Хелпикс

Главная

Контакты

Случайная статья





Zehntes Kapitel



 

Als Cathé rine und ihre Wä chter in den Schloß hof traten, wimmelte er von Menschen. Diener des Schlosses hatten sich zum Gefolge der Kö nigin gesellt, luden das Gepä ck ab und halfen den Offizieren und Wü rdenträ gern beim Absteigen. Sie gewahrte sogar die dü rftige Gestalt des Kö nigs, der seine Gemahlin zeremoniö s zur Treppe geleitete. Unwillkü rlich suchte sie in der Menge der Damen und Ritter ein kü hnes Profil, breite Schultern, einen heiß en Blick, doch schon fü hrten die Bogenschü tzen sie zu der kleinen Turmtreppe, die zum Zimmer der Dame de La Tré moille hinauffü hrte.

Sie fand die Tü r verschlossen und davor Violaine, in einen weiten Mantel gehü llt. Mit einem Zeichen schickte das junge Mä dchen die Soldaten fort, trat aber nicht zur Seite, um Cathé rine vorbeizulassen.

»Du kannst nicht eintreten, Zigeunerin! «

»Warum nicht? «

Violaine wü rdigte sie keiner Antwort, sondern begnü gte sich, mit den Schultern zu zucken. In der Tat drang trotz des dicken Eichenholzes, aus dem die Tü r bestand, ein heftig gefü hrter Wortwechsel ans Ohr der jungen Frau. Sie erkannte die erregte, schrille Stimme der Grä fin.

»Ich werde dieses Mä dchen behalten, solange es mir paß t! Und ich rate Euch, mich nicht daran zu hindern! «

»Welche Fliege hat Euch gestochen, daß Ihr Euch in meine Angelegenheiten mischt? Wozu braucht Ihr dieses Mä dchen? «

»Das ist meine Sache! Habt Geduld … Ich werde sie Euch zurü ckgeben, wenn ich sie nicht mehr brauche. «

Die Stimmen wurden gedä mpfter, aber Cathé rine hatte verstanden. Die beiden Gatten waren sich ihretwegen in die Haare geraten … und sie hatte nichts von der Frau zu erwarten, die sie zu beherrschen geglaubt hatte. Auf Violaines Gesicht spiegelte sich dieser Gedankengang wider, und sie brach in ein Lachen, ein bö ses Lachen aus, dann sagte sie leise:

»Ü berrascht dich das? Was hast du dir eigentlich erhofft? Wolltest du Ehrendame werden? «

Nun zuckte Cathé rine mit unechter Ungezwungenheit die Schultern: »Ich hoffte, daß noble Damen die Dienste anerkennen, die man ihnen leistet … Aber was spielt es schon nach allem fü r eine Rolle! «

Die Gelassenheit, die sie vortä uschte, muß te die Ehrendame beeindruckt haben, denn sie hö rte auf zu lachen und warf Cathé rine von unten einen miß trauischen Blick zu, ehe sie sich hastig bekreuzigte, als hä tte sie plö tzlich den Teufel getroffen. Die Unterhaltung stockte, ü berdies ö ffnete sich die Tü r, La Tré moille stü rzte heraus, in weitem rotem, goldbesticktem Mantel, der im Zugwind seiner wü tenden Hast klatschte. Als er Cathé rine erkannte, blieb er kurz stehen, maß sie mit funkelnden Augen von oben bis unten und rannte dann, ohne ein Wort zu sagen, mit einer fü r einen Mann seines Umfangs unglaublichen Wendigkeit die Treppe hinunter.

Cathé rines Blick kreuzte sich mit dem Violaines mit der Unversö hnlichkeit zweier Degenklingen. Das Gerä usch der Schritte des dicken Kammerherrn auf der Treppe nahm ab. Ein verä chtliches Lä cheln krü mmte die vollen Lippen der Ehrendame, die mit einer nachlä ssigen Bewegung die eichene Flü geltü r aufstieß.

»Jetzt kannst du eintreten. «

Mit erhobenem Kopf ging Cathé rine an ihr vorü ber und hatte die Befriedigung, die Tü r hinter ihrem Rü cken zuschlagen zu hö ren …

»Nicht soviel Krach, Violaine«, rief die Dame La Tré moille gereizt. »Ich habe scheuß liche Kopfschmerzen! «

Schon angezogen, aber noch nicht frisiert, durchmaß sie ihr Zimmer, das in einer fü rchterlichen Unordnung war. Mit einem Blick sah Cathé rine eine Fü lle von Kä mmen, Flä schchen, Haarnadeln und Salbennä pfchen, alles vor dem Eintritt des Groß kä mmerers stehen‑ und liegengelassen. Der Streit zwischen den Gatten muß te alles durcheinandergebracht haben. Mit innerem Lä cheln hatte sie das erregende Gefü hl, in den Kä fig des einen der beiden wilden Tiere eingedrungen zu sein, die die groß en Herren und die Prinzen in ihrem Zwinger so sorgsam behü teten. Der Schakal war fort, blieb also nur noch das bö se Weibchen, hundertmal gefä hrlicher als er; aber Cathé rine hatte sich geschworen, dieser Frau nicht das Vergnü gen zu machen, sie zittern zu sehen. Sofort wandte sich der Zorn der Grä fin gegen sie.

»Mein edler Gatte ist mehr in deine dunkle Haut verschossen, als ihm guttut! Jedenfalls scheint mir das so! Meine Gü te, er fü hrt sich auf wie ein brü nstiges Tier …«

»Wenn er in meine Haut verliebt ist«, sagte Cathé rine kalt, »dann hat er sie dennoch nicht genossen. Euer Ruf, edle Dame, hat mich davor gerettet …«

»Gerettet? Was soll das heiß en? Was kann ein Mä dchen wie du besseres erhoffen als einen groß en Herrn? Vergiß t du, daß ich seine Frau bin? «

»Ich bin Eure Dienerin. Und die Befehle, die ihr mir gegeben habt, lassen mich annehmen, daß ich es vergessen kö nnte. «

Der Zorn der Dame ließ sofort nach, durch die Kä lte ihrer Gesprä chspartnerin gedä mpft. In diesem Augenblick, auf dem Hö hepunkt ihres Wutanfalls, hatte sie versucht, an der ersten Person, die ihr unter die Krallen kam, ihr Mü tchen zu kü hlen. Aber die Frau, die sich so selbstsicher benahm, hatte keine Furcht, und in diesem Moment erinnerte sie sich, daß sie ihre Dienste brauchte. Mit fieberhafter Stimme fragte sie:

»Hast du, worum ich dich bat? «

Cathé rine nickte zwar zustimmend, kreuzte aber die Arme ü ber der Brust, als wollte sie das verteidigen, was sie in ihr Mieder gesteckt hatte.

»Ich habe es, aber ich habe noch einiges zu sagen …«

Die Hand der Grä fin streckte sich schon aus, wä hrend ihre habsü chtigen Augen zwischen den dicken, braungetö nten Lidern funkelten.

»Sag's schnell … und gib her! Ich bin in Eile! «

»Gestern habt Ihr mir fü r diesen Trank Gold angeboten. Ich habe abgelehnt, ich lehne nach wie vor ab … aber ich will etwas anderes! «

Ein leises Lä cheln verzog die Lippen der Dame, aber ein unheimliches Licht flackerte in ihrem Blick.

»Du hast es ja bereits gesagt: Du willst mir dienen. Gib her! «

»Jawohl, ich habe es gesagt, und ich wiederhole es, aber heute morgen haben sich die Dinge geä ndert. Unser Stammesfü hrer ist Gefangener in diesem Schloß. Er hat den Tod zu gewä rtigen. Ich mö chte sein Leben! «

»Was geht mich das Leben eines Wilden an? Gib dieses Flä schchen her, wenn du nicht willst, daß ich es dir durch meine Frauen entreiß en lasse. «

Langsam zog Cathé rine das Flä schchen aus ihrem Brustschleier und nahm es in die Hand. Ihre Augen trotzten dem Zorn der Grä fin, wä hrend ü ber ihre roten Lippen ein unmerkliches Lä cheln glitt.

»Hier ist es! Wenn man aber auf mich losgeht, werfe ich es zu Boden, wo es zerbrechen wird. Wir haben keine Flaschen aus Gold oder Silber, wir Zigeuner … nichts als Ton! Und Ton ist zerbrechlich. Eure Frauen werden nicht die Zeit haben, es mir zu nehmen. Ich werde es entzweimachen … ebenso, wie ich es zerbrechen werde, wenn Fero den Seinen nicht zurü ckgegeben wird! «

Auf dem verkrampften Gesicht ihrer Gegnerin konnte sie den Kampf sehen, den die Wut, die Leidenschaft und die Begierde gegeneinander fü hrten. Das letzte gab den Ausschlag.

»Warte einen Augenblick. Ich werde sehen, was sich machen lä ß t. «

Ohne sich die Mü he zu machen, ihr Haar hochzustecken, hü llte die Grä fin Kopf und Schultern in ein grü nes Seidentuch und ging hinaus. Allein geblieben, setzte Cathé rine sich auf die am Kamin aufgehä uften Kissen. Die Luft dieses Raumes erstickte und ä ngstigte sie gleichzeitig. Alle diese zu schweren Parfü me kamen ihr wie die Ausdü nstung der giftigen Frau vor, die hier wohnte. Ihre fiebrigen Finger suchten unter ihrem Kleid die harten Umrisse des Dolches, liebkosten den ziselierten Griff, als wollte sie Hilfe von ihm erbitten. Wie oft hatte die Hand Arnauds sich um diese Waffe geschlossen, so daß sie etwas von seiner Kraft auf sie ü bertragen haben muß te … Doch als sie die straffe Gestalt ihres Gatten wieder heraufbeschwor, stiegen ihr die Trä nen in die Augen, brennend und groß vor Schmerz … Was war zu dieser Stunde von seinem krä ftigen Kö rper, seinem schö nen Gesicht noch ü brig? Wie weit hatte die Lepra sie schon verwü stet? … Eiskalter Schrecken durchfuhr sie, als sie an die Leprakranken dachte, die sie auf seinem Weg getroffen hatte, fü rchterliche Ruinen von grauem Fleisch, die nichts Menschliches mehr an sich hatten und die mitunter zum Grab der Heiligen pilgerten, um eine unmö gliche Heilung zu erflehen … Diese Frau, die soeben hinausgegangen war, war die Ursache allen Ü bels, das ü ber Arnaud gekommen war und das ihr das Herz brach. Mit welcher Lust hä tte sie ihr die Klinge ins Herz gebohrt, die jetzt bei der Berü hrung mit ihrem Fleisch warm geworden war! Aber sie muß te warten … immer noch warten! Mit Ü berdruß vergrub Cathé rine den Kopf in ihren Hä nden und versuchte, die schmerzlichen Bilder zu verdrä ngen, die ihren Mut brachen. Plö tzlich stellte sich eine andere Gestalt vor ihrem geistigen Auge ein: die eines blonden Mannes, dessen helle Augen sie zä rtlich anblickten und der am Arm eine schwarzweiß e Binde trug. Dieses Bild war schö n, beruhigend und sü ß. Dennoch vertrieb Cathé rine es auch, wie eine Entweihung, als hä tte Pierre de Bré zé versucht, ihr Herz zu zwingen, das Bild Arnauds daraus zu verbannen …

Die Rü ckkehr der Dame de La Tré moille riß sie aus ihren Gedanken. Die Grä fin musterte die kauernde junge Frau einen Augenblick von oben bis unten und lä chelte dann, doch aus diesem Lä cheln las Cathé rine eine Grausamkeit heraus, die sie aufmerken ließ.

»Komm«, sagte sie. »Du wirst zufrieden sein! «

Wie in der vergangenen Nacht gingen sie eine hinter der anderen hinaus, aber es gab keine Mauertü r. Sie stiegen zum Hof hinunter, ü berquerten ihn und umgingen den Schloß turm, um zum Gefä ngnisturm zu gelangen. Auf dem Weg erkannte Cathé rine Tristan l'Hermite bei einer Gruppe von Stallknechten, die auf einem groß en Stein Wü rfel spielten. Als sie vorü berkam, wandte er sich um und folgte ihr mit den Augen. Sein Blick war so gleichgü ltig und unbewegt wie ü blich, aber aus seiner Beharrlichkeit schloß die junge Frau, daß er sich fragte, was sie in dieser Gesellschaft in den Gefä ngnissen zu suchen habe.

