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Zweites Kapitel



 

Als der Abend kam, war dieser erheiternde Zwischenfall schon vergessen. In dem hohen Raum des Schloß turms, in dem Kennedy kurz nach dem Tod des alten Jean de Cabanes vor drei Monaten sein Quartier eingerichtet hatte, waren Cathé rine, Sara, Gauthier, Bruder Etienne, Hugh Kennedy und der Seneschall von Carlat, ein Gaskogner namens Cabriac, der diesen Posten seit zehn Jahren bekleidete, versammelt. Er war ein rundlicher Mann, einfach und gutmü tig, der nichts mehr als seine Ruhe liebte. Ohne Ehrgeiz, hatte er nie nach dem Gouverneursposten der Festung getrachtet, fand es unendlich bequemer, diese Verantwortung auf kriegerischeren Schultern ruhen zu sehen als den seinen. Aber er kannte die Feste und ihre Umgebung wie kein zweiter.

Sobald der kurze, winterliche Tag jä h zu Ende gegangen war wie eine Kerze, die man ausblä st, waren alle zum Verschlag des Ausgucks hinaufgestiegen, um die Stellungen des Feindes zu beobachten.

Villa‑ Andrados Landsknechte richteten sich ein. Zelte aus dicker Sackleinwand wuchsen empor wie ebenso viele giftige Pilze, die durch den weiß en Mantel des Schnees stachen. Eine Anzahl Soldaten nahm von den Hä usern des Dorfs Besitz. Die entsetzten Bauern waren geflohen und hatten hinter den gewaltigen Mauern der Festung Zuflucht gesucht. Man hatte sie ü berall ein wenig verteilt, da und dort, wo Platz war, in der alten Komturei, in den gerä umigen Scheunen und in den Stä llen. Innerhalb der Umwallung des Schlosses gab das ein Tohuwabohu wie auf einem Wochenmarkt, denn die Tiere waren ihren Besitzern gefolgt. Und jetzt, nach Einbruch der Nacht, bildete das Lager der Angreifer um den riesigen Felsen einen Kranz, dessen Feuer leuchtenden Blumen glichen. Rote, rauchumwö lkte Flammen tupften die tiefschwarze Nacht, erhellten flü chtig da und dort verzerrte, von der Kä lte blau angelaufene Fratzen, die nichts Menschliches mehr hatten, ü ber den Mauerkranz des Schloß turms gebeugt, schien es Cathé rine, als blicke sie in einen hö llischen, von Dä monen bevö lkerten Abgrund hinab. Dieser Anblick hatte Kennedys Optimismus beträ chtlich verringert. Er hatte die drohenden roten Zangen sich um Carlat schließ en sehen.

»Was sollen wir jetzt tun, Messire? « fragte Cathé rine. Er wandte ihr sein stolzes Doggengesicht zu und zuckte die Schultern.

»Zur Stunde, Madame, mache ich mir ü ber uns weniger Sorgen als ü ber MacLaren. Wir sind so gut wie eingeschlossen. Wie soll er morgen wieder zu uns stoß en, wenn er von Montsalvy zurü ckkommt? Er wird diesen Leuten direkt in die Arme laufen, und sie werden ihn gefangennehmen … oder schlimmer! Villa‑ Andrado schreckt vor nichts zurü ck, um Euch zur Kapitulation zu zwingen. Man wird ihm Fragen stellen … mit allen unangenehmen Nebenerscheinungen, die dieses Wort bei dem Kastilier einschließ t. Unser Feind wird wissen wollen, wo er herkommt. «

Cathé rine spü rte, daß sie blaß wurde. Wenn MacLaren, gefangengenommen, unter der Folter sprach, wü rde der Spanier wissen, wo er Michel finden konnte.

Und welch sichereres Unterpfand gä be es als das Baby, um die Mutter zur Rä son zu bringen? Um ihren Sohn vor den Klauen Villa‑ Andrados zu retten, wü rde Cathé rine, das wuß te sie wohl, alles akzeptieren.

»Also«, sagte sie mit mü der Stimme, »ich wiederhole meine Frage. Messire Kennedy, was sollen wir tun? «

»Zum Teufel, ich weiß es nicht! «

»Ein Mann«, ließ Bruder Etienne sich ruhig vernehmen, »mü ß te heute nacht von Carlat ausgesandt werden und in Richtung Montsalvy marschieren, so daß er sie morgen trä fe und sie warnen kö nnte. Das ganze Problem besteht darin, einen Mann durchzuschleusen. Mir scheint, daß die Einschließ ung der Feste noch nicht vollkommen ist. Dort drü ben, jenseits der Nordmauer, gibt es eine breite Stelle, wo ich kein Feuer leuchten sehe. «

Kennedy hob ungeduldig die schweren, lederbekleideten Schultern.

»Habt Ihr Euch noch nie den Felsen an dieser Stelle angesehen? Ein glattes schwarzes Riff, das senkrecht zum Tal abfä llt und durch den Wall darü ber noch beträ chtlich erhö ht wird. Man mü ß te ein verdammt langes Seil und ungeheuren Mut haben, um da hinunterzusteigen, ohne sich den Hals zu brechen. «

»Ich wü rde es gern wagen«, sagte Gauthier, in den vom Kaminfeuer erhellten Kreis vortretend.

Cathé rine ö ffnete schon den Mund, um zu protestieren, als der Seneschall ihr zuvorkam.

»Ein Seil ist gar nicht nö tig, weder fü r das Mauerwerk noch fü r den Felsen … Es gibt eine Treppe! «

Sofort richteten sich alle Blicke auf ihn. Kennedy packte ihn an der Schulter, um ihn besser ins Auge fassen zu kö nnen.

»Eine Treppe? Trä umst du? «

»O nein, Messire. Eine richtige, in den Felsen geschlagene Treppe, natü rlich sehr schmal. Sie beginnt im Innern eines der Tü rme. Nur der alte Sire von Cabanes und ich kennen sie. Escorneboeuf ist auf diesem Wege geflohen, Dame Cathé rine, damals, als …«

Cathé rine erinnerte sich mit Schaudern an den Tag, an dem in diesem selben Turm der gaskognische Haudegen versucht hatte, sie ins Verlies zu stü rzen. Manchmal sah sie in ihren Alpträ umen das rote, schwitzende Gesicht des groben Sergeanten wieder, in dessen Augen Mordlust funkelte.

»Wieso kannte er das Geheimnis? « stieß sie hervor.

Der kleine Seneschall senkte den Kopf und drehte die Kappe in den Hä nden.

»Wir … wir stammten aus derselben Gegend der Gascogne«, stammelte er. »Ich wollte nicht, daß er aus diesem Grunde zu Tode kä me. «

Cathé rine enthielt sich einer Antwort. Dies war nicht der Augenblick, von diesem Mann, der eine so wertvolle Auskunft gegeben hatte, Rechenschaft dafü r zu fordern, daß er einen Mö rder beschü tzt hatte. Kennedy, der in tiefes Sinnen versunken war, hä tte es sowieso nicht geduldet. Mit gekreuzten Armen, den Kopf auf eine Schulter geneigt, starrte er vö llig ausdruckslos ins Feuer. Mechanisch fragte er, ob die Treppe fü r Frauen benutzbar sei, und als dies bejaht wurde:

»Gut, wir werden es noch besser machen. Man muß von der Tatsache profitieren, daß Villa‑ Andrado noch nicht die Mö glichkeit gehabt hat, das Schloß ganz einzuschließ en. Vermutlich hä lt er es in Anbetracht der Hö he der Nordwand auch nicht fü r so dringlich; aber er kann seine Meinung schon morgen ä ndern. Wir haben also keine bessere Chance als heute nacht. Dame Cathé rine, bereitet Euch auf den Aufbruch vor. «

Leichte Rö te stieg der jungen Frau in die Wangen, und sie preß te die Hä nde gegeneinander.

»Soll ich allein gehen? « fragte sie einfach.

»Nein. Sara, Bruder Etienne und Gauthier werden Euch selbstverstä ndlich begleiten. Gauthier wird Euch auß erhalb Carlats vorü bergehend verlassen und, wä hrend Ihr in Aurillac auf ihn wartet, Mac‑ Laren treffen. Er wird ihm den Befehl ü berbringen, sich mit seinen Leuten zu Euch zu begeben und Euch fü r den Rest Eurer Reise als Eskorte zu dienen. «

»Und Ihr, was tut Ihr inzwischen? «

Der Schotte hatte ein lustiges, schallendes Lachen an sich, das die gespannte Atmosphä re in dem hohen, gewö lbten Raum wie durch ein Wunder vertrieb. Mit diesem Lachen entflohen alle Dä monen der Furcht und Angst.

