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       Liebe Grü ß e

 

       Gabriel

 

       Von: gwendolin@myweb. de

 

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       Betr.: Gebot 954852023178

 

       Hallo Gabriel,

 

       Du kö nntest googeln. Also gut, ich kü rze deine Suche ab. Auf drei Dinge musst du achten. Nach dem Fressen gehst du raus. Ebenfalls, wenn der Hund geschlafen hat. Wenn der Kleine unruhig wird, gehst du mit ihm Gassi. Trotzdem wird er ab und zu auf den Teppich machen. Dann hebst du ihn hoch, sagst »Nein! « und setzt ihn vor die Tü r. Mit ein wenig Geduld kriegst du das relativ schnell hin. Von Richthofen heiß t er? Was ist denn das fü r ein Name?

 

       Liebe Grü ß e,

 

       Judith

 

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       Liebe Judith,

 

       ich hä tte ihn auch Snoopy nennen kö nnen, aber der Name lag fü r einen Beagle dermaß en auf der Hand, dass ich ihm den Namen des Roten Barons gab.

 

       Liebe Grü ß e

 

       Gabriel

 

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       Lieber Gabriel,

 

       das war wohl ein Fehlgriff. Ich kenne Snoopy, aber er war nie der Rote Baron. Er hat in seiner Fantasie immer nur als Fliegerass Jagd auf ihn gemacht.

 

       Liebe Grü ß e

 

       Judith

 

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       Liebe Judith,

 

       woher willst du das wissen?

 

       Grü ß e

 

       Gabriel

 

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       Wikipedia. : )

 

       LG, Judith

 

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       Meine liebe Judith,

 

       irgendwie komme ich mir gerade ziemlich dä mlich vor. Aber es hä tte schlimmer kommen kö nnen. Wilfred wä re ein noch blö derer Name gewesen.

 

       Liebe Grü ß e

 

       Gabriel

 

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       Wilfred? Ja, das mag sein. Wie kommst du auf den Namen?

 

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       Ist eine meiner Lieblingsserien. Heiß t so wie der Hund, der die Hauptrolle spielt.

 

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       Ich schaue nie fern. Also, so gut wie nie. Meine Mutter ist eher fü r solche Serien zu haben. Bestimmt kennt sie auch Wilfred.

 

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       Es ist schon spä t. Ich muss morgen frü h raus. Hund Gassi fü hren. War nett, mit dir zu plauschen.

 

       Gute Nacht, Gabriel

 

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       Gute Nacht, Judith

 

       Judith drü ckte auf »Senden« und der Mauszeiger schwebte kurz ü ber dem kleinen X auf der oberen Leiste, mit der sich das Mailprogramm schließ en ließ. Doch dann entschloss sie sich, noch eine letzte Mail hinterherzuschicken.

       Von: gwendolin@myweb. de

 

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       Du kannst dich ja noch mal melden, wenn du mit von Richthofen Erfolg hattest.

 

       Gute Nacht, jetzt wirklich.

 

       Judith

 

       Gabriel hatte sich immer gefragt, was Liebe tatsä chlich war. Auch wenn ihm die praktische Erfahrung fehlen mochte, hatte er eine sehr konkrete Vorstellung von ihr.

       Liebe war eine viel zu ernsthafte Angelegenheit, als dass man sie bonbonrosa anmalen konnte. Das war ausgemachter Quatsch, sentimentