Хелпикс

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Achtes Kapitel



 

Die Nacht hatte sich wie ein schwarzer Schleier ü ber das Land gesenkt, als Cathé rine sich halb betä ubt in einem Gemach des Schloß turms wiederfand, in das die Bogenschü tzen sie ohne viel Federlesens gestoß en hatten. Sie war von Schrecken ü bermannt worden, als ihre Wä chter sie zu dem in der Mitte des Schlosses aufragenden riesigen Turm geschleppt hatten, der so hoch war, daß man von seiner Spitze aus die Dä cher von Tours sehen konnte, denn sie hatte gefü rchtet, in eins der abscheulichen Burgverliese geworfen zu werden, die sie in Rouen kennengelernt hatte. Aber nein, der Raum, in dem sie sich befand, war groß und gut eingerichtet. Seine Wä nde verschwanden unter bestickten Leinenbehä ngen und orientalischen Seidenteppichen in Dunkelrot und Silber, wä hrend ü berall blaue Kissen verstreut lagen, die sich reizvoll von dem rotgoldenen Wappen der Familie Amboise abhoben, deren Gü ter vor kurzem durch kö nigliches Dekret enteignet worden waren.

Cathé rine widerstand der Versuchung des groß en, quadratischen Bettes in einer Ecke, das ihr hinter den zurü ckgeschlagenen Vorhä ngen die Zartheit seiner weiß en Leinenlaken und weichen Decken anbot. Schlafen! Ihren von Prellungen und Quetschungen wunden Kö rper ausstrecken! Aber der lange Degen auf einem Tisch, die in einer Ecke lehnende Ritterrü stung, die mä nnlichen Kleidungsstü cke, die auf den Armstü hlen und mit kostbaren Toilettengegenstä nden gefü llten, von Seidenstoffen und Pelzen ü berquellenden Truhen lagen – all dies sagte ihr nur zu deutlich, daß sie sich im Privatraum Gilles de Rais' befand.

Sie wuß te nicht mehr recht, woran sie war, aber die Angst war immer noch da, zä h und drü ckend. Die Erinnerungen, die sie an ihren Aufenthalt bei Gilles de Rais bewahrte, erwiesen sich als zu schmerzhaft, als daß es hä tte anders sein kö nnen. Im Grunde hatte sie, als sie dem Messer Dunichas entwischt war, nur das Schreckgespenst gewechselt, und dies hier war schlimmer als das andere. Was sie marterte, war der Gedanke, was Gilles mit ihr vorhatte. Warum hatte er sie hierherbringen lassen? Er konnte sie nicht wiedererkannt haben. Also?

Wenn sie entlarvt wü rde, wä re ihr Tod eine sichere, nur fü rs erste aufgeschobene Sache. Wenn aber nicht? Sie kannte seinen Blutdurst gut genug, um zu wissen, daß er nicht zö gern wü rde, eine Zigeunerin zu tö ten, wenn er Lust dazu hä tte. Er kö nnte sie auch vergewaltigen und dann tö ten … in jedem Fall kä me es auf dasselbe heraus, den Tod! Welchen anderen Grund, als sich zu amü sieren, kö nnte Gilles de Rais haben, eine Zigeunerin zu sich zu holen?

Auf nackten Sohlen ging sie zum Kamin, in dem ein groß es Feuer prasselte, und ließ sich auf eine mit Kissen belegte Bank sinken. Die Wä rme tat ihr gut. Sie streckte ihre zerschundenen Hä nde dankbar dem Feuer entgegen. Unter dem rauhen, zerrissenen Hemd, das sie als einziges Kleidungsstü ck trug, zitterte ihr Kö rper vor Kä lte, aber das Feuer bekä mpfte siegreich die Feuchtigkeit des Flusses und die Frische der Nacht.

Ohne daß die junge Frau es sich versah, hatten sich ihre Augen mit Trä nen gefü llt. Eine nach der anderen rollten sie auf das grobe Linnen hinunter. Cathé rine hatte Hunger! … Seit ihrer Ankunft im Zigeunerlager hatte sie immer Hunger gehabt! ü berall spü rte sie Schmerzen, aber vor allen Dingen war sie mü de, psychisch mehr noch als kö rperlich. Die Bilanz der letzten Ereignisse war noch viel erdrü ckender: Sie war in die Hä nde ihres Feindes Gilles de Rais gefallen. Sara war auf geheimnisvolle Weise verschwunden, ohne mit Tristan l'Hermite zu sprechen, fü r dessen Verhalten sie lieber erst gar keine Erklä rung zu finden versuchte. Jedenfalls sah es ganz nach im‑ Stich‑ Lassen aus …

In ihrem Kummer ü bersah sie vö llig die Tatsache, daß sie sich schließ lich immerhin in dem Schloß befand, das zu betreten sie sich so sehnlich gewü nscht hatte. Es waren die Gerä usche von auß en, die es ihr seltsamerweise zum Bewuß tsein brachten. Zwar wurden sie durch die kolossalen Mauern des Schloß turms gedä mpft, aber durch das geö ffnete schmale Fenster drang das Echo eines Liedes. Dort, in den kö niglichen Gemä chern auf der anderen Seite des Hofs, sang ein Mann zur Begleitung einer Harfe:

»Schö nste, woran denkt Ihr? was seht Ihr in mir? Ihr dü rft's nicht verhehlen …«

Cathé rine hob den Kopf, warf die schwarzen Locken zurü ck, die ihr in die Stirn hingen. Dieses Lied war das Lieblingslied Xaintrailles', und hinter der geü bten Stimme des Sä ngers schien sie eine zweite zu hö ren, unbekü mmert und ziemlich falsch, die Stimme ihres alten Freundes. Das war es, was Xaintrailles auf dem Turnierplatz von Arras gesungen hatte, und der Anruf dieser so teuren Erinnerungen riß Cathé rine mit. Ihre Gedanken wurden klarer. Ihr Blut rann lebhafter durch ihre Adern, und langsam gewann sie die Herrschaft ü ber sich.

Einige Worte des Konnetabels de Richemont kamen ihr wieder in den Sinn: »La Tré moille teilt nicht einmal das Quartier mit dem Kö nig. Im Schloß turm, bewacht von fü nfzig Bewaffneten, verbringt er die Nacht …« Im Schloß turm? Aber da war sie ja! …

Unwillkü rlich hob sie den Blick zum Steingewö lbe, dessen Bogen sich im Schatten verloren. Dieses Zimmer lag im ersten Stock. Der Mann, den sie suchte, muß te dort wohnen, ü ber ihrem Kopf … in Reichweite ihrer Hand, und bei dieser Vorstellung pulste ihr das Blut schneller durch die Adern.

Sie war derart in Gedanken versunken, daß sie nicht hö rte, wie die Tü r sich ö ffnete. Lautlos nä herte sich Gilles de Rais dem Kamin. Erst als er vor ihr stand, wurde sich Cathé rine seiner Anwesenheit bewuß t. Um ihrer Maske treu zu bleiben, erhob sie sich sofort mit erschrockener Miene, die sie, nebenbei bemerkt, gar nicht zu heucheln brauchte. Allein die Gegenwart dieses Mannes genü gte, um sie in Schrecken zu versetzen.

»Seigneur«, stammelte sie, »ich …«

Ihr bestü rztes Herz schlug in einem erschrockenen Rhythmus, aber sie hatte nicht einmal mehr Zeit, ein Wort hinzuzufü gen. Mit einer brü sken Bewegung hatte er sie an den Schultern gepackt und sie auf den Mund gekü ß t. Doch sofort ließ er sie wieder los.

»Puh! Du stinkst, meine Schö ne. Auß erdem – so schmutzig wie du ist man nicht! «

Alles hatte sie erwartet, nur das nicht! Und seltsam, sie fü hlte sich tief gekrä nkt. Sie wuß te wohl, daß sie schmutzig war, aber es ihn sagen zu hö ren war unerträ glich. Indessen trat er zurü ck und klatschte in die Hä nde. Ein Posten erschien, bis an die Zä hne bewaffnet. Er bekam den herrischen Befehl, zwei Kammerfrauen zu holen. Als der Mann mit den Zofen wiederkehrte, wies Gilles de Rais auf Cathé rine, die miß trauisch auf ihrer Bank kauerte.

»Fü hrt diese liebenswü rdige Person ins Schwitzbad! Und gebt gut acht. Du, Bogenschü tze, wirst darü ber wachen, daß meine Gefangene uns nicht entwischt! «

Nolens volens muß te Cathé rine, wü tend und unendlich verä rgerter, als sie sich eingestehen wollte, ihren Wä chtern folgen. Leise Belustigung schlich sich in ihre ü ble Laune, denn sie hatte gesehen, wie eine der Kammerfrauen mit zwei Fingern das Hö rnerzeichen hinter ihr hergemacht hatte. Die beiden Mä dchen schienen eine Heidenangst vor dieser Zigeunerin zu haben, mit der sie sich abgeben muß ten. Das machte ihrer Verkleidung zwar alle Ehre, andererseits aber wurde sie von Unruhe ergriffen, die ihre Freude, bald von ihrem Schmutz befreit zu werden, unerfreulich trü bte: Wü rde die Fä rbung des Malers Guillaume diesem Bad widerstehen? Ihr Haar war nach wie vor sehr schö n schwarz, um so mehr, als eine gute Dosis Staub darin steckte, und in einem Tä schchen, das Sara ihr in die Innenseite ihres Hemds genä ht hatte, trug sie stets die beiden Schä chtelchen bei sich, die der alte Kü nstler ihr gegeben hatte. Aber ihre Haut?

Sie wurde schnell beruhigt. Die Farbe hielt gut. Das Badewasser fä rbte sich allenfalls ein wenig gelblich, und Cathé rine ü berließ sich mit vollem Genuß dem heiß en Wasser und den parfü mierten Ö len. Ihren miß handelten Kö rper durchdrang ein kö stliches Wohlbefinden, wä hrend ihr Geist sich ebenfalls entspannte. Sie schloß die Augen, versuchte, ein wenig Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, die tief sitzende Bangigkeit, die ihr die Kehle zuschnü rte, zu beruhigen. Dieses Bad war eine unerwartete, wohltuende Atempause vor Konsequenzen, die sie sich gar nicht vorzustellen wagte, in ihrer ganzen Lä nge ausgestreckt, bemü hte sie sich, ihren Geist auszulü ften. Dieser Augenblick des Aufschubs wü rde vielleicht der letzte sein. Danach …

Cathé rine wä re am liebsten stundenlang in diesem warmen, linden Wasser geblieben, in dem ihre Schmerzen vergingen und die wunden Stellen ihrer Haut heilten. Aber zweifellos hatte Gilles de Rais nicht die Absicht, allzulange von ihr vergessen zu werden. Die Kammerfrauen holten sie endlich aus dem Wasser, kleideten sie in ein feines Seidenhemd, dann in einen dalmatinischen Ü berhang mit weiten Ä rmeln aus schwerer weiß er, grü ngestreifter Seide.

Doch als die beiden Frauen sich mit ihrem Haar beschä ftigen wollten, stieß sie sie zurü ck und wies ihnen mit so wilder Gebä rde die Tü r, daß die eingeschü chterten Dienerinnen, fraglos irgendeine Hexerei befü rchtend, nicht darauf bestanden und sich beeilten, ihr zu gehorchen. Tatsä chlich war Cathé rine nicht darauf erpicht, sie feststellen zu lassen, daß ihr ü ppiges schwarzes Haar nicht vö llig ihr eigenes war.

Allein geblieben, lö ste sie ihre Zö pfe, bü rstete und kä mmte lange ihr Haar, um es vom Staub zu befreien, und legte dann wieder bedä chtig ihre Frisur, die sie befestigte, indem sie weiß e Bä nder in ihre sowohl echten wie falschen Haare flocht. Darauf zog sie ihre Augenbrauen nach, glä ttete sie sorgfä ltig mit dem Finger und frischte ihr Lippenrot auf. Fü r den bevorstehenden, wenn auch noch so verzweifelten Kampf kam es sehr darauf an, sich gut zu wappnen, und Cathé rine wollte weithin sichtbar im Besitz aller ihrer weiblichen Reize sein. Anstä ndig und gut angezogen, ihrer Schö nheit gewiß trotz ihrer fremdlä ndischen Erscheinung, fand sie sich als Cathé rine de Montsalvy wie vorher wieder. Auß erdem gestand sie sich gern ein, daß es ihr schwerfiel, der Persö nlichkeit, die sie sich ausgeborgt hatte, zu gleichen. Aber nachdem sie sich nun einmal ins Wasser gestü rzt hatte, muß te sie eben schwimmen! Wenn sie bloß die Krä mpfe ihres hungrigen Magens beruhigen kö nnte! …

Entschlossen ö ffnete sie die Tü r des Baderaums und stand den beiden Kammerfrauen und den Wachen gegenü ber. Ihre Erscheinung ließ die Augen der Soldaten aufleuchten, aber das kü mmerte sie wenig.

»Ich bin fertig«, sagte sie nur und setzte sich mit festem Schritt in Bewegung, als ginge sie in die Schlacht.

Einige Augenblicke spä ter betrat sie wieder das Zimmer Gilles de Rais'. Dabei stellte sie aufatmend fest, daß ein reichgedeckter Tisch schon vor ihr hereingebracht worden war. Mit Befriedigung machte sie sich klar, daß man jemand, den man zu tö ten beabsichtigte, im allgemeinen nicht vorher bekö stigte!

Wie nicht anders zu erwarten, war auch der groß e Herr selbst da, lä ssig in einen hohen, geschnitzten Ebenholzsessel gelehnt; aber Cathé rine vergaß ihre Angst und hatte nur Augen fü r das goldbraune, appetitliche Huhn, das auf einer Silberplatte dampfte und kö stlichen Duft verbreitete. Pasten, Schalen mit Eingemachtem und Flakons umgaben es. Die Nasenflü gel der jungen Frau begannen zu beben … Indessen betrachtete Gilles de Rais seine Gefangene. Eine herrische Bewegung seiner blassen Hand rief sie zu sich.

»Hast du Hunger? «

Ohne zu antworten, nickte sie zustimmend.

»Dann setz dich … und iß! «

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sie zog sich einen Hocker heran, setzte sich an den Tisch, bemä chtigte sich einer Pastete und schnitt sich ein groß es Stü ck ab, das sie gierig verschlang. Noch nie hatte sie etwas so Gutes gegessen. Nach den ekelhaften dü nnen Suppen der Zigeuner war diese Pastete eine wahre Delikatesse. Sie schnitt sich ein weiteres Stü ck ab, dann ging die Hä lfte des Hü hnchens denselben Weg, wä hrend Gilles ihr einen Becher mit hellrö tlichem, dickflü ssigem Wein fü llte. Cathé rine nahm den Wein an wie alles andere und leerte den Becher mit einem Zug. Sie fü hlte sich danach um so viel besser, daß sie den scharfen Blick nicht bemerkte, mit dem ihr Gastgeber sie musterte: den Blick der Katze, die die Maus belauert. Mit einem Schlage fü hlte sie sich fä hig, es mit dem Teufel selbst aufzunehmen. Zweifellos das Feuer des Weins!

Gilles stü tzte sich mit den Ellbogen auf das Tischtuch aus besticktem Linnen, um besser zusehen zu kö nnen, wie sie eingelegte Pflaumen naschte.

Nachdem ihr Hunger gestillt war, warf Cathé rine ihm einen schnellen Blick zu, darauf wartend, daß er sprä che. Doch offenbar hielt er den Moment dafü r noch nicht gekommen, und das Schweigen wurde allmä hlich unerträ glich. Also wü rde sie beginnen. Mund und Hä nde mit einer Seidenserviette abwischend, stieß sie einen befriedigten Seufzer aus, und es gelang ihr, ihrem beunruhigenden Gegenü ber ein Lä cheln zuzuwerfen. Sie wuß te, wenn sie Furcht zeigte, wü rde sie das ganz sicher verraten.

»Vielen Dank fü r die Mahlzeit, edler Herr! Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie solche guten Sachen gegessen! «

»Nie? … Wirklich? «

»Wirklich! Unsere Feuer unter freiem Himmel bringen solche Wunder nicht zustande! Wir sind arme Leute, Herr, und …«

»Ich sprach nicht von den miserablen Kochkesseln der Zigeuner«, unterbrach Gilles de Rais kalt, »sondern von den Kü chen Philippes von Burgund, der sich Groß herzog des Abendlandes nennen lä ß t. Ich hä tte sie fü r noch raffinierter gehalten! «

Und als Cathé rine, die wie versteinert dasaß, nichts zu erwidern fand, stand er auf und trat zu der jungen Frau, beugte sich ü ber sie.

»Ihr spieltet die Komö die wie eine groß e Kü nstlerin, meine liebe Cathé rine, und ich habe als Kenner Eure … Kreation genossen, besonders in dieser Zweikampfszene! Ich hä tte nie geglaubt, daß die Dame de Brazey wie ein Mä dchen von der Straß e raufen kö nnte! Aber glaubt Ihr nicht, daß es besser wä re, bei mir mit offenen Karten zu spielen? «

Ein bitteres Lä cheln verzog Cathé rines Lippen.

»Ihr habt mich also erkannt? «

»Das war gar nicht so schwierig! Ich wuß te, daß Ihr hier wart, in der Verkleidung einer Zigeunerin! «

»Wie habt Ihr das herausgebracht? «

»Ich habe meine Spione ü berall, und es ist mir nü tzlich, sie zu haben. Unter anderem habe ich welche im Schloß von Angers. Einer von ihnen erkannte Euch wieder, nachdem er Euch in Champtocé gesehen hatte. Er ist Euch gefolgt, als Ihr zu Guillaume, dem Maler, gegangen seid. Ich muß sagen, daß dieser scheuß liche Biedermann uns allerlei Schwierigkeiten machte, bevor er von Euch und Eurer Maskierung erzä hlte, obgleich wir alle mö glichen Ü berredungskü nste anwandten …«

»Ihr habt ihn also gefoltert … getö tet? « rief die junge Frau entsetzt. »Ich hä tte Eure Hand gleich erkennen sollen! «

»Ich war's in der Tat. Leider hat er uns den Grund fü r diese Maskerade nicht anvertraut, trotz unserer Bemü hungen. «

»Aus dem einfachen Grunde, weil er ihn nicht kannte! «

»Diesen Schluß hatte auch ich schon gezogen. Ich rechne also damit, daß Ihr ihn mir mitteilt. Nehmt inzwischen davon Kenntnis, daß ich eine Vermutung habe …«

Die ü ber sie gebeugte dunkle Gestalt flö ß te ihr unerträ gliches Unbehagen ein.

Um sich davon zu befreien, stand sie auf, ging auf das geö ffnete Fenster zu und lehnte sich daran. Ihr Blick kreuzte den Gilles' und hielt ihn fest.

»Und wozu bin ich Eurer Meinung nach hierhergekommen? «

»Um Euer Vermö gen zurü ckzugewinnen! Das ist ganz legitim und ein Unternehmen, das ich verstehen kann. «

»Mein Vermö gen? «

Gilles de Rais blieb keine Zeit zu antworten. Man hatte an die Tü r geklopft, die sich sofort ö ffnete, ohne daß der Besucher auf die Eintrittserlaubnis wartete. Zwei mit Hellebarden bewaffnete Wachen traten ein und nahmen zu beiden Seiten des niedrigen Spitzbogens Aufstellung. Auf der Schwelle erschien sodann eine Persö nlichkeit, so dick wie lang, eine wahre Masse von Fett, mit Ellen goldeingefaß ten Samts behä ngt, mit rotem, gedunsenem und arrogantem Gesicht, das ein kurzer brauner Bart zierte.

»Mein Vetter«, rief der Besucher. »Ich komme, mit dir zu Abend zu speisen! Beim Kö nig stirbt man geradezu vor Langeweile! «

Unwillkü rlich war Cathé rine zurü ckgezuckt, als sie Georges de La Tré moille erkannte! Eine Blutwelle stieg ihr ins Gesicht, freudige Genugtuung, Zorn und Haß zugleich. Sie hatte nicht erwartet, dem Mann, den zu finden sie unter so vielen Beschwerlichkeiten gekommen war, so schnell zu begegnen. Mit wilder Freude stellte sie fest, daß er dicker war als je, daß seine Haut, von ungesundem Fett aufgeschwemmt, gelblich war und daß sein kurzer Atem genü gend ü ber seine von Exzessen zerrü ttete Gesundheit aussagte. Doch bei weiterer Musterung ihres Feindes sperrte sie, vor Verblü ffung stumm, Mund und Nase auf, als sie den bizarren Kopfputz gewahrte, den der Groß kä mmerer trug. Es war eine Art Goldturban, der seine Allü ren eines orientalischen Satrapen noch unterstrich, und in den Falten des Turbans funkelte ein schwarzer Diamant in seinem ganzen Feuer … einzigartig, unnachahmlich und sofort zu erkennen: der schwarze Diamant Garin de Brazeys!

Boden und Wä nde begannen, sich um Cathé rine zu drehen. Sie glaubte, wahnsinnig zu werden. In der dunklen Ecke, in die sie sich zurü ckgezogen hatte, als sie La Tré moille eintreten sah, suchte sie aufs Geratewohl nach einem Schemel und ließ sich auf ihn sinken, ohne auf einige Sä tze zu achten, die die beiden Mä nner austauschten. Sie fragte sich verzweifelt, wie der fabelhafte Diamant in die Hä nde des Kä mmerers gelangt sein konnte. Sie sah sich noch, wie sie den einzigartigen Stein in der Herberge von Aubusson Jacques Coeur ü bergab. Was hatte er ihr damals gesagt? Daß er ihn bei einem Juden in Beaucaire verpfä nden werde, dessen Namen sie sogar noch behalten hatte: Isaac Abrabanel! Wie konnte dann der Diamant am Turban La Tré moilles funkeln? War Jacques auf dem Weg von Aubusson nach Clermont abgefangen worden? War er in eine Falle geraten? Und wenn er …

Sie wagte nicht einmal, den Gedanken, das verhä ngnisvolle Wort zu formulieren, aber ein plö tzliches Verlangen zu weinen drü ckte ihr das Herz zusammen. Kein Zweifel – damit der Groß kä mmerer sich mit dem Juwel schmü cken konnte, hatte Jacques Coeur sein Leben opfern mü ssen. Niemals hä tte er aus freien Stü cken das ihm von Cathé rine anvertraute Gut preisgegeben. Besonders nicht diesem Mann, den er ebenso haß te wie sie …

Einen Augenblick schloß sie die Augen und bemerkte daher nicht, daß La Tré moille, nachdem er sie einen Moment prü fend betrachtet hatte, auf sie zuging. Erschrocken fuhr sie auf, als ein dicker, weicher, mit Ringen ü berladener Finger ihr Kinn hob.

»Gott! Was fü r ein schö nes Mä dchen! Wo hast du dieses Wunder gefunden, Vetter? «

»Im Zigeunerlager! « antwortete Gilles, wenig zuvorkommend. »Sie schlug sich mit einer anderen schwarzen Ziege. Ich habe sie auseinandergerissen und die da behalten, weil sie schö n ist. «

La Tré moille geruhte zu lä cheln, was seine ungesunden Zä hne entblö ß te, deren Fä rbung zwischen Schwarz und Grü n schwankte. Seine Hand hatte sich in einer besitzergreifenden Geste, die sie vor Ekel zittern ließ, auf Cathé rines Kopf gelegt.

