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  Stefan Zweig. Die Mondscheingasse



   

             Stefan Zweig

                             Die Mondscheingasse

 

 


    Das Schiff hatte, durch Sturm verzö gert, erst spä t abends in der kleinen franzö sischen Hafenstadt landen kö nnen, der Nachtzug nach Deutschland war versä umt. So blieb ein unerwarteter Tag an fremdem Ort, ein Abend ohne andere Lockung als die einer melancholischen Damenmusik in einem vorstä dtischen Vergnü gungslokal oder eines eintö nigen Gesprä ches mit den ganz zufä lligen Reisegenossen. Unerträ glich schien mir die Luft in dem kleinen Speiseraum des Hotels, fettig von Ö l, dumpf von Rauch, und ich fü hlte doppelt ihre trü be Unreinlichkeit, weil noch der reine Atem des Meeres mir salzig-kü hl auf den Lippen lag. So ging ich hinaus, aufs Geratewohl die helle breite Straß e entlang zu einem Platz, wo eine Bü rgergardenkapelle spielte, und wieder weiter inmitten der lä ssig fortflutenden Woge der Spaziergä nger. Anfangs tat es mir gut, dieses willenlose Geschaukeltsein in der Strö mung gleichgü ltiger und provinziell geputzter Menschen, aber bald ertrug ich es doch nicht mehr, dieses Anwogen von fremden Leuten und ihr abgerissenes Gelä chter, diese Augen, die mich angriffen, erstaunt, fremd oder grinsend, diese Berü hrungen, die mich unmerklich weiterschoben, dies aus tausend kleinen Quellen brechende Licht und unaufhö rliche Scharren von Schritten. Die Seefahrt war bewegt gewesen, und noch gä rte in meinem Blut ein taumliges und sanfttrunkenes Gefü hl: noch immer spü rte ich Gleiten und Wiegen unter meinen Fü ß en, die Erde schien wie atmend sich zu bewegen und die Straß e bis auf in den Himmel zu schwingen. Schwindelig ward mir mit einem Male von diesem lauten Gewirr, und um mich zu retten, bog ich, ohne nach ihrem Namen zu blicken, in eine Seitenstraß e ein und von da wieder in eine kleinere, in der dies sinnlose Lä rmen allmä hlich verebbte, und ging nun ziellos weiter ins Gewirr dieser wie Adern sich verä stelnden Gassen, die immer dunkler wurden, je mehr ich mich vom Hauptplatz entfernte. Die groß en elektrischen Bogenlampen, diese Monde der breiten Boulevards, flammten hier nicht mehr, und ü ber die spä rliche Beleuchtung hin begann man endlich wieder die Sterne zu sehen und einen schwarzen verhä ngten Himmel.

     Ich muß te nahe dem Hafen sein, im Matrosenviertel, das fü hlte ich an dem faulen Fischgeruch, an diesem sü ß lichen Duft von Tang und Fä ulnis, wie ihn auch die von der Brandung ans Land gerissenen Algen haben, an diesem eigentü mlichen Dunst verdorbener Gerü che und ungelü fteter Stuben, der sich dumpfig in diese Winkel legt, bis einmal der groß e Sturm kommt und ihnen Atem bringt. Das ungewisse Dunkel tat mir wohl und diese unerwartete Einsamkeit, ich verlangsamte meinen Schritt, betrachtete nun Gasse um Gasse, eine immer anders wie die Nachbarin, hier eine friedfertige, dort eine buhlerische, alle aber dunkel und mit einem gedä mpften Gerä usch von Musik und Stimmen, das aus dem Unsichtbaren, aus der Brust ihrer Gewö lbe so geheimnisvoll aufquoll, dass kaum die unterirdische Quelle zu erraten war. Denn alle waren sie verschlossen und blinzelten nur mit einem roten oder gelben Licht. Ich liebe diese Gassen in fremden Stä dten, diesen schmutzigen Markt aller Leidenschaften, diese heimliche Anhä ufung aller Verfü hrungen fü r die Matrosen, die von einsamen Nä chten auf fremden und gefä hrlichen Meeren hier fü r eine Nacht einkehren, ihre vielen und sinnlichen Trä ume in einer Stunde zu erfü llen. Sie mü ssen sich verstecken irgendwo in einer Niederung der groß en Stadt, diese kleinen Seitengassen, weil sie so frech und aufdringlich sagen, was die hellen Hä user mit blanken Scheiben und vornehmen Menschen in hundert Masken verbergen. Musik klingt und lockt hier aus kleinen Stuben, Kinematographen verheiß en mit grellen Plakaten ungeahnte Prä chte, kleine viereckige Lichter ducken sich unter die Tore und zwinkern mit vertraulichem Gruß eine sehr deutliche Einladung zu, zwischen dem aufgetanen Spalt einer Tü r schimmert nacktes Fleisch unter vergoldetem Flitter. Aus den Café s grö len die Stimmen der Berauschten und poltert der Zank der Spieler. Die Matrosen grinsen, wenn sie hier einander begegnen, ihre stumpfen Blicke werden grell von vieler Verheiß ung, denn hier ist alles, Weiber und Spiel, Trunk und Schau, das Abenteuer, das schmutzige und das groß e. All dies aber ist scheu und doch verrä terisch gedä mpft hinter den heuchlerisch gesenkten Fensterlä den, alles nur innen, und diese scheinbare Verschlossenheit reizt durch die doppelte Verfü hrung von Verborgenheit und Zugä nglichkeit. Diese Straß en sind gleich in Hamburg und Colombo und Havanna, gleich da und dort wie auch die groß en Avenuen des Luxus, denn das Oben und Unten des Lebens hat die gleiche Form. Letzte phantastische Reste einer sinnlich ungeregelten Welt, wo die Triebe noch brutal und ungezü gelt sich entladen, ein finsterer Wald von Leidenschaften und Dickicht und voll triebhaften Getiers sind diese unbü rgerlichen Straß en, erregend durch das, was sie verraten, und verlockend durch das, was sie verbergen. Man kann von ihnen trä umen.

     Und so war auch diese, in der ich mich mit einem Male gefangen fü hlte. Aufs Geratewohl war ich ein paar Kü rassieren nachgegangen, die mit ihrem nachschleifenden Sä bel ü ber das holprige Pflaster klirrten. Aus einer Bar riefen Weiber sie an, sie lachten und schrien ihnen grobe Scherze zu, einer klopfte an das Fenster, dann fluchte eine Stimme irgendwo, sie gingen weiter, das Gelä chter wurde ferner, und bald hö rte ich sie nicht mehr. Stumm war wieder die Gasse, ein paar Fenster blinkten unklar in einem Nebelglanz von mattem Mond. Ich stand und sog atmend diese Stille ein, die mir seltsam schien, weil hinter ihr etwas surrte von Geheimnis, Wollust und Gefahr. Deutlich spü rte ich, dass dieses Schweigen eine Lü ge war und unter dem trü ben Dunst dieser Gasse etwas glimmerte von der Fä ulnis der Welt. Aber ich stand, blieb und lauschte ins Leere. Ich fü hlte die Stadt nicht mehr und die Gasse, nicht ihren Namen und nicht den meinen, empfand nur, dass ich hier fremd war, wunderbar losgelö st in einem Unbekannten stand, dass keine Absicht in mir war, keine Botschaft und keine Beziehung und ich doch all dies dunkle Leben um mich so voll fü hlte wie das Blut unter der eigenen Haut. Dies Gefü hl nur empfand ich, dass nichts fü r mich geschah und doch alles mir zugehö rte, dieses seligste Gefü hl des durch Anteilslosigkeit tiefsten und wahrsten Erlebens, das zu den lebendigen Quellen meines innern Wesens gehö rt und mich im Unbekannten immer ü berfä llt wie eine Lust. Da plö tzlich, horchend wie ich in der einsamen Gasse stand, gleichsam erwartungsvoll auf irgend etwas, das geschehen mü ß te, etwas, das mich fortschö be aus diesem mondsü chtigen Gefü hl des Lauschens ins Leere, hö rte ich gedä mpft durch Ferne oder eine Wand, sehr trü be von irgendwo ein deutsches Lied singen, jenen ganz einfä ltigen Reigen aus dem »Freischü tz«: »Schö ner, grü ner Jungfernkranz«. Eine Frauenstimme sang ihn, sehr schlecht, aber doch eine deutsche Melodie war es, deutsch hier irgendwo in einem fremden Winkel der Welt und darum brü derlich in einem so eigenen Sinne. Es war von irgendwoher gesungen, aber doch, wie einen Gruß fü hlte ichs, seit Wochen das erste heimatliche Wort. Wer, fragte ich mich, spricht hier meine Sprache, wen treibt eine Erinnerung von innen, in verwinkelt-verwilderter Gasse dies arme Lied sich wieder aus dem Herzen zu heben? Ich tastete der Stimme nach, ein Haus nach dem andern von all denen, die halbschlafend hier standen, mit geschlossenen Fensterlä den, hinter denen es aber verrä terisch blinzelte von Licht und manchmal von einer winkenden Hand. Auß en klebten grelle Ü berschriften, schreiende Plakate, und Ale, Whisky, Bier verhieß hier eine versteckte Bar, aber alles war verschlossen, abweisend und doch wieder einladend. Und dazwischen – ein paar Schritte tö nten von fern – immer wieder die Stimme, die jetzt den Refrain heller trillerte und immer nä her war: schon erkannte ich das Haus. Einen Augenblick zö gerte ich, dann trat ich gegen die innere Tü r, die mit weiß en Gardinen dicht verhangen war. Da aber, als ich mich entschlossen hinbeugte, ward etwas im Schatten des Flurs jä h lebendig, eine Gestalt, die offenbar eng an die Scheibe gepreß t dort gelauert hatte, zuckte erschrocken auf, ein Gesicht, begossen vom Rot der ü berhä ngenden Laterne und doch blaß im Entsetzen, ein Mann starrte mich mit aufgerissenen Augen an, murmelte etwas wie eine Entschuldigung und verschwand im Zwielicht der Gasse. Seltsam war dieser Gruß. Ich sah ihm nach. Etwas schien sich noch im entschwindenden Schatten der Gasse von ihm zu regen, aber undeutlich. Innen klang die Stimme noch immer, heller sogar, wie mirs schien. Das lockte mich. Ich klinkte auf und trat rasch ein. Wie von einem Messer zerschnitten fiel das letzte Wort des Gesanges herab. Und erschrocken spü rte ich eine Leere vor mir, eine Feindlichkeit des Schweigens, gleichsam als ob ich was zertrü mmert hä tte. Mä hlich erst fand mein Blick sich in der Stube zurecht, die fast leer war, ein Schank und ein Tisch, das ganze offenbar nur Vorgemach zu andern Zimmern rü ckwä rts, die mit halbaufgelehnten Tü ren, gedä mpftem Lampenschein und bereiten Betten ihre eigentliche Bestimmung rasch verrieten. Vorn am Tisch lehnte auf den Ellbogen gestü tzt ein Mä dchen, geschminkt und mü d, rü ckwä rts am Schank die Wirtin, beleibt und schmutziggrau mit einem andern nicht unhü bschen Mä del. Mein Gruß fiel hart in den Raum, ganz spä t kam ein gelangweiltes Echo zurü ck. Mir wars unbehaglich, so ins Leere getreten zu sein; in ein so gespanntes ö des Schweigen, und gern wä re ich sofort wieder gegangen, doch fand meine Verlegenheit keinen Vorwand, und so setzte ich mich resigniert an den vorderen Tisch. Das Mä del, jetzt sich seiner Pflicht besinnend, fragte mich, was ich zu trinken wü nschte, und an ihrem harten Franzö sisch erkannte ich sofort die Deutsche. Ich bestellte ein Bier, sie ging und kam wieder mit jenem schlaffen Gang, der noch mehr Gleichgü ltigkeit verriet als das Seichte ihrer Augen, die schlaff unter den Lidern glommen wie verlö schende Lichter. Ganz mechanisch stellte sie nach dem Brauch jener Stuben neben das meine ein zweites Glas fü r sich. Ihr Blick ging, wie sie mir zutrank, leer an mir vorbei: so konnte ich sie betrachten. Ihr Gesicht war eigentlich noch schö n und ebenmä ß ig in den Zü gen, aber wie durch eine innere Ermattung maskenhaft und gemein geworden, alles fiel schlaff nieder, die Lider waren schwer, locker das Haar; die Wangen, fleckig von schlechter Schminke und verschwemmt, begannen schon nachzugeben und warfen sich mit breiter Falte bis an den Mund. Auch das Kleid war ganz lä ssig umgehä ngt, ausgebrannt die Stimme, rauh von Rauch und Bier. In allem spü rte ich einen Menschen, der mü de ist und nur aus Gewohnheit, gleichsam fü hllos weiterlebt. Mit Befangenheit und Grauen warf ich eine Frage hin. Sie antwortete, ohne mich anzusehen, gleichgü ltig und stumpf mit kaum bewegten Lippen. Unwillkommen spü rte ich mich. Rü ckwä rts gä hnte die Wirtin, das andere Mä del saß in einer Ecke und sah her, gleichsam wartend, bis ich sie riefe. Gern wä re ich gegangen, aber alles an mir war schwer, ich saß in dieser satten, schwelenden Luft, dumpf torkelnd wie die Matrosen, gefesselt von Neugier und Grauen; denn diese Gleichgü ltigkeit war irgendwie aufreizend.

     Da plö tzlich fuhr ich auf, erschreckt von einem grellen Gelä chter neben mir. Und gleichzeitig schwankte die Flamme: am Luftzug spü rte ich, dass jemand die Tü r hinter meinem Rü cken geö ffnet haben muß te. »Kommst du schon wieder? « hö hnte grell und auf deutsch die Stimme neben mir. »Kriechst du schon wieder ums Haus, du Knauser du? Na, komm nur herein, ich tu dir nichts. «

     Ich fuhr herum, zuerst ihr zu, die so grell diesen Gruß schrie, als brä che ihr Feuer aus dem Leib, und dann zur Tü r. Und noch ehe sie ganz aufgetan war, erkannte ich die schlotternde Gestalt, erkannte den demü tigen Blick dieses Menschen, der vorhin an der Tü r gleichsam geklebt hatte. Er hielt den Hut verschü chtert in der Hand wie ein Bettler und zitterte unter dem grellen Gruß, unter dem Lachen, das wie ein Krampf ihre schwere Gestalt mit einem Male zu schü ttern schien und von rü ckwä rts, vom Schanktisch, mit raschem Geflü ster der Wirtin begleitet wurde.

     »Dort setz dich hin, zur Franç oise«, herrschte sie den Armen an, als er jetzt mit einem feigen, schlurfenden Schritt nä her trat. »Du siehst, ich habe einen Herrn. «

     Deutsch schrie sie ihm das zu. Die Wirtin und das Mä del lachten laut, obwohl sie nichts verstehen konnten, aber sie schienen den Gast schon zu kennen.

     »Gib ihm Champagner, Franç oise«, den teuern, eine Flasche«, schrie sie lachend hinü ber, und wieder hö hnisch zu ihm: »Ists dir zu teuer, so bleib drauß en, du elender Knicker. Mö chtest mich wohl umsonst anstarren, ich weiß, du mö chtest alles umsonst. «

     Die lange Gestalt schmolz gleichsam zusammen unter diesem bö sen Lachen, der Buckel schob sich schief empor, es war, als wollte das Gesicht sich hü ndisch verkriechen, und seine Hand zitterte, als er nach der Flasche griff, und verschü ttete den Wein im Eingieß en. Sein Blick, der immer aufwollte zu ihrem Gesicht, konnte nicht weg vom Boden und tastete dort im Kreise den Kacheln nach. Und jetzt sah ich erst deutlich unter der Lampe dies ausgemergelte Gesicht, zermü rbt und fahl, die Haare feucht und dü nn auf beinernem Schä del, die Gelenke lose und wie zerbrochen, eine Jä mmerlichkeit ohne Kraft und doch nicht ohne Bö sartigkeit. Schief, verschoben war alles in ihm und geduckt, und der Blick, den er jetzt einmal hob und gleich wieder erschreckt zurü ckwarf, gekreuzt von einem bö sen Licht.

     »Kü mmern Sie sich nicht um ihn«, herrschte mich das Mä del auf Franzö sisch an und faß te derb meinen Arm, als wollte sie mich herumreiß en. »Das ist eine alte Sache zwischen mir und ihm, ist nicht von heute. « Und wieder mit blanken Zä hnen, wie zum Bisse bereit, laut zu ihm hinü ber: »Horch nur her, du alter Luchs. Mö chtest hö ren, was ich rede. dass ich eher ins Meer gehe als mit dir, habe ich gesagt. «

     Wieder lachten die Wirtin und das andere Mä del, breit und blö de. Es schien ein gewohnter Spaß fü r sie, ein alltä glicher Scherz. Aber mir wars unheimlich, jetzt zu sehen, wie sich dies andere Mä del plö tzlich in falscher Zä rtlichkeit an ihn drä ngte und ihn mit Schmeicheleien abgriff, vor denen er erschauerte ohne den Mut, sie abzuwehren, und ich erschrak, wenn sein Blick im Auftaumeln mich traf, ä ngstlich verlegen und kriecherisch. Und mir graute vor dem Weib neben mir, das plö tzlich aus ihrer Schlaffheit aufgewacht war und so voll Bosheit funkelte, dass ihre Hä nde zitterten. Ich warf Geld auf den Tisch und wollte fort, aber sie nahm es nicht.

