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Juliette Benzoni. Cathérine de Montsalvy. Erster Teil. Erstes Kapitel



Juliette Benzoni

Cathé rine de Montsalvy

 

 

Erster Teil

Der schwarze Diamant  

 

Erstes Kapitel

 

Der schwarze Diamant, den Cathé rine in der Hö hlung ihrer Hand hielt, glü hte in seinem ganzen bö sen Feuer und sprü hte Funken ü ber die Wä nde des groß en Saals der Festung Carlat, in der Cathé rine und die Ihren nach der Zerstö rung von Montsalvy Zuflucht gefunden hatten. Einen Augenblick ließ sie ihn im Kerzenlicht des Lü sters schillern. Ein Geriesel von Sternen glitt ü ber ihre Hand, untermischt mit blutroten Lichtern. Vor ihr, auf der samtenen Tischdecke, waren die anderen Juwelen aufgehä uft, die einst ihr tä glicher Schmuck gewesen waren, als sie noch als allmä chtige Mä tresse und Angebetete Philippes von Burgund ü ber Brü gge und Dijon geherrscht hatte. Sie hatte sie kaum eines Blickes gewü rdigt. Und doch lag da nun das auß ergewö hnliche Geschmeide aus Amethysten vom Ural, das Garin de Brazey, ihr erster Gatte, ihr zur Verlobung geschenkt hatte, lagen da die Rubine und Saphire, die Diamanten und Aquamarine, die Topase vom Roten Meer und die Karfunkel aus Sibirien, die Opale aus Ungarn und die Lapislazuli von Badaghschan und schließ lich das bewundernswerte Kollier aus riesigen Smaragden, die vom Dschebel Sikait stammten, und dazu die indischen Diamanten, die Herzog Philippe ihr unter so vielen anderen Geschenken verehrt hatte. Doch einzig der schwarze Diamant, der einst das kostbarste Kleinod in der Sammlung des Finanzministers von Burgund gewesen war, hatte ihr Interesse erregt, als Pater Etienne Chariot dieses fabelhafte Kleinod aus seiner abgetragenen Kutte gezogen und es nachlä ssig vor sie hingeworfen hatte.

Garin de Brazey hatte ihn einst von einem venetianischen Seemann gekauft, der ihn von einem indischen Gö tzenbild gestohlen hatte und nur zu glü cklich gewesen war, sich seiner entledigen zu kö nnen: Der Diamant brachte Unglü ck. Anscheinend setzte er seine verruchte Laufbahn fort. Garin, zum Tode verurteilt, hatte sich im Gefä ngnis vergiftet, um der Schande zu entgehen, durch den Straß enschmutz zum Galgen geschleift zu werden; und hatte nicht ü ber Cathé rine, seiner Erbin, derselbe Bannfluch gelegen? Seitdem hatte das Unglü ck sie verfolgt, sie und diejenigen, die sie liebte. Arnaud de Montsalvy, ihr Gatte, zum Verrä ter und Treubrü chigen erklä rt, weil er versucht hatte, Jehanne, »die Hexe«, zu befreien, war von dem allmä chtigen Gü nstling Karls VII. Georges de La Tré moille, in einen fauligen Kerker geworfen worden. Er war zwar nicht umgekommen, hatte den Kerker aber nur verlassen, um sein Schloß Montsalvy auf Befehl des Kö nigs niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht vorzufinden. Und dann war die Tragö die gekommen, das furchtbare Drama, vor acht Monaten, und wenn Cathé rine daran dachte, ü berwä ltigte sie von neuem die Verzweiflung: der Aussatz, den er sich im Verlies La Tré moilles zugezogen hatte. Seit acht Monaten siechte Arnaud, auf ewig verdammt, in der Leprastation von Calves dahin, fü r die Seinen gestorben, tot fü r die Welt, am Leben nur, um zu leiden.

Cathé rines Finger schlossen sich um den Diamanten. Er war durch ihre Kö rperwä rme jetzt warm, beinah lebendig geworden. Welche bö se Macht barg er wohl in seiner schwarzen Pracht? In ihrer Hand verborgen, war er nichts weiter als ein harter Kiesel, von dem jedes mö gliche Ü bel ausgehen konnte. Kein Zweifel, fü r ihn wü rden die Menschen sich schlagen, fü r ihn wü rde Blut fließ en, wie viele Jahrhunderte noch? Sie fü hlte sich versucht, ihn ins Feuer zu werfen, um ihn zu vernichten, zu zerstö ren. Wer aber wü rde diese Geste verstehen? Der treue Mö nch, die alte Frau, ihre Schwiegermutter, die in ihrem hohen Sessel saß, stumme Bewunderung in den Augen? Der schwarze Diamant reprä sentierte ein solches Vermö gen … und Montsalvy, in Schutt und Asche, wartete darauf, wiederaufgebaut zu werden! Cathé rine ö ffnete die Hand und ließ den Diamanten auf den Tisch rollen.

»Welche Pracht! « seufzte Isabelle de Montsalvy. »In meinem ganzen Leben habe ich nichts Ä hnliches gesehen! Das wird unser Familienschatz werden. «

»Nein, Mutter«, widersprach Cathé rine behutsam. »Ich werde den schwarzen Diamanten nicht behalten. Es liegt ein Fluch auf ihm. Er hat immer nur Unglü ck gebracht. Und auß erdem bedeutet er viel Gold! Dieser schwarze Kiesel wird uns zu einem neuen Schloß, zu Bewaffneten, zu allem verhelfen, was wir brauchen, um aus Montsalvy wieder das zu machen, was es einstmals war, und meinem Sohn den Rang zu verschaffen, den nur Geld und Macht geben kö nnen. Jawohl … All dies birgt sich in diesem schwarzen Diamanten! «

»Wie schade! « sagte Madame de Montsalvy. »Er ist so schö n! «

»Aber noch furchtbarer! « fiel Bruder Etienne ein. »Wiß t Ihr, Madame Cathé rine, daß Nicole Son, die Putzmacherin, die Euch in Rouen Asyl gewä hrte, ebenfalls tot ist? «

»Tot? Wie ist das mö glich? «

»Ermordet! Sie war auf dem Weg, der Frau Herzogin von Bedford einen kostbaren Umhang aus Goldspitzen zu liefern. Man hat sie in der Seine wiedergefunden, mit durchgeschnittener Kehle …«

Cathé rine erwiderte nichts, aber der entsetzte Blick, den sie auf den Diamanten warf, war deutlich genug. Also tö tete der verdammte Stein selbst die, die ihn nur aufbewahrten! Sie muß te sich von ihm trennen, je frü her, desto besser.

»Trotz allem«, fü gte der Mö nch mit leisem Lä cheln hinzu, »sollten wir nichts ü bertreiben und uns vor Aberglauben hü ten. Vielleicht handelt es sich nur um eine Reihe von Zufä lligkeiten. Ihr werdet mir zugeben, daß ich ihn durch den grö ß ten Teil des Kö nigreichs befö rdert habe, durch Gebiete, in denen Elend herrscht und es von Straß enrä ubern wimmelt … und daß mir nichts Bö ses zugestoß en ist! «

Es war wirklich eine Art Wunder, daß es im tiefsten Winter, Anfang des Jahres 1433, dem Franziskaner von Mont Beuvray gelungen war, dieses von Elend heimgesuchte, von Mö rderbanden und da und dort verstreuten englischen Garnisonen zum Weiß bluten gebrachte Frankreich zu durchqueren, ohne daß jemand ahnte, daß er in einem groben Leinwandsä ckchen unter seiner Kutte das Lö segeld eines Kaisers bei sich trug. Damals, als Cathé rine und Arnaud de Montsalvy aus Rouen geflohen waren, noch in der Nacht der Hinrichtung der Jungfrau von Orlé ans, waren die Juwelen der jungen Frau in die Obhut ihres Freundes, des Maurermeisters Jean Son, gegeben worden, bis Bruder Etienne Chariot, der verlä ß lichste Geheimagent Yolandes, Herzogin von Anjou, Grä fin der Provence und Kö nigin der vier Kö nigreiche Aragon, Sizilien, Neapel und Jerusalem, Gelegenheit haben wü rde, sie ihrer rechtmä ß igen Eigentü merin zurü ckzugeben.

Seit Jahren trabten die groß en, nackt in ihren Franziskanersandalen steckenden Fü ß e Bruder Etiennes ü ber die Landstraß en des Kö nigreichs, trugen die Botschaften und ü bermittelten die Befehle der Kö nigin Yolande, Schwiegermutter Karls VII., bis in die geheimsten Schlupfwinkel, in die tiefsten Verstecke des Volkes. Niemand miß traute diesem kleinen, rundlichen Mö nch, der immer lä chelte und unter dessen freimü tiger Liebenswü rdigkeit sich wahre Intelligenz verbarg.

