|
|||
Elftes Kapitel
Die Sonne ging in hochroter Pracht unter, die die hohen grauen Mauern Chinons, die Schieferdä cher der Stadt und die sie umschließ enden, scheinbar direkt aus der Vienne aufsteigenden Wä lle mit ihrem Purpurschein ü berzog. Auf dem in rotem Feuer glü henden Fluß glitten die Barken der Schiffer unter den Schreien der Eisvö gel und dem schnellen Flug der Schwalben gerä uschlos auf die schwarzen Bogen der alten Brü cken zu. Es war ein schö ner Abend, sanft und mild, schon vom Duft des frischen Grases erfü llt, als Cathé rine, von Sara und Tristan l'Hermite gefolgt, die erste Umwallung am Tor de Bessé durchquerte und an den Mauern der Stiftskirche von Saint‑ Mexme entlangritt. Etwas weiter zeigten sich ein neues Tor und eine neue Zugbrü cke: das Tor von Verdun, das den eigentlichen Zugang zur Stadt bildete. Hoch oben, das Ganze krö nend, erstreckte sich das Drillingsschloß in einer Perspektive, die unendlich schien: das Fort Saint‑ Georges, einst von den Plantagenets erbaut, das Mittelschloß und ganz hinten Coudray, das der fü nfundzwanzig Meter dicke riesige, zylindrische Schloß turm beherrschte … Wahrhaftig, Chinon‑ la‑ Villeforte verdiente wohl seinen Beinamen, und Cathé rine betrachtete mit tiefer Freude die majestä tische Falle aus Stein, in die sich ihr Feind bald begeben wü rde. Aber wie schnell die Zeit verging! Schon schien ihr das Abenteuer von Amboise mit seinen tragischen oder nur schmerzhaften Hö hepunkten weit entfernt. Und dabei war es erst drei Tage her, drei Tage, seit Tristan und Pierre de Bré zé sie dem Tod in den Kellern des kö niglichen Schlosses entrissen hatten. Nach der Trennung im Wald hatten Cathé rine, Sara und Tristan, noch immer in Soldatenuniform, das kleine Schloß Mesvres erreicht, wo Cathé rine endlich wieder sie selbst hatte werden kö nnen. Nach einem Bad, nach krä ftigem Einseifen und Bü rsten ihres Kö rpers hatte sie sich mit Weingeist abgerieben, dann mit einer Creme aus Schweinefett behandelt, wieder gewaschen und die Freude gehabt, ihre Haut wieder fast so hell werden zu sehen wie frü her. Es blieb nur noch eine leichte goldene Brä une, viel mehr auf das Leben in frischer Luft zurü ckzufü hren als auf die Kü nste des armen Malers Guillaume. Auch hatte sie die falschen Zö pfe abgelegt, die sie getragen hatte, sich das Haar gewaschen, das jetzt einen ziemlich breiten goldenen Streifen zeigte, nachdem es einmal von der schwarzen Paste befreit war, mit der sie die Wurzeln bestrichen hatte. Leider muß te es noch einmal geschnitten werden, und zwar sehr kurz, um seine normale Farbe wiederzuerhalten. Cathé rine hatte nicht gezö gert. Sie hatte sich auf einen Schemel gesetzt und Sara eine Schere gereicht. »Los, schneid alles heraus, was schwarz ist! « Mit einer wahren Flut von Seufzern hatte sich Sara ans Werk gemacht. Als sie fertig war, trug Cathé rines Kopf nur noch ein dichtes goldenes, an den Spitzen einen Hauch dunkler getö ntes Stoppelfeld, das sie nach Knabenart frisierte. Sie sah mit dieser kurzen Haartracht wie ein junger Page aus, verlor jedoch seltsamerweise nichts von ihrer Weiblichkeit. »In ein paar Monaten werde ich wieder prä sentabel sein«, sagte sie, sich mit lustigem Lachen im Spiegel betrachtend. »Bis dahin wird niemand etwas merken. Dem Himmel sei Dank, daß die Kopfbedeckungen und Hauben, die man zur Zeit trä gt, das Haar vö llig verstecken. Gewisse Damen rasieren sich sogar ü ber der Stirn und an den Schlä fen. « »Das ist abscheulich! « stellte Sara fest. »Und ich will dich nicht so sehen. « »Hab keine Angst, ich mich auch nicht! « Nun in eine schwarzseidene Robe unter einem Damastumhang von derselben Farbe gekleidet, war Cathé rine mit ihrer hohen, halbmondfö rmigen Haube aus gestä rktem schwarzem Musselin, die ihr Gesicht einrahmte, wieder eine Edeldame geworden, wä hrend Sara die bequemen Kleider einer Dienerin aus gutem Hause angelegt hatte und Tristan sein schwarzes Wildlederwams trug. Die Passanten und Klatschweiber unter den Tü ren drehten sich um, als die so schö ne und strahlende Frau in ihrer strengen Trauerkleidung vorbeikam. Nachdem sie durch das Tor von Verdun geritten waren, folgten die drei Reisenden einer belebten Straß e. Da der Tag sich seinem Ende zuneigte, lungerte alle Welt friedlich zwischen Fleischbä nken und Werktischen herum, wä hrend Kinder, mit Krü gen bewaffnet, Wein oder Senf holen gingen. Eine leichte Brise ließ die an ihrem Eisengestä nge hä ngenden bunten Schilder knarren. Durch die geö ffneten Fenster konnte man die Herdfeuer in den Kü chen sehen, um die sich die Hausfrauen an den Kochtö pfen zu schaffen machten. Gewiß, die Boutiquen waren nicht so reichlich wie sonst mit Waren versehen. Der Krieg hatte dem Kö nigreich so verheerend zugesetzt, daß nichts aus dem Ausland hereinkam und die Lebensmittelversorgung schlecht war, aber die schö ne Jahreszeit war angebrochen, und die Erde brachte in diesem Land, durch das der Englä nder nicht gekommen war, trotz allem noch vieles hervor. Die Tuchmacher, Kü rschner und Spezereiwarenhä ndler waren am meisten betroffen, da sie der groß en Messen von einst beraubt waren, doch die Obst‑ und Gemü sehä ndler boten schö nes Gemü se und sogar frische Blumen an. Der Fluß gab seinen Fisch, das Land sein Geflü gel … Ein feiner Duft nach Kohl und Speck erfü llte die Straß e, und Cathé rine muß te lä cheln. »Ich habe Hunger! « sagte sie frö hlich. »Und Ihr? « »Ich kö nnte mein Pferd verspeisen«, erwiderte Tristan mit einer fü rchterlichen Grimasse. »Ich hoffe nur, daß diese Herberge gut ist. « Alle drei genossen die Atempause dieser friedlichen Reise nach den tragischen Ereignissen von Amboise und vor den Gewalttä tigkeiten, die sie hier erwarteten. Es war wie eine Aufheiterung zwischen zwei Gewittern, der Zwischenakt eines Dramas. Sie gelangten an eine Kreuzung, wo Frauen schwatzend um einen Brunnen standen. Nicht weit von ihnen spielten Kinder Wurfscheibe, und auf einem Stein unter dem Vordach eines Hauses predigte ein Mö nch in schwarzer, abgewetzter Kutte, gestikulierte heftig mit den Armen und verkü ndete lauthals, daß der Stein, auf dem er stehe, einst der guten Jungfrau von Orlé ans zum Absteigen vom Pferd gedient habe, als sie wie von Gott gesandt gekommen sei, um den edlen Dauphin zu finden, und daß sie eines Tages wiederkommen wü rde, um den Antichristen zu verjagen … Eine Gruppe von Frauen und Mä nnern umstand ihn und sagte zu allem ja und amen. Die Hä user hier schienen schö ner, mit hö heren Giebeln, neuerem Fachwerk und edler geformten Tü rmchen versehen zu sein als in der ü brigen Stadt. Cathé rine begriff, daß dies der Grand Carroi war, das Herz Chinons, und Tristan machte sich auf die Suche nach dem Gasthof. Er war ein wenig weiter entfernt, und man konnte von der Straß enkreuzung aus sein prä chtiges Schild sehen, bei dessen Bemalung mit Farben nicht gespart worden war und auf dem der groß e Saint‑ Mexme unter seinem Heiligenschein ä uß erst wü rdig aussah, aber entsetzlich schielte. Sie ritten dem Eingang zu. Cathé rine und Sara blieben im Sattel, wä hrend Tristan hineinging, um nach dem Wirt zu fragen. Es war wahrhaftig ein schö ner Gasthof, blitzend vor Sauberkeit. Die kleinen, mit Blei eingefaß ten Scheiben glä nzten wie winzige Sonnen, spiegelten die Flammen in den Kaminen drinnen wider, und die schö nen geschnitzten Balken ü ber der Tü r schienen blitzblank abgestaubt zu sein. Bald kehrte Tristan zurü ck, von einem stattlichen Individuum mit einem riesigen, fast das ganze Gesicht bedeckenden Bart begleitet. Aus dem Gestrü pp von Bart, Augenbrauen und Schnurrbart in einem schö nen Mausgrau, das den Mann recht gut kleidete, sprang eine imposante Nase hervor, die die graziö se Form einer Stü lpnase annahm, und darü ber funkelte ein schwarzer, nicht eben beruhigender Blick. Aus dem peinlich sauberen weiß en Linnen, das ihn umhü llte, aus der hohen Mü tze und dem mä chtigen Messer, das er vor dem Bauch trug, schloß Cathé rine jedoch, daß es Meister Agnelet, der Besitzer des Gasthofs ›Zum Kreuz des Groß en Saint‑ Mexme‹, sein mü sse, und unterdrü ckte ein Lä cheln. Dieser Agnelet erinnerte ganz gewaltig an einen alten Luchs! … Die imposante Persö nlichkeit verbeugte sich vor ihr mit allen Anzeichen tiefen Respekts, und dem weiß en Aufleuchten inmitten seines Bartes entnahm Cathé rine, daß sie lä chelte. »Es ist mir eine groß e Ehre, edle Dame, Euch unter meinem Dach zu bewillkommnen. Die Freunde des Herrn de Bré zé sind hier zu Hause … Aber ich fü rchte, ich kann Euch nur ein kleines Zimmer geben, wenn auch gut eingerichtet. Gestern kam die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Kö nigs, unseres Herrn, und bestimmte Zimmer sind im voraus dafü r reserviert worden. « »Macht Euch keine Sorgen, Meister Agnelet«, entgegnete Cathé rine, die dargebotene Hand ergreifend, die ihr vom Pferd helfen wollte, »solange Ihr uns nur beherbergt, meine Begleiterin und mich, und wir bei Euch ungestö rt sind, wird alles gut sein. Was nun Messire Tristan betrifft, meine ich, daß ihr …« »Sorgt Euch nicht um mich, Dame Cathé rine«, unterbrach der Flame. »Ich reite gleich nach dem Abendessen weiter. « Cathé rine hob die Brauen. »Ihr reitet weiter? Wohin? « »Nach Parthenay zum Konnetabel, zu meinem Herrn! Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Aber ich werde nur hinreiten und wiederkommen. Meister Agnelet, Ihr wiß t, was Ihr zu tun habt? « Der Wirt kniff ein Auge zu und lä chelte verschmitzt wie ein Komplice: »Ich weiß, Messire … Die Herren werden benachrichtigt werden, und die edle Dame ist bei mir vö llig in Sicherheit. Macht Euch die Mü he einzutreten, Ihr werdet augenblicklich in Eurem Zimmer bedient werden. « Von Meister Agnelet geleitet, traten die drei Reisenden in die Herberge, wä hrend zwei Bedienstete die Pferde in den Stall fü hrten und ein dritter sich um das Gepä ck kü mmerte. Eine beleibte Frau, deren rote Wangen gelackt zu sein schienen und auf deren fleischigen Lippen der Schatten eines Schnurrbä rtchens prangte, die aber ein Goldkreuz um den Hals und ein Kleid aus schö nem, feinem Barchent trug, kam eiligst herbei, um Cathé rine ihre Reverenz zu erweisen. Agnelet stellte sie mit echtem Stolz vor. »Meine Frau Pernelle! Sie ist Pariserin! « Mit viel geziertem Getue fü hrte die Pariserin Cathé rine durch den Speisesaal und ö ffnete eine kleine Tü r, die auf einen schö nen, mit Steinfliesen belegten und mit Blumen geschmü ckten Hof hinausging. Von ihm aus strebte eine Holztreppe zur gedeckten Galerie hinauf, auf welche die Zimmer gingen. Sie schritt bis ganz ans Ende der Galerie und ö ffnete eine hü bsche, geschnitzte Eichentü r. »Ich glaube, Madame wird sich hier wohl fü hlen! Zumindest wird es ruhig sein. « »Habt Dank, Dame Pernelle«, erwiderte die junge Frau. »Ich bin, wie Ihr seht, in Trauer und wü nsche vor allem Ruhe und Frieden. « »Gewiß, gewiß! « sagte die Wirtin. »Ich weiß, wie das ist … Aber wir haben ganz in der Nä he die Kirche Saint‑ Maurice, deren Pfarrherr voll Verstä ndnis und Zuvorkommenheit ist. Man muß ihn hö ren, in der Predigt oder bei der Beichte! Seine Stimme ist eine Linderung fü r die gemarterte Seele und …« Offenbar kannte Meister Agnelet, der unten geblieben war, sein Ehegespons nur allzu gut, denn er rief drö hnend: »Holla, Frau! Kommt herunter, und laß t die edle Dame sich ausruhen! « – und schnitt so den Wortschwall der Dame Pernelle ab. Cathé rine lä chelte ihr zu: »Schickt mir meinen Begleiter, Dame Pernelle, und richtet uns schnell das Abendessen her. Wir sind mü de und ausgehungert. « »Sofort, sofort …« Nach einem letzten Knicks verschwand die gute Dame und ließ Cathé rine und Sara allein. Die Zigeunerin inspizierte bereits das Zimmer, prü fte die Weichheit der Matratzen, das Tü rschloß und den Fensterverschluß. Das Fenster ging auf die Straß e hinaus und erlaubte einen Blick auf das Kommen und Gehen der Passanten. Das Mobiliar war einfach, aber von guter Qualitä t, aus Eiche und Guß eisen. Und was die freundliche hellrote Tapete betraf, so machte sie aus diesem kleinen Raum einen Ort, in dem es sich angenehm wohnen ließ. »Hier sind wir gut untergebracht«, meinte Sara befriedigt. Doch als sie Cathé rine aufrecht am Fenster stehen und abwesend hinausblicken sah, fragte sie: »Woran denkst du? « »Ich denke«, erwiderte die junge Frau lä chelnd, »daß ich Eile habe, hier fertig zu werden, und daß, so komfortabel diese Herberge auch sei, ich mich nicht verspä ten mö chte. Ich … ich mö chte meinen kleinen Michel wiedersehen! Du kannst nicht wissen, wie er mir fehlt! Es ist schon so lange her, daß ich ihn gesehen habe! « »Vier Monate! « sagte Sara nä her tretend erstaunt. Es war das erstemal, daß Cathé rine solche Sehnsucht nach ihrem Kind bekundete. Sie hatte nie von ihm gesprochen, vielleicht in der Furcht, daß ihr Mut durch das Mitleid mit dem kleinen Jungen und die Erinnerung an ihn nachlassen kö nne. Doch an diesem Abend glitzerten Trä nen in ihren Augen. Und Sara bemerkte, daß sie drauß en eine Frau beobachtete, die ein blondes Baby, ungefä hr in Michels Alter, in den Armen trug. Diese Frau war jung, frisch, sie lachte und hielt dem Kind ein Cremetö rtchen hin, nach dem es begierig die kleinen Hä nde ausstreckte. Es war ein einfaches, zauberhaftes Bild, und Sara begriff die Sehnsucht, die Cathé rines Herz erfü llte. Sie legte der jungen Frau den Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Nur noch ein wenig Mut, mein Herz! Du hast soviel davon bewiesen! Und du bist kurz vor dem Ziel! « »Ich weiß! Aber ich werde nie wie diese Frau sein … Sie hat bestimmt einen Gatten, weil sie so frö hlich ist! Sie muß ihn lieben. Sieh, wie ihre Augen glä nzen … Wenn ich einmal aufhö ren werde, eine Vagabundin zu sein, dann nur, um mich in ein Schloß einzuschließ en und dort einzig fü r Michel zu leben, zuerst wenigstens; danach, wenn er mich verlassen haben wird, fü r Gott und in der Erwartung des Todes, wie meine Schwiegermutter gelebt hat …« Sara spü rte, daß sie diesen unheimlichen Nebel zerreiß en muß te, der sich nach und nach eisig um Cathé rines Herz legte. Man durfte sie sich nicht einer Schimä re hingeben lassen. Sie riß sie vom Fenster weg, zwang sie, sich auf eine mit Kissen belegte Fuß bank zu setzen, und brummte bä rbeiß ig: »Jetzt aber genug! Denk daran, was du noch zu tun hast, und ü berlaß die Zukunft sich selbst! Gott allein ist ihr Herr, und du weiß t nicht, was er dir beschieden hat. Im ü brigen, Schluß jetzt damit! Hier ist Messire Tristan! « Tatsä chlich trat der Flame, nachdem er angeklopft hatte, von zwei Dienern begleitet ein, deren einer mit weiß en Servietten bedeckte Platten trug, wä hrend der andere mit allem Nö tigen, Geschirr und Besteck, zum Decken des Tischs beladen war. Im Nu war alles bereit, und die drei Kameraden setzten sich um eine Platte mit Bratwü rsten und Bohnen und eine zweite mit Hammelbraten in gelber Sauce, die herrlich duftete. Cathé rine, aufgeheitert, spü rte, wie ihre dü steren Gedanken sich verflü chtigten, als sie einen Kelch hellen roten Landwein trank, der eine auß erordentlich stä rkende Wirkung zu haben schien. Als die Mahlzeit beendet war, stand Tristan, der fast gar nicht gesprochen hatte, auf, um sich zu verabschieden. »Ich gehe jetzt, Dame Cathé rine. Ich muß morgen abend in Parthenay sein, um die letzten Befehle zu empfangen. Ihr bleibt hier. Der Kö nig wird morgen eintreffen, aber bei Tagesanbruch werden Messire Pré gent de Coé tivy und Messire Ambroise de Lore in der Herberge sein, wo sich alle Verschworenen versammeln. Messire Jean de Bueil wird ebenfalls von seinem Schloß Montré sor herunterkommen, vielleicht morgen im Laufe des Tages. Wenn alle da sind, wird man an Ort und Stelle eine Versammlung abhalten kö nnen. Hinten im Hof, in dem Felsen, auf dem das Schloß ruht, gibt es ausgezeichnete Keller fü r den Wein … oder fü r Verschwö rungen. Ihr braucht bloß daran teilzunehmen und aufzupassen. Aber vergeß t nicht: Sobald der Kö nig angekommen ist, dü rft Ihr Euch nicht mehr drauß en sehen lassen! Die Dame de La Tré moille hat scharfe Augen! « »Seid beruhigt«, erwiderte Cathé rine, wä hrend sie ihm ein letztes Glas Wein reichte. »Ich habe seit geraumer Zeit meine Ansichten geä ndert, ich bin nicht vö llig verrü ckt geworden! Zum Wohl! Der Abschiedstrunk! « Er trank das Glas mit einem Zuge aus, grü ß te und verschwand wie ein Schatten. Der normale Straß enverkehr der Stadt geriet in heftige Bewegung, als am anderen Tag, gegen Mittag, der Zug des Kö nigs in Chinon einritt. Als das Schmettern der Trompeten die friedliche Stille ü ber den Dä chern zerriß und alle Glocken zu lä uten begannen, hü llte Cathé rine trotz aller Mahnungen zur Vorsicht den Kopf in einen Schleier und beugte sich aus dem Fenster, ü ber den dichtgedrä ngten Kö pfen im Grand Carroi sah sie die Banner, die Paniere, die Feldzeichen der Bewaffneten, die Lanzen und Piken, die eisengepanzerte Schwadron der den Kö nig umgebenden Ritter, auch er in der Rü stung, und die Sä nften, in denen die Kö nigin und das Paar La Tré moille Platz genommen hatten. Es war schon lange her, seitdem ein Pferd den Groß kä mmerer hatte tragen kö nnen. Als sie seine Farben bemerkte, zog Cathé rine sich instinktiv vom Fenster zurü ck. Obgleich sie sich in dieser Herberge sicher fü hlte, konnte sie sich eines heftigen Widerwillens bei der Ankunft ihrer Feinde nicht erwehren. Bis zu diesem Augenblick hatte sie ü brigens an ihrem Sieg gezweifelt, und ihre Phantasie hatte ihr eine ganze Menge Hindernisse vorgegaukelt. Doch endlich war der dicke La Tré moille gekommen! Der Zug ü berquerte die Kreuzung inmitten des Volkes, das »Heil! « und »Gott schü tze Euch! « rief, und verschwand allmä hlich auf der steil ansteigenden Straß e, die zum Schloß hinauffü hrte. Als das letzte Fuhrwerk mit dem letzten Diener verschwunden war, drehte Cathé rine sich mit triumphierenden Augen zu Sara um. »Er ist gekommen! Ich habe gewonnen! « »Ja«, lä chelte die Zigeunerin, »du hast gewonnen! Jetzt ist es Sache der Ritter der Kö nigin Yolande, das Wild abzuschieß en …« »Aber nicht ohne mich! « rief die junge Frau. »Ich mö chte dabeisein, um, falls wir scheitern, das Schicksal der Verschwö rer zu teilen. Ich hab' ein Recht darauf. « Sara erwiderte nichts und machte sich daran, einen Riß in Cathé rines Reisemantel auszubessern. Es waren noch keine vierundzwanzig Stunden vergangen, seitdem die beiden Frauen diese Herberge betreten hatten, doch schon drehte und wendete Sara sich unruhig wie ein Tier im Kä fig und suchte sich zu beschä ftigen. Auch fü r Cathé rine war diese Untä tigkeit beschwerlich. Sie verbrachte fast ihre ganze Zeit hinter der Scheibe ihres Fensters und beobachtete den Verkehr auf der Straß e. Die Stunden verrannen zu langsam fü r ihre Ungeduld. Sie hatte zu viel Angst ausgestanden, hatte zu oft am Gelingen gezweifelt, um daran glauben zu kö nnen, bevor sie mit eigenen Augen die Ankunft La Tré moilles gesehen hatte. Und jetzt, da er hier war, brannte sie darauf, sich wieder in den Kampf zu stü rzen. Als die Nacht angebrochen war und hoch oben im Schloß, im groß en Uhrenturm, die Marie Javelle