war errö tet und hatte den Kopf auf ihre Arbeit gesenkt, aber ihre Verlegenheit war nicht von langer Dauer. Es war um sie eine Art Verschwö rung. Die Menschen und Dinge schienen sich verschworen zu haben, sie Pierre in die Arme zu treiben und ihnen immer wieder Gelegenheit zu geben, einige Augenblicke allein zu sein. Nur Bernard hä tte sich zwischen die beiden jungen Leute stellen kö nnen, aber wie durch ein Wunder war der Graf de Pardiac verschwunden. Er hatte sich nach Montré sor zu Jean de Bueil begeben. Was Sara betraf, so wahrte sie bei Cathé rine die reservierte Haltung einer gut geschulten Kammerzofe und richtete nur das Wort an sie, wenn unerlä ß liche Dinge zu besprechen waren. Keine endlosen Plaudereien bei der Toilette mehr, keine Ermahnungen oder Ratschlä ge! Saras Gesicht war merkwü rdig ausdruckslos geworden. Es schien starr, doch manchmal, am Morgen, entdeckte Cathé rine in ihm die Spuren von Trä nen, die einen Augenblick Gewissensbisse in ihr weckten. Aber das hielt nicht lange an. Pierre erschien wieder mit seinem Lä cheln, seinen vor Liebe strahlenden Augen, und die junge Frau schob alles beiseite, was ihr neues Hochgefü hl trü ben konnte, und wandte sich begierig dieser Quelle der Jugend und Sorglosigkeit zu, die er fü r sie geworden war. Nachts, in der Stille ihres Zimmers, gestand sie sich ein, daß es ihr immer schwerer fiel, sich gegen das drä ngende Werben Pierres zu wehren, gegen seine Liebesworte, gegen die Liebkosung seiner Lippen auf ihrer Hand, gegen seine Blicke, die unaufhö rlich mehr verlangten. Es war wie ein sacht abschü ssiger, glitschiger Grashang, der so ü ppig mit Blumen bewachsen war, daß man sich gerne gehenließ. Und fü r das wunde Herz Cathé rines hatte diese Sommerliebe die Frische eines wohltuenden Taus, unter dem es von neuem erblü hen konnte.

Eines Abends, als sie zusammen unter den Bä umen des Obstgartens in der Sü ß e der Nacht, im Schatten der dicken, mit Blattwerk und reifenden Frü chten beladenen Ä ste promenierten, trieben die leidenschaftlichen Worte, die Pierre ihr ins Ohr flü sterte, Cathé rine zu einer halben Hingabe. Sie ließ den Kopf auf die Schulter des jungen Mannes sinken, erlaubte ihm, ihre Taille zu umfassen …

Sachte drü ckte er sie an sich, und so standen sie einen langen Augenblick, wagten nicht, sich zu rü hren, hö rten ihre einander so nahen Herzen schlagen. Cathé rine ließ sich von dem kö stlichen Gefü hl einlullen, endlich in Sicherheit zu sein, beschü tzt und verteidigt zu werden. Er liebte sie, er gehö rte ihr ganz … Mit einem einzigen Wort kö nnte sie ihn fü rs Leben gewinnen, und genau dieses Wort forderte er von ihr …

Sie hob den Kopf, um durch die Zweige das bestirnte Firmament zu suchen, aber ein Frö steln ü berkam sie: Die Lippen des jungen Mannes hatten sich der ihren bemä chtigt, zuerst zart, dann mit fordernder Schä rfe. Sie spü rte, wie er zitterte, und klammerte sich fester an seine breiten, seidenumhü llten Schultern. Obgleich dieser Kuß noch furchtsam war, fü hlte Cathé rine, daß Pierre sich zwang, sie nicht in seinen Armen zu erdrü cken und sie mit sich auf das duftende Gras zu ziehen … An ihrem Ohr hö rte sie ihn flehen:

»Cathé rine, Cathé rine! Wann werdet Ihr mein sein? Ihr seht doch, daß ich vor Verlangen sterbe! «

»Habt Geduld, mein Freund … Ihr mü ß t mir noch ein wenig Zeit lassen. «

»Warum? Ihr werdet mir gehö ren, ich fü hl's, ich bin dessen sicher! Ihr bebtet eben, als ich Euch umarmte, Cathé rine: Wir sind beide jung, beide feurig … warum warten, warum die so schö nen Stunden, die die Zeit uns schenkt, vergeuden? Bald muß ich aufbrechen. Viele meiner Kameraden sind schon in den Kampf zurü ckgekehrt, ich bin fast der einzige, der sich verspä tet, und der Englä nder hä lt immer noch die besten Plä tze von Maine und der Normandie besetzt. Heiratet mich, Cathé rine! «

Sie schü ttelte den Kopf.