»Ich? Ich werde in aller Ruhe noch einige Tage hierbleiben, um Villa‑ Andrado zu amü sieren. Ich muß ja warten, bis der neue Gouverneur eintrifft, der jedoch nicht kommen kann, solange Carlat eingeschlossen ist. In einigen Tagen, just so lange, wie Ihr braucht, um Euch einen schö nen Vorsprung im Falle einer eventuellen Verfolgung zu verschaffen, werde ich Villa‑ Andrado rufen lassen und ihm freundlichst klarmachen, daß Ihr das Weite gesucht habt. Worauf er, da er nichts mehr zu erhoffen hat, verschwinden wird. Mir bleibt dann nur noch ü brig, meine Machtbefugnisse meinem Nachfolger zu ü bergeben und die Koffer zu packen. «

Bruder Etienne nä herte sich Cathé rine und nahm die kalten Hä nde der jungen Frau in die seinen.

»Was haltet Ihr davon, mein Kind? Ich finde, der Feldhauptmann hat sehr klug gesprochen. «

Diesmal lä chelte Cathé rine wirklich ganz offen, ein schö nes, warmes Lä cheln, mit dem sie den kleinen Mö nch und zum Schluß auch noch den groß en Schotten bedachte, der vor Erregung plö tzlich rot anlief.

»Ich glaube«, sagte sie leise, »der Plan ist gut. Ich werde mich jetzt vorbereiten. Komm, Sara! Messire Kennedy, ich wä re Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir Mä nnerkleidung besorgen wü rdet, auch fü r Sara. «

Diese stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie hatte einen Horror vor Mä nnerkleidung, die ihre rundlichen Formen stets lä stig einzwä ngte. Doch die Zeit der Abenteuer war offenbar noch nicht vorü ber, und man muß te sich in Ermangelung eines Besseren eben ins Unvermeidliche schicken.

Einige Minuten spä ter betrachtete Cathé rine in ihrem Zimmer einigermaß en erstaunt die Kleidungsstü cke, die Kennedy ihr geschickt hatte. Der schottische Hauptmann hatte sie von seinem Pagen geliehen. Es war die ü bliche Mä nnerkleidung seines Landes, allerdings mit einer kleinen Abweichung. Die rauhen Gebirgler der Hochebenen, an ein unfreundliches Klima gewö hnt, hatten eine zä he, lederartig gegerbte Haut. Ihre gewohnheitsmä ß ige Kleidung bestand aus einem in den Farben ihres Clans karierten groß en Stü ck Wollstoff, in das sie sich hü llten, aus einer Flanelljacke und einem Panzerhemd. Eine verzierte Eisenbrosche hielt das Gewand an der Schulter fest. Als Kopfbedeckung dienten ihnen konische Helme oder flache, mit Reiherfedern geschmü ckte Mü tzen, und sie gingen mit nackten Beinen und manchmal sogar barfuß. Bei Kö nig Karl VII. unter dem sie von dem Konnetabel John Stuart Buchan aufgestellt wurde, trug die berü hmte Schottische Garde Silberharnische und prunkvolle Reiherfederbü sche, doch im Feld griff sie gern auf ihre traditionelle Kleidung zurü ck, in der sie sich am wohlsten fü hlte.

Daher hatte Kennedy Cathé rine einen Tartan in den Farben des Kennedy‑ Clans‑ Grü n, Blau, Rot und Gelb‑, einen enganliegenden roten Mannsrock und eine blaue Mü tze, kurze, feste Lederstiefel und einen Ziegenfellbeutel geschickt. Als einzige Konzession an die Temperatur hatte er enganliegende Hosen aus demselben Blau wie die Mü tze und einen groß en schwarzen Reitermantel beigefü gt.

»Wenn Ihr Euch mit MacLaren trefft, werdet Ihr als sein Page gelten«, hatte der Hauptmann zu ihr gesagt, »und auf diese Weise werdet Ihr Euch nicht vom Rest der Truppe unterscheiden. «

Er hatte noch einen zweiten Anzug derselben Art, aber beträ chtlich grö ß er und weniger elegant, fü r Sara mitgeschickt. Die Zigeunerin hatte sich anfangs kategorisch geweigert, sich derartig albern auszustaffieren.

»Man kann auch fliehen, ohne sich lä cherlich zu machen! « erklä rte sie. »Wie sehe ich denn in diesem geschmacklosen Plunder aus? «

»Wie sehe ich aus? « erwiderte Cathé rine leise, die, kaum daß die Tü r hinter dem Boten Kennedys zugefallen war, sich entkleidet und den seltsamen Anzug angelegt hatte. Dann hatte sie ihre zerzausten blonden Locken zurü ckgestrichen, die Mü tze aufgesetzt und sich vor einem groß en, polierten Zinnspiegel niedergelassen, die Faust in die Hü fte gestemmt und sich mit kritischen Augen betrachtet. Ein Glü ck, daß sie so dü nn war, denn diese krä ftigen Farben machten sie dicker, und sie hä tte Schwarz hundertmal vorgezogen und wä re dabei noch ihrem Gelü bde treu geblieben, nie mehr etwas anderes zu tragen als Schwarz oder Weiß. Diese Nacht jedoch war eine Ausnahme, ein Fall von hö herer Gewalt, da es nicht mö glich gewesen war, schwarze Mä nnerkleidung aufzutreiben, die ihr paß te. Trotz allem empfand sie einen Schauer des Vergnü gens. Dieses bizarre Kostü m verlieh ihr das Aussehen eines Tollkopfs, eines jungen Pagen mit zu hü bschem Gesicht. Sie drehte sich eine Haarsträ hne um den Finger. Das Haar schien um einen Ton dunkler nachzuwachsen. Sein glä nzendes Gold bronzierte leicht und hatte eine weniger leuchtende, aber dafü r wä rmere Farbe, die ihren zarten Teint und ihre groß en dunklen Augen noch mehr hervortreten ließ. Sara, die sie schweigend beobachtete, brummte bä rbeiß ig:

»Es ist einfach nicht statthaft, so schö n zu sein! Ich fü rchte, der Spiegel wird mir kein so gelungenes Bild zurü ckwerfen! «

Tatsä chlich bot Sara, abgesehen davon, daß sie ihr dichtes schwarzes Haar unter die Mü tze stopfen muß te, in diesem Aufzug einen unwiderstehlich komischen Anblick.

»Du muß t die Schä rpe um die Brust drapieren«, riet Cathé rine. »Man sieht zu deutlich, daß du eine Frau bist! «

Sie hatte das gleiche bei sich getan, obwohl sie ihre Brü ste vorsichtshalber umbunden hatte, bevor sie in das Wams geschlü pft war. Als sie eben dabei war, den schwarzen Diamanten und einen Teil des Geschmeides in ihrem Ziegenfellbeutel verschwinden zu lassen – den Rest wü rde Sara tragen –, klopfte jemand an die Tü r.

»Seid Ihr bereit? « fragte die Stimme Kennedys.

»Mü ssen wir wohl! « brummte Sara, die Schultern hochziehend.

»Tretet ein«, sagte Cathé rine. Auf der Schwelle zeigte sich die Gestalt des Schotten. Er lä chelte.

»Was fü r einen schö nen Pagen Ihr abgebt! « bemerkte er, sichtbar beeindruckt. Aber Cathé rine lä chelte nicht.

»Diese Maskerade gefä llt mir gar nicht. Ich habe ein Bü ndel aus meinen Kleidern gemacht und werde sie anlegen, sobald es mö glich ist. Alsdann, gehen wir …«

Bevor Cathé rine das Zimmer verließ, in dem sie ihre letzten Glü cksstunden und ihr Golgatha erlebt hatte, ü berflog sie es mit einem letzten Blick. Es schien ihr, als bewahrten die schmucklosen Wä nde den Reflex des Lä chelns Arnauds und das Echo von Michels Lachen. Sie entdeckte, daß sie ihr teuer geworden waren, und sie fü hlte, wie sich ihre Kehle zusammenzog. Aber sie ließ sich von dieser Anwandlung nicht ü berwä ltigen. In diesem Augenblick brauchte sie ihren ganzen Mut und kaltes Blut. Entschlossen drehte sie dem so vertrauten Raum den Rü cken zu und legte die Hand auf den langen Dolch, den sie sich in den Gü rtel gesteckt hatte. Es war der Dolch mit dem Sperbergriff, mit dem Arnaud Marie de Comborn getö tet hatte, und fü r Cathé rine der kostbarste Gegenstand, den sie besaß. Im Vergleich zu seinem blä ulich schimmernden Knauf, der so oft von der Hand ihres Gatten erwä rmt worden war, war der schwarze Diamant nur ein wertloser Kiesel, und sie hä tte ihn ohne Zö gern dem anderen geopfert.

Im Hof fand sie Kennedy vor, der sie, eine Blendlaterne in der Hand, erwartete. Gauthier und Bruder Etienne standen bei ihm. Ohne ein Wort zu sagen, nahm der Normanne Sara den Kleiderballen ab, den sie trug, dann machte sich der kleine Trupp auf den Weg. Einer hinter dem anderen gingen sie der Umfassungsmauer zu. Die Kä lte hatte im Laufe der Nacht zugenommen und war grausam beiß end geworden. Von Zeit zu Zeit fegte ein kurzer, heftiger Windstoß weiß e Wirbel empor, so daß man in der Mitte des groß en Hofs nur gebeugt vorwä rts kam. Aber je mehr sie sich den Wä llen nä herten, desto mehr verloren die Wirbel an Wildheit. Dann und wann durchdrang das Brü llen eines Tiers die Stille oder auch das Schnarchen eines der Flü chtlinge, die, in ihre Decken gehü llt, auf dem nackten Boden nahe am Feuer schliefen.