genannte Glocke, durch deren Schlag das Leben der Stadt seinen Rhythmus erhielt, das Abendgelä ut angestimmt hatte, war Stille auf der Straß e eingetreten. Cathé rine riskierte es, ihr Fenster zu ö ffnen und sich hinauszulehnen, ohne sich mit einem Schleier zu bedecken. Statt des Schleiers muß te die Nacht genü gen, obgleich sie nach Saras Meinung noch viel zu hell war … Es war wahr. Die Nacht war herrlich, von einem dunklen, zarten und tiefen Blau und von funkelnden Sternen ü bersä t … Eine Nacht, fü r die Liebe geschaffen, nicht fü r die Intrige. Gewiß, die Sicht reichte nicht weiter als bis zur gegenü berliegenden Straß enseite, wo festverschlossene Fensterlä den und tiefe Stille von dem Schlaf der guten Bü rger kü ndeten, die dort wohnten, eines Helmschmieds, dessen Lä rm die Straß e den ganzen Tag erfü llte, und eines Apothekers, dessen Erzeugnisse sie mit ihren Dü ften durchzogen. Jetzt jedoch, nachdem die Tagesgerä usche verstummt waren, breitete sich ü ber die schlafende Stadt etwas wie ein Mysterium. Cathé rine schien es, als befinde sie sich im Inneren eines festen und kostbaren Reliquienschreins, einer Art unverletzlichen Zufluchtsorts, und fragte sich, ob dies nicht auf den Schatten Johannes zurü ckzufü hren sei. Im leisen Plä tschern des Flusses, in dem entfernten, fast unhö rbaren Gesang der rauschenden Bä ume, selbst im Ruch der fruchtbaren Erde, der zu ihr drang, vermischt mit einem vagen Duft von Wasser und Jasmin, glaubte Cathé rine noch die helle Stimme des groß en Mä dchens zu hö ren, das von so weit hergekommen war und durch ihr flü chtiges Auftauchen ihr Leben wie mit einem unauslö schlichen Siegel gezeichnet hatte … Jehanne! Als sei sie immer noch hier, in dieser befestigten Stadt, die sie nie vergessen wü rde! Diesen Namen, der im ganzen Kö nigreich aus Furcht vor den Spionen La Tré moilles nur flü sternd ausgesprochen wurde, wagte Chinon auf seinen Straß en laut zu verkü nden und bewahrte die Erinnerung an seine Trä gerin in jedem seiner Steine … Wenn die Nacht sich herabsenkte, gewann das weiß e Phantom wieder Leben und spukte in jedem Haus. Mechanisch hob Cathé rine die Augen zur Milchstraß e am Himmel, als suche sie dort den Widerschein einer silbrigen Rü stung. »Jehanne! « murmelte sie ganz leise. »Helft mir! Weil ich Euch dem Tode habe entreiß en wollen, fand ich ein Glü ck, das ich fü r unmö glich hielt! Euch verdanke ich's … Gebt, daß die vielen Schmerzen nicht umsonst erlitten wurden! Gebt mir die Liebe zurü ck, das verlorene Glü ck …« Etwas Frisches, Duftendes, das sie am Hals traf, unterbrach ihre Trä umerei und fü hrte sie wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurü ck. Unwillkü rlich griff sie zu, erwischte den Rosenstrauß in dem Moment, in dem er wieder hinauszufallen drohte, und hob ihn an die Nase. Er duftete herrlich … Sich ins Dunkel der Straß e hinausbeugend, suchte die junge Frau festzustellen, woher der Blumengruß gekommen sein mochte, und entdeckte unter dem Vordach des gegenü berliegenden Hauses eine hohe, dunkle Gestalt, die sich langsam aus ihrem Versteck lö ste. Aber schon bevor sie voll sichtbar geworden war, wuß te Cathé rine, wer es war. Langsam schritt Pierre de Bré zé in die Mitte der Gasse und blieb dort unbeweglich einige Augenblicke stehen, zu dem Fenster aufblickend, das die graziö se Silhouette der jungen Frau einrahmte. Sie konnte seine Gesichtszü ge nicht unterscheiden, aber sie hö rte, daß er ihren Namen murmelte. »Cathé rine …! « Sie antwortete nicht, von plö tzlicher Erregung erstickt. Ihr Herz hatte wie rasend zu schlagen begonnen. Sie fü hlte, daß sie wie eine Jungfrau errö tete, weil Pierre in die vier Silben ihres Namens mehr Liebe gelegt hatte als in ein Gedicht. Sie verspü rte das heftige Verlangen, ihm die Hä nde entgegenzustrecken, um ihn nä her heranzuziehen, zu ihr … In diesem Augenblick tauchte der Mond ü ber einem Dachgiebel auf, flimmerte auf den Schiefern, versilberte sie, warf seinen Schein in die Straß e und umhü llte mit ihm die reglose Gestalt des jungen Mannes, bevor er das Fenster erhellte und ins Zimmer glitt. Instinktiv hob Cathé rine den Arm gegen das allzu helle Licht und trat einen Schritt zurü ck. Aber sie hatte noch Zeit, zu sehen, wie er ihr eine Kuß hand zuwarf … Es war jetzt zu hell, und es war unvorsichtig, sich noch einmal zu zeigen, aber die Versuchung war zu stark. Es verlangte sie danach, sein zu ihr emporgehobenes, von Leidenschaft gezeichnetes Gesicht noch einmal zu sehen … Sie neigte sich vor und konnte ein bedauerndes Lä cheln nicht unterdrü cken: Die Straß e war leer. Pierre war verschwunden … Langsam schloß Cathé rine den hö lzernen Laden und das Fenster, zü ndete die Kerze an, nahm den fü r einen Moment auf dem Tisch abgelegten Strauß wieder auf und roch mit geschlossenen Augen daran, ließ sich vom Duft der Rosen berauschen. Die heiß e Stimme, die eben noch aus dem Dunkel zu ihr gesprochen hatte, klang ihr im Ohr … Das Gesicht in den Blumen vergraben, lauschte sie ihr nach, als sie plö tzlich die spö ttische Stimme Saras vernahm. Die Zigeunerin hatte schon geschlafen und muß te durch das Licht geweckt worden sein. »Erstaunlich, diese Herberge! Ich hatte gar nicht bemerkt, daß Rosen in ihren Mauern sprieß en! « Jä h aus ihrem Traum gerissen, warf Cathé rine ihr einen wü tenden Blick zu, doch nach einem Augenblick muß te sie lachen. Kerzengerade im Bett sitzend, hatte Sara mit ihren dicken, straff auf die Schultern fallenden angegrauten Zö pfen eine ungeheuer komische Wü rde, die von dem neckischen Funken in ihren Augen Lü gen gestraft wurde. »Sie sind schö n, nicht wahr? « murmelte die junge Frau. »Sehr schö n! Ich wette, sie kommen direkt vom Schloß, und ein gewisser Seigneur hat sie gebracht. « »Du brauchst gar nicht zu wetten. Es stimmt … Er hat sie mir heraufgeworfen. « Das leise Lä cheln schwand von Saras Lippen. Sie schü ttelte mit einer Andeutung von Traurigkeit den Kopf. »Du bist schon soweit, ihn Er zu nennen? « Cathé rine wurde puterrot und wandte sich ab, um ihre Verwirrung zu verbergen, wä hrend sie sich zu entkleiden begann. Sie antwortete nicht, aber offenbar wollte Sara eine Antwort haben. »Sag mir ehrlich, Cathé rine. Was empfindest du eigentlich fü r diesen schö nen blonden Ritter? « »Was soll ich darauf antworten? « entgegnete die junge Frau gereizt. »Er ist jung, er ist schö n, wie du ganz richtig bemerktest, er hat mich gerettet, und er liebt mich … Ich finde ihn charmant, das ist alles. « »Das ist alles …«, ä ffte Sara nach. »Das ist schon viel. Hö r zu, Cathé rine: Ich weiß besser als irgend jemand, was du gelitten hast und wie du noch immer unter deiner Einsamkeit leidest, aber …« Sara zö gerte, senkte die Nase, sichtlich verä rgert ü ber das, was sie sagen wollte. Cathé rine stieg aus ihrem Kleid, ließ es um ihre Fü ß e zu Boden gleiten und bü ckte sich, um es aufzulesen. »Aber? « fragte sie. »Paß auf, daß du nicht wieder dein Herz verlierst. Ich gebe zu, daß dieser schö ne Seigneur alles besitzt, was eine Frau verfü hren kann. Ich bin auch sicher, daß seine Liebe ehrlich ist und daß er deinem Leben eine groß e Sü ß e geben wü rde. Ich weiß, daß er dir liebenswert erscheint. Nur – ich kenne dich, ich weiß, daß du nicht lange mit einer anderen Liebe glü cklich wä rst, weil der Mann, dessen Namen du trä gst, dich zu tief gezeichnet hat, als daß du ihn vergessen kö nntest. « »Wer spricht von vergessen? « murmelte Cathé rine mit beunruhigter Stimme. »Wie kö nnte ich Arnaud vergessen, da ich doch nur fü r ihn gelebt habe? « »Dadurch, daß du dich von einem anderen ü berreden ließ est, in Zukunft fü r ihn zu leben. Ich wiederhole: Ich kenne dich. Wenn du dich gehenließ est, wü rde eines Tages, frü her oder spä ter, die alte Liebe wieder ihre Rechte fordern, das Bild Arnauds wü rde den anderen verdrä ngen, und du wü rdest dich noch einsamer fü hlen, noch verzweifelter und, um das Unglü ck vollzumachen, voller Gewissensbisse, wortbrü chig geworden zu sein … und du wü rdest dich deiner schä men. « Sehr aufrecht in ihrem langen weiß en Hemd, die Augen ins Weite gerichtet, schien Cathé rine abwesend. Aber sie murmelte mit tiefem Schmerz: »Dennoch warst du es, die mir nach der Nacht mit Fero riet, mich ohne Gewissensbisse der Lust hinzugeben. Brachtest du mir damals mehr Nachsicht entgegen, weil es sich um einen Mann deiner Rasse handelte? « Sara erblaß te. Drü ckendes Schweigen breitete sich zwischen den beiden Frauen aus. Dann stand die Ä ltere langsam auf, trat zu der anderen. »Nein, nicht weil es sich um einen der Meinen handelte. Sondern weil ich wohl wuß te, daß Fero keine Chance hatte, dein Herz zu rü hren. Und die Lust ist gut, Cathé rine, wenn man jung und gesund ist. Sie befreit den Geist, entspannt den Kö rper, lä ß t das Blut schneller und heiß er durch den Kö rper rinnen, wä hrend die Liebe knechtet und manchmal – zerstö rt … Wenn ich wü ß te, daß dein Herz bei diesem Ritter nichts riskierte, wü rde ich dich ihm geradezu in die Arme werfen. Einige Nä chte der Wollust wü rden dir guttun, aber du gehö rst nicht zu denen, die sich ohne Zä rtlichkeit hingeben. Und das wü rde … dem Einsiedler von Calves, deinem Gatten, groß en Schmerz bereiten! Er braucht dich, muß wissen, daß du ihm beistehst, sein Martyrium zu ertragen. Jeder hä lt dich fü r eine Witwe, und deine schwarzen Schleier tä uschen dich selbst. Fü r alle, selbst fü r das Gesetz, fü r die Kirche, bist du Witwe, da er beim Eintritt ins Siechenhaus aus der Reihe der Lebenden gestrichen worden ist. Aber er lebt, Cathé rine, er lebt noch, und