Eine Pforte im Rundgewö lbe, so niedrig, daß man sich bü cken muß te, um durchzugehen, ö ffnete sich am Fuß des Turmes. Kaum ü ber die Schwelle getreten, spü rte Cathé rine, wie eine plö tzliche Kä lte ihre Schultern einhü llte. Die Sonne, die Wä rme hielten sich drauß en, auß erhalb dieser Welt der Finsternis und der Leiden. Im hinteren Teil eines niederen Gewö lbes, das als Wachstube diente, wo einige Bewaffnete im rauchigen Licht einer Ö llampe Karten spielten, ging eine Treppe nach unten … Auf ein kurzes Hä ndeklatschen der Grä fin stand einer der Soldaten auf, nahm eine Fackel, zü ndete sie an der Ö llampe an und ging die Treppe hinunter voran. Aber auf diese Einzelheiten achtete Cathé rine nicht, denn seit sie in die Wachstube getreten war, war ein fü rchterliches Gerä usch an ihre Ohren gedrungen, so daß ihr das Blut in den Adern gerann: das Echo eines menschlichen Stö hnens, das seltsamerweise gleichzeitig deutlicher und schwä cher wurde, je weiter man hinabstieg. Als die beiden Frauen auf dem ersten Absatz angekommen waren, war dieses Stö hnen zu einem Rö cheln geworden. Mit zusammengeschnü rter Kehle und entsetzt erblickte Cathé rine die schmale, aus reinem Eisen gemachte und mit riesigen Sperriegeln ausgerü stete Tü r, die sich auf diesen Absatz ö ffnete. Durch ein vergittertes Guckloch drang ein unheilverkü ndendes rö tliches Licht. Von da kamen die Wehklagen, gleichzeitig auch die regelmä ß igen dumpfen Schlä ge, die mit dem Rö cheln im selben Rhythmus zu fallen schienen.

Wortlos stieß der Soldat mit der Fackel die unverriegelte Tü r auf. Cathé rine konnte einen Ausruf des Schreckens und Abscheus nicht unterdrü cken …

Vor ihr wechselten sich zwei in Leder gekleidete Folterknechte, die rasierten Schä del schweiß naß vor Anstrengung, bei der Auspeitschung eines Mannes ab, der mit den Handgelenken an das Kapitell einer Sä ule gebunden war … Die junge Frau sah La Tré moille nicht sofort, der in einem Winkel auf einem klobigen Holzsessel saß und zusah, das dreifache Kinn in die Hand gestü tzt. Seine Augen lagen gespannt auf dem Gefolterten, der noch schwach stö hnte. Die schlaff gewordenen Beine des Mannes trugen ihn nicht mehr, und das gesamte Gewicht seines Kö rpers hing an den gefesselten Handgelenken. Der Kopf mit dem langen schwarzen Haar hing kraftlos herunter, und der Rü cken war ein einziger Brei, in den die Peitschen mit einem schrecklichen Gerä usch klatschten. Der Boden war mit Blutflecken ü bersä t … Krank vor Grauen, wich Cathé rine gegen die Mauer zurü ck, konnte aber einen Blutspritzer auf die Wange nicht vermeiden.

Ihr Blick suchte den ihrer Begleiterin, doch die Dame de La Tré moille sah sie gar nicht an. Mit geblä hten Nü stern und aufgerissenen Augen genoß sie so offensichtlich das Spektakel, daß es Cathé rine zutiefst ü bel wurde. Der Mann stö hnte nicht mehr. Die Henker hö rten auf zu schlagen, doch bevor noch einer der beiden mit einer brutalen Bewegung die langen schwarzen Locken, die ü ber das Gesicht des Opfers hingen, beiseite schob, hatte die junge Frau Fero erkannt … Und plö tzlich drä ngte sich ihr eine entsetzliche Vision auf. Statt des Zigeuners sah sie Arnaud, wie dieser an eine Sä ule gebunden, stö hnend und blutend unter der Peitsche eines Folterknechts, und hinter ihm diese ekelhafte Frau, die sich mit ihrer langen, spitzen Zunge ü ber die trockenen Lippen fuhr. Dieser Folter war Arnaud in den Verliesen von Sully unterworfen worden, bevor Xaintrailles ihn aus der Haft befreite. Und die Vision war so erschreckend deutlich, daß eine Woge wilden Hasses in Cathé rine aufwallte …

Voll blinder, unbeherrschter Wut suchte sie in ihrem Mieder Arnauds Dolch. Aber ihre zitternde Hand traf zuerst auf das Tonflä schchen und verhielt dort, ü berdies meldete die dumpfe Stimme des einen Folterknechts:

»Der Mann ist tot, Monseigneur …«

La Tré moille stieß einen gelangweilten Seufzer aus und wuchtete dann mit einiger Anstrengung seinen riesigen Kö rper aus dem Sessel.

»Er war weniger widerstandsfä hig, als es den Anschein hatte. Werft ihn in den Fluß …«

»Keinesfalls! « mischte seine Frau sich ein. »Ich habe diesem Mä dchen hier versprochen, daß er den Seinen wiedergegeben wü rde. Man schaffe ihn also zu ihnen zurü ck … und jage sie dann davon! « Ihr verschleierter, mit bö ser Freude geladener Blick wandte sich nun Cathé rine zu, die sich, bleich und mit zusammengebissenen Zä hnen, an die Mauer lehnte.

»Du siehst«, sagte sie mit gefä hrlicher Freundlichkeit, »ich tue alles, was du willst …«

Cathé rines dü stere Augen richteten sich auf sie, bohrten sich in den unverschä mten, beleidigenden Blick, von so viel Haß und Verachtung brennend, daß die andere, widerwillig beeindruckt, einen Schritt zurü cktrat. Langsam zog sie ihre Hand aus dem Mieder, die noch immer das Flä schchen umklammerte. Ihre Finger preß ten sich mit einer allein aus ihrem Zorn geborenen Kraft zusammen, bis das leicht zerbrechliche Flä schchen zermalmt war. Dann schleuderte sie die Scherben mit einer heftigen Bewegung ihrer Feindin ins Gesicht:

»Und ich gebe, was ich versprochen habe …«, sagte sie tonlos.

Furchtbarer Zorn verzerrte das blasse Gesicht der Grä fin. Eine der Scherben hatte sie leicht an der Lippe verletzt, die ein wenig blutete und ihr das schreckliche Aussehen eines Vampirs verlieh. Sie wies mit einem vor Wut zitternden Finger auf Cathé rine:

»Ergreift diese Frau, bindet sie an die Stelle ihres Genossen und schlagt, schlagt … bis auch sie krepiert! «

Cathé rine begriff, daß sie verloren hatte, daß sie in einer Sekunde blinder Wut alles verdorben und zerstö rt hatte, ihre Rache und die Plä ne der Kö nigin Yolande. Sie begriff weiter, daß sie aus dieser Hö hle nicht lebend herauskä me, doch seltsamerweise bereute sie mit keinem Gedanken, was sie getan hatte. Sie wü rde sich zweifellos als Preis fü r Arnauds Leiden und fü r die Leiden, die ihr bevorstanden, mit dem winzigen Blutstropfen der verletzten Lippe und der Wut dieser Frau zufriedengeben mü ssen, aber wenigstens lief der junge Graf von Maine nicht mehr Gefahr, und sei es auch nur fü r eine einzige Nacht, in die Klauen dieses abscheulichen Geschö pfs zu geraten.

Schon packten die beiden Folterknechte Cathé rine, aber La Tré moille, der eben hatte hinausgehen wollen, war stehengeblieben, als die falsche Zigeunerin seine Frau attackiert hatte. Mit einer Neugier, die Vergnü gen nicht ausschloß, hatte er ihren Streit verfolgt, hatte sich sogar gebü ckt, um einen Finger in die auf den Boden vergossene Flü ssigkeit zu tauchen, und hatte daran gerochen. Er griff ein.

»Einen Augenblick, wenn ich bitten darf. Diese Frau ist mir ü bergeben worden. Also steht mir es zu, ü ber sie zu verfü gen … Ihr erinnert Euch, meine Teure, daß ich sie Euch nur … geliehen habe? «

Doch die Dame ü bertrug jetzt ihren Zorn auf ihren Gatten und ging mit geballten Fä usten auf ihn los:

»Sie hat mich beleidigt, hat mich angegriffen, diese Zigeunerhü ndin, diese dem Scheiterhaufen bestimmte Kreatur! Und Ihr zö gert, sie zu bestrafen? «

»Ich zö gere durchaus nicht. Sie wird bestraft werden … aber zu gegebener Zeit! Im Augenblick mü ß t Ihr Euch damit zufriedengeben, daß sie in den Kerker geworfen wird. Es ist da einiges, was ich gerne klä ren mö chte. «

»Was noch? «

»Zum Beispiel … was in diesem Flä schchen war, dessen Verlust Euch so groß en Kummer zu bereiten scheint! «

»Das geht Euch nichts an! «

»Um so mehr interessiert's mich. Los, ihr da, sperrt diese Frau ins Verlies. Und merkt euch, daß keiner sie ohne meinen ausdrü cklichen Befehl anrü hren darf. Ihr haftet mir mit eurem Leben. «

»Was fü r Vorsichtsmaß regeln! « zischte die Grä fin haß erfü llt, aber gebä ndigt. »Man kö nnte meinen, Gott verzeihe mir, daß Euch sehr viel an diesem Mä dchen liege. «

»Gott kü mmert sich nicht um Euch, meine Teure, ebensowenig, wie Ihr Euch um ihn kü mmert. Was diese Frau betrifft, gewiß, sie ist mir wertvoll. Hat sie Euch nicht schaden wollen? Um ihren Haß zu erklä ren, muß es einen gewichtigen Grund geben. Ich liebe Euch zu sehr, um nicht zu versuchen, ihn kennenzulernen … mit allen Mitteln. Kommt Ihr? «

Er bot ihr mit einem spö ttischen Lä cheln die Hand. Cathé rine schien es, als fü rchte sich der dicke Kä mmerer plö tzlich weniger vor seiner Frau als sonst. Er hatte soeben eine Waffe gegen sie entdeckt und verstand es offenbar gut, sich ihrer zu bedienen. Sie gingen zur Tü r, ein merkwü rdiges, durch die soliden Ketten der Habsucht und des Hasses stä rker als durch zä rtliche Liebe aneinandergefesseltes Paar, unheilvolle Schemen aus einem Alptraum, und sie dachte, daß es vielleicht die schlimmste Strafe fü r sie wä re, wenn man sie zusammen in ein kleines Zimmer sperrte, den Schakal mit der Hyä ne, und sie sich dort in alle Ewigkeit gegenseitig zerreiß en mü ß ten … Was fü r eine Verdammnis wä re ein solches Tê te‑ à ‑ tê te!

Aber es blieb ihr keine Zeit, sie verschwinden zu sehen. Einer der Folterknechte hatte ihr seine grobe, haarige, in einen Lederhandschuh gepreß te Pfote auf die Schulter gelegt und zog sie jetzt in den Hintergrund des Folterraums.

»Hier entlang, meine Schö ne! «

Sein Kamerad band inzwischen den leblosen Kö rper Feros los, der mit einem dumpfen Gerä usch zu Boden glitt. Cathé rine fü hlte, daß ihre Augen sich mit Trä nen fü llten. Dieser Mann hatte sie geliebt, dieses gefolterte Fleisch hatte heiß und voller Lebenslust an dem ihren gebebt, diese blutlosen, im Todeskampf zerbissenen Lippen hatten Worte der Liebe gestammelt und sie rasend gekü ß t … und jetzt war Fero nichts weiter als ein blutiger Fleischklumpen, der in kurzem ins Lager hinuntergeschafft werden wü rde. Bei dem Gedanken an Tereinas Schmerz stieg ein Schluchzen in ihr auf und drang ü ber ihre Lippen. Der Mann, der sie abfü hrte, tä uschte sich ü ber seine Bedeutung.

»Jetzt kannst du weinen, nachdem du dir dein Todesurteil gesprochen hast, arme Idiotin! Welche Mü cke hat dich gestochen, diese fü rchterliche Frau anzugreifen? «

Und als Cathé rine nicht antwortete, senkte er den dicken Kopf, der ohne Hals direkt in die massigen Schultern ü berzugehen schien.

»Es wird mir Schmerz bereiten, dich zu foltern, weil es schade ist, ein schö nes Mä dchen wie dich zugrunde zu richten! Aber wahrscheinlich wirst du fü r das, was du ihr angetan hast, grausam bezahlen mü ssen. «

»Was kann sie schon anderes tun als mich tö ten! « sagte Cathé rine verä chtlich.

»Es gibt tö ten und tö ten! Mir wä r's am liebsten, wenn ich dich nur hä ngen mü ß te, aber damit wird sie sich garantiert nicht zufriedengeben! Nun … ich werde versuchen, mich unbeholfen zu stellen, damit es nicht zu lange dauert! «

Die Absichten des Mannes waren gut, aber die Vorstellung, die seine Worte beschworen, war entsetzlich, und Cathé rine preß te die Zä hne zusammen, um nicht zu schaudern.

»Danke! « sagte sie nur.

Beim Verlassen des niedrigen Raums waren der Folterknecht und seine Gefangene auf einen schmalen Gang getreten, auf den sich drei eisenbeschlagene Tü ren ö ffneten. Eine davon war offen. Der Mann stieß Cathé rine in ein enges, feuchtes Verlies. Ein modriggrü ner Wasserkrug, ein Haufen faules Stroh und ein Paar eiserner Handschellen, die mit rostigen Ketten an der Mauer befestigt waren, bildeten seine ganze Einrichtung.

Durch ein winziges Kellerfenster, kaum grö ß er als eine Hand und zu hoch angebracht, als daß man es hä tte erreichen kö nnen, drang dü rftiges Tageslicht herein. Schmutziges Wasser rieselte unter ihm an der Wand herunter.

»So, da bist du fü rs erste zu Hause«, sagte der Folterknecht. »Gib deine Hä nde her! «

Sie reichte sie ihm widerstandslos, und die dicken Handschellen klappten ü ber den zerbrechlichen Gelenken zu. Der Mann zö gerte einen Augenblick.

»Du hast hü bsche Hä nde«, sagte er, »Damenhä nde … Schade! Es gibt Tage, wo mein Beruf reichlich traurig ist. «

»Warum ü bt Ihr ihn dann aus? «

Ü ber das stumpfe Gesicht des Folterknechts glitt flü chtig ein Ausdruck naiver Ü berraschung, wä hrend eine Art Lä cheln seine gelben Zä hne entblö ß te.

»Aber … weil ich keinen anderen kenne! Mein Vater hat dasselbe vor mir gemacht und sein Vater vor ihm! Es ist ein schö ner Beruf, weiß t du, der einen weit bringen kann, wenn man tü chtig ist! Es gibt da Finessen, die einem viel Lob eintragen kö nnen. Vielleicht werd' ich eines Tages vereidigter Oberhenker einer groß en Stadt! Ah, wenn nur der Kö nig nach Paris zurü ckkehrte, das wä re zu schö n! «

Mit einem Entsetzen, das sie nicht beherrschen konnte, starrte Cathé rine auf die noch frischen Blutflecken, die den groben Oberkö rper des Mannes beschmutzten. Er bemerkte ihren Blick und deutete ein verlegenes Grinsen an.

»Nun, ich will dir keine Angst einjagen! Du wü rdest mich fü r ein brutales Tier halten! Versuch zu schlafen, wenn du kannst. «

Sie fü rchtete, ihn gekrä nkt zu haben, und in dem Wunsch, ihn sich nicht zum Feind zu machen, fragte sie:

»Wie heiß t Ihr? «

»Es ist nett von dir, mich danach zu fragen. Das passiert mir nicht oft, muß t du wissen. Ich weiß e Aycelin der Rote … ja, Aycelin. Meine Mutter sagte, es sei ein hü bscher Name …«

»Sie hatte recht«, sagte Cathé rine ernst. »Es ist ein hü bscher Name. «

Cathé rines Augen gewö hnten sich ziemlich schnell an die Dunkelheit ihres Verlieses. So winzig das Kellerfenster war, erlaubte es wenigstens, Tag und Nacht und die Dinge zu unterscheiden, die sie umgaben. Die Gefangene dankte dem Himmel, daß sie nicht in eins jener Lö cher geworfen worden war, tief unter der Erdoberflä che, in die nie ein Lichtstrahl drang, wie das, welches sie in Rouen kennengelernt hatte.

Auf dem verfaulten Stroh ihrer Zelle sitzend, ließ sie die Stunden an sich vorü berrinnen. Trotz ihrer Schwere erlaubten die Fesseln ihren Hä nden jede Bewegung, und bald merkte sie, daß sie sie mit ein wenig gewaltsamer Nachhilfe vielleicht von ihren Gelenken streifen kö nnte. Ihre Hä nde waren so schmal, so zart … Doch besser wä r's, es im Augenblick nicht zu versuchen, denn es muß te Schmerzen mit sich bringen, die es ihr nicht gestatten wü rden, sich die Eisen wieder anzulegen.

Und es gab noch einen weiteren Grund, zufrieden zu sein: Man hatte sie nicht durchsucht, und der Dolch war immer noch da, ermutigend und hart zwischen ihren Brü sten. Gelobt sei Gott, daß er sie gehindert hatte, ihn vorhin zu ziehen! Man hä tte ihn ihr entrissen, und sie hä tte ihn nie mehr zurü ckbekommen. Ihm wü rde sie es zu verdanken haben, daß sie den Folterungen mit Gewiß heit entginge, die die Grä fin ihr zugedacht haben muß te. Ein schneller Stoß, und alles wä re vorü ber. Sie wü rde unter dem hö hnischen Blick ihrer Feindin nicht vor Schmerzen schreien … Trotzdem konnte sie die Bangigkeit nicht verscheuchen, die ihr die Kehle zudrü ckte; was wü rde wirklich mit ihr geschehen? Die Gerä usche des Schlosses drangen kaum zu ihr herunter, gedä mpft durch die Tiefe und Dicke der Mauern, und trotzdem schien es ihr, als hö re sie in einem bestimmten Augenblick von fern eine Art Wehklage, schauerlich und abgerissen. Sie vermutete, daß es das Geheul des Stammes angesichts des gemarterten Leichnams seines Anfü hrers sein mü sse. Sie stellte sich die Schreie der Frauen vor, ihr gelö stes, mit Staub bedecktes Haar, ihre Finger, die blutende Spuren ü ber die trä nenü berströ mten Gesichter zogen, die monotonen Gesä nge eines vom Schmerz gebeugten Volkes, vielleicht die Verwü nschungen auch gegen diejenige, fü r die Fero gestorben war!

»Mein Gott! « betete sie stumm. »Gib, daß sie mich verstehen, daß sie mir verzeihen! Besonders Tereina! Es wird ihr solchen Schmerz bereiten! … Hab Mitleid mit ihr …«

Wü rde ihnen wenigstens Zeit bleiben, den Leichnam mit dem Zeremoniell, das sie neulich nachts gesehen hatte, dem Fluß anzuvertrauen? Die Dame hatte befohlen, sie zu verjagen, und La Tré moille hatte keinen Einspruch erhoben. Es schien ihr, als hö rte sie die Sergeanten des Kö nigs Befehle brü llen, als hö rte sie das Klatschen der Peitschen der Soldaten, die mit der Austreibung der Vaganten beauftragt waren … Doch eine Stimme sang, eine Frauenstimme, tief und schö n. Und Cathé rine hatte dieses geheimnisvolle, herzzerreiß ende Lied schon gehö rt …

Plö tzlich wurde sie sich bewuß t, daß die Stimme nicht in ihrer Phantasie, sondern in Wirklichkeit sang … und sehr nahe! Genau gesagt, auf der anderen Seite der Mauer. Sie verstand sofort, und von einem Freudentaumel mitgerissen, wollte sie zu der Mauer stü rzen, durch die der Gesang drang. Aber die Ketten, die sie vergessen hatte, spannten sich brutal und warfen sie mit schmerzenden Handgelenken auf den Boden zurü ck, wä hrend ihr Trä nen in die Augen schossen. Doch die Fesseln konnten ihre Stimme nicht unterdrü cken:

»Sara! Sara! Bist du da? Ich bin's …« Sie biß sich auf die Zunge. In ihrer ü berschwenglichen Freude hä tte sie fast gerufen: »Ich bin's, Cathé rine! « Sie hatte gerade noch genug Geistesgegenwart, um sich zu fangen: »Ich! Tchalaï …« Dann lauschte sie mit gespitzten Ohren. Der Gesang in der benachbarten Zelle war verstummt. Noch einmal rief sie: »Sara, ich bin hier! « Wieder ein Augenblick der Stille … und endlich, mit unaussprechlicher Erleichterung, hö rte sie:

»Gott sei gelobt! «

Die Stimme klang schwä cher als im Lied, und Cathé rine begriff, daß es nicht leicht sein wü rde zu sprechen. Da man schreien muß te, um gehö rt zu werden, konnte es sogar gefä hrlich werden. Nun, um so schlimmer! Es war schon eine groß e Freude zu wissen, daß Sara in ihrer Nä he war! Und hatte Tristan nicht gesagt, daß er ü ber Sara wachen werde? Vor kurzem erst war er Cathé rine mit den Augen gefolgt, als sie die Dame de La Tré moille ins Gefä ngnis begleitet hatte. Er muß te erstaunt gewesen sein, sie ohne Cathé rine wieder zum Vorschein kommen zu sehen, und daraus seine Schlü sse gezogen haben. Ein wenig beruhigt, rappelte sich Cathé rine wieder auf und kehrte zu ihrem Strohhaufen zurü ck. Wenn die Grä fin sie nicht schon in den folgenden Stunden umbringen ließ, hatte sie eine Chance, zu ü berleben. Ins Herz der finstersten Gefä ngnisse dringt die Hoffnung am leichtesten ein, und Cathé rines Hoffnung erwachte wieder.

Dennoch verfolgte sie das Neigen des Tages im Kellerfenster mit einiger Bangigkeit. Wenn die Nacht erst angebrochen wä re, sä ß e sie hier in vö lliger Finsternis … Tatsä chlich verschwammen schon die Einzelheiten ihrer dü steren Umgebung. Das Dunkel verschlang die schwarzen, feucht beschlagenen Mauern, und es kam der Augenblick, in dem Cathé rine nicht einmal mehr den hellen Fleck ihrer Hand zu sehen vermochte. Ihr war, als ü berflutete sie tiefes und gefä hrliches Gewä sser …

Doch als hä tte sie Cathé rines Angst in der Tiefe ihres Kerkers erraten, durchdrang die Stimme Saras die Schwä rze der Nacht.

»Schlafe! Die Nä chte sind jetzt kurz …«

Es stimmte. Der Sommer brach an, und der Tag war unendlich lä nger als die Nacht. Angestrengt nach oben starrend, gelang es Cathé rine sogar, das kleine, blassere Viereck des Fensters dicht unter der Decke zu unterscheiden. Ein wenig entspannt, ließ sie sich auf ihr Stroh sinken und schloß die Augen …

Hatte sie schon geschlafen, als ein ganz leises Gerä usch sie auffahren ließ? Sie war es so gewohnt, mit der Gefahr zu leben, daß ihr Schlaf nie mehr tief war … Sie verhielt sich unbeweglich, spitzte die Ohren und hielt den Atem an. Es war das kaum vernehmbare Knarren ihrer Tü r, das sie geweckt hatte. Jemand trat ein oder war schon eingetreten … Sie nahm das hauchzarte Gerä usch unterdrü ckten Atmens wahr, ein leises Knirschen gegen den Stein der Wand, und ihre Herzschlä ge stockten … Wer war da?

Der Gedanke kam ihr, daß es vielleicht Ratten seien, und dabei standen ihr die Haare zu Berge; aber das Gerä usch vorhin war von der Tü r hergekommen, dessen war sie sicher. Und dann, einen Augenblick spä ter, hö rte sie wieder das leise Atmen, nä her jetzt … noch nä her! In kalten Schweiß gebadet, hob sie vorsichtig die Hand, sorgfä ltig darauf bedacht, daß ihre Ketten nicht klirrten, schob zwei Finger in ihr Kleid, zog den Dolch heraus, faß te ihn fest und nahm die Hand ebenso vorsichtig wieder herunter. Entsetzliche Angst bohrte in ihren Eingeweiden. Unversehens sah sie sich wieder, Jahre zurü ckliegend, im alten Schloß turm von Malaien, wo sie sich jede Nacht gegen die Attacken des Rohlings hatte verteidigen mü ssen, den man ihr als Kerkermeister gegeben hatte. Alles fing von neuem an … Aber diesmal, wer konnte es sein … und in welcher Absicht?

Ihre Angst bedrä ngte sie so, daß sie die Zä hne zusammenpressen muß te, um ihre Fassung zu bewahren. Jetzt war der Mann ganz nahe … denn es war ein Mann, sie merkte es am Geruch.

Plö tzlich warf sich etwas Massiges ü ber sie, und sie stieß einen Schrei aus, der bis in die hintersten Hö fe zu hö ren sein muß te. Das Gewicht, das sie zu Boden drü ckte, schien ihr ungeheuer, und sie begriff schnell, daß der Unbekannte versuchte, sie zu erdrosseln. Zwei rauhe Hä nde griffen ihr an die Kehle, umspannten ihren Hals. Saurer, widerlicher Atem strich ü ber ihr Gesicht. Sie wand sich unter dem Mann, um ihren Hals freizubekommen, aber es gelang nicht. Die Hä nde drü ckten zu, drü ckten … Vom Instinkt der Selbsterhaltung, von wildem Lebensdrang getrieben, hob sie schließ lich den bewaffneten Arm und stieß ihn mit aller Kraft hinunter. Die Klinge bohrte sich bis zum Heft in einen Rü cken. Der auf ihr liegende Kö rper zuckte jä h zusammen, wä hrend ein kurzer Schrei dem Mann entfuhr. Ihrer Kraft beraubt, glitten seine Hä nde langsam an den Seiten herunter. Etwas Warmes und Klebriges sickerte auf sie … Der Dolch hatte richtig getroffen. Der Mann war mit einem einzigen Stoß getö tet worden … Vor Angst mit den Zä hnen klappernd, gelang es Cathé rine mit einiger Mü he, die Leiche auf die Seite zu schieben. Im selben Augenblick ö ffnete sich die Tü r der Zelle. Zwei Mä nner, einer mit einer Fackel, stü rzten herein und blieben wie versteinert stehen, als sie Cathé rine blutü berströ mt und in Ketten neben einer Leiche fanden. Sie hob die Augen wie eine Schlafwandlerin, erkannte ohne jede Reaktion Tristan l'Hermite und den Henkersknecht Aycelin.

»Er hat versucht, mich zu erdrosseln«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Ich habe ihn getö tet …«

»Gott sei Dank! « murmelte Tristan totenblaß. »Ich fü rchtete schon, zu spä t zu kommen! « Dann wandte er sich lauter an seinen Kameraden, der Cathé rine mit stumpfsinnigem Entsetzen anstarrte:

»Du erinnerst dich der Befehle Monseigneurs? Du haftest mit deinem Leben fü r das dieser Frau …«

Der Mann verfä rbte sich und hob die verwirrten Augen zu Tristan:

»Ja, Messire! Ich … ich erinnere mich! «

»Ein Glü ck fü r dich, daß ich gekommen bin. Schaff diesen Kadaver weg und sieh zu, daß du dich seiner diskret entledigen kannst. Da keiner auß er dir, mir … und ihr darü ber Bescheid weiß, braucht niemand etwas davon zu erfahren. Dir ist nichts geschehen, Frau? «

Cathé rine gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, daß mit ihr alles in Ordnung sei. Aycelin hatte sich gebü ckt, hob den leblosen Kö rper des Mordgesellen trotz seiner Krä fte nur mit Mü he an und legte ihn sich ü ber die Schultern.

»Ich werd' ihn ins tiefste Verlies werfen«, sagte er. »Es ist ganz in der Nä he! «

»Beeil dich, ich warte! «

Er schlurfte mit seiner Last hinaus, dem Flamen dabei einen dankbaren Blick zuwerfend, und unterließ es sogar, die Tü r wieder zu schließ en. Sobald er verschwunden war, beugte Tristan sich zu Cathé rine hinunter.

»Schnell, wir haben nicht viel Zeit! Ich kam, um mit Sara zu sprechen, wie ich's fast jeden Abend durchs Kellerfenster tue, als ich sah, wie sich dieser Mann, einer der Diener der Dame de La Tré moille, ins Gefä ngnis schlich. Ich fü hlte instinktiv, was geschehen wü rde, und bin ihm nach. Diese Livree ist geradezu ein Geleitbrief … Und dann hö rte ich Euch schreien und rannte her …«

»Wolltet Ihr mich holen? «

Er schü ttelte traurig den Kopf, bekü mmert, als er sah, wie die groß en Augen der jungen Frau sich mit Trä nen fü llten.

»Noch nicht. Ich kann's nicht. In einer Stunde wird der Groß kä mmerer herunterkommen, um Euch zu besuchen. «

»Woher wiß t Ihr das? «

»Ich habe gehö rt, wie er einer der Stummen den Befehl gab, nach Mitternacht in einen Beutel ein Hü hnchen und eine Flasche Wein zu packen. Offensichtlich ist er Euch noch wohlgesinnt. Man muß herausbekommen, was er von Euch will. Ich glaube nicht, daß ihn dieses finstere Loch zu erotischen Unternehmungen anregen wird. Und auß erdem ist er krank …«

»Auf jeden Fall werde ich ihm nichts erlauben. Mein Dolch hat schon einmal zugestoß en, er kann's auch ein zweites Mal. «

»Ü berstü rzt nichts! Ihr dü rft Euch nicht hinreiß en lassen wie vorhin im Folterkeller. Ihr kö nntet alles verlieren. Jetzt muß ich gehen. Messire de Bré zé erwartet mich im Obstgarten …«

Er richtete sich wieder auf, bereit zu gehen. Cathé rine hielt ihn am Arm zurü ck.

»Wann werde ich Euch wiedersehen? «

»Vielleicht morgen nacht … Vorher schon, wenn nö tig. Seid nicht allzu ä ngstlich. Wir wachen, und ich bin sicher, daß Bré zé bereit ist, fü r Euch La Tré moille die Gurgel durchzuschneiden, und sei es zu Fü ß en des Kö nigs! Mut! «

Aycelin kam wieder zurü ck. Tristan erwartete ihn an der Tü r, Cathé rine den Rü cken zukehrend. Die junge Frau fuhr plö tzlich auf.

»Messire! Das Blut, das ich an mir habe … Wie soll ich das erklä ren? «

»Du wirst sagen, was passiert ist, und auß erdem … daß Aycelin dich gerettet und den Mö rder getö tet hat. Er wird sich damit eine Befö rderung verdienen, und du, du hast durch diese Notlü ge nichts zu verlieren! «

Der Folterknecht grinste breit.

»Ihr seid sehr gü tig, Messire! Wenn ich etwas fü r Euch tun kann …«

»Das werden wir spä ter sehen! Schließ die Tü r wieder und paß gut auf! «

Ohne Cathé rine noch einen Blick zuzuwerfen, verließ Tristan den Kerker. Die schwere Tü r schloß sich wieder. Dunkelheit hü llte die Zelle von neuem ein, aber Cathé rines Nerven waren allzu grausam strapaziert worden. Sie brach in Schluchzen aus. Es tat ihr gut. Sie weinte lange und heftig, doch schließ lich war sie erschö pft und fü hlte ihren Schmerz gelindert … Im Nachbarkerker war kein Gerä usch zu vernehmen. Sara muß te ebenso wie sie Angst ausgestanden haben, aber Tristan hatte sie zweifellos beruhigt … Cathé rine mü hte sich, ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie brauchte sie, brauchte innere Ruhe, um in einer Stunde – zweifellos sehr bald – La Tré moille gegenü berzutreten!

Wie um ihr recht zu geben, blitzte ein Lichtschein unter der Tü r auf. Schritte, die offenbar nicht verheimlicht wurden, hallten im Gang wider. Die Riegel klapperten in ihren Haltern, die Tü r ö ffnete sich und wurde sofort von der mä chtigen Gestalt des Groß kä mmerers ausgefü llt. Aycelin folgte ihm mit einer Laterne, die das bä rtige Profil La Tré moilles auf das Deckengewö lbe des Kerkers warf. Als der dicke Mann das aufgelö ste Gesicht Cathé rines gewahrte und die Blutspuren entdeckte, blieb er jä h stehen.

»Was ist das? Bist du verletzt? Was ist hier geschehen? Ich hatte doch befohlen …«

Erschrocken zog Aycelin den Kopf, soweit es ging, zwischen die Schultern, doch Cathé rine kam ihm gleich zu Hilfe.

»Man hat versucht, mich zu ermorden, Monseigneur! Dieser Mann hat mich schreien hö ren … Er hat mich gerettet. «

»Gut gemacht! Da … fang auf! Und verlaß uns! «

Mit spitzen Fingern warf er dem Folterknecht ein Goldstü ck zu, das dieser mit der Geschicklichkeit einer Katze auffing, bevor er sich mit einer tiefen Verbeugung und Danksagung zurü ckzog. La Tré moille blickte sich um, suchte nach einem Sitzplatz, aber es gab keinen auß er dem Strohhaufen, auf dem Cathé rine kauerte. Er rü mpfte verdrossen die Nase und blieb notgedrungen stehen. Dafü r zog er unter seinem Mantel einen Beutel hervor und reichte ihn der Gefangenen.

»Da! Du muß t Hunger haben! Iß und trink. Danach unterhalten wir uns! Aber beeil dich! «

Cathé rine starb vor Hunger. Sie hatte seit dem Tag zuvor nichts mehr gegessen und ließ es sich nicht zweimal sagen. Sie verschlang das Brot und das Geflü gel, die in dem Beutel waren, trank den Wein und warf dem dicken Kä mmerer einen funkelnden Dankesblick zu.

»Dank, Seigneur, Ihr seid gü tig …«

Eine verrü ckte Hoffnung stieg in ihrem Herzen auf. Es war das erstemal, daß sie mit ihm allein war, ohne Gefahr. War die Zeit gekommen, ihren Plan zur Ausfü hrung zu bringen? Auf La Tré moilles Gesicht lag ein Lä cheln, das es in tausend kleine, fette Fä ltchen verzog. Seine feiste Hand legte sich auf Cathé rines Kopf, und er murmelte mit schmeichelnder Stimme:

»Du weiß t genausogut wie ich, daß ich dir nichts antun will, Kleine! Du hast keine Schuld an alldem hier. Du bist nicht aus eigenem Antrieb von mir weggegangen, nicht wahr? «

»Nein. Ein junges Mä dchen hat mich geholt«, antwortete Cathé rine, sich naiv gebend. »Ein schö nes blondes, junges Mä dchen. «

»Violaine de Champ chevrier, ich kenne sie nur zu gut. Sie ist die Vertraute meiner Frau; aber du, denke ich, bist meine Freundin. Du erinnerst dich, daß ich immer gut zu dir gewesen bin, nicht wahr? «

»Sehr gut, Seigneur, sehr hilfreich! «

»Dann ist jetzt der Augenblick gekommen, dich dafü r dankbar zu erweisen. Was war das fü r ein Flä schchen, das du vorhin zerbrachst und dessen Scherben du der Grä fin ins Gesicht geworfen hast? «

Cathé rine senkte den Kopf, als ob sie mit sich kä mpfte, und antwortete nicht sofort. La Tré moille wurde ungeduldig.

»Los, sprich! Du hast kein Interesse zu schweigen, ganz im Gegenteil. «

Sie hob wieder den Kopf, blickte ihm mit dem Anschein groß er Freimü tigkeit ins Gesicht.

»Ihr habt recht. Ihr habt mir nichts Bö ses getan! Dieses Flä schchen … es enthielt einen Liebestrank, den die Dame von mir verlangt hatte. «

Ein grausamer Zug verzerrte die dicken Lippen La Tré moilles, wä hrend seine Augen sich zusammenzuziehen schienen.

»Einen Liebestrank, so? Weiß t du, fü r wen? «

Diesmal zö gerte Cathé rine nicht. Ohne jede Frage durfte sie fü r den jungen Grafen von Maine nicht die geringste Gefahr heraufbeschwö ren. Sie schü ttelte energisch den Kopf.

»Nein, Seigneur, ich weiß es nicht! «

Die Stirn des Groß kä mmerers verdü sterte sich. Nervö s spielten seine Finger mit dem dicken vergoldeten Gü rtel, den er trug; einen Augenblick verharrte er in Schweigen.

»Einen Liebestrank! « murmelte er schließ lich. »Wozu? Meine Frau sucht nicht die Liebe, sie sucht nur das Vergnü gen …«

Cathé rine holte tief Atem und preß te die gefesselten Hä nde ineinander, um gegen die Erregung anzukä mpfen, die sich ihrer bemä chtigte. Der Augenblick war gekommen, alles aufs Spiel zu setzen, die Worte zu sagen, die diesem Mann zu sagen sie von Angers hierhergekommen war, ihn zu ü berreden, das sichere Amboise zu verlassen …

»Es ist ein sehr stark wirkender Trank, Monseigneur. Er macht den, der ihn trinkt, so schwach wie ein Kind in den Hä nden dessen, der ihn einflö ß t. Und die Dame wollte damit einem Mann ein groß es Geheimnis entreiß en … das Geheimnis eines Schatzes! «

Sosehr sie damit auch gerechnet hatte, verblü ffte sie doch die magische Wirkung ihrer Worte. Das fette Gesicht verfä rbte sich, wä hrend die Augen des Kä mmerers Funken sprü hten. Er packte Cathé rine an der Schulter und schü ttelte sie wild:

»Eines Schatzes? Was weiß t du davon? Sprich, sprich endlich! Welches Geheimnis? Welcher Schatz? «

Sie spielte die Angst bis zur Perfektion, zog sich in sich selbst zurü ck, indem sie dem dicken Mann furchtsame Blicke zuwarf.

»Ich bin nur ein armes Mä dchen, Seigneur! Woher sollte ich solche Geheimnisse kennen? Aber ich habe Ohren zu hö ren, und ich verstehe sehr wohl, was ich hö re. In meinem fernen orientalischen Land spricht man immer noch von Mö nchssoldaten, die einst kamen, um das Grab des Erlö sers zu verteidigen, und die mit groß en Reichtü mern wieder aufbrachen. Als sie ins Land der Franken zurü ckkehrten, rottete der Kö nig sie damals alle aus …«

Mit dem Ä rmel wischte sich La Tré moille den Schweiß vom Gesicht. Seine Augen brannten wie Kohlen.

»Die Tempelritter …«, stammelte er mit trockener Kehle. »Weiter! «

Sie spreizte ihre gefesselten Hä nde in einer Geste der Ohnmacht.

»Man sagt noch, daß sie, bevor sie starben, Zeit gehabt hä tten, den grö ß ten Teil ihrer Reichtü mer zu verstecken, und daß ihre Verstecke mit unverstä ndlichen Zeichen versehen wurden. Der Mann, der die edle Dame interessierte, soll diese Zeichen entziffern kö nnen …«

Enttä uschung malte sich auf den feucht glä nzenden Zü gen des dicken Mannes. Er war sichtlich verstimmt und zö gerte auch nicht, es zu zeigen. Die Schultern hebend, brummte er:

»Also mü ß te man wissen, wo diese Bezeichnungen sich befinden. «

Ein engelhaftes Lä cheln huschte ü ber Cathé rines Gesicht. Ihr auf den dicken Mann gerichteter Blick war reine, offene Liebenswü rdigkeit.

»Vielleicht sollte ich's nicht sagen, Seigneur, aber Ihr seid so gut zu mir gewesen … und die Dame so grausam! Sie hatte mir die Begnadigung Feros versprochen und hat ihn unter der Peitsche sterben lassen. Ich glaube, sie weiß, wo diese Zeichen sind … Neulich, in der Nacht, habe ich sie gehö rt. Sie glaubte, ich schliefe. Sie sprach von einem Schloß, in dem die Fü hrer der Mö nchssoldaten gefangengehalten wurden, bevor sie auf dem Scheiterhaufen starben, aber ich erinnere mich nicht mehr an den Namen! «

Dies war so raffiniert gesagt, daß La Tré moille alles Miß trauen verlor und sogar vergaß, daß er je miß trauisch gewesen war. Wieder packte er Cathé rine:

»Erinnere dich, ich befehle es dir! … Du muß t dich erinnern! Ist es Paris, im groß en Turm des Temple? Ist es da? … Sprich! «

Sie schü ttelte sanft den Kopf:

»Nein … es ist nicht in Paris! Ein Name wie … ä h, es ist schwer … ein Name wie Ninon …«

»Chinon! Das ist es! Bestimmt Chinon, nicht wahr? «

»Ich glaube, ja«, sagte Cathé rine, »aber sicher bin ich nicht. Gibt es da einen sehr dicken Turm? «

»Riesig! Der Schloß turm von Coudray! Der Groß meister der Tempelritter, Jacques de Molay, ist dort mit anderen Wü rdenträ gern wä hrend des Prozesses eingesperrt gewesen! «

»Dann sind die Inschriften in diesem Turm«, sagte Cathé rine ruhig.

Der dicke Mann hatte sich aufgerichtet und schritt jetzt im Ü bermaß seiner Erregung im Kerker auf und ab. Sie beobachtete ihn mit wilder Freude. Es war Arnaud, der ihr von dieser Geschichte einst berichtet hatte. Eines Abends, nach der Zerstö rung von Montsalvy, hatte er ü ber ihr Elend geseufzt und ihr erzä hlt, wie ein frü herer Montsalvy, Ritter des Tempels, zusammen mit zwei anderen Ordensbrü dern vom Groß meister beauftragt worden war, den fabelhaften Schatz zu bewahren. Er war kurze Zeit spä ter gestorben, die Lippen ü ber einem Geheimnis versiegelt, zu dem allein der Groß meister den Schlü ssel besaß.

»Man erzä hlt sich«, hatte Arnaud gesagt, »daß der Groß meister in seinem Gefä ngnis, im dicken Turm von Chinon, verschlü sselte Zeichen niedergeschrieben habe … leider unlesbar. Ich habe sie gesehen, als ich da unten war, habe ihnen aber keine groß e Aufmerksamkeit geschenkt. Ich war reich, ohne Sorgen … Jetzt wü rde ich den fabelhaften Schatz gern finden, um Montsalvy wieder aufzubauen. «

An diese Unterhaltung hatte sie sich in Angers erinnert, als es darum gegangen war, einen Kö der zu finden, mit dem La Tré moille nach Chinon gelockt werden konnte! Jetzt war der Kö der ausgeworfen, der Fisch hatte angebissen … Tiefe Erleichterung bemä chtigte sich Cathé rines. Selbst wenn sie nicht mehr lebend aus diesem Kerker herauskä me, konnte sie wenigstens sicher sein, daß La Tré moille nach Chinon gehen, daß die Falle hinter ihm zuschnappen, daß sie schließ lich gerä cht sein wü rde!

Mit leichterem Herzen beobachtete sie, wie er in ihrem Gefä ngnis wie ein Bä r im Kä fig auf und ab ging, und glaubte, durch seine Adern das Goldfieber wie ein Gift rinnen zu sehen. Sie hö rte ihn murmeln:

»Diesen Mann … muß man finden! Ich muß seinen Namen erfahren! Dann werde ich schon wissen, wie ich ihn zum Reden bringe …«

»Seigneur«, unterbrach sie leise, »gestattet Ihr mir, Euch einen Rat zu geben? «

Er starrte sie an, als sei er erstaunt, sie noch da zu finden. Seine Leidenschaft hatte ihn sie vergessen lassen.

»Sag's ruhig! Du hast mir einen groß en Dienst erwiesen. «

»Wenn ich Ihr wä re, Seigneur, wü rde ich nichts sagen, um kein Aufsehen zu erregen. Ich wü rde nach Chinon gehen, mit dem Hof … selbst mit dem Kö nig, wenn nö tig! Und ich wü rde die edle Dame ü berwachen lassen. Es ist unmö glich, daß Ihr den Mann, der sie interessiert, dort nicht entdeckt …«

Diesmal hellte sich das feiste Gesicht auf. Ein listiges, grausames Lä cheln breitete sich ü ber die schwammigen Zü ge und glä ttete die Runzeln wie Ö l das Wasser.

Er hob seinen leeren Beutel auf, nahm die Laterne und schlug mit der Faust gegen die Tü r.

»Kerkermeister! He! Kerkermeister …«

Er wandte sich zum Gehen, sie stieß einen Schrei aus …

»Seigneur! Habt Mitleid mit mir! Ihr werdet mich nicht vergessen, nicht wahr? «

Aber er hö rte sie kaum noch.

Er warf ihr einen zerstreuten Blick zu.

»Ja, ja … sei ganz ruhig! Ich werde dran denken! Aber nimm dich in acht und schweige, oder …«

Sie hatte verstanden. Sie hatte mit einemmal jeden Wert in seinen Augen verloren. Vor der fabelhaften goldenen Aussicht, die sich vor ihm auftat, hatte er sogar vergessen, wie sehr es ihn noch vor kurzem nach ihr gelü stet hatte. Ob sie lebte oder stü rbe, interessierte ihn wenig. Als einziges zä hlte nur der Schatz … Morgen, vielleicht noch in dieser Nacht, wü rde er mit dem Hof nach Chinon aufbrechen. Cathé rine hatte ihre Aufgabe gelö st, aber sie befand sich in grö ß erer Gefahr als je, denn sie war sicher, daß die Dame de La Tré moille vor ihrem Aufbruch alles tun wü rde, um sie umbringen zu lassen! Und wer konnte sagen, ob Pierre de Bré zé und Tristan l'Hermite Zeit genug haben wü rden, ihr zu Hilfe zu eilen? Wieder zog sie den Dolch aus ihrem befleckten Kleid, drü ckte ihn an die zitternden Lippen.

»Arnaud«, murmelte sie, »du wirst gerä cht werden! Ich habe alles getan, was ich tun muß te! Jetzt erbarme Gott sich meiner! «

Aber die letzten Stunden der Nacht verrannen still, ohne daß jemand sie im Kerker aufsuchte.

Als Aycelin um Mittag mit einem Napf, in dem in einer Flü ssigkeit von undefinierbarer Farbe einige Kohlstrü nke schwammen, einem Krug und einem Stü ck Schwarzbrot in Cathé rines Zelle trat, schien er vö llig niedergeschlagen. Sein grobes, unausgeprä gtes Gesicht unter dem rasierten Schä delrund trug den Ausdruck tiefer Traurigkeit. Er stellte den Napf mit dem Brot und dem Wasser zu Cathé rines Fü ß en nieder.

»Hier ist dein Mittagessen«, sagte er mit einem tiefen Seufzer. »Ich hä tte dir viel lieber was Besseres gebracht, weil du deine Krä fte brauchst! Iß trotzdem. «

Mit dem Fuß schob Cathé rine die abscheuliche Suppe beiseite, auf die sie nach dem Hü hnchen La Tré moilles keinen Appetit mehr verspü rte.

»Ich hab' keinen Hunger«, sagte sie. »Aber warum sagst du, ich brauchte meine Krä fte? «

»Weil du fü r heute nacht damit rechnen muß t! Nach dem Abendlä uten wird man dich holen, und ich, ich muß … Aber du wirst mir verzeihen, nicht wahr? Es ist nicht meine Schuld, weiß t du! Ich muß meine Pflicht tun …«

Cathé rines Kehle zog sich zusammen. Sie hatte verstanden, was der Folterknecht sagen wollte. In dieser Nacht wü rde sie unter den Augen der Dame de La Tré moille zu Tode gefoltert werden … Panik bemä chtigte sich ihrer wie ein Sturmwind. Dank des Dolches konnte sie sich der Folter entziehen, aber nicht dem Tod, und gerade jetzt wollte sie nicht sterben. Sie wollte es nicht mehr! In ihrer Freude ü ber die Verwirklichung ihres Plans, da sie nun wuß te, daß La Tré moille bereit war, nach Chinon zu gehen, hatte sie in dieser Nacht gedacht, nichts anderes mehr sei wichtig und das Sterben mü sse ihr leichtfallen in dem Bewuß tsein, gerä cht zu werden … Jetzt aber, angesichts dieses Henkers, der sich zum tragischen Herold ihrer letzten Stunde machte, wies sie ihr Geschick mit aller Kraft zurü ck. Sie war jung, war schö n, sie wollte leben! Sie wollte aus diesem Loch heraus, die Sonne wiedersehen, den weiten blauen Himmel und alle Pflanzen, die Gottes Willen ü ber die Erde ausstreute. Sie wollte ihren Sohn wiedersehen, ihren kleinen Michel, die Berge der Auvergne und jenen grauenerregenden Ort, an dem ihr Liebster langsam dahinsiechte … Arnaud! Sie wollte nicht so weit von ihm entfernt sterben! Seine Hand noch einmal berü hren, nur ein einziges Mal … und dann sterben, ja! Aber nicht vorher!