     »Geniert er dich, dann werfe ich ihn hinaus, den Hund. Der muss parieren. Nimm noch ein Glas mit mir. Komm! «

     Sie drä ngte sich heran mit einer jä hen, fanatischen Art von Zä rtlichkeit, von der ich sofort wuß te, dass sie nur gespielt war, um jenen anderen zu quä len. Bei jeder dieser Bewegungen sah sie rasch schief hinü ber, und es war mir widerwä rtig zu sehen, wie bei jeder ihrer Gesten zu mir es in ihm zu zucken begann, als spü rte er Brandstahl an seinen Gliedern. Ohne auf sie zu achten, starrte ich einzig ihn an und schauerte, wie etwas jetzt in ihm wuchs von Wut, Zorn, Neid und Gier, und sich doch gleich niederduckte, wandte sie nur den Kopf. Ganz nahe drä ngte sie sich nun zu mir, ich spü rte ihren Kö rper, der zitterte von der bö sen Lust dieses Spiels, und mir graute vor ihrem grellen Gesicht, das nach schlechtem Puder roch, vor dem Dunst ihres mü rben Fleisches. Sie von meinem Gesicht abzuwehren, griff ich nach einer Zigarre, und wä hrend mein Blick noch den Tisch nach einem Streichholz absuchte, herrschte sie ihn schon an: »Bring Feuer her! «

     Ich erschrak mehr noch als er vor dieser gemeinen Zumutung, mich zu bedienen, und mü hte mich rasch, mir selbst eines zu finden. Aber schon von ihrem Worte wie mit einer Peitsche aufgeknallt, kam er mit seinen schiefen Schritten torkelnd herü ber und legte rasch, als kö nnte er sich mit einer Berü hrung des Tisches verbrennen, sein Feuerzeug auf den Tisch. Eine Sekunde kreuzte ich seinen Blick: unendliche Scham lag darin und eine knirschende Erbitterung. Und dieser geknechtete Blick traf den Mann, den Bruder, in mir. Ich fü hlte die Erniedrigung durch das Weib und schä mte mich mit ihm.

     »Ich danke Ihnen sehr, ” sagte ich auf Deutsch – sie zuckte auf – »Sie hä tten sich nicht bemü hen mü ssen. « Dann bot ich ihm die Hand. Ein Zö gern, ein langes, dann spü rte ich feuchte, knochige Finger und plö tzlich krampfartig einen jä hen Druck des Dankes. Eine Sekunde leuchteten seine Augen in die meinen, dann duckten sie sich wieder unter die schlaffen Lider. Aus Trotz wollte ich ihn bitten, bei uns Platz zu nehmen, und die einladende Geste muß te wohl schon in meine Hand geglitten sein, denn sie herrschte ihn eilig an: »Setz dich wieder hin und stö re hier nicht. «

     Da packte mich plö tzlich der Ekel vor ihrer ä tzenden Stimme und vor dieser Quä lerei. Was sollte mir diese verrä ucherte Spelunke, diese widrige Dirne, dieser Schwachsinnige, dieser Qualm von Bier und Rauch und schlechtem Parfü m? Mich dü rstete nach Luft. Ich schob ihr das Geld hin, stand auf und rü ckte energisch ab, als sie mir schmeichelnd nä her kam. Es ekelte mich, mitzuspielen bei dieser Erniedrigung eines Menschen, und deutlich ließ ich durch die Entschlossenheit meiner Abwehr spü ren, wie wenig sie mich sinnlich verlocken konnte. Jetzt zuckte ihr Blut bö s, eine Falte kroch ihr gemein um den Mund, aber sie hü tete sich doch, das Wort auszusprechen, und wandte sich mit einem Ruck unverstellten Hasses gegen ihn, der aber, des Ä rgsten gewä rtig, eilig und wie gejagt von ihrer Drohung in die Tasche griff und mit zitternden Fingern eine Geldbö rse herauszog. Er hatte Angst, jetzt allein mit ihr zu bleiben, das war sichtlich, und in der Hast konnte er die Knoten der Bö rse nicht gut lö sen – eine Bö rse war es, gestrickt und mit Glasperlen besetzt, wie die Bauern sie tragen und die kleinen Leute. Mü helos war es zu merken, dass er ungewohnt war, Geld rasch auszugeben, sehr im Gegensatz zu den Matrosen, die es mit einem Handschwung aus den klimpernden Taschen hervorholen und auf den Tisch werfen; er muß te offenbar gewohnt sein, sorglich zu zä hlen und die Mü nzen zwischen den Fingern zu wä gen. »Wie er zittert um seine lieben sü ß en Pfennige! Gehts zu langsam? Wart! « hö hnte sie und trat einen Schritt nä her. Er schrak zurü ck, und sie, als sie sein Erschrecken sah, sagte, die Schultern hochziehend und mit einem unbeschreiblichen Ekel im Blick: »Ich nehm dir nichts, ich spei auf dein Geld. Weiß ja, sie sind gezä hlt, deine guten Pfennigchen, darf keines zuviel in die Welt. Aber erst« – und sie tippte ihm plö tzlich gegen die Brust – »die Papierchen, die du da eingenä ht hast, dass sie dir keiner stiehlt! « Und wirklich, wie ein Herzkranker im Krampf sich plö tzlich an die Brust greift, so faß te fahl und zitternd seine Hand an eine bestimmte Stelle des Rockes, unwillkü rlich tasteten seine Finger dort an das heimliche Nest und fielen dann beruhigt zurü ck. »Geizhals! « spie sie aus. Aber da flog plö tzlich eine Glut in das Gesicht des Gemarterten, er warf die Geldbö rse mit einem Ruck dem andern Mä del zu, die erst ausschrie im Schreck, dann hell lachte, und stü rmte vorbei an ihr, zur Tü r hinaus wie aus einem Brand.

     Einen Augenblick stand sie noch aufgerichtet, hell funkelnd in ihrer bö sen Wut. Dann fielen die Lider wieder schlaff herab, Mattigkeit bog den Kö rper aus der Spannung. Alt und mü de schien sie in einer Minute zu werden. Etwas Unsicheres und Verlorenes dä mpfte den Blick, der mich jetzt traf. Wie eine Trunkene, die aufwacht, dumpf mit dem Gefü hl einer Schande stand sie da. »Drauß en wird er jammern um sein Geld, vielleicht zur Polizei laufen, wir hä tten ihn bestohlen. Und morgen ist er wieder da. Aber mich soll er doch nicht haben. Alle, nur gerade er nicht! «

     Sie trat zum Schank, warf Geldstü cke hin und stü rzte mit einem Schwung ein Glas Branntwein hinunter. Das bö se Licht glimmerte wieder in ihren Augen, aber trü b wie unter Trä nen von Wut und Scham. Ekel faß te mich vor ihr und zerriß mein Mitleid! »Guten Abend«, sagte ich und ging. »Bon soir, « antwortete die Wirtin. Sie sah sich nicht um und lachte bloß, grell und hö hnisch.

     Die Gasse, sie war nur Nacht und Himmel, als ich hinaustrat, eine einzige schwü le Dunkelheit mit verwelktem, unendlich fernem Glanz von Mond. Gierig trank ich die laue und doch starke Luft, und das Gefü hl des Grauens lö ste sich in das groß e Erstaunen vor der Mannigfaltigkeit der Geschicke, und ich spü rte wieder – ein Gefü hl, das mich selig machen kann bis zu Trä nen –, dass immer hinter jeder Fensterscheibe Schicksal wartet, jede Tü r sich in Erlebnis auftut, allgegenwä rtig das Mannigfaltige dieser Welt ist und selbst der schmutzigste Winkel noch so wimmelnd von schon gestaltetem Erleben wie die Verwesung vom eifrigen Glanz der Kä fer. Fern war das Widerliche der Begegnung und das gespannte Gefü hl wohltuend gelö st in eine sü ß e Mü digkeit, die sich sehnte, all die Gelebte in schö neren Traum zu verwandeln. Unwillkü rlich blickte ich suchend um mich, den Weg nach Hause durch diese Wirrnis verwinkelter Gä ß chen zu finden. Da schob sich – unhö rbar muß te er nahegetreten sein – ein Schatten an mich heran.

     »Verzeihen Sie, « – ich erkannte sogleich die demü tige Stimme – »aber ich glaube, Sie finden sich hier nicht zurecht. Darf ich … darf ich Ihnen den Weg weisen? Der Herr wohnt …? ’

     Ich nannte mein Hotel.

     »Ich begleite Sie … Wenn Sie erlauben«, fü gte er sogleich demü tig hinzu.

     Das Grauen faß te mich wieder. Dieser schleichende, gespenstische Schritt an meiner Seite, unhö rbar fast und doch hart an mir, das Dunkel der Matrosengasse und die Erinnerung des Erlebten wich allmä hlich einem traumhaft wirren Gefü hl ohne Wertung und Widerstand. Ich spü rte die Demut seiner Augen, ohne sie zu sehen, und merkte das Zucken seiner Lippen, ich wuß te, dass er mit mir reden wollte, tat aber nichts dafü r und nichts dagegen aus der Taumligkeit meines Empfindens, in dem die Neugier des Herzens mit einer kö rperlichen Benommenheit sich wogend mengte. Er rä usperte sich mehrmals, ich merkte den erstickten Ansatz zum Wort, aber irgendeine Grausamkeit, die von diesem Weib geheimnisvoll auf mich ü bergegangen war, freute sich dieses Ringens der Scham und seelischen Not: ich half ihm nicht, sondern ließ dieses Schweigen schwarz und schwer zwischen uns. Und unsere Schritte klangen, der seine leise schlurfend und alt, der meine mit Absicht stark und rauh, dieser schmutzigen Welt zu entrinnen, wirr zusammen. Immer stä rker spü rte ich die Spannung zwischen uns: schrill, voll inneren Schreis war dieses Schweigen und schon wie eine ü bermä ß ig gespannte Saite, bis er es endlich – und wie entsetzlich zagend zuerst – durchriß mit einem Wort.

     »Sie haben … Sie haben … mein Herr … da drinnen eine merkwü rdige Szene gesehen … verzeihen Sie … verzeihen Sie, wenn ich noch einmal davon rede … aber sie muß te Ihnen merkwü rdig sein … und ich sehr lä cherlich … diese Frau … es ist nä mlich …«