Trotz des schweren Reitermantels schlotterte Cathé rine vor Kä lte, als sie dem Turm zuschritt, den Cabriac bezeichnet hatte. Dieser erwartete sie im Innern, mit den Fü ß en stampfend und sich die Seiten schlagend, um gegen die Kä lte anzugehen. Das niedrige, feuchte Gewö lbe war wie mit einem Mantel aus schwä rzlichem, glä nzendem Eis ü berzogen, von dem Brocken auf ihre Schultern herabfielen.

»Wir mü ssen uns beeilen«, sagte Cabriac. »Der Mond wird bald aufgehen, und Ihr werdet auf der Schneeflä che unten wie am hellichten Tag zu sehen sein. Der Kastilier hat sicher ü berall Wä chter aufgestellt. «

»Aber«, wandte Cathé rine ein, »wie sollen wir durch die Palisaden kommen, die am Felsen entlanglaufen? «

»Das geht mich an«, sagte Gauthier. »Kommt, Dame Cathé rine. Der Herr Seneschall hat recht. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. «

Er nahm schon ihren Arm, um sie in das schwarze Loch der Treppe zu ziehen, das Cabriac, eine unter fauligem Stroh verborgene Falltü r hebend, freigelegt hatte. Aber Cathé rine strä ubte sich, drehte sich zu Kennedy um und reichte ihm spontan die Hand.

»Vielen, vielen Dank fü r alles, Messire Hugh. Dank fü r Eure Liebenswü rdigkeit, fü r den Schutz, den ihr mir gegeben habt. Ich werde die hier verbrachten Tage nie vergessen. Dank Euch … haben sie ein wenig von ihrer Grausamkeit verloren. Und ich hoffe, Euch bald bei Kö nigin Yolande wiederzusehen. «

Im unsicheren Licht der Laterne sah sie das groß e Gesicht des Schotten aufleuchten und seine weiß en Zä hne blitzen.

»Wenn's nur von mir abhä ngt, Dame Cathé rine, wird's schon in kurzer Zeit sein. Aber niemand weiß, was morgen in seinem Leben sein wird. Wie es so oft in dieser Welt geht, sehe ich Euch vielleicht niemals wieder …«

Seinen Satz in der Schwebe lassend, packte er die junge Frau an den Schultern, drü ckte sie an sich, kü ß te sie gierig, ehe sie, vö llig verblü fft, sich verteidigen konnte, ließ sie ebenso rasch wieder los, lachte dann schallend wie ein Kind auf, das sich einen schö nen Spaß gemacht hat, und beendete den angefangenen Satz:

»… und werde nun wenigstens ohne Bedauern sterben! Verzeiht mir, Cathé rine, es wird nicht mehr vorkommen … aber ich habe Euch so sehr begehrt! «

Das wurde so freimü tig eingestanden, daß Cathé rine sich damit begnü gte zu lä cheln. Sie war, vielleicht mehr, als sie geahnt hatte, fü r die Wä rme dieser ungeschlachten Zä rtlichkeit empfä nglich, aber Gauthier war erblaß t. Von neuem legte sich seine Hand auf den Arm der jungen Frau.

»Kommt, Dame Cathé rine«, sagte er barsch.

Er hob die Laterne und stieg schon die schmale Treppe hinunter. Diesmal folgte ihm Cathé rine. Sara kam hinter ihr, und Bruder Etienne bildete den Schluß, wä hrend die junge Frau ins Innere des Felsens vordrang, hö rte sie ihn dem Schotten Lebewohl sagen und ihn ermahnen, sich ja nicht zu lange in der Auvergne aufzuhalten.

Er fü gte hinzu:

»Die Zeit der Kä mpfe kehrt wieder. Der Konnetabel wird Euch bald wieder brauchen. «

»Keine Sorge! Ich werde ihn nicht warten lassen! «

Dann hö rte Cathé rine nichts mehr. Die hohen, ungefü gen Stufen, unbeholfen aus dem rohen Stein gehauen, fielen fast senkrecht in einen Felsschlund ab, und die junge Frau muß te genau auf jeden ihrer Schritte achten, um nicht zu straucheln und zu fallen. Dies war um so gefä hrlicher, als der Frost auch hier sein Unwesen getrieben hatte und jede Stufe gefä hrlich glitzerte. Als man schließ lich das dichte Unterholz erreichte, das den Spalt verdeckte, in den die Treppe mü ndete, stieß Cathé rine einen Seufzer der Erleichterung aus. Dank Gauthier, der die Strä ucher fü r sie auseinanderschob, ü berwand sie auch dieses leichte Hindernis ohne groß en Schaden, aber sie wurde plö tzlich gewahr, daß die hohe Palisade aus mä chtigen, zugespitzten Pfä hlen fast unmittelbar an der Felswand entlang verlief, Palisade und Fels bildeten eine Art schmalen und tiefen Schlauchs.

Aus dem Augenwinkel maß Cathé rine den schreckenerregenden Holzwall ab.

»Wie kommen wir da hinü ber? Am besten, wir klettern wieder nach oben. Die Pfä hle sind zu spitz, um ohne Strickleiter hinü berzukommen. «

»Klar«, erwiderte Gauthier ruhig. »Sie sind ja deshalb so gemacht worden. «

Er trat aus dem Gebü sch, das der Treppe als Deckung diente, und begann, nach rechts gehend, die Pfä hle zu zä hlen. Beim siebenten blieb er stehen. Die erstaunte Cathé rine sah, wie er den riesigen Baumstamm packte und mit aller Kraft an ihm zerrte. Die Adern schwollen ihm auf der Stirn, wä hrend er den unteren Teil des offenbar kunstvoll in der Mitte durchgeschnittenen Stamms keuchend aus seiner Verklammerung riß. Durch die schmale Pforte, die sich damit ö ffnete, kamen der steile, zum Bach hinunterfü hrende Hang und die zwei oder drei Hä uschen des Weilers Cabanes auf dem Abhang gegenü ber zum Vorschein. Genau in diesem Augenblick tauchte der Mond zwischen zwei dicken Wolken auf, warf sein bleiches Licht auf die Erde und erhellte die weite Schneeflä che. Die Baumstä mme und schneebedeckten Strä ucher wurden sichtbar wie am hellen Tag. Hinter die Palisade geduckt, betrachteten die Flü chtlinge den reinen weiß en Hang, der sich vor ihnen dehnte.

»Wir werden wie Tintenflecke auf einer weiß en Seite zu sehen sein«, murmelte Bruder Etienne. »Es braucht bloß einer der Wachtposten den Kopf nach unserer Seite zu wenden, um uns zu entdecken und Alarm zu schlagen. «

Niemand antwortete. Der Mö nch hatte sehr deutlich ausgedrü ckt, was jeder dachte, und Cathé rine wurde von Nervositä t gepackt.

»Was sollen wir tun? Unsere einzige Chance besteht darin, daß wir in dieser Nacht fliehen, solange die Einschließ ung noch nicht vollkommen ist. Wenn man uns aber sieht, sind wir schon gefangen. «

Gleichsam um ihr recht zu geben, ließ en sich in diesem Moment Stimmen vernehmen, nahe genug, um die unmittelbare Gefahr deutlich zu machen. Gauthier schob vorsichtig den Kopf durch die Ö ffnung, zog ihn aber fast sofort wieder zurü ck.

»Der erste Posten ist nur ein paar Klafter entfernt. Etwa zehn Mann … aber auch das wird uns nicht mattsetzen«, fü gte er mit leisem Bedauern hinzu. »Das beste ist zu warten. «

»Auf was? « fragte Cathé rine nervö s. »Auf den Tagesanbruch? «

»Bis der Mond untergeht. Dem Himmel sei Dank, daß der Tag im Winter spä t anbricht. «

Sie muß ten ausharren in Kä lte und Schnee. Den Hals gereckt, das Auge auf die fahle Scheibe des Mondes gerichtet, hielten die vier Gefä hrten den Atem an. Es war wie verhext: Dicke Wolken zogen von einem Ende zum anderen ü ber den Horizont, aber keiner gelang es, das verrä terische Gestirn zu verdunkeln. Cathé rines Fü ß e und Hä nde waren eisig. Das zurü ckgezogene Leben, das sie in letzter Zeit gefü hrt hatte, hatte sie verletzlicher gemacht, und sie litt mehr als die anderen darunter, so unbeweglich in diesem eisigen Gang verharren zu mü ssen. Von Zeit zu Zeit rieb Sara ihr krä ftig den Rü cken, aber das Wohlbefinden, das sie dabei empfand, hielt nicht lange an, ihre Nerven beruhigten sich nicht.