»Das hast du wirklich gut gemacht, Vetter! Es war ein vernü nftiger Einfall von dir, diese wilde Hindin zu behalten! Steh auf, Kleine, daß ich dich besser sehen kann. «

Cathé rine gehorchte, beunruhigt, was noch folgen wü rde. Wenn Gilles de Rais ihre wahre Identitä t preisgab, war sie verloren. La Tré moille und er waren nicht nur Vettern, sondern auch durch einen echten, gebü hrend unterzeichneten Vertrag vereinte Verbü ndete … Gilles selbst hatte ihr in Champtocé von diesem Vertrag erzä hlt. Trotzdem ging sie einige Schritte im Raum umher, von dem genieß erischen Blick des dicken Kä mmerers verfolgt, der seinen Kommentar abgab, als wä re sie ein lebloser Kunstgegenstand.

»Sehr schö n, wirklich! Ein wahres Juwel, wü rdig des Bettes eines Fü rsten! Der Hals ist rund und fest, die Schultern sind herrlich … Die Beine scheinen lang … und das Gesicht ist exquisit! Diese groß en dunklen Augen … diese schö nen Lippen! «

La Tré moilles asthmatisches Schnaufen verkü rzte sich noch mehr, und er fuhr sich unablä ssig mit der Zunge ü ber die trockenen Lippen. In dem Gefü hl, daß sie alles auf eine Karte setzen muß te und daß allzu zurü ckhaltendes Benehmen sich nicht mit ihrer Rolle als Zigeunerin vereinbaren ließ, zwang sie sich, wenngleich es sie heftige Ü berwindung kostete, ihren Feind kokett anzulä cheln. Sie wiegte sich in den Hü ften und warf ihm sogar einen zä rtlichen Blick zu, der das Gesicht des Kä mmerers dunkelrot anlaufen ließ.

»Vorzü glich! « schnaufte er. »Wie kommt es, daß ich sie nie bemerkt habe? «

»Sie ist ein Flü chtling«, brummte Gilles de Rais. »Sie ist erst vor ein paar Tagen bei Fero angekommen, zusammen mit ihrer Tante. Es sind entlaufene Sklavinnen …«

Unwillkü rlich stieß Cathé rine einen Seufzer der Erleichterung aus. Gilles schien also nicht geneigt, ihre wahre Identitä t zu enthü llen! … Mit einem Schlage fü hlte sie sich in ihrer Maske wohler! Indessen gebot La Tré moille seinem Vetter Schweigen.

»Laß sie doch selbst antworten, damit ich wenigstens ihre Stimme hö re! Wie heiß t du, Kleine? «

»Tchalaï, Seigneur! Das heiß t Stern in meiner Sprache …«

»Und das paß t wunderbar zu dir! Komm mit, schö ner Stern, ich habe Eile, dich besser kennenzulernen! « Schon ergriff er die Hand Cathé rines, und sich zu Rais umwendend: »Hab Dank fü r das Geschenk, Vetter! Du weiß t immer, wie du mir Vergnü gen bereiten kannst! «

Aber Gilles de Rais schob sich zwischen das Paar und die Tü r. Die tief eingekerbten Furchen um seinen Mund ließ en nichts Gutes ahnen, und seine dunklen Augen funkelten in einem gefä hrlichen Feuer.

»Einen Augenblick, Vetter! Allerdings habe ich dieses Mä dchen fü r dich entfü hrt, aber es lag nicht in meiner Absicht, es dir schon heute abend zu ü berlassen! «

Unwillkü rlich warf Cathé rine Gilles einen erstaunten Blick zu. Sie hatte geglaubt, er sei seinem unangenehmen Vetter vö llig ergeben, und nun muß te sie entdecken, daß die beiden nicht so einig waren, wie sie dachte. Weit mehr! Gilles' Stolz machte aus ihm, um die Wahrheit zu sagen, einen kü mmerlichen Vasallen. Man konnte es sich schlecht vorstellen, daß es so war, doch in dieser Minute, ja … jetzt loderte eine mö rderische Flamme in seinem Blick auf. Wie wü rde dieses Duell zwischen Tiger und Schakal enden?

Die kleinen Augen La Tré moilles verengten sich in ihren Speckfalten, wä hrend ein bö ser Flunsch seine dicken Lippen verzog. Aber er ließ Cathé rine nicht los. Die junge Frau merkte nur, daß die dicke Hand auf ihrem Gelenk feucht wurde. La Tré moille muß te vor seinem gefä hrlichen Vetter Angst haben. Doch seine Stimme verriet keinerlei Zorn, als er fragte:

»Und warum nicht heute abend? «

»Weil sie heute abend mir gehö rt! Ich habe sie gefunden, ich habe sie aus den Krallen der anderen Zigeunerin gerettet, die sie tö ten wollte, und schließ lich war ich es auch, der sie, von ihrem Dreck befreit, hierhergebracht hat. Morgen werde ich sie dir geben, aber diese Nacht ist es wohl nur recht und billig, daß ich sie behalte! «

»Hier gehorcht jeder mir«, entgegnete La Tré moille mit beunruhigender Sanftmut. »Eine einzige Bewegung meiner Hand wü rde genü gen, und zwanzig Mann …«

»Aber diese Bewegung wirst du nicht machen, mein schö ner Vetter, weil du dieses Mä dchen dann ü berhaupt nicht bekä mst! Eher wü rde ich sie vorher tö ten. Und dann weiß ich zuviel, als daß du dich mit mir anlegen wü rdest. Was wü rde zum Beispiel deine Gemahlin, meine schö ne Kusine Cathé rine, sagen, wenn sie erfü hre, daß das prä chtige Halsband aus Gold und Schmelzglas, das sie sich wü nschte, von dir der sehr hü bschen Frau eines Schö ffen dieser Stadt fü r eine Liebesnacht geschenkt wurde? «

Diesmal ließ La Tré moille Cathé rine los, und die junge Frau, deren funkelnde Augen mit Leidenschaft dieses Turnier verfolgten, dessen Einsatz sie war, schloß daraus, daß der allmä chtige La Tré moille, die Geiß el des Kö nigreichs, seine Frau wie das Feuer fü rchtete. Gut, daß sie es wuß te. Und fü r diesen Abend wenigstens hatte Rais gewonnen. Aber sie war sich nicht ganz sicher, ob sie sich darü ber freuen sollte. Der dicke Kä mmerer wandte sich zur Tü r, nicht ohne der jungen Frau einen bedauernden Blick zuzuwerfen.

»Es ist gut«, murmelte er, die Schultern hebend. »Behalte sie heute abend, aber morgen hole ich sie mir. Und paß gut auf, daß du sie nicht zugrunde richtest, Vetter, sonst kö nnte ich mein zä rtliches Wohlwollen fü r dich … ä h … leicht vergessen! «

Ein letzter Blick, eine Grimasse, die als ein Cathé rine zugedachtes Lä cheln gelten konnte, und er war verschwunden. Die Soldaten schlossen im Hinausgehen gleichmü tig die Tü r hinter sich. Cathé rine und Gilles de Rais waren wieder allein.

Cathé rine fü hlte erneut, wie sich ihre Kehle zusammenzog, ihre Lage war furchtbar, und sie entdeckte, daß sie sich in ihrem Wunsch, La Tré moille aus diesem Schloß herauszulocken, wo er zu gut bewacht wurde, zwischen Hammer und Amboß begeben hatte. Sie hatte gehofft, zur Unterhaltung des dicken Kä mmerers zum Tanzen gerufen zu werden und ihn bei dieser Gelegenheit zu einem Aufenthalt in Chinon ü berreden zu kö nnen, einem Kö der zuliebe, an den sie gedacht hatte. Nun aber, zwischen dem fü rchterlichen Gilles de Rais und dem dicken Kä mmerer gefangen, gab sie nicht mehr viel fü r ihr Leben. Gilles wollte sich mit ihr amü sieren, danach wü rde er sie ohne weitere Umstä nde La Tré moille ins Bett werfen. Was wü rde aus ihr werden, wenn sie nicht mehr gefiele? Hä tte sie dann noch Zeit, ihren Plan auszufü hren? Gilles war nicht der Mann, seiner Gefangenen die Freiheit zu schenken!

