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Neuntes Kapitel



 

Die Art, wie man sie unterbrachte, gab Cathé rine eine ungefä hre Vorstellung von dem Wert, den der Groß kä mmerer ihrer Person beimaß. In eins der Tü rmchen gebracht, die den groß en Schloß turm flankierten, sah sie zunä chst nur ein riesiges, mit Vorhä ngen aus roter Serge versehenes Bett, das den grö ß ten Teil des kleinen Raums einnahm, der durch ein schmales Fenster Licht bekam. Cathé rine wurde ä uß erst vorsichtig auf die weichen Matratzen gelegt und sodann in der Obhut der beiden Alten gelassen, was ihr keineswegs Vergnü gen bereitete. Immer war eine von ihnen im Zimmer, zu Fü ß en des Bettes kauernd, unbeweglich und stumm wie ein Stein.

Bald entdeckte die junge Frau auch den Grund ihrer Schweigsamkeit. Die beiden Frauen, offensichtlich Zwillinge, waren stumm. Man hatte ihnen vor langer Zeit die Zunge herausgeschnitten, um sie ein fü r allemal ihrer Verschwiegenheit zu versichern. Sie waren griechischer Herkunft, wie La Tré moille Cathé rine berichtete, ohne sich jedoch darü ber auszulassen, auf welchen dunklen Wegen diese Frauen vom Sklavenmarkt Alexandriens an den Hof Karls VII. gekommen waren. Der Groß kä mmerer hatte sie beim Schachspiel vor vielen Jahren vom Prinzen von Oranien gewonnen. Seitdem dienten Chryssoula und Nitsa ihm treu und folgten ihm selbst auf den verwickeltsten Pfaden seines Lebens. Sie waren immer die Wä chterinnen der Frauen, die La Tré moille zu sich nahm oder sich reservierte. Sie ä hnelten sich derart, daß Cathé rine sie nach fü nf Tagen immer noch nicht auseinanderzuhalten vermochte.

Die unablä ssige Anwesenheit dieser Frauen wurde ihr lä stig. Sie hä tte diesen schweigenden Schatten mit ihren verschlossenen Gesichtern, in denen nur die Augen Leben zeigten, hundertmal vö llige Einsamkeit vorgezogen. Auß erdem fü hlte sich Cathé rine unbehaglich, wenn sich der Blick ihrer jeweiligen Wä chterin auf sie richtete, und die Freude, die sie beim Anblick Tristans im Plunderstaat eines Lakaien empfunden hatte, war lä ngst gewichen. Sie hatte gehofft, daß er in den folgenden Stunden zu ihr kommen wü rde, aber abgesehen von La Tré moille hatte kein Mann die Schwelle ihrer winzigen Kammer ü berschritten. Einzig die beiden alten Griechinnen schienen die Erlaubnis dazu zu haben.

Die zweimal tä glichen Besuche des Groß kä mmerers waren fü r die junge Frau ebenso lä stig. Er war zu ihr von einer Liebenswü rdigkeit, die sie um so mehr anekelte, als sie gezwungen war, mit gleicher Liebenswü rdigkeit zu antworten, hö chstens noch demü tiger, wie es einem armen Vagabundenmä dchen zustand. Sie zwang sich, im Bett liegenzubleiben und sich viel schwä cher und krä nker zu geben, als sie in Wirklichkeit war, weil sie Angst hatte, daß er sie daran erinnern kö nnte, »zä rtlich« zu ihm zu sein. Die bloß e Vorstellung eines intimen Kontakts mit diesem Fettkloß verursachte ihr Ü belkeit. Sie wollte sein Verderben, sie wollte mit aller Macht ihres Hasses Arnaud, die ihren und sich selbst an diesem Tyrannen ohne Grö ß e rä chen, der sie ins Elend gebracht hatte und das Kö nigreich nach seinem Gefallen lenkte. Die Ü berwindung, zu der sie sich jeden Tag zwingen muß te, um nichts von ihren wahren Gefü hlen zu zeigen und zu lä cheln, war ü bermenschlich. Um es zuwege zu bringen, muß te sie den Augenblick beschwö ren, fü r den sie diese vielen Monate gelebt hatte, den Moment, in dem ihr Feind ihr endlich ausgeliefert wä re. Und so kam es, daß sie in sich neue Energiequellen entdeckte. Aber eins hatte sie sich am Morgen nach jener hö llischen Nacht mit Gilles de Rais geschworen: Selbst um ihren Auftrag zum guten Ende zu fü hren, selbst um La Tré moille nach Chinon zu locken, wü rde sie sich nicht so weit erniedrigen, sich diesem zutiefst korrupten Wesen hinzugeben, dessen Kö rperlichkeit sie abstieß. Wenn es ihr nicht gelä nge, ihn sich fernzuhalten, bevor sie ihn ü berredet hä tte, Amboise zu verlassen und nach Chinon zu gehen, hatte Cathé rine beschlossen, La Tré moille zu tö ten, auch auf die Gefahr hin, dafü r hingerichtet zu werden. Zumindest wü rde man sie nicht dem Henker ü bergeben, ohne sie zuvor anzuhö ren.

Doch um zu tö ten, brauchte man eine Waffe, und Waffen besaß sie nicht. Insgeheim hoffte sie darauf, daß Tristan ihr eine zustecken wü rde, aber dazu mü ß te er die Mö glichkeit finden, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.

Alle diese Gedanken plagten die junge Frau in den langen Stunden der Unbeweglichkeit hinter den roten Bettvorhä ngen. Die Gerä usche des Schlosses – die Rufe der Posten, die Ablö sung der Wachen, die Stimmen der Dienerinnen, militä rische Befehle, galoppierende Pferde, Widerhall von Musik – waren die einzigen Ablenkungen Cathé rines, die sich zu Tode langweilte. Die ganze ü brige Zeit starrte sie auf eine Statue des Erzengels Michael, die auf einem kleinen Tisch gegenü ber ihrem Bett stand, und wunderte sich, eine so fromme Statue in dem Zimmer vorzufinden, das La Tré moille seinen kurzlebigen Liebschaften vorbehielt.

Doch dieses reduzierte Leben hatte auch sein Gutes. Es gestattete Cathé rine, ihre Krä fte wiederzugewinnen. Einer erzwungenen Ruhe unterworfen, gut genä hrt und sorgsam gepflegt, fand sie sehr schnell ihre alte Vitalitä t wieder.

Als der sechste Tag anbrach, entschied sie, daß es jetzt Zeit sei zu handeln. Ein kleiner Vorfall erinnerte sie daran, daß es endlich galt, die Dinge beim Schopf zu packen. Wie sie es an jedem Morgen um die Stunde zu tun pflegte, in der die Schloß bewohner ihr erstes Mahl einnahmen, das heiß t also nach der Morgenmesse, brachte die alte Chryssoula (oder war es vielleicht Nitsa? ) Cathé rine etwas zur Erfrischung: ein Gericht gebratener Tä ubchen, einen Krug Wein und ein Brot, in welchem Cathé rine einen winzigen Streifen zusammengerollten Pergaments fand.

Schnell ließ sie das Rö llchen verschwinden, um es vor den scharfen Augen der Alten zu bewahren, und zog es erst hervor, als ihre Wä chterin mit dem leeren Geschirr wieder hinausgegangen war. Das Billett enthielt nur drei Worte, aber so drohend in ihrer Prä gnanz, daß Cathé rine zusammenfuhr. »Vergiß Sara nicht! « stand da geschrieben, und sie begriff, daß es von Gilles de Rais kam, daß der Herr Blaubart die Geduld verlor und in seiner Gier, den fabelhaften Diamanten zu besitzen, gefä hrlich werden konnte. Was war zu tun, um Sara seinen Klauen zu entreiß en? Den Diamanten stehlen? Cathé rine hä tte es gern getan, wenn es sich lediglich darum gehandelt hä tte, Sara zu retten. Aber sie muß te im Schloß bleiben, und auß erdem hatte sie keine Ahnung, wo La Tré moille das Juwel aufbewahrte. La Tré moille um die Freilassung Saras bitten? Gewiß, das wä re ohne Zweifel leicht, denn der dicke Kä mmerer schien sehr bereit, ihr zu Gefallen zu sein. Hatte er ihr nicht am Abend zuvor eine schö ne Goldkette gebracht und ihr zu verstehen gegeben, daß die Zahl und Schö nheit der Geschenke, die sie erhalten werde, von ihrem Entgegenkommen abhä ngen wü rde? Aber wü rde Gilles de Rais, wenn man ihm Sara mit Gewalt entrisse, sich nicht rä chen, indem er die wahre Identitä t Cathé rines verriete, die von diesem Augenblick an nichts mehr retten kö nnte?

Ihre Turmkammer und das Eingesperrtsein wurden ihr plö tzlich unerträ glich. Sie hielt es nicht mehr lä nger im Bett aus, und als die Alte zurü ckkam, fand sie sie aufgestanden vor.

»Zieh mich an! « befahl Cathé rine. »Ich will hinausgehen! «

Die Alte starrte sie unglä ubig an, schü ttelte dann den Kopf und deutete auf die einzige Tü r der Kammer, die direkt in das riesige, runde Gemach fü hrte, das La Tré moille bewohnte. Cathé rine begriff, daß ihre Wä chterin nichts ohne Befehl tun wü rde.

»Dann geh und hole den Herrn! « sagte sie trocken. »Sag ihm, daß ich ihn sprechen mö chte. «

Die Bestü rzung der Frau erweckte nicht das geringste Mitleid in Cathé rine, die nun auf sie zutrat.