Er war bei sinkendem Abend in Carlat eingetroffen. Seine beleibte Silhouette hatte sich vom Schnee abgezeichnet, als Hugh Kennedy, der schottische Gouverneur, eben die Ablö sung der Wachen beaufsichtigte, und man hatte ihn unverzü glich zu Cathé rine gefü hrt. Den Mö nch nach ü ber achtzehn Monaten wiederzusehen war fü r die junge Grä fin eine wahre, durch ihr Herzeleid doppelt groß e Freude gewesen. Bruder Etienne war schon immer das vom Schicksal bestimmte Werkzeug gewesen, sie mit Arnaud zusammenzufü hren. Seine Anwesenheit ließ die Erinnerung an kostbare Stunden in ihr aufleben, die ihr jetzt, wenn sie sie sich ins Gedä chtnis zurü ckrief, nur das Herz zerrissen. Diesmal jedoch vermochte Bruder Etienne trotz all seines guten Willens nichts fü r ihre Vereinigung zu tun. Der Aussä tzige und die, die auf dieser Welt um ihn trauerte, waren wie durch die Pforten eines Grabmals voneinander getrennt …

Cathé rine verließ den Tisch und trat zum Fenster. Jetzt war die Nacht vö llig hereingebrochen, hatte sich jenseits des riesigen, kreisfö rmigen Hofs, auf den die Feuer aus der Kü che einen roten Schein warfen, ü ber das Land gesenkt. Aber seit langem brauchten die Augen der jungen Frau das Tageslicht nicht mehr, um die Richtung der Leprastation von Calves zu finden. Quer durch den Raum, durch Finsternis und Nacht, zogen sich die Bande, die sie an Arnaud de Montsalvy, ihren Gatten, ketteten, so stark und so schmerzhaft wie eh und je … Stundenlang konnte sie dort stehen, mit leerem Blick, und die Trä nen, die abzuwischen sie sich nicht die Mü he nahm, rollten ü ber ihr schö nes Gesicht.

Bruder Etienne hü stelte ein wenig und sagte dann mit leisem Vorwurf:

»Madame … Ihr tut Euch groß en Schaden an! Gibt es denn wirklich nichts, was Euren Schmerz lindern kö nnte? «

»Nichts, Pater! Mein Gemahl war mein ganzes Leben. Ich hö rte an dem Tage auf zu existieren, an dem …«

Sie beendete den Satz nicht, schloß die Augen … Auf dem dunklen Grand ihrer Lider rief ihr mitleidsloses Gedä chtnis ihr wieder das Bild eines krä ftigen Mannes ins Bewuß tsein, ganz in Schwarz gekleidet, der in die Sonne schritt, die Hä nde unter einer wogenden Haarflut vergraben, ihrem Haar, das sie geopfert hatte, um es wie einen fabelhaften Teppich unter die Fü ß e des Mannes zu werfen, der von seinen Brü dern ausgestoß en worden war. Seitdem war das Haar nachgewachsen. Es lockte sich goldschimmernd um ihre Wangen, doch sie zog es erbarmungslos nach hinten, verbarg es unter ihrem schwarzen Witwenschleier oder unter der Haube aus weiß em, gestä rktem Linnen, die nur das reine Oval ihres Gesichts sehen ließ. Auch hatte sie sehnlichst gewü nscht, diesem Gesicht den Glanz zu nehmen, wenn sie den bewundernden Blick Kennedys auffing oder den Ausdruck leidenschaftlicher Ergebenheit in den Augen ihres Knappen Gauthier bemerkte. Darum nahm sie auch nur selten ihren schwarzen Kopfschleier ab … Bruder Etienne musterte mit nachdenklichem Blick die schmale Gestalt, deren Grazie die strenge schwarze Kleidung nicht zu unterdrü cken vermochte, das sü ß e Gesicht mit den zä rtlichen Lippen, die der Schmerz nur berü hrt hatte, um sie zu verfeinern und noch erregender zu machen, die groß en veilchenblauen Augen, die im Leiden brannten, wie sie in der Leidenschaft gebrannt hatten. Und der gute Mö nch ertappte sich beim Grü beln. Hatte Gott solche Schö nheit wirklich geschaffen und gewollt, nur um sie verkü mmern, ersticken zu lassen unter Trauerschleiern hinter den Mauern eines alten Schlosses in den Bergen der Auvergne? Hä tte sie nicht einen zehn Monate alten Sohn gehabt, wä re Cathé rine de Montsalvy ohne Zö gern, das hatte sie ihm nicht verhohlen, Arnaud zu den Aussä tzigen gefolgt und hä tte sich freiwillig dem entsetzlichen Schicksal des langsamen Todes geweiht. Und nun suchte Bruder Etienne nach geeigneten Worten, die den Panzer des Kummers, den die junge Frau angelegt hatte, durchdringen konnten. Was sollte er ihr sagen? Von Gott zu sprechen war unnü tz. Was bedeutete Gott einer so leidenschaftlich liebenden Frau, der Geliebten eines einzigen Mannes, die ihre Liebe zu einem Idol erhoben, auf einen geheimen Altar gestellt hatte? Fü r Arnaud, dem sie immer mit Leib und Seele angehö ren wü rde, hä tte Cathé rine freudig und ohne Zö gern Satan und Hö lle eingetauscht … Daher war er sehr erstaunt, sich sagen zu hö ren:

»Man darf nie an der Vorsehung verzweifeln, Dame Cathé rine. Sehr oft schlä gt sie die, welche sie liebt, nur um sie desto hö her zu belohnen …«

Der schö ne, traurige Mund verzog sich verä chtlich. Cathé rine hob ü berdrü ssig die Schultern.

»Was bedeutet schon Belohnung? Was gilt mir der Himmel, von dem Ihr mir zweifellos sprechen wollt, Bruder Etienne? Kä me Gott, als ein Wunder, zu mir, wü rde ich zu ihm sagen: ›Seigneur, Ihr seid der allmä chtige Gott. Gebt mir meinen Gatten wieder … und nehmt den Rest, selbst meine Unsterblichkeit, aber gebt ihn mir zurü ck! ‹«

Innerlich schalt der Mö nch sich einen Idioten, trug aber dennoch eine verdrossene Miene zur Schau.

»Madame, Ihr lä stert! ›Nehmt den Rest‹, sagtet Ihr? Schließ t Ihr in diesen Rest auch Euren Sohn ein? «

Das schmale, von weiß em Linnen umrahmte Gesicht wandte sich ihm mit Entsetzen zu.

»Warum sagt Ihr das? Glaubt Ihr, ich sei noch nicht genü gend heimgesucht worden? Seid versichert, ich habe nicht meinen Sohn gemeint, sondern nur so nutzlose Dinge wie Macht, Schö nheit … oder das hier! «

Sie deutete mit dem Finger auf den funkelnden Juwelenhaufen auf dem Tisch. Sie trat brü sk heran, nahm die Geschmeide in ihre Hä nde und hob sie ans Licht.

»Das hier genü gte, ganze Provinzen zu kaufen, und vor weniger als einem Jahr wä re ich glü cklich gewesen, sie zurü ckzuerhalten, um sie ihm zu geben … ihm, meinem Gatten! In seinen Hä nden hä tten sie sich in ein Leben des Glü cks fü r uns und fü r unsere Leute verwandelt. Jetzt aber –«, langsam rollten die Steine in vielfarbigem Feuerregen aus ihren Fingern auf den Tisch, »– jetzt sind sie nicht mehr, als was sie sind, Juwelen, leblose Juwelen. «

»Die Eurem Hause Leben und Macht geben werden. Dame Cathé rine, beenden wir diese bittere Philosophie! Ich bin nicht einzig und allein hierhergekommen, um Euch einen Schatz zu bringen. Man hat mich zu Euch geschickt: Die Kö nigin Yolande verlangt nach Euch. «

»Nach mir? Ich glaubte nicht, daß sich die Kö nigin meiner noch erinnert. «

»Sie vergiß t nie jemand, Madame … und am wenigsten diejenigen, die ihr treu gedient haben! Eins ist sicher: Sie wü nscht Euch zu sehen. Fragt mich nicht, warum, die Kö nigin hat sich nicht darü ber ausgelassen … wenn ich auch nicht daran zweifeln kann. «

Die dunklen Augen Cathé rines musterten den Mö nch. Sein unstetes Wanderleben schien ein erstaunlicher Jungbrunnen zu sein. Er hatte sich nicht verä ndert. Sein Gesicht war nach wie vor rund, frisch und offen. Doch Cathé rine hatte so viel gelitten, daß sie sich angewö hnt hatte, allem zu miß trauen. Die engelhafteste Gestalt schien ihr eine Drohung zu bergen, selbst die eines alten Freundes wie Bruder Etiennes.

»Was hat die Kö nigin Euch gesagt, als sie Euch zu mir schickte, Bruder Etienne? Kö nnt Ihr mir ihre Worte wiederholen? «

Er neigte zustimmend den Kopf, doch sein Blick lag weiter auf der jungen Frau.