     Er stockte wieder. Etwas wü rgte ihm dick die Kehle. Dann wurde seine Stimme ganz klein, und er flü sterte hastig: »Diese Frau … es ist nä mlich meine Frau. « Ich muß te aufgefahren sein im Erstaunen, denn er sprach hastig weiter, als wollte er sich entschuldigen: »Das heiß t … es war meine Frau … vor fü nf, vor vier Jahren … in Geratzheim drü ben in Hessen, wo ich zu Hause bin … Ich will nicht, Herr, dass Sie schlecht von ihr denken … es ist vielleicht meine Schuld, dass sie so ist. Sie war nicht immer so … Ich … ich habe sie gequä lt … Ich habe sie genommen, obwohl sie sehr arm war, nicht einmal die Leinwand hatte sie, nichts, gar nichts … und ich bin reich … das heiß t, vermö gend … nicht reich … oder ich war es wenigstens damals … und, wissen Sie, mein Herr … ich war vielleicht – sie hat recht – sparsam … aber frü her war ich es, mein Herr, vor dem Unglü ck, und ich verfluche es … aber mein Vater war so und die Mutter, alle waren so … und ich habe hart gearbeitet um jeden Pfennig … und sie war leicht, sie hatte gern schö ne Sachen … und war doch arm, und ich habe es ihr immer wieder vorgehalten … Ich hä tte es nicht tun sollen, ich weiß es jetzt, mein Herr, denn sie ist stolz, sehr stolz … Sie dü rfen nicht glauben, dass sie so ist, wie sie sich gibt … das ist Lü ge, und sie tut sich selber weh … nur … nur um mir wehe zu tun, um mich zu quä len … und … weil … weil sie sich schä mt … Vielleicht ist sie auch schlecht geworden, aber ich … ich glaube es nicht … denn, mein Herr, sie war sehr gut, sehr gut …«

     Er wischte sich die Augen und blieb stehen in seiner ü bermä chtigen Erregung. Unwillkü rlich blickte ich ihn an, und er schien mir mit einem Male nicht mehr lä cherlich, und selbst diese merkwü rdige servile Anrede, »mein Herr«, die in Deutschland nur niedern Stä nden zu eigen ist, spü rte ich nicht mehr. Sein Antlitz war ganz von der inneren Bemü hung zum Wort durchbildet, und der Blick starrte, wie er schwer jetzt wieder vorwä rts taumelte, starr auf das Pflaster, als lä se er dort im schwankenden Lichte mü hsam ab, was sich dem Krampf seiner Kehle so quä lend entriß.

     »Ja, mein Herr«, stieß er jetzt tiefatmend heraus, und mit einer ganz anderen, dunklen Stimme, die irgendwie aus einer weicheren Welt seines Innern kam: »Sie war sehr gut … auch zu mir, sie war sehr dankbar, dass ich sie aus ihrem Elend erlö st hatte … und ich wuß te es auch, dass sie dankbar war … aber … ich … wollte es hö ren … immer wieder … immer wieder … es tat mir gut, diesen Dank zu hö ren … mein Herr, es war so, so unendlich gut, zu spü ren, zu spü ren, dass man besser ist … wenn … wenn man doch weiß, dass man der Schlechtere ist … ich hä tte all mein Geld dafü r gegeben, es immer wieder zu hö ren … und sie war sehr stolz und wollte es immer weniger, als sie merkte, dass ich ihn forderte, diesen Dank … Darum … nur darum, mein Herr, ließ ich sie immer bitten … nie gab ich freiwillig … es tat mir wohl, dass sie um jedes Kleid, um jedes Band kommen muß te und betteln … drei Jahre habe ich sie so gequä lt, immer mehr … aber, mein Herr, es war nur, weil ich sie liebte … Ich hatte ihren Stolz gern, und doch wollte ich ihn immer knechten, ich Wahnsinniger, und wenn sie etwas begehrte, so war ich bö se … aber, mein Herr, ich war es gar nicht … ich war selig jeder Gelegenheit, sie demü tigen zu kö nnen, denn … denn ich wuß te gar nicht, wie ich sie liebte …«

     Wieder stockte er. Ganz torkelnd ging er. Offenbar hatte er mich vergessen. Mechanisch sprach er, wie aus dem Schlaf, mit immer lauterer Stimme.

     »Das … das habe ich erst gewuß t, wie ich damals … an jenem verfluchten Tag … ich hatte ihr Geld verweigert fü r ihre Mutter, ganz, ganz wenig … das heiß t, ich hatte es schon bereitgelegt, aber ich wollte, dass sie noch einmal kä me … noch einmal mich bitten … ja, was sage ich? … ja, damals habe ich es gewuß t, als ich abends nach Hause kam und sie fort war und nur ein Zettel auf dem Tisch … ›Behalte dein verfluchtes Geld, ich will nichts mehr von dir‹ … das stand darauf, sonst nichts … Herr, ich bin drei Tage, drei Nä chte gewesen wie ein Rasender. Den Fluß habe ich absuchen lassen und den Wald, Hunderte habe ich der Polizei gegeben … zu allen Nachbarn bin ich gelaufen, aber sie haben nur gelacht und gehö hnt … Nichts, nichts war zu finden … Endlich hat mir einer Nachricht gesagt vom andern Dor f … er habe sie gesehen … in der Bahn mit einem Soldaten … sie sei nach Berlin gefahren … am selben Tage bin ich ihr nachgereist … ich habe meinen Verdienst gelassen … Tausende habe ich verloren … man hat mich bestohlen, meine Knechte, mein Verwalter, alle, alle … aber, ich schwö re es Ihnen, mein Herr, es war mir gleichgü ltig … Ich bin in Berlin geblieben, eine Woche hat es gedauert, bis ich sie auffand in diesem Wirbel von Menschen … und bin zu ihr gegangen …« Er atmete schwer.