»Ich bin stä rker als du«, sagte sie in drohendem Ton zu ihr. »Wenn du den Herrn nicht holst, schwö re ich dir, daß ich hinausgehen werde, ob du's willst oder nicht. Und zwar im Hemd, wenn's sein muß! «

Cathé rines entschlossene Miene gab den Ausschlag bei der Alten. Sie machte der jungen Frau ein Zeichen zu warten und verschwand eiligst durch die Tü r, die sie vorsorglich hinter sich abschloß. Wä hrenddessen trat Cathé rine an das kleine Fenster, stellte sich auf die Zehenspitzen und spä hte hinaus. Von ihrem Bett aus, ü ber das sich nun ein schmaler Streifen Sonnenlichts zog, hatte sie nur eine Ecke des Himmels sehen kö nnen, wunderbar, tiefblau, und die Luft, die durch den kleinen Spitzbogen hereindrang, war sü ß und mild.

Von ihrem neuen Beobachtungsposten aus konnte sie einen glitzernden Zipfel des Flusses, ein wenig grü nes Gras und einige Bä ume der Insel Saint‑ Jean erhaschen. Ein Vogel flitzte in schnellem Flug ü ber den Himmel, und Cathé rine befiel eine wahnwitzige Lust, der dü steren Festung zu entkommen und sich diesem herrlichen Frü hling ans Herz zu werfen, ihre plö tzlich wiedererwachte Jugend verlangte gebieterisch ihr Recht und fegte fü r einen einzigen kleinen Augenblick alle Gedanken an Rache, an ihre Aufgabe und an die Sorgen der kommenden Tage hinweg. Oh, nur ein Hä uschen am Ufer eines groß en Flusses besitzen, mit einem blü henden Garten davor, und dort mit ihrem Sö hnchen und dem Vielgeliebten ruhig leben! Warum war dieses einfache Los, das so vielen Frauen beschieden war, ihr fü r immer verwehrt?

Die Rü ckkehr der Alten schnitt Cathé rines tristen Gedankenfluß ab. Sie trug Kleider auf den Armen. Ein Diener begleitete sie, und Cathé rine zuckte vor Freude zusammen, als sie Tristan erkannte.

»Der Herr kann nicht kommen«, sagte er in sachlichem Ton, ohne die junge Frau ü berhaupt anzusehen. »Er erlaubt, daß du dich anziehst und hinuntergehst, um ein paar Schritte im Hof spazierenzugehen. Aber Chryssoula muß dich begleiten. Du muß t unter ihrer Bewachung bleiben und wieder hineingehen, sobald sie es dir befiehlt. « in die trä ge Stimme des Flamen schlich sich eine Drohung: »Gib wohl acht zu gehorchen, Zigeunerin, denn es bekommt einem schlecht, wenn man dem Herrn ungehorsam ist! «

Cathé rine legte alle wü nschenswerte Demut in ihre Haltung und erwiderte bescheiden.

»Ich werde gehorchen, Messire. Der Herr ist gut zu mir. Hat er sonst nichts gesagt? «

Ihre bittenden blauen Augen kreuzten den grauen, unbeweglichen Blick Tristans und gewahrten in ihm ein schnelles Aufleuchten.

»Doch. Er hat groß e Freude ü ber deinen Wunsch bekundet, wieder ein normales Leben zu fü hren. Er lä ß t dir sagen, daß heute abend ein Fest beim Kö nig stattfindet, daß du aber zweifellos noch zu schwach seist, um vor dem Hof zu tanzen. Dafü r wird der Herr heute nacht nach dem Fest kommen, um sich selbst von deiner glü cklichen Gesundung zu ü berzeugen! «

Ein unangenehmer Schauder glitt ü ber Cathé rines Haut. Sie hatte verstanden. Heute abend wü rde La Tré moille kommen, um die Rechte zu fordern, die er auf sie zu haben glaubte. Und da er nach einer langen, lustigen Abendgesellschaft kä me, wü rde er betrunken sein, das war mehr als sicher, und infolgedessen fü r Verhandlungsversuche nicht ansprechbar. Die Aussicht hatte nichts Verfü hrerisches an sich, und Cathé rine spü rte, wie sich ihre Kehle zusammenzog. Inzwischen schritt Tristan, steif und hochmü tig, wie es sich fü r den Bediensteten eines groß en Hauses gehö rte, der gezwungen war, sich mit niederem Volk abzugeben, zur Tü r. Im Augenblick des Hinausgehens wandte er sich um und sagte, die Hand am Tü rflü gel, lä ssig:

»Ach, ich vergaß! Man hat deine persö nlichen Sachen in den Almosenbeutel der Robe getan. Monseigneur ist zu gü tig zu einem Mä dchen deiner Sorte. Er hat darauf bestanden, daß man dir alles zurü ckgibt, was dir gehö rt! «

Die Anwesenheit Chryssoulas hinderte Cathé rine daran, sich sofort ü ber die Kleider herzumachen und den Almosenbeutel zu durchsuchen. Alles, was ihr gehö rte? Aber sie hatte doch nichts gehabt auß er einem zerrissenen Hemd, als sie zu Gilles de Rais gekommen war? Abgesehen von den beiden Flä schchen Guillaumes des Malers natü rlich, die sie in einer Tasche auf der Innenseite besagten Hemdes trug und die sie nach ihrem Bad in den weiß ‑ grü nen dalmatinischen Umhang gesteckt hatte, den man ihr gegeben hatte und den sie immer noch besaß. Wovon sprach Tristan also?

Nach einem behutsamen Reinigungsprozeß, denn sie hatte den Eindruck, daß ihr Teint seit einigen Tagen etwas heller wurde und helle Stellen sich an ihren Haarwurzeln zeigten, schlü pfte sie in die Kleider, die Chryssoula ihr reichte und die einfach und proper, aber nicht unelegant waren. Eine Robe aus grauem Barchent, ein Hemd aus feinem Linnen, ein plissierter Brustschleier und eine Haube aus weiß em Linnen, ein Gü rtel und ein ziemlich groß er Almosenbeutel aus Leder, der Cathé rine seltsam prall vorkam. Offenbar wollte La Tré moille nicht, daß sie auffiel. Sie sollte sich unter die Dienerinnen mischen und in nichts die Aufmerksamkeit der Schloß bewohner erregen.

Als sie den Almosenbeutel an den um ihre Hü ften geschnallten Gü rtel hä ngte, zitterten Cathé rines Finger ein wenig. Sie verging fast vor Neugier, um so mehr, als die Dicke des Leders es ihr unmö glich machte zu erspü ren, was drin war. Aber eine kleine Willensanstrengung genü gte, um sich vorzeitige Nachforschungen zu versagen. Sie nahm statt dessen den weiten, ä rmellosen Mantel aus feiner schwarzer Wolle, der als letztes ihrer Ausstattung hinzugefü gt worden war, legte ihn sich um die Schultern und gab Chryssoula ein Zeichen, daß sie fertig sei. Die Alte ö ffnete die Tü r und ging vor ihr her durch das riesige, prä chtige Gemach des Groß kä mmerers, einen wahren Tempel aus Gold, in dem selbst die Bettvorhä nge und die Kissen der Sessel im Widerschein des magischen Metalls glä nzten. Dann traten sie auf die schmale Treppe des Schloß turms hinaus.

Dort war es dü ster, und im Schutze ihres Mantels durchsuchte Cathé rine hastig den Almosenbeutel. Er enthielt ein Taschentuch, einen Rosenkranz, einige Geldstü cke; dann entdeckten ihre Finger eine kleine Pergamentrolle und schließ lich einen Gegenstand, der sie vor Freude erbeben ließ, so daß sie zwei‑, dreimal darü ber hinstrich, um sich zu vergewissern, daß sie sich nicht irrte: ein Dolch! Der Sperberdolch der Montsalvys! Arnauds Dolch, den sie bei ihren Mä nnerkleidern hatte lassen mü ssen! Inbrü nstiger Dank stieg in Cathé rines Herz fü r Tristan auf. Er hatte an alles gedacht! Er wachte wirklich gut ü ber sie und hatte erraten, daß sie lieber zustoß en wü rde, als sich dem Groß kä mmerer hinzugeben!

Mit beschwingten Schritten stieg sie die letzten Stufen der dunklen Treppe hinter Chryssoula hinab, die wie eine Maus vor ihr her trippelte. Sie war frei! Frei, zu leben oder zu sterben, frei, zu tö ten oder Gnade walten zu lassen! Als sie auf den Hof hinaustrat, sandte sie einen triumphierenden, frohen Blick zum weiten, heiteren Himmel empor, jetzt hatte sie das Mittel, ihren Feind zu schlagen, ihre Rache zu kü hlen! Was spielte es fü r eine Rolle, was danach mit ihr geschah?

Aber sie schwebte noch nicht hoch genug in den Wolken, um nicht brennend gern wissen zu wollen, was in diesem Pergamentrö llchen stand. Zweifellos hatte Tristan ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Wie fing man es an, die Botschaft in Ruhe lesen zu kö nnen? Erklä ren, man sei mü de und wolle wieder hinaufgehen? Jetzt schon? Das wü rde vielleicht Verdacht erwecken. Besser, sie wartete noch ein wenig. Eine halbe Stunde mehr oder weniger spielte zweifellos keine Rolle …

Im riesigen Hof des Schlosses wimmelte es von Menschen, die geschä ftig durcheinanderquirlten. Eine Kompanie Bogenschü tzen begab sich zu den Zinnen hinauf, und die Sonnenstrahlen ließ en ihre Helme funkeln. Aus dem steil ansteigenden Torgewö lbe, das durch ein jetzt hochgezogenes Fallgatter geschlossen werden konnte, tauchten knarrend mit Holz beladene Karren auf, um im Hof entladen zu werden. An ihnen vorbei stiegen Wä scherinnen zum Fluß hinunter, die mit Wä sche gefü llten Kö rbe kunstgerecht auf den Kö pfen balancierend. Neben dem imposanten, aber strengen kö niglichen Logis erwarteten Jä ger, bereits zu Pferd, Falken auf den mit dickem Leder behandschuhten Fä usten, offenbar einen anderen Jä ger, zweifellos von hohem Rang, wä hrend eine Gruppe plappernder Hofdamen mit spitzen, schleierumwogten Hauben dem Obstgarten zustrebte. Cathé rine, die alte Chryssoula auf den Fersen, irrte einen Augenblick inmitten dieses Gewimmels herum und genoß das einfache Vergnü gen der Sonne auf ihren Schultern. Der Monat Mai breitete jetzt seine ganze blü hende Seligkeit in Gestalt frischer Blumen aus, die den Obstgarten auf der langen, von Mauern umschlossenen Terrasse ü ber der Loire schmü ckten. Es war, als wü rfe die Natur endlich den Alpdruck des Winters und des verspä teten Frü hlings von sich, als versuche die geschundene Erde des Kö nigreichs, Rache zu nehmen fü r all die Verwü stungen, die vielen Trä nen und das vergossene Blut. Und Cathé rine entdeckte mit Erstaunen, daß im Schatten dieser Festung die Rosen noch Knospen trieben. Es war so lange her, daß sie eine Rose gesehen hatte!

Vom durch die niedrige Pforte leuchtenden frischen Grü n des Obstgartens angezogen, ging sie sachte darauf zu, als einige von Pagen begleitete Damen herauskamen, in der Mehrzahl junge Mä dchen, die Blumenkrä nze auf ihrem langen, gelö sten Haar und gleichartige hellblaue Kleider trugen. Sie umgaben eine groß e, stolze und prä chtige Frau, deren hochmü tige Schö nheit durch eine prunkvolle Robe aus orange‑ und goldfarbenem Brokat noch erhö ht wurde. Der schwere Stoff schien aus demselben Material gewoben zu sein wie ihr ü ppiges rö tliches Haar. Saphire blitzten an ihrer tiefdekolletierten Brust und der riesigen Haube, die das Haupt kö niglich krö nte. Jedermann machte ihr auf ihrem Wege Platz und grü ß te respektvoll. Cathé rine hä tte diese Frau zweifellos fü r die Kö nigin persö nlich gehalten, wenn sie sie nicht wiedererkannt hä tte und ihr Herz nicht sofort vor Bitterkeit angeschwollen wä re. Wie festgenagelt im Staub des Hofes stehend, sah sie mit vor Haß funkelnden Augen der holden, blaugekleideten Schar der die Dame La Tré moille umschwä rmenden Ehrendamen entgegen, jene Frau, die es gewagt hatte, Arnaud zu lieben und ihn foltern zu lassen, weil er sie abgewiesen hatte, sie, der Cathé rine den Tod geschworen hatte!

Sie merkte, wie Chryssoula unruhig an ihrem Ü berhang zupfte, aber sie war unfä hig, sich von der Stelle zu rü hren. Noch nie war Cathé rine von einem so rohen, so brutalen Verlangen, zu tö ten, durchdrungen gewesen.

So starr war ihre Unbeweglichkeit, daß die groß e, rothaarige Frau auf sie aufmerksam wurde. Sie runzelte die Stirn und rief ihr mit einer herrischen Bewegung zu:

»He! Das Mä dchen da! Komm mal her! «

Weder fü r Gold noch fü r Silber hä tte Cathé rine auch nur einen Schritt tun kö nnen. Sie war wie versteinert. Nur ihre zornsprü henden Augen lebten noch, doch hinter ihrer Schulter spü rte sie, wie Chryssoula zitterte. Eine der jungen Damen des Gefolges muß te die alte Griechin erkannt haben, denn sie murmelte einige Worte ins Ohr ihrer Herrin, deren schö ne Lippen sich zu einem verä chtlichen Lä cheln schü rzten, wä hrend sie gleichzeitig die Schultern hob.

»Ah, ich verstehe! Wieder eins der Freudenmä dchen, mit denen mein Gemahl sich vergnü gt! Meinen Segen hat er, wenn er sich in solch schlechter Gesellschaft herumtreibt! «

Und die prä chtige Gruppe verschwand im kö niglichen Logis, ohne sich weiter um Cathé rine zu kü mmern. Die Alte zerrte so heftig an ihr, daß sie sich schließ lich in Bewegung setzte und sich widerstandslos zum Schloß turm fü hren ließ. Dabei dachte sie, daß sie an dem Tag, an dem sie La Tré moille tö ten wü rde, auch noch Zeit finden mü sse, sich um seine Frau zu kü mmern.

Sie war gerade im Begriff, mit ihrer Bewacherin die niedrige Tü r zu durchschreiten, als sie sich plö tzlich von zwei krä ftigen Hä nden gepackt fü hlte, so daß sie sich einmal um sich selbst drehte. Trotz seiner beschmutzten und abgetragenen bä uerlichen Kleidung erkannte sie Fero und unterdrü ckte einen Schreckensruf, so verklä rt war das Gesicht des Zigeuneranfü hrers.

»Seit Tagen irrte ich um dieses Schloß herum, sinnierte, wie ich in diesen Hof eindringen kö nnte, weil ich hoffte, dich wiederzusehen, von dir zu hö ren. Und jetzt sehe ich dich! «

»Geh, Fero«, rief sie. »Du darfst nicht hierbleiben! Die Zigeuner haben hier keinen Zutritt ohne besondere Erlaubnis. Wenn man dich erwischt …«

»Das ist mir gleich! Ich konnte nicht mehr leben, ohne dich wiederzusehen! Das Gift der Liebe ist in mir, Tchalaï, es brennt in meiner Seele und in meinem Blut … und du hast es mir eingeflö ß t! «

Man konnte sich unmö glich ü ber die Leidenschaft tä uschen, die im Blick des jungen Zigeuners loderte. Cathé rine war von Entsetzen erfü llt, um so mehr als die alte Chryssoula sich vergeblich bemü hte, Feros Hä nde wegzureiß en, und unartikulierte Schreie ausstieß.

»Um Himmels willen, geh! Wenn die Wachen …«

Sie hatte das Wort kaum ausgesprochen, als eine Rotte Bogenschü tzen herausstü rmte, von den Schreien der Alten angezogen. Chryssoula muß te ihnen bekannt sein, denn sie gehorchten ohne Widerrede dem Befehl, den sie ihnen mit zwei Gesten gab. Die eine wies auf Fero, die andere auf das Schloß portal. Von vier stä mmigen Kerlen gepackt, wurde der Zigeuneranfü hrer gewaltsam zum Ausgang gezogen.

»Ich liebe dich! Du bist meine Frau! Ich komme wieder! « rief er ü ber die Schulter zurü ck.

Im nä chsten Augenblick war er verschwunden, und Cathé rine, trotz allem erleichtert, folgte gehorsam Chryssoula, die Anzeichen groß er Erregung von sich gab. Der kurze Spaziergang, den der Herr erlaubt hatte, war fü r ihren Geschmack allzu ergiebig an beunruhigenden Ereignissen gewesen. Einige Minuten spä ter fand Cathé rine sich in ihrer Kammer wieder, doppelt eingeschlossen … aber allein, glü cklicherweise allein! Im Nu vergaß sie Fero und nahm die Gelegenheit wahr, den Inhalt ihres Almosenbeutels aufs Bett zu leeren. Sodann griff sie nach der kleinen Pergamentrolle und las, was Tristan geschrieben hatte: »Habt keine Sorge um Sara. Ich weiß, wo sie ist, und wache ü ber sie, wie ich ü ber Euch wache! «

Cathé rine stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Diese wenigen Zeilen lö schten die Drohung Gilles de Rais' kategorisch aus. Keinen Augenblick hegte die junge Frau Zweifel an Tristans Versicherung. Es steckten in dem seltsamen Stallmeister des Konnetabels de Richemont eine Willenskraft, eine ruhige Stä rke, denen sie sich vertrauensvoll unterwarf. Sie hielt den Mann, der, von den Leuten Gilles de Rais' gehetzt, Mittel und Wege gefunden hatte, ihnen nicht nur zu entwischen, sondern sich sogar als Lakai in den Haushalt des Groß kä mmerers einzuschmuggeln, zu allem fä hig. Wenn Tristan L'Hermite Sara unter seinen Schutz nahm, brauchte sie sich keine Sorgen zu machen …

Mit freierem Kopf ließ sie die langweiligen Stunden des Tages an sich vorü berfließ en. Ihre Tü r ö ffnete sich nicht mehr, bis die Abendschatten in ihre Kammer gedrungen waren. Dann kam Chryssoula, um die Kerzen anzuzü nden und das Abendessen zu bringen, das diesmal jedoch keine Botschaft enthielt. Doch als Cathé rine ihr Mahl beendet hatte und die alte Sklavin sich zurü ckziehen wollte, kam ihre Schwester herein. Beide machten sich an Cathé rines Toilette. Sie wurde gewaschen, parfü miert, mit einer Nachtrobe aus feinem weiß em Musselin bekleidet, die ihren Kö rper nur wie in eine leichte Wolke hü llte, und dann sorgsam ins Bett gebracht, dessen Linnenlaken abgezogen und durch purpurrote Seidenlaken ersetzt worden waren.

Alle diese Vorbereitungen ließ en die junge Frau erzittern. Sie waren nur zu bedeutungsvoll. Man machte sie zurecht, wie es dem orientalischen Geschmack ihres neuen Herrn am angenehmsten war. Bald wü rde sich die Pforte, durch die die beiden Frauen jetzt verschwanden, wieder ö ffnen, um die korpulente, prä chtig aufgeputzte Gestalt des Groß kä mmerers einzulassen. Als sie an den grobschlä chtigen, widerlich fetten Kö rper dachte, der sich ü ber sie wä lzen wü rde, wurde Cathé rine ü bel, und sie schloß die Augen. Sie vergegenwä rtigte sich den schlaffen Mund, die verdorbenen Zä hne, den ü bertrieben parfü mierten Bart. Schnell sprang sie aus dem Bett, lief zu ihrem Almosenbeutel, zog den Dolch heraus und schob ihn in Reichweite ihrer Hand unters Kopfkissen. Und schon fü hlte sie sich beruhigt. Was hatte sie von nun an noch zu fü rchten? Wenn La Tré moille sich ü ber sie wü rfe, wü rde der Dolch Arnauds zustoß en, und alles wä re vorbei. Zweifellos kä me sie hier nicht lebend heraus … es sei denn, Tristan, der ihr die Waffe in einer bestimmten Absicht ü bermittelt hatte, hä tte fü r ihre Flucht vorgesorgt. Wenn sie ihn nur einen Augenblick hä tte sprechen kö nnen! Vielleicht hielt er sich ganz in der Nä he auf, darauf wartend, daß sich in dieser Kammer etwas zutrü ge …

Die Stunden verrannen, ohne daß sich etwas ereignete. Regungslos auf ihrem Bett ausgestreckt, nahm Cathé rine undeutlich den fernen Trubel des kö niglichen Festes wahr. Rufe, Gelä chter, Trinklieder. Die fromme Kö nigin Marie, Gemahlin Karls VII., wurde in Kü rze aus Bourges erwartet. Der Kö nig machte sich ihre Abwesenheit offenbar zunutze, indem er sich vor ihrer Ankunft mit seinen Kumpanen noch einmal den ü blichen Vergnü gungen hingab … Cathé rine hö rte, wie Mitternacht ausgerufen wurde, dann folgte die Ablö sung der Bogenschü tzenwache. Wie lange muß te sie wohl noch warten? Die Kerzen brannten schon herunter, bald wü rden sie ausgehen … Vielleicht war La Tré moille zu betrunken, um sich seiner Verabredung mit ihr zu erinnern? Schon wiegte sich die junge Frau in dieser angenehmen Illusion, als sie plö tzlich auffuhr, einen Schrei unterdrü ckend. Die Tü r ihrer Kammer ö ffnete sich sacht …

Instinktiv stieg ein stummes Gebet in ihr auf, kam aber schnell zu Ende. Es war nicht der Groß kä mmerer, sondern ein junges, mit Blumen bekrä nztes und in blaue Seide gekleidetes Mä dchen, eins aus dem Gefolge der Dame de La Tré moille. In der Hand hielt es einen brennenden Leuchter, den es auf die Truhe stellte.

Einen Augenblick musterten sie sich, das schö ne junge Mä dchen am Fuß des Bettes und Cathé rine, die sich aufgerichtet hatte. Die eine mit verä chtlicher Neugier, die andere mit unverhohlener Ü berraschung. Endlich ö ffnete das Mä dchen den Mund.

»Steh auf«, befahl sie. »Meine Gebieterin mö chte dich sprechen! «

»Mich? Aber ich muß hier warten …«

»Auf Monseigneur? Ich weiß. Aber nimm davon Kenntnis, Zigeunerin, wenn meine Herrin befiehlt, fü gt sich sogar der Groß kä mmerer. Zieh dich an und folge mir! Ich erwarte dich drauß en! Aber beeile dich, wenn dir dein Rü cken lieb ist! Die Herrin ist nicht geduldig! « fü gte sie anmaß end hinzu.

Das junge Mä dchen ging hinaus, ließ Cathé rine sprachlos und unschlü ssig zurü ck. Was wollte die Dame de La Tré moille von ihr? Was bedeutete dieser Befehl, mitten in der Nacht ü berbracht, der alle ihre Plä ne ü ber den Haufen zu werfen drohte? Sollte sie gehorchen? Doch wenn sie nicht gehorchte, mit welcher Begrü ndung konnte sie sich weigern?

Cathé rine entschied, daß sie keine Wahl hatte und daß sie vermutlich nicht allzuviel dabei riskierte, wenn sie zu erfahren suchte, was man von ihr wollte. Fü r die hochmü tige Grä fin war sie alles in allem nur eine Zigeunerin, fü r die Vergnü gungen ihres Gemahls bestimmt, weniger als ein Hund, eine Sache, ein Wesen, auf das sie bestimmt nicht eifersü chtig war. Die zahlreichen Geliebten Cathé rine de La Tré moilles hä tten sie eigentlich dieser Art von Gefü hlen gegenü ber unempfindlich machen mü ssen. Konnte man denn auf einen Berg von Fett eifersü chtig sein? Wie es hieß, wurde ihre Ehe nur durch ihre gemeinsame Gier nach Gold, Macht und Ausschweifungen zusammengehalten. Aber am meisten schä tzte die Dame das Gold. Cathé rine erinnerte sich an etwas, was man ihr einmal erzä hlt hatte. Als man ihren zweiten Mann, den diabolischen Pfarrer de Giac, mitten in der Nacht und in seinem eigenen Bett verhaftete, habe die einzige Sorge der schö nen Grä fin dem kostbaren Tafelgeschirr gegolten, ü ber das die mit der Verhaftung beauftragten Soldaten hergefallen seien. Wä hrend man ihren Mann seinem tragischen Schicksal entgegenfü hrte, sei die damalige Dame de Giac aus dem Bett gesprungen, splitternackt wie Mutter Eva, und habe die Diebe in diesem dü rftigen Zustand durch die Gä nge und Korridore des Schlosses von Issoudun verfolgt …

In wenigen Augenblicken war Cathé rine fertig. Sie hä ngte den Almosenbeutel an ihren Gü rtel, doch den Dolch schob sie in ihr Mieder. Es verging noch kurze Zeit, bis Tristans Zettel im Kamin verbrannte. Den Ü berhang ü ber die Schultern werfend, ö ffnete sie schließ lich entschlossen die Tü r.

»Ich bin bereit«, sagte sie.

Wortlos erhob sich das wartende junge Mä dchen, das lä ssig auf einer mit Kissen belegten Bank gesessen hatte, nahm den Leuchter wieder auf und wandte sich der Treppe zu, wo die Wachen standen. Hinter ihr ü berquerte Cathé rine den vom Lichtschein aus den Fenstern der kö niglichen Gemä cher erhellten Hof. Beim ü berschreiten der Schwelle des Kö nigslogis, die von zwei Eisenstatuen bewacht wurde, hatte Cathé rine den Eindruck, in ein riesiges, hohles Schneckengehä use zu treten, so sehr hallten die Gerä usche des Festes in ihm wider. Trotz der Dicke der Mauern tobten die Violen, Hö rner und Lauten, ü bertö nten den Tumult der Stimmen, das lä rmende Gelä chter, die freudigen Rufe, ü berall waren Fackeln, riesige Kerzen, die ein warmes, goldenes Licht verströ mten. Cathé rine beruhigte sich. Wollte man sie mitten in die Festlichkeiten hineinwerfen wie einen Nachtvogel, den man plö tzlich aus dem Dunkel riß und in die Sonne schleuderte? Nein … ihre Fü hrerin ging am kö niglichen Stockwerk vorü ber, das beinahe ganz von dem riesigen Festsaal eingenommen wurde, und hieß sie hö her steigen, fast bis zum Dachstuhl des Schlosses hinauf. Dort stieß das junge Mä dchen eine niedrige Tü r auf, die sich plö tzlich ins Dunkel eines Ganges ö ffnete, und Cathé rine fand sich mitten in einem Zimmer von ziemlich beschrä nktem Ausmaß, das jedoch wie ein Reliquienschrein wirkte, so sehr verhü llte der samtene grü ne Tapetenstoff die Wä nde, von denen nicht ein Stü ck mehr zu sehen war. Dicke, schillernde Teppiche bedeckten den Boden. Trotz der sehr milden Auß entemperatur brannte ein riesiges Feuer im Kamin und schien sich seltsamerweise auf die Wandbehä nge zu ü bertragen, auf die lange goldene Flammenzungen gestickt waren.

Inmitten dieses merkwü rdigen, prunkvollen Raums, der mit Kostbarkeiten vollgestopft war, stand aufrecht Cathé rine de La Tré moille im Kreis ihrer Damen, von denen einige lä ssig auf dem Boden saß en, Laute spielend oder Sü ß igkeiten knabbernd. Diesmal war die schö ne Grä fin nur in blaue, sehr durchscheinende Seide gekleidet, ü ber der sich die Masse ihres fahlroten Haares tü rmte. Der wolkige Stoff verbarg die ü ppigen Formen ihres Kö rpers nicht allzusehr, aber das schien sie nicht zu stö ren. Cathé rine wurde sich beim ersten Blick bewuß t, wie erregt sie war, denn sie biß sich auf die Lippen und schlang nervö s die Finger ineinander, wä hrend sie auf und ab schritt.

»Hier ist das Mä dchen, holde Dame! « sagte Cathé rines Fü hrerin von der Schwelle.

Die Dame de La Tré moille stieß einen Ruf der Befriedigung aus und deutete dann mit einer herrischen Bewegung auf die Tü r.

»Alle hinaus! Geht schlafen! Und stö rt mich unter keinen Umstä nden! «

»Auch ich nicht? « fragte gekrä nkt das junge Mä dchen, das Cathé rine hergefü hrt hatte und das die Favoritin sein muß te.

»Auch du nicht, Violaine! Ich mö chte mit diesem Mä dchen allein sein. Wache drauß en, daß niemand ü berraschend eintritt. Ich werde dich rufen, wenn ich dich brauche. «

Violaine ging widerwillig hinaus und schloß die Tü r hinter sich. Die anderen hatten sich bereits verzogen. Die beiden Gegnerinnen, die groß e Dame und die falsche Zigeunerin, blieben in schweigendem Gegenü ber allein zurü ck. Sie musterten sich … Mit wilder aber sehr femininer Freude entdeckte Cathé rine, daß die Schö nheit ihrer Rivalin schon verwelkte. Winzige Fä ltchen in Augen‑ und Mundwinkeln verrieten es, die Haut war sehr weiß und zart wie Samt, aber blaue Ringe umgaben die graugrü nen Augen. Fett hatte sich an den Hü ften und den langen Schenkeln angesetzt und machte die Brü ste schwer, die ein wenig hingen. Die schö ne Rothaarige lebte zu verweichlicht, zu luxuriö s, zu ausschweifend. Ausschweifung und Wollust drü ckten ihr ein unauslö schliches Siegel auf … Aber Cathé rine hü tete sich wohl, die Genugtuung, die sie empfand, zu zeigen. Sie bemerkte sehr genau den Blick, der prü fend ü ber sie hinglitt, sie ungeniert auszog. Sie errö tete, als sie die trockene Stimme der Dame ausrufen hö rte.

»Auf was wartest du, um vor mir niederzuknien? Ist dein Rü ckgrat so steif, daß es dich hindert, deine Herrin zu grü ß en? «

Cathé rine biß sich auf die Lippen und schalt sich im stillen eine dumme Gans. Wie hatte sie so sehr aus ihrer Rolle fallen kö nnen, daß sie die Grä fin um ein Haar als Gleichberechtigte angesprochen hä tte? Sie beeilte sich zu gehorchen, neigte den Kopf und murmelte, ihre Verlegenheit mit einer Notlü ge bemä ntelnd:

»Verzeiht mir, edle Dame, aber ich hatte einen Augenblick vergessen, wo ich war. Meine Augen waren geblendet! Ich glaubte mich am Wohnsitz der Kö nigin der Keshaiyi, der Feen unseres Volkes. «

Ein hochmü tiges Lä cheln der Befriedigung hellte das ü bellaunige Gesicht der Dame auf. Bei ihrer niederen Herkunft gefiel ihr jede Schmeichelei, und mochte sie noch so dick aufgetragen sein.

»Steh auf! « sagte sie zu ihr. »Oder setz dich auf dieses Kissen. Was ich dir zu sagen habe, kann lange dauern. «

Sie wies auf ein auf den Stufen ihres Bettes liegendes Kissen. Cathé rine ließ sich darauf gleiten, wä hrend die Grä fin sich aufs Bett setzte. Ihr Blick lag unverwandt auf Cathé rines Gesicht, es so eingehend betrachtend, daß es schon peinlich wurde. Nach einem Augenblick, welcher der jungen Frau eine ganze Ewigkeit schien, murmelte die schö ne Grä fin:

»Du bist wirklich sehr schö n … zu schö n! Du wirst nicht zum Groß kä mmerer zurü ckgehen! Du kö nntest auf lange Sicht gefä hrlich werden, denn was die Frauen anlangt, ist er dumm. Und du, du machst mir einen intelligenten Eindruck. «

»Was soll ich dann tun? « wagte Cathé rine zu fragen. »Wenn ich nicht zurü ckkehre, riskiere ich …«

»Nichts riskierst du! Wenn du mir angemessen dienst, werde ich dich vielleicht behalten, und du wirst nichts zu befü rchten haben. Wenn nicht …«

Der in der Schwebe gelassene Satz klang so drohend, daß es Cathé rine nicht danach verlangte, sein Ende wissen zu wollen. Sie muß te sehr aufpassen, geschickt manö vrieren und keine Fehler begehen. Sie begnü gte sich, demü tig den Kopf zu senken und darauf zu warten, was folgte.

»Ich werde mein Bestes tun«, sagte sie nur.

Die Dame de La Tré moille nahm sich Zeit. Nachdenklich griff sie nach einem mit Wein gefü llten Pokal, der auf den Stufen ihres Bettes stand, und leerte ihn langsam bis auf den letzten Tropfen. Dann stellte sie den leeren Pokal wieder zurü ck, wandte ihr vom Wein leicht gerö tetes Gesicht Cathé rine zu, und ihre Augen funkelten.

»Es heiß t, daß die Frauen deiner Rasse in der Zauberei, im Wahrsagen und im Zusammenstellen seltsamer Arzneiträ nke bewandert seien. Es heiß t, ihr kö nntet in die Zukunft sehen, ihr kö nntet das Unglü ck und den Tod berufen … oder die Lieb. Stimmt das? «

»Vielleicht …«, antwortete Cathé rine vorsichtig. Sie begann zu verstehen, worauf die andere hinauswollte, und dachte, daß da vielleicht eine Chance fü r sie lä ge. Wenn diese habsü chtige und perverse Frau an ihre Geschicklichkeit und Ergebenheit glaubte, konnte sie sie vielleicht dahin bringen, wohin sie sie haben wollte, und ihren Mann dazu.

»Kennst du«, nahm die Grä fin das Gesprä ch mit leiserer Stimme wieder auf, »den Zaubertrank, der die Liebe gibt, der das Feuer durch die Adern rinnen lä ß t, der den Verstand, die Scham, ja selbst den Widerwillen ausschaltet? Kennst du diese magische Mixtur, die ein Wesen einem anderen ausliefert? «

Cathé rine hob den Kopf und zwang ihren Blick, sich mit dem ihrer Feindin zu kreuzen. Sie erinnerte sich an das glü hende Erlebnis, das sie in den Armen Feros gehabt hatte, und brauchte kaum zu lü gen, als sie bejahte.

»Ja, ich kenne sie. Das Liebesbedü rfnis, das sie erweckt, wird zur Qual und verzehrt den ganzen Kö rper, wenn man es nicht befriedigt. Es gibt niemand, Mann oder Frau, der ihm widerstehen kö nnte. «

Ein triumphierendes Leuchten glitt ü ber das gierige Gesicht, das sich ihr zuwandte. Plö tzlich schnellte die Grä fin hoch, eilte zur anderen Seite des Zimmers, ö ffnete eine Truhe, wü hlte darin und zog die mit Goldstü cken gefü llten Hä nde wieder heraus.

»Sieh her, Zigeunermä dchen! Dieses ganze Gold wird dir gehö ren, wenn du mir diesen Zaubertrank verschaffst! «

Langsam schü ttelte Cathé rine den Kopf. Ihr geringschä tziges Lä cheln bewirkte, daß die Dame La Tré moille den Goldregen klirrend in die Truhe zurü ckrieseln ließ.

»Du willst nicht? « fragte sie unglä ubig.

»Nein! Gold kommt und vergeht mit dem Wind. Viel kostbarer, edle Dame, ist Euer Schutz. Schenkt mir Euer Vertrauen, laß t mich Euch dienen … und ich werde viel besser bezahlt sein! «

»Beim Haupte meiner Mutter! Zigeunermä dchen, du sprichst kü hn, und du gefä llst mir! Wie heiß t du? «

»Man nennt mich Tchalaï. Fü r Euch ein barbarischer Name! «

»Ein fremder Name! Hö r zu, ich habe dir gesagt, daß du mir gefä llst. Gib mir den Trank, um den ich dich bitte. «

»Ich habe ihn nicht bei mir, und um ihn zusammenzustellen, sind zwei Dinge nö tig. «

Die Grä fin stü rzte sich auf sie, drü ckte der jungen Frau heftig die Hä nde, wie von einer geheimnisvollen Leidenschaft besessen.

»Sprich! Du sollst alles haben, was du willst! «

»Ich muß zu den Meinen zurü ckkehren … oh, nicht lange«, fü gte sie schnell hinzu, als sie sah, wie die andere die Stirn runzelte, »nur kurz, um gewisse Dinge zu holen …«

»Einverstanden! Bei Tagesanbruch, wenn die Tore geö ffnet werden, lass' ich dich zum Lager eskortieren. Nimm dich in acht, versuche nicht zu entfliehen. Die dich begleitenden Bogenschü tzen werden den Befehl haben zu schieß en! «

Cathé rine hob geringschä tzig die Schultern.

»Wozu? Mir gefä llt es in diesem Schloß …«

»Sehr gut. Und die andere Bedingung? «

»Ich muß wissen, fü r wen dieser Trank bestimmt ist. Damit er seine ganze Wirkung tut, muß man eine Beschwö rung hinzufü gen, in die man den Namen dessen mischt, der ihn trinken soll! «

Es folgte Schweigen. Cathé rine erriet, daß dieser Teil ihrer Forderungen miß fiel, aber da sie ihre Gegnerin kannte, wollte sie wissen, welcher Mann in der Grä fin eine Leidenschaft hatte wecken kö nnen, die so ü bermä chtig war, daß sie sich um die Hilfe einer Zigeunerin bemü hte. Mö glicherweise gab es eine wirksame Waffe ab.

Im nä chsten Moment schon zerrte die Dame de La Tré moille einen schwarzen Samtumhang aus einer Truhe und warf ihn sich um die Schultern. Dann nahm sie hastig ihr Haar zusammen, steckte es fest und legte einen Silberschleier darü ber. Darauf drehte sie sich zu Cathé rine um.

»Komm mit! Du sollst sehen! «

Eine Fackel ergreifend, zog sie Cathé rine mit sich aus dem Zimmer. Im Flur fand die Grä fin die treu auf ihrem Posten ausharrende Violaine und schickte sie schlafen, dann ging sie der Treppe zu. Doch statt zum groß en Saal hinunterzusteigen, stieß sie eine in die Mauer eingelassene kleine Pforte auf und glitt, Cathé rine auf den Fersen, in einen schmalen, in die mä chtige Mauer eingelassenen schlauchartigen Gang, der der jungen Frau endlos lang vorkam. Er schien in seiner ganzen Lä nge am Deckengewö lbe des groß en Saals entlangzufü hren. Die Luft in ihm war kalt, feucht, und die Fackel in der Hand der Grä fin rauchte. Beinah am Ende angelangt, blieb sie stehen, reichte Cathé rine die Fackel und tastete suchend ü ber die Mauer. Eine kleine Platte glitt zur Seite und legte eine schmale Ö ffnung bloß, die kunstvoll aus dem Gewö lbe herausgehauen und ohne Zweifel gut versteckt war. Das Gelä rm des Festes, das schon gedä mpft bis in den Gang gedrungen war, wurde betä ubend. Die Grä fin zog Cathé rine am Arm.

»Schau zum Kamin hin. Siehst du Kö nig Karl? «

Cathé rine beugte sich vor und sah in der Tat auf einem hohen, vergoldeten Sessel unter einem blauen Thronhimmel einen Mann, der ü ber seinem braunen Filzhut eine goldene Krone trug, und sie er kannte den Kö nig. Er hatte sich seit der Zeit der Jungfrau von Orlé ans nicht viel verä ndert. Sein langgezogenes, trü bseliges Gesicht und die meergrü nen, vorquellenden Augen waren noch immer die gleichen, aber er wirkte weniger mager. Seine Figur war fü lliger, und sein Blick hatte den gehetzten, bei einem Kö nig so tragischen Ausdruck verloren.

In diesem Augenblick lä chelte er einem sehr schö nen jungen Mann zu, achtzehn oder neunzehn Jahre alt, der, auf Kissen halb hingelagert, zu seinen Fü ß en auf den Stufen des Thrones saß. Cathé rine fand diesen Jungen ungewö hnlich schö n, aber sie fand auch etwas Feminines in seiner Vollkommenheit. Zweifellos war das auf seine Jugend zurü ckzufü hren, denn er schien groß, krä ftig und wohlgeformt, wenn auch allzu anmutig. Das Lä cheln war ein Wunder an Verfü hrung …

Hinter ihrem Rü cken hö rte sie die drä ngende Stimme der Grä fin, die ihr zuflü sterte:

»Siehst du den Jü ngling zu Fü ß en unserer Majestä t? «

»Ich sehe ihn. Ist es …«

»Ja, das ist er! Er ist der Bruder der Kö nigin: Charles d'Anjou, Graf von Maine. «

Cathé rine unterdrü ckte noch rechtzeitig einen Ausruf der Verblü ffung. Der Bruder der Kö nigin, also der letzte der Sö hne Kö nigin Yolandes. Der berü hmte Graf von Maine, dessen Charme und Tapferkeit sie in Angers hatte rü hmen hö ren! Und in diesen jungen Mann, noch kaum dem Jü nglingsalter entwachsen, hatte sich die Dame de La Tré moille verliebt? Sie war mindestens zwanzig Jahre ä lter als er …

Eine Schar von Tä nzern in buntschillernden Kostü men flutete gegen die Stufen des Throns, doch schon glitt die kleine Platte zurü ck. Das Fest entschwand den Augen Cathé rines. Sie hatte nicht einmal La Tré moille gesehen. Sie war mit der Grä fin wieder allein in dem engen Gang. Deren Gesicht, durch die Leidenschaft verzerrt, kam ihr in dem unsicheren Licht der Fackel plö tzlich hä ß lich vor. Unwillkü rlich stellte sie sich vor, was aus dieser Frau werden wü rde, wenn das Alter bei ihr seine Verwü stungen angerichtet hä tte. Eine abscheuliche Hexe! … Aber das Spiel war schon zu weit gediehen, sie muß te es zu Ende spielen. Sie blickte die Grä fin unschuldig an.

»Und … er liebt Euch nicht? « fragte sie in naivem Ton, der durchblicken ließ, wie unverstä ndlich sie das fand.

»Nein. Er spielt mir eine Komö die groß er Gefü hle vor, spricht von Ritterehre und schiebt immer meinen Gatten vor … als ob diese Leute der Kö nigin Yolande jemals etwas anderes fü r ihn empfunden hä tten als Haß! … ich fü rchte, er hat irgendein Jü ngferchen im Kopf. Und ich will, daß er mich liebt, verstehst du, Tschalaï! Ich will, daß er mir gehö rt … wenigstens eine Nacht! Dann wü ß te ich schon, wie ich ihn an mich fesseln kö nnte! «

Cathé rine antwortete nicht. Gewiß, der hö llische Trank Tereinas kö nnte der Dame de La Tré moille die Liebesnacht verschaffen, die sie wü nschte, aber sie empfand plö tzlich einen Widerwillen, ihn ihr zu besorgen. Dieser frische, charmante Junge, so jugendlich, heiter und rein – sie konnte ihn sich nur mit Entsetzen in den Armen dieser ü berreifen Frau vorstellen! Ihr kam es wie eine Schä ndung, eine Entweihung vor …

Aber die andere drä ngte von neuem.

»Ich habe getan, um was du mich batest, Zigeunermä dchen. Morgen, beim Morgengrauen, wird man dich zu deinem Lager fü hren, damit du holst, was du brauchst. Halte also dein Versprechen. «

Cathé rine schü ttelte mit einer Willensanstrengung den peinlichen Eindruck ab, von dem sie befallen wurde. Was machte es schon alles in allem aus, wenn der Junge eine Nacht mit dieser Frau verbrachte? Zweifellos war es die Liebe der Grä fin, die ihn bislang vor dem Zorn La Tré moilles bewahrt hatte, denn sie wuß te sehr wohl, wie lä stig die Anwesenheit des jungen Grafen in des Kö nigs Nä he dem Groß kä mmerer war.

Sie hob den Kopf und blickte der Dame direkt ins Gesicht.

»Ich werde mein Versprechen halten«, versicherte sie.

»Gut, gehen wir zurü ck! Du wirst bis zum Morgengrauen auf Kissen am Fuß e meines Bettes schlafen. «

Eine hinter der anderen verließ en sie den schmalen Steingang.

Auf dem Lager, das man ihr aus Kissen zurechtgemacht hatte, damit rechnend, daß man sie im Ankleidekabinett der Grä fin unterbringen wü rde, schlief Cathé rine schlecht. Sie war nervö s und unruhig, machte sich Sorgen, wie La Tré moille reagieren wü rde, wenn er ihr Verschwinden entdeckte, und dann war es zu heiß, zu drü ckend in dieser luftlosen, von starken Parfü men durchträ nkten Kammer. Trotz allem schlief sie schließ lich ein, doch als am frü hen Morgen Violaine hereinkam, um sie zu wecken, hatte sie Kopfschmerzen und fü hlte sich vor Mü digkeit ganz zerschlagen. Sie brauchte einen Augenblick, um sich zu erinnern, was sich zuvor zugetragen hatte.

»Los! « sagte die Ehrendame trocken. »Aufstehen! Unten warten ein Sergeant und zwei Bogenschü tzen, um dich zum Lager deiner Leute zu begleiten. «

Cathé rine stand auf und wusch sich mit etwas Wasser die Augen. Der unverschä mte Ton Violaines reizte sie, aber womit kö nnte sie sie zurechtweisen? Ganz offensichtlich hatte die Favoritin der Grä fin keine Sympathien fü r sie. Diese Neue, auß erdem noch aus den Niederungen der Gesellschaft kommend, erregte ihren Zorn. Die Dame La Tré moille schlief noch, und nicht gerade darauf erpicht, sie durch den Lä rm eines Streites zu wecken, beeilte Cathé rine sich.

Einen Augenblick spä ter trottete sie neben einem groß en, bä rtigen, mü rrischen und von seinem Auftrag durchaus nicht erfreuten Sergeanten, den zwei Bogenschü tzen begleiteten, durch den groß en Hof in Richtung der Auffahrtsrampe. Das Morgenrot zü ndete den Himmel der aufgehenden Sonne entgegen an, und von der feuchten Erde stieg erquickende Frische auf. Sofort fü hlte Cathé rine sich besser, ihr Kopf war klarer und ihr Geist frei. Der Morgenwind schien gut nach den Tagen, in denen sie eingesperrt gewesen war …

Jedoch im Augenblick beschä ftigte sie ein Problem. Wü rde es ihr gelingen, Tereina zu sehen, ohne daß Fero von ihrer Anwesenheit erfuhr? Dies schien ziemlich unwahrscheinlich, und in diesem Fall mü ß te sie sich bestimmt aufs Verhandeln verlegen. Die Narrheit, die er begangen hatte, als der Zigeuner tags zuvor auf der Suche nach ihr in die Umwallung des Schlosses eingedrungen war, ließ vermuten, daß noch weitere Verrü cktheiten folgen wü rden. Wü rde er nicht versuchen, sie den Bewaffneten, die den Auftrag hatten, sie zu bewachen, zu entreiß en?

Die Strecke zum Lager der Zigeuner war nicht lang. Wenn man einmal die Schieß scharten des Eingangs passiert hatte, brauchte man nur in den Schloß graben hinunterzuklettern, und Cathé rine hatte nicht mehr viel Zeit, sich Fragen zu stellen. Auß erdem wurden Cathé rines Gedanken sofort abgelenkt. Sie glaubte, in dieser frü hen Morgenstunde das Lager noch schlafend vorzufinden. Aber es herrschte eine ungewö hnliche Betriebsamkeit.

Die Frauen waren schon dabei, die Feuer anzuzü nden und Wasser aus dem Fluß zu holen, doch die Alten und die Mä nner waren um den Karren der alten Phuri Daï versammelt. Sie bildeten eine schweigsame, trü bsinnige Gruppe, von der drü ckende Traurigkeit ausging. Einen Augenblick glaubte Cathé rine, die Alte sei gestorben, aber bald erblickte sie sie, in einen Haufen Lumpen gehü llt und auf dem Boden sitzend. Alle hatten den Kopf erhoben und blickten mit offensichtlicher Furcht zum Schloß empor. Fero war nicht dabei.

Cathé rines Ankunft, die gut gekleidet und von Bewaffneten eskortiert war, rief Verblü ffung und Angst unter den Zigeunern hervor. Was wollte sie von ihnen, diese Unbekannte, durch Barmherzigkeit im Stamm Wiederaufgenommene, die es wagte, sich mit den Soldaten hier zu zeigen? Schon gingen einige Mä nner mit drohenden Blicken auf sie zu, aber Tereina, die neben einem Kochkessel, unter dem sie das Feuer angefacht hatte, saß, hatte sie auch erkannt, sie, die sie ihre Schwester nannte, und eilte mit freudestrahlendem Gesicht auf sie zu.

