Хелпикс

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Siebentes Kapitel



 

»Das ist die Hö hle, aus der wir das Raubtier aufstö bern mü ssen! « sagte Tristan l'Hermite, mit seiner Reitpeitsche auf das auf der anderen Seite des Flusses aufragende Schloß deutend.

Am rechten Ufer der Loire hatten die drei Reiter angehalten, neben der alten rö mischen Brü cke, und prü ften nun den Ort ihrer kü nftigen Tä tigkeit. In einen Knabenanzug aus braunem Tuch gekleidet, dessen an die Pelerine angeschnittene Kappe nur ihr gebrä untes Gesicht sehen ließ, maß Cathé rine das felsige Auß enwerk, das sich wie ein schlafender Lö we ans Fluß ufer schmiegte, und die Festung, die es krö nte, mit den Augen: die abweisenden schwä rzlichen Mauern, an die zehn massive Tü rme, die einen dicken Schloß turm umgaben, vorspringende Wehrgä nge und Pecherker, denen man ansah, daß sie hä ufig gebraucht wurden. All dies stand in krassem Gegensatz zu der Anmut dieser Fluß landschaft, die der Frü hling in zä rtliches Grü n hü llte. Einzig ein Wald von auf den Wä llen flatternden, vom kö niglichen Emblem beherrschten Fahnen gab dem rohen Bauwerk einen freundlicheren Akzent.

Sara schob die Kapuze ihrer Mö nchskutte zurü ck und betrachtete das Schloß mit Miß trauen.

»Wenn wir da einmal hineingehen, kommen wir lebend nicht mehr heraus. «

»Wir sind schon aus viel gefä hrlicheren Schlö ssern entwichen. Erinnere dich an Champtocé und Gilles de Rais! «

»Danke, ich habe nicht vergessen, daß der Herr Blaubart mich lebendig rö sten wollte«, antwortete die Zigeunerin schaudernd. »Wä hrend der ganzen Zeit in Angers dachte ich, daß wir verdammt nahe daran waren! Aber da wir nun an unserem Bestimmungsort angelangt sind, was machen wir jetzt? «

Tristan wandte sich im Sattel um und wies mit seiner Peitsche auf eine kleine Herberge, die auf der anderen Seite der Straß e, der Brü cke zugekehrt, stand und deren grü n‑ gelb‑ rotes Schild verkü ndete, daß man im ›Kö niglichen Kelterhaus‹ den besten Wein von Vouvray zu trinken bekomme.

»Dort geht Ihr hinein und wartet auf mich. Ich muß den Anfü hrer des Stammes sprechen. Macht's Euch bequem, ruht Euch aus, trinkt aber nicht zuviel! Der Wein von Vouvray schmeckt gut, aber er steigt zu Kopf. «

»Haltet Ihr uns fü r Trunkenbolde? « begehrte Sara auf.

»Mitnichten … Hochwü rden! Aber Mö nche haben einen so schlechten Ruf! Vor allem rü hrt Euch nicht von der Stelle, bis ich wieder zurü ck bin! «

Wä hrend der falsche Mö nch und der falsche Knappe ihre Pferde vor dem ›Kö niglichen Kelterhaus‹ anbanden, ritt Tristan entschlossen der Brü cke zu und entschwand bald den Augen seiner Gefä hrten. Die kleine Herberge war leer, und der Wirt bemü hte sich, seine unerwarteten Gä ste bestens zu bedienen. Er hatte noch ein gepö keltes Schwein im Keller und konnte ihnen eine krä ftige Kohlsuppe servieren, die, zusammen mit dem berü hmten Wein, eine sehr angenehme Mahlzeit ergab.

Es war Mittag, und die beiden Frauen, die sich mehr als drei Tage unterwegs befunden hatten, waren fö rmlich ausgehungert. Angenehm gestä rkt, fü hlten sie sich wohler, und selbst Sara sah die Dinge jetzt optimistischer an.

Tristan kehrte zurü ck, als der Tag sich zum Abend neigte. Er schien mü de und sorgenvoll, aber in seinen blauen Augen funkelte ein ermutigendes Licht. Er weigerte sich zu sprechen, bevor er einen Krug Wein hinuntergestü rzt hatte, weil, wie er sagte, seine Kehle so trocken wie Werg sei und der kleinste Funken genü ge, sie zu entzü nden. Von Ungeduld verzehrt, sah Cathé rine zu, wie er seinen Wein schlü rfte, aber allzulange hielt sie es nicht aus.

»Also? « fragte sie nervö s.

Tristan stellte seinen Krug zurü ck, wischte sich die Lippen am Ä rmel ab und warf ihr einen spö ttischen Blick zu.

»Habt Ihr es so eilig, Euch dem Wolf zum Fraß vorzuwerfen? «

»Sehr eilig! « antwortete die junge Frau trocken. »Und ich mö chte eine Antwort. «

»Also seid beruhigt, alles ist abgemacht. In gewisser Hinsicht habt Ihr Glü ck … aber nur in gewisser Hinsicht, denn das wenigste, was man sagen kann, ist, daß die Beziehungen zwischen dem Schloß und dem Zigeunerlager ziemlich gespannt sind. «

»Zunä chst einmal«, mischte Sara sich ein, »diese Zigeuner, was sind es fü r welche? Habt Ihr daran gedacht, das festzustellen? «

»Ihr werdet zufrieden sein, und auch hier habt Ihr Glü ck. Es sind Kaldé ras. Sie nennen sich Christen und behaupten, ein Breve Papst Martins V. zu besitzen, der vor genau zwei Jahren gestorben ist. Was ihren Anfü hrer Fero nicht hindert, sich Herzog von Ä gypten zu nennen. «

Wä hrend er sprach, begann Saras Gesicht zu strahlen. Als er geendet hatte, klatschte sie voll Freude in die Hä nde.

»Sie sind von meiner Rasse! Jetzt bin ich gewiß, von ihnen freundlich empfangen zu werden. «

»Jawohl, Ihr werdet gut empfangen werden. Nur der Anfü hrer kennt die Wahrheit, was Dame Cathé rine betrifft. Fü r alle anderen gilt sie als Eure Nichte, Dame Sara, die ebenfalls im Kindesalter als Sklavin verkauft worden ist. «

»Und«, fragte Cathé rine, »was hä lt der Anfü hrer von meinen Plä nen? «

Tristan l'Hermite runzelte die Stirn.

»Er wird uns mit aller Macht unterstü tzen. Der Haß verzehrt ihn. La Tré moille hat ihm aus einer Laune heraus verboten, den Wallgraben des Schlosses zu verlassen, weil der Kä mmerer die Tä nze seiner Stammestö chter liebt. Andererseits ist einer seiner Mä nner gestern beim Einbrechen ertappt und heute morgen gehä ngt worden. Wenn er nicht fü rchtete, die Seinen auf der Landstraß e umkommen sehen zu mü ssen, wü rde Fero fliehen! Deswegen sagte ich, daß Ihr in gewissem Maß e Glü ck habt, daß Ihr andererseits aber Euren Fuß in einen wahren Hexenkessel setzt. «

»Was macht das? Ich muß hingehen! «

»Es ist noch kalt, Ihr mü ß tet barfuß gehen, mü ß tet unter freiem Himmel oder in einem schlechten Fuhrwerk schlafen, sehr primitiv leben und …«

Cathé rine lachte ihm so schallend ins Gesicht, daß sie ihm das Wort abschnitt.

»Seid nicht albern, Messire Tristan. Wenn Ihr mein Leben genauer kennen wü rdet, wü ß tet ihr, daß ich solcherlei Dinge nicht fü rchte. Genug der Ausflü chte. Machen wir uns fertig! «

Nachdem der Wirt bezahlt war, brachen die drei Komplicen auf und ritten auf die Brü cke zu. Seit zwei Tagen war das Wetter milder geworden, und die Nacht war zwar feucht, aber nicht kalt. Cathé rine schob die Pelerinenkappe auf die Schultern zurü ck, ihre Zö pfe frei machend, die sie schü ttelte, ihr Kampfgeist war wiedergekehrt. Die Stille wurde nur durch das leise, seidige Gerä usch des Wassers in den hohen Grä sern und die Schritte der Pferde gestö rt. Ein guter Geruch nach feuchter Erde stieg in die Nase Cathé rines, die zwei‑ oder dreimal tief den Atem einzog. Die Brü cke fü hrte zunä chst zu einer langen, bewaldeten Insel, auf der ein schwaches Licht glä nzte. Bei Tag hatte die junge Frau die kleine Kapelle Saint‑ Jean und die sich ihr anschließ ende Einsiedelei bemerken kö nnen. Das muß te die Kapelle des Eremiten sein. Nachdem sie die Insel ü berquert hatten, stieß en sie auf eine weitere Brü cke, die nun direkt zum Schloß fü hrte, und diesmal konnte Cathé rine auf dem Felsen den Widerschein der Feuer im Wallgraben sehen: Dis Zigeunerlager war noch in voller Tä tigkeit.

Auf den Tü rmen und Rundgä ngen huschte hin und wieder eine Fackel, die von einem Wachsoldaten auf seinem Streifengang getragen wurde, wie eine Sternschnuppe vorü ber, und je mehr man sich nä herte, desto deutlicher konnte man die Rufe der Wä chter hö ren, die sich von Turm zu Turm antworteten. Von der kleinen Stadt Amboise, die im Schatten des Auß enwerks in ihren Wä llen eingeschlossen lag, konnte Cathé rine nur die sich nach Sü den erstreckenden Auslä ufer erkennen. Der Himmel ü ber ihnen war wolkenbedeckt, und seine Fahlheit kü ndigte den aufgehenden Mond an.

Am Rande des Wallgrabens hielten die drei Reiter an, und Cathé rine riß die Augen auf. Einen Augenblick glaubte sie, sich am Eingang zur Hö lle zu befinden. Ein Feuer loderte inmitten des Lagers, und um dieses Feuer saß der ganze Stamm auf der Erde, seltsam unbeweglich, aber allen geschlossenen Lippen entrang sich eine Art Klagelied, monoton und dü ster, auf das ab und zu das dumpfe Gerä usch der Eselhauttrommeln unter den hageren Fingern der Mä nner antwortete.

Die rotgoldenen Flammen tanzten auf ihrer kupferroten Haut, die bei einigen Tä towierungen trug. Die Frauen, in der Mehrzahl in Lumpen gekleidet, hatten dichtes, fettglä nzendes Haar, fleischige Lippen, schmale Hakennasen, schwarzgekohlte Augen, selbst die Alten, deren Haut ausgemergelter war als altes Pergament. Einige trugen unfö rmige Turbane, barbarischen Schmuck … einige waren schö n, wie die rauhen, lose sitzenden Hemden, die sie trugen, freizü gig zeigten. Die Mä nner waren schrecklich: zerlumpt, schmutzig, mit wolligem Kraushaar und langen Bä rten, unter denen sehr weiß e Zä hne blitzten. Ihre Kö pfe waren mit Lumpen oder verbeulten Helmen bedeckt, die sie zufä llig am Wege aufgelesen oder herumliegenden Leichen abgenommen hatten. Alle trugen groß e Silberringe in den Ohren. Mit unbeweglichen Gesichtern, die Augen gefä hrlich funkelnd auf das lodernde Feuer gerichtet, die nie endende Totenklage murmelnd – all dies ließ Cathé rine erschauern. Sie suchte Saras Blick, und als sie sprechen wollte, legte die Zigeunerin schnell den Finger auf den Mund.

»Nicht sprechen«, flü sterte sie so leise, daß die junge Frau sie kaum hö ren konnte, »nicht jetzt! Rü hr dich nicht! «

»Warum? « fragte Tristan ebenso leise.

»Es ist ein Trauerritus. Sie warten zweifellos auf die Leiche des Mannes, der heute morgen gehä ngt worden ist. «

Tatsä chlich bewegte sich vom Schloß herunter eine kleine Prozession dem Lager zu. Ein groß er, magerer Mann ging mit einer Fackel an der Spitze, um seinen vier Gefä hrten voranzuleuchten, die auf den Schultern einen leblosen Kö rper trugen. Der Mann, auf den das Licht fiel, war in enganliegende scharlachfarbene Hosen und ein schmutziges, zerlumptes Wams gekleidet, das aber immer noch Spuren von Goldstickerei aufwies. Die gerissenen Schlingen des Wamses ö ffneten sich weit und ließ en eine braune Brust bis zur Taille sehen, deren ausgeprä gte Muskulatur ungewö hnliche Kraft verriet. Der Mann war jung und seine Miene arrogant. Was den langen und dü nnen schwarzen Schnurrbart betraf, der seine starken roten Lippen rahmte, unterstrich er noch ihren grausamen Ausdruck, wä hrend die dunklen Augen sich schrä g zu den Schlä fen zogen, damit die asiatische Herkunft bekundend. Das dichte Haar, unter dem man die silbernen Ohrringe blitzen sehen konnte, fiel ihm bis auf die Schultern.