»Gern. ›Es sind unstillbare Schmerzen‹, hat die Kö nigin zu mir gesagt, ›aber selbst bei ä uß erstem Leid kann Rache zuweilen Linderung bringen. Geht und holt mir die Dame Cathé rine de Montsalvy, und erinnert sie daran, daß sie nie aufgehö rt hat, dem Kreis meiner Hofdamen anzugehö ren. Ihr groß es Leid sollte sie nicht von mir entfernen. ‹«

»Ich weiß ihr Dank, daß sie sich an mich erinnert, aber hat sie vergessen, daß alle Montsalvys verbannt sind, zu Verrä tern und Treuebrü chigen erklä rt wurden und vom kö niglichen Profos gesucht werden? Daß man tot oder aussä tzig sein muß, um den Hä schern zu entwischen? ü brigens, die Kö nigin hat mein Leid erwä hnt. Weiß sie davon? «

»Sie weiß stets alles. Messire Kennedy hat sie auf dem laufenden gehalten. «

»Das heiß t also, daß der gesamte Hof sich daran weidet! « bemerkte Cathé rine bitter. »Was fü r ein Triumph fü r La Tré moille, den heldenmü tigsten der Hauptleute des Kö nigs im Siechenspital zu wissen! «

»Niemand weiß davon auß er der Kö nigin! Und die Kö nigin kann schweigen, Madame«, sagte der Mö nch tadelnd. »Messire Kennedy hat sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit unterrichtet. Auß erdem hat er den Leuten dieser Gegend wie seinen Soldaten angedroht, jedem, wer immer es sei, eigenhä ndig die Gurgel durchzuschneiden, der das wahre Schicksal Messire Arnauds verraten wü rde. Fü r die Welt ist Euer Gatte tot, Madame, selbst fü r den Kö nig! Mir scheint, Ihr wiß t wenig davon, was unter Eurem eigenen Dach vorgeht. «

Cathé rine errö tete. Es stimmte. Seit dem verwü nschten Tag, an dem Arnaud zur Leprastation von Calves gebracht worden war, hatte sie sich in ihren Gemä chern eingeschlossen, die sie nur bei Einbruch der Nacht verließ, um auf dem Wehrgang ein wenig Luft zu schö pfen. Dort verweilte sie einen langen Augenblick, unbeweglich zwischen zwei Stü tzbalken, immer in dieselbe Richtung starrend. Gauthier, der Normanne, den sie einst vor dem Galgen gerettet hatte, begleitete sie, hielt sich aber respektvoll zehn Schritte hinter ihr, wagte nicht, sie in ihren Gedanken zu stö ren. Nur Hugh Kennedy, der Gouverneur von Carlat, hatte den Mut, sich ihr zu nä hern, wenn sie wieder hinunterstieg. Die Soldaten betrachteten diese Frau, die, schwarz gekleidet und verschleiert, stets aufrecht und stolz, auß erhalb ihrer Gemä cher nie ihr Gesicht zeigte, mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis. Abends, am Feuer, sprachen sie von ihr, riefen sich die blendende Schö nheit ins Gedä chtnis zurü ck, die seit sechs Monaten keiner von ihnen wieder gesehen hatte. Die phantastischsten Geschichten machten die Runde. Man erzä hlte sich sogar, die schö ne Grä fin habe sich das Haar abrasiert und sich entstellt, um nie wieder die Liebe eines Mannes erregen zu kö nnen. Die Leute im Dorf bekreuzigten sich, wenn sie ihr dü steres Musselintuch sanft im Abendwind gegen den roten Himmel flattern sahen. Und mä hlich wurde die schö ne Grä fin de Montsalvy eine Legende …

»Ihr habt recht«, erwiderte Cathé rine nach einer kleinen Pause. »Ich weiß nicht, warum mich nichts mehr interessiert, ausgenommen vielleicht das Wort, das Ihr ausgesprochen habt: Rache … obgleich es im Munde eines Gottesmannes ziemlich seltsam klingt. Doch ich verstehe nicht, weshalb die Kö nigin den Wunsch haben sollte, die Rache einer Geä chteten zu unterstü tzen. «

»Ihr werdet in dem Augenblick nicht mehr geä chtet sein, Madame, in dem die Kö nigin Euch zu sich ruft, dann seid Ihr in Sicherheit. Und was Eure Rache betrifft, so fü gt es sich, daß sie mit den Wü nschen Madame Yolandes ü bereinstimmt. Ihr ü berseht, daß die Unverschä mtheit La Tré moilles keine Grenzen mehr kennt; daß die Truppen des Spaniers Villa‑ Andrado, der in seinem Sold steht, letzten Sommer Maine und Anjou, die persö nlichen Lä ndereien der Kö nigin, geplü ndert, gebrandschatzt und verwü stet haben. Die Stunde ist gekommen, mit dem Gü nstling Schluß zu machen, Madame. Reist Ihr ab? Ich darf hinzufü gen, daß Messire Hugh Kennedy, der ebenfalls von der Kö nigin zurü ckberufen wurde, Euch zusammen mit Eurem untertä nigsten Diener das Geleit geben wird. «

Zum erstenmal sah Bruder Etienne die Augen Cathé rines blitzen, wä hrend ihr das Blut in die blassen Wangen stieg.

»Wer wird dann Carlat bewachen? Und meinen Sohn und meine Mutter? «

Der Mö nch wandte sich zu Isabelle de Montsalvy, die immer noch reglos in ihrem Sessel saß.

»Madame de Montsalvy soll sich mit dem Kind in die Abtei von Montsalvy begeben, wo der neue Abt, der jung und energisch ist, sie erwartet. Dort werden sie in Sicherheit sein, wä hrend sie darauf warten, daß Ihr beim Kö nig die Rehabilitierung Eures Gatten und die Freigabe seines Vermö gens durchsetzt. Ein neuer, vom Grafen d'Armagnac entsandter Gouverneur wird von Carlat Besitz ergreifen. Ü berdies war Messire Kennedy nur vorü bergehend hier. Werdet Ihr kommen? «

Cathé rine wandte sich ihrer Schwiegermutter zu, kniete mit einer Geste, die ihr inzwischen vertraut geworden war, vor ihr nieder und nahm die schö nen, runzligen Hä nde in die ihren. Die Trennung von Arnaud hatte sie einander nä hergebracht, wie Cathé rine es nie fü r mö glich gehalten hä tte. Die anfä nglich hochmü tige Haltung der groß en Dame gehö rte der Vergangenheit an, war nur noch eine Erinnerung, und eine tiefe Zä rtlichkeit, die keiner Worte bedurfte, um sich auszudrü cken, vereinte die beiden Frauen.

»Was soll ich tun, Mutter? «

»Gehorchen, meine Tochter! Man sagt nicht nein, wenn die Kö nigin Yolande ruft, und unser Haus kann durch Euren Aufenthalt da unten nur gewinnen. «

»Ich weiß. Aber es fä llt mir so schwer, Euch zu verlassen, Euch und Michel, und fern zu sein von …«

Sie drehte sich von neuem zum Fenster, aber Isabelle zwang sie sanft, sich ihr wieder zuzuwenden.

»Ihr liebt ihn zu sehr, als daß die Entfernung etwas bedeutete! Geht und habt keine Furcht. Ich werde doppelt ü ber Michel wachen. «

Cathé rine kü ß te der alten Dame schnell die Finger und erhob sich.

»Gut also, ich werde reisen. « Ihr Blick fiel plö tzlich auf den Haufen kostbarer Steine auf dem Tisch. »Einen Teil davon nehme ich mit«, sagte sie, »denn ich werde Gold brauchen. Ihr hü tet den Rest, Mutter, und macht nach Belieben davon Gebrauch. Ihr kö nnt leicht einige Steine gegen Taler tauschen. «

Sie nahm den schwarzen Diamanten wieder in die Hand, preß te ihn zwischen den Fingern, als wollte sie ihn zermalmen.

»Wo soll ich zur Kö nigin stoß en? «

»In Angers, Madame … Die Beziehungen zwischen dem Kö nig und seiner Schwiegermutter sind immer noch ziemlich gespannt. Die Kö nigin Yolande ist auf ihren Lä ndereien sicherer als in Bourges oder in Chinon. «

»Dann nach Angers. Wenn es Euch jedoch nichts ausmacht, reisen wir ü ber Bourges. Ich mö chte Maî tre Jacques Coeur bitten, mir einen Kä ufer fü r diesen verfluchten Stein zu finden. «

Die Nachricht von der bevorstehenden Abreise erfü llte drei Personen mit groß er Freude: Hugh Kennedy vor allem. Der Schotte fü hlte sich in den Bergen der Auvergne nicht wohl, die ihn zwar an sein eigenes Land erinnerten, die er aber sehr schlecht kannte. Auß erdem war ihm die Gefä ngnisluft der Festung, die von Cathé rines Schmerz bis zum Ersticken geladene Atmosphä re unerträ glich geworden. Er wurde zwischen der heftigen Neigung, die er fü r die junge Frau empfand, dem tiefen Wunsch, sie ihr Unglü ck vergessen zu machen, und dem Verlangen nach dem frü heren guten Leben, den Schlachten, den Handstreichen, dem ungestü men Lagerleben und der herzhaften Mä nnerkameradschaft von einst hin und her gerissen. Die reizenden, freundlichen Stä dte des Loiretals zu sehen und die Reise in Begleitung Cathé rines zu machen, das war doppelte Freude! Er verlor keine Minute, um seine Vorbereitungen fü r die Abreise zu treffen.