»Ich kann nicht mehr«, flü sterte sie Gauthier zu. »Wir mü ssen etwas tun … Schlimmstenfalls setzen wir alles auf eine Karte! Man hö rt nichts mehr. Sind die Wachen vielleicht eingeschlafen? «

Gauthier spä hte von neuem hinaus. Genau in diesem Augenblick wirbelte ein heftiger Windstoß den pulvrigen Schnee zu einem dichten Gestö ber auf. Gleichzeitig verschwand der Mond, von einer dicken Wolke verschluckt, vom Himmel. Das Licht wurde viel schwä cher. Gauthier warf Cathé rine einen raschen Blick zu.

»Kö nnt Ihr laufen? «

»Ich glaube ja. «

»Also los … Jetzt! «

Er schob sich als erster hinaus, ließ die drei anderen vorbei und brachte, wä hrend sie gemeinsam den Abhang durch den Schnee hinunterstapften, die Bohle wieder an ihren Platz. Cathé rine lief, so schnell sie konnte, aber ihre eisigen Glieder schmerzten und waren ungelenk. Die Abschü ssigkeit unter ihren Fü ß en war zu beschwerlich, und ihr Herz klopfte wie rasend. Durch ihren Elan fortgerissen, fiel sie ü ber eine Staude, als Gauthier sie einholte und sie ohne Federlesens aufhob.

»Wir mü ssen schneller laufen«, brummte er, trotz des vermehrten Gewichts den Schritt beschleunigend. Doch ü ber seine Schulter blickend, sah Cathé rine plö tzlich die Spuren ihrer Schritte sehr deutlich.

»Unsere Spuren … Sie werden sie sehen! Wir mü ssen sie beseitigen! «

»Dazu haben wir keine Zeit. Hallo, ihr beiden, marschiert einen Augenblick im Wasser, dann tretet da unten bei dieser Baumgruppe wieder hinaus. «

Auch er sprang nun in den nicht tiefen Bach. Die dü nne Eisdecke krachte unter seinem Gewicht, und das eisige Wasser spritzte bis zu der vor Kä lte erstarrten jungen Frau. Selbst wä hrend des kurzen Wegs durch das Bachbett warf Gauthier immer wieder einen Blick zum Mond hinauf. Er verbarg sich noch hinter den Wolken, wü rde aber nicht mehr lange auf sich warten lassen. Schon war das Licht stä rker geworden. Sie kletterten aufs Ufer zurü ck, wo Gauthier es ihnen angezeigt hatte. Zufä llig war ein Tannengehö lz in der Nä he. Der Normanne setzte Cathé rine auf die Erde und machte sich daran, einen Zweig abzuschneiden.

»Geht hintereinander zum Wä ldchen«, sagte er zu den drei anderen. »Ich werde die Spuren verwischen. «

Cathé rine, Sara und Bruder Etienne hasteten dem schwarzen Wä ldchen zu, wä hrend Gauthier, den Zweig hinter sich herziehend, die Spuren verwischte. Die Flü chtlinge warfen sich im selben Augenblick in den dichten Schatten der Bä ume, in dem der Mond aus den Wolken trat. Von den Anstrengungen erschö pft, ließ en sie sich auf den Stamm eines umgestü rzten Baumes sinken, um wieder zu Atem zu kommen. Von da unten zeigte sich ihnen Carlat in seiner ganzen Grö ß e: der Fels wie ein Schiffsbug, von einem riesigen Schloß gekrö nt, die befestigten Umwallungen, die Glocken‑ und Wehrtü rme – und an seinem Fuß e der drohende Ring der Angreifer. Cathé rine dachte dankbar an Hugh Kennedy. Ihm hatte sie es zu verdanken, daß sie aus der Falle geschlü pft und auf dem Weg nach Angers war …

Gauthiers Stimme unterbrach ihre Gedanken.

»Es ist jetzt nicht der Augenblick, auszuruhen und zu trä umen! Wir mü ssen uns vor Tagesanbruch auf den Weg machen. Und die Dä mmerung wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. «

Sie setzten sich durch den Wald wieder in Marsch. Zum erstenmal seit langer Zeit stü rzte sich Cathé rine wieder in die Natur, in die enge Verbindung mit der Erde, dem Wald, die sie so sehr geliebt hatte. Erstaunt entdeckte sie, fast wie eh und je, das Gefü hl der Vertrautheit mit den groß en Bä umen. Es war nicht das erstemal, daß sie Zuflucht bei ihnen gesucht hatte, und nie hatten sie sie enttä uscht. Das halb im Schnee versunkene Unterholz bot einen unwirklichen Anblick. Die Kä lte war hier nicht so empfindlich, und die Tannen, die ihre langen, weiß geschmü ckten Ä ste fast bis auf den Boden hä ngen ließ en, strahlten majestä tische Ruhe aus. In den Lichtungen funkelten im Mondlicht Tausende winziger Kristalle, und die einfache und sü ß e Stille war die einer schlafenden Landschaft. Die Bosheit der Menschen, der Krieg, die Leiden des Herzens machten hier halt wie auf der Schwelle eines Heiligtums, und Cathé rine ertappte sich dabei, daß sie an die Einsiedler dachte, die allein in der Tiefe der groß en Wä lder leben. Sie entdeckte plö tzlich, daß sie sie verstand. Soviel Schö nheit konnte jeden Schmerz, jedes Leid mildern und besä nftigen. Ihre Mü digkeit, die Kä lte, all das war von ihr abgefallen. Vor ihr lief die groß e Gestalt Gauthiers mit gleichmä ß igen Schritten wiegend dahin, und sie befleiß igte sich, ihre Fü ß e in die von ihm gemachten tiefen Spuren zu setzen. Die anderen taten dasselbe. Auch der Riese gehö rte zum Wald, aus dem er stammte wie jeder seiner Bä ume. Hier war er zu Hause, und Cathé rine fand sich in dem Vertrauen bestä rkt, das sie immer in ihn gesetzt hatte. Doch plö tzlich blieb er stehen, spitzte die Ohren und gab den anderen ein Zeichen, sich nicht zu rü hren. In der Ferne ließ en sich die gellenden Tö ne einer Trompete vernehmen.

»Wecken, jetzt schon? « fragte Cathé rine. »Wird es denn schon Tag? «

»Noch nicht. Und es ist auch nicht das Signal zum Wecken. Wartet einen Augenblick auf mich. «

Im Nu hatte Gauthier den Stamm einer Eiche umklammert, war mit affenartiger Geschwindigkeit hinaufgeklettert und den Augen seiner Freunde entschwunden. Die Trompete klang noch immer gedä mpft herü ber und gab damit das genaue Maß des bereits zurü ckgelegten Weges an.

»Kommt es vom Lager her oder vom Schloß? « flü sterte Bruder Etienne.

»Im Schloß wü rde man keine Ursache haben, die Trompete zu blasen … auß er bei einem Angriff«, begann Cathé rine. Sie kam nicht weiter. Mit ä uß erster Schnelligkeit herunterkletternd, fiel Gauthier wie eine Kugel zwischen ihr und dem kleinen Mö nch zur Erde.

»Es kommt aus dem Lager! Soldaten rotten sich in der Nä he der Umwallung nö rdlich des Schlosses zusammen. Sie mü ssen bei diesem verdammten Mondlicht die Spuren gesehen haben. Ich sah Mä nner in den Sattel steigen. «

»Was sollen wir tun? « jammerte Sara. »Wir kö nnen's an Schnelligkeit nicht mit den Pferden aufnehmen, wenn unsere Spuren hinter dem Bach entdeckt werden. «

»Das ist mö glich«, gab Gauthier zu. »Durchaus mö glich. Wir mü ssen uns sofort trennen. «

Cathé rine wollte Einwä nde machen, aber er gebot ihr mit so fester Autoritä t Schweigen, daß sie nicht daran dachte zu protestieren. War es nicht normal, daß er bei diesem Abenteuer der Fü hrer war? Schon fuhr er fort:

»Bei Tagesanbruch mü ß ten wir es ohnehin tun. Ihr mü ß t Aurillac erreichen, vergeß t das nicht, Dame Cathé rine, wä hrend ich mich mit MacLaren treffen werde. Ich werde also gehen, allein … Sie werden meiner Spur folgen. «

»Wenn sie nicht der unseren folgen«, bemerkte Sara.

»Nein. Denn ihr werdet alle drei auf diesen Baum klettern und euch dort verborgen halten … bis unsere Verfolger verschwunden sind. Seid ohne Sorge, und ü berlaß t es nur mir, sie weit genug wegzulocken, so daß ihr euren Weg ungestö rt fortsetzen kö nnt. «

Cathé rine schien es, als sei die magische Schö nheit des Waldes mit einem Schlag erloschen.

Sich jetzt schon von ihrem Freund zu trennen war unerfreulich genug. Muß te sie ihn zudem noch in Gefahr wissen, sich in der Ungewiß heit ü ber sein Ergehen das Herz schwer machen? Geteilte Gefahr ist immer leichter.

»Aber«, murmelte sie gequä lt, »wenn sie dich einholen, wenn sie dich …«

Sie konnte das Wort nicht aussprechen. Zwei Trä nen lö sten sich aus ihren Augen und rollten ihr die Wangen hinunter. Das Mondlicht ließ sie glitzern. Tiefe Freude breitete sich ü ber das groß e Gesicht des Riesen.

»Mich tö ten? « fragte er leise. »Sie werden mir nichts mehr anhaben kö nnen, Dame Cathé rine. Ihr habt um mich geweint … mir kann nichts mehr passieren. Tut, was ich sagte. Klettert hinauf! «

Er nahm sie um die Taille und setzte sie, offenbar ohne Anstrengung, auf einen Ast. Danach packte er Sara und dann den kleinen Mö nch. Wie sie so Seite an Seite auf dem Ast saß en, hatten sie das verstö rte Aussehen dreier erstarrter Spatzen. Gauthier begann zu lachen.

»Ihr seht aus wie eine drollige Nestbrut, wie ihr so dasitzt! Der Baum lä ß t sich leicht erklettern! Steigt so hoch hinauf, wie ihr kö nnt, und bemü ht euch, kein Gerä usch zu machen. Wenn ich richtig schä tze, werden die Soldaten in einer Stunde unter euch vorbeiziehen. Steigt nicht herunter, bevor ihr euch nicht ü berzeugt habt, daß sie sich auch wirklich entfernt haben. Mut! «

Starr vor instinktiver Furcht, sahen sie, wie er sorgsam die Spuren verwischte, die ihren Aufenthalt unter der Eiche hä tten verraten kö nnen, und sodann in der Richtung, der er folgen wollte, einen deutlich erkennbaren Trampelpfad in den Schnee stampfte; dann verschwand er endlich mit einer groß en Abschiedsgebä rde eiligst zwischen den Bä umen. Jetzt erst blickten die drei Verlassenen sich an.

»Nun«, sagte Bruder Etienne mit Humor, »ich glaube, wir mü ssen die uns gegebenen Befehle ausfü hren. Verzeiht, Dame Cathé rine, aber ich werde diese Kutte ein wenig schü rzen mü ssen. Zum Klettern ist sie nicht sehr praktisch. «

Gesagt, getan. Der kleine Mö nch nahm seine Kutte hoch und stopfte sie unter den seinen Bauch eng umschließ enden Strick, hagere, sehnige Beine enthü llend, an deren Ende seine breiten, nackten Fü ß e in ihren Sandalen riesig schienen. Galant half er Sara, die Ä ste des Baums hinaufzuklettern. Cathé rine fand ihre einstige Behendigkeit plö tzlich wieder und kletterte ohne Hilfe. Und bald befanden sie sich auf der Hauptgabelung des Baums. Das dichte Geflecht der Zweige, an denen noch einige rotgelbe, trockene Blä tter hä ngengeblieben waren, verbarg beinah den Boden. Die drei Flü chtigen muß ten vollkommen unsichtbar sein.

»Jetzt brauchen wir bloß noch etwas Geduld«, meinte Bruder Etienne ruhig, an den knorrigen Stamm gelehnt. »Ich werde die Gelegenheit benutzen und fü r den tapferen Jungen den Rosenkranz beten. Ich habe so eine Ahnung, daß er Gebete brauchen kann, auch wenn er nicht daran glaubt. «

Cathé rine versuchte, es ihm nachzutun, doch ihr Herz war schwer vor Angst, und ihr Geist folgte Gauthier durch den Wald. Sie wagte nicht, sich auszudenken, welchen Prü fungen sie ausgesetzt wä re, wenn dem Normannen etwas zustoß en wü rde. Er war ihr jetzt teuer, nachdem er kraft seiner Hingabe und Treue einen Teil ihres Herzens erobert hatte. Wie Sara war er alles, was sie mit der Vergangenheit verband. Seine ruhige Kraft, sein klarer und heller Verstand waren beruhigende Bollwerke gegen das Leben und den Schmerz. Und die junge Frau fü hlte sich seltsam entblö ß t und zerbrechlich, seitdem die hohe Gestalt zwischen den Stä mmen verschwunden war.

»Gib, mein Gott, daß ihm nichts geschieht! « betete sie still, den Himmel durch die Zweige suchend. »Wenn du mich meines letzten Freundes beraubst, was bleibt mir dann noch? «

Der Lä rm eines reitenden Trupps, klirrender Waffen, menschlicher Stimmen, untermischt mit Hundegebell, nä herte sich. Anscheinend hatten die Leute Villa‑ Andrados den Trampelpfad entdeckt. Bruder Etienne und Sara bekreuzigten sich hastig.

»Da sind sie«, flü sterte der kleine Mö nch. »Sie sind da …«

Cathé rines Blick glitt wieder zum Himmel. Kein Zweifel: Die Nacht verblaß te schon leicht. Der Tag wü rde anbrechen. Der Wald regte sich mit unmerklichen Gerä uschen, Rascheln und anderen Lauten, die ankü ndigten, daß er bald erwachen wü rde.

»Vorausgesetzt, daß …«, begann sie.

Aber sie hielt inne, den Arm Bruder Etiennes packend und drü ckend. Unter den Bä umen sah sie den Helm eines Bewaffneten schimmern. Die dicke Schneedecke dä mpfte die Schritte der Mä nner, aber die Zweige knackten, wenn sie vorü bergingen. Mit groß en Degenhieben machten sie sich den Weg frei.

Die Soldaten gingen langsam, sehr langsam weiter, die Nase auf dem Boden: zwanzig Bogenschü tzen zu Fuß, die Waffe ü ber der Schulter, hinter ihnen zehn Reiter. Es waren Kastilier, und Cathé rine verstand ihre Sprache nicht. Aber es wurde allmä hlich immer heller, und sie konnte schon die olivfarbenen, denkbar beunruhigenden Gesichter mit den lang ausgezogenen schwarzen Schnurrbä rten unterscheiden. Mit Entsetzen sah sie, daß einer der Reiter am Sattelbogen einen Rosenkranz aus menschlichen Ohren trug, und unterdrü ckte einen Schrei. Als fü hlte er ihre Anwesenheit, hielt der Mann genau unter der groß en Eiche an und stieß einen heiseren Ruf aus. Ein Soldat eilte herbei. Der Reiter sagte etwas zu ihm, und Cathé rines Herzschlä ge setzten aus. Aber der Mann mit der abscheulichen Trophä e wollte nur, daß man den Sattelgurt seines Pferdes fester schnallte, und ritt, nachdem dies geschehen war, weiter. Einige Augenblicke spä ter war niemand mehr unter dem Baum. Ein dreifacher Seufzer entrang sich den Flü chtigen. Bruder Etienne wischte sich ü ber die trotz der Kä lte schweiß triefende Stirn und schob seine Kapuze zurü ck.

»Mein Gott, was habe ich Angst gehabt! « seufzte er. »Bewegen wir uns noch nicht! «

Sie warteten eine Weile, gemä ß den Instruktionen, die Gauthier ihnen gegeben hatte. Als sich im Wald nichts mehr hö ren ließ als der ferne Schrei eines verspä teten Auerhahns, streckte der Mö nch seine erstarrten Glieder, gä hnte, um die Kinnlade zu lockern, und warf seinen Gefä hrtinnen ein ermutigendes Lä cheln zu.

»Ich glaube, wir kö nnen jetzt hinuntersteigen. Diese guten Leute haben den Wald so schö n zertrampelt, als sie ringsherum das Unterholz niederhackten, daß unsere Spuren uns wohl kaum verraten werden. «

»Es sieht ganz so aus«, sagte Cathé rine und begann, sich von Ast zu Ast hinunterzulassen. »Aber werden wir unsere Richtung finden? «

»Vertraut mir. Zufä llig kenne ich dieses Land gut. In meiner Jugend habe ich einige Monate in der Abtei Saint‑ Gé raud d'Aurillac verbracht. Wenn wir direkt auf die Sonne zugehen, mü ssen wir auf die Priorei Vezac stoß en, wo wir ein wenig Rast machen werden. Die Nacht setzt gegenwä rtig frü h ein. Sobald sie angebrochen ist, machen wir uns wieder auf den Weg …«

Die ersten Strahlen der fahlen Wintersonne gaben den beiden Frauen neuen Mut. Diese Sonne wä rmte zwar nicht, aber ihr Licht war wenigstens trö stlich. Als sie sich wieder am Fuß der Eiche befanden, die ihnen als Zuflucht gedient hatte, muß te Cathé rine sogar lachen, wenn sie den seltsamen Anblick bedachte, den ihre ungewö hnliche Kleidung ihnen verlieh.