»Tchalaï! Du bist wieder da! Ich habe nicht erwartet, dich wiederzusehen! «

»Ich bin nur auf einen Augenblick zurü ckgekommen, Tereina! Und einzig allein, um dich zu sehen. Ich muß dich um etwas bitten, und … wie du siehst, werde ich bewacht. «

Tatsä chlich muß te die Aufregung des Zigeunerlagers dem Sergeanten wenig gefallen, denn er betrachtete die braunen Gesichter mit sichtlichem Miß trauen, die Hand auf seinen Degen gelegt. Was die Bogenschü tzen anlangte, so ü bersahen ihre scharfen Augen keine Bewegung der Menge, und schon waren die Pfeile aus den Kö chern gezogen. Tereina warf ihnen einen ä ngstlichen Blick zu und sagte betrü bt:

»Ach! Ich hoffte, du wü rdest uns Nachricht ü ber Fero bringen! «

Trotz der drohenden Haltung der Bewaffneten hatten sich die Zigeuner den beiden Frauen genä hert, so weit jedenfalls, um zu hö ren, was sie sagten. Einer rief:

»Ja, Fero, unser Anfü hrer! Sag uns, was ihm zugestoß en ist, sonst …«

»Schweigt«, unterbrach Tereina sie zornig. »Droht ihr nicht! Vergeß t ihr, daß sie nach dem Gesetz seine Frau ist? …«

»Und daß meine Leute gut schieß en! « brummte der Sergeant. »Zurü ck, ihr anderen! Nichts darf dieser Frau geschehen, auß er, sie versucht zu fliehen! «

Schon zog er seinen Degen. Die Zigeuner traten zurü ck, bleckten die Zä hne wie geschlagene Hunde. Der Kreis um die beiden Frauen und die Soldaten erweiterte sich.

»Ich weiß nicht, wo Fero ist«, sagte Cathé rine. »Gestern habe ich ihn im Schloß hof gesehen. Die Wachen haben ihn hinausgeworfen! «

»Er ist gestern abend zurü ckgegangen. Er wuß te, daß es im Schloß ein Fest gab. Er ist mit einem der Bä ren hinaufgestiegen, in der Hoffnung, wä hrend des kö niglichen Festessens eine Vorfü hrung machen zu kö nnen. Der Bä r ist in der Nacht zurü ckgekommen … allein … und verletzt! «

»Ich schwö re dir, Tereina, ich wuß te nicht, daß Fero ins Schloß zurü ckgestiegen ist. Was fü r ein Wahnsinn, zurü ckzugehen! …«

Das junge Mä dchen senkte den Kopf. Eine dicke Trä ne rann auf den roten Stoff, den sie anhatte.

»Er liebt dich so! Er wollte dich um jeden Preis zurü ckholen. Und jetzt … Ich mö chte gerne wissen, was ihm zugestoß en ist! «

Vielleicht rü hrten die trä nenerfü llten Augen der kleinen Zigeunerin das rauhe Herz des Sergeanten, denn er murmelte:

»Der Mann mit dem Bä ren? Man hat ihn ü berrascht, wie er im Schloß turm durch ein Fenster steigen wollte. Als man ihn festnahm, hat er sich wie ein Teufel gewehrt, und sein Tier ist verrü ckt geworden … Es hat einen Mordskrakeel gegeben. Und dann ist der Bä r entwischt …«

»Und Fero? Und mein Bruder? …«

»Man hat ihn ins Gefä ngnis geworfen, wo er seine Verurteilung erwartet. «

»Warum ihn verurteilen? « rief Cathé rine. »Man hat ihn verhaftet, als er versuchte, in den Schloß turm einzusteigen, gut! Ist das ein so groß es Verbrechen, daß man ihn einsperren und verurteilen muß? Hä tte es nicht genü gt, ihn einfach hinauszuwerfen? «

Das Gesicht des Mannes wurde verschlossen, und seine Augen wurden hart.

»Er war bewaffnet. Er hat einen der Wachsoldaten getö tet! Es ist ganz richtig, daß man ihn verurteilt. Jetzt aber, Mä dchen, tu, wozu du hergekommen bist, und zwar schnell, und dann zurü ck! Ich habe keine Lust, mich hier noch lange aufzuhalten …«

Cathé rine antwortete nicht und zog Tereina mit sich, die in Schluchzen ausgebrochen war. Das junge Mä dchen hatte begriffen, genau wie Cathé rine, welches Schicksal Fero erwartete. Der Zigeuner hatte getö tet, er wü rde gehä ngt werden! … Oder schlimmer! Trotz aller Anstrengung fü hlte Cathé rine, wie ihr die Trä nen in den Augen brannten, wä hrend sie die kleine Zigeunerin in ihren Karren zurü ckbrachte. Was sie zu sagen hatte, konnte nicht vor aller Welt gesagt werden. Die Soldaten begnü gten sich, ihnen auf dem Fuß zu folgen und sich in respektvoller Entfernung von dem Fahrzeug zu postieren.

Tereina weinte noch immer verzweifelte Trä nen, und Cathé rine suchte trostlos nach Worten, um ihren Schmerz zu lindern. Trotzdem wurde ihr bei der Nachricht vom bevorstehenden Tode Feros schlecht. Dieser Mann hatte sie bis zum Wahnsinn geliebt, und fü r eine unfreiwillige Liebesnacht, die sie ihm geschenkt hatte, hatte er alles fü r sie aufs Spiel gesetzt. Und jetzt sollte er sterben, dieser unsinnigen Liebe wegen … Man muß te etwas tun! Wenn sie der Dame de La Tré moille den gewü nschten Liebestrank brä chte, wü rde sie sich vielleicht nicht weigern, den Zigeuner zu begnadigen. Aber man muß te schnell handeln.

Schroff packte sie Tereina an den Schultern und schü ttelte sie heftig.

»Hö r zu. Hö r auf zu weinen! Ich muß wieder hinauf und versuchen, ihn zu retten. Aber zuerst muß t du mir geben, weshalb ich hergekommen bin. «

Tereina trocknete ihre Trä nen und bemü hte sich um ein schü chternes Lä cheln.

»Alles, was ich habe, gehö rt dir, meine Schwester! Weshalb bist du hergekommen? «

»Ich brauche den Trank, den du mir in jener Nacht zu trinken gabst, in der … Erinnerst du dich? Die Nacht, in der Fero mich rufen ließ! Bring mir bei, wie man ihn zusammenstellt. Unser aller Leben hä ngt vielleicht von dieser Droge ab. Ich brauche sie um jeden Preis und so schnell wie mö glich. Kannst du mich lehren, sie zusammenzustellen? «

Das Mä dchen sah sie erstaunt an.

»Ich weiß nicht, in welcher Absicht du das von mir verlangst, Tchalaï, aber wenn du sagst, daß Menschenleben von dem Trank abhä ngen kö nnen, werde ich dir keine weiteren Fragen stellen. Merke dir nur, daß es lange dauert, diesen Trank zu mischen, und daß sein Rezept nicht weitergegeben werden kann. Um ihn zu machen, bedarf es auß er der Kenntnis noch einer anderen Sache … einer Art Veranlagung, sonst kommt er nicht voll zur Wirkung. Man muß einige Zauberformeln sprechen und …«

»Kannst du mir also ein wenig davon machen? « unterbrach Cathé rine ungeduldig. »Es ist sehr ernst … sehr eilig! «

»Brauchst du viel? Willst du ihn bei mehreren Personen anwenden? «

»Nein, nur bei einer! «

»In diesem Fall weiß ich, was du brauchst! «

Tereina glitt in den hinteren Teil ihres Wagens, wü hlte in einer unter dem Gerü mpel verborgenen Schachtel, zog ein rundes Flä schchen aus braunem Ton hervor, gab es Cathé rine in die Hä nde und schloß zä rtlich die Finger ihrer Freundin darü ber.

»Da! Ich hatte es fü r dich prä pariert … fü r deine Hochzeitsnacht! Es gehö rt dir also. Mache den Gebrauch davon, den du willst. Ich weiß, daß er in jeder Hinsicht gut sein wird! «

Von einem plö tzlichen Impuls getrieben, packte Cathé rine die kleine Zauberin an den Schultern und umarmte sie lebhaft.

»Selbst wenn es mit Fero nicht gutgeht, werde ich deine Schwester bleiben, Tereina … Ich wü rde dich gern mitnehmen, aber im Augenblick kann ich es nicht! «

»Und ich muß hierbleiben. Man braucht mich, weiß t du! «

Indessen verging der Sergeant der Bewaffneten drauß en vor Ungeduld. Er schlug mit seiner gepanzerten Faust das Filztuch beiseite, das den Karren verschloß, und steckte den Kopf hinein.

»Beeil dich ein wenig, Frau! Ich habe meine Befehle! Genug geredet! «

Als einzige Antwort umarmte Cathé rine Tereina noch einmal und steckte das Flä schchen in ihren Almosenbeutel.

»Danke, Tereina, und paß auf dich auf. Ich werde sehen, ob ich etwas fü r Fero tun kann. Leb wohl! «

Behende glitt sie aus dem Karren und ging zu den Bewaffneten.

»Gehen wir zurü ck. Ich bin fertig! «

Sie umringten sie von neuem, schritten durch den versammelten, schweigsamen Stamm und stiegen den Graben zur Zufahrtsrampe wieder hinauf. Im Vorbeigehen erkannte Cathé rine Dunicha, das Mä dchen, das sie zum Zweikampf herausgefordert hatte, und wandte den Kopf ab. Aber nicht so schnell, um nicht aus dem Augenwinkel den vor Haß brennenden Blick der Zigeunerin zu erhaschen. Wahrscheinlich machte Dunicha sie fü r die Verhaftung Feros verantwortlich und haß te sie jetzt ohne Zweifel hundertmal mehr als zur Zeit des Kampfes … Cathé rine andererseits zü rnte ihr nicht … da Dunicha Fero liebte, hatte sie jedes Recht, die zu hassen, die ihn ihr weggenommen hatte und fü r die er jetzt sterben sollte! Trotzdem nahm sie sich vor aufzupassen; Dunicha war nicht die Frau, nur passiv zu hassen und nicht nach einer Gelegenheit zur Rache zu suchen.