Mit schnellen Schritten hatte sich der Herr Blaubart zur Tü r begeben und die starken Riegel vorgeschoben. Dann ging er zum Fenster und atmete, sich leicht hinauslehnend, zwei‑ oder dreimal tief die kü hle Nachtluft ein, ohne Zweifel, um seinen Zorn zu besä nftigen. Gedä mpfte Klä nge von Lauten und Violen stiegen in die Nacht, zart und melancholisch.

»Man konzertiert im Zimmer des Kö nigs«, murmelte er mit einer Stimme, der keine Spur von Zorn mehr innewohnte und die Cathé rine vö llig verä ndert schien. »Wie schö n diese Musik ist! Es gibt nichts Gö ttlicheres als die Musik … besonders, wenn sie von Kinderstimmen vorgetragen wird! Aber der Kö nig liebt Kinderstimmen nicht …«

Er sprach zu sich, hatte Cathé rine vielleicht vergessen, doch die junge Frau ü berlief ein Schauder bei der Erinnerung an die schrecklichen Nä chte von Champtocé, an das erschü tterte Vertrauen des alten Jean de Craon. Sie verschrä nkte die Hä nde und drü ckte sie mit aller Kraft. Sie durfte ihren Kerkermeister nicht sehen lassen, welche Furcht er ihr einjagte. Wenn sie die gefä hrliche Partie, in die sie sich eingelassen hatte, gewinnen wollte, muß te sie unbedingt kaltes Blut bewahren und die Schreckbilder energisch verjagen.

Sie nä herte sich um einen Schritt der schwarzen, noch immer am Fenster lehnenden Gestalt.

»Warum habt Ihr Eurem Vetter meine wahre Identitä t nicht enthü llt? « fragte sie behutsam.

Er antwortete, ohne sie anzusehen:

»Weil mir nichts daran gelegen ist, daß Dame Cathé rine de Brazey in der Tiefe eines Kerkers verfault! Andererseits besitzt die Zigeunerin Tchalaï viel Wert in meinen Augen! «

Cathé rine beschloß, Gilles klaren Wein einzuschenken, und sei es auch nur, um zu sehen, wie er darauf reagierte.

»Ich heiß e nicht mehr Cathé rine de Brazey«, sagte sie. »Vor Gott und den Menschen bin ich die Frau Arnaud de Montsalvys. «

Gilles de Rais fuhr bei der Erwä hnung dieses Namens wie von der Tarantel gestochen auf. Er drehte sich zu Cathé rine um und sah sie verblü fft an.

»Wie habt Ihr das gemacht? Montsalvy ist in den Gefä ngnissen von Sully‑ sur‑ Loire vor beinahe zwei Jahren gestorben! La Tré moille ist ein guter Kerkermeister, seine Gefä ngnisse von Sully‑ sur‑ Loire lassen ihre Hä ftlinge niemals frei. «

»Gut, dann muß ich annehmen, daß Ihr schlecht informiert seid, denn ich habe Arnaud de Montsalvy in Bourges in der Kirche Saint‑ Pierre‑ le‑ Guillard in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1431 geheiratet. Pater Jean Pasquerel hat uns getraut. Erinnert Ihr Euch an ihn, Messire de Rais? Er war der Kaplan von …«

Mit einer entsetzten Bewegung gebot Gilles ihr Schweigen.

»Sprecht diesen Namen nicht aus! « fauchte er, sich bestü rzt bekreuzigend. »Nicht vor mir! Niemals vor mir! … Wenn sie Euch hö rte! «

»Sie ist tot! « sagte Cathé rine verä chtlich angesichts der gemeinen Furcht, die er plö tzlich verriet. »Was habt Ihr zu fü rchten? «

»Sie ist tot, aber ihre Seele lebt, und die Seele der Hexen ist fü rchterlich. Um sie zu beschwö ren, genü gt es schon, ihren Namen auszusprechen. Diesen Namen will ich nie mehr hö ren! «

»Wie Ihr wollt! « entgegnete Cathé rine, die Schultern zuckend. »Aber das ä ndert nichts daran, daß ich Dame de Montsalvy bin und daß ich sogar einen Sohn habe! «

In dem Augenblick, als Cathé rine darauf verzichtete, die Jungfrau von Orlé ans zu beschwö ren, beruhigte sich Gilles. Sein leichenblaß gewordenes Gesicht bekam wieder etwas Farbe.

»Wie kommt es dann, daß Ihr allein hier seid? Wo ist Montsalvy? «

Das Gesicht Cathé rines versteinerte. Sie senkte die Lider, damit er den Schmerz nicht sä he, der sie jedesmal heimsuchte, wenn sie diese grausamen Worte aussprechen muß te.

»Mein Gemahl ist tot. Deswegen bin ich allein. «

Es folgte eine Stille, die schnell unerträ glich wurde. Um ihn abzulenken und um die gespannte Atmosphä re etwas aufzulockern, fragte Cathé rine fast in gesellschaftlich‑ plauderndem Ton:

»Darf ich fragen, wie es Messire de Craon, Eurem Groß vater, und der Dame Anne, seiner Gemahlin, geht, die gut zu mir war, als ich mich bei Euch aufhielt? «

Sofort bereute sie ihre Worte. Ein schrecklicher Zorn verzerrte das dä monische Gesicht Gilles'.

Er starrte sie wie ein Irrer an.

»Mein Groß vater ist im vergangenen Herbst gestorben … mich verfluchend! Meinem Bruder, dieser bleichen Miß geburt René, hat er seinen Degen vermacht! Und Ihr wagt es, mich nach ihm zu fragen! Ich hoffe, daß seine verdammte Seele zu dieser Stunde in der Hö lle brennt! Ich hoffe, daß …«

Ein Aufschrei Cathé rines brachte ihn zum Schweigen. Sie konnte die Angst, die sie vor ihm empfand, nicht mehr ertragen.

»Hö ren wir damit auf, Monseigneur! « sagte sie fest. »Vergeß t die Euren und die Klagen, die Ihr gegen sie zu haben glaubt, und … sagt mir lieber, warum Ihr die Zigeunerin Tchalaï braucht? «

»Weil ich den Gegenstand haben will, den zu finden Ihr hierher, ins Schloß, gekommen seid: Ich will den schwarzen Diamanten! Eine Zigeunerin, das bedeutet betrü gen, das bedeutet stehlen, das bedeutet behexen! «

»Ich bin keine echte Zigeunerin …«

Unversehens gab Gilles den hö flichen Ton auf, zu dem er sich ihr gegenü ber gezwungen hatte. Ein habsü chtiges Funkeln glomm in seinem Blick auf. Er ging auf Cathé rine zu und packte sie so heftig an den Schultern, daß sie wimmerte.

»Nein, aber du kannst es schon ebenso gut wie diese schwarzen Ziegen! Du bist keine Zigeunerin, aber du bist eine Teufelin! Auch du bist eine Hexe! Du verzauberst die Mä nner, Adlige oder Leibeigene, sie fressen dir aus der Hand wie furchtsame Vö gel. Du entwischst den schlimmsten Gefahren, und jedesmal kommst du stä rker und schö ner wieder heraus! Du bist besser als eine Zigeunerin! Bist du nicht von diesem Weibsteufel aufgezogen worden, den ich verbrennen wollte? «

Sara! Cathé rine machte sich sofort die heftigsten Vorwü rfe. Wie hatte sie wä hrend dieser ganzen Zeit Sara vergessen kö nnen? … Und dieser Mann hatte vor kurzem gesagt, daß sie mit ihrer Tante bei den Zigeunern angekommen sei.