»Das ist Fero, der Anfü hrer! « flü sterte Tristan l'Hermite.

Der Sprechgesang der Trauerversammlung verstummte, als die Trä ger die Leiche vor dem Feuer absetzten. Die Zigeuner hatten sich erhoben, und einige Frauen hockten sich auf Knien um den Toten herum. Eine von ihnen, so alt und so runzlig, daß ihre Haut auf ihre Knochen geklebt schien, begann mit entsetzlich verbrauchter Stimme eine Art Klagelied zu singen, dessen Melodie dauernd abbrach. Eine andere, junge und krä ftige Frau nahm die Melodie wieder auf, wenn die Alte verstummte.

»Mutter und Frau des Toten«, flü sterte Sara. »Sie besingen seine Tugenden …«

Der Rest der Zeremonie war kurz. Der Anfü hrer beugte sich hinunter und schob ein Geldstü ck zwischen die Zä hne des Toten, dann nahmen die vier Mä nner ihre Last wieder auf und stiegen damit zum Fluß ufer hinunter. Im nä chsten Augenblick tauchte der Leichnam in der Strö mung des schwarzen Wassers unter.

»Aus«, sagte Sara. »Auf dem Weg des Wassers kehrt der Mann ins Land seiner Vä ter heim. «

»Jetzt kö nnen wir uns nä hern«, sagte Tristan, »denn …«

Aber er unterbrach sich. Sara hatte nä mlich plö tzlich mit voller Stimme zu singen begonnen, so daß Cathé rine erschrocken auffuhr. Es war lange her, daß die junge Frau Sara hatte singen hö ren, jedenfalls in dieser Weise. Gewiß, sie hatte oft alte Balladen geträ llert, um Klein Michel in den Schlaf zu wiegen, aber diesen fremden, aus uralten Zeiten stammenden Sprechgesang, rauh, wild und unverstä ndlich, hatte Cathé rine nur zweimal von ihr gehö rt: einmal in der Taverne Jacquot de la Mers in Dijon und dann am Feuer der Zigeuner, die Sara fü r eine kurze Weile begleitet hatte. Irgend etwas zog ihr die Kehle zusammen, wä hrend sie zuhö rte. Saras Stimme, voll und krä ftig, schien die Nacht zu durchdringen und in ihren Schwingungen den Widerhall des fernen Landes mit sich zu tragen, aus dem die fremde Frau stammte … Der ganze Stamm hatte sich zu ihr umgewandt und lauschte ihr fasziniert.

Langsam, ohne ihren Gesang zu unterbrechen, setzte Sara sich in Bewegung, stieg die Bö schung des Wallgrabens hinab. Cathé rine und Tristan folgten ihr, letzterer hielt die Pferde am Zü gel, und die Zigeuner ö ffneten vor ihnen ihre Reihen. Erst als Sara vor dem Anfü hrer stand, schwieg sie.

»Ich bin Sara, die Schwarze«, sagte sie einfach, »und mein Blut ist mit dir verwandt. Dies sind meine Nichte Tchalaï und der Mann, der uns durch viele Gefahren und Nö te zu dir gefü hrt hat. Nimmst du uns auf? «

Langsam hob Fero die groß e Hand und legte sie Sara auf die Schulter:

»Sei willkommen, Schwester! Der Mann, der dich begleitet, hatte nicht gelogen. Du bist eine der Unsrigen, und dein Blut ist rein, denn du kennst die alten Ritualgesä nge, die nur die Besten unter uns kennen. Und was sie betrifft –«, sein dunkler Blick musterte Cathé rine, der es plö tzlich schien, als hü llten Flammen sie ein, »– so wird ihre Schö nheit das Juwel unseres Stammes sein. Kommt, die Frauen werden sich um euch kü mmern! «

Er verbeugte sich vor Sara wie vor einer Kö nigin, fü hrte dann Tristan ans Feuer, wä hrend ein tratschender Kreis von Weibern sich um die beiden Frauen schloß. Verdutzt ließ sich Cathé rine zu den am Fuß e eines der Tü rme aufgestellten Fuhrwerken geleiten. Eine Stunde spä ter zwischen Sara und der alten Orka, der Mutter des Hingerichteten, ausgestreckt, versuchte sie, sich aufzuwä rmen und gleichzeitig Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Tristan war zur Herberge des ›Kö niglichen Kelterhauses‹ zurü ckgeritten, wo er sich zur Verfü gung seiner Gefä hrtinnen halten wollte, bereit zum Eingreifen und dennoch abseits des Zigeunerlagers, wo seine Anwesenheit nur unnö tiges Aufsehen erregt hä tte. Er hatte Cathé rines und Saras Kleider mitgenommen, denn es war die erste Sorge der Frauen des Stammes gewesen, die beiden mit dem zu versorgen, was man in den Truhen hatte finden kö nnen. Und jetzt, lediglich in ein langes Leinenhemd gekleidet, das so rauh war, daß es ihre Haut reizte, dazu in eine Art bunten und ziemlich ausgefransten, aber einigermaß en anstä ndigen Ü berhang, der oben wie eine rö mische Toga zusammengehalten wurde, kuschelte Cathé rine sich an Sara, die nackten Beine unter sich gezogen, und versuchte, sich ein wenig zu wä rmen. Sie hä tte sonst etwas fü r ein Bü ndel Stroh gegeben, aber in diesem mit einer durchlö cherten Plane bedeckten Karren gab es so etwas nicht. Die Bodenplanken waren notdü rftig mit ein paar Tuchfetzen ausgestopft, was ein wenig vor der Zugluft schü tzte und die Hä rte des Holzes milderte … Ein Seufzer entrang sich ihr, und Sara, die spü rte, daß sie sich rü hrte, flü sterte:

»Bist du ganz sicher, daß du nichts bedauerst? «

Die leise Ironie, die in der Frage lag, entging Cathé rine nicht. Sie biß die Zä hne zusammen.

»Ich bedauere nichts … ich friere nur! «

»Du wirst nicht lange zu frieren brauchen. Erstens gewö hnt man sich an alles, und dann werden auch bald wä rmere Tage kommen. «

Die junge Frau antwortete nicht. Sie spü rte, daß Sara, vielleicht weil sie sich alsbald dem schweren Leben der Ihren angepaß t hatte, kein Mitleid fü r sie empfand. Es lag in ihrer Stimme eine Art ruhiger Zufriedenheit: Zufriedenheit darü ber, daß sie zu den tiefen Quellen ihres Ursprungs zurü ckgekehrt war. Und Cathé rine schwor sich, sich der Rolle gewachsen zu zeigen, die zu spielen sie sich vorgenommen hatte, denn sie wollte vor Sara nicht das Gesicht verlieren. Sie begnü gte sich also, sich noch fester in ihren Ü berhang zu wickeln und auch ihre eisigen Beine drunterzuziehen, und murmelte ein undeutliches »Gute Nacht«. An ihrer Seite schlief die alte Orka ohne Gerä usch und ohne sich zu rü hren wie eine Tote.

Der Tagesanbruch brachte fü r Cathé rine die Begegnung mit den Leuten des Stammes, und bei dieser Gelegenheit vermochte sie das ganze Elend abzuschä tzen. Die Feuer der Nacht hatten eine Art Schminke ü ber die Baufä lligkeit der Karren, den Schmutz der Kö rper und Kleider gelegt. Das Tageslicht aber zeigte unbarmherzig die fast nackten Kinder, die ü brigens nicht darunter zu leiden schienen, zeigte die mageren Tiere, Hunde, Katzen und Pferde, die auf der Suche nach Nahrung durchs Lager strichen, und zeigte auch das wahre Gesicht der Zigeuner.

Einige flochten fü r ihren Lebensunterhalt Kö rbe aus den Binsen des Flusses, aber die meisten waren Kupferschmiede. Ihre Schmiede war indessen hö chst primitiv: drei Steine als Feuerherd, ein Blasebalg aus Ziegenhaut, mit den Zehen betrieben, und ein weiterer Stein als Amboß. Was ihre Gefä hrtinnen betraf, so lasen sie aus der Hand, kochten und stellten ü berall ihren lä ssigen Gang zur Schau, wiegten sich auf provozierende Weise in den Hü ften. Auch ihre Art, sich zu kleiden, erstaunte Cathé rine: Nicht selten konnte man eine Frau mit entblö ß ten Brü sten bei ihrer jeweiligen Tä tigkeit antreffen, doch verbargen sie ihre Schenkel und Beine bis zu den Knö cheln.

»Bei uns hä ngt die Scham mit den Schenkeln zusammen«, erklä rte Sara mit Wü rde. »Die Brust hat keine andere Bedeutung als eben ihre Funktion, das Nä hren der Kinder! «

Wie dem auch sei, dachte Cathé rine, die Mä nner mit ihren wilden Augen und blitzenden Zä hnen sahen wie Teufel aus, die Frauen, wenn sie jung waren, wie freche Teufelinnen, und wenn sie alt waren, wie unheimliche Hexen. Und insgeheim gestand die junge Frau sich ein, daß diese Leute ihr Furcht einflö ß ten.

Mehr als alle vielleicht der groß e Fero. Das grobgeschnittene Gesicht des Anfü hrers schien noch grausamer zu wirken, wenn er sie ansah. Sein dunkler Blick funkelte wie der einer Katze, wä hrend er sich nervö s ü ber die Lippen leckte. Aber er sprach sie nie an, ging langsam seines Weges und drehte sich manchmal um, um sie noch einmal zu betrachten.

Vö llig entwurzelt, schloß Cathé rine sich verzweifelt an Sara an, die sich unter ihren Rassegenossen mit souverä ner Ungezwungenheit bewegte. Alle bezeigten ihr Ehrerbietung, von der Cathé rine profitierte, ü brigens sehr wohl begreifend, daß man sie ohne Sara zweifellos miß achtet hä tte, sie, die Zufallszigeunerin, die nicht einmal das gemeinsame Idiom sprach. Um neugierigen Fragen zu entgehen, gab Sara sie aus Vorsicht als geistig beschrä nkt aus …

Zwar war das ganz bequem, aber Cathé rine konnte sich trotzdem nicht daran gewö hnen, daß die Zigeuner mitten in der Unterhaltung schwiegen, wenn sie sich nä herte, und ihr nachstarrten, wenn sie sich entfernte. Sie war von Blicken umgeben, in denen sie gewisse Dinge sehr gut lesen konnte: neidischen Spott bei den Frauen, heimtü ckische Lü sternheit bei der Mehrzahl der Mä nner.

»Diese Leute mö gen mich nicht«, sagte sie zu Sara nach den ersten drei Tagen. »Ohne dich hä tten sie mich niemals aufgenommen! «

»Sie spü ren in dir etwas Fremdes«, erwiderte die Zigeunerin. »Sie wundern sich darü ber, und es miß fä llt ihnen. Sie glauben, bei dir sei etwas ü bernatü rliches im Spiel, wissen aber nicht, wie oder was. Einige meinen, du seist eine Keshalyi, eine gute Fee, die ihnen Glü ck bringen wird (Fero versucht, sie davon zu ü berzeugen), andere wieder sagen, du hä ttest den bö sen Blick. Meistens sind es Frauen, hauptsä chlich, weil sie in den Augen ihrer Mä nner lesen kö nnen und du ihnen Furcht einflö ß t. «

»Was soll man also tun? «

Sara hob die Schultern und wies mit einer Kopfbewegung auf das Schloß, das wuchtig und schwarz ü ber ihnen emporragte.

»Warten! Vielleicht kommt bald der Augenblick, in dem der Seigneur La Tré moille nach weiteren Tä nzerinnen verlangt. Zwei Stammestö chter sind schon seit acht Tagen oben, und es ist ungewö hnlich, sagt Fero, daß man sie so lange behä lt. Er glaubt, man habe sie getö tet! «

»Und … das nimmt er einfach so hin? « rief Cathé rine mit plö tzlich trockenem Munde aus.

»Was soll er machen? Er hat Angst wie alle hier. Er kann nur gehorchen und seine Frauen liefern, selbst mit der grö ß ten Wut im Herzen. Er weiß sehr gut, daß der Kä mmerer, wenn es ihm gefiele, eine Kompanie Bogenschü tzen auf den Zinnen aufmarschieren und auf das Lager schieß en lassen kö nnte, und niemand wü rde ihn daran hindern, am allerwenigsten die Leute von der Stadt, die die Umherziehenden wie den Teufel fü rchten! «

Ein bitterer Unterton schwang in Saras Stimme. Cathé rine verstand, daß sie die Wut Feros teilte, weil die dem Vergnü gen La Tré moilles geopferten Frauen ihrer Rasse angehö rten. Sie verspü rte plö tzlich das Verlangen, sie zu trö sten.

»Es wird nun nicht mehr lange dauern! Bitten wir den Himmel, daß er mich bald da hinaufsteigen lä ß t! «

»Den Himmel bitten, daß er dich in Gefahr bringt? « sagte Sara traurig. »Du muß t verrü ckt sein! «

Doch Cathé rine dachte nur an den Augenblick, in dem die Laune des Groß kä mmerers sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenü berstellen wü rde. Jeden Abend, am Feuer, nach dem gemeinsam eingenommenen Mahl, beobachtete sie sorgfä ltig die Mä dchen, die Fero tanzen ließ, um sie nachahmen zu kö nnen, wenn die Zeit gekommen wä re. Der Anfü hrer sprach sie niemals an, aber sie wuß te, daß er fü r sie jeden Abend diese Tä nze auffü hren ließ, und oft traf sie auf seinen dü steren, rä tselhaften und schwü len Blick.

Immerhin hatte Cathé rine sich unter den Frauen zwei Freundinnen gewonnen: Die eine war die alte Orka, die nie den Mund auftat, sie aber stundenlang kopfschü ttelnd anstarren konnte. Es hieß, sie habe durch den Tod ihres Sohns den Verstand verloren, aber Cathé rine fand Trost darin, diesem alten, freundschaftlichen Gesicht zu begegnen. Die andere, die sich nicht feindlich zeigte, war Feros eigene Schwester. Tereina muß te etwa zwanzig Jahre alt sein. Unglü cklicherweise war sie infolge eines Sturzes als Kind verkrü ppelt und verunstaltet geblieben und schien jetzt nicht viel ä lter als zwö lf. Man vergaß die Unansehnlichkeit ihres Gesichts, wenn man ihre Augen sah, zwei riesige schwarze, leuchtende Seen, die immer den Eindruck erweckten, als sä hen sie weiter und tiefer als die anderen.

Tereina war gleich am nä chsten Tag nach Cathé rines Ankunft zu ihr gekommen. Ohne ein Wort zu sagen, hatte sie ihr mit schü chternem Lä cheln eine Ente hingehalten, der sie kunstgerecht den Hals umgedreht hatte. Cathé rine hatte die Geste als Willkommensgruß verstanden und dem jungen Mä dchen gedankt, aber sie hatte nicht umhin gekonnt hinzuzufü gen:

»Wo hast du sie her? «

»Von da unten«, antwortete das junge Mä dchen, »nahe dem Klosterteich! «

»Es ist sehr hochherzig von dir, sie mir zu bringen, aber du weiß t, daß du dich eigentlich an fremdem Gut vergreifst? «

Da hatte Tereina ihre groß en Augen erstaunt aufgerissen.

»Fremdes Gut? Das gibt's nicht. Der Schö pfer hat die Tiere geschaffen, um die Menschen zu ernä hren. Warum behalten dann einige sie ganz fü r sich allein? «

Auf diese Logik hatte Cathé rine keine Antwort gefunden. Sie hatte die Ente, die sie zuvor gebraten hatte, mit Tereina geteilt. Seitdem hatte das junge Mä dchen sich ihr angeschlossen und half ihr, sich an ihr neues Leben zu gewö hnen, im Stamm genoß die Schwester des Anfü hrers auß erdem einen besonderen Rang. Sie kannte die Heilkrä uter und galt dank dieser Kenntnis als Arzneifrau, die Krankheiten heilen, das Sterben mildern oder Liebe entfachen konnte. Das trug ihr die etwas ä ngstliche Achtung aller ein.

Am vierten Tag, als die Abenddä mmerung einbrach, ließ Fero die beiden Frauen nicht wie an den anderen Abenden an sein Feuer rufen, um am Mahl teilzunehmen. Sie blieben um den Kochtopf der alten Orka versammelt und aß en schweigend das Gericht aus Buchweizen und Speck, stark mit Knoblauch gewü rzt, das sie bereitet hatte. Das Lager war still und trü bsinnig, denn man hatte immer noch keine Nachricht von den beiden ins Schloß hinaufgegangenen Mä dchen. Andererseits hatten sich etwa zehn Mä nner aufgemacht, um in der Loire zu angeln, immer auf der Hut, den kö niglichen Fö rstern nicht in die hart zupackenden Hä nde zu fallen. Sie wü rden erst nach zwei oder drei Tagen zurü ckkehren. In seinem Karren verschanzt, blieb Fero unsichtbar, und es gab an diesem Abend weder Gesä nge noch Tä nze. Der Himmel war den ganzen Tag ü ber mit dicken schwarzen Wolken verhangen gewesen. Eine fü r die Jahreszeit ungewö hnliche Wä rme hatte eingesetzt. Es sah nach Gewitter aus, und die bedrü ckte Cathé rine fand es schwierig, die feuchte, schwere Luft zu atmen. Sie hatte die zu fette Suppe, deren starker Geruch ihr Ü belkeit verursachte, kaum angerü hrt und wollte wieder in den Karren zurü ck, um sich schlafen zu legen, als Tereina am Feuer erschienen war. Ein Stü ck dunkelrotes Tuch umhü llte ihren miß gestalteten Kö rper, und ihr blasses Gesicht, das sich aus dem Dunkel abhob, ä hnelte dem eines Gespenstes. Sara wies schon mit der Hand auf einen Platz neben sich, aber das junge Mä dchen hatte nur Cathé rine angesehen.

»Mein Bruder mö chte dich sprechen, Tchalaï! Ich werde dich zu ihm fü hren! «

»Was will er von ihr? « fragte Sara schnell.

»Wer bin ich, ihn danach zu fragen? Der Anfü hrer befiehlt, man muß ihm gehorchen! «

»Ich komme mit! «

»Fero hat gesagt, Tchalaï allein. Er hat nicht gesagt, Tchalaï und Sara! Komm, meine Schwester. Er wartet nicht gern. «

Das junge Mä dchen trat einen Schritt zurü ck und tauchte wieder in den Schatten. Worauf Cathé rine wortlos dem kleinen roten Gespenst folgte. Eine hinter der anderen, durchquerten sie gut die Hä lfte des stillen Lagers. Die Feuer verloschen schon langsam, und die Zigeuner zogen sich zur Ruhe zurü ck. Die Nacht war dunkel, und man konnte nicht viel sehen. Plö tzlich, als der im Innern von einer Ö llampe erleuchtete Karren mit Scheibenrä dern, der dem Anfü hrer als Unterkunft diente, nur noch ein paar Schritte entfernt war, blieb Tereina stehen und drehte sich zu Cathé rine um, die im Schatten die groß en Augen der Zigeunerin blitzen sah.

»Tchalaï, meine Schwester, du weiß t, daß ich dich liebe«, sagte sie ernst.

»Ich glaube es wenigstens! Du bist immer gut zu mir gewesen. «

»Weil ich dich liebe. Aber heute abend mö chte ich's dir beweisen. Da … nimm das und trinke! «

Sie hatte aus ihrem Kleid ein Flä schchen gezogen und gab es, das noch ganz warm von ihrer eigenen Kö rperwä rme war, Cathé rine in die Hand.

»Was ist's? « fragte die junge Frau, plö tzlich miß trauisch.

»Etwas, was du dringend brauchst. Ich habe in dir gelesen, Tchalaï. Dein Herz ist kalt wie das Herz einer Toten, und ich will, daß dein Herz wieder aufwacht. Mit dem, was ich dir hier gebe, wird dein Herz wieder leben. Trinke ohne Zö gern … es sei denn, du miß traust mir …«, fü gte sie mit so viel Trauer in der Stimme hinzu, daß Cathé rine ihr Miß trauen schwinden fü hlte.

»Ich miß traue dir nicht, Tereina, aber warum heute abend? «

»Weil du es heute abend brauchen wirst. Trinke ohne Furcht. Es sind wohltuende Krä uter. Du wirst weder Mü digkeit noch Mutlosigkeit empfinden. Ich habe diese Mischung fü r dich zusammengestellt … weil ich dich liebe. «

Etwas Starkes trieb Cathé rine, das Flä schchen an die Lippen zu setzen. Es entströ mte ihm ein Duft nach Krä utern, krä ftig, aber angenehm. Sie empfand keine Furcht mehr. Man bietet kein Gift mit so zä rtlicher Stimme an … In einem Zug trank sie den Inhalt aus, dann muß te sie husten. Es war wie eine parfü mierte Flamme, was sie da geschluckt hatte, und sofort fü hlte sie sich stä rker und mutiger. Sie lä chelte in das zä rtliche Gesicht des jungen Mä dchens.

»So! Bist du nun zufrieden? «

Liebevoll drü ckte Tereina ihr die Hand und lä chelte auch:

»Ja … geh jetzt! Er erwartet dich! «

Tatsä chlich hob sich unter der hochgeschlagenen Plane des Karrens die Silhouette Feros schwarz gegen den hellen Hintergrund ab. Tereina verschwand wie durch Zauberei, wä hrend Cathé rine, von neuem Mut erfü llt, auf den Wohnkarren des Anfü hrers zuging. Er nahm wortlos ihre Hand, half ihr, in das Fahrzeug zu steigen, und ließ die Plane wieder herunter. Im selben Augenblick erhellte ein fahler Blitz den Himmel, wä hrend am Horizont der Donner grollte. Cathé rine zuckte ü berrascht zusammen. Die weiß en Zä hne Feros blitzten zwischen seinen roten Lippen.

»Hast du Angst vor Gewittern? «

»Nein. Ich war nur ü berrascht. Warum sollte ich Angst haben? «

Ein neuer Donnerschlag, stä rker als der erste, schnitt ihr das Wort ab. Und sogleich fing es an zu regnen, heftig, in schweren Tropfen, die auf die schä bige Plane des Wagens trommelten. Fero streckte sich auf den zusammengefalteten Decken aus, die ihm als Bett dienten. Er hatte sein Wams ausgezogen und trug nur seine scharlachroten Beinkleider. Der trü be Schein der an einer Eisenstrebe des Wagens hä ngenden Ö lfunzel ließ seine braune Haut und seine langen schwarzen, nach hinten zurü ckgeworfenen Haare aufglä nzen. Sein Blick lag unverwandt auf Cathé rine, die am Eingang stehengeblieben war. Er hatte ein neues Lä cheln an sich, trä ge, ein wenig spö ttisch.

»Ich glaube wirklich, du fü rchtest dich nicht vor vielem, da du ja hier bist … Weiß t du, warum ich dich kommen ließ? «

»Ich denke, du wirst mich unterrichten. «

»Das stimmt. Ich wollte dir sagen, daß fü nf meiner Mä nner dich schon zur Frau begehrt haben! Sie sind bereit, sich fü r dich zu schlagen. Du wirst dann den auswä hlen mü ssen, mit dem du das Brot brichst, das Salz nimmst und den Krug der Neuvermä hlten teilst. «

Cathé rine zuckte zusammen und gab sofort das ›Du‹ ihrer Rolle auf.

»Mir scheint, Ihr verliert den Kopf. Vergeß t Ihr, wer ich bin und weshalb ich hier bin? Ich will ins Schloß hinauf, und damit Punktum! «

Eine grausame Flamme blitzte in den Augen des Zigeunerfü hrers auf, und er hob die Schultern.

»Ich vergesse nichts. Du bist eine groß e Dame, ich weiß! Aber du hast unter uns leben wollen, und ob du willst oder nicht, wirst du dich unseren Brä uchen unterwerfen mü ssen. Wenn mehrere Mä nner eine freie Frau begehren, muß sie unter ihnen wä hlen, wenn sie nicht den Kampf vorzieht, den sie sich liefern werden und der ü ber ihren Besitz entscheidet. Alle meine Mä nner sind tapfer, und du bist schö n: Der Kampf wird heiß sein. «

Zornesrö te stieg in Cathé rines Gesicht. Dieser unverschä mte Bursche, halbnackt vor ihr ausgestreckt, verfü gte mit empö rendem Zynismus ü ber ihre Person.