in deinem Herzen lebt er noch am meisten. Wenn du ihn daraus verjagst … dann, ja dann wird er wirklich tot sein! Aber du wirst immer wissen, daß er es nicht ist! « Hinter Cathé rine stehend, vermochte Sara ihr Gesicht nicht zu sehen. Doch wä hrend sie sprach, bemerkte sie, daß der Kopf mit dem zu kurzen blonden Haar sich senkte und die schmalen Schultern sich beugten. Das Echo ihrer Worte hallte in der Tiefe des Herzens der jungen Frau wider, die kaum vernarbte Wunde wieder aufreiß end. Schmerzlich murmelte Cathé rine: »Du bist grausam, Sara! Ich habe schließ lich nichts anderes getan als an den Rosen gerochen …« »Nein, mein Herz. Du warst immer offen und ehrlich dir und anderen gegenü ber. Sei es auch jetzt. Du hast dich von der Dankbarkeit auf einen gefä hrlichen Weg fü hren lassen, der nicht der deine ist. Der deine wird dich zu den Bergen der Auvergne zurü ckfü hren, zu Michel und nach Montsalvy. « Ganz sachte zog sie die junge Frau an sich, bettete deren Kopf in die Hö hlung ihrer Schulter und streichelte zart die Wange, ü ber die eine Trä ne rollte. »Zü rne deiner alten Sara nicht, Cathé rine. Sie wü rde dir ihr Leben und ihren Anteil am Paradiese geben, um dich glü cklich zu sehen. Sie liebt dich wie ihr eigenes Fleisch. Aber«, fü gte sie mit bebender Stimme hinzu, »du muß t wissen, daß sie einen Teil ihres Herzens deinem Gatten geschenkt hat, diesem Arnaud, voller Dü nkel, Leidenschaft und Schmerz, den sie eines Nachts wie ein Kind, dessen Leben zerstö rt und dessen Liebe verdammt war, hat weinen sehen … Erinnerst du dich? « »Schweig«, schluchzte Cathé rine. »Schweig … Du weiß t genau, daß kein anderer Mann jemals seinen Platz einnehmen kö nnte … daß ich nie jemand so lieben kö nnte, wie ich ihn geliebt habe … wie ich ihn noch liebe! « Gewiß war sie ehrlich. Und doch konnte sie aus ihren Gedanken den Widerschein eines Lä chelns, das Blitzen blauer Augen nicht verbannen … Oben, auf dem Turm, schlug Marie Javelle Mitternacht. Sanft, aber fest fü hrte Sara Cathé rine zum Bett. Der Rosenstrauß blieb unbeachtet auf dem Tisch … Am nä chsten Abend spielte die Frage der Liebe keine Rolle mehr, und Cathé rine dachte auch gar nicht mehr daran, denn die Stunde des Handelns rü ckte heran. Gegen Ende des Tages war Meister Agnelet bei Cathé rine erschienen und hatte ihr respektvoll, doch ohne unnü tze Umschweife mitgeteilt, daß er sie Schlag Mitternacht holen werde. »Wohin werden wir gehen? « fragte die junge Frau. »Nicht weit, gnä digste Dame. In meinen Hof, um es genau zu sagen, aber ich muß Euch bitten, sowenig Gerä usch wie nur mö glich zu machen. Es sind nicht alle Gä ste dieser Herberge eingeweiht! « »Ich weiß, Meister Agnelet. Darf ich Euch fragen, ob diejenigen, die Ihr erwartet habt, inzwischen eingetroffen sind? « »Alle, Madame. Monseigneurs de Lore und de Coé tivy spielen seit gestern morgen Schach, und der Seigneur de Bueil ist soeben in der Stadt angekommen. Aber er ist zum Schloß hinaufgegangen …« »Warum das? « »Er ist der Neffe des Groß kä mmerers, und obgleich er der Kö nigin Yolande dient, wird er noch empfangen. Vergeß t es nicht, edle Dame! Um Mitternacht! « Der Rest des Tages kam Cathé rine weniger lang vor. In kurzem wü rde sie wissen, woran sie war. Entweder hatte der Anschlag Erfolg, dann wä re es zweifellos ein leichtes fü r den jungen Karl von Anjou, La Tré moille beim Kö nig zu ersetzen. Es wü rde auß erdem die Rü ckkehr in Gnaden bedeuten und das Recht, endlich ohne Maske und am hellichten Tage zu leben. Oder der Anschlag miß lang … dann wü rde nichts die Verschwö rer vor dem Zorn des Groß kä mmerers retten. Es wü rde den Tod aller bedeuten, ohne Ansehen des Geschlechts und des Ranges … Nachdem das Abendlä uten verklungen war, trat Cathé rine mechanisch ans Fenster, ö ffnete es jedoch nicht, ü brigens wü rde Pierre de Bré zé in dieser Nacht nicht den Verliebten unter dem Fenster seiner Schö nen spielen. Er hatte Besseres zu tun, und sie wü rde ihn im Kreise der anderen Ritter wiederfinden. Auß erdem fü hlte sich Cathé rine zu angespannt, um noch Gedanken daran zu verschwenden. Es schlug Mitternacht, als ein leises Kratzen an der Tü r die vö llig angekleidete Cathé rine sich vom Fuß ende des Bettes erheben ließ, in das sich zu legen sie Sara gezwungen hatte. Rasch ging sie zur Tü r, um zu ö ffnen, und gewahrte eine dunkle Gestalt auf der Schwelle. Im Hause war alles Licht gelö scht, die Kü chenfeuer hatten, wie jeden Abend, mit Asche bedeckt werden mü ssen, doch in den Hof warf der Mond einen milchigen Schein, gegen den sich die Holzpfeiler der Galerie und die Silhouette des Wirtes schwarz abzeichneten. Der Wirt hatte fü r diese Gelegenheit seine makellos weiß e Berufsgewandung mit einem dunklen Wollwams vertauscht. Man hö rte keinerlei Gerä usch. Wortlos nahm Agnelet Cathé rine an der Hand, fü hrte sie in den Hof hinunter und dort an den Gebä uden entlang, um nicht die helle Flä che ü berqueren zu mü ssen, und gelangte so zum rü ckwä rtigen Teil, dessen Begrenzung von dem Felshang gebildet wurde, ü ber dem sich das Schloß erhob. Vereinzelt wuchsen hier Bü sche, und ab und zu tauchten dunkle Lö cher auf. »Uralte Hö hlenwohnungen«, flü sterte Agnelet, als er sah, daß Cathé rine einen Augenblick stehenblieb, um sie zu betrachten. »Einige sind noch bewohnt, andere dienen als Keller, wie bei mir … oder als Zufluchtsort! « Wä hrend er sprach, stieß er eine runde Pforte aus dickem, kreuzweise ü bereinandergezimmertem Kantholz auf, die einen Grotteneingang verschloß. Nachdem sie die Pforte hinter sich hatten, nahm Agnelet eine Ö llampe aus einer Vertiefung des Felsens, schlug Feuer und zü ndete sie an. Eine groß e Hö hle wurde sichtbar, in den Kreidefels gehauen und mit Gestellen und Fä ssern jeder Grö ß e ausgestattet. Starker Weingeruch ging von ihnen aus. Bö ttcherwerkzeuge lagen auf einem Werktisch aufgereiht, neben einem Bottich, in dem sich leere Flaschen befanden. Das Ganze machte einen so gemü tlichen Eindruck, daß Cathé rine ihren Gastgeber fragend ansah. War das der Hintergrund fü r eine Verschwö rung? Statt einer Antwort lä chelte Agnelet, ging bis zur Wand, die den Keller abschloß, und schob ein Faß beiseite, das nicht allzu gewichtig aussah. Eine ovale Ö ffnung zeigte sich. Sie fü hrte durch die Wand. »Tretet durch, edle Dame! « sagte der Wirt. »Ich werde das Faß hinter uns wieder an seinen Platz rü cken. Dieser Eingang muß verborgen bleiben. Wir befinden uns jetzt unter dem Mittelschloß. Der Kö nig schlä ft genau ü ber unseren Kö pfen! « Ohne Zö gern betrat Cathé rine einen kleinen, von einer Fackel erleuchteten Gang, an dessen Ende sich ein Raum ö ffnen muß te. Dieser Gang war nur ein paar Schritte lang, die, einmal zurü ckgelegt, Cathé rine und ihren Fü hrer zum Eingang einer viel grö ß eren Grotte brachten, an deren jenseitigem Ende eine rohe, aus dem kreidehaltigen Fels herausgehauene Treppe emporfü hrte und sich im Schatten des Gewö lbes verlor. Auch hier standen einige Fä ß chen, aber sie waren umgestü lpt, und vier Mä nner hatten auf ihnen Platz genommen. Sie sprachen kein Wort. Unbeweglich wie Statuen, schienen sie um eine Ö llampe herum zu warten. Aber alle drehten sich gleichzeitig nach den Ankö mmlingen um. Neben Pierre de Bré zé erkannte Cathé rine das rote Haar und das Gesicht ohne Lä cheln Ambroise de Lores, die elegante, schmale Gestalt Jean de Bueils, die breiten Schultern und eigenwilligen Zü ge des Bretonen Pré gent de Coé tivy und erwies ihnen allen, als sie sich erhoben, eine artige Reverenz. Pierre nahm ihre Hand, um sie zum Kreis der Fä sser zu fü hren. Jean de Bueil empfing sie freundlich, nachdem er Meister Agnelet empfohlen hatte, drauß en Posten zu stehen. »Wir sind glü cklich, Madame, Euch wiederzusehen, und noch glü cklicher, Euch beglü ckwü nschen zu kö nnen. Die Anwesenheit La Tré moilles in Chinon ist der deutliche Beweis Eures Erfolgs. Wir sind Euch sehr verbunden. « »Dankt mir nicht zuviel, Seigneur de Bueil. Gewiß, ich habe fü r Euch gearbeitet und fü r das Wohl des Kö nigreichs, aber ich habe auch fü r mich und dafü r gearbeitet, daß mein vielgeliebter Gatte gerä cht werde. Unterstü tzt mich in dieser Rache, und wir sind quitt! « Wä hrend sie sprach, zog sie sanft die Hand zurü ck, die Pierre nicht losgelassen hatte, trat auf die drei anderen Mä nner zu und fü gte hinzu: »Bedenkt, daß es um die Ehre geht … und um das Leben der Montsalvy, Messires! Daß der Name, den ich trage, weiterlebe, dafü r muß La Tré moille sterben! « »Es soll nach Eurem Wunsche geschehen! « warf Coé tivy schroff ein. »Aber wie, zum Teufel, habt Ihr's erreicht, dieses Schwein hierherzulocken? Ich gebe zu, daß es schwierig ist, einer schö nen Frau wie Euch etwas zu verweigern, aber anscheinend verfü gt Ihr noch ü ber Waffen, von denen wir uns nichts trä umen lassen. « Der von dem bretonischen Edelmann angeschlagene Ton war nicht gerade schmeichelhaft und ließ eine ganze Menge Dinge durchblicken. Cathé rine tä uschte sich nicht darü ber. Trocken gab sie zurü ck: »Ich glaube in der Tat, nicht ganz dumm zu sein, Messire, aber ich habe mich nicht der Waffen bedient, auf die Ihr anspielt, sondern nur einer Erinnerung … einer Sache, die mein Gatte, Arnaud de Montsalvy, mir einst erzä hlt hatte. « Der Name des Verschwundenen tat seine ü bliche Wirkung. Die Persö nlichkeit Arnauds war so mä chtig, daß sie alsbald im Geiste dieser Mä nner wiedererstand, die seine Kampfgenossen gewesen waren, und ihre Ehrerbietung der Frau gegenü ber erzwang, die seinen Namen trug und einen so groß en Beweis ihres Mutes geliefert hatte. Coé tivy errö tete, sich seiner Gedanken schä mend, und bekannte sich auch ohne Zö gern schuldig. »Verzeiht! Ihr verdient solche Anspielungen nicht! « Sie lä chelte ihn an, ohne zu antworten. Nachdem sie das Fä ß chen, das man ihr zuschob, akzeptiert hatte, berichtete sie sodann den aufmerksam lauschenden Mä nnern von ihrer letzten Unterhaltung mit La Tré moille. Sie hö rten ihr mit dem erstaunten Ausdruck von Kindern zu, denen man eine schö ne Geschichte erzä hlt. Das Wort ›Schatz‹ verzauberte sie. Dazu kamen die von Mysterien umgebenen Phantome der Tempelritter, phantastische, schattenhafte Gestalten, die sich in ihrer Vorstellung mit den Geheimnissen des Orients verbanden. Etwas belustigt sah Cathé rine, wie sich ihre Augen trä umerisch verklä rten und zu funkeln begannen. »Inschriften! « murmelte Ambroise de Lore schließ lich. »Wenn man nur wü ß te, ob sie wirklich existierten …« »Mein Gemahl hat sie gesehen, Seigneur«, sagte Cathé rine leise. Eine Stimme, die hallend aus dem Kreidegewö lbe klang, erklä rte: »Ich auch, ich kenne sie! Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, was sie bedeuten! « Zwei Mä nner in Rü stungen stiegen die rohe Treppe herunter, die sich in der Hö he der Grotte verlor. Der erste, barhä uptig, war ein schon bejahrter Mann, dessen besonders krä ftige kö rperliche Verfassung ihn vor dem Altern bewahrte. Cathé rine erkannte den Kranz grauer Haare, das fü llige Gesicht, die schweren Zü ge und die inquisitorischen Augen Raoul de Gaucourts, des gegenwä rtigen Gouverneurs von Chinon, den sie schon als Gouverneur von Orlé ans gekannt hatte. Seit bald sechzig Jahren, die Gaucourt auf Erden wandelte, hatte er immer gegen den Englä nder gekä mpft, der ihn nach der Belagerung von Harfleur, das 1415 von ihm so prä chtig verteidigt worden war, ein Jahrzehnt in seinen Gefä ngnissen gehalten hatte. Er war ein schwerfä lliger Mensch, dickkö pfig wie die Ochsen seiner Felder, eigensinnig und tapfer, aber nicht ohne Zartgefü hl. Dem Kö nig blind ergeben, konnte er nicht heucheln. Jehanne d'Arc hatte ihm anfä nglich Miß trauen eingeflö ß t, und er hatte gegen sie gekä mpft, aber Gaucourt war zu grundanstä ndig, um einen Irrtum nicht einzugestehen. Seine Anwesenheit in dieser Nacht im Keller Agnelets war der beste Beweis dafü r. Der Mann, der ihm folgte, war unendlich viel jü nger und hagerer. Seine Physiognomie hatte nichts Bemerkenswertes an sich und wä re ohne den unerbittlichen Blick seiner grauen Augen gar nicht aufgefallen. Er war der Stellvertreter des Gouverneurs und hieß Olivier de Fré tard. Drei Schritte hinter seinem Vorgesetzten gehend, trug er den Helm, den Gaucourt abgenommen hatte, und schien die Versammlung nicht zu beachten. Doch Cathé rine hatte den Eindruck, daß diesem Mann mit den eisigen Augen keine Geste, kein Ausdruck ihrer Gesichter entging. Inzwischen war Raoul de Gaucourt die Treppe vollends hinuntergestiegen. Er grü ß te die Verschwö rer mit einer Geste und baute sich vor Cathé rine auf. Der Schatten eines Lä chelns glitt ü ber sein verschlossenes Gesicht. »Es bereitet mir unendlich mehr Vergnü gen, Madame de Montsalvy in Chinon willkommen zu heiß en, als einst in Orlé ans Madame de Brazey zu empfangen! « sprudelte er ohne lange Vorrede heraus. »Hol' mich der Teufel, wenn ich auf die Idee gekommen wä re, daß Ihr aus Liebe zu Montsalvy in dieses Wespennest gestochen habt! Zumal er alles getan hat, um Euch an den Galgen zu liefern, Euer edler Gemahl! « Wider ihren Willen errö tete Cathé rine. Es stimmte. Ohne Johannes Dazwischenkunft, die sie auf dem Weg zum Schafott gerettet hatte, hä tte sie ihre Tage am Ende eines Stricks beschlossen, auf Befehl eines Tribunals unter dem Vorsitz Gaucourts, das gegen sie aufzuwiegeln Arnaud nicht mü de geworden war. Blind vor Haß, hatte er nur davon geträ umt, sich von ihr zu befreien … Trotz dieser schrecklichen Erinnerungen hegte sie keine Bitterkeit. Was blieb, war … jawohl, ein leises Bedauern! Sie hielt dem Blick des alten Mannes unbeirrt stand. »Werdet ihr mir glauben, Messire, wenn ich Euch sage, daß ich diese Zeit bedaure? Der, der mein vielgeliebter Gatte geworden ist, lebte damals noch in voller Kraft, selbst wenn er diese Kraft gegen mich anwendete. Wie sollte ich es nicht bedauern? « Etwas besä nftigte den Blick, mit dem er sie musterte. Plö tzlich ergriff Gaucourt ihre Hand, hob sie an die Lippen und ließ sie unsanft wieder fallen. »Also«, murmelte er, »Ihr seid seine wü rdige Frau! Und Ihr habt gute Arbeit geleistet! Aber genug der Schmeicheleien! Jetzt. Messieurs, mü ssen wir unser Unternehmen organisieren. Die Zeit eilt. La Tré moille mag dieses Schloß nicht und wird hier nicht lange bleiben. Wenn ihr einverstanden seid, werden wir morgen nacht handeln! « »Sollten wir nicht auf die Befehle des Konnetabels warten? « warf Bré zé ein. »Die Befehle? Welche Befehle? « knurrte Gaucourt. »Wir haben zu arbeiten, und zwar schnell, ü brigens … wo ist eigentlich Meister Agnelet geblieben? Er muß noch eine stattliche Menge Wein hier in seinem Keller haben. Ich sterbe vor Durst! « »Er ist drauß en«, sagte Jean de Bueil. »Auf Wache …« Aber es blieb ihm keine Zeit, seinen Satz zu beenden. Der Wirt in Person trat bereits ein, mit seiner Ö llampe bewaffnet, hinter sich zwei staubbedeckte und offensichtlich erschö pfte Mä nner, deren Anblick Cathé rine einen Ausruf der Freude entlockte, denn der erste der beiden war kein anderer als Tristan l'Hermite. Es war Pré gent de Coé tivy, der sie begrü ß te. »Ah! L'Hermite! Rosnivinen! Wir erwarten euch. Ich nehme an, ihr bringt uns die Befehle des Konnetabels? « »In der Tat«, erwiderte Tristan. »Hier ist Messire Jean de Rosnivinen, der ihn bei der … Ausfü hrung … vertritt! Denn, wohlverstanden, es kann keine Frage sein, daß er etwa selbst kä me. Ihr kennt alle die Feindschaft, die der Kö nig fü r ihn hegt. Unser Herr darf nicht an einen Racheakt glauben, sondern an eine Maß nahme der ö ffentlichen Gesundheitspflege! « Wä hrend er sprach, nä herte er sich Cathé rine und verneigte sich respektvoll vor ihr. »Monseigneur der Konnetabel hat mich beauftragt, Madame, an seiner Stelle die schö ne Hand zu kü ssen, die uns Chinon geö ffnet hat. Er ist Euch zutiefst verbunden und hofft, daß Ihr ihn in Zukunft zu der Zahl Eurer ergebensten Diener rechnet! « Diese kleine Ansprache hatte eine auß ergewö hnliche Wirkung. Cathé rine spü rte sofort, daß die Atmosphä re sich wandelte. Bislang, trotz ihrer hö flichen Worte, hatte sie sich inmitten dieser Mä nner unbehaglich gefü hlt. Sie spü rte vage, daß die ihr erwiesene Ehrerbietung vor allem dem Namen Arnauds und der Erinnerung an ihn galt, nicht der Frau, die sie war. Ihr Verhalten muß te ihnen seltsam erscheinen, zu unü blich. Zweifellos waren sie der Meinung, daß sie, dem Brauch gemä ß, die Durchfü hrung ihrer Rache irgendeinem Kä mpen hä tte ü berlassen und das Ergebnis in Gebet und andä chtiger Versenkung in einer Klosterzelle abwarten sollen. Aber sie hatte beschlossen, die Rolle, die sie sich zugeteilt hatte, bis zu Ende zu spielen. Was hatte es schon zu bedeuten, was die Mä nner dachten! Ohne etwas zu sagen, nahm Raoul de Gaucourt ihre Hand und fü hrte sie in den Kreis der Fä sser, bat sie, sich zu setzen, und ließ sich neben ihr nieder. »Nehmt Platz, Messeigneurs, und werden wir uns erst einmal einig. Es ist Zeit! Agnelet, bringt uns etwas zu trinken und verschwindet! « Der Wirt beeilte sich zu gehorchen, stellte Becher und Krü ge auf ein ü ber zwei Fä sser gelegtes Brett und verzog sich dann. Wä hrend er sich geschä ftig tummelte, hatte Schweigen in der Grotte geherrscht. Erst als er verschwunden war, sah sich Gaucourt im Kreis der Versammelten um. »Ihr wiß t alle schon das Wesentliche. La Tré moille bewohnt den Turm von Coudray, von fü nfzehn Armbrustschü tzen bewacht. Das heiß t, daß ihr ohne mich euch ihm nicht nä hern kö nntet. Unter meinem unmittelbaren Kommando habe ich die dreiß ig Mann, die die normale Garnison des Schlosses bilden. Mit dem Kö nig sind an die dreihundert Bewaffnete gekommen, alle dem Befehl des Kä mmerers unterstehend, wohlgemerkt. Erste Frage, habt ihr Soldaten? « »Ich habe fü nfzig Mann, im Wald untergebracht«, antwortete Jean de Bueil. »Das wird genü gen«, entgegnete Gaucourt. »Wir werden uns die Ü berraschung zunutze machen, die wichtige Tatsache, daß das Schloß dazu zwingt, die Truppen auf dem ganzen Gelä nde zwischen dem Fort Saint‑ Georges und Coudray zu zersplittern, und daß ich, der Gouverneur, an eurer Spitze stehen werde. Andererseits liegt die Pforte, die ich euch, wenn wir uns einigen, morgen um Mitternacht ö ffnen werde und die sich dem Schloß turm am nä chsten befindet, zwischen dem Mü hlenturm und dem Vieleckturm … wo die stä rkste Stü tze La Tré moilles wohnt, anders ausgedrü ckt, der Marschall de Rais. « Bei der Erwä hnung Gilles' zuckte Cathé rine zusammen und wurde blaß. Sie muß te die Zä hne zusammenpressen, auf die Lippen beiß en, um gegen die Furcht anzukä mpfen, die in ihr aufstieg. In ihrer Freude, sich endlich ihrem Ziel zu nä hern, hatte sie den schrecklichen Sire Blaubart vergessen … Doch Jean de Bueil antwortete: »Auch ich wohne im Vieleckturm. Ich werde die Mä nner ins Schloß einlassen und dann mit Ambroise de Lore, zum Beispiel, in den Turm eindringen. Wir beide werden Gilles de Rais lahmlegen. Er wird sein Quartier nicht verlassen kö nnen. « Das war so ruhig gesagt, daß ihre Furcht sich legte. Gilles de Rais hatte fü r diese Ritter nichts Erschreckendes. Der Gouverneur machte ein Zeichen der Zustimmung. »Sehr gut! Ihr habt euch also mit de Rais zu beschä ftigen. Ich selbst und Olivier Fré tard, mein Stellvertreter hier, werden dafü r sorgen, daß die Wachen soweit wie mö glich ausgeschaltet werden, indem wir sie von Coudray ablenken. Die fü nfzig Mann von Bueil, von Bré zé und Coé tivy angefü hrt, werden mit Rosnivinen und l'Hermite den Groß kä mmerer angreifen, der allein im Schloß turm wohnt. « »Wo ist der Kö nig untergebracht? « fragte Cathé rine. »Im Mittelschloß, im Gemach, das hinter dem Groß en Saal liegt. Die Kö nigin wird ihn bitten, die Nacht bei ihr zu verbringen, was er ihr nie abschlä gt, denn auf seine Art liebt er seine Frau ob ihrer Sanftmut und der Ruhe, die er bei ihr findet. Die Kö nigin wird alles tun, ihn im Falle eines Alarms zu beruhigen … Die grö ß te Schwierigkeit wird die Annä herung ans Schloß sein. Die Nä chte sind hell, und die auf den Wä llen stehenden Posten kö nnten sehr wohl Alarm schlagen … in welchem Falle alles verloren wä re. Ihr werdet also genauestens aufpassen, Messieurs, daß eure Leute keinerlei Rü stung tragen, keinen Harnisch, dessen Gerä usch gefä hrlich sein kö nnte. Nichts als Leder oder Wolle …« »Und die Waffen? « fragte Jean de Bueil kurz. »Dolch und Degen fü r die Edelleute, Axt und Dolch fü r die Soldaten. Also wohlverstanden: Um Mitternacht werden wir das Pfö rtchen ö ffnen. Ihr dringt ein. Dann wenden Bueil und Lore sich zum Turm de Boisy, wä hrend die anderen sich mit dem Schloß turm beschä ftigen. Coé tivy und Tristan l'Hermite werden ihn mit zwanzig Leuten gegen jede Stö rung von auß en abschirmen, wä hrend Bré zé und Rosnivinen in den ersten Stock hinaufsteigen und La Tré moille erledigen! « Mit einem Kopfnicken stimmten die Verschwö rer zu. Dann erhob sich die helle Stimme Cathé rines. »Und ich? « fragte sie kalt, der Sprechweise Gaucourts entsprechend. Unmut schwoll in ihrem Herzen, als sie feststellen muß te, daß ihr keine Rolle zugewiesen worden war. Sie konnte nicht mehr schweigen. Stille trat ein. Alle Blicke richteten sich auf sie, und sie las in allen die gleiche Miß billigung, auch in dem Pierre de Bré zé s. Es war wieder Gaucourt, der sich zum Sprecher der allgemeinen Meinung machte. »Madame«, sagte er hö flich, aber fest, »wir haben Euch gebeten, heute nacht hierherzukommen, damit Ihr erfahrt, was unternommen werden wird. Das war ganz normal, und wir schulden es Euch. Was aber sonst zu tun bleibt, betrifft uns, uns Mä nner. Ihr habt unsere Dankbarkeit reichlich verdient, gewiß, jedoch …« »Einen Augenblick, Herr Gouverneur«, unterbrach ihn die junge Frau und erhob sich. »Ich bin nicht nach Chinon gekommen, um nur Komplimente entgegenzunehmen, mir schö ne Worte anzuhö ren und darauf ruhig in meinem Bett zu schlafen, wä hrend ihr euer Wild angreift. Ich mö chte dabeisein! « »Das ist nichts fü r eine Frau! « rief Lore. »Weg mit den Unterrö cken beim Kampf! « »Vergeß t, daß ich eine Frau bin! Seht in mir nur die Vertreterin Arnaud de Montsalvys! « »Die Soldaten werden Eure Anwesenheit nicht begreifen! « »Ich werde mich als Mann verkleiden! Noch einmal, Messeigneurs, ich mö chte dabeisein! Das ist mein unbedingtes Recht! Ich beanspruche es! « Wieder folgte Schweigen. Cathé rine sah, wie sie sich mit Blicken berieten. Selbst Bré zé war gegen ihre Anwesenheit, sie merkte es an seiner Haltung. Nur Tristan wagte es, fü r sie einzutreten. »Ihr kö nnt es ihr nicht verweigern«, sagte er ernst. »Ihr habt die ungeheuerliche Gefahr akzeptiert, die sie auf sich genommen hat, um euch diesen Angriff zu ermö glichen. Und nun weist ihr sie zurü ck! Sie um den Genuß des Sieges zu bringen wä re ungerecht! « Ohne zu antworten, wandte Raoul de Gaucourt sich der in den Felsen gehauenen Treppe zu, setzte den Fuß auf die erste Stufe und drehte sich um. »Ihr habt recht, Tristan! Es wä re ungerecht. Auf morgen also alle! Um Mitternacht! « Es folgte keine Erwiderung. Niemand wagte den geringsten Einwand. »Um Mitternacht! « riefen sie einstimmig. Pierre de Bré zé ü bersehend, der ihr die Hand bot, um sie zu ihrem Zimmer zurü ckzugeleiten, nahm Cathé rine Tristans Arm. »Kommt, mein Freund! Es ist Zeit fü r Euch, ein wenig auszuruhen! « sagte sie liebevoll, ihn zum Ausgang der Grotte ziehend. Sie lehnte es sogar ab, den unglü cklichen Blick Pierres zur Kenntnis zu nehmen. Er hatte sie eben nicht unterstü tzt. Sie war bö se auf ihn wie auf einen Verrä ter. Als sie in ihr Zimmer zurü ckkehrte, stü tzte Sara sich auf einen Ellbogen auf und sah sie an. »Nun? « fragte sie. »Morgen um Mitternacht …« »Das ist nicht zu frü h! Wir werden das Ende dieses verrü ckten Abenteuers erleben! « Und zufrieden mit dieser Schluß folgerung, drehte Sara sich auf die andere Seite und nahm ihren unterbrochenen Schlaf wieder auf. Die Juninacht war klar und mild. In dem dunklen, eng geschnü rten wollenen Wams, das sie trug, wurde es Cathé rine zu heiß, wä hrend sie inmitten der anderen zum Schloß hinaufstieg. Neben ihr, in Tuchfü hlung, gingen Bueil, Loré, Coé tivy, Bré zé und Rosnivinen. Tristan war der letzte, der mit den Bewaffneten den Zug schloß … Der Trupp von mehr als fü nfzig Mann bewegte sich, ohne mehr Gerä usch zu verursachen als eine Armee von Schatten. Die Befehle Jean de Bueils waren deutlich und genau, kein Harnisch, dessen Stahl hä tte klirren kö nnen. Die Mä nner trugen nur Lederzeug, aber an allen Gü rteln hingen Dolche und Ä xte. Es war unmö glich, auf ihren verschlossenen Gesichtern etwas zu lesen. Schweigend, diszipliniert wie eine gut geö lte Kriegsmaschine, stiegen sie im Gleichschritt zu den immer nä her rü ckenden Umfassungsmauern hinauf. Der Schatten des Vieleckturms fiel ü ber sie und bot ihnen Schutz. Als Kulisse fü r einen Mord kam diese schö ne, klare und blaue Nacht Cathé rine seltsam vor. Sie hä tte sie sich schwarz, undurchdringlich und ein wenig neblig gewü nscht; trotzdem war sie von stolzer Freude erfü llt. Sie war diejenige, die diese Mä nner in Marsch gesetzt hatte! Wenn sie hier waren, angesetzt zu dieser tö dlichen Jagd, bei der jeder den Kopf riskierte, dann nur, weil sie es mit verbissener Beharrlichkeit so gewollt hatte. In wenigen Minuten wü rde sie siegreich oder unwiderruflich besiegt sein, und als sie vor kurzem aus der Herberge aufgebrochen war, hatte sie sich mit letzten Ermahnungen von Sara verabschiedet. »Wenn ich nicht wiederkomme, kehrst du nach Montsalvy zurü ck und wirst meinem Gatten sagen, daß ich fü r ihn gestorben bin. Und dann wirst du ü ber Michel wachen. « »Unnö tig«, hatte Sara ruhig erwidert. »Du wirst zurü ckkehren! « »Woher weiß t du das? « »Deine Stunde ist noch nicht gekommen, ich fü hl's! « Doch je mehr sie sich dem Schloß nä herte, desto mehr schien es Cathé rine, als ob Sara zur Abwechslung auch einmal unrecht haben kö nne. Der Trupp, der ihr beim Aufbruch kolossal vorgekommen war, schien zusammenzuschrumpfen, je hö her die neue Mittelfeste unter ihrer Verkleidung aus glä nzendem blauem Schiefer aufstieg. Sie ließ sich einen bangen Seufzer entschlü pfen, und schon wollte Pierre de Bré zé, der neben ihr ging, ihre Hand ergreifen. Aber sie zog sie brü sk zurü ck … Es war nicht die Stunde fü r liebevolle Zä rtlichkeiten; in diesem Augenblick wollte sie fü r diese Mä nner nur ein Waffengenosse sein. »Cathé rine«, sagte der junge Mann vorwurfsvoll, »weshalb flieht Ihr mich? « Sie brauchte nicht zu antworten. Coé tivy ü bernahm es fü r sie: »Still! « befahl er. »Wir sind bald da. « In der Tat waren sie auf dem Gipfel des Hü gels angelangt, am Fuß des Walles, auf dem man die Wachen unterscheiden konnte. Im Schloß brannte kein Licht. In den kö niglichen Gemä chern schlief der Kö nig ohne Zweifel in seinem groß en Bett neben Kö nigin Marie, die die Augen wahrscheinlich weit geö ffnet hielt. Sie hatte versprochen, wach zu bleiben, um ihren Gemahl im Falle des Alarms zu beruhigen … Und dann, wie hä tte sie auch schlafen kö nnen, da sie wuß te, was passieren wü rde? Auf eine gebieterische Bewegung de Bueils hin drü ckte sich der gesamte Trupp an die Festungsmauer und wurde so von den Wehrgä ngen aus unsichtbar, wä hrend der junge Hauptmann allein auf das verschlossene Pfö rtchen zuschritt. Unwillkü rlich hielt Cathé rine den Atem an. Zu ihren Fü ß en konnte sie die Stadt und ihre Spitzdä cher im Mondschein schimmern sehen, in den Steingü rtel der Umfassungsmauer gedrü ckt, die dem im Mondlicht flimmernd dahinziehenden Flusse folgte. Die tiefe Stimme Marie Javelles, die Mitternacht schlug, ließ sie zusammenfahren. Hinter dieser hohen, verschlossenen Pforte muß ten Gaucourt und Fré tard bereitstehen … »Die Pforte ö ffnet sich«, flü sterte jemand. Tatsä chlich drang zitterndes gelbes Licht durch den Spalt. Der, welcher ö ffnete, trug eine Laterne. Cathé rine gewahrte zwei in Eisen gekleidete Silhouetten. Der Gouverneur und sein Stellvertreter brauchten sich nicht zu verbergen und konnten ihre Harnische tragen. Einer hinter dem anderen glitten die Verschwö rer durch den Eingang, den Fré tard offenhielt. Cathé rine kam nach Bré zé, der sie mit einer nervö sen Bewegung am Arm genommen und hinter sich hineingezogen hatte. Ä rgerlich machte sie sich frei. Sie befand sich im Hof von Coudray, auf der anderen Seite des Mü hlenturms, des westlichsten Werks des Festungskomplexes. Einige Klafter vor ihr ragte der riesenhafte, runde Turm empor, in dem ihr Feind schlief –, der Schloß turm, hinter dem man die Kapelle Saint‑ Martin bemerkte. Endlich am Ziel! Gaucourt musterte jeden der Mä nner, die an ihm vorü bergingen, hob die Laterne und zä hlte sie. Als der letzte vorbei war, schloß sich die Pforte ebenso leise, wie sie geö ffnet worden war, dann setzte sich der Gouverneur an die Spitze des Trupps. Mit seinem Eisenhandschuh wies er auf den stumm aufragenden Schloß turm, ü ber ihrem Kopf konnte Cathé rine die langsamen, abgemessenen Schritte der Wachen auf dem Wallgang hö ren. Keiner blieb stehen. Das Unternehmen lief in eindrucksvoller Stille ab. Bueil und Lore wandten sich einem der Tü rme zu, wä hrend Coé tivy und Tristan mit dem grö ß ten Teil der Mä nner lautlos im Schatten des Schloß turms untertauchten. Als Cathé rine durch eine schmale Pforte den Turm betrat, muß te sie mehrere Male tief atmen, denn die Schlä ge ihres Herzens erstickten sie. Instinktiv griff sie nach dem Dolch in ihrem Gü rtel und umspannte das Heft fest mit der linken Hand. Schon glitten die Verschwö rer wie die Glieder einer groß en schwarzen Schlange im unsicheren Licht der rauchenden Ö llampen zum oberen Stock hinauf, wo der Groß kä mmerer wohnte. Die Wachen vor seiner Tü r zuckten nicht mit der Wimper, als sie den Gouverneur erkannten. Sie wurden ü berwä ltigt, bevor sie auch nur den Mund ö ffnen konnten. Dann zersplitterte die Stille. Durch die gewaltsam geö ffnete Tü r stü rzten sich die Verschwö rer in den groß en Raum, in dem La Tré moille hinter Samtvorhä ngen schnarchte. Eine einzige goldziselierte Nachtlampe brannte, und im Dunkel der Vorhä nge war undeutlich eine auf dem Rü cken liegende Gestalt zu erkennen. Es ging schnell. Vier Mann warfen sich ü ber den unfö rmigen Leib, knieten sich auf ihn und ü berwä ltigten ihn. Unsanft geweckt, aber unfä hig, sich aufzurichten, begann La Tré moille zu brü llen. Ein Degenknauf traf roh seinen Kopf und ö ffnete eine Schlä fe. Aus der Wunde rieselte Blut. »Tö tet ihn! « schrie Cathé rine, trunken von einer so intensiven rachsü chtigen Freude, daß sie sich nicht wiedererkannte. Sie riß den Dolch aus dem Gü rtel, wollte vorstü rzen, aber ein Mann, in dem sie Jean de Rosnivinen erkannte, entriß ihn ihr. »Das ist keine Sache fü r Frauen! « knurrte der Bretone. »Gebt mir das! « Mit einem Schritt war er am Bett und stieß La Tré moille mit aller Kraft die Waffe in den Leib. Der Kä mmerer heulte auf. Auch andere Waffen schlugen zu, doch ohne den dicken Mann, der wie ein abgestochenes Schwein brü llte, zum Schweigen zu bringen. Im Schloß war man durch seine Schreie aufgewacht. Besorgniserregende Gerä usche wurden vernehmlich. In wenigen Minuten wü rden die Wachen herbeieilen. »Er ist zu fett«, stieß Gaucourt angewidert hervor. »Die Dolche dringen nicht zum Herzen durch! Fesselt ihn, knebelt ihn und schafft ihn weg … Er muß das Schloß in weniger als fü nf Minuten verlassen haben. « »Wegschaffen? « wandte Cathé rine ein. »Hä ngen wir ihn! « »Dazu haben wir nicht die Zeit«, sagte der Gouverneur. »Auch keinen festen Strick. Bringen wir ihn nach Montré sor, ich habe drauß en fü r jeden Fall Pferde bereitstellen lassen. Jemand muß Bueil unterrichten. Er soll Gilles de Rais fesseln und knebeln und unten zu uns stoß en! « Im nä chsten Augenblick war La Tré moille nur noch ein unfö rmiges, stö hnendes Bü ndel, ü ber dem Knebel schienen seine Augen vor Angst aus ihren Hö hlen zu quellen. In diesem Moment tauchte Olivier Fré tard, der unten geblieben war, im Tü rrahmen auf: »Der Kö nig ist erwacht! Er verlangt zu wissen, was dieser Lä rm bedeutet. Er schickt seine Wachen! « »Schnell, tragt ihn weg! « rief Gaucourt. »Ich gehe zum Kö nig …« In wenigen Sekunden war unter Cathé rines verblü fften Augen alles erledigt. Sechs Mä nnern gelang es, den leblosen, blutenden Kö rper des dicken Mannes anzuheben und die Treppe hinunterzuschaffen. Im Nu wurde der Hof ü berquert, die Pforte erreicht. Pierre de Bré zé hatte Cathé rine hinter den anderen herziehen wollen, aber das wü tende Gemetzel, der Geruch des vergossenen Blutes hatten ihre Widerstandskraft erschö pft. Ganz sanft sank sie neben dem groß en Bett in Ohnmacht. Der junge Mann fing sie eben noch zur rechten Zeit auf und trug sie eiligst davon. Die frische Nachtluft im Hof belebte sie wieder. Sie schlug die Augen auf, sah Bré zé s Gesicht ganz nahe dem ihren und blickte ihn verstä ndnislos an. Doch alsbald kehrte ihre Erinnerung wieder, und mit einer geschmeidigen Bewegung der Hü ften ließ sie sich aus den Armen gleiten, die sie hielten. »Laß t mich los! « rief sie. »Dank, Messire … Wo ist La Tré moille? Was hat man mit ihm gemacht? « Mit einer Geste wies Pierre auf den Trupp, der sich wie ein riesiger Tausendfü ß ler den Pfad zur Stadt hinunterbewegte. »Da! Man trä gt ihn weg! Nach Montré sor. Dort wird er gerichtet! « Eine Blutwelle stieg der jungen Frau ins Gesicht. »Und sie? « fragte sie zornig. »Seine Frau? Wollt ihr sie hier in Frieden lassen? Sie ist schlimmer als er, und ich hasse sie mehr, als ich ihren Mann gehaß t habe. « »Man kann nicht zu ihr, Cathé rine. Sie hat ihre Gemä cher im Mittelschloß, neben denen des Kö nigs … Wir mü ssen jetzt gehen. « »Ah, wirklich? « schrie Cathé rine wü tend. »Nun, geht, wenn Ihr wollt! Ich bleibe hier! Es wird mir keine Ruhe lassen, bevor ich nicht mit ihr Schluß gemacht habe … Ich habe noch eine Rechnung zu begleichen! « Wä hrend sie sprach, tastete sie nach der Scheide ihres Dolchs und war erstaunt, sie leer zu finden. Dann erinnerte sie sich, daß Rosnivinen ihn ihr entrissen hatte. Die Waffe war im Fett des dicken Kä mmerers steckengeblieben. Der Bretone hatte sie wieder herausgezogen und weggeworfen. Sie muß te noch auf dem Steinboden des Zimmers liegen. »Ich muß wieder hinauf«, sagte sie. »Ich habe meinen Dolch verloren. « »Was bedeutet schon ein Dolch, Cathé rine?! Ihr seid verrü ckt! Die Wachen werden Euch festnehmen. « »Na und? Sollen sie mich nur festnehmen, wenn sie wollen! Auf jeden Fall habe ich nicht mehr die Absicht, mich zu verstecken. Laut und in aller Ö ffentlichkeit werde ich vom Kö nig unsere Rehabilitierung verlangen. Kö nigin Yolande hat sie mir versprochen. Benachrichtigt sie, wenn ich ergriffen werde. Und was den Dolch betrifft, so ist es der, der meinen Gatten nie verlassen hat … Ich hä nge an ihm und werde in holen! « Sie stü rmte von neuem dem Schloß turm zu, vor dessen Pforte sich ein Hä uflein unentschlossener Bewaffneter drä ngte, die nicht wuß ten, was sie tun sollten. Sie warf sich in ihre Mitte, Pierre de Bré zé auf den Fersen, und wä re ohne Zweifel verhaftet worden, wenn nicht in eben diesem Moment Raoul de Gaueort vom kö niglichen Quartier zurü ckgekehrt wä re. Bré zé rief ihn an und erklä rte ihm mit einigen Worten, was sich zutrug. Er trieb seine Soldaten mit einer Bewegung seines blanken Degens auseinander. »Laß t diese … diesen Jungen in Ruhe«, sagte er rauh. »Ich kenne ihn … Geht in eure Quartiere zurü ck! « Gehorsam, wenn auch zö gernd, setzten sich die Bewaffneten in Bewegung wie Leute, die jä h aus tiefem Schlaf gerissen wurden. Am Fuß des Schloß turms blieben nur noch Bré zé, Cathé rine und Gaucourt zurü ck. Das Gesicht des Gouverneurs wirkte ernst und verschlossen. Pierre schloß daraus, daß es nicht gut stand, und fragte: »Der Kö nig? Weiß er's jetzt? Was tut er? « Gaucourt hob mit einem dü rren Lä cheln die Schultern. »Der Kö nig? Er ist wieder eingeschlafen! Die Kö nigin hat ihm versichert, daß der Tumult, der ihn geweckt habe, nur zu seinem Besten gewesen sei, und er hat ihr ohne weitere Erklä rungen geglaubt. Er hat nur gefragt, ob der Konnetabel da sei. Man hat es verneint. Das gibt uns fü r die Erklä rungen Zeit bis zum Tagesanbruch … Er reagierte genau, wie er auf den Tod Giacs reagiert hat. « »Der seltsame Kö nig! « murmelte Pierre. »Die Mä nner, die seine besondere Gunst genieß en, seine unentbehrlichen Favoriten, vergiß t er in einer Minute …« Aber Cathé rine war nicht da, um zu philosophieren. Sie fand, daß sie noch einiges zu tun habe, ließ die beiden Mä nner bei ihrem Gesprä ch und wandte sich der Turmpforte zu. Gaucourt hielt sie zurü ck. »Augenblick! Wohin geht Ihr? « »Nach oben, den Dolch meines Gemahls suchen. « »Das ü berlaß t mir. Ich habe ohnehin noch einiges bei La Tré moille zu tun«, warf der Gouverneur trocken ein. »Dann gehe ich mit Euch. Was hä tte ich zu fü rchten? La Tré moille ist schon auf dem Weg nach Montré sor. Wenn man mich verhaftet, werdet Ihr mich befreien! « »La Tré moille ist weg, das stimmt! Aber seine Frau ist noch hier. Sie ist durch den Lä rm geweckt worden. Wer ü brigens nicht? Als ich aus den Gemä chern des Kö nigs kam, sah ich sie wie eine Verrü ckte halbnackt durch die Korridore des Schlosses rennen. Ich wollte hinter ihr her, aber sie hatte zuviel Vorsprung. Ich habe sie auf der kleinen Brü cke die Wassergrä ben des Schloß turms ü berqueren sehen. Sie ist da oben …« »Und Ihr wollt mich hindern hinaufzugehen? « rief Cathé rine. »Verrechnet Euch nicht, Herr Gouverneur! « Ihren Arm gewaltsam aus Gaucourts Griff lö send, lief sie der schmalen Steintreppe zu. Mehrere Stufen auf einmal nehmend, sprang sie mit der Wendigkeit einer Katze hinauf. Ihr Haß gab ihr Flü gel. In ihrer Freude, ihrer Feindin endlich mit gleichen Chancen gegenü bertreten zu kö nnen, dachte sie kaum daran, daß sie waffenlos war. Auch die andere wü rde zweifellos keine Waffe haben … Die Glocken des Triumphes lä uteten in ihren Ohren und hoben sie ü ber sich selbst hinaus. Sie hö rte nur noch den Gesang des Sieges. Auf der Schwelle des Zimmers blieb sie auß er Atem und von dem Bild gepackt stehen, das sich ihren Augen bot. Spä rlich in ein Hemd gekleidet, das Schultern und Brust groß enteils frei ließ, durchwü hlte die Dame de La Tré moille ein Kä stchen