»Ich habe meine alte Sara verloren! Ich weiß nicht, wo sie ist. Seit heute morgen ist sie verschwunden. «

»Ich weiß es. Einer meiner Mä nner hat sie sofort erkannt, als sie auf der Suche nach diesem Tristan l'Hermite durch die Stadt lief. Sie befindet sich jetzt in guter Hut … Aber beruhige dich, sie hat nichts zu befü rchten! Jedenfalls nicht im Augenblick. Ihr Schicksal wird von deiner Fü gsamkeit abhä ngen. «

»Ich wä re Euch verbunden, wenn Ihr mich nicht duzen wü rdet! « sagte Cathé rine scharf. »Und wenn Ihr mir auß erdem sagen wolltet, was aus Maî tre Tristan geworden ist. «

»Das weiß ich nicht«, entgegnete Gilles und fuhr fort, ohne im geringsten auf ihr Ersuchen einzugehen:

»Als meine Leute deinen Komplicen in der Herberge ›Zum kö niglichen Kelterhaus‹ verhaften wollten, ist es ihm gelungen – ich weiß nicht, durch welche Hexerei –, ihnen durch ein Fenster zu entwischen. Seitdem hat ihn niemand mehr gesehen! «

Cathé rine bemü hte sich energisch, sich dem Zugriff der nervö sen Hä nde, die ihre Schultern umspannten, zu entziehen, aber vergebens. Er hielt sie fest und nä herte sein Gesicht dem der jungen Frau so weit, daß er es fast berü hrte. Der Weindunst, mit dem sein Atem geladen war, ließ sie angeekelt das Gesicht verziehen.

»Laß t mich los, Messire! « sagte sie mit zusammengepreß ten Zä hnen. »Und bemü hen wir uns, uns klar auszudrü cken, denn zwischen uns herrscht ohne Zweifel ein Miß verstä ndnis. Ich bin nicht, wie Ihr glaubt, wegen des schwarzen Diamanten hierhergekommen. Tatsä chlich wuß te ich nicht einmal, daß er sich in den Hä nden Eures Vetters befindet. «

Von der Klarheit ihres Tons beeindruckt, ließ Gilles de Rais die junge Frau los, die sich ruhig in den groß en Ebenholzsessel setzte, den er vor kurzem noch eingenommen hatte. Er betrachtete sie mit einer Art Verblü ffung, als verstü nde er nicht so recht, was sie ihm nun sagen wollte, und verharrte noch einen Augenblick in Schweigen.

Dann schü ttelte er den Kopf.

»Ihr sucht den Diamanten nicht? « murmelte er unglä ubig. »Was sucht Ihr dann? «

»Denkt nach, Monseigneur. Ich bin Witwe, und ich habe einen Sohn. Andererseits sind wir, die Montsalvys, geä chtet, ruiniert, in Todesgefahr, wenn man unserer habhaft wird. Und von wem hä ngt unser Schicksal ab? Von Eurem Vetter La Tré moille. Aus diesem Grunde wollte ich hier eindringen: um mich ihm zu nä hern, ihn zu verfuhren, wenn ich kann, und es schließ lich zu erreichen, daß ich und die Meinen begnadigt und die Lä ndereien freigegeben werden, die meinem Sohn ein Leibgedinge abgeben sollen. Scheint Euch das nicht ein ausreichender Grund? «

»Warum dann diese Verkleidung? «

Cathé rine hob die Schultern.

»Hä tte ich auch nur den ersten Wallgraben des Schlosses ü berschreiten kö nnen, ohne verhaftet zu werden, wenn ich mich in meinem normalen Aussehen gezeigt hä tte? « Und als Gilles, ohne zu antworten, nickte, fuhr sie fort: »Der Zufall hat es gefü gt, daß ich von dem Geschmack Eures Vetters fü r die Lieder und Tä nze der Zigeuner erfuhr. Mit Saras Hilfe war es mir leicht, mich unter sie zu mischen. Das folgende kennt ihr … Jetzt mö chte ich meinerseits gern wissen, was ihr mit mir zu tun gedenkt. «

Gilles antwortete nicht sofort. Mit dü sterer Miene spielte er nervö s mit einem Dolch mit Goldgriff, den er von einer der Truhen genommen hatte.

Die junge Frau wagte kaum zu atmen, fü rchtete sich, die von Bedrohungen geladene Stille zu brechen. Doch plö tzlich fuhr sie auf. Gilles stieß den Dolch in das kostbare Holz der Truhe und sagte, ohne Cathé rine anzusehen, klipp und klar:

»Ich will, daß Ihr den schwarzen Diamanten stehlt und ihn mir dann sofort ü bergebt …«

»Ihr vergeß t, daß er mir gehö rt! In der Tat wü rde ich gern wissen, wie er in die Hä nde Eures Vetters gelangte! «

»Ein Schankwirt aus was weiß ich welcher Stadt soll den Mann, dem Ihr ihn anvertraut hattet, einen gewissen Pelzhä ndler aus Bourges, haben sagen hö ren, daß er den Diamanten bei dem Juden Abrabanel in Beaucaire verpfä nden wü rde. In der Hoffnung auf eine gute Belohnung ist der Schankwirt zum Groß kä mmerer gegangen und hat ihm davon berichtet. Von da an war die Sache leicht …«

»Er hat Maî tre Coeur tö ten lassen? « rief Cathé rine schmerzerfü llt aus.

»Aber nein! Euer Mann hatte sein Geld schon erhalten und das Weite gesucht. Der Jude besaß den Diamanten. Er wollte ihn den Sendboten meines Vetters nicht aushä ndigen … und ist dabei gestorben! «

Cathé rine stieß einen entsetzten Schrei aus, der in ein Gelä chter ü berging, das gleichermaß en schmerzlich und ironisch war.

»Der Tod! … Wieder der Tod! Und Ihr wollt diesen verfluchten Stein! Denn er ist verflucht! Er bringt Unglü ck und Blut ü ber die, die ihn besitzen, oder sie sterben ganz einfach daran! Und ich hoffe, daß es mit Eurem schö nen Vetter ebenso gehen wird. Wenn Ihr diesen Diamanten haben wollt, der direkt aus der Hö lle kommt, braucht Ihr ihn nur zu nehmen! «

Im hö chsten Grade erbittert, erhob sich ihre Stimme zum Kreischen, aber schon hatte Gilles sie brutal gepackt und preß te erbarmungslos ihre Schultern, wä hrend das von Zorn und Furcht verzerrte Gesicht sich dem ihren nä herte.

»Ich habe weniger Angst vor Satan als vor deiner Zauberei, verfluchte Hexe! Und du hast keine Wahl. Morgen wirst du La Tré moille ausgeliefert. Entweder stiehlst du mir den Diamanten, oder du wirst in der Folter sterben und deine Zigeunerin mit dir! Hier bist du nichts als eine Vagabundin ohne Bedeutung, die man nach Belieben verschwinden lassen kann. Die guten Bü rger der Stadt sind nie so glü cklich, als wenn sie die Leiche eines deiner Brü der am Galgen baumeln sehen! «

»Dann wird man mir die Zunge herausschneiden mü ssen! « erwiderte Cathé rine eiskalt. »Denn in der Folter werde ich sprechen, werde sagen, wer ich bin und warum Ihr mich hierhergeschleppt habt. Auf jeden Fall«, schloß sie bitter, »werde ich umkommen. Ihr werdet mich hier nicht lebend herauslassen. Ich habe also kein Interesse, fü r Euch diesen Stein zu stehlen! «

»Doch! Gegen den Stein ist dein Leben gerettet! Nachts muß t du zu Werke gehen. La Tré moille bewohnt diesen Turm hier. Wenn du den Diamanten hast, brauchst du ihn mir nur zu bringen, und ich werde dich ungesehen hinausschaffen. Es bleibt dir ü berlassen, dafü r zu sorgen, daß dein Stamm so schnell wie mö glich das Lager abbricht, denn euer Wohl wird von der Geschwindigkeit eurer Beine abhä ngen. Der Rest der Nacht wird Euch zur Flucht bleiben … denn, wohlverstanden, du wirst angeklagt werden und die Deinen mit dir! «