»Ihr kö nnt mich nicht zu dieser Wahl nö tigen! Messire l'Hermite …«

»Dein Gefä hrte? Er wird nicht wagen, sich in die Brä uche meines Volkes einzumischen. Wenn du hierbleiben willst, muß t du wie eine echte Zigeunerin leben oder es zumindest vorgeben. Keiner der Meinen wü rde es verstehen, wenn eine meiner Untertaninnen gegen das Gesetz verstieß e. «

»Aber ich will nicht! « stö hnte Cathé rine mit erstickter Stimme, wä hrend sich ein Schluchzen ihrer Kehle entrang. »Kö nnt Ihr mir's nicht ersparen? Ich werde Euch Gold geben … soviel Ihr wollt! Ich kann keinem dieser Mä nner angehö ren, ich will nicht, daß sie sich meinetwegen schlagen, ich will nicht! «

Unbewuß t hatte sie ihre Hä nde in einer bittenden Geste gefaltet, und ihre groß en, trä nenerfü llten Augen flehten ihn an. Etwas milderte sich in der harten Miene des Anfü hrers.

»Komm her! « sagte er sanft.

Sie rü hrte sich nicht, starrte ihn weiter verstä ndnislos an. Er wiederholte fester:

»Komm her! «

Und als sie wie erstarrt stehenblieb, richtete er sich halb auf, packte Cathé rine am Arm und zwang sie vor sich auf die Knie. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus, aber er lachte:

»Fü r jemand, der sich nie fü rchtet, benimmst du dich hö chst seltsam! Aber ich will dir nichts antun. Hö r mir nur zu, schö ne Dame, edle Dame … ich bin auch edel! Ich bin Herzog von Ä gypten und trage in mir das Blut des Herrn der Welt, des Eroberers, der selbst die Kö nige unterworfen hat. «

Seine Hand fuhr langsam den nackten Arm Cathé rines hinauf, suchte die Rundung ihrer Schulter. Die junge Frau sah ihn jetzt ganz nahe und war ü ber die Zartheit dieser braunen Haut, ü ber das Blitzen dieser funkelnden Augen, die sie faszinierten, erstaunt. Die Hand auf ihrer Haut war warm und schien schlagartig ihr Blut zu erregen … Ein Nebel verschleierte Cathé rines Augen, wä hrend Hitzewellen durch ihren Kö rper strö mten. Plö tzlich wü nschte sie, daß die Hand, die ihre Schulter liebkoste, sich weiterwagte …

Vor diesem Liebesverlangen, das herrisch und primitiv in ihr aufstieg, zuckte sie zusammen und versuchte, der Hand zu entschlü pfen, die sie festhielt, doch vergeblich.

»Was wollt Ihr? « murmelte sie mit kurzem Atem.

Von neuem glitt die Hand ü ber ihren Arm, preß te ihn, um sie nä her heranzuziehen. Der heiß e Atem des Anfü hrers strich ü ber Cathé rines Lippen.

»Es gibt fü r dich ein Mittel, meinen Mä nnern zu entgehen, ein einziges! Man begehrt nicht das Eigentum des Anfü hrers …«

Sie versuchte, verä chtlich zu lachen, stellte aber zornig fest, daß ihr Lachen falsch klang.

»Darauf wollt Ihr also hinaus? «

»Warum nicht? Aber die Forderung meiner Mä nner bleibt bestehen. Ich darf hinzufü gen, daß ich mich, wenn du auf dem Kampf bestehst, ebenfalls schlagen werde, um dich zu besitzen. «

Der Griff des Zigeuners hielt sie weiter am Boden, drü ckte sie fast an seine Brust. Er beugte sich noch vor, und sein Mund berü hrte leicht ihr gespanntes Gesicht.

»Sieh mich genau an, schö ne Dame! Sag mir, was mich von diesen groß en Herren unterscheidet, denen du vorbehalten bist? Der Groß kä mmerer, dem du dich vielleicht anbieten willst, ist dick und abstoß end. Er ist schon alt, und die Liebe ist fü r ihn ein schweres Spiel. Ich dagegen bin jung, mein Kö rper ist krä ftig. Ich kann dich nä chte‑ und nä chtelang, ohne mü de zu werden, lieben. Warum also wü rdest du mich nicht wä hlen? «

Seine rauhe Stimme hatte eine verzaubernde Gewalt, und in dem bebenden Kö rper Cathé rines kochte das entflammte Blut. Mit Schrecken entdeckte sie, daß sie gar keine Lust zum Widerstand hatte, daß sie noch mehr hö ren wollte, daß sie nach Liebe dü rstete … Der so nahe Impuls, sich diesem Mann an den Hals zu werfen, war so heftig und gleichzeitig so animalisch, daß Cathé rine das Grauen in ihrem Blut fü hlte. Und blitzartig begriff sie, was Tereina ihr zu trinken gegeben hatte. Ein Aphrodisiakum, einen Liebestrank! irgendeine hö llische Mixtur, die sie dem Anfü hrer der Zigeuner fü gsam und willfä hrig ausliefern sollte!

Ein Aufwallen ihres Stolzes kam ihr zu Hilfe. Wild riß sie sich aus den Armen, die sie noch hielten, schleppte sich auf den Knien ü ber den Boden des Karrens, klammerte sich an die Stü tzen und stand auf. Im Rü cken fü hlte sie die Unebenheit des Holzes, die Feuchtigkeit der nassen Plane. Sie zitterte an allen Gliedern und muß te die Zä hne zusammenbeiß en, damit sie nicht klapperten. Vom Grunde ihres verzweifelten Herzens stieg ein Gebet zum Himmel empor, der mehr als je unerreichbar war, wä hrend ihre Hand mechanisch in den Gü rtel fuhr, nach dem Dolch, nach Arnauds Dolch, den sie gewohnheitsmä ß ig immer bei sich trug. Aber Tchalaï, die Zigeunerin, hatte keinen Dolch, und die Hand griff nur in den rauhen Stoff des Kleides. Immer noch im Schatten kauernd wie eine groß e Katze, beobachtete Fero sie mit rot unterlaufenen Augen.

»Antworte! « knurrte er. »Warum wü rdest du mich nicht wä hlen? «

»Weil ich Euch nicht liebe! Weil Ihr mir Entsetzen einflö ß t …«

»Lü gnerin! Du begehrst mich genauso wie ich dich! Du siehst nicht deine schon trü ben Augen, hö rst nicht dein ersticktes Keuchen …«

Cathé rine stieß einen Zornesschrei aus.

»Das ist nicht wahr! Tereina hat mir irgendeine teuflische Mixtur zu trinken gegeben, und das wiß t Ihr und rechnet damit! Aber Ihr werdet mich nicht bekommen, weil ich's nicht will! «

»Meinst du? «

Eine geschmeidige Bewegung, und er stand vor ihr, sie zwischen seiner Brust und den Holzstreben einklemmend. Sie versuchte, zur Seite zu gleiten, aber sie konnte kaum atmen … und sie empfand noch immer das Brennen in ihrem Kö rper, primitiv und erniedrigend, aber bei der Berü hrung mit diesem Mann wurde es gebieterisch … Cathé rine preß te die Zä hne zusammen, stemmte beide Hä nde gegen Feros Brust, versuchte vergeblich, ihn zurü ckzustoß en.

»Laß t mich! « keuchte sie. »Ich befehle Euch, mich loszulassen! «

Er lachte leise, fast Mund an Mund mit ihr, obgleich Cathé rine sich bemü hte, ihren Kopf abzuwenden.

»Dein Herz schlä gt wie eine Trommel. Aber wenn du ›befiehlst‹, daß ich dich lasse, kann ich gehorchen … Ich kann auch diese Mä nner rufen, die sich deinetwegen schlagen wollen, und da ich keine Lust habe, einen von ihnen deiner schö nen Augen wegen zu verlieren, werde ich dich in diesem Karren festbinden und dich ihnen ausliefern. Nachdem jeder dich besessen hat, werden sie zumindest wissen, ob sie immer noch Lust haben, sich zu schlagen. Ich werde als letzter kommen … ›Befiehlst‹ du mir noch immer, dich zu lassen? «

Eine rote Wolke erhob sich vor Cathé rines Augen, aus einem jä hen Wutanfall geboren. Dieser Mann wagte, von ihr wie von einer unwichtigen Sache zu sprechen, die man miß achtete, nachdem man sie genommen hatte? In ihrer Eigenliebe verletzt und durch die Drohung in Feros Augen erschreckt, fü hlte sich Cathé rine dem Ruf ihres aufgewü hlten Fleisches gegenü ber nachgiebiger. Gleichzeitig empfand sie ein unbä ndiges Verlangen, diesen unverschä mten Wilden zu unterwerfen, ihn in die Sklaverei der Leidenschaft zu zwingen, in der sie schon so viele andere Mä nner gesehen hatte. Und da dies das einzige Mittel war, Schlimmerem zu entgehen …

Plö tzlich gab sie es auf, sich ihm zu entziehen, ü berrascht, die Lippen unter seinem Mund nicht mehr verschlossen zu finden, bemä chtigte er sich ihrer gierig. Seine Lippen auf den ihren waren sü ß und dufteten nach Thymian. Schon triumphierend, fü hlte Cathé rine, daß sie leicht zitterten, hatte aber keine Zeit, sich daran zu ergö tzen. Das verfluchte Aphrodisiakum hatte inzwischen alle Mä chte der Hö lle in ihr entfesselt. Sie konnte nicht mehr gegen sich ankä mpfen. Ihr verrü cktes Herz hä mmerte gegen ihre Rippen. Die Heftigkeit ihres Bluts erstickte sie, und unter den Hä nden des Zigeuners bebten schon ihre Hü ften … Es war auch nicht mehr mö glich, die Liebesraserei Feros aufzuhalten, der sie, taub und blind fü r alles, was nicht dieser Frauenleib war, an sich preß te.

Cathé rine schloß die Augen und ü berließ sich dem Sturm. Doch mit beiden Hä nden die schweiß nassen Schultern des Zigeuners packend, murmelte sie:

»Liebe mich, Fero, liebe mich mit aller Kraft … aber wisse, daß ich dir nur verzeihen werde, wenn es dir gelingt, mich selbst meinen Namen vergessen zu lassen! «

Als Antwort ließ er sich zu Boden fallen und zog sie mit sich. Beide rollten, ineinander verschlungen, auf die schmutzigen Planken. Die ganze Nacht wü tete der Sturm, rü ttelte an den Karren, entwurzelte Bä ume, riß die Schiefer der Dä cher herunter, zwang die Bogenschü tzen der Wache auf den Zinnen des Schlosses, sich hinter die riesigen Pfeiler zu ducken. Aber in dem Karren auf dem Grunde des Wallgrabens hö rten weder Cathé rine noch Fero etwas. Dem unaufhö rlichen, immer wiederkehrenden Verlangen des Mannes antwortete der seltsame Wahnsinn, der aus der jungen Frau eine schamlose Bacchantin gemacht hatte, die unter der Heftigkeit der Lust leidenschaftlich aufschrie.

Als das erste Licht des Tages zaghaft auf den Fluß fiel und sein fahler, nebliger Schein ü ber die verwü steten Uferbö schungen glitt, drang die feuchte Frische des Tagesanbruchs durch die durchnä ß te Plane und legte sich auf die in Schweiß gebadeten Kö rper der beiden Liebenden. Cathé rine erwachte frö stelnd aus tiefem Schlaf, in den sie kurz zuvor mit Fero gesunken war. Sie fü hlte sich todmü de, ihr Kopf war leer, und ein bitterer, ü bler Geschmack war in ihrem Mund, als hä tte sie zuviel getrunken. Nicht ohne Mü he schob sie den reglosen Kö rper ihres Geliebten von sich, ohne ihn zu wecken, und raffte sich auf. Alles begann sich um sie zu drehen, und sie muß te sich an die Streben klammern, um nicht zu fallen. Ihre Beine zitterten, Ü belkeit stieg in ihr auf. Kalter Schweiß perlte an ihren Schlä fen, und einen Augenblick schloß sie die Augen. Die Ü belkeit ging vorü ber, und statt ihrer kehrte der Drang nach Schlaf wieder, unü berwindlich …

Tastend suchte sie ihr Hemd, streifte es sich mü hsam ü ber, hob ihren Umhang auf und verließ den Karren. Drauß en hatte es aufgehö rt zu regnen, aber lange gelbliche Nebelfetzen zogen ü ber den Fluß. Die Erde war vö llig aufgeweicht, Ä ste der vom Gewitter mitgenommenen Bä ume hingen gebrochen herunter. Die nackten Fü ß e Cathé rines stapften im dicken, weichen Schlamm. Sie machte drei Schritte und bemerkte trotz ihrer schweren Augenlider eine rö tliche, geduckte Gestalt unter einem der Karren, die sich bei ihrer Annä herung rü hrte. Erstaunt erkannte sie Tereina. Das junge Mä dchen sah ihr entgegen, und der Ausdruck ihres Gesichts verriet ihren Triumph. Da erinnerte sich Cathé rine, was dieses Mä dchen ihr eingebrockt hatte … Der Zorn weckte sie vollends. Sie warf sich auf die Zigeunerin, packte sie an ihrem roten Schal:

»Was hast du mir da zu trinken gegeben? « fuhr sie sie an. »Ich befehle dir, mir zu antworten! Was habe ich getrunken? «

Das verzü ckte Lä cheln Tereinas enthielt keine Spur von Furcht.