Auch fü r Gauthier war es eine gute Nachricht, aber aus einem anderen Grunde. Der riesige Normanne, der ehemalige Holzfä ller, war von einer blinden, fanatischen, aber stummen Leidenschaft fü r die junge Frau durchdrungen. Er kniete im geistigen Sinne vor ihr wie der Glä ubige vor einem Heiligenbild, und dieser Mann, der nicht an Gott glaubte, sondern seinen Glauben aus den uralten aberglä ubischen Brä uchen des Nordens nä hrte, aus antiken, mit den Drachenschiffen ins Land gebrachten Legenden, hatte aus seiner heidnischen Liebe fü r Cathé rine eine Art Religion gemacht. Seit Arnaud de Montsalvy in die Leprastation gesperrt worden war und Cathé rine ihn beweinte, hatte auch Gauthier aufgehö rt zu leben. Er fand keinen Geschmack an der Jagd und verließ die Festung ü berhaupt nicht mehr. Es war ihm unerträ glich, sich auch nur einen Augenblick von Cathé rine zu entfernen, und er hatte den seltsamen Eindruck, daß es um ihr Leben geschehen sei, wenn er aufhö rte, ü ber sie zu wachen. Aber wie lang einem die Zeit dabei wurde! Er sah mit an, wie sich die Tage aneinanderreihten, immer dasselbe, ohne daß man damit rechnen konnte, daß der Augenblick einträ te, in dem Cathé rine bereit wä re, ihren Kummer abzuschü tteln. Und nun, wunderbarerweise, war dieser Augenblick gekommen! Man wü rde abreisen, dieses verfluchte Schloß verlassen, endlich etwas unternehmen! Und Gauthier in seiner simplen Seele war nicht weit davon entfernt, den kleinen Mö nch vom Mont Beuvray fü r einen Wundermann zu halten.

Die dritte Person war Sara, die treue, ins Abendland verschlagene Zigeunerin, die Cathé rine aufgezogen hatte und ihr durch alle Stadien ihres bewegten Lebens gefolgt war. Mit mehr als fü nfundvierzig Jahren hatte Sara, die Schwarze, sich ihre Jugend und Vitalitä t bewahrt. Ihr dichtes schwarzes Haar wies kaum graue Fä den auf. Ihre braune Haut, glatt und zart, zeigte kein einziges Fä ltchen. Nur eine behagliche Kö rperfü lle hatte sie sich angegessen, die sie fü r lange Ritte untauglich machte; aber die ererbte Liebe fü r die Landstraß en ü berwand die Sorge um das eigene Wohlbefinden, und wie Gauthier litt sie Qualen, wenn sie sah, wie Cathé rine sich lebendig in der Auvergne begrub und nur noch fü r den dü nnen Faden existierte, der sie mit dem Klausner von Calves verband. Die Ankunft Bruder Etiennes war ein wahrer Segen. Der Ruf der Kö nigin wü rde die junge Frau aus ihrem Schmerz reiß en, wü rde sie nolens volens zwingen, sich wieder dieser Welt zuzuwenden, die sie ablehnte. Und Sara wü nschte im Grunde ihres liebenden Herzens, daß Cathé rine sich finge und das Leben wieder liebte. Dabei ging sie nicht so weit, ihr eine neue Liebschaft zu wü nschen: Cathé rine war eine Frau, die nur eine einzige Leidenschaft kannte. Trotzdem, das Leben renkt die Dinge ein! Oft, in der Stille der Nacht, hatte Sara, die Zigeunerin, das Feuer und das Wasser befragt, um ihnen das Geheimnis der Zukunft zu entlocken. Aber das Feuer verlosch, das Wasser blieb klar, und alle Visionen, die sie bisweilen hatte, bewahrheiteten sich nicht. Das Buch des Schicksals blieb fü r Sara seit dem Aufbruch Arnauds verschlossen.

Ein einziger Umstand quä lte sie: den kleinen Michel verlassen zu mü ssen, fü r den sie ein Gefü hl empfand, das sehr nahe an Anbetung grenzte. Aber Sara ließ nicht zu, daß Cathé rine sich allein in ein Abenteuer stü rzte. Der Hof war ein gefä hrlicher Ort, und die Zigeunerin nahm sich vor, sich persö nlich um die junge Frau zu kü mmern. Seelisch verwundet und dadurch anfä llig geworden, hatte Cathé rine es nö tig, daß man ein wachsames Auge auf sie hielt. Michel, das wuß te Sara wohl, wü rde vollkommen sicher sein, und es wü rde ihm bei seiner Groß mutter an nichts fehlen, die ihn vergö tterte und mit jedem Tag mehr den verlorenen Sohn in ihm wiederfand.

In einigen Wochen wü rde das Kind ein Jahr alt sein. Groß und krä ftig fü r sein Alter, war es das prä chtigste Baby, das Sara je gesehen hatte: Rund und rosig, hatte es hü bsche, klare blaue Augen, und krä ftige Locken, strahlend wie Goldspä ne, bedeckten dicht seinen Kopf. Michel betrachtete alles mit ernster Miene; wenn er aber lachte, erstickte er fast. Er zeigte sich bereits sehr tapfer, und nur die Entzü ndung seiner Wangen kü ndigte das Zahnen an, denn das Baby weinte nicht. Wenn es zu sehr litt, liefen ihm groß e Trä nen die Wangen hinunter, aber seinem kleinen, schmerzverzogenen Mund entrang sich kein Laut. Die Garnison wie die Bauern beteten es einhellig an, und Michel, sich seiner Macht schon bewuß t, herrschte ü ber seine Umwelt wie ein kleiner Tyrann, wobei seine bevorzugten Sklaven seine Mutter, seine Groß mutter, Sara und die alte Donatienne, die als Kammerfrau bei Dame Isabelle dienende Bä uerin aus Montsalvy, waren. Gauthier gegenü ber verhielt sich das Kerlchen abwartend. Der blonde Normanne beeindruckte es durch seine ungeheuren Krä fte, und das Kind behandelte ihn auf seine Weise. Anders ausgedrü ckt: Es ließ an ihm keine seiner Launen aus, die einzig und allein den vier Frauen vorbehalten waren. Bei Gauthier war man unter Mä nnern, und Michel fand immer ein breites Lä cheln fü r seinen riesenhaften Freund.

Ihren Sohn zu verlassen bedeutete fü r Cathé rine ein schweres Opfer. Die ganze Liebe, die sie dem Vater nicht mehr geben konnte, hatte sie auf ihn ü bertragen und umgab ihn mit einer unruhigen, stets wachsamen Zä rtlichkeit. Sie ging mit ihm um wie der Geizhals mit seinen Schä tzen. Er war die einzigartige, wunderbare Erinnerung an den Abwesenden, das Kind, das nie Brü der oder Schwestern haben wü rde. Er war der Letzte der Montsalvy. Ganz gleich um welchen Preis, muß te man ihm eine Zukunft bauen, die seiner Vorfahren und besonders seines Vaters wü rdig war. Und aus diesem Grunde ü berwachte die junge Frau, tapfer ihre Trä nen unterdrü ckend, die Vorbereitungen der Trennung von ihrem Sohn und seiner Groß mutter. Aber wie schwer war es, nicht zu weinen, wä hrend man die kleinen Kleidungsstü cke, die zum grö ß ten Teil das Werk ihrer sorgsamen Hä nde waren, behutsam in einem Lederkoffer verstaute!

»Mein Kummer ist selbstsü chtig, siehst du! « sagte sie zu Sara, die ihr mit harten Augen und zusammengepreß ten Lippen half und sich bemü hte, Haltung zu bewahren, »ich weiß, daß Mutter ebenso gut auf ihn aufpassen wird, wie ich es kö nnte. Ich weiß, daß ihm in der Abtei nichts zustoß en kann, daß er vor allem Bö sen, allem Schmerz behü tet und daß unsere Abwesenheit, wie ich hoffe, kurz sein wird. Trotzdem mache ich mir groß e Sorgen! «

»Glaubst du, mir ist es nicht schmerzlich, ihn zu verlassen? Aber schließ lich reisen wir fü r ihn da hinunter, und wenn es fü r sein Wohl ist, fä llt mir nichts zu schwer! «

Und um die Zuverlä ssigkeit ihrer Ü berzeugung zu demonstrieren, machte sich Sara mit Eifer daran, die kleinen Hemden des Kindes im Koffer zu verstauen. Trotz allem muß te Cathé rine leise lä cheln. Ihre alte Sara wü rde sich nie ä ndern! Selbst wenn sie vor Kummer erstickte, ließ sie sich lieber in Stü cke hauen, als es einzugestehen. Im allgemeinen verwandelte sich bei ihr der Kummer in Wut, die sie an unschuldigen Objekten ausließ. Seitdem Sara wuß te, daß sie sich fü r einige Zeit von ihrem geliebten Sä ugling trennen muß te, hatte sie bereits zwei Nä pfe, eine Schü ssel, einen Wasserkrug, einen Schemel und eine Holzstatue des heiligen Gé raud zerbrochen, worauf sie in die Kapelle gestü rzt war, um den Himmel um Vergebung fü r ihre unfreiwillige Freveltat anzuflehen.

Wä hrend sie sich mit grimmiger Entschlossenheit weiter an die Fü llung des Koffers machte, murmelte sie:

»Im Grunde ist es eine gute Sache, daß Fortunat sich weigert, uns zu folgen. In ihm wird Michel einen tü chtigen Verteidiger haben, und dann …«

Sie hielt unvermittelt inne, biß sich auf die Zunge, wie sie es immer tat, wenn sich ihre laut ausgesprochenen Gedanken Arnaud de Montsalvy zuwandten. Der kleine gaskognische Schildknappe zeigte in der Tat fast ebenso tiefen Schmerz wie Cathé rine. Er hegte fü r seinen Herrn eine glü hende und unbedingte Ehrerbietung, wie sie manche Mä nner bei ihren Gefolgsleuten zu wecken verstehen. Er bewunderte ihn ob seiner Tapferkeit und seines untrü glichen Ehrgefü hls, ob seiner Befä higung als Kriegsmann und auch dessentwegen, was die Feldhauptleute Karls VII. ›den abscheulichen Montsalvy‑ Charakter‹ nannten: eine seltsame Mischung von Gewalttä tigkeit, Humanitä t, von Schroffheit und unerschü tterlicher Loyalitä t. Daß die furchtbare Lepra seinen Gott hatte befallen kö nnen, war zuerst ein Schock fü r Fortunat gewesen, dann hatte er sich zornig gegen das Schicksal aufgelehnt und war schließ lich in Verzweiflung versunken, die abzuschü tteln ihm noch nicht gelungen war. An dem Tag, an dem Arnaud die Seinen auf immer verlassen muß te, hatte Fortunat sich tief in einen Turm verkrochen und sich geweigert, dem entsetzlichen Abschied beizuwohnen. Hugh Kennedy hatte ihn auf dem nackten Boden liegend angetroffen, wie ein Kind schluchzend und beide Fä uste an die Ohren pressend, um das Lä uten der Totenglocke nicht hö ren zu mü ssen. Seit diesem Tag schleppte sich Fortunat durch die Festung wie eine im Fegefeuer schmachtende Seele, fand keinen Geschmack am Leben mehr, auß er einmal in der Woche, am Freitag, wenn er zum Spital von Calves ging und einen Korb mit Lebensmitteln am Turm des Gotteshauses abstellte. Bei diesen wö chentlichen Besuchen einer verschlossenen Pforte lehnte Fortunat jede Begleitung ab. Er wollte allein sein. Selbst Gauthier, der ihm inzwischen ans Herz gewachsen war, hatte nie die Erlaubnis erhalten, ihn zu begleiten. Und nie hatte der kleine Gaskogner sich ein Pferd fü r den Weg nach Calves geben lassen. Zu Fuß, wie auf einer Pilgerfahrt, legte er die anderthalb Wegstunden von Carlat zur Leprastation zurü ck, unter das schwere Gewicht des Korbes und auf dem Rü ckweg unter das seines tiefen Kummers gebeugt. Von Mitleid gerü hrt, hatte Cathé rine ihn nö tigen wollen, sich ein Reitpferd zu nehmen, doch Fortunat hatte sich geweigert.

»Nein, Dame Cathé rine, nicht einmal einen Esel! ›Er‹ hat nicht mehr das Recht, die Pferde zu besteigen, die er so sehr liebt; da werde ich, sein Knappe, auch nicht zu Pferde zu meinem geschlagenen Herrn gehen! «

Der Adel und die Liebe, die aus diesen Worten sprachen, hatten Cathé rine erschü ttert. Sie hatte also nicht mehr darauf bestanden, sondern hatte den kleinen Mann mit feuchten Augen an den Schultern ergriffen und ihn schwesterlich auf beide Wangen gekü ß t.

»Du bist tapferer als ich«, hatte sie zu ihm gesagt, »die ich nicht den Mut habe, dorthin zu gehen. Ich glaube, ich wü rde vor dieser Pforte, die sich niemals ö ffnet, sterben. Ich begnü ge mich damit, von weitem den Rauch des Schornsteins zu betrachten … Ich bin nur eine Frau«, hatte sie demü tig hinzugefü gt.

Doch an diesem Abend, an dem sie Fortunat hatte rufen lassen, um ihm die letzten Anweisungen vor dem Aufbruch nach Montsalvy zu geben, hatte sie sich nicht enthalten kö nnen, zu ihm zu sagen:

»Von Montsalvy nach Calves sind es mehr als fü nf Meilen, Fortunat! Du solltest dich endlich entschließ en, ein Pferd oder zumindest ein Maultier zu nehmen. Du brauchst dein Reittier nur in einiger Entfernung von …«

Das peinliche, den verworfenen Ort nä her bezeichnende Wort kam nie ü ber ihre Lippen. Doch Fortunat schü ttelte den Kopf.

»Ich werde zwei Tage hin und zurü ck brauchen, Dame Cathé rine, das ist alles! «

Auch diesmal erwiderte Cathé rine nichts. Sie verstand im Grunde das Bedü rfnis des kleinen Gaskogners, auf seine Weise zu leiden, wenn er zu dem ging, der nur noch Leid zu erdulden hatte. Aber zwischen den Zä hnen, nur fü r sich, murmelte die junge Frau, die Hä nde aneinanderpressend:

»Eines Tages … werde auch ich hinü bergehen! Und werde nie zurü ckkehren …«

Am Morgen beobachtete Cathé rine, aufrecht auf dem Wall stehend, hinter ihr Sara und Gauthier, wie ihr Sohn und ihre Schwiegermutter Carlat verließ en. Durch ihren schwarzen Schleier geschü tzt, sah sie die uralte Sä nfte, ein schwerfä lliges Mö bel mit dicken Ledervorhä ngen, das man fü r diese Gelegenheit aus einem Winkel des Marstalls ausgegraben hatte, sich durch die Pforte der Umwallung bewegen. Ein eisiger Wind fegte durch das schneebedeckte Tal, doch in der Sä nfte, in der man mit rotglü henden Kohlen gefü llte Behä lter aufgestellt und Decken aufgehä uft hatte, wü rde Michel zwischen seiner Groß mutter und Donatienne nicht frieren. Inmitten seiner bis an die Zä hne bewaffneten Eskorte ging der kleine Knabe der Ruhe und Sicherheit entgegen, aber seine Mutter konnte die Trä nen nicht zurü ckhalten. Da niemand hinter das zarte Bollwerk des Musselins blicken konnte, vergab sie sich nichts damit. Auf den Lippen spü rte sie noch die frischen, samtenen Wangen des Kindes. Sie hatte es in einem plö tzlichen Ausbruch von Leidenschaft gekü ß t, innerlich von der erzwungenen Trennung gepeinigt, bevor sie es seiner Groß mutter wieder in die Arme gab. Dann hatten die beiden Frauen sich wortlos umarmt, doch als Isabelle de Montsalvy in die Sä nfte stieg, hatte sie mit dem Daumen vor der Stirn der jungen Frau das Zeichen des Kreuzes gemacht. Dann hatte sie Michel fester in die Arme geschlossen, und die Ledervorhä nge waren hinter ihnen zugefallen.

Jetzt wand sich der Zug den steilen Abhang hinunter und erreichte die ersten Hä user des Dorfs. Von ihrem Beobachtungsposten aus konnte Cathé rine die roten oder blauen Mü tzen einiger an der Kirche versammelter Bauern sehen. Frauen traten aus ihren Hä usern, einige hatten Spinnrocken in der Hand und das Wollgarn in einem Weidenkorb dabei. Als die Sä nfte vorbeizog, wurden die Kappen abgenommen. Absolute Stille breitete sich ü ber das wie in ein Leichentuch gehü llte weiß e Land. Der Rauch der Kamine zeichnete da und dort dü nne graue Spiralen in die Luft, ü ber den Bergen, wo die Kastanien, ihres sommerlichen Laubs beraubt, ihre schwarzen Gerippe zum Himmel reckten, drang eine mü hselige Sonne durch die Wolken, beschien die ruß farbenen Lanzenspitzen der Soldaten der Eskorte, ließ sie dü ster glä nzen und fä rbte die Reiherfedern der Helme gelb. Ian MacLaren, Hugh Kennedys Leutnant, befehligte das Detachement von Schotten, das beauftragt war, den kleinen Seigneur und seine Groß mutter nach Montsalvy zu geleiten. Die Abteilung sollte tags darauf zurü ck sein. Die Abreise nach Norden wü rde am Mittwoch stattfinden.