»Die Soldaten werden uns schnell eingeholt haben! « entgegnete Cathé rine. »Euer ›gerettetes Leben‹ ist nichts als ein schlecht bemä ntelter Aufschub. Danach wird das Blut einer Menge wackerer Leute in Strö men fließ en. «

»Das geht mich nichts mehr an! An dir liegt's, dich nicht erwischen zu lassen. Wenn sie dich erwischen, wü rde es dir ü brigens nicht das mindeste nü tzen, wenn du die Wahrheit sagtest. Zwischen dem Wort einer Zigeunerin und dem eines Marschalls des Kö nigs wird niemand zö gern. Man wü rde dich nur auslachen! «

»Und … wenn ich mich weigere? «

»Deine Sara wü rde sofort in die Folterkammer gefü hrt werden. Du kö nntest dem Schauspiel beiwohnen, bevor du selbst an ihm teilnä hmst! «

Cathé rine wandte angewidert den Kopf ab! Gilles' Gesicht hatte sich zu einer diabolischen, abstoß enden Maske verzerrt. Sie hob die Schultern und seufzte:

»Gut, ich werde gehorchen! … Ich fü rchte, ich habe keine andere Wahl! «

»Du wirst den Diamanten stehlen und mir ü bergeben? «

»Ja …«, sagte sie ü berdrü ssig. »Ich werde ihn Euch geben und hoffe, daß er Euch dasselbe Unglü ck bringt wie den anderen. Ich habe wahrhaftig keine Lust, ihn zu behalten. «

Die Ohrfeige, die Gilles ihr versetzte, entriß ihr einen Schmerzensschrei. Sie war so heftig gewesen, daß sie taumelte.

»Ich will deine Verwü nschungen nicht hö ren, du Luder! Du hast, nur zu gehorchen, wenn du nicht willst, daß man dich verbrennt! Gehorchen, verstehst du?! Und zwar demü tig! «

Vor Schmerz kamen ihr Trä nen. Tapfer unterdrü ckte sie ihre Wehleidigkeit, aber der Kopf drö hnte ihr noch wie eine Glocke. Haß erfü llt sah sie den Mann an, der nun befahl:

»Hilf mir beim Ausziehen! «

Er hatte sich gesetzt und streckte ihr ein Bein hin, von dem sie den Schuh herunterziehen sollte. Einen Augenblick zö gerte sie, aber sie kannte ihn zu gut, um sich zu weigern. Was nü tzte es? Sollte sie einen Dolchstoß riskieren? In seiner Wut war er zu allem fä hig. Offensichtlich hatte er die Absicht, sie zu demü tigen … Mit einem Seufzer kniete sie nieder.

Wä hrend Cathé rine ihm beim Ablegen seiner Kleidungsstü cke half, hatte Gilles einen Humpen Wein auf dem Tisch ergriffen und trank aus ihm mit vollen Zü gen. Als der Humpen leer war, warf er ihn beiseite und griff zu einem anderen, dessen Inhalt er mit derselben Gier hinuntergoß. Ein dritter folgte. Entsetzt beobachtete Cathé rine, wie sein Gesicht allmä hlich aufquoll, sich purpurrot fä rbte und seine Augen rot unterliefen. Als er nichts mehr auf dem Leibe hatte, nahm er von einem Armstuhl eine lange schwarze Samtrobe, zog sie sich ü ber, knü pfte die Kordel um seine Taille und warf der jungen Frau einen bö sen Blick zu, wä hrend er zu einem Anrichtetisch trat, auf dem Flaschen standen.

»Jetzt zieh du dich aus! « befahl er.

Langsam stieg Rö te in Cathé rines Wangen, und sie ballte die Fä uste. Ihre Augen funkelten vor Zorn, wä hrend ihr Mund sich halsstarrig verkniff.

»Nein«, sagte sie nur.

Sie machte sich auf einen Wutausbruch gefaß t. Nichts dergleichen geschah. Gilles ließ einen Seufzer hö ren, wandte sich lä ssigen Schritts zum Hintergrund des Zimmers und nahm von einem Mö belstü ck eine lange Jagdpeitsche.

»Gut«, sagte er nur. »Dann werde ich selbst es besorgen … damit! «

Im nä chsten Augenblick pfiff die lange, schmiegsame Gerte durch die Luft und fetzte einen der weiten Ä rmel herunter, nicht ohne den Arm Cathé rines sengend zu streifen, die nur mit Mü he ein Wimmern unterdrü ckte. Sie begriff, daß sie unterlegen war, daß sie gehorchen muß te, wenn sie von diesem brutalen Tier nicht zusammengeschlagen werden sollte.

»Aufhö ren! « sagte sie mit matter Stimme, »ich gehorche. «

Im nä chsten Augenblick fielen der dalmatinische Umhang und das feine Hemd zu ihren Fü ß en nieder …

Als es wieder Tag wurde, hatte Cathé rine keine Trä nen mehr. Von Entsetzen und Leiden erfü llt, war sie an der Grenze der Erschö pfung angelangt. Von dieser Nacht in den Hä nden des Sire de Rais sollte sie eine schreckliche, unauslö schliche Erinnerung zurü ckbehalten …

Der Mann war geisteskrank, es gab keine andere Erklä rung. Er war manisch Blut und Laster verfallen, und stundenlang hatte die Unglü ckliche sich den widerlichen Phantasien unterwerfen mü ssen, die Gilles' verschrobener Geist und seine abnehmende Mä nnlichkeit ihr auferlegten.

Ihr zerkratzter, miß handelter Kö rper verwehrte ihr den Schlaf, und das Blut gerann auf ihrer Schulter, in die der Rasende seine Zä hne gegraben hatte.

Wä hrend dieser ganzen schrecklichen Nacht hatte er nicht aufgehö rt zu trinken, zu trinken bis zum Delirium, und Cathé rine hatte mehr als einmal geglaubt, ihre letzte Stunde sei gekommen; aber Gilles hatte sich damit zufriedengegeben, sie windelweich zu schlagen und in den gemeinsten Ausdrü cken zu beschimpfen.

Das Quantum Wein, das ihr Peiniger in sich hineingeschü ttet hatte, hatte Cathé rine hoffen lassen, daß er endlich einschlafen wü rde, doch als die Morgenrö te anbrach und die Hö rner der Wä chter die Ö ffnung der Stadttore verkü ndeten, hatte Gilles noch nicht die Augen geschlossen. Er hatte nur die Decke zurü ckgeschlagen und war aufgestanden, seinen nackten Kö rper in der Morgenfrische reckend. Dann hatte er sich angezogen und war hinausgegangen, ohne einen Blick auf die junge Frau zu werfen, die reglos auf dem zerwü hlten Bett lag. Wie jeden Morgen rief ihn die Jagd. Hinter dem Bettvorhang, wo sie versuchte, eine bequemere Lage zu finden, hatte Cathé rine die Signale der Jagdhö rner, das Gebell der ungeduldigen Hunde und dann das Knarren der sich senkenden Zugbrü cke gehö rt.

Drauß en muß te sich ein schö ner Frü hlingstag ankü ndigen, doch durch die mit Blei eingefaß ten Scheiben der schmalen Fenster in den dicken Mauern des Schloß turms drang mit Mü he nur ein grauer, matter Schein. Das Feuer war ausgegangen, aber die Kerzen, wenn auch weit heruntergebrannt, flackerten noch. Cathé rines Schulter schmerzte so, daß sie sich trotz ihrer Mü digkeit aufraffte, um in einer der Kannen nach Wasser zu suchen. Doch kaum hatte sie den Fuß auf den Boden gesetzt, als das Zimmer sich um sie drehte, wä hrend in ihrem Kopf alles durcheinanderwirbelte. Stö hnend ließ sie sich wieder aufs Bett fallen. Sie fü hlte sich entsetzlich schwach und elend. Von Kä lteschauern geschü ttelt, wickelte sie die Decken um ihren erschö pften Kö rper. Wenn sie riefe? Vielleicht kä me eine Dienerin, die sich um sie kü mmerte …

In diesem Augenblick ö ffnete sich ganz leise die Tü r. Zuerst erschien der bä rtige Kopf, dann der kolossale Kö rper La Tré moilles. Nachdem der dicke Kä mmerer sich durch einen raschen Rundblick vergewissert hatte, daß Gilles nicht da war, schloß er sorgfä ltig und vorsichtig die Tü r und nä herte sich auf Zehenspitzen dem Bett. Mit groß en, ä ngstlichen Augen sah Cathé rine ihm entgegen. La Tré moille trug einen weiten Morgenmantel aus apfelgrü ner Seide, nach seiner Gewohnheit reichlich mit Gold verziert, dazu eine Nachtmü tze, die seinen schon etwas glatzkö pfigen Schä del bedeckte. Diese Aufmachung erschreckte Cathé rine: Hatte der dicke Kä mmerer etwa die Absicht, sofort Gilles' leeren Platz neben ihr einzunehmen? Ein Schrei wollte ihr ü ber die Lippen, und die junge Frau biß in die Decke, um ihn zu unterdrü cken.