»Nein, Pierre … noch nicht! Es ist zu frü h …«

»Dann gehö rt mir wenigstens an. Ich werde warten kö nnen, bis Ihr mir Eure Hand gebt. Denn Ihr werdet sie mir geben. Ihr werdet meine Frau sein, und ich werde mein ganzes Leben damit hinbringen, Euch anzubeten! Cathé rine, laß t mich nicht gehen, ohne die Meine geworden zu sein … Euer Bild, das ich bewahre, dieses Bild unserer ersten Begegnung, es brennt in mir, jedesmal, wenn ich die Augen schließ e. «

Cathé rine spü rte, daß sie errö tete. Auch sie erinnerte sich an den lä rmenden Eintritt Pierres in ihr Zimmer, wä hrend sie ihr Bad nahm. Er hatte sie schon ohne Kleider gesehen, und, seltsam, es brachte ihn ihr nä her, als hä tte er sie schon seit langem gekannt … Sie ließ sich noch widerstandsloser an seine Brust sinken. Er kü ß te sie wieder auf die Lippen, und sie wehrte sich nicht. Mit der einen Hand preß te er sie an sich, doch die andere, freie, lö ste sanft die schmalen Silberbä nder ihrer Halskrause, um das strenge Dekolleté ihrer Robe zu erweitern und die Sü ß e ihrer Haut zu suchen. Sie ließ ihn gewä hren, passiv, schon glü cklich, nur auf die Verwirrung achtend, die, sie ü berflutend, aus den geheimnisvollen Tiefen ihres Fleisches aufstieg.

Mit einer schnellen Bewegung entfernte er den Halskragen und entblö ß te ihre Schultern. Das Kleid ö ffnete sich ü ber ihren runden Brü sten, die er langsam zu liebkosen begann, um die Lust in diesem so lange ersehnten Kö rper zu wecken. Er bü ckte sich, zog sie sanft auf den Boden nieder und streckte sich neben ihr aus …

Alle Dü fte des Sommers vereinten sich gegen Cathé rines Scham, und sie ließ sich im sü ß en Grase gehen, mit geschlossenen Augen, schon unter den Kü ssen Pierres bebend, die von ihren Augen zu ihrer Brust hinunterglitten. Er versuchte, den breiten Gü rtel ihres Kleides zu lö sen, aber seine ungeduldigen, ungeschickten Hä nde kamen nicht ans Ziel. Leise begann sie zu lachen, richtete sich auf, um ihm zu helfen. Doch ihr Lachen erstarb und wurde zum Entsetzensschrei. Eine mä nnliche Silhouette stand vor ihnen, den gezü ckten Degen in der Hand. Sie erkannte die Faunsohren wieder, den kurzen Bart Bernard d'Armagnacs …

Sie hatte keine Zeit mehr, Pierre zu warnen. Die jä hzornige Stimme des Gaskogners grollte:

»Steht auf, Pierre de Bré zé, und gebt mir Rechenschaft! «

»Wofü r? « fragte der junge Mann, sich auf ein Knie erhebend. »Cathé rine ist nicht Eure Frau, soviel ich weiß, auch nicht Eure Schwester! «

»Fü r die Verletzung der Ehre Arnaud de Montsalvys, meines Waffenbruders, meines ewigen Freundes! In seiner Abwesenheit kommt es mir zu, ü ber sein Gut zu wachen. «

»Das Gut eines Toten? « entgegnete Bré zé verä chtlich. »Cathé rine ist frei, sie wird meine Frau. Laß t uns in Frieden! «

Cathé rine ahnte die Spannung, die dem Gaskogner das Herz zusammenschnü rte und ihn hinderte, alles zu sagen, die Wahrheit hinauszuschreien. Sie hatte Angst, flehte:

»Bernard, um Himmels willen! «

Es lag noch ein leichtes Zö gern in der trockenen Stimme des Grafen, aber er sagte mit einer gewissen Ü berdrü ssigkeit:

»Ihr wiß t nicht, was Ihr sagt! Schlagt Euch, wenn Ihr nicht wollt, daß ich Euch der Feigheit bezichtige! «

»Bernard! « wiederholte Cathé rine erschrocken. »Ihr habt nicht das Recht … Ich verbiete es Euch! «

Sie klammerte sich an Pierres Hals, sich ihrer halben Nacktheit nicht bewuß t, im voraus schon bei dem Gedanken wahnsinnig, daß Blut fließ en wü rde. Aber er schob sie fest beiseite.

»Laß t mich, Cathé rine! Dies betrifft Euch nicht mehr! Ich bin beleidigt worden …«

»Noch nicht! Und ich verbiete Euch, Euch zu schlagen! Bernard kann Euch nichts anhaben. Ich bin frei, mich Euch zu geben, wie es mir gut erscheint. «

»Ich wü nschte«, knurrte Bernard wü tend, »La Hire oder Xaintrailles kö nnten Euch sehen, halbnackt wie eine Dirne, am Hals des Mannes hä ngend, um dessen Leben Ihr zittert! Sie wü rden Euch auf der Stelle erwü rgen! Mir wart Ihr lieber auf dem Scheiterhaufen in Montsalvy! «

»Fü r diese Beleidigung, Pardiac, werde ich dich tö ten! « brü llte Pierre in hö chstem Zorn. Er griff nach seinem Degen im Gras. »Verteidige dich! «

Der erste Zusammenprall der Waffen ließ die Funken sprü hen. Zitternd und krank vor Scham, hatte Cathé rine sich unter einen Baum zurü ckgezogen und brachte mechanisch ihre aufgelö ste Kleidung wieder in Ordnung. Sie haß te sich in diesem Augenblick, war verwirrt und schä mte sich bei dem Gedanken, was Bernard mit angesehen hatte …

Der Zweikampf war erbittert. Die beiden Mä nner schienen sich an Kö nnen gleichwertig zu sein. Pierre de Bré zé hatte den Vorteil seines grö ß eren Wuchses, seiner zweifellos ü berlegenen Krä fte, doch Bernard machte diesen Vorteil durch seine erstaunliche Wendigkeit wett. Er stieß vor und wich zurü ck mit der Schnelligkeit einer Schlange. Der schwere Degen schien die Verlä ngerung seines mageren Kö rpers zu sein. Der keuchende Atem der Kä mpfenden erfü llte die Nacht …

An den rauhen Baumstamm gelehnt, versuchte Cathé rine, die unregelmä ß igen Schlä ge ihres Herzens zu beruhigen. Wenn Pierre fiele, wü rde sie es sich nie verzeihen, und fü r Bernard traf das gleiche zu. Sie wü rde sich nie von dem Eindruck lö sen kö nnen, durch ihn Arnaud getroffen zu haben. Auf jeden Fall, wenn der eine oder andere stü rbe, wä re sie entehrt, wü rde vom Hof gejagt werden. Das ganze Gewicht ihres Fehltritts wü rde auf ihren Sohn zurü ckfallen. Die Zukunft Michels wä re durch das Benehmen seiner Mutter ruiniert.

Sie rang die Hä nde, unterdrü ckte ein Schluchzen.

»Habt Erbarmen, Herr! « flehte sie. »Tut etwas, um diesem Kampf Einhalt zu gebieten! «

Aber nichts kam vom stummen Schloß herunter, das zu dieser spä ten Stunde kaum erleuchtet war, obwohl das Klirren der breiten Klingen die Nacht zu erfü llen schien. Es klang in Cathé rines verwirrten Ohren wie das Lä uten einer Glocke. Muß te solcher Lä rm nicht Neugierige anlocken, und sei es auch nur die Wachrunde?

Und plö tzlich erklang ein schwacher Schrei, den Cathé rine wiederholte. An der Schulter getroffen, glitt Pierre ins Gras. Bernard trat zurü ck und senkte den Degen. Sofort stü rzte Cathé rine sich auf den Verwundeten. Er hatte die Hand auf die Wunde gedrü ckt. Blut rann schon an ihr herunter, und sein schö nes Gesicht war vor Schmerz verzerrt.

»Ihr habt ihn getö tet! « stammelte die junge Frau verzweifelt. »Er wird sterben! «

Doch Pierre hob sich auf einen Ellbogen und versuchte zu lä cheln.

»Nein, Cathé rine! … Er hat mich nicht getö tet! Geht ins Schloß zurü ck, schnell, und sprecht zu niemand darü ber. «

»Ich lasse Euch nicht allein. «

»Doch, doch! Ich habe nichts zu fü rchten … Er wird mir behilflich sein«, fü gte er hinzu, indem er eine Kopfbewegung zu seinem Gegner machte.

»Warum sollte er Euch behilflich sein, da er doch nur Euren Tod wü nscht? «

Im Dunkel blitzten die Wolfszä hne des Gaskogners. Kalt wischte er seinen Degen ab und schob ihn in die Scheide.

»Ihr kennt die Mä nner wahrlich schlecht, meine Teure! Wollt Ihr andeuten, daß ich ihn umbringen kö nnte? Haltet Ihr mich fü r einen Schlä chter? Euer Geliebter hat die Lektion bekommen, die er verdiente, ich hoffe, daß er es sich gesagt sein lä ß t, und das ist alles! Geht zurü ck und schweigt. Ich werde mich um ihn kü mmern. «

Er beugte sich schon hinab, um dem Verwundeten aufzuhelfen. Aber Pierre hielt ihn mit einer Bewegung zurü ck.