Als ein sich bis ins Tal hinunterziehendes Gehö lz den kleinen Trupp verschluckt hatte und nur noch eine tiefe Doppelspur im Schnee zurü ckblieb, drehte Cathé rine sich um. Sara, die Hä nde auf der Brust verschlungen, die Augen voller Trä nen, blickte starr auf die Stelle, wo der Trupp verschwunden war. Cathé rine sah, daß ihre Lippen zitterten. Dann suchte sie den Blick Gauthiers, aber er schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Nach Westen gewandt, schien er etwas zu hö ren. Der Ausdruck seines derben Gesichts war so gespannt, daß Cathé rine, die sein Jagdhundgespü r kannte, sofort unruhig wurde.

»Was ist los? Hö rst du etwas? «

Ohne zu antworten, machte er ein bejahendes Zeichen und lief zur Treppe. Cathé rine folgte ihm, blieb aber schnell hinter den weitausgreifenden Schritten des Normannen zurü ck. Sie sah ihn eiligst den Hof ü berqueren, unter dem Schutzdach verschwinden, wo der Hufschmied arbeitete, und gleich darauf mit Kennedy wieder zum Vorschein kommen. Gleichzeitig gellte der Ruf eines Wä chters von der Turmspitze: »Bewaffneter Trupp in Sicht! «

Das Kleid raffend, stieg sie die wenigen Stufen wieder empor, die sie heruntergekommen war, und lief, von Sara gefolgt, den langen Wehrgang entlang zum Schwarzen Turm. Die Ankü ndigung dieses Trupps verstä rkte ihre Angst um ihren Sohn, obgleich er sich aus der entgegengesetzten Richtung zu nä hern schien, als die Eskorte eingeschlagen hatte. Sie erreichte die vorspringende Turmwehr just in dem Augenblick, in dem Gauthier und der Gouverneur, rot und auß er Atem vom schnellen Treppensteigen, oben erschienen. Sofort stü rzten sie zu den Schieß scharten. Tatsä chlich war auf der Straß e von Aurillac ein starker Trupp aufgetaucht. Er zeichnete sich auf dem Schnee als lange graue Spur ab, wie ein stumpf schimmernder Schlammstrom, der nä her kam, nä her kam, nä her … Wenige Banner, deren Farben auf diese Entfernung ü brigens nicht zu unterscheiden waren, aber an der Spitze flatterte etwas Langes, Rotes im Wind. Cathé rine versuchte, mit zusammengekniffenen Augen das eingestickte Wappen zu erkennen, und gab es dann auf. Aber Gauthiers scharfe Augen hatten es schon entziffert.

»Viergeteiltes Wappen! « sagte er kurz. »Halbmonde und Querstreifen, das habe ich doch schon irgendwo gesehen …! «

Cathé rine gestattete sich ein dü nnes Lä cheln.

»Du wirst noch ein Gelehrter werden«, sagte sie. »Nä chstens tust du es den kö niglichen Heraldikern gleich! «

Aber Kennedy lä chelte nicht. Sein ziegelsteinrotes Gesicht mit dem vorwurfsvollen Zug um die schmollenden Lippen sah unheilverkü ndend aus. Er wandte sich ab, brü llte etwas in seinem groben Dialekt und fü gte hinzu:

»Das Fallgatter herunter! Zugbrü cke hoch! Die Bogenschü tzen auf die Mauern! «

Sofort war die Festung von Betriebsamkeit erfü llt. Mit Bogen und Hellebarden bewaffnet, stiegen die Mä nner auf die Mauern, wä hrend andere die Zugbrü cke und das Fallgatter bedienten. Gutturale Schreie, Rufe, Waffenklirren, emsiges Hin‑ und Herlaufen in jeder Richtung. Das noch vor einem Augenblick unter dem Schnee schlummernde Schloß war jä h erwacht. Schon stapelte man in den Wehrgä ngen Holzscheite auf und schleppte die groß en Tö pfe fü r das kochende Ö l heran. Cathé rine trat zu Kennedy.

»Ihr setzt das Schloß in Verteidigungszustand? Warum? « fragte sie. »Wer nä hert sich uns? «

»Villa‑ Andrado, der Hund von Kastilien! « gab er kurz zurü ck. Und um zu zeigen, welche Achtung er fü r den Ankö mmling empfand, spuckte der Schotte in groß em Bogen aus und fü gte hinzu: »Gestern nacht haben die Wachen einen Feuerschein von Aurillac her beobachtet. Ich hatte der Sache keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt, aber ich muß zugeben, daß ich unrecht hatte. Das war er! «

Cathé rine wandte sich ab und lehnte sich an einen der riesigen Pfeiler. Sie zupfte ihren Schleier zurecht, den der Wind aufflattern ließ, um die plö tzliche Rö te, die ihr in die Wangen gestiegen war, besser zu verbergen, dann schob sie die erstarrten Hä nde in ihre weiten Ä rmel. Der Name des Spaniers rief so viele Erinnerungen wach!

In der Tat hatten Gauthier und sie selbst das rotgoldene Banner schon gesehen: vor etwa einem Jahr auf den Wä llen von Ventadour, aus dem Villa‑ Andrado die Vicomtes verjagt hatte. Und Arnaud hatte sich damals mit den Leuten des Kastiliers herumgeschlagen. Schnell schloß die junge Frau die Augen, versuchte vergebens, eine heiß e Trä ne zurü ckzuhalten. Sie sah die Hö hle wieder, auf der Sohle des schmalen, tief eingeschnittenen Tals, das Ventadour wie ein Burggraben umschloß, jene unsichere Zuflucht der Schä fer, in der sie wä hrend des Kampfes ihren Sohn zur Welt gebracht hatte. Sie sah das rö tliche Flackern des Feuers und die hohe schwarze Silhouette Arnauds, die sich gleich einem Wall zwischen ihr und der Blutgier der Sö ldner erhob. Aber sie sah auch das kantige Gesicht des vor ihr knienden Villa‑ Andrado vor sich, die begehrlich‑ lü sterne Flamme im Hintergrund seiner Augen. Er hatte ihr ein Gedicht rezitiert, aber sie hatte die Worte vergessen, und auß erdem hatte er als ritterlicher Feind Lebensmittel geschickt, damit Mutter und Kind wieder zu Krä ften kä men. Sie hä tte ihn in dankbarer Erinnerung bewahrt, wä re nicht die furchtbare Ü berraschung gewesen, die am Ziel ihrer Reise auf sie wartete: Montsalvy dem Erdboden gleichgemacht, niedergebrannt bis auf die Grundfesten von jenem Valette, dem Leutnant Villa‑ Andrados, der nach seinen Befehlen handelte. Bernard d'Armagnac hatte Valette aufhä ngen lassen; aber hatte sich dadurch das Verbrechen seines Herrn vermindert? Und jetzt ritt er auf Carlat zu, lebendes Symbol des Fluches, der auf den Montsalvys lag.

Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie, daß Bruder Etienne in ihrer Nä he stand. Die Hä nde in seinen Kuttenä rmeln vergraben, beobachtete der kleine Mö nch aufmerksam die sich nä hernde Kolonne. Aufmerksam, doch ohne ersichtliche Unruhe. Cathé rine glaubte sogar, ein leises Lä cheln ü ber seine Lippen huschen zu sehen.

»Diese sich nä hernde Truppe scheint Euch zu belustigen«, sagte sie ziemlich trocken.

»Das wä re zuviel gesagt. Sie interessiert mich … und sie erstaunt mich. Merkwü rdiger Mann, dieser Kastilier! Er scheint vom Himmel das Geschenk der Allgegenwart erhalten zu haben. Ich hä tte geschworen, daß er in Albi sei, dessen Bevö lkerung sich wohl kaum ü ber seine Anwesenheit gefreut haben dü rfte. Andererseits hat mir jemand in Angers erklä rt, daß dieser stinkende Fuchs …«

»Ist dieser Ausdruck Eurem Denken angemessen, Bruder Etienne? « fragte Cathé rine, das Wort Bruder absichtlich betonend. Der kleine Mö nch errö tete wie ein Jü ngferchen, lä chelte die junge Frau aber ganz offen an.

»Ihr habt tausendmal recht. Ich wollte sagen: Messire de Villa‑ Andrado verbrachte den Winter in Kastilien, am Hof des Kö nigs Juan. Natü rlich zeigt man sich in Angers diesem Herrn gegenü ber nicht besonders nachsichtig. Ich wü nschte, Ihr wü rdet einmal hö ren, wie die Kö nigin Yolande von ihm spricht. Jedenfalls ist er hier! Was will er eigentlich? «

»Ich glaube, wir werden es bald erfahren. «

Tatsä chlich war die Spitze der Kolonne vor dem ragenden Turm angelangt, und der Bannerträ ger ritt jetzt, sein Pferd mit einer Hand lenkend, bis zum Fuß e des Felsens vor, auf dem sich das Schloß erhob. Ihm folgte ein zweiter in der phantastischen Kleidung der Herolde, einer Kleidung, deren Rotgold und deren Federn jedoch die Strapazen der schlechten Wege und des Winters erkennen ließ en. Die ü brige Truppe hatte haltgemacht.