Ein Trompetenstoß hinter ihr ließ sie sich umwenden. Der Tag war jetzt sehr klar … Unter den Sonnenstrahlen flimmerte die Loire zwischen ihren grü nen Ufern wie ein Feuerstrom, und von diesem unter den Brü cken vorbeifließ enden blendenden Grund hoben sich die prä chtigen Farben eines imposanten Zuges ab. Ritter in Kriegsharnischen, die sich deutlich von einer Schar Damen in hellen Kleidern im Sattel friedfertiger Zelter unterschieden, umgaben eine groß e Sä nfte, deren blauseidene Vorhä nge, mit Goldlilien bestickt, zurü ckgeschlagen waren. Darin saß en, sorgsam in weiß es Musselin gehü llt, eine Dame, eine Amme, die ein Baby trug, zwei Kammerzofen und drei kleine Mä dchen zwischen drei und acht Jahren. Eine Kompanie Arkebusiere, Pagen und Herolde gingen dem groß en Gefä hrt voraus, dem voran ein Standartenträ ger ein groß es Banner schwang, auf dem Cathé rine mit plö tzlich stä rker klopfendem Herzen das Wappen Frankreichs verschlungen mit dem von Anjou bemerkte. Unwillkü rlich war sie stehengeblieben, aber der Sergeant drä ngte sie schon mit den Bogenschü tzen auf die grü ne Bö schung.

»Die Kö nigin! Platz fü r die Kö nigin! Und vergiß nicht niederzuknien, Zigeunerin, wenn unsere Gute Dame vorü berkommt! «

Cathé rine bedurfte dieser Mahnung nicht. Marie d'Anjou, Kö nigin von Frankreich, war eine furchtsame, schü chterne Frau, aber sie hatte ein ausgezeichnetes Gedä chtnis, und Cathé rine war lange Monate eine ihrer Ehrendamen gewesen. Es war zwar hö chst unwahrscheinlich, daß sie sie in ihrer Vermummung als Zigeunerin wiedererkennen wü rde, doch in der Kleidung der Dienerin eines hochgestellten Hauses, in der Linnenhaube, die ihr Haar verbarg, blieben als Maskierung nur noch ihr etwas dunklerer Gesichtsteint und ihre schwarzen Augenbrauen ü brig. Schon in der vergangenen Nacht, wä hrend sie sich aufs Bett setzte, hatte die Dame La Tré moille ihre neue Kammerzofe mit nachdenklichen Augen betrachtet.

»Komisch! « hatte sie gesagt. »Mir scheint, daß ich dich schon irgendwo gesehen habe. Du erinnerst mich an jemand … aber ich weiß nicht, an wen! «

Cathé rine hatte diese glü ckliche Gedä chtnislü cke gesegnet und schnell geantwortet, daß die edle Dame sich wahrscheinlich an eine ihrer Schwestern erinnere, die zum Tanzen ins Schloß gekommen sei. Es war nicht nö tig, daß die Grä fin zu lange in ihrem Gedä chtnis nachforschte. Und tatsä chlich schien sie nicht mehr darü ber nachzudenken. Dies jedoch wä re eine Katastrophe, wenn die Kö nigin sie wiedererkennen wü rde! …

Als die kö nigliche Kavalkade, von den Freudenrufen der aus Amboise herbeigeeilten Leute verfolgt, in ihrer Nä he vorbeikam, beeilte sie sich, niederzuknien und hö chst demü tig den Kopf zu senken … um so mehr als im selben Augenblick ein Trupp von Herren aus dem Schloß ritt, um die Herrscherin willkommen zu heiß en, und dieser Trupp von Gilles de Rais angefü hrt wurde.

Glü cklicherweise schenkte er ihr keinerlei Aufmerksamkeit, und als die Sä nfte hinter den Vorwerken der Festung verschwunden war, glaubte Cathé rine, den Kopf wieder heben zu kö nnen. Nur um die Beine eines vor ihr haltenden Pferdes zu sehen, wä hrend eine jugendliche Stimme trocken fragte:

»Was hat diese Frau getan, Sergeant? Und warum hast du sie verhaftet? «

Der hochmü tige Ton ließ Cathé rine errö ten, die sich, ohne eigentlich zu wissen, warum, schuldig fü hlte. Auß erdem konnte der Fragende kaum ä lter als zehn Jahre sein. Mager, mit gelbem Teint, schwarzem, glattem Haar, war dieser Junge mit breiten, knochigen Schultern, einer groß en Nase und einem Paar kleiner schwarzer, seltsam lebhafter und fü r ein so junges Wesen scharfsinniger Augen versehen. Er hatte nichts Verfü hrerisches an sich, aber aus der hochmü tigen Art, wie er den Kopf hielt, aus der Schö nheit des Pferdes, dessen Zü gel er fest mit den nervö sen Hä nden umfaß te, und besonders aus seiner teils roten, teils schwarzweiß en Kleidung, Leibgedinge der Prinzen kö niglichen Blutes, schloß Cathé rine, daß sie den Dauphin Louis, den ä ltesten Sohn des Kö nigs, vor sich hatte.

Schnell beeilte sich der Sergeant, rot vor Stolz zu antworten:

»Ich habe sie nicht verhaftet, Monseigneur, ich begleite sie lediglich auf Befehl der Sehr Hohen und Sehr Edlen Dame de La Tré moille. «

Mit offenem Mund sah Cathé rine den Dauphin die Schultern zucken, sich hastig bekreuzigen und dann ungeniert auf den Boden spucken.

»Zweifellos irgendeine maurische Sklavin! Ich hasse dieses verfluchte Gelichter, aber bei dieser Dame erstaunt mich nichts! Die ä hnelt …«

Er beendete den angefangenen Satz nicht, denn ein anderer Kavalier war herbeigeeilt und flü sterte ihm jetzt ins Ohr, ohne Zweifel, um ihm mehr Mä ß igung in seinen Ä uß erungen anzuraten. Der Anblick dieses Kavaliers ließ Cathé rine bis zu den Wurzeln ihres Haares errö ten und verwandelte ihre Unruhe in Panik. Trotz des Panzers, der den Mann vö llig umschloß, hatte sie das auf das Panzerhemd gestickte Kreuz von Jerusalem erkannt und besonders das schö ne, helle Gesicht unter dem hochgeschobenen Visier des Helmes. Pierre de Bré zé! Der Mann, der sich in Angers auf den ersten Blick in sie verliebt und auf der Stelle um ihre Hand angehalten hatte! Er war in das Komplott gegen La Tré moille verwickelt und stellte Cathé rine nicht bloß. Aber sie muß te eine ü berraschte Bewegung bei ihm befü rchten, da er sie so unerwartet am Wegrand wiedertraf!

Trotzdem, als sie ihn wiedersah, empfand sie eine plö tzliche, unerklä rliche Freude und konnte sich nicht bezä hmen, ihn mit Bewunderung anzublicken. Er war wirklich sehr schö n, dieser Pierre de Bré zé, und von sehr edler Gestalt auf seinem groß en grauen Schlachtroß! Der starke Eisenpanzer schien seine groß en Schultern nicht zu drü cken, auch nicht die lange Eschenlanze, die er auf seinen Schenkel gestü tzt hatte. Die Stimme des jungen Mannes riß sie aus ihren Gedanken.

»Monseigneur«, sagte Bré zé, »wir verspä ten uns, und die Kö nigin wartet auf uns! «

Aber wä hrend er noch sprach, blieb sein blauer Blick an dem Cathé rines hä ngen, zur selben Zeit, in der ein leises Lä cheln um die festen Lippen des Ritters spielte. Es war nur ein kurzer Blick, ein flü chtiger Augenblick, aber die junge Frau las darin die ganze Leidenschaft, die er fü r sie empfand! Er war nur ihretwegen hier, dem Miß fallen des Kö nigs und dem Haß La Tré moilles die Stirn bietend, indem er mit der Eskorte der Kö nigin in dieses Schloß kam, wo er alles andere als erwü nscht war! Er hatte sie nicht nur wiedererkannt, sondern fand auch noch ein Mittel, ihr ohne ein Wort, ohne eine Bewegung seine Liebe von neuem zu gestehen. Doch so diskret sein Lä cheln auch gewesen war, es war dem scharfen Blick des Prinzen Louis nicht entgangen, der dem Ritter einen spö ttischen Blick zuwarf.

»Hm! Es scheint, Herr Ritter, daß Ihr einen ebenso schlechten Geschmack habt wie die Dame de La Tré moille! Gehen wir! «

Ohne sich weiter um Cathé rine zu kü mmern, gab der Dauphin seinem Pferd die Sporen und zwang Bré zé auf diese Weise, ihm zu folgen. Er wandte sich nicht um, aber Cathé rines Blick folgte der Gestalt des jungen Mannes, bis sie unter dem Gewö lbe verschwunden war. Als sie sich einen Augenblick spä ter wieder auf den Weg machte, fü llte sich ihr Herz mit Vertrauen und neuem Mut! Hatte sie nicht am Arm Bré zé s eine Schä rpe aus schwarz‑ silberner Seide bemerkt, die Trauerfarben, die sie ihm als die ihren bezeichnet hatte und die er treu trug?

Er hatte sich zu ihrem Ritter erklä rt, und offensichtlich wollte er es bleiben. In Zukunft wü rde sie in diesem Schloß, in dem ihr alles Angst einjagte, seine Anwesenheit als Beruhigung und Ermutigung empfinden. Wenn es sein muß te, wü rde sie ohne Furcht zu sterben wissen, in der Gewiß heit, gerä cht zu werden, denn sie erinnerte sich des Schwurs, den er ihr auf den Knien geleistet hatte. Wenn sie scheiterte, wü rde er La Tré moille mit eigenen Hä nden tö ten, bereit, dafü r seinen Kopf dem Henker auszuliefern.

Trotzdem zwang sich Cathé rine, wä hrend sie ü ber die Kettenbrü cke schritt, diese sü ß en Gedanken zu verjagen, so trö stlich sie auch waren! in diesem selben Schloß gab es noch einen zweiten Mann, der mö glicherweise ihretwegen sterben wü rde …

 



  

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