Jä h hob sie den Kopf, den sie gesenkt hatte, um ihn ihre Erregung nicht sehen zu lassen.

»Hö r zu! « sagte sie mit drä ngender Stimme. »Du muß t den Mann finden, der gestern nacht hierhergekommen ist … den, von dem du sagtest, du schuldest ihm viel! «

»Den Diener Monseigneurs des Groß kä mmerers? «

»Ja, den! … ich kenne seinen Namen nicht, aber du wirst ihn sicherlich mü helos erkennen. Geh und such ihn. Sag ihm, was du mir eben gesagt hast! «

»Und wenn ich ihn nicht finde? Monseigneur hat viele Diener …«

»Du muß t ihn finden! Unbedingt! Da es dich so sehr bekü mmert, mir weh zu tun … Ich flehe dich an, such ihn! «

Sie war aufgestanden. Mit ihren zitternden Hä nden umklammerte sie die riesigen Pranken des Folterknechts; mit ihren trä nenfeuchten groß en Augen flehte sie ihn an. Er hatte gezeigt, daß er Mitleid mit ihr fü hlte. Sie witterte in diesem stumpfen Wesen eine Art Sympathie. Er muß te um jeden Preis Tristan benachrichtigen, sonst wü rde der Flame in dieser Nacht zweifellos zu spä t kommen. Sie wä re schon tot. Hatte der Folterknecht nicht gesagt ›nach dem Abendlä uten‹?

Das Abendlä uten war in der letzten Nacht, als Tristan gekommen war, schon lange vorbei gewesen.

»Aus Mitleid, Aycelin … wenn du ein wenig Freundschaft fü r mich empfindest, such ihn! «

Der Folterknecht nickte mit dem groß en Kopf, dem die riesigen Ohren das Aussehen eines Kochtopfs gaben. Seine Ä uglein blinzelten unter den wimperlosen Lidern.

»Ich will's versuchen … aber es wird nicht leicht sein! Es ist ein groß es Hin und Her im Schloß heute. Der Kö nig hat beschlossen, morgen nach Chinon abzureisen. Man packt die Reisetruhen, ich werd' tun, was ich kann …«

Mit mü den Gliedern ließ Cathé rine sich wieder auf ihren Strohhaufen fallen. Die Nachricht, die Aycelin ihr soeben gebracht hatte, war kostbar, denn sie war der deutliche Beweis ihres Sieges. Der Kö nig, das bedeutete La Tré moille! Und er wü rde sich nach Chinon aufmachen, wo ihn die Mä nner des Konnetabels von Richemont erwarteten, wo Raoul de Gaucourt kommandierte, von den Verschwö rern gewonnen. Der alles verheerende Eber, der schon zu lange ü ber die Erde Frankreichs galoppiert war, ging seinem letzten Gehege entgegen. Aber wenn Aycelin Tristan nicht fä nde, wü rde Cathé rine den Tag ihres Sieges nicht anbrechen sehen …

Lange Stunden verharrte sie auf ihrem Strohlager, ins Leere starrend, die Hä nde um die Knie geschlungen, ihren Herzschlä gen lauschend und mit aller Macht gegen die Verzweiflung ankä mpfend. Jenseits der Wand, ganz nah, war Sara, ihre alte Sara, die trö stende Zuflucht grausamer Stunden, und sie konnte nicht zu ihr. Sie hä tte rufen mü ssen, um von ihr gehö rt zu werden, aber dazu besaß sie nicht mehr die Kraft! … Doch die Angst ü berfiel sie noch grausamer, als der Tag zu Ende ging. Drauß en im Schloß hof herrschte lebhafte Bewegung. Von ihrer Hö hle aus konnte sie die Befehle, die Rufe der Diener, die Anweisungen, das ganze frö hliche Gelä rm eines bevorstehenden Aufbruchs hö ren. Da, ganz nahe, waren die Gerä usche des Lebens, die die Todgeweihte grausam verhö hnten. Und einen Augenblick fragte sie sich, ob die Toten in ihren Grä bern das Getö se der Lebenden hö ren kö nnten …

Das ö ffnen des Gucklochs in ihrer Tü r ließ sie zusammenzucken. Durch das Gitter bemerkte sie das rote Gesicht Aycelins, von einer Kerze angestrahlt. Und die Worte, die er sprach, fielen wie schwere Steine auf ihr Herz:

»Ich hab' den Mann nicht gefunden … Verzeih mir! «

»Such weiter! «

»Kann ich nicht! Hab' nicht die Zeit dazu. Ich muß mich vorbereiten …«

Das Guckloch klappte zu. Cathé rine fand sich in die Dunkelheit der anbrechenden Nacht zurü ckgeworfen. Eine Dunkelheit, der sie nur entrinnen wü rde, um in eine noch tiefere Nacht zu tauchen. Nun war alles beschlossen! Die Hoffnung war tot, von den Menschen war nichts mehr zu erhoffen. Man muß te sich Gott zuwenden … Langsam ließ Cathé rine sich auf die Knie sinken und barg ihr Gesicht in den Hä nden.

»Mein Gott! « murmelte sie. »Da es nun einmal dein Wille ist, daß ich heute nacht sterbe, gewä hre mir wenigstens die Gnade, die Folter nicht erleiden zu mü ssen. Gib, daß ich Zeit habe, mein Leben selbst zu beenden …«

Sachte zog sie den Dolch aus ihrem Brusttuch, hielt ihn fest an sich gedrü ckt, von einer plö tzlichen Versuchung ergriffen. Warum nicht jetzt Schluß machen? Wenn die Folterknechte in ihr Gefä ngnis kä men, wü rden sie nur einen leblosen Kö rper vorfinden. Das wä re viel einfacher …

In ihrer Hand fü hlte sich der Griff des Dolchs warm wie ein lebender Vogel an, beruhigend wie ein treuer Freund. Sie wuß te genau, wohin sie stoß en muß te, um ihr Herz zu treffen. Da, genau unter die linke Brust … Mit der Spitze der Waffe suchte sie die Stelle, stieß zu … Die scharfe Spitze drang durch ihre Haut, unter das Zellgewebe, und weckte Cathé rine aus der todesä hnlichen Betä ubung, die sie ü berkommen hatte. Diese so zarte Haut zu durchstoß en wä re leicht. Sie brauchte nur noch etwas stä rker zu drü cken. Aber ein unerklä rlicher Instinkt hielt die Hand der jungen Frau zurü ck. Wenigstens wollte sie die letzten Minuten, die ihr blieben, durchleben. Und auß erdem wollte sie nicht in diesem Loch sterben. Sie wollte im Licht sterben, und sei es auch im Folterkeller. Sie wollte im Angesicht ihrer Feindin sterben, ihre Wut genieß en, wenn sie sich ihrer Rache entzö ge, ihren haß erfü llten Schrei vernehmen, bevor sie ihre Seele aushauchte … Jawohl, sie muß te bis dahin warten … Das war besser!

Die Hö rner des Schlosses antworteten den Glocken der Stadt und kü ndeten den Abend an! Sie ließ en Cathé rines Blut gerinnen. Waren es bereits die Posaunen des jü ngsten Gerichts, die der Totenglocke antworteten? Die letzten Minuten verstrichen in der Sanduhr ihres Lebens … Bald …

Im Flur klangen eisenklirrende Schritte, Fü ß escharren von Stahl auf Stein. Cathé rine schloß die Augen, betete von ganzem Herzen um den Mut, den sie so dringend brauchte. Jemand blieb vor ihrer Tü r stehen. Die Riegel knirschten …

»Adieu! « murmelte sie. »Adieu, mein Kindchen! … Adieu, mein vielgeliebter Mann! ich werde dich im Paradies erwarten! «

Die Tü r ging auf, die Gefangene gewahrte vier Soldaten, die drauß en warteten. Der Folterknecht trat ein, allein, und Cathé rine ü berlief ein Schauer. So abstoß end Aycelins Physiognomie auch sein mochte, zog sie sie doch dem Anblick vor, den er in diesem Moment bot. Die groben Zü ge des Folterknechts waren unter einer roten Kapuze verborgen, die nur zwei Schlitze fü r die Augen aufwies und bis auf die Schultern herabfiel. Er sah furchterregend aus …

Ohne ein Wort zu sagen, ließ er die eisernen Handschellen zu Boden fallen und packte Cathé rines Handgelenke, um sie ihr auf den Rü cken zu legen. Sie bat flehentlich:

»Eine einzige Gunst, Freund Henker, die letzte … Binde meine Hä nde vorn zusammen! «

Durch die Schlitze der Maske sah sie die Augen des Henkersknechts. Sie schienen ihr ungewö hnlich glä nzend. Aber er sagte nichts, begnü gte sich zu nicken. Cathé rines Hä nde wurden vorn zusammengebunden, und sie stellte mit Freuden fest, daß er die Stricke nicht fest zuzog. Sie wü rde keine Mü he haben, den Dolch zu ergreifen, sobald es soweit war …

Mit festem Schritt trat sie durch die Tü r und stellte sich mit hocherhobenem Kopf zwischen die Soldaten. Der Folterknecht bildete die Nachhut. Sie wandte sich nicht um, als sie von neuem die Riegel zuschnappen hö rte. Was kü mmerte es sie, daß man die Kerkertü r wieder sorgfä ltig schloß? Sie hatte nicht einmal den Mut, einen Blick auf die Tü r zu Saras Zelle zu werfen. Aber ihre Stimme mit aller Kraft erhebend, rief sie:

»Adieu, adieu, meine gute Sara! Bete fü r mich! «

Die Antwort drang bebend an ihr Ohr:

»Ich habe gebetet! Mut! «

Sekunden spä ter ö ffnete sich vor ihr die niedrige Pforte zu dem verhä ngnisvollen Raum, und sie muß te allen Mut zusammennehmen, wie Sara es ihr empfohlen hatte, um nicht schwach zu werden, so sehr hatte sie den Eindruck, in die Hö lle zu treten … Aufrecht, mit gekreuzten Armen neben brennenden Kohlenö fen, in denen Kneifzangen, Haken und Stahlklingen zum Glü hen gebracht wurden, standen wartend zwei Folterknechte; ihre Oberkö rper waren nackt, und beide trugen eine Kapuze ä hnlich der Aycelins. Cathé rine betrachtete mit Grauen ihre muskulö sen Arme, die von breiten Lederarmbä ndern umspannt wurden. In die Mitte des Raums war eine Folterbank geschoben worden, deren herunterhä ngende Ketten das Opfer erwarteten, und im roten Schein der Kohlenö fen zeigten andere Folterwerkzeuge ihre entsetzlichen Formen …

Doch Cathé rine ü berwand sehr schnell den Schauder des Schreckens, der ihr ü ber die Haut gelaufen war, und wandte die Augen von der Foltermaschine ab. Auf dem Sessel, den in der Nacht zuvor ihr Gatte eingenommen hatte, thronte, prä chtig in grü nen Goldbrokat gekleidet, die Dame de La Tré moille und sah ihr mit einem grausamen Lä cheln auf den roten Lippen entgegen. Violaine de Champchevrier saß graziö s zu ihren Fü ß en auf einem schwarzen Samtkissen und roch lä ssig an einer mit Parfü m gefü llten goldenen Kugel, die sie in ihren hü bschen Hä nden hielt. Der Anblick dieser wie zu einem Fest herausgeputzten beiden Frauen, die in die Folterkammer gekommen waren, um mit anzusehen, wie eine andere gemartert wurde, hatte etwas Empö rendes an sich, doch Cathé rine begnü gte sich damit, sie mit Verachtung zu strafen. Die Dame brach in Gelä chter aus:

»Wie hochmü tig du bist, mein Mä dchen! Aber das wird sich gleich geben, wenn dieser wackere Aycelin seine raffinierten Kü nste an dir praktiziert. Weiß t du, was er mit dir machen wird? «

»Unwichtig! … Das einzige, was zä hlt, ist, daß ich keinen Priester hier sehe! «

»Einen Priester? Fü r eine Hexe wie dich! Die Helfershelfer des Satans brauchen keinen Priester, um sich mit ihrem Herrn und Meister zu vereinigen! Was wü rde dir ein priesterlicher Segen auf dem Weg zur Hö lle nü tzen? Mich interessiert nur zu erfahren, wie eine Hexe die Folter erträ gt. Hast du einen Zauber, Zigeunerin, der dich vor Schmerz behü tet? Wirst du fest bleiben, wenn der Folterknecht dir die Nä gel ausreiß t, dir Nase und Ohren abschneidet, dir bei lebendigem Leib die Haut abzieht und die Augen aussticht? «

Cathé rines Blick blieb fest, wä hrend sie der sadistischen Ankü ndigung der Dinge lauschte, die man ihr zugedacht hatte. Nur noch einen Augenblick, und sie wü rde nichts weiter als ein Stü ck lebloses Fleisch sein …

»Ich weiß es nicht! Aber wenn Ihr eine wahre Christin seid, werdet Ihr mir Zeit fü r ein letztes Gebet geben. Danach …«

Die Grä fin zö gerte. Offensichtlich hatte sie groß e Lust, Cathé rines Bitte abzuschlagen. Aber ihr Blick glitt zu den Bewaffneten hinü ber, die sich im Hintergrund zusammengedrä ngt hatten. Sie hatte nicht das Recht, die Bitte einer Verurteilten abzuschlagen, sonst lief sie Gefahr, selbst der Gottlosigkeit geziehen zu werden. Und das war immer gefä hrlich.

»Es sei! « stimmte sie widerwillig zu. »Aber mach schnell! Nehmt ihr die Fesseln ab. «

Der Folterknecht trat vor und knü pfte die Stricke auf. Cathé rine kniete am Fuß einer der Sä ulen nieder, den Rü cken ihrer Feindin zugekehrt. Sie kreuzte die Hä nde auf der Brust, senkte den Kopf, krü mmte den Rü cken und zog sachte den Dolch heraus. Ihr Herz klopfte wie rasend. Sie war sich bewuß t, daß die anderen Folterknechte sich in den hinteren Teil der Kammer zurü ckgezogen hatten. Zweifellos wollten sie das Spektakel ihres letzten Gebetes genieß en. Sie umspannte fest die Waffe und richtete die Spitze gegen ihr Herz, wollte zustoß en, tief …

Ein Verzweiflungsschrei entfuhr ihr. Aycelin hatte sie brutal herumgedreht und ihr die Waffe entrissen. Sie glaubte sich verloren. Doch in der Folterkammer geschahen jetzt einige merkwü rdige Dinge. Ihrem Schrei hatten Schreckensrufe der Grä fin und ihrer Ehrendame geantwortet … Wie im Traum sah Cathé rine sie kreischend aneinandergeklammert, wä hrend die drei Folterknechte sich mit den Bewaffneten herumschlugen.

Verblü fft stellte die Verurteilte fest, daß sie gute Arbeit leisteten. Aycelin hatte den Cathé rine entrissenen Dolch schon in die Kehle eines der Soldaten gestoß en. Seine beiden Gehilfen fochten bereits mit Degen, die sie, man wuß te nicht, woher, zum Vorschein gebracht hatten. Der Kampf war kurz, die Folterknechte handhabten ihre Waffen mit diabolischer Fertigkeit. Bald lagen vier Leichen auf den abgewetzten Fliesen, und zwei der Angreifer richteten ihre Degenspitzen auf die bloß en Kehlen der beiden Frauen.

»Banditen! « brü llte die Grä fin. »Kanaillen! Was wollt ihr? «

»Nichts Besonderes von Euch, edle Dame«, sagte Aycelin unter seiner Kapuze mit der gedehnten Stimme Tristan l'Hermites. »Nur Euch daran hindern, ein weiteres Verbrechen zu begehen. «

»Wer seid Ihr? «

»Gestattet mir, Euch zu sagen, daß Euch das nichts angeht … Fertig, ihr andern? «

Der eine der Folterknechte hatte Cathé rine aufgehoben, wä hrend ein anderer, der einen Augenblick verschwunden war, mit Sara wiederkehrte. Die beiden Frauen fielen sich wortlos in die Arme. Sie waren unfä hig zu sprechen, so sehr schnü rte ihnen die Erregung die Kehle zu.

Ohne seine Gefangenen aus den Augen zu lassen, befahl Tristan:

»Knebelt diese edlen Damen, und zwar fest! Dann sperrt jede in eine Einzelzelle! «

Der Befehl wurde mit bewundernswerter Schnelligkeit ausgefü hrt. Die wutschnaubende Dame de La Tré moille und Violaine verschwanden in ihre Kerker.

»Ich wü rde ihnen gern die Kehle durchschneiden«, meinte Tristan, »aber sie haben noch ihre Rolle zu spielen. Ohne seine Frau ginge La Tré moille zweifellos nicht nach Chinon! «

Wä hrend er noch sprach, nahm er die Kapuze Aycelins ab, die er sich geborgt hatte, und ging mit einem breiten Lä cheln auf Cathé rine zu.

»Ihr habt gut gearbeitet, Dame Cathé rine. Jetzt ist es an uns, Euch hier herauszubringen! «

»Was habt Ihr mit Aycelin gemacht? «

»Der schlä ft augenblicklich seinen Rausch aus, den er sich mit dem mit einem Schlafmittel versetzten Wein angetrunken hat, um sich Mut fü r Eure Folterung zu machen. «

»Aber die anderen Folterknechte? Wer sind sie? «

»Ihr werdet sehen! «

Eben kamen die beiden Knechte zurü ck und nahmen wie auf Befehl gleichzeitig die Kapuzen ab. Plö tzlich feuerrot geworden, erkannte Cathé rine Pierre de Bré zé, aber der andere – ein brauner, stä mmiger, vierschrö tiger Mann mit intelligentem Gesicht – war ihr unbekannt. Der junge Seigneur kniete, als sei es die natü rlichste Stunde und der natü rlichste Ort der Welt, vor Cathé rine nieder und kü ß te ihr die Hand.

»Wenn ich Euch nicht hä tte retten kö nnen, wä re ich jetzt tot, Cathé rine. «

Mit einer spontanen Bewegung streckte sie ihre Hä nde nach ihm aus und umschloß sein Gesicht mit einer leidenschaftlichen Gebä rde.

»Wie ich Euch Dank schulde, Pierre … Wenn ich bedenke, daß ich eben noch an Gott und den Menschen verzweifelte! «

»Ich wuß te, daß Ihr Euch mit dem Dolch vor der Folter tö ten wü rdet«, sagte Tristan, damit beschä ftigt, den toten Soldaten die Uniformen auszuziehen. »Ich habe Euch ü berwacht und fü rchtete, daß Ihr den Todesstoß zu frü h ausfü hren wü rdet. «

Sara war vor Freude in Schluchzen ausgebrochen, als sie Cathé rine wiedergefunden hatte, aber nun faß te sie sich allmä hlich. Mit dem Ä rmel ü ber ihre Augen wischend, fragte sie:

»Wir sind noch nicht drauß en. Was machen wir jetzt? «

»Ihr und Cathé rine, desgleichen Tristan, werdet die Uniformen der Soldaten anziehen. Ich und Jean Armenga, den ich Euch hiermit als Stallmeister Ambroise de Lores vorstelle, wir werden wieder unsere ü bliche Kleidung anlegen«, sagte Bré zé. »Darauf gehen wir in den Hof hinaus. Neben dem Tor stehen schon die gesattelten Pferde. Wir steigen auf, und ich setze mich an die Spitze des Trupps, um Euch aus dem Schloß herauszufü hren. Ich habe einen Passierschein. «

»Wer hat Euch den gegeben? La Tré moille? « fragte Cathé rine lä chelnd.

»Nein. Die Kö nigin Marie. Sie ist eine der Unsrigen … und viel weniger langweilig, als man glaubt. Ich fü hre Euch bis zur Grenze des Gebiets von Amboise, dann kehren wir, Armenga und ich, ins Schloß zurü ck, wä hrend Ihr Euren Weg fortsetzt. Die Dame wird sich mit ihrem Los inzwischen abgefunden haben, aber wir mü ssen uns jetzt beeilen! Man weiß nicht, was noch alles passieren kann. Ich darf Euch bitten, Euch umzukleiden, Cathé rine, und auch Euch, gute Dame! «

Schon schnü rte Cathé rine ihr Kleid auf und drä ngte Sara zur Eile, die schon bei dem Gedanken, sich in Mä nnerhosen zwä ngen zu mü ssen, knurrte, denn das verabscheute sie ü ber alles. Aus einer Truhe fö rderten die drei Mä nner die Kleidungsstü cke zutage, die Bré zé und der Stallmeister dort versteckt hatten, wä hrend Cathé rine und Sara sich in den Schatten zurü ckzogen, um ihre Kleidung zu wechseln. Es ging sehr schnell. Sie begnü gten sich mit dem enganliegenden Lederwams und ließ en die schweren Kettenhemden zurü ck. Die mit dem kö niglichen Wappen versehenen Ü berhä nge wü rden genü gen, um die Illusion zu vervollstä ndigen. Die Helme, die Hals‑ und Schulterpanzerung und die festen Schuhe, viel zu groß natü rlich, waren schon unfö rmig genug …

Als Pierre de Bré zé sie so ausstaffiert wiedererscheinen sah, konnte er sich eines Lachens nicht enthalten.

»Ein Glü ck, daß es Nacht sein wird … und daß andere Kleider Euch zwei Meilen von hier erwarten werden. So wü rdet ihr nicht weit kommen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. «

»Wir werden unser Bestes tun«, sagte Sara. »So einfach ist das nicht! «

Inzwischen trat Pierre auf Cathé rine zu und nahm eine ihrer Hä nde in die seinen. Tiefe Bewegung zeigte sich in seinem klaren Blick.

»Wenn ich dran denke, daß ich Euch sofort verlassen muß, Cathé rine! Ich wü rde so gern ü ber Euch wachen! Aber ich muß im Schloß bleiben … Man wü rde meine Abwesenheit bemerken und sich darü ber wundern. «

»Wir werden uns wiedersehen, Pierre, in Chinon! «

»Ihr werdet euch nie wiedersehen, wenn ihr euch nicht beeilt! « wandte Tristan ein. »Vorwä rts … Geht voraus, Messire! «

Pierre de Bré zé und der Stallmeister setzten sich an die Spitze des kleinen Trupps. Vorsichtig nahm man die abschü ssige Treppe, die zur Wachstube fü hrte. Trotz des Gewichts ihrer Ausrü stung, die schwer auf ihr lastete, glaubte Cathé rine, ihr Herz singen zu hö ren. Noch nie hatte sie sich so erleichtert, so glü cklich gefü hlt! Obwohl sie dem Tod schon so nahe ins Angesicht geblickt hatte, wü rde sie weiterleben … Gab es ein wunderbareres, berauschenderes Gefü hl? … Ihre viel zu groß en Stiefel glitten auf den feuchten, ausgetretenen Stufen aus. Sie stolperte, tat sich weh, aber sie achtete nicht darauf … Es kam ihr nicht einmal der Gedanke, daß sie sich mö glicherweise der langen, schweren Pike wü rde bedienen mü ssen, die sie mitschleppte … Es schien ihr, als brauche sie nichts anderes zu tun, als nur Pierre de Bré zé zu folgen. Den blanken Degen in der Hand, ging er voran. In der Wachstube waren zunä chst zwei Soldaten auß er Gefecht zu setzen …

Es wurde schnell und lautlos erledigt. Geknebelt und gefesselt wurden die Soldaten auf den Boden gelegt.