Vor den Palisaden angelangt, die den zyklopischen Felsen umgaben, hielten die beiden Reiter gleichzeitig an und hoben die Kö pfe.

»Wer befehligt hier? « fragte der Herold.

Kennedy beugte sich vor, stellte ein in dickes Leder gehü lltes Bein auf die Zinne und rief hinunter:

»Ich, Hugh Allan Kennedy von Gleneagle, Feldhauptmann Kö nig Karls VII. Ich bin Statthalter dieses Schlosses fü r Monseigneur den Grafen d'Armagnac. Habt Ihr etwas dagegen? «

Aus der Fassung gebracht, stotterte der Herold einige undeutliche Worte, hustete, um seine Stimme zu klä ren, hob wieder hochmü tig den Kopf und schrie:

»Ich, Fermoso, im Dienste von Messire Rodrigo de Villa‑ Andrado, Graf von Ribadeo, Seigneur von Puzignan, Talmont und …«

»Zur Sache«, unterbrach der Schotte ihn ungeduldig. »Was will Messire Villa‑ Andrado von uns? «

Offensichtlich in der Annahme, daß die Verhandlungen sich zu lange hinziehen wü rden, trieb der, um den es ging, sein Pferd an und manö vrierte es zwischen seinen Bannerträ ger und seinen Herold. Unter dem hochgeschobenen Visier des goldverzierten Helms konnte die hinter dem Pfeiler versteckte Cathé rine die scharfen, sehr weiß en Zä hne im kurzen schwarzen Bart blitzen sehen.

»Euch einen Besuch abstatten«, antwortete er liebenswü rdig, »und plaudern …«

»Mit mir? « fragte Kennedy mit zweifelndem Unterton.

»Aber nein! Bitte, zieht jedoch nicht den Schluß, daß ich Eure Gesellschaft verschmä he, mein lieber Kennedy, aber ich habe es nicht mit Euch zu tun, sondern mit der Grä fin de Montsalvy. Ich weiß, daß sie hier ist! «

»Was wollt Ihr von ihr? « entgegnete der Schotte, immer noch ziemlich schroff. »Die Dame Cathé rine empfä ngt niemand! «

»Was ich zu sagen habe, werde ich ihr persö nlich sagen, mit Eurer Erlaubnis. Und ich wage zu hoffen, daß sie gegenü ber einem Reisenden, der von so weit herkommt, eine Ausnahme macht. Fü gt bitte hinzu, daß ich nicht wieder gehe, bevor ich sie gesprochen habe! «

Ohne sich zu zeigen, flü sterte Cathé rine:

»Wir wollen wissen, was er will! Sagt ihm, ich werde ihn empfangen … aber allein! Er mö ge ohne jede Eskorte erscheinen … Das wird meinem Sohn Zeit geben, zu seinem Bestimmungsort zu gelangen. «

Kennedy machte ein Zeichen, daß er verstanden habe, und wandte sich wieder dem Spanier zu, wä hrend Cathé rine, von Sara und Bruder Etienne begleitet, den Wehrgang verließ. Sie hatte ihren Entschluß ohne Zö gern gefaß t, weil Villa‑ Andrado der Mann La Tré moilles war, weil sie der Gefahr schon immer hatte ins Gesicht blicken kö nnen. Wenn der Kastilier eine Gefahr darstellen sollte – und sie konnte sich schlecht vorstellen, daß es anders sein kö nnte –, dann war es um so besser, sie sofort kennenzulernen.

Wenige Minuten spä ter schritt Rodrigo de Villa‑ Andrado, von einem einzigen, seinen Helm tragenden Pagen gefolgt, in den groß en Saal, wo Cathé rine ihn erwartete. Die junge Frau, Sara und Bruder Etienne links und rechts neben sich, hatte in einem um zwei Stufen erhö hten Sessel mit hoher Rü ckenlehne Platz genommen. Sehr aufrecht, die hü bschen Hä nde ü ber den Knien verschlungen, sah sie dem Besucher entgegen.

Der Anblick dieser Frau – oder vielmehr dieser schwarzverschleierten Statue – beeindruckte und ü berraschte den Spanier so, daß er auf der Schwelle des Saales innehielt und nur zö gernden Schrittes nä her trat, wä hrend das Siegerlä cheln, das er bei seinem Eintritt aufgesetzt hatte, wie eine Kerzenflamme, die man ausblä st, von seinem Gesicht verschwand.

Vor Cathé rine angekommen, verneigte er sich fast bis zum Boden, ohne sich jedoch einen schnellen Blick auf die junge Frau von unten zu versagen.

»Madame«, sagte er mit verhaltener Stimme, »ich danke Euch fü r die Augenblicke, die Ihr mir liebenswü rdigerweise gewä hren wollt. Aber ich mö chte mit Euch gern unter vier Augen sprechen. «

»Messire, Ihr versteht, daß ich Euch nicht willkommen heiß en kann, ehe ich weiß, was Euch herfü hrt. Auß erdem habe ich vor Dame Sara, die mich aufgezogen hat, und vor Bruder Etienne Chariot, meinem Beichtvater, keine Geheimnisse. «

Der Mö nch unterdrü ckte ein Lä cheln ü ber diese offenkundige Lü ge, schmunzelte aber doch, als er merkte, daß der Kastilier ihn mit Miß trauen betrachtete.

»Ich kenne Bruder Etienne«, murmelte Villa‑ Andrado. »Monseigneur wü rde fü r dieses dicke Fell und die paar grauen Haarsträ hnen viel geben! «

Cathé rine sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Sie spü rte, daß ihr Zornesrö te ins Gesicht stieg, und sagte grollend:

»Was immer der Anlaß Eures Besuchs sein mag, Seigneur Villa‑ Andrado, in jedem Fall scheint es mir eine sehr schlechte Einfü hrung zu sein, diejenigen, die ich verehre und die mir teuer sind, zu beleidigen. Wollt Ihr uns nun bitte ohne jede Ausflucht den Grund Eures Besuches nennen! «

Rodrigo hatte sich seinerseits wieder erhoben, und trotz der beiden Thronstufen befand sich sein Gesicht fast auf gleicher Hö he mit dem Cathé rines. Sein zornfunkelnder Blick versuchte unverschä mterweise, das Bollwerk des schwarzen Schleiers zu durchdringen. Aber er zwang sich zu lä cheln.

»Tatsä chlich eine sehr schlechte Einleitung, und ich bitte Euch vielmals um Vergebung. Daß ich mit den besten Absichten hierhergekommen bin, werdet Ihr sogleich selbst beurteilen kö nnen. «

Langsam setzte sich die junge Frau wieder, unterließ es jedoch, dem Besucher, von dem sie noch nicht wuß te, ob er als Freund oder Feind kam, einen Stuhl anzubieten. Er sprach von guten Absichten. Das war nach allem mö glich, wenn man sich an den Lebensmittelkorb in der Hö hle erinnerte, wohingegen die rauchenden Trü mmer von Montsalvy Miß trauen erregten. War dieses breite Lä cheln nicht das des Wolfs?

»Sprecht! « sagte sie nur.

»Schö ne Grä fin«, begann er, ein Knie bis zur ersten Stufe vorbeugend, »das Gerü cht von Eurem Unglü ck ist bis zu mir gedrungen, und mein Herz ist gerü hrt. So jung … so schö n und mit der Bü rde eines Kindes beladen, kö nnt Ihr nicht ohne Schutz, ohne Verteidiger bleiben. Ihr braucht einen Arm, ein Herz …«

»In diesem Schloß mangelt es nicht an Armen … auch nicht an treuen Herzen, die mich und meinen Sohn bewachen«, unterbrach ihn Cathé rine. »Ich verstehe nicht recht, Seigneur. Drü ckt Euch klarer aus! «

Flü chtige Rö te ü berzog das olivfarbene Gesicht des Kastiliers. Er preß te die Lippen zusammen, doch es gelang ihm noch einmal, seinen aufsteigenden Zorn zu zä hmen.

»Sei es denn! Ich werde mich so klar ausdrü cken, wie Ihr es wü nscht. Dame Cathé rine, ich bin gekommen, um Euch dies zu sagen: Durch die Gnade Kö nig Karls von Frankreich, dem ich treu diene …«

»Hmmm! « hü stelte Bruder Etienne.