»In diesem Fall weigere ich mich! Niemals werde ich auf sie verzichten, Sire Bernard! Dann mü ß t Ihr mich tö ten! «

»Gut, gut, ich werde Euch spä ter tö ten … wenn Ihr wiederhergestellt seid«, entgegnete Bernard ruhig. »Kehrt endlich ins Schloß zurü ck, Dame Cathé rine«, fü gte er trocken hinzu, »und laß t mich nur machen! Ich wü nsche Euch eine gute Nacht. «

Von der herrischen Stimme gebä ndigt, entfernte sie sich langsam, verließ den von Mauern umschlossenen Obstgarten, durchschritt das hohe, noch offene Portal, durch das sie in den Schloß hof gelangte, ohne genau zu wissen, wohin sie ging. Sie brannte vor Scham und Demü tigung. Nur ihr Instinkt leitete sie, doch als sie ihr Gemach erreichte, traf sie Sara auf der Tü rschwelle an. Ihre Scham wandelte sich angesichts der Zigeunerin in Zorn. Sie warf ihr einen wü tenden Blick zu.

»Wer hat Bernard in den Obstgarten geschickt? Du? «

Sara zuckte mit den Schultern.

»Bist du verrü ckt? Ich wuß te nicht einmal, daß er zurü ckgekehrt ist! … Dieser Bré zé hat dir entschieden den Kopf verdreht! Du faselst, auf mein Wort! «

»Erspare dir deine Bemerkungen. Ja, man hat heute abend versucht, ihn mir zu tö ten. Bernard hat sich mit ihm geschlagen … Er hat ihn verwundet! Aber ihr verliert eure Zeit, alle, wie ihr da seid, weil ihr uns nicht trennen werdet! Ich liebe ihn, verstehst du? Ich liebe ihn und werde ihm angehö ren, wann es mir paß t! Und je frü her, desto besser! «

»Das ist genau meine Meinung! « warf Sara kalt ein. »Du fü hrst dich auf wie ein lä ufiges Tier! Du brauchst einen Mann, du hast den da gefunden. Behalte ihn! Was deine Liebe fü r ihn betrifft, so glaube ich gar nichts! Du spielst dir selbst eine Komö die vor, Cathé rine, und du weiß t genau, daß du lü gst! «

Sich auf dem Absatz umwendend, kehrte Sara in ihre kleine Kammer zurü ck und schloß vernehmlich die Tü r hinter sich zu. Durch die Heftigkeit ihres Abgangs verblü fft, blickte Cathé rine wie stumpfsinnig auf die geschlossene Tü r. Irgend etwas schnü rte ihr die Kehle zu. Sie verspü rte Lust, sich auf diese stumme Pforte zu stü rzen, mit den Fä usten daran zu rü tteln, um Sara wieder herauszuholen … Sie verspü rte eine kindliche Lust zu weinen, einen Augenblick wieder in den Armen ihrer alten Freundin sichere Zuflucht zu suchen. Dieser Zwist, der sie trennte, kam sie schwerer an, als sie es sich eingestehen wollte. Sie hatte sich durch Hochmut verteidigt, und nun schien dieser Hochmut plö tzlich sehr zerbrechlich! Zu viele Jahre gegenseitiger Zuneigung, zu viele gemeinsam erlittene Prü fungen, zuviel echte Zä rtlichkeit verbanden sie! Sara hatte allmä hlich den Platz ihrer Mutter eingenommen, und Cathé rine hatte das Gefü hl, als sei ihr ein Glied amputiert worden.

Sie nä herte sich unschlü ssig der Tü r, hob die Hand, um anzuklopfen. Kein Gerä usch war von der anderen Seite zu hö ren … Doch vor ihrem inneren Auge sah sie wieder den verwundeten Pierre, in der Erinnerung hö rte sie seine Stimme, die von Liebe sprach … Wenn sie Sara gewä hren ließ, wü rde die Zigeunerin Mittel und Wege finden, sie von dem jungen Mann zu trennen, und Cathé rine wollte dieses zerbrechliche Glü ck, das sie nicht mehr erwartet hatte, noch nicht verlieren … Langsam glitt ihre Hand an ihrem Kleid herunter. Morgen wü rde sie Pierre auf seinem Krankenlager besuchen, wü rde ihn selbst pflegen, und was bedeutete es schon, sollte man in ihrer Haltung das Vorzeichen einer kommenden Verbindung sehen! Schließ lich, wer kö nnte sie eigentlich hindern, Dame de Bré zé zu werden? Pierre wü rde sie darum anflehen, und sie wü rde am Ende noch Lust dazu haben, und sei es auch nur, um in ihrem Leben etwas Endgü ltiges, nicht mehr zu Ä nderndes zu tun. In ihre Dickkö pfigkeit verrannt, ging sie zu ihrem Bett zurü ck und ließ sich darauf fallen. Der letzte Blick, den sie auf die verschlossene Tü r warf, war ein Blick des Trotzes und der Herausforderung.

 



  

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