     »Mein Herr, ich schwö re es Ihnen … kein hartes Wort habe ich ihr gesagt … ich habe geweint … auf den Knien bin ich gelegen … ich habe ihr Geld geboten … mein ganzes Vermö gen, sie sollte es verwalten, denn damals wuß te ich es schon … ich kann nicht leben ohne sie. Ich liebe jedes Haar an ihr … ihren Mund … ihren Leib, alles, alles … und ich bin es ja, ich, der sie hinabgestoß en hat, ich allein … Sie war blaß wie der Tod, als ich hereinkam, plö tzlich … ich hatte ihre Wirtin bestochen, eine Kupplerin, ein schlechtes, gemeines Weib … wie der Kalk war sie an der Wand … Sie hö rte mich an. Herr, ich glaube, sie war … ja, sie war beinahe froh, mich zu sehen … aber als ich vom Gelde sprach … und ich habe es doch nur getan, ich schwö re es Ihnen, um ihr zu zeigen, dass ich nicht mehr daran denke … da hat sie ausgespien … und dann … weil ich noch immer nicht gehen wollte … da hat sie ihren Liebhaber gerufen, und sie haben mich verlacht … Aber, mein Herr, ich bin immer wiedergekommen, Tag fü r Tag. Die Hausleute haben mir alles erzä hlt, ich wuß te, dass der Lump sie verlassen hatte und sie in Not war, und da ging ich noch einmal hin … noch einmal, Herr, aber sie fuhr mich an und zerriß einen Schein, den ich heimlich auf den Tisch gelegt hatte, und als ich doch wiederkam, war sie fort … Was habe ich nicht getan, mein Herr, sie wieder auszuforschen! Ein Jahr, ich schwö re es Ihnen, habe ich nicht gelebt, nur immer gespü rt, habe Agenturen besoldet, bis ichs endlich erfuhr, dass sie drü ben sei in Argentinien … in … in einem schlechten Hause Er zö gerte einen Augenblick. Wie ein Rö cheln war das letzte Wort. Und dunkler wurde seine Stimme.

     »Ich erschrak sehr … zuerst … aber dann besann ich mich, dass ich, nur ich es sei, der sie da hinabgestoß en hatte … und ich dachte, wie sehr sie leiden mü sse, die Arme … denn stolz ist sie vor allem … Ich ging zu meinem Anwalt, der schrieb an den Konsul und sandte Geld … ohne dass sie erfuhr, wer es gab … nur dass sie zurü ckkä me. Man telegraphierte mir, dass alles gelungen sei … ich wuß te das Schiff … und in Amsterdam wartete ich … drei Tage zu frü h war ich gekommen, so brannte ich vor Ungeduld … Endlich kam es, ich war selig, wie nur der Rauch vom Dampfer am Horizont war, und ich glaubte es nicht erwarten zu kö nnen, bis er heranfuhr und anlegte, so langsam, langsam, und dann die Passagiere ü ber den Steg kamen und endlich, endlich sie … Ich erkannte sie nicht gleich … sie war anders … geschminkt … und schon so … so, wie Sie es gesehen haben … und wie sie mich warten sah … wurde sie fahl … Zwei Matrosen muß ten sie halten, sonst wä re sie vom Steg gefallen … Sobald sie am Land war, trat ich an ihre Seite … ich sagte nichts … meine Kehle war zu … Auch sie sprach nichts … und sah mich nicht an … Der Trä ger trug das Gepä ck voran, wir gingen und gingen … Da plö tzlich blieb sie stehen und sagte … Herr, wie sie es sagte … so schmerzend weh tat es mir, so traurig klang es … ›Willst du mich noch immer zu deiner Frau, jetzt auch noch? ‹ … Ich faß te sie bei der Hand … Sie zitterte, aber sie sagte nichts. Doch ich fü hlte, dass nun alles wieder gut war … Herr, wie selig ich war! Ich tanzte wie ein Kind um sie, als ich sie im Zimmer hatte, ich fiel ihr zu Fü ß en … tö richte Dinge muss ich gesagt haben … denn sie lä chelte unter Trä nen und liebkoste mich … ganz zaghaft natü rlich nur … aber, Herr … wie es mir wohltat … mein Herz zerfloß. Ich lief treppauf, treppab, bestellte ein Diner im Hotel … unser Vermä hlungsmahl … ich half ihr, sich anzuziehen … und wir gingen hinab, wir aß en und tranken und waren frö hlich … Oh, so heiter war sie, ein Kind, so warm und gut, und sie sprach von Hause … und wie wir alles nun wieder besorgen wollten … Da …« Seine Stimme wurde plö tzlich rauh, und er machte mit der Hand eine Geste, als ob er jemanden zerbrechen wollte. »Da … da war ein Kellner … ein schlechter, gemeiner Mensch … der glaubte, ich sei trunken, weil ich toll war und tanzte und mich ü berkollerte beim Lachen … wä hrend ich doch nur so glü cklich war … oh, so glü cklich, und da … als ich bezahlte, gab er mir zwanzig Francs zu wenig zurü ck … Ich fuhr ihn an und verlangte den Rest … er war verlegen und legte das Goldstü ck hin … Da … da begann sie auf einmal grell zu lachen … Ich starrte sie an, aber es war ein anderes Gesicht … hö hnisch, hart und bö se mit einem Male … ›Wie genau du noch immer bist … selbst an unserem Vermä hlungstag! ‹ sagte sie ganz kalt, so scharf, so … mitleidig. Ich erschrak und verfluchte meine Peinlichkeit … ich gab mir Mü he, wieder zu lachen … aber ihre Heiterkeit war fort … war tot … Sie verlangte ein eigenes Zimmer … was hä tte ich ihr nicht gewä hrt … und ich lag allein die Nacht und sann nur nach, was ihr kaufen am nä chsten Morgen … sie beschenken … ihr zeigen, dass ich nicht geizig sei … nie mehr gegen sie. Und am Morgen ging ich aus, ein Armband kaufte ich, ganz frü h, und wie ich in ihr Zimmer trat … da war … da war es leer … ganz wie damals. Und ich wuß te, auf dem Tisch wü rde ein Zettel liegen … ich lief fort und betete zu Gott, es mö ge nicht wahr sein … aber … aber … er lag doch dort … Und darauf stand …«

     Er zö gerte. Unwillkü rlich war ich stehen geblieben und sah ihn an. Er duckte den Kopf. Dann flü sterte er heiser:

     »Es stand darauf … ›lass mich in Frieden. Du bist mir widerlich –‹«

     Wir waren beim Hafen angelangt, und plö tzlich rauschte in das Schweigen der grollende Atem der nahen Brandung. Mit blinkenden Augen, wie groß e schwarze Tiere lagen die Schiffe da, nah und ferne, und von irgendwo kam Gesang. Nichts war deutlich und doch vieles zu fü hlen, ein ungeheurer Schlaf und der schwere Traum einer starken Stadt. Neben mir spü rte ich den Schatten dieses Menschen, er zuckte gespenstisch vor meinen Fü ß en, floß bald auseinander, bald kroch er zusammen im wandelnden Licht der trü ben Laternen. Ich vermochte nichts zu sagen, nicht Trost und hatte keine Frage, spü rte aber sein Schweigen an mir kleben, lastend und dumpf. Da faß te er mich plö tzlich zitternd am Arm.