und nahm Juwelen heraus, die sie in ein neben ihr liegendes Seidentuch hä ufte. Nach der unbeschreiblichen Unordnung zu schließ en, die im Zimmer herrschte und nicht nur auf das Attentat zurü ckzufü hren sein konnte, hatte sie schon andere Kasten und Truhen durchsucht. Ein verä chtliches Lä cheln trat auf Cathé rines Lippen … Diese Frau wü rde sich nie ä ndern! Man mochte ihren Mann tö ten, und doch wü rde sie sich stets und vor allem erst um ihr Erbe kü mmern, danach erst um sein Schicksal … Ganz in ihre Plü nderung versunken, sah die andere sie nicht. Cathé rine trat leise ein und ergriff den einige Schritte von ihr entfernt auf dem Boden liegenden Dolch, eine Grimasse des Ekels unterdrü ckend. Er war noch blutbeschmiert … Plö tzlich fuhr sie auf. Die Grä fin war reglos stehengeblieben und keuchte leise, als sei ihr plö tzlich die Luft ausgegangen. Cathé rine sah, wie sie etwas, das wie tausend dunkle Feuer funkelte, dicht an das noch immer brennende Nachtlicht hielt. Den schwarzen Diamanten! ihren schwarzen Diamanten, der ihr, Cathé rine, gehö rte! … Noch nie hatte sie auf einem menschlichen Gesicht einen Ausdruck von solcher Habsucht gesehen. Die Augen der Frau waren weit aufgerissen, die Lippen trocken: Das war es, was sie vor allem gesucht hatte! Sie zitterte vor Erregung … Die eisige Stimme Cathé rines ließ sie zusammenzucken. »Gebt mir das zurü ck! « sagte sie kalt. »Dieser Diamant gehö rt mir! « Die andere warf ihr einen stumpf‑ verblü fften Blick zu, aber ihre Augen verengten sich langsam zu Schlitzen, aus denen bald Habgier und Grausamkeit blitzten. »Euch? Wer seid Ihr? « Cathé rine lachte trocken auf und trat in die Mitte des Zimmers. Der Schein der Nachtlampe hü llte sie ein und hob ihre schmale, in die mä nnliche Tracht gepreß te Gestalt aus dem Dunkel. »Seht mich an! Seht mich genau an! Habt Ihr mich noch nie gesehen? « Miß trauisch, den Diamanten an ihre nackte Brust drü ckend, kam die Grä fin nä her, scharf diese Zü ge musternd, dieses Antlitz, das die schwarze Kappe eng umrahmte. Zweifellos durch die mä nnliche Kleidung irregefü hrt, schü ttelte sie den Kopf. »Man nannte mich Tchalaï …«, begann Cathé rine spö ttisch. Die andere brach in Gelä chter aus und wandte sich zornig ab. »Das ist gut mö glich! Dein Gesicht war mir ä uß erst unwichtig! Du hast das Glü ck gehabt, mir zu entwischen, aber jetzt raus mit dir, Mä dchen, ich habe zu tun! Was diesen Diamanten betrifft …« Das Lä cheln verschwand von Cathé rines Lippen. Sie packte ihre Feindin am Handgelenk, drehte es um und zwang sie, ihr ins Gesicht zu blicken: »Hö r mir gut zu, Verfluchte! Ich habe gesagt, dieser Diamant gehö rt mir, weil ihr ihn mir gestohlen habt, du und dein schuftiger Mann …« »Raus! « wiederholte die Grä fin wü tend. »Seit wann haben Mä dchen deiner Sorte ü berhaupt Diamanten? « »Ich bin keine Zigeunerin! Ich habe es nur vorgetä uscht, um deinen und deines Mannes Untergang herbeizufü hren. Schau mich genauer an! Ich habe nichts mehr von einer Zigeunerin an mir … Mein Haar ist hell, auch meine Augenbrauen. « »Wer bist du also? Sag's und geh zum Teufel … Du machst mich krank! « Langsam setzte Cathé rine die Spitze des Dolches an die weiß e Kehle. »Du wirst zum Teufel gehen! Und ich, Cathé rine de Montsalvy, werde dich in die Hö lle schicken! « »Montsalvy? « Die Grä fin hatte den Namen gestammelt, wä hrend gemeine Furcht in ihren meergrü nen Augen aufglomm. Die Dolchspitze stach zu. Blut trat aus. Cathé rines Finger umspannten nervö s das Handgelenk der anderen, die vor Schmerz wimmerte. Die junge Frau preß te die Zä hne zusammen. »Auf die Knie! « zischte sie. »Auf die Knie! Und bitte Gott um Verzeihung fü r das Bö se, das du begangen hast, fü r die Folterung meines Gatten, fü r die Auslieferung Jehannes, fü r die Ausplü nderung des Kö nigreichs, fü r die vielen unschuldigen Opfer …« »Gnade! « rief die andere. »Tö tet mich nicht. Ich war es nicht …« »Und feige bist du auch noch! « sagte Cathé rine angewidert. »Los, auf die Knie! « Der Zorn verlieh ihren Fingern ungeahnte Krä fte. Langsam knickten die Knie der groß en Frau ein. Sie klapperte mit den Zä hnen … Unglü cklicherweise lenkte die Stimme Gaucourts hinter ihr Cathé rine einen Augenblick ab. »Ihr kö nnt diese Frau nicht tö ten, Dame Cathé rine, sie gehö rt uns …« So geringfü gig die Ablenkung auch gewesen war, ihre Gegnerin machte sie sich zunutze. Sich mit der Geschmeidigkeit einer Natter dem Griff Cathé rines entwindend, packte sie ihre Hand und entriß ihr den Dolch. Cathé rine fand sich allein und entwaffnet einer wahren Furie gegenü ber. Die Augen der Frau blitzten, ihre Zä hne knirschten. »Diesmal wirst du mir nicht entwischen«, zischte sie. Die Augen fest auf die ihrer Gegnerin gerichtet, wich Cathé rine einen Schritt zurü ck. Den Sprung der beiden Mä nner vorausahnend, die sich auf die Grä fin werfen wollten, hielt sie sie mit einem Wort zurü ck: »Halt! Obgleich ihr anderer Meinung seid, gehö rt sie mir! « Hinter sich fü hlte Cathé rine den Dreifuß, auf dem die Nachtlampe stand. Vor sich sah sie das verzerrte Gesicht der Dame de La Tré moille, die sich, den Dolch schon gezü ckt, nä herte. Ihre Hand glitt nach hinten, ergriff die Lampe – und schleuderte sie mit aller Kraft ihrer Feindin ins Gesicht. Ein grausiger Schmerzensschrei antwortete ihr. Die andere taumelte zurü ck, die Hä nde vors Gesicht geschlagen, das das kochende Ö l versengte. Durch ihr Haar leckte eine Flammenzunge, eine zweite fraß sich gierig durch ihr durchsichtiges Hemd. Die Frau schrie vor Schmerz … Mit geweiteten Augen sah Cathé rine, wie Gaucourt die Bettdecke herunterriß, sie ü ber die Flammen warf und die Grä fin fest in sie hü llte. Langsam bü ckte sie sich und hob den Dolch auf, der der anderen entglitten war. Ihre Beine zitterten, nun da alles vorü ber war. Pierre de Bré zé muß te ihr aufhelfen, sonst wä re sie in die Knie gesunken. Unter der Decke waren die Schreie zu Klagen geworden. Die Verletzte winselte wie ein krankes Tier. Cathé rine hob ihren leeren Blick zu Gaucourt. »Ich verlasse Euch jetzt. Was wollt Ihr mit ihr machen? « fragte sie. Er bü ckte sich, lud sich das wimmernde Bü ndel auf die Schulter und sah Cathé rine dann gerade ins Gesicht: »Das mü ß t Ihr entscheiden! Es stimmt, dieses Recht stand Euch zu. Bré zé hat mir gesagt … Ich wollte sie zu ihrem Mann schicken, aber ich werde sie im tiefsten Verlies fü r immer verschwinden lassen, wenn das Euer Wunsch ist. Das ist alles, was sie verdient! « Die junge Frau schü ttelte den Kopf, plö tzlich ausgepumpt und kraftlos. »Nein, laß t sie leben … Laß t beide leben, wie sie jetzt sind, da Gott sein Richterwort gesprochen und nicht gewollt hat, daß sie durch unsere Hand sterben! Sie sollen zusammen leben, einer mit dem anderen, mit der Pest ihrer Seelen und dem Grauen darü ber, was aus ihnen geworden ist. Sie ist entstellt … er bewegungsunfä hig durch sein Fett, vielfach verwundet. Vielleicht wird er nicht mehr genesen … Laß t sie sich selbst ihre Hö lle bauen! Die Welt mag sie vergessen. Ich bin gerä cht! « Ihre angespannten Nerven ließ en plö tzlich nach. Sie packte den Arm Bré zé s, klammerte sich an ihn und bat: »Fü hrt mich fort, Pierre! Fü hrt mich von hier fort! « »Wollt Ihr zu den anderen nach Montré sor? « fragte er sanft. Sie machte ein verneinendes Zeichen. »Ich mö chte sie nicht mehr sehen! Beendet Eure Aufgabe ohne mich. Die meine ist getan … Ich kehre in die Herberge zurü ck. « Doch in dem Augenblick, in dem sie das verwü stete Zimmer verlassen wollte, bemerkte sie auf den Fliesen des Bodens den schwä rzen, unheilvoll funkelnden Diamanten Garins. Sie streckte die Hand aus und ergriff ihn. Der verfluchte Stein schmiegte sich wie ein Haustier in ihre Handflä che. »Er gehö rt mir! « murmelte sie. »Ich nehme ihn zurü ck …« Bré zé s Arm schlang sich um ihre frö stelnden Schultern und drü ckte sie sanft an sich. »Es heiß t, daß dieses wunderbare Juwel verflucht sei und Unglü ck bringe. Ihr habt nichts damit zu tun, Cathé rine. « Sie blickte einen Augenblick auf den unheilvollen Stein, der dunkel blitzend auf ihrer Hand lag. »Es ist wahr«, sagte sie ernst. »Dieser Stein bringt Tod und Unglü ck. Doch die, der ich ihn anbieten werde, hat die Macht, das Unglü ck abzuwenden und den Tod zum Rü ckzug zu zwingen …« Von dem jungen Mann gestü tzt, verließ Cathé rine den Schloß turm von Coudray. Auf dem Hof blieb sie stehen, hob die Augen zum Firmament empor. Die Sterne waren erloschen. Nur einer war geblieben, ein auß ergewö hnlich funkelnder, und im Osten zeichnete sich ein schmaler, hellerer Streifen ab. Die Frische der Morgendä mmerung machte sich bemerkbar. Pierre legte Cathé rine mit zä rtlicher Fü rsorge einen Mantel um. »Kommt! « bat er sie. »Ihr werdet Euch noch erkä lten. « Aber sie rü hrte sich nicht, hielt ihn im Gegenteil zurü ck, ohne die Augen vom Firmament zu wenden. »Gleich wird der Tag geboren«, murmelte sie, »ein neuer Tag! Fü r mich ist alles beendet, die Seite ist umgeschlagen! « »Alles kann wieder neu beginnen, Cathé rine«, flü sterte er inbrü nstig. »Dieser Tag kö nnte der erste eines neuen Lebens sein, voller Freude und Sonne, wenn Ihr nur wollt! Cathé rine, sagt mir …« Sanft, aber fest verschloß sie ihm mit der Hand den Mund, lä chelte traurig in das schö ne, bangende Gesicht, das sich ihr zuneigte. »Nein, Pierre, sprecht nicht weiter … Ich bin mü de, sterbensmü de. Bringt mich nur zurü ck, ohne zu sprechen. « Mit kleinen Schritten, aneinandergedrü ckt wie zwei Liebende, stiegen sie wieder in die schlafende Stadt hinunter.
|
|||
|