»Weiß t du, wem wir ä hnlich sehen? « sagte sie zu Sara. »Gé dé on, dem Papagei, den Herzog Philippe mir in Dijon geschenkt hat. «

»Das kann schon sein«, brummte Sara, sich so gut wie mö glich in ihr buntfarbiges Plaid hü llend. »Aber es wä re mir hundertmal lieber, wenn ich Gé dé on selbst wä re, schö n in der Wä rme der Kaminecke deines Onkels Mathieu! «

Man setzte sich wieder in Marsch, und bald bewahrheiteten sich die Voraussagen Bruder Etiennes aufs genaueste. Der kurze Kirchturm der Priorei Vezac tauchte auf, als man den Waldrand erreichte, beruhigend und friedlich in den ihn umwogenden dichten Nebel gehü llt.

Im dä mmernden Morgen des folgenden Tages langten Cathé rine, Bruder Etienne und Sara genau in dem Augenblick vor den Pforten Aurillacs an, in dem sie geö ffnet wurden. Ein Horn erklang auf der Umwallung, und schon erfü llte das Getö se der Kupferschmiedehä mmer die klare, scharfe Luft, die trotz ihrer Schä rfe den widerlichen Geruch der Gerbereien nicht zu verdrä ngen vermochte. Trotz der Kä lte konnte man am Ufer der Jordanne und im Schatten des bemoosten Daches von Notre‑ Dame des Neiges Mä nner ü ber merkwü rdige, schief geneigte Platten gebeugt sehen, ü ber die das eisige Wasser lief.

»Das Wasser dieses Flusses ist dafü r berü hmt, daß es Gold mitfü hrt«, erklä rte Bruder Etienne. »Diese Mä nner dort lassen es durch Siebe aus dichtgewebten Tü chern laufen, um die winzigen Kö rnchen aufzufangen. Seht ü brigens, wie man sie bewacht. «

Tatsä chlich ließ en bewaffnete Posten keine Bewegung der Goldwä scher aus den Augen. Von der Bö schung aus, ein paar Schritte von den im reiß enden Wasser watenden Arbeitern entfernt, unbeweglich auf ihre Piken gestü tzt, hielten sie ihre Blicke fest auf die Wä scher gerichtet: magere Gestalten in Lumpen gehü llt, durch deren Lö cher die frostblaue Haut zu sehen war. Neben den krä ftigen, gut genä hrten und ausgerü steten Soldaten boten sie einen trü bseligen Anblick, der Cathé rines Mitleid weckte. Vor allem einer der Mä nner im Fluß schien sich nur mit Mü he auf den Beinen zu halten. Er war alt, von den Jahren gebeugt, und seine von der Gicht knotigen Hä nde hielten das Sieb unter Schmerzen gepackt. Er zitterte vor Kä lte und Erschö pfung, was einen der Landsknechte hö chlichst zu belustigen schien. Als der Alte versuchte, wieder auf die Bö schung zu steigen, gab er ihm mit dem Schaft seiner Lanze einen Schlag, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Mit einem Schrei rollte der Unglü ckliche in das reiß ende Wasser und tauchte unter. Einer seiner Kameraden, ein junger, noch krä ftiger Bursche, sprang ihm nach, aber die Strö mung war so reiß end, daß er seinerseits unter dem schallenden Gelä chter des Haufens das Gleichgewicht verlor.

Eine Zorneswelle schwoll in Cathé rines Herzen. Sie war unfä hig, sich so etwas wortlos mit anzusehen. Ihre nervö se Hand griff nach dem Dolch Arnauds in ihrem Gü rtel. Ehe Bruder Etienne dazwischentreten konnte, hatte sie ihn gezogen und sprang mit hoch erhobener Klinge auf den Mann mit der Lanze zu. Sie erwog nicht ihre geringen Krä fte, dachte nicht einmal an die Zahl der Bewaffneten. Sie war einfach ihrem Impuls gefolgt, weil sie nicht anders konnte … vielleicht, weil sie nicht mehr mit anzusehen vermochte, daß die Schwachen immer brutal behandelt und unterdrü ckt wurden.

Im Augenblick hatte sie den Vorteil der Ü berraschung auf ihrer Seite. Der Dolch bohrte sich in die Schulter des Soldaten, der aufschrie und, das Gleichgewicht verlierend, zu Boden stü rzte; an ihn geklammert wie eine wutfauchende Katze, fiel Cathé rine ü ber ihn.

»Du Schweinehund! Dir wird nicht mehr genug Zeit zum Leben bleiben, um noch mehr Greise zu tö ten! «

Wie der Stachel einer Wespe fuhr ihr Dolch immer wieder aufs Geratewohl auf den Mann nieder, der wie ein abgestochenes Schwein schrie, ohne sich wirkungsvoll verteidigen zu kö nnen. Die Wut verlieh der jungen Frau unü berwindliche Krä fte. Doch die anderen Bewaffneten hatten sich bald gefaß t und fielen jetzt gleich einem Fliegenschwarm ü ber sie her.

»Auf den Schotten! « rief einer von ihnen. »Tö tet ihn! Tö tet ihn! «

Dieser Ruf rettete Cathé rine, denn vom anderen Ufer antwortete ihm ein anderer:

»Vorwä rts, im Namen Saint‑ André s! «

Die Goldwä scher hatten eben noch Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, ü ber das schä umende Wasser stü rmte ein Reitertrupp und fiel mit erhobenen Degen ü ber die Wachen her. Cathé rine, bereits von einem Dutzend Fä uste gepackt, kam unversehens frei und sprang auf die Fü ß e. Ihre Hä nde waren mit Blut verschmiert, und der Mann unter ihr, den sie so heftig angegriffen hatte, atmete nicht mehr. Regungslos, mit weit aufgerissenen Augen gegen den niedrigen Himmel starrend, lag er ausgestreckt auf dem mit Schmutz und Blut besudelten Schnee. Cathé rine begriff, daß sie ihn getö tet hatte, doch seltsam, sie empfand keine Abscheu, keine Gewissensbisse. Die Wut kochte noch in ihr. Kalt tauchte sie ihren Dolch in die Jordanne und schob ihn wieder in den Gü rtel zurü ck. Dann warf sie einen Blick um sich. Der Kampf zwischen den Wachen von Aurillac und der unerwartet eingetroffenen Hilfe war noch in vollem Gange, nä herte sich aber seinem Ende. Im Handgemenge erkannte sie Gauthier, der neben einem groß en blonden Schotten kä mpfte. Um sie herum fochten etwa zehn Soldaten der Hochebenen energisch: MacLaren und seine Mä nner. Das Herz ging der jungen Frau vor Freude auf:

»Gott sei gepriesen! Er hat sie wiedergefunden! «

Am Fluß ufer entlanglaufend, wo die bis zu den Oberschenkeln im Wasser stehenden Goldwä scher bestü rzt und entsetzt zusahen, stieß sie wieder zu Bruder Etienne und Sara, die sich, so gut sie konnten, an einer zerfallenen Mauer in Sicherheit gebracht hatten. Sara stü rzte sich auf die junge Frau wie eine Tigerin, die ihr Junges wiedergefunden hat, umarmte sie, bis sie fast erstickte, schluchzte unaufhö rlich, dann gab sie ihr mit aller Gewalt eine schallende Ohrfeige.

»Du Wahnsinnige! Willst du, daß ich vor Kummer noch sterbe? «

Cathé rine wankte unter dem Schlag und griff sich an die Wange. Sie kochte vor Wut, aber schon warf Sara sich ihr zu Fü ß en und bat um Verzeihung, Trä nenströ me vergieß end, die das Maß ihrer ausgestandenen Furcht ahnen ließ en. Cathé rine hob sie auf, drü ckte sie fest an sich und streichelte den Kopf der armen Frau. Aber ihr Blick kreuzte sich stolz mit dem Bruder Etiennes.

»Ich habe einen Menschen getö tet, Pater … und ich bereue es nicht! «

»Wer wü rde es bereuen? « seufzte der Mö nch. »Ich werde meine nä chste Messe fü r die Seele dieses Unglü cklichen lesen, wenn eine Messe fü r einen so schwarzen Geist ü berhaupt etwas auszurichten vermag. Was Euch betrifft, so erteile ich Euch Absolution. «

Das Gefecht nä herte sich seinem Ende. Die Wä chter des Flusses lagen jetzt alle auf dem Schnee, verwundet oder tot, und MacLaren sammelte seine Leute. Gauthier sprang vom Pferd und nä herte sich mit freudestrahlenden Augen Cathé rine.