     »Aber ich gehe nicht fort von hier ohne sie … Nach Monaten habe ich sie wiedergefunden … Sie martert mich, aber ich will nicht mü de werden … Ich beschwö re Sie, mein Herr, reden Sie mit ihr … Ich muss sie haben, sagen Sie es ihr … mich hö rt sie nicht … Ich kann nicht mehr so leben … Ich kann es nicht mehr sehen, wie Mä nner zu ihr gehen … und drauß en warten vor dem Haus, bis sie wieder herunterkommen … lachend und trunken … Die ganze Gasse kennt mich schon … sie lachen, wenn sie mich warten sehen … wahnsinnig werde ich davon … und doch jeden Abend stehe ich wieder dort … Mein Herr, ich beschwö re Sie … sprechen Sie mit ihr … ich kenne Sie ja nicht, aber tun Sie es um Gottes Barmherzigkeit … sprechen Sie mit ihr …«

     Unwillkü rlich wollte ich meinen Arm befreien. Mir graute. Aber er, wie ers spü rte, dass ich mich gegen sein Unglü ck wehrte, fiel plö tzlich mitten auf der Straß e in die Knie und faß te meine Fü ß e.

     »Ich beschwö re Sie, mein Herr … Sie mü ssen mit ihr sprechen … Sie mü ssen … sonst … sonst geschieht etwas Furchtbares … Ich habe mein ganzes Geld verbraucht, sie zu suchen, und ich lasse sie nicht hier … nicht lebendig … Ich habe mir ein Messer gekauft … Ich habe ein Messer, mein Herr … Ich lasse sie hier nicht mehr … nicht lebendig … ich ertrage es nicht … Sprechen Sie mit ihr, mein Herr …«

     Er wä lzte sich wie rasend vor mir. In diesem Augenblick kamen zwei Polizisten die Straß e her. Ich riß ihn mit Gewalt auf. Einen Augenblick starrte er mich entgeistert an. Dann sagte er mit ganz fremder, trockener Stimme: »Die Gasse dort biegen Sie ein. Dann sind Sie bei Ihrem Hotel. « Einmal noch starrte er mich an mit Augen, in denen die Pupillen zerschmolzen schienen in ein grauenhaft Weiß es und Leeres. Dann verschwand er.

     Ich wickelte mich in meinen Mantel. Mich frö stelte. Nur Mü digkeit spü rte ich, eine wirre Trunkenheit, gefü hllos und schwarz, einen wandelnden, purpurnen Schlaf. Ich wollte etwas denken und all das besinnen, aber immer hob sich diese schwarze Welle von Mü digkeit aus mir und riß mich mit. Ich tastete ins Hotel, fiel hin ins Bett und schlief dumpf wie ein Tier.

     Am nä chsten Morgen wuß te ich nicht mehr, was davon Traum oder Erlebnis war, und irgend etwas in mir wehrte sich dagegen, es zu wissen. Spä t war ich erwacht, fremd in fremder Stadt, und ging eine Kirche zu besehen, in der antike Mosaiken von groß em Ruhme sein sollten. Aber meine Augen starrten sie leer an, immer deutlicher stieg die Begegnung der vergangenen Nacht auf, und ohne Widerstand triebs mich weg, ich suchte die Gasse und das Haus. Aber diese seltsamen Gassen leben nur des Nachts, am Tage tragen sie graue, kalte Masken, unter denen nur der Vertraute sie erkennt. Ich fand sie nicht, so sehr ich suchte. Mü de und enttä uscht kam ich heim, verfolgt von den Bildern des Wahns oder der Erinnerung.

     Um neun Uhr abends ging mein Zug. Mit Bedauern ließ ich die Stadt. Ein Trä ger hob mein Gepä ck und trug es vor mir her dem Bahnhof zu. Da plö tzlich, an einer Kreuzung, riß michs herum; ich erkannte die Quergasse, die zu jenem Hause fü hrte, hieß den Trä ger warten und ging – wä hrend er zuerst erstaunt und dann frech-vertraulich lachte – noch einen Blick zu tun in diese Gasse des Abenteuers.

     Dunkel lag sie da, dunkel wie damals, und im matten Mond sah ich die Tü rscheibe jenes Hauses glä nzen. Noch einmal wollte ich nä her treten, da raschelte eine Gestalt aus dem Dunkel. Schauernd erkannte ich ihn, der dort auf der Schwelle hockte und mir winkte, ich mö ge nä her kommen. Doch ein Grauen faß te mich, ich flü chtete rasch fort, aus der feigen Angst, hier verstrickt zu werden und meinen Zug zu versä umen.

     Aber dann, an der Ecke, ehe ich mich wandte, sah ich noch einmal zurü ck. Als mein Blick ihn traf, gab er sich einen Ruck, raffte sich auf und sprang gegen die Tü r. Metall blitzte in seiner Hand, da er sie jetzt eilig aufriß: ich konnte aus der Ferne nicht unterscheiden, ob es Geld war oder das Messer, das im Mondlicht zwischen seinen Fingern verrä terisch glitzerte … «

                                                     ENDE


 

 


 



  

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