»Jetzt hinaus! « sagte Pierre. »Und mö glichst ohne viel Gerä usch! «

Im Hof brannten nur einige wenige Feuertö pfe, die zu nichts dienten, als die Nacht noch schwä rzer erscheinen zu lassen. Doch kaum aus dem Turm getreten, hob Cathé rine in einem Gefü hl der Dankbarkeit die Augen gen Himmel. Er sah wie dunkler Samt aus, den die fahlen Streifen der Milchstraß e durchzogen. Nie war ihr die Luft sü ß er und kö stlicher vorgekommen … Von Tristan und Sara flankiert, sah sie vor sich die breiten Schultern Pierres, der voranschritt. Er hatte den Degen in die Scheide geschoben, aber die Waffe war jederzeit griffbereit … Jean Armenga bildete den Schluß. Er ging dicht hinter ihr, vielleicht um zu verhindern, daß den auf der Mauer wachenden Soldaten ihre fü r einen Kriegsmann ungewö hnlich kleine Statur auffiel. Man kam nah am Schloß turm vorü ber, vor dessen Pforte zwei schwer auf ihre Piken gestü tzte Soldaten vor sich hin dö sten, und Cathé rine hob instinktiv die Augen zu den Stockwerken empor. Bei Gilles de Rais war alles dunkel, doch bei La Tré moille brannten Kerzen … Das Goldfieber schien den dicken Mann wach zu halten … Die Aufregung des Tages war einer tiefen Ruhe gewichen. Die Anwesenheit der Kö nigin hatte den zu lauten Vergnü gungen eine Grenze gesetzt, und die Reisevorbereitungen hatten jedermann ermü det … Der riesige Hof war leer, mit Ausnahme der Zugä nge zu den Wachstuben, wo man die Umrisse einiger Soldaten bemerkte. Im Gehen flü sterte Cathé rine Tristan zu:

»Diese Soldaten da drü ben … werden sie uns nicht festnehmen? «

»Das wü rde mich wundern. Es sind Wachen der Kö nigin, die wir heute abend auf Posten ziehen ließ en. Ich weiß nicht, was Ihr La Tré moille erzä hlt habt, aber Ihr habt ihn derart aus der Fassung gebracht, daß alles heute nacht im Schloß kopfsteht. «

»Wird unsere Flucht nicht zur Folge haben, daß er seinen Entschluß, nach Chinon zu gehen, wieder umwirft? «

»Bestimmt nicht! Er wird annehmen, dies sei das Werk Eurer Zigeunerbrü der. Die Dame de La Tré moille hat unsere Gesichter nicht gesehen, wenn Ihr Euch erinnert, und der Gedanke, daß man sie eine Nacht in den Kerker gesperrt hat, wird ihrem zä rtlichen Gatten durchaus nicht miß fallen! «

»Still! « befahl Pierre de Bré zé. Sie nä herten sich jetzt dem Torgewö lbe und der Wachstube. Das Fallgatter und die Zugbrü cke muß ten noch ü berwunden werden, aber Cathé rine hatte keine Angst mehr. Der Mann, der vor ihr herging, muß te ihr Schutzengel sein. Unter seiner Obhut, dessen war sie sicher, konnte ihr nichts Bö ses geschehen …

Pferde standen, neben dem Brunnen angebunden, bereit, und Cathé rine fragte sich besorgt, ob es ihr je gelingen wü rde, sich in ihrer schweren Ausrü stung in den Sattel eines dieser Tiere zu schwingen. Aber Bré zé hatte auch das vorausgesehen. Wä hrend er sich allein den Bogenschü tzen der Wache nä herte, um mit ihnen zu sprechen, nahm Jean Armenga Cathé rines Pike, lehnte sie gegen die Mauer, dann faß te er die junge Frau um die Taille, hob sie leicht wie eine Feder und setzte sie in den Sattel. Danach, diesmal jedoch von Tristan unterstü tzt, wiederholte er die Prozedur mit Sara. Eine unbä ndige Lust zu lachen ü berkam Cathé rine, als sie sich die Ü berlegungen der Posten ausmalte, falls sie hä tten sehen kö nnen, wie ein Herr zwei einfachen Soldaten so zuvorkommend in den Sattel half. Aber es war sehr dunkel in der Ecke des Brunnens … Plö tzlich hö rte sie die Stimme Pierres.

»Ö ffnet lediglich das Ausfalltor, wir sind nur zu fü nft, im Dienste der Kö nigin! «

»Zu Befehl, Monseigneur! « antwortete jemand.

Langsam hob sich unter den aufmerksamen Augen Cathé rines das kleine Fallgatter, die leichte Brü cke senkte sich. Offensichtlich hatte Pierre den rasselnden Lä rm der Hauptbrü cke vermeiden wollen … Jetzt bestieg auch der junge Mann sein Pferd.

»Vorwä rts! « befahl er, als erster unter dem Gewö lbe durchreitend.

Die drei falschen Soldaten folgten ihm. Als Cathé rine und Sara die vom Wachkorps freigegebene Zone durchquerten, drü ckten sie die Helme, so tief sie konnten, ins Gesicht und bemü hten sich, die lä ssige Haltung von Mä nnern nachzuahmen … Unwillkü rlich machten sie sich auf einen Ruf, einen Protest, vielleicht sogar auf einen Scherz gefaß t. Aber nichts dergleichen … Und plö tzlich gab es vor ihnen keine Schranken, kein Hindernis mehr, nichts als den groß en, mit Sternen ü bersä ten Himmel, unter dem die Schieferdä cher der Stadt und die groß e Wasserader des Stroms zart glitzerten … Trunken vor Begeisterung, atmete Cathé rine die Nachtluft ein, fü llte sich die Lungen und schmeckte sie wie einen kö stlichen Likö r. Er war so gut, dieser leise Wind, der den Duft der Rosen und des Geiß blattes mit sich trug, nach den ekelhaften Dü nsten des Kerkers und dem widerlichen Parfü m der Grä fin …

Wieder hö rte sie die Stimme Bré zé s, der den Posten des Fallgatters zurief:

»Schließ t noch nicht! Ich komme in ein paar Minuten zurü ck! Diese Leute sind Verstä rkung fü r das Sü dtor … Auf, im Galopp, Leute! «

Die Zufahrtsrampe wurde in sausendem Tempo bewä ltigt. Die fü nf Reiter galoppierten an den felsigen Auß enwerken des Schlosses entlang, um zu dem befestigten Tor zu gelangen, das die Stadt gegen den nahen Wald schü tzte. Im schlafenden Amboise rü hrte sich nichts … nur hin und wieder war der durchdringende Schrei einer Katze auf Freiersfü ß en auf einem Dach oder das Gebell eines aufgestö rten Hundes zu hö ren.

Der Passierschein Bré zé s ö ffnete ihm das Stadttor, wie er ihm die Schloß pforte geö ffnet hatte, und auch diesmal unterrichtete er die Wachen, daß er zurü ckkä me. Jetzt war es ein Forsthaus, zu dem er seine Soldaten fü hrte. Der Leutnant, der am Tor das Kommando hatte, erhob keine Einwä nde. Endlich ö ffnete sich die groß e Straß e vor den Flü chtigen …

Man ließ die Pferde im Schritt gehen. Der Weg stieg zu dem dichten schwarzen Waldgelä nde an. Solange man sich noch nicht im Schutz der Bä ume befand, ritten sie schweigend dahin. Aber kaum hatte das dichte Unterholz sich hinter ihnen geschlossen, als Pierre de Bré zé auch schon die Hand hob und sich vom Pferd schwang.

»Hier werden wir uns trennen«, sagte er. »Ihr werdet allein weiterreiten, denn Armenga und ich kehren ins Schloß zurü ck. Wir mü ssen an der Seite der Kö nigin sein, wenn sie Amboise verlä ß t. Und was Euch betrifft …«

»Ich weiß «, unterbrach Tristan. »Wir reiten bis zum Kastell Mesvres, zwei Wegstunden von hier, wo wir erwartet werden. «

Im Wald herrschte Dunkelheit, doch ein fahler Schein der noch schmalen Mondsichel drang in die Schneise, auf der die Reisenden hielten. Er genü gte Cathé rine, um die blitzenden Zä hne Bré zé s zu erkennen. Er lä chelte.

»Ich hä tte wissen mü ssen, Sire Tristan, daß Ihr niemals etwas vergeß t! Ich vertraue Euch also Dame Cathé rine an. Ihr wiß t, wie teuer sie mir ist und wie kostbar ihre Sicherheit. Das Kastell Mesvres gehö rt meinem Vetter Louis d'Amboise. Ihr habt nichts zu befü rchten. Ihr kö nnt Euch dort ausruhen, erholen und diesen Damen die ihrem Rang zukommende Kleidung verschaffen. «

Um alles in der Welt hä tte Cathé rine nicht erklä ren kö nnen, welches Gefü hl sie trieb, auf Pierre zuzugehen und ihn ä ngstlich zu fragen:

»Wohin reiten wir dann, Messire Pierre? Wo werden wir uns wiedersehen? Kann ich jetzt nach Chinon? Ich will das Ende La Tré moilles miterleben. «

Er beugte sich zu ihr hinunter, nahm ihr den schweren Helm ab, der sie drü ckte, und warf ihn in ein Dickicht:

»So sehe ich wenigstens Euer sü ß es Gesicht, bevor ich Euch verlassen muß! Sicher geht Ihr nach Chinon, wo Kö nigin Yolande mit ihrem Schwiegersohn zusammentreffen wird. Nach Eurem Erfolg werdet Ihr sie, wenn alles vorbei ist, dort wiederfinden. Gewiß kö nntet Ihr auch zu ihr nach Angers gehen, aber Ihr werdet mü de sein. In Chinon werdet Ihr Euch ausruhen. Geht in die Herberge ›Zum Kreuz des Groß en Saint‑ Mexme‹ gleich neben dem Grand Carroi. Sagt, ich schicke Euch, und der Wirt wird Euch zu Fü ß en liegen. Er ist gut und ein treuer Untertan des Kö nigs, und da er einst die Jungfrau von Orlé ans beherbergt hat, wird er sich im Andenken an sie besonders anstrengen. Bittet Meister Agnelet um Diskretion, und Ihr werdet keine Seele zu Gesicht bekommen. Eure Trauerkleidung ü brigens wird Euch Achtung und Ungestö rtheit verschaffen …«

Es folgte ein Schweigen, so tief, daß Cathé rine und Pierre ihre Herzschlä ge hä tten hö ren kö nnen … Die anderen hatten sich taktvoll ein wenig zurü ckgezogen. Sie warf ihm einen strahlenden, dankbaren Blick zu und reichte ihm ihre Hä nde, die er kniend ergriff wie vor kurzem in der Folterkammer.

»Danke, mein Ritter«, murmelte Cathé rine, von ihrer Erregung erstickt. »Vielen Dank fü r alles! Wie kann ich Euch sagen, was ich in diesem Augenblick empfinde? Es wü rde so vieler Worte bedü rfen, die mir jetzt fehlen. «

»Meine sü ß e Dame, mich leitet nur meine Liebe zu Euch! … Wenn Ihr ums Leben gekommen wä ret, hä tte es meinen Tod bedeutet! Sucht nicht nach Worten …«

Er preß te die Lippen auf beide Hä nde, worauf Cathé rine sich lebhaft niederbeugte und einen Kuß auf das kurze blonde Haar des jungen Mannes drü ckte. Dann zog sie sanft ihre Hä nde zurü ck.

»Auf bald, Messire! Und Gott schü tze Euch! Steht mir bei, Herr Junker. «

Sie wandte sich zu Armenga, der ihr wieder in den Sattel half. Auch ihm sagte sie Dank, was er mit einem verbindlichen Lä cheln quittierte. Sara und Tristan nä herten sich. Sie hob die Hand, grü ß te Pierre frö hlich, der sie nicht aus den Augen ließ.

»Wenn wir uns wiedersehen, bin ich wieder Cathé rine geworden«, sagte sie freudig. »Vergeß t die Zigeunerin so schnell wie mö glich … so schnell, wie ich sie vergessen will. Nochmals vielen Dank Euch beiden! «

Die Schneise ö ffnete sich in einen lichten Graben zwischen den schwarzen Mauern des Waldes. Er schien ins Unendliche zu fü hren. Tristan und Sara auf den Fersen, gab Cathé rine ihrem Pferd die Sporen und jagte im Galopp dem Horizont zu.

 



  

© helpiks.su При использовании или копировании материалов прямая ссылка на сайт обязательна.