»Ihr habt nichts abbekommen, Dame Cathé rine? Bei Odin, ich glaubte zu trä umen, als ich einen kleinen Schotten diesem groß en schwarzen Tier an die Kehle springen sah. Aber Ihr seid am Leben, voll und ganz am Leben! «

In seiner Freude hatte er sie an den Schultern gepackt und schü ttelte sie nun, ohne sich allzusehr um seine Kö rperkrä fte zu kü mmern, rang mit dem furchtbaren Verlangen, das ihn ü berkam, sie an sich zu drü cken und zu kü ssen. Doch plö tzlich wurde Cathé rine unter seinen Hä nden schlaff. Ein brennendes Gefü hl in der Schulter war das einzige, was sie noch von ihrem seltsam haltlos gewordenen Kö rper wahrnahm. Ihr Kopf drehte sich, wä hrend ein schwarzer Schleier den Tag verdunkelte. Die Ohren summten, und sie hö rte nur noch eine Stimme, die schalt:

»Dummkopf! Sieh das Blut unter deiner linken Hand! Du siehst doch, daß sie verwundet ist! «

Cathé rine spü rte, daß man sie jä h losließ, dann fü hlte sie gar nichts mehr. Im Eifer des vor kurzem beendeten Kampfes hatte sie nicht einmal bemerkt, daß ihr eine Klinge in die Schulter gedrungen war! Diese glü ckliche Ohnmacht ersparte ihr zusä tzliche Angst. Wä hrend Gauthier sie auf die Arme nahm und vorsichtig ü ber den Hals seines Pferdes legte, richtete sich MacLaren in seinen Steigbü geln auf.

»Es ist besser, keine Zeit mehr zu vergeuden«, sagte er. »Ich sehe einen grö ß eren Trupp aus der Abtei herauskommen. In Kü rze werden wir sä mtliche Soldaten des Abtes auf dem Hals haben. Verschwinden wir! «

»Aber sie braucht Pflege! « rief Sara.

»Sie wird sie spä ter bekommen. Zunä chst mü ssen wir das Weite suchen. Steigt bei zweien meiner Mä nner hinten auf, Ihr, die Dienerin, und Ihr, der Mö nch. Und nun vorwä rts! «

Zwei krä ftige Schotten beluden sich mit Sara und Bruder Etienne, dann entfernte sich Ian McLarens Trupp, Bogen und Armbrü ste ü ber den Rü cken, von Aurillac, von den Verwü nschungen der herausströ menden Bewaffneten verfolgt. Einige Pfeile und Bolzen umschwirrten sie, trafen aber niemand. Das Lachen des schottischen Leutnants schallte wie ein Donnerschlag.

»Mö nchssoldaten, das taugt nicht mehr als Nonnen mit Helmen! Die kö nnen besser das Paternoster herunterleiern und die Mä dchen aufs Kreuz legen als einen Bogen spannen! «

Cathé rines Verwundung war nicht ernst. Eine dü nne Klinge war ihr einen Zoll tief in die Schulter gedrungen. Sie hatte ziemlich krä ftig geblutet, aber die Wunde schmerzte nicht sehr. Ihre Schulter und ihr Arm waren steif und schwer wie Blei, doch hatte sie im Wind des schnellen Rittes das Bewuß tsein rasch wiedererlangt. Sobald MacLaren schä tzte, daß sie weit genug entfernt waren, hatte er Halt befohlen. Wä hrend seine Leute einen Becher tranken und ein paar Bissen aß en, hatte Sara die junge Frau zur Seite genommen, um sich um ihre Verwundung zu kü mmern. Ihre geschickten Hä nde hatten schnell einen Verband aus einem zerrissenen Hemd aus dem Kleiderballen und ein wenig Balsam aus Hammelfett und Wacholder gemacht, der einem der Schotten gehö rte. Dann hatten sie, auch Cathé rine, etwas Brot und Kä se gegessen und ein paar Schluck Wein getrunken, bis MacLaren wieder das Signal zum Aufbruch gab. Cathé rine fü hlte sich matt. Die Anstrengungen des nä chtlichen Marsches zwischen Vezac und Aurillac zusammen mit dem Schock des kü rzlichen Kampfes hatten sie erschö pft. Eine unbä ndige Schlä frigkeit ü berfiel sie, und sie hatte unendliche Mü he, die Augen offenzuhalten.

Diesmal stieg sie hinter dem Fü hrer der Eskorte auf. Trotz der wü tenden Einwä nde Gauthiers hatte Ian MacLaren entschieden, daß er sich persö nlich um sie kü mmern werde.

»Dein Pferd hat an dir schon genug zu tragen«, erklä rte er ihm trocken. »Es braucht nicht noch ü berlastet zu werden! «

»Sie wird sich nicht hinter Euch halten kö nnen«, gab der Normanne zurü ck. »Seht Ihr nicht, daß ihr die Augen zufallen? «

»Ich werde sie festbinden. Im ü brigen fü hre ich hier das Kommando! «

Wohl oder ü bel muß te Gauthier nachgeben, aber Cathé rine hatte flü chtig den zorngeladenen Blick aufgefangen, den er dem jungen Schotten zuwarf und den dieser gar nicht zu bemerken schien. MacLaren gehö rte anscheinend zu der Sorte Menschen, denen nie Zweifel ü ber den einzuschlagenden Weg kommen, die sich mit Entschlossenheit fü r etwas einsetzen und niemals wieder von vorn anfangen, was auch immer die Konsequenzen sein mö gen. Nachdem er sie mittels eines Sattelgurtes fest an sich gebunden hatte, ritt er an die Spitze des Zuges.

Die Schotten und die vier Flü chtlinge drangen in das wilde und furchtbare Gebirgsmassiv des Cantal ein.

An MacLarens Rü cken gelehnt, ü berließ sich Cathé rine den Schritten des Pferdes. Das einsame Gebirge, seine erloschenen, von Wä ldern bedeckten Vulkane und tiefen Felstä ler hü llten sie bald mit ihrer Stille ein, die der Winter noch tiefer machte. Die Hä user der seltenen Weiler, die einsamen Sennhü tten, die sie sichteten, blieben hermetisch geschlossen, um die Wä rme von Mensch und Tier zu bewahren. Allein die dü nnen grauen Rauchfahnen, deren flü chtige Arabesken sich gegen das Weiß des Schnees abzeichneten, deuteten an, daß hier Leben war. In den Hä uschen aus schwarzer Lava drä ngten sich die Bauern um ihre kleinen rö tlichen, struppigen Kü he, die, wenn der Sommer kam, auf das dichte grü ne Gras der Wiesen die roten Farbkleckse ihres Fells setzen wü rden … Cathé rine dachte, daß dieses rauhe Land schö n sei, selbst unter dem Schnee, der seine harten Akzente unterstrich.

Ein seltsames Wohlbefinden befiel sie trotz des dumpfen Schmerzes in ihrer Schulter, trotz des Fieberanflugs, der in ihren Adern aufstieg. Der Mann, an den sie gebunden war, teilte ihr seine Wä rme mit. Sein krä ftiger Kö rper bot einen festen Schutz gegen den schneidenden Wind. Sie ließ den Kopf gegen seinen Rü cken sinken und schloß die Augen. Der seltsame Eindruck ü berkam sie, als binde sie etwas viel Engeres als der Sattelgurt an diesen Unbekannten … und doch hatte sie MacLaren noch nie wirklich angesehen. Vergraben in ihren hochmü tigen Schmerz, in ihre schwarzen Schleier fester eingeschlossen als in ein Kloster, verschwammen die Mä nner, die Carlat bewachten, und besonders diese von weit her gekommenen Fremden vor ihren Augen, die nur noch das Unsichtbare sahen. Paradoxerweise fand sie unter ihrem Aufputz als junger Bursche zu ihrer wahren weiblichen Natur zurü ck. Und trotz der verzweifelten, unwiederbringlichen Liebe, die in ihrem Herzen wohnte, hatte sie nicht umhingekonnt, die fremdartige Schö nheit MacLarens zu bemerken.

Von hohem Wuchs, grenzte seine Schlankheit an Magerkeit, aber dieser lange Kö rper hatte die nervö se Biegsamkeit einer Degenklinge. Das hagere Gesicht bot das arrogante Profil eines Raubvogels, ein schmaler Mund und die eckigen Kiefer ließ en auf ungeheuren Starrsinn schließ en. Die gletscherblauen Augen blickten spö ttisch, ohne Zä rtlichkeit, waren tief unter den dichten hellen Brauen eingesunken. Das ziemlich lange Haar war von matter Blondheit, fast silbrig, und wenn MacLaren lä chelte, hoben sich seine Lippen nur auf einer Seite, ein drolliges Lä cheln im Mundwinkel, unverschä mt und kurz, das nicht bis zu den Augen vordrang.

Als er eben Cathé rine um die Taille gefaß t hatte, um sie auf sein Pferd zu setzen, hatte er sie tief angeblickt. Ein Blick, der sie wie ein Dolch durchbohrte. Und dann hatte er gelä chelt, ohne ein Wort zu sagen. Aber vor diesem Unbekannten und seinem kaum merklichen Spott hatte sie sich seltsam entwaffnet gefü hlt. Der Blick schien zu bedeuten, daß die Dame Cathé rine ohne ihre Trauerschleier eben auch nur eine Frau wie andere Frauen war, eine Frau, die man schließ lich erobern konnte. Und Cathé rine konnte sich nicht schlü ssig werden, ob dieser Eindruck angenehm war oder nicht.