»Du hast die Liebe getrunken … Ich habe dir meinen krä ftigsten Liebestrank gegeben, damit dein Herz sich am Feuer, das in dem meines Bruders brannte, erwä rme, jetzt bist du sein … und ihr werdet zusammen glü cklich sein! jetzt bist du wirklich meine Schwester. «

Mit einem Seufzer ließ Cathé rine den Schal los. Sie unterdrü ckte die Vorwü rfe, die ihr auf den Lippen lagen. Was hä tten sie genü tzt? Tereina wuß te nichts von ihrer wahren Persö nlichkeit. Sie hatte in ihr nur eine Tochter ihrer Rasse gesehen, eine Vertriebene, die ihr Bruder begehrte, und sie hatte geglaubt, beiden Glü ck zu bringen, indem sie sie in Feros Arme warf. Sie wuß te nicht, daß Liebe und Verlangen verfeindete Brü der sein kö nnen …

Die kleine Zigeunerin hatte ihre Hand ergriffen und legte sie mit einer liebevollen Geste an ihre Wange.

»Ich weiß, wie glü cklich ihr beide wart! « flü sterte sie in vertraulichem Ton. »Die ganze Nacht habe ich zugehö rt … und auch ich war glü cklich! «

Cathé rine fü hlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß. In der Erinnerung an das, was sich in dieser teuflischen Nacht zugetragen hatte, ü berflutete sie eine Welle der Scham. Sie sah sich wieder, sie, Cathé rine de Montsalvy, wie sie sich verzü ckt unter den Kü ssen eines Vagabunden wand, und dafü r haß te sie sich jetzt. Natü rlich hatte der Trank seine aufputschende Rolle gespielt, aber Cathé rine war sich trotzdem einer Art unbekannter Spaltung ihres Wesens bewuß t. Existierte das hemmungslose Geschö pf, das durch das Aphrodisiakum geweckt worden war, nicht irgendwie doch im Untergrund ihrer Seele? Das war sie, die gleiche, die schon in den Armen Philippes von Burgund Entzü cken empfunden hatte; sie, die sich ohne die Einmischung Gauthiers dem Schotten MacLaren ausgeliefert hä tte, die im Kontakt mit gewissen Mä nnern vage Erregung in sich aufsteigen fü hlte, die schließ lich um der herrischen Forderungen ihres Kö rpers, um ihres Bedü rfnisses nach physischer Liebe willen die Rufe ihres ganz dem Gatten gehö renden Herzens zum Schweigen brachte … Der Schmutz, in dem ihre Beine so tief staken, war nicht weniger dick, nicht weniger widerlich als der, aus dem sich die elende menschliche Natur bildete.

Sanft legte sie die Hand auf Tereinas Kopf, die immer noch demü tig vor ihr stand.

»Geh schlafen«, sagte sie freundlich zu ihr. »Du bist durchnä ß t und frierst. «

»Aber du bist glü cklich, nicht wahr, Tchalaï? Du bist wirklich glü cklich? «

Noch eine Anstrengung, die letzte, um das Herz dieser Unschuldigen nicht zu brechen!

»Ja …«, murmelte Cathé rine, »… sehr glü cklich! «

Die Trä nen zurü ckdrä ngend, ging Cathé rine schweren Herzens ihres Weges, in den Nebel tauchend, als wollte sie ihre Schande darin verbergen. Sie ging zum Fluß hinunter, und blieb erst stehen, als das Wasser ihre nackten Beine umspü lte.

Die Loire war grau und verschmolz mit dem trü ben Himmel, doch beinah unmerkliche Spuren goldenen Lichts huschten hier und dort ü ber die Oberflä che. Das Wasser schä umte, angeschwollen durch den groß en nä chtlichen Regen, von neuer Kraft strotzend. Cathé rine bekam plö tzlich Lust, sich hineinzustü rzen. Der kö nigliche Strom war schon immer ihr Freund gewesen, und in dieser traurigen Morgendä mmerung fand sie ganz natü rlich zu ihm zurü ck, um von ihm ihr wundes Herz besä nftigen zu lassen.

Mit mechanischen Bewegungen ließ sie ihre Kleider hinuntergleiten und trat in die Strö mung hinaus. Sie war stark, und es machte Mü he, auf dem mit losen Steinen bedeckten Grund zu gehen. Das Wasser war frisch, und als es ihr bis zum Bauch reichte, fror Cathé rine. Eine Gä nsehaut ü berlief sie, aber sie ging trotzdem weiter. Bald reichte ihr das Wasser bis zu den Schultern, und sie schloß die Augen. Die Strö mung massierte ihren Kö rper. Nur ihre in den Schlamm gebohrten Beine hielten sie noch. Plö tzlich ü berkam sie eine groß e innere Ruhe. Wä re es nicht besser, wenn jetzt alles zu Ende ginge? Wenn sie endgü ltig mit ihrem hoffnungslosen Leben Schluß machte? Solange sie sich hatte rein halten kö nnen, war der Kampf noch leicht, und der Sieg konnte seine Reize haben. Jetzt aber? Sie hatte sich einem Unbekannten wie eine Bauerndirne hingegeben, und damit hatte sich zwischen ihr und der Erinnerung an ihren Gatten eine tiefe, unü berbrü ckbare Kluft aufgetan. Wenn Gott wollte, daß sie ihn noch einmal wiedersah, und sei es auch nur ein einziges Mal, wü rde sie es wagen, ihm ins Gesicht zu sehen, ohne vor Scham zu sterben? Ein tiefes Schluchzen stieg ihr in die Kehle, und zwei Trä nen glitten unter ihren geschlossenen Lidern hervor.

»Arnaud! « murmelte sie. »Kö nntest du mir verzeihen, wenn du wü ß test … wenn du wü ß test …«

Nein, er kö nnte es nicht! Dessen war sie sicher. Allzu gut kannte sie seine heftige Eifersucht, seine starke Leidenschaft, um auch nur den geringsten Zweifel zu hegen. Er, der sich hatte foltern lassen, um ihr nicht untreu zu werden, wie kö nnte er verstehen, wie kö nnte er vergeben? … Was hatte es also noch fü r einen Sinn zu kä mpfen? Selbst ihr kleiner Michel brauchte sie nicht mehr so dringend. Er hatte die Liebe seiner Groß mutter und kö nnte, einmal zum Mann herangewachsen, Montsalvy sehr wohl wieder aufbauen. Und fü r Cathé rine wä re es so wohltuend, sich endlich diesem groß en, gebieterischen Fluß zu ü berlassen, fü r immer in ihm unterzutauchen! So gut … und so leicht! Es genü gte, ihre Beine gleiten zu lassen … o ja, es war leicht … es war …

Schon gaben ihre Beine nach. Die Strö mung wü rde ihre leichte Gestalt schnell davontragen bis zu dem geheimnisvollen dunklen Tor, hinter dem es nichts mehr gab als Vergessen und Tod. Aber eine angsterfü llte Stimme gellte vom Ufer herü ber:

»Cathé rine! Cathé rine! Wo bist du? … Cathé rine! «

Es war Saras Stimme, von Entsetzen halb erstickt. Sie drang durch den Nebel, ein verzweifelter Anruf dieses Lebens, das Cathé rine aufgeben wollte, und mit so vielen Erinnerungen geladen, daß die junge Frau sich ganz instinktiv mit den Zehen im Grund festklammerte. Die Spanne eines Augenblicks lang sah sie ihre alte Sara vor sich, wie sie auf dem feuchten Sand kniete und den Kö rper, den der Fluß ihr ü bergeben wü rde, in ein Leichentuch hü llte. Sie glaubte, sie weinen zu hö ren … und plö tzlich packte sie der Selbsterhaltungstrieb. Sie riß sich zusammen, kä mpfte gegen die Strö mung, die sie davontragen wollte, fand die Energie wieder, die sie verloren geglaubt hatte, und schwamm halb, schritt halb der Uferbö schung zu. Wieder ins Leben zurü ckkehrend, konnte sie in den ziehenden Nebelschwaden schließ lich die Umrisse Saras erkennen, die am Ufer stand und immer wieder rief.

Bleich vor Unruhe und Besorgnis, fest in ihren grauen Umhang gehü llt, drü ckte die Zigeunerin Cathé rines Kleider an sich, und groß e Trä nen rollten ihr ü ber die Wangen. Als die triefende Gestalt der jungen Frau vor ihr aus dem Nebel auftauchte, stieß sie einen rauhen Schrei aus, und als sie sie straucheln sah, warf sie sich ihr entgegen, um sie zu stü tzen, doch Cathé rine sprang zur Seite und wich ihren Hä nden aus.

»Rü hr mich nicht an! « sagte sie ü berdrü ssig. »Du weiß t nicht, wie sehr mir vor mir selbst schaudert. Ich bin schmutzig … Ich ekle mich! «

Das breite Gesicht Saras verriet ihr Mitleid. Obgleich Cathé rine sich wehrte, schlossen sich ihre Arme um ihre frierenden Schultern, und nachdem sie sie mit ihrem eigenen Umhang krä ftig abgetrocknet hatte, half sie ihr beim Anziehen und fü hrte sie ins Lager zurü ck.

»Und deswegen wolltest du sterben, armes Ding? Weil ein Mann in dieser Nacht deinen Kö rper besessen hat? Nur wegen einer mit Fero verbrachten Nacht bist du so auß er Fassung? Muß ich dich daran erinnern, daß das nur ein Anfang ist … daß du ü bersiehst, was dich auf dem Schloß erwartet? Warst du nicht, um ans Ziel dieses verrü ckten Abenteuers zu gelangen, zu allem bereit? «

»Aber ich war doch mit allem einverstanden diese Nacht … Ich hatte ich weiß nicht was fü r ein verfluchtes Gebrä u getrunken, das Tereina mir gegeben hatte«, rief Cathé rine eigensinnig. »Und ich hab' Vergnü gen in Feros Armen empfunden. Verstehst du? Vergnü gen! «

»Na und? « meinte Sara kalt. »Das ist nicht deine Schuld. Du hast's nicht gewollt. Was dir in dieser Nacht passiert ist, ist nicht wichtiger als eine vorü bergehende Verrü cktheit … oder ein einfacher Katarrh. «

Aber Cathé rine wollte sich nicht trö sten lassen. Sie warf sich auf das harte Lager, das sie mit Sara teilte, und schluchzte bis zur Erschö pfung. Es erwies sich als heilsam. Die Trä nen verscheuchten den letzten Dunst, den die Droge in ihrem Hirn zurü ckgelassen hatte, gleichzeitig mit der sie niederdrü ckenden widerlichen Scham. Schließ lich war sie so mü de, daß sie in friedlichen Schlaf sank, der bis zum Mittag anhielt. Sie erwachte mit klarem Kopf und ausgeruhtem Kö rper. Doch nur, um von der alten Orka zu hö ren, daß sie noch am selben Abend nach den sonderbaren Riten der Zigeuner mit Fero vereint werden sollte.