»Treu diene! « donnerte der Spanier. »Durch die Gnade auch meines Lehnsherrn, Kö nigs Juan II. von Kastilien, bin ich Seigneur von Talmont, Graf von Ribadeo in Kastilien …«

»Bah! « unterbrach der Mö nch liebenswü rdig. »Kö nig Juan II. hat Euch nur gegeben, was Euch ohnehin zustand. Euer Groß vater, der einst die Schwester des Stammlers von Villaines heiratete, war bereits Graf von Ribadeo, nicht wahr? Und was die Seigneurie von Talmont betrifft, so mache ich Euch mein Kompliment. Der Groß kä mmerer ist groß zü gig denen gegenü ber, die ihm gut dienen … besonders mit dem, was ihm nicht gehö rt! «

Durch eine ungeheure Anstrengung brachte Villa‑ Andrado es fertig, die Unterbrechung zu ignorieren, aber Cathé rine sah, wie seine Schlä fen anschwollen, und glaubte einen Augenblick, er wü rde bersten.

Aber es geschah nichts. Der Kastilier begnü gte sich, zwei‑ oder dreimal schnell und tief zu atmen.

»Wie dem auch sei«, fuhr er mit zusammengepreß ten Zä hnen fort, »ich bin gekommen, um Euch diese Titel und Gü ter zu Fü ß en zu legen, Dame Cathé rine. Die Trauerschleier passen nicht zu Eurer groß en Schö nheit. Ihr seid Witwe, ich bin frei, reich, mä chtig … und ich liebe Euch. Heiratet mich! «

So gewappnet sie gegen jede Ü berraschung war, zuckte Cathé rine doch heftig zusammen. Ihr Blick war verstö rt, sie rang nervö s die Hä nde.

»Ihr bittet mich …«

»Meine Frau zu werden! Ihr werdet in mir einen Gatten, einen unterwü rfigen Sklaven haben, einen tapferen Arm zur Verteidigung Eurer Sache. Und Euer Sohn wird einen Vater finden …«

Die Erwä hnung ihres kleinen Michel brachte Cathé rine in Wallung. Daß dieser Mann es wagte, Arnaud als Vater seines Kindes ersetzen zu wollen, und daß dieser Mann eben der war, welcher … Nein! Das war unerträ glich! Bebend vor Zorn, hob sie mit einer brü sken Bewegung den Schleier, unter dem sie beinahe zu ersticken drohte, und bot den Blicken Villa‑ Andrados ihr schmales, blasses Gesicht dar, in dem die groß en veilchenblauen Augen wie Amethyste in der Sonne blitzten. Sie packte fest die beiden Armlehnen ihres Sessels, unwillkü rlich eine Stü tze suchend.

»Messire, Ihr beliebtet zu sagen, ich sei Witwe. Tatsä chlich trage ich Witwenkleidung; aber nehmt Kenntnis davon, daß ich mich niemals als Witwe betrachten werde. Fü r mich lebt mein vielgeliebter Gatte und wird so lange leben, wie ich atmen werde. Aber Ihr wä ret der letzte, jawohl, der letzte, den ich als seinen Nachfolger wä hlen wü rde! «

»Und warum, wenn ich fragen darf? «

»Holt Euch die Antwort aus den Ruinen von Montsalvy, Messire. Was mich betrifft, so habe ich Euch gesagt, was ich zu sagen hatte. Ich wü nsche Euch einen guten Tag. «

Sie stand auf, um anzudeuten, daß die Unterhaltung beendet sei, aber ein zweideutiges Lä cheln stahl sich auf die roten Lippen des Kastiliers.

»Anscheinend habt Ihr mich falsch verstanden, Madame. Ich habe Euch meine Hand angetragen … aus reiner Hö flichkeit, aber tatsä chlich mü ß t Ihr mich heiraten. Es ist ein Befehl. «

»Ein Befehl? Was fü r ein seltsames Wort. Von wem, bitte? «

»Was glaubt Ihr wohl, von wem? Von Kö nig Karl, Madame! Seine Majestä t haben auf Grund der Vorstellungen des Groß kä mmerers La Tré moille geruht, den Schaden zu vergessen, den Ihr voll Feuereifer in Gemeinschaft mit Eurem Gatten der Krone zugefü gt habt, unter der Bedingung, daß Ihr, indem Ihr meine Frau werdet, wieder in den Rang der unterwü rfigen Ehefrauen eintretet … und in den Rahmen eines schicklichen Lebens! «

Das blasse Gesicht Cathé rines fä rbte sich rosa, dann rot, dann scharlachrot unter dem Druck eines solchen Zorns, daß Sara ihr erschrocken die Hand auf den Arm legte, um sie zu beruhigen. Doch Cathé rine, wahnsinnig vor Wut, war jenseits jeder Beruhigung. Stand es denn im groß en Buch des Schicksals geschrieben, daß ein Fü rst stets und nach Belieben ü ber sie verfü gen konnte? Nach dem Herzog von Burgund der Kö nig von Frankreich! Mit geballten Fä usten und unter grö ß ter Anstrengung, ihre Stimme ruhig zu halten, rief sie aus:

»Ich habe selten einen unverschä mteren Schurken als Euch gehö rt, Messire! Wenn ich Euch trotz Eurer Freveltaten zum Dank fü r einige Lebensmittel bisher ein nachsichtiges Andenken bewahrte, dann habt Ihr es heute dazu gebracht, daß ich dies bitter bereue. Nicht zufrieden damit, meinen Gatten aus dem Wege zu schaffen, trachtet La Tré moille also danach, auch ü ber mich zu verfü gen? Ich mö chte gern wissen, wie Ihr mich zwingen wollt, Seigneur? Denn natü rlich habt Ihr diese Eventualitä t einkalkuliert? «

»Die von mir gefü hrte Armee«, erwiderte der Spanier mit beleidigender Herablassung, »zeigt Euch deutlich den Preis, den ich Eurer Hand beimesse. Ich habe tausend Mann unter den Mauern von Carlat, Madame … und wenn Ihr ablehnt, werde ich die Belagerung ü ber diesen Maulwurfshü gel verhä ngen, bis Ihr um Gnade fleht. «

»Das kann lange dauern. «

»Ich habe Zeit … und es wü rde mich sehr wundern, wenn Ihr fü r viele Monate verproviantiert wä ret. Ihr werdet nicht umhin kö nnen, Madame, Euren Sohn Hungers sterben zu sehen, und zwar in nicht allzu langer Zeit. «

Cathé rine unterdrü ckte einen Seufzer der Erleichterung. Er wuß te nichts von der Abreise Michels, und es war wichtig, daß er noch lange nichts davon erfuhr. Aber sie verbarg ihre Gefü hle unter einem Schulterzucken.

»Das Schloß ist fest, seine Verteidiger sind tapfer. Ihr verschwendet Eure Zeit, Messire! «

»Und Ihr wü rdet Euch dummerweise das beste Gut der Welt entgehen lassen. Ihr wü rdet besser fahren, Madame, meinen Antrag anzunehmen, da Ihr schließ lich doch nachgeben mü ß t. Bedenkt, daß ich Eurer schö nen Augen wegen einen sehr schmeichelhaften Antrag ausgeschlagen habe, nä mlich die Hand Madame Marguerites, Tochter Monseigneurs, des Herzogs von Bourbon …«

»Tochter … zur linken Hand! « warf Bruder Etienne ü berfreundlich ein.

»Das Blut bleibt Fü rstenblut! Andererseits ist Euer Gouverneur Schotte, Dame Cathé rine. Die Schotten sind arm, Hungerleider und Geizhä lse … und lieben das Gold ü ber alles …«

Es blieb ihm keine Zeit, den Satz zu vollenden. Ganz in ihren Wortwechsel vertieft, hatten weder er noch Cathé rine bemerkt, daß Kennedy, von Gauthier gefolgt, in den Saal getreten war. Erst als der Schotte sich auf den Spanier stü rzte, wurde man seiner Anwesenheit gewahr. Mit einem Wutschrei packte Kennedy Villa‑ Andrado am Kragen seiner Rü stung und am Hosenboden, hob ihn halb ü ber den Boden und befö rderte den Heulenden und Schimpfenden derart bis zur Tü r.

»Es gibt etwas, was die Schotten noch mehr lieben als das Gold, Meister Schacher, und das ist ihre Ehre! Richtet das Eurem Herrn aus! « schrie er wü tend.

Mit verdrieß licher Miene, weil man ihm ein so kü mmerliches Wild ü briggelassen hatte, nahm nun Gauthier den Pagen unter den Arm und tat genau das gleiche, was sein zorniger Gouverneur ihm vorgemacht hatte. Als beide verschwunden waren, wandte sich Bruder Etienne mit einem gü tigen Lä cheln an Cathé rine, die immer noch zitterte:

»Nun, Madame, das hat Euch eine Antwort erspart. Was haltet Ihr von der Sache? «

Sie sagte nichts, blickte ihn nur an, schä mte sich, sich einzugestehen, daß sie zum erstenmal seit langem Lust hatte zu lachen. Den Anblick des wie eine rote Spinne in den Fä usten des schottischen Feldhauptmanns zappelnden Villa‑ Andrado wü rde sie nie vergessen.

 



  

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