Als man, nachdem es Abend geworden war, in der Scheune eines verschreckten Bauern Rast machte, der das Schwarzbrot und das Stü ck Ziegenkä se nicht zu verweigern wagte, ü berkam die junge Frau dasselbe Gefü hl. Sara hatte sich so weit wie mö glich von den Mä nnern niedergelassen, aber um von dem zwischen drei Steinen angezü ndeten Feuer Vorteil ziehen zu kö nnen, war dieser Abstand nicht sehr groß. Cathé rine war erstarrt, todmü de, und die durch den Ritt gereizte Wunde machte ihr zu schaffen. Das Blut klopfte schwer in ihrem Arm und in den Schlä fen, doch trotz allem wollte sie versuchen zu schlafen, als MacLaren zu ihr trat.

»Ihr seid krank«, sagte er, ihr seinen hellen, unerträ glichen Blick zuwerfend. »Diese Wunde muß anders behandelt werden, als es geschehen ist. Zeigt sie mir. «

»Ich habe alles getan, was zu tun war«, bockte Sara. »Man kann nichts anderes mehr versuchen. Man kann nur auf die Heilung warten. «

»Man sieht, daß Ihr noch nie Verwundungen behandelt habt, die von Bä rentatzen herrü hren«, entgegnete der Schotte mit seinem kurzen, dü nnlippigen Lä cheln. »Ich sagte, zeigt mir das! «

»Laß t sie in Ruhe«, sagte hinter ihm die dunkle Stimme Gauthiers. »Ihr werdet Dame Cathé rine nicht gegen ihren Wunsch berü hren. «

Zwischen dem Feuer und MacLaren erhob sich die hohe Gestalt des Normannen, und Cathé rine dachte, wie sehr er einem der Bä ren ä hnelte, von denen der Leutnant eben gesprochen hatte. Sein Gesicht trug einen drohenden Ausdruck, und seine groß e Hand griff nach der in seinem Gü rtel steckenden Streitaxt. Cathé rine merkte voll Angst, daß die beiden Mä nner, im Begriff waren, aufeinander loszugehen. In der Tat antwortete MacLaren verä chtlich:

»Du fä ngst an, mich in Wut zu bringen, Freundchen! Bist du der Schildknappe Dame Cathé rines oder ihre Amme? Reg dich nicht auf … Ich will sie nur heilen, sofern du nicht vorziehst, daß ihre Schulter brandig wird. «

»Es geht mir sehr schlecht, Gauthier«, warf Cathé rine beschwichtigend ein. »Wenn er etwas tun kann, um mir Linderung zu verschaffen, wä re ich ihm dankbar. Hilf mir, Sara …«

Gauthier antwortete nichts. Er wandte sich auf dem Absatz um und hockte sich mit gebeugtem Rü cken in die entlegenste Ecke. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein. Inzwischen hatte Cathé rine, von Sara gestü tzt, sich erhoben und wickelte das riesige Stü ck Wollstoff ab, mit dem sie gleichzeitig bekleidet und drapiert war.

»Dreht euch um! « befahl Sara einigen Soldaten, die noch nicht schliefen.

Sie half ihr aus dem enganliegenden flanellenen Mä nnerrock und dem Panzerhemd, und als Cathé rine nur noch die straffen Beinkleider und das rauhe safranfarbene Hemd trug, hieß sie sie, sich wieder zu setzen, und ö ffnete selbst das Hemd, um die verwundete Schulter frei zu machen. Ein Knie auf dem Boden, wartete MacLaren, aber sein Blick lag unausgesetzt auf Cathé rine, die darü ber errö tete. Die fremden Augen waren frech der Linie ihrer langen Beine, der Kurve ihrer Hü ften gefolgt und wanderten hinauf zu ihrer Brust, deren Formen sich trotz des Linnenverbandes, der sie zusammenpreß te, unter dem groben Stoff abzeichneten. Aber sie sagte nichts, ließ sich den Verband abnehmen, wä hrend Sara einen angezü ndeten Strohwisch vom Kohlenfeuer heranbrachte. MacLaren ließ einen kleinen Pfiff hö ren und runzelte die Stirn. Die Verletzung sah nicht schö n aus. Die Wunde war geschwollen und nahm eine fahle Fä rbung an, die nichts Gutes verhieß.

»Die Infektion ist nicht mehr fern«, brummte er, »aber ich werde das schon hinkriegen. Ich sage Euch gleich, daß es einen Augenblick weh tun wird, aber ich hoffe, daß Ihr tapfer seid. «

Er entfernte sich und kehrte mit einer mit Ziegenhaut umwickelten Kü rbisflasche und einem Beutel zurü ck, dem er etwas Mull entnahm. Dann kniete er von neuem nieder, nahm seinen Dolch und schnitt blitzschnell die Wunde wieder auf. Es geschah so rasch, daß Cathé rine nicht einmal Zeit hatte zu schreien. Ein dü nnes Blutgerinnsel rann heraus. Darauf feuchtete der Schotte einen Tampon mit der Flü ssigkeit aus der Flasche an und machte sich ohne sonderliche Zartheit daran, die Wunde zu sä ubern.

»Ich mache Euch aufmerksam«, sagte er, bevor er anfing, »es wird brennen! «

Tatsä chlich brannte es wie die Hö lle. Trotz seiner Warnung preß te Cathé rine mit aller Kraft die Zä hne zusammen. Sie unterdrü ckte den Schmerzensschrei, der ihr auf die Lippen drang, ebenso heftig wie die Trä nen, die ihr in die Augen stiegen, aber sie sagte kein Wort. Eine ihrer Trä nen fiel auf MacLarens Hand. Er hob die Augen, sah sie mit unerwarteter Zartheit an und lä chelte.

»Ihr seid tapfer, das habe ich gleich gesehen. Wir sind fertig. «

»Was habt Ihr da verwendet? « wollte Sara wissen.

»Eine Flü ssigkeit, die die Mauren Weingeist nennen und derer sie sich bedienen, um die Kranken zu beleben. Man hat beobachtet, daß sie Entzü ndungen verhü tet, wenn man die Wunden damit wä scht. «

Wä hrend er sprach, tat er etwas Salbe auf die Wunde und verband sie dann richtig. Seine Hä nde waren jetzt von erstaunlicher Sanftheit, und Cathé rine vergaß plö tzlich ihren Schmerz und hielt den Atem an. Eine Hand glitt von ihrer Schulter in die Hö hlung ihres Rü ckens und verharrte dort in einer Liebkosung, unter der die junge Frau verwirrt frö stelte. Zorn und Scham trieben ihr das Blut in die Wangen. Die Unruhe, die die Berü hrung dieser Mä nnerhand in ihr auslö ste, ließ sie um so mehr schaudern, als sie das Bewuß tsein ihrer unterdrü ckten Jugend in ihr wachrief. Sie hatte geglaubt, ihr Kö rper sei fü r immer zum Schweigen gebracht worden, weil ihr Herz keiner Hoffnung mehr fä hig war, und in dieser flü chtigen Minute hatte er sie brutal Lü gen gestraft.

Sie wandte den Kopf ab, um seinem Blick auszuweichen, der forschend auf ihr lag, und zog ihr Hemd mit einer kalten Bewegung wieder empor.

»Vielen Dank, Messire! Jetzt ist es nicht mehr so schlimm. Ich werde versuchen zu schlafen. «

Ian MacLaren zog seine Hä nde zurü ck, neigte den Kopf, ohne zu antworten, und entfernte sich, wä hrend Cathé rine, rot bis an die Ohren, unter dem argwö hnischen Blick Saras hastig ihre Kleider wieder anzog und dann aufs Stroh sank. Sie wollte gerade die Augen schließ en, als Sara sich zu ihr hinunterbeugte. Der Widerschein des niederbrennenden Feuers ließ die Zä hne der Zigeunerin blitzen. Ihre Augen glä nzten schadenfroh:

»Meine Kleine«, flü sterte die Zigeunerin, »es genü gt nicht, daß man zu leben aufhö ren will, um alles in einem zu tö ten. Du wirst noch deine Ü berraschungen erleben. «

Cathé rine zog es vor, nichts darauf zu erwidern. Sie schloß fest die Augen, wü nschte sich, alsbald einschlafen zu kö nnen und nicht mehr denken zu mü ssen. Um sie herum erhoben sich die krä ftigen Schnarchlaute der Schotten und die zarten, fast melodiö sen Bruder Etiennes. Ihnen gesellte sich sehr bald der krä ftige und lebhafte Atem Saras hinzu. Dieses seltsame Konzert hinderte Cathé rine lange, im Schlaf ihre peinlichen Gedanken zu vergessen. Das Feuer erstarb, warf noch einen schwachen roten Schein und ging dann aus. Die junge Frau lag mit weit geö ffneten Augen in der Dunkelheit.

Am anderen Ende der Scheune suchte Gauthier ebenfalls den Schlaf und konnte ihn nicht finden. Drauß en war die tiefe, kalte Winternacht, aber der Instinkt des Waldmenschen flü sterte ihm ein, daß der Frü hling nicht mehr fern sei.

 



  

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