Glü cklicherweise verschwand die alte Orka alsbald, nachdem sie ›die groß e Neuigkeit‹, wie sie es nannte, verkü ndet hatte, denn die junge Frau bekam einen regelrechten Wutanfall. Daß Fero, nicht zufrieden, sie zu seiner Geliebten gemacht zu haben, sie heiraten wollte, weigerte sie sich heftig zu akzeptieren, und sie erging sich in so beleidigenden Ausdrü cken ihm gegenü ber, daß Sara sie mit Gewalt zum Schweigen bringen muß te. Ihre Schreie wurden gefä hrlich. Sie verschloß ihr mit der Hand den Mund und herrschte sie an:

»Sei nicht dumm, Cathé rine! Daß Fero dich heiraten will, ist fü r dich ü berhaupt nicht wichtig. Wenn er dich nicht an sich bindet, werden die anderen das Recht haben zu verlangen, daß du einem von ihnen zugewiesen wirst. Wenn du dich weigerst, mü ssen wir fliehen, und zwar sofort. Aber wohin? Nun? «

Von der rauhen Hand Saras halb erstickt, hatte Cathé rine sich inzwischen einigermaß en beruhigt. Sie machte sich frei und fragte:

»Warum sagst du, es sei fü r mich nicht wichtig? «

»Weil es sich nicht um eine richtige Heirat handelt, zumindest nicht, wie du's verstehst. Die Zigeuner denken nicht daran, Gott mit einer so einfachen Angelegenheit wie der Paarung zweier Wesen zu verbinden, ü berdies ist es nicht Cathé rine de Montsalvy, die Fero zur Frau nehmen wird, sondern eine Truggestalt, ein Phantom, das eines Tages verschwinden wird, eine Tochter Ä gyptens namens Tchalaï …«

Cathé rine schü ttelte den Kopf und betrachtete Sara mit bangem Blick. Daß sie so gleichmü tig blieb, kam ihr einfach ungeheuerlich vor! Sie schien das alles ziemlich natü rlich zu finden, wä hrend ihr der Gedanke an diese Heirat Ü belkeit und Entsetzen verursachte!

»Es ist stä rker als ich«, sagte sie. »Mir ist, als beginge ich einen Vertrauensbruch … als verriete ich Arnaud zum zweitenmal! «

»In keinem Fall, da du ja nicht mehr du selbst bist! Andererseits wird dir diese Heirat eine gesicherte Position im Stamm einbringen. Niemand wird dir mehr miß trauen! «

Trotz ihrer Aufmunterungen hatte Cathé rine das Gefü hl, eine Freveltat zu begehen, wenn sie an diesem Abend wieder zu Feros Feuer ging, um das sich der ganze Stamm zu der groß en Festivitä t versammeln wü rde. Das Gewitter der Nacht hatte die Luft gereinigt und einen weiten dunkelblauen, samtweichen Himmel beschert. Die Mä nner waren mit vollen Netzen vom Fischfang zurü ckgekehrt, und das ganze Lager roch nach Fisch, den man ü berall briet. Die Tamburine und Klappern rasselten in den Hä nden der Mä nner. Die Kinder fü hrten Freudentä nze um die Kochkessel auf, und selbst die Sä uglinge kreischten in ihren Kö rbchen.

All diese Vorbereitungen und stü rmischen Ä uß erungen der Freude, die sich rings um sie erhoben, verstä rkten nur noch Cathé rines Widerwillen. Von ganzem Herzen lehnte sie diesen Scheinakt ab, zu dem man sie schleppte, um so mehr, als sie billigerweise fü rchtete, daß auf die Heirat ein gemeinsames Leben, zahlreiche gemeinsam verbrachte Nä chte folgen wü rden. Sie konnte sich schlecht in Feros Karren vorstellen, ihn bedienend, wie es die anderen Frauen taten, ihm mit Leib und Seele gehö rend … wenn Gott selbst nicht eingriff! Sie verspü rte die verrü ckte Lust, ein fü r allemal dieser unmö glichen Lage zu entfliehen, zumal sie Fero nun miß traute. Sie kannte seinen Wert und hatte ihn fü r ihren Verbü ndeten gehalten. Jetzt aber schien er die Situation ausnü tzen zu wollen. Wer konnte sagen, ob er sie gehen ließ e, wenn man von ihr verlangte, im Schloß zu tanzen? …

Angesichts der Befü rchtungen, die sie quä lten, war es paradoxerweise gerade der Gedanke an ihre Aufgabe, der Cathé rine letzten Endes zurü ckhielt. Fü r den Augenblick war sie nicht in Todesgefahr und muß te das Abenteuer bis zum Ende durchstehen. Dies hinderte sie jedoch nicht, verzweifelt nach einem Mittel zu suchen, um dieser empö renden Zeremonie zu entgehen.

Die Frauen hatten Cathé rine in den schreiendsten Plunder gekleidet, den man im Stamm hatte auftreiben kö nnen. Ein Stü ck grü ne Seide, ein wenig zerfetzt, aber mit Silber besetzt, wurde ihr mehrere Male um den Leib gewickelt, den man zu dieser Gelegenheit von dem rauhen Hemd befreit hatte. An die Ohren hatte man ihr Silberreifen gehä ngt, wä hrend Halsbä nder aus dicken, ziselierten Platten aus demselben Metall und andere aus kleinen, aufgefä delten Mü nzen ihr schwer bis zu den Schultern reichten, deren eine nackt blieb. Andere Ketten aus Silbermü nzen bildeten eine Art Krone in ihrem Haar, und die Augen der Frauen hatten ihr deutlich gesagt, wie schö n sie in diesem wilden Aufputz aussah.

Die Bestä tigung ihrer Schö nheit las Cathé rine auch in dem strahlenden Gesicht Feros, in seinem stolzen Blick, als er zu ihr trat und sie bei der Hand nahm, um sie zu der Phuri Daï zu fü hren. Dies war die ä lteste Frau des Stammes; weil sie die Weiseste und Hü terin der uralten Traditionen war, hatte sie eine fast ebenso groß e Macht wie der Chef. Noch nie hatte Cathé rine eine Frau gesehen, die so sehr einer Schleiereule glich, aber die runden Ä uglein der Phuri Daï waren grü n wie Gras im Frü hling. Schwarze Tä towierungen bedeckten ihre hohlen, runzligen Wangen und verloren sich unter den langen grauen Haarsträ hnen, die unter einem roten Tuchfetzen, der nach Art eines Turbans um den Kopf drapiert war, herausquollen. Wider ihren Willen betrachtete Cathé rine sie mit Entsetzen, weil diese Frau fü r sie die Heirat verkö rperte, zu der das Schicksal sie zwang.

Die Alte hielt sich aufrecht inmitten der Alten des Stammes, von den lodernden Flammen beleuchtet, die die scharfen Zü ge ihres Gesichts noch stä rker hervortreten ließ en. Die Tamburine und Ratschen verursachten einen wilden Lä rm, in den sich die Schreie der Frauen und der Gesang der Mä nner mischten. Der Krach war ohrenbetä ubend. Als das Paar vor ihr stehenblieb, streckte die Phuri Daï zwei zerbrechliche, wie Vogelklauen aussehende Hä nde aus ihren Lumpen und ergriff ein Stü ck Schwarzbrot, das ein groß er, bä rtiger Zigeuner ihr reichte. Plö tzlich trat Stille ein, und Cathé rine begriff, daß der entscheidende Augenblick gekommen war. Sie muß te die Zä hne zusammenbeiß en, um nicht zu schreien, um sich gegen die aufquellende Panik zu wehren. Sollte denn wirklich nichts diese makabre Farce verhindern?

Die pergamentenen Hä nde brachen das Brot in zwei Stü cke. Dann nahm die Alte etwas Salz, das man ihr in einer kleinen Silberschale reichte, denn Salz war etwas Seltenes und auß erordentlich Kostbares. Sie streute etwas davon auf jedes der beiden Brotstü cke, reichte eines Cathé rine und das andere Fero.

»Wie ihr dieses Brots und dieses Salzes ü berdrü ssig werdet«, sagte sie, »so werdet ihr auch einander ü berdrü ssig werden. Jetzt tauscht eure Brotstü cke. «

Trotz allem durch den feierlichen Ton der Alten beeindruckt, nahm Cathé rine mechanisch das Brot, das Fero ihr reichte, und bot ihm das ihre. Beide bissen gleichzeitig in die harte Kruste. Die Augen des Anfü hrers ruhten unverwandt in denen der jungen Frau, und sie muß te die ihren fü r einen Moment schließ en, unfä hig, die brutale, primitive Leidenschaft zu ertragen, die die seinen offenbarten … Gleich wü rde sie ihm wieder angehö ren, doch diesmal ohne die geringste Lust dazu. Nicht nur, daß sie Fero nicht begehrte, sondern ihr Kö rper lehnte sich schon im voraus gegen das auf, was folgen wü rde.

»Jetzt den Krug«, sagte die Alte.

Man reichte ihr einen irdenen Krug, den sie mit Hilfe eines Steins ü ber den Kö pfen der beiden jungen Leute zerschlug. Einige Weizenkö rner fielen heraus. Und alsbald kauerte sich die Alte nieder und zä hlte die Scherben.

»Es sind sieben Stü ck«, sagte sie, die Augen zu Cathé rine erhebend. »Sieben Jahre, Tchalaï, wirst du Fero angehö ren! «

Mit einem Triumphgeschrei packte der Zigeunerfü hrer Cathé rine an den Schultern und zog sie an sich, um sie zu umarmen. Wie betä ubt lehnte sie sich an seine Brust, wä hrend der Stamm in Freudenrufe ausbrach. Doch bevor Feros Lippen die der jungen Frau berü hrten, stü rzte ein Mä dchen mit nachtschwarzem Haar aus dem Dunkel und riß Cathé rine mit brutaler Kraft aus den Armen, die sie umfingen.

»Einen Augenblick, Fero! Ich bin auch noch da, und du hast mir geschworen, daß ich deine einzige Frau sein wü rde! «

Um ein Haar hä tte Cathé rine vor Erleichterung aufgeschrien. Sie stand jetzt vier Schritte von Fero entfernt, durch dieses Mä dchen von ihm getrennt, das sie wie eine Wundererscheinung anstarrte. Die Neue hatte ein kü hnes Gesicht – kupferfarbenen Teint, kleine Adlernase, mandelfö rmige, leicht geschlitzte Augen, glatte Zö pfe – und trug ein rotes Seidenkleid, das seltsam elegant unter all diesen Lumpen wirkte. Eine Goldkette blitzte an ihrem Hals. Aber Feros Verblü ffung war nicht gespielt.

»Dunicha! Du warst schon so viele Tage verschwunden! Ich glaubte dich tot! «

»Und das hat dich sicherlich tief bekü mmert, nicht wahr? Wer ist die da? «

Sie deutete mit einer rachsü chtigen Bewegung, die nichts Gutes verhieß, auf Cathé rine. Zweifellos war es eins der beiden Mä dchen, die La Tré moille sich vor vierzehn Tagen aufs Schloß geholt hatte. Warum muß te die Zigeunerin sie auf Anhieb wie eine Feindin mustern, dachte Cathé rine, jetzt, da sie darauf brannte, ihr eine Menge Fragen ü ber die Gewohnheiten des Schlosses zu stellen?

Wä hrend sie darü ber nachsann, nahm der Streit zwischen Dunicha und Fero an Schä rfe zu. Der Zigeunerfü hrer verteidigte sich barsch gegen den Vorwurf, ihr untreu gewesen zu sein. Da seine kü nftige Frau nicht auf dem Schloß getö tet worden sei, hä tte sie ihn wissen lassen mü ssen, daß sie noch lebte. Was ihn betreffe, so sei er jetzt regulä r mit Tchalaï vereint, und er lasse nicht von ihr ab.

»Sag lieber, daß es dir ausgezeichnet in den Kram gepaß t hat, mich fü r tot zu halten! « rief das Mä dchen. »Aber du bist trotzdem eidbrü chig, und ich, Dunicha, fechte die Gü ltigkeit deiner Heirat an. Du hattest nicht das Recht, das zu tun! «

»Aber ich hab's getan! « brü llte der Anfü hrer. »Und daran lä ß t sich jetzt nichts mehr ä ndern! «

»Meinst du? «

Die schrä gen Augen Dunichas huschten von Cathé rine zu Fero und kehrten wieder zu der jungen Frau zurü ck.

»Ich nehme an, du kennst unsere Gebrä uche. Wenn zwei Frauen sich um denselben Mann streiten und alle beide ein Anrecht auf ihn haben, dann kä mpfen sie um ihn bis zum Tod der einen oder anderen. Diesen Brauch nehme ich fü r mich in Anspruch. Morgen bei Sonnenuntergang werden wir kä mpfen, du und ich. «

Und ohne ein weiteres Wort hinzuzufü gen, wandte Dunicha sich auf den Fersen um. Mit erhobenem Haupt durchbrach sie den Kreis der Zigeuner und tauchte wieder in der Dunkelheit unter, alsbald von vier Frauen gefolgt. Die alte Phuri Daï, die Fero und Cathé rine vereint hatte, nä herte sich der jungen Frau und trennte sie von Fero, der wieder ihre Hand ergriffen hatte.