Indessen beugte sich La Tré moille mit einem breiten Lä cheln auf den Lippen zu ihr hinunter und sagte, als er bemerkte, daß sie die Augen geö ffnet hatte:

»Ich habe meinen Vetter wegreiten hö ren und gedachte, dir einen kleinen Besuch abzustatten, mein hü bscher Engel. Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich immer an dich denken muß te! Glü cklicherweise ist diese verdammte Nacht jetzt vorbei, und von dieser Stunde an gehö rst du mir. «

Seine feiste Hand streckte sich nach der unter der Decke sich abzeichnenden Rundung einer Schulter aus und schob ungeduldig die Decke beiseite, um ihre zarte Haut zu suchen. Es war die Schulter mit der Biß wunde, und Cathé rine wimmerte vor Schmerz, worauf La Tré moille bestü rzt die Hand zurü ckzog und sie verblü fft betrachtete: Sie war blutbefleckt.

»Erbarmen, Messire«, stö hnte Cathé rine, »rü hrt mich nicht an! Es geht mir so schlecht! «

Statt einer Antwort packte La Tré moille die Decke und riß sie bis zum Fuß des Bettes herunter. Der mit blauen Flecken ü bersä te, mit Spuren getrockneten oder noch frischen Bluts gezeichnete Kö rper lag entblö ß t vor ihm. Der dicke Kä mmerer wurde rot vor Zorn.

»Dieser unverschä mte Hund! Wie konnte er's wagen, dich so zuzurichten, obwohl du fü r mich bestimmt warst? Das wird er mir bezahlen! O ja, er wird's mir bezahlen! «

Trotz ihres Zustands betrachtete Cathé rine diese vor Zorn wie Gelee wabbelnde Fettmasse mit Verblü ffung, doch La Tré moille hielt ihr Erstaunen fü r Entsetzen. Mit unerwarteter Zartheit legte er die seidene Decke wieder ü ber den zerschundenen Kö rper.

»Hab keine Angst, Kleine! Ich werde dir nichts tun! … Ich bin kein brutales Tier und verehre viel zu sehr die Schö nheit, um mich zu solcher Barbarei verleiten zu lassen! Du gehö rtest mir, und er hat es gewagt, dich zu schlagen, zu verletzen, obwohl du heute morgen zu mir kommen solltest …«

Offenbar, sinnierte Cathé rine, verzieh er am allerwenigsten, daß Gilles es gewagt hatte, etwas zugrunde zu richten, was ihm gehö rte. Seine Wut wä re zweifellos eines Hundes, eines Pferdes oder eines goldgeschmiedeten Objekts wegen ebenso heftig gewesen … Aber sie beschloß, trotzdem daraus Nutzen zu ziehen.

»Seigneur«, bat sie, »kö nntet Ihr nicht eine Dienerin schicken, die meine Schulter pflegen wü rde? Sie schmerzt ganz abscheulich und …«

»Ich werde nicht nur Kammerfrauen, sondern auch Diener schicken. Man wird dich noch in dieser Stunde zu mir bringen, schö ne Tchalaï … so heiß t du doch, nicht wahr? Du wirst gepflegt und wieder gestä rkt werden, und ich werde bis zu deiner vö lligen Wiederherstellung ü ber dich wachen. «

»Und … Monseigneur de Rais? «

Eine bö sartige Furche bildete sich im Winkel der dicken, feuchten Lippen.

»Von ihm wirst du nichts mehr hö ren! Bei mir wagt keiner, ohne meine Erlaubnis einzutreten, er ebensowenig wie die anderen! Er weiß zu gut, daß ich ihn auf schnellstem Wege in sein Schloß nach Anjou zurü ckschicken wü rde, wenn er sich das herausnä hme. Warte auf mich … ich bin gleich wieder da! «

Er wandte sich zum Gehen, doch von einer Begehrlichkeit getrieben, die er nicht ganz unterdrü cken konnte, legte er seine Hand auf die Decke ü ber Cathé rines Schenkel und liebkoste ihn.

»Je schneller du wieder gesund wirst, meine Kleine, desto eher werde ich glü cklich sein! Dann wirst du sehr zä rtlich zu mir sein, nicht wahr? «

»Ich bin Eure Dienerin, Seigneur …«, stammelte Cathé rine, beunruhigt ü ber seinen kü rzer werdenden Atem, »aber zur Stunde fü hle ich mich so schlecht, so schlecht …«

Schweren Herzens zog er seine Hand zurü ck und begann dann, ihr die Wange zu tä tscheln.

»Ganz recht, wir mü ssen vernü nftig sein! Dafü r wird es spä ter um so schö ner werden! «

Diesmal verschwand er wirklich, und zwar mit einer Flinkheit, die Cathé rine bei einer solchen Fleischmasse fü r unmö glich gehalten hä tte. Krachend schlug die Tü r hinter ihm zu. Unfä hig, noch lä nger zu denken, schloß die junge Frau die Augen und wartete darauf, daß jemand sich um sie kü mmern wü rde. Der Gedanke, zu La Tré moille zu gehen, jagte ihr keine Furcht ein. Nichts konnte schlimmer sein als die entsetzliche Nacht, die sie soeben durchgemacht hatte … und dann, war sie nicht genau aus diesem Grunde hierhergekommen: um bei ihrem Feinde einzudringen?

Einige Augenblicke spä ter kamen zwei alte Dienerinnen herein, so hä ß lich und verhutzelt, daß sie Cathé rine an die alte Phuri Daï erinnerten. Ihre Wunden wurden gewaschen, mit Heilsalbe bestrichen und verbunden, ohne daß die beiden Alten ein Wort geä uß ert hä tten. Sie sahen sich auß erordentlich ä hnlich und gemahnten in ihren schwarzen Kleidern an Grabstatuen, aber ihre Hä nde erwiesen sich als ungemein gewandt und geschmeidig. Als sie fertig waren, fü hlte Cathé rine sich schon besser. Sie dankte ihnen, worauf sich beide wortlos verneigten und sich reglos wie Baumstü mpfe am Fuß ende des Bettes niederließ en. Gleich darauf klatschte eine der beiden in die Hä nde. Diener erschienen mit einer Art Trage, auf die Cathé rine von den beiden Alten gebettet wurde, nachdem sie ihr das Hemd und ihren dalmatinischen Umhang ü bergestreift hatten.

Der Zug wand sich die schmale Treppe des Schloß turms zum oberen Stockwerk hinauf, an dessen Eingang zwei Fackelträ ger warteten. Der eine von ihnen beugte sich vor, als die Trage an ihm vorü berkam, und Cathé rine unterdrü ckte einen Ausruf der Ü berraschung. In der Livree mit den kleinen azurnen Adlern La Tré moilles erkannte sie, bä rtig und langhaarig, Tristan l'Hermite in Person!

Sie versuchte sich nicht einmal zu erklä ren, wie er da hingekommen war. Eine wahre Flut der Erleichterung ü berspü lte sie, und sie ließ sich mit geschlossenen Augen in ihr neues Gefä ngnis tragen.

 



  

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