»Ihr mü ß t euch trennen. Bis zum Kampf gehö rt Tchalaï dem Schicksal. Nach unseren Gesetzen werden vier Frauen unseres Stammes sie bewachen, wä hrend vier andere bei Dunicha bleiben werden. Ich habe gesprochen! «

Es herrschte Totenstille. Wie durch Zauberei war Sara neben Cathé rine aufgetaucht, die Fero jetzt verzweifelt anblickte. Doch er hatte nicht einmal mehr das Recht, das Wort an sie zu richten … Das Fest wurde jä h abgebrochen. Die Trommeln schwiegen, und man hö rte nichts mehr als das Knistern der Flammen unter den Kochkesseln. Es war, als wä re der Tod plö tzlich ü ber das Lager geflogen, und trotz ihres Mutes konnte Cathé rine kaum ein Frö steln unterdrü cken. Saras Hand legte sich auf ihren nackten Arm.

»Tchalaï ist meine Nichte«, sagte die Zigeunerin in gemessenem Ton. »Ich werde sie mit Orka bewachen. Du kannst noch zwei andere Frauen benennen …«

»Nein, nur eine! « rief Tereina, neben ihre Freundin springend. »Wenn sie die Nichte Saras der Schwarzen ist, dann ist sie fü r mich meine Schwester! «

Die Phuri Daï stimmte mit einem Kopfnicken zu. Ihr hagerer Finger wies befehlend auf eine andere, weiß haarige Frau neben ihr, die ihre Schwester war. Und so, eingekreist wie eine Gefangene, kehrte Cathé rine in den Karren Orkas zurü ck, in dem sie mit ihren Wä chterinnen bis zum Kampf bleiben sollte.

Die Erleichterung, die sie empfunden hatte, als Dunicha sie aus den Hä nden Feros riß, war vö llig geschwunden. Eben hatte ihr lediglich eine Scheinheirat gedroht, jetzt jedoch war sie eine Art Todgeweihte mit Aufschub! Und die Brä uche dieser Leute waren wahrhaftig die wahnsinnigsten, barbarischsten, die sie je kennengelernt hatte! Man verfü gte ü ber sie, ohne sie ü berhaupt nach ihrer Meinung zu fragen. Die Zigeuner hatten beschlossen, daß sie Fero heiraten mü sse, und nun beschlossen sie, daß sie sich mit dieser jungen Tigerin zu schlagen habe, und das um einen Mann, den sie nicht liebte!

»Ich sage dir gleich«, flü sterte sie Sara ins Ohr, »ich werde mich nicht schlagen! Ich weiß noch nicht einmal, was das ist. Ich habe noch nie in meinem Leben auf diese Weise gekä mpft, und ich werd's auch jetzt nicht versuchen …«

Sara packte ihre Hand und drü ckte sie fest.

»Sei still! Um Himmels willen, schweig! «

»Warum soll ich schweigen? Wegen dieser Frauen? Nein, im Gegenteil, ich werde es ihnen sagen, ich werde es hinausschreien, daß …«

»Sei still! « wiederholte Sara, doch so befehlend, daß die junge Frau widerwillig gehorchte. »Begreif doch, daß du dein Leben riskierst, wenn sie merken, daß du dich weigerst zu kä mpfen! «

»Und werde ich's morgen nicht riskieren? « murmelte Cathé rine. »Du weiß t genau, daß ich nicht fä hig bin zu tun, was man von mir verlangt. Sie wird mich tö ten, ganz gewiß …«

»Das weiß ich auch, aber, um der Liebe Gottes willen, beruhige dich! Wenn die andern schlafen, schleiche ich mich aus dem Lager und laufe zur Herberge, um Messire Tristan zu benachrichtigen. Er wird schon wissen, wie er dich aus der Klemme herausholt. Aber ich flehe dich an, zeige nicht, daß du Angst hast! Meine Brü der verzeihen Feigheit nicht. Du wü rdest mit Peitschenhieben aus dem Lager gejagt werden, verdammt, Hungers zu sterben …«

Cathé rines Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie hatte das Gefü hl, eine furchtbare Falle habe sich um sie geschlossen, aus der sie sich mit eigener Kraft niemals wü rde befreien kö nnen. Sara fü hlte ihre Angst und drü ckte sie an sich.

»Mut, meine Kleine. Maî tre Tristan und ich, wir werden dich schon hier herauskriegen! «

»Es wird langsam Zeit, daß der Herr sich zeigt«, sagte Cathé rine grollend. »Er sollte doch aus der Nä he ü ber mich wachen! «

»… aber nur im Fall der Gefahr einschreiten, wenn du dich erinnerst. « Sara blickte sich vorsichtig um. Die beiden Alten schliefen, nur Tereina war noch wach. Neben der Ö llampe sitzend, in ihren roten Umhang gehü llt, starrte sie mit den irren Augen einer Somnambulen in die Flamme und rü hrte sich nicht. »Jetzt ist der Augenblick da«, flü sterte Sara. »Ich gehe! «

Sie schlä ngelte sich hinaus, ohne mehr Gerä usch als eine Natter zu machen, und Cathé rine streckte sich mit schwerem Herzen, aber ihrer alten Freundin vertrauend auf dem Boden aus, um zu versuchen, ein wenig zu schlafen. Doch der Schlaf floh sie. Ihre Augen starrten weit geö ffnet auf die schmutzige, filzige Plane des Karrens, wä hrend sie versuchte, die ungebä rdigen Schlä ge ihres Herzens zu beruhigen … Die Stille erdrü ckte sie, und als sie es nicht mehr aushielt, rief sie leise:

»Tereina! «

Die kleine Zigeunerin wandte langsam den Kopf zu ihr hin und kuschelte sich dann neben sie.

»Was willst du, Schwester? «

»Ich muß etwas wissen! Meine Rivalin, Dunicha – ist sie an diese Art Zweikampf gewö hnt? Womit mü ssen wir gegeneinander kä mpfen? «

»Mit dem Messer! Und leider ist es fü r Dunicha nicht das erstemal. Sie ist wie eine Tigerkatze, wenn sie kä mpft. Schon zwei Frauen, die Fero gefielen, hat sie getö tet! «

Diese Enthü llung ließ Cathé rine einen eiskalten Schauer ü ber den Rü cken hinunterrieseln. Sie war wü tend, daß sie sich in diese Sackgasse hatte manö vrieren lassen. Wenn Tristan nicht eingriff, wü rde sie von der Zigeunerin regelrecht ermordet werden, ohne daß jemand auch nur eine Hand zu ihrer Verteidigung rü hrte. Fero selbst, der so heftig in sie verliebt zu sein schien, hatte keinen Finger gehoben, um diese Narrheit zu verhindern. Er hatte sich dem Gesetz der Seinen respektvoll gebeugt. Und zweifellos, dachte Cathé rine empö rt, wü rde er sich noch am selben Abend mit der siegreichen Dunicha ü ber den Tod der unglü cklichen Tchalaï hinwegtrö sten.

»Nur eins kö nnte ich fü r dich tun«, fuhr Tereina niedergeschlagen fort. »Ich kö nnte dir einen Trank geben, der deinen Mut und deine Kraft verzehnfachte! Jetzt muß t du aber ruhen! «

Cathé rine schnitt im Dunkel eine Grimasse. Sie war des Arzneibuchs der Zigeuner reichlich ü berdrü ssig und hatte auß erdem nicht die geringste Lust zu schlafen. Das einzige, wozu sie Lust hatte, war zu fliehen, so schnell wie mö glich zu fliehen, Hals ü ber Kopf davonzurennen, fort von diesen blutdü rstigen Leuten, mit denen sie sich so unvorsichtigerweise eingelassen hatte. Sie steckte bis zum Hals in einem Korb voll Vipern und wuß te nicht, wie sie da wieder herauskommen sollte. Sie erstickte noch in diesem verfluchten Karren, und die regelmä ß igen, friedlichen Atemzü ge der schlafenden Frauen weckten in ihr das Verlangen, laut loszuschreien.

Dann dachte sie, daß ihr Leben den Verschworenen von Angers zu kostbar sei, folglich auch Tristan L'Hermite, als daß dieser sie einfach so dumm hinmorden lassen wü rde! Auf ihn muß te sie ihre feste Hoffnung setzen.

Obwohl sie sich nach Krä ften um beruhigende Gedanken bemü hte, schloß Cathé rine in dieser Nacht kein Auge. Mit trockener Kehle und pochenden Schlä fen hö rte sie jede einzelne Stunde der Nacht verrinnen, angezeigt durch die Rufe der Wä chter auf den Schloß tü rmen. Es war zwar recht gut und schö n zu wissen, daß Sara sich um sie kü mmerte, aber ihre Abwesenheit war einfach unerträ glich. Sie fü hlte sich entsetzlich einsam und schien das Gefü hl, in einem absurden Traum zu leben, nicht abwehren zu kö nnen. Die Morgendä mmerung verringerte ihre Bangigkeit nicht. Warum kam Sara denn nicht zurü ck? Was konnte sie so lange bei Tristan zurü ckhalten? War sie beim Verlassen des Lagers oder bei der Rü ckkehr ü berrascht worden?

Als ein Hahn irgendwo in der Nä he krä hte, hielt es Cathé rine nicht mehr auf ihrem Lager. Die anderen schliefen tief. Sie schlich sich zur Ö ffnung des Karrens, aber genau in diesem Augenblick tauchte Sara auf.

Mit einem Seufzer der Erleichterung machte die junge Frau ihrem bedrä ngten Herzen Luft.

»Endlich! « flü sterte sie. »Ich konnte nicht schlafen. «

»Ich dachte mir gleich, daß du dich beunruhigen wü rdest, deswegen bin ich zurü ckgekommen. Aber ich muß wieder fort! «

»Warum? «

»Weil Tristan L'Hermite verschwunden ist! «

Cathé rine war wie vom Schlag gerü hrt. Einen Augenblick muß te sie nach Atem ringen, und ihre Stimme war nur ein Flü stern, als sie fragte:

»Verschwunden? Aber wann? Wie? «

»Vor zwei Tagen. Er hat die Herberge verlassen und ist nicht zurü ckgekehrt. Ich bin schon drü ben im Stä dtchen gewesen, weil ich hoffte, dort etwas zu erfahren. Ich muß ihn unbedingt noch vor Sonnenuntergang finden. «

»Und«, fragte Cathé rine, »wenn du ihn nicht findest …«

»Daran will ich lieber gar nicht denken. Vielleicht mü ß te man deine wahre Identitä t zugeben, aber das hieß e mit deinem Leben spielen und natü rlich auch mit dem Feros, der schuldig befunden wü rde, eine Fremde, eine Gadji, in den Stamm eingefü hrt zu haben«, erwiderte Sara.

»Was interessiert mich Fero? Ich will nicht fü r ihn sterben. Wä r's nicht viel einfacher, Dunicha zu sagen, daß ich nicht die geringste Lust habe, ihr ihren Platz streitig zu machen, und daß ich gern auf Fero verzichte? «

»Damit wü rdest du Fero tö dlich beleidigen, der sich's nicht erlauben kann, miß achtet zu werden. Dein Los wä re alles andere als beneidenswert, denn du dü rftest kaum lange genug leben, um dich daran zu erinnern. Und auß erdem wü rden es die anderen nicht verstehen. Man wü rde dich der Feigheit bezichtigen. Das hieß e die Peitsche … und die Folgen! «

Ein Zornesschrei entrang sich den Lippen Cathé rines. Wohin immer sie sich wandte, stieß sie auf Mauern. Alles wies sie auf diesen Tod zurü ck, den sie nicht mehr wü nschte. Ihr war vö llig entfallen, daß sie vor gar nicht langer Zeit noch hatte sterben wollen. Jetzt wollte sie leben, mit aller Kraft, mit aller Gier ihrer Jugend. Dieses Leben war ihr kostbar geworden, da man es ihr rauben wollte …

»Laß mich jetzt gehen«, bat Sara. »Ich muß Tristan um jeden Preis finden. Sei ruhig, ich werde dasein, wenn …«

Sie fü gte nichts hinzu. Cathé rine leicht auf die Stirn kü ssend, verschwand Sara von neuem im Dunst des Morgens und ließ die junge Frau mit schwererem Herzen als je zurü ck. Sie war versucht, ihrer alten Freundin zu folgen, hielt sich jedoch mit aller Kraft zurü ck. Wenn sie fliehen wü rde, wä re ihr ganzer Plan verraten, sie mü ß te nach Angers zurü ckkehren und eingestehen, daß sie kurz vor ihrem Ziel gescheitert war. Ü berdies war ihr, als sie ihre Rolle ü bernommen hatte, durchaus klar gewesen, daß sie damit ihr Leben mehr als einmal aufs Spie! setzen wü rde … Sie hatte jetzt also ins Auge zu fassen, daß die Zeit gekommen war, es zum erstenmal zu riskieren. Ihr Stolz ließ Cathé rine wieder zu ihrer Haltung finden. Wenn sie Dunicha mit dem Messer in der Hand entgegentreten muß te, wü rde sie es gegen jede Gewinnchance tun, weil es ihr nicht gegeben war zurü ckzuweichen. Sie schä mte sich jetzt sogar dieser verä chtlichen Furcht, die ihr einen Augenblick durch die Eingeweide gefahren war.

Um jeden Preis muß te sie nur vermeiden, an ihren kleinen Michel zu denken, auf daß ihr Herz nicht schwach wü rde bei dem Gedanken, ihn niemals wiederzusehen. Arnauds wollte sie sich erinnern, um dessentwillen La Tré moille sterben muß te, damit der Tod wenigstens seinen bitteren Beigeschmack verlö re.

Als Cathé rine jedoch am Ende eines endlos scheinenden Tages sah, daß die Sonne sich nach Westen neigte, ohne daß Sara zurü ckgekehrt war, muß te sie sich zusammennehmen, um sich nicht von Panik ü berwä ltigen zu lassen. Die anderen Frauen, die sie bewachten, schienen sich ü ber das Verschwinden Saras keine besonderen Gedanken gemacht zu haben. Tereina war wieder in ihre Trä umereien versunken und murmelte, Trä nen in den Augen:

»Schlechtes Zeichen! Sara die Schwarze hat ihre Nichte nicht sterben sehen wollen! «

Und Cathé rine fragte sich beklommen, ob daran nicht etwas Wahres sei! Trotzdem biß sie die Zä hne zusammen, als die verhä ngnisvolle Stunde kam und die drei Frauen sie hinausfü hrten, und blickte hocherhobenen Hauptes dem ins Antlitz, was sie erwartete. Ihre ganze Hoffnung, ihr ganzes Vertrauen lagen in ihr selbst; seltsamerweise schö pfte sie aus dieser Gewiß heit eine Art fatalistische Ruhe. Und dann hatte sie dem Tod zu oft ins Auge gesehen, um ihm diesmal den Rü cken zu kehren!

Beim Verlassen des Karrens hatte Tereina ihr erneut einen Becher gereicht, den sie ohne Zö gern sofort ausgetrunken hatte. Sogar ein leises Lä cheln hatte um ihre Lippen gespielt. Wenn diese Flü ssigkeit, die dazu bestimmt war, ihr Mut einzuflö ß en, sich als ebenso wirksam erweisen sollte wie das Gebrä u jener anderen Nacht, dann wü rde sie wie eine Lö win kä mpfen!

Drauß en sah sie, daß ein weiter Platz in der Mitte des Lagers frei gemacht worden war, indem man den sonst von den Schmieden beanspruchten Bereich gerä umt und abgesperrt hatte. Der schweigend ringsherum versammelte Stamm glich in den roten Strahlen der untergehenden Sonne einem Volk von Kupferstatuen. Fero und die alte Phuri Daï saß en innerhalb dieses Kreises auf einem gefä llten Baumstamm, der mit einer Tierhaut bedeckt war. Als Cathé rine durch den Ring der Zuschauer schritt, kam Dunicha ebenfalls von der anderen Seite, immer noch von ihren vier Gefä hrtinnen begleitet. Ein alter Zigeuner namens Takalï, der der Hauptratgeber des Anfü hrers zu sein schien, stand in der Mitte des frei gemachten Platzes. Er trug eine Art weiten Talar, aus einer Unzahl bunter Stoffreste zusammengesetzt, der ihm bis auf die Fü ß e fiel und ihm den vagen Anstrich eines Priesters verlieh. Auf seinem Kopf, der wie aus altem Eichenholz geschnitzt schien, trug eine von Motten zerfressene Pelzkappe eine lange schwarze Feder, und in jeder Hand hielt er einen Dolch.

Als die beiden Kä mpferinnen bei ihm angelangt waren, schä lten ihre Begleiterinnen sie aus ihrem Plunder und beließ en ihnen nur die Hemden, die sie mit Lederschlingen um ihre Taillen befestigten. Dann reichte Takali wortlos jeder von ihnen ein Messer und zog sich darauf in den Kreis zurü ck. Cathé rine stand jetzt allein Dunicha gegenü ber. Sie sah mit einer Art Abscheu auf das Messer in ihrer Hand. Wie ging man damit um? War es nicht besser, sich eher tö ten zu lassen, als diese Klinge in den Kö rper des Mä dchens zu stoß en? Die bloß e Vorstellung, Blut vergieß en zu mü ssen, drehte ihr den Magen um.

Die Augen der Zigeunerin glü hten wie Kohlen in ihrem gebrä unten Gesicht, doch zur groß en Ü berraschung Cathé rines lag keinerlei Haß in ihrem Ausdruck, nichts als eine Art wilder Freude, als ob Dunicha schon in vollen Zü gen genö sse, was kommen wü rde. Mit Bitterkeit dachte die junge Frau, daß ihre Nebenbuhlerin ihren Sieg schon fü r sicher hielt und sich im voraus an ihrem Ende ergö tzte.

Sie ihrerseits warf einen raschen Rundblick auf das lautlos verharrende Publikum, noch immer in der Hoffnung, wenn nicht Tristan, so doch mindestens Sara, deren Abwesenheit sie sich nicht erklä ren konnte, auftauchen zu sehen. Denn daß sie in diesem verhä ngnisvollen Augenblick ganz allein war, konnte nur darauf zurü ckzufü hren sein, daß ihrer treuen Gefä hrtin etwas zugestoß en war … etwas Ernstes! Nichts anderes kö nnte sie hindern, dem Zweikampf beizuwohnen.

Die Augen fest auf die ihrer Gegnerin gerichtet, murmelte Cathé rine noch ein schnelles Gebet und beugte sich dann mit dem Mut der Verzweiflung leicht vor, den Angriff erwartend. Fero auf seinem Baumstamm drü ben hob die Hand, und Dunicha setzte sich in Bewegung. Langsam, sehr langsam schob sie sich seitwä rts, umkreiste Schritt fü r Schritt Cathé rine. Sie lä chelte … Cathé rine spü rte einen Augenblick, wie ihre Beine zitterten, dann ließ ihre Angst etwas nach. Ein heiß er Strom lief durch ihre straffen Muskeln, und sie begriff, daß Tereinas Trank seine Wirkung tat. Aber sie verlor keine einzige Bewegung Dunichas aus den Augen.

Und plö tzlich kam der Stoß. Mit hoch geschwungenem Dolch schnellte sich die Zigeunerin jä h auf ihre abwartend lauernde Gegnerin. Cathé rine duckte sich und wich der tö dlichen Klinge aus, die nur einen Fetzen aus ihrem Hemd riß. Aus dem Gleichgewicht gebracht, rollte Dunicha ü ber den Boden, und ohne eine Sekunde zu verlieren, warf sich Cathé rine ü ber sie, ihren eigenen Dolch, mit dem sie nichts anzufangen wuß te, weit von sich schleudernd. In diesem Nahkampf waren zwei Klingen gefä hrlicher als eine; es kam nun darauf an, ihre Gegnerin zu entwaffnen. Mit Glü ck erwischte sie Dunichas Handgelenk und drü ckte es mit aller Kraft zu Boden. Das beifä llige Gemurmel der Menge drang wie von fern an ihr Ohr.

Doch die grö ß ere und stä rkere Zigeunerin war schwer niederzuhalten. Ganz nahe sah Cathé rine ihr braunes, von der Anstrengung verzerrtes Gesicht. Sie fletschte die Zä hne, und ihre Nasenflü gel blä hten sich wie die eines wilden Tiers, das Blut riecht. Mit einer blitzartigen Bewegung stieß sie Cathé rine zurü ck. Ein Schmerzensschrei gellte auf. Dunicha hatte sie in den Arm gebissen und so gezwungen, ihren Griff zu lockern. Sie fand sich auf der Erde liegend wieder, ü ber sich die Zigeunerin. Unwillkü rlich packte sie von neuem den bewaffneten Arm, der im Begriff war zuzustoß en, aber sie wuß te nur allzu gut, daß die andere ihr ü berlegen war, daß sie umsonst kä mpfte, daß der Tod in weniger als einer Minute kommen wü rde. Sie konnte ihn klar in dem schon triumphierenden Blick der anderen lesen. Langsam, lachend machte sich die Zigeunerin daran, ihr den Arm umzudrehen, indem sie ihre bewaffnete Hand verlagerte, wä hrend sie mit der anderen Cathé rine an der Kehle packte und schon die Stelle suchte, wo sie zustoß en wü rde …

Todespein erfü llte das verwirrte Herz der Unglü cklichen. Alles war fü r sie zu Ende; ihre Kraft war erschö pft, sie konnte nicht mehr. Aus diesem gleichgü ltigen Kreis der Zuschauer, das wuß te sie, wü rde keine Hilfe kommen. Keine Stimme wü rde sich erheben, um die Hand Dunichas zurü ckzuhalten. Sie schloß die Augen.

»Arnaud …«, murmelte sie, »… mein Liebster! «

Ihr Arm krü mmte sich schon unter dem Schmerz, als eine herrische Stimme an ihr Ohr drang:

»Trennt diese Frauen! Sofort! «

Cathé rine glaubte, die Osterglocken zur Auferstehung lä uten zu hö ren. Ihrer Brust entrang sich ein Seufzer des Dankes, dem gewissermaß en als Echo ein Wutschrei Dunichas folgte, die von zwei Bogenschü tzen grob von ihrer Gegnerin weggerissen wurde. Zwei andere stellten nicht viel sanfter Cathé rine auf die Fü ß e, die kaum an ihr Glü ck zu glauben vermochte. Die beiden Frauen standen sich nun von Angesicht zu Angesicht gegenü ber, diesmal jedoch von den krä ftigen Fä usten der Bewaffneten gehalten. Zwischen ihnen, ein verä chtliches Lä cheln auf den Lippen, stand ein groß er, schlanker Mann, prä chtig in grü nen Samt und schwarzen Brokat gekleidet. Und die Freude erlosch in Cathé rines Herzen, wä hrend die Sonne, so schien es ihr jedenfalls, sich verdunkelte. Kaltes Grauen lä hmte sie, denn die Rettung war noch schlimmer als die Gefahr! Der Mann, der sie gerettet hatte, war Gilles de Rais!

In einer blitzschnellen Vision beschwor ihre Erinnerung die Tü rme von Champtocé herauf, die dü steren Schrecknisse dieses verfluchten Schlosses, die furchtbare Menschenjagd, der Gauthier um ein Haar zum Opfer gefallen war, den riesigen Scheiterhaufen, den Sara auf Geheiß Gilles de Rais' hatte besteigen sollen, und endlich das in stummer Verzweiflung erstarrte Gesicht des alten Jean de Craon, die herzzerreiß ende Klage seines Stolzes, seines gedemü tigten Herzens, als es offenkundig wurde, was fü r ein Ungeheuer sein Enkel war …

Cathé rine glaubte sich in ihrer miserablen Verkleidung unkenntlich, doch als die schwarzen Augen des Marschalls sich frech und ironisch auf ihr vom Staub beschmutztes Gesicht hefteten, senkte sie den Kopf, als schä mte sie sich ihrer halben Nacktheit. Tatsä chlich hatte das grobe Hemd bei dem Zweikampf stark gelitten … Indessen wand sich Dunicha unter den Hä nden der Bogenschü tzen, und Gilles' Stimme rief:

»Laß t die da gehen, und jagt das Zigeunergesindel mit Peitschenhieben in seine Hö hlen zurü ck! «

»Und diese Frau, Monseigneur? « fragte einer der Mä nner, die Cathé rine hielten. Ihr Herzschlag setzte aus, als die verä chtliche Stimme befahl:

»Nehmt sie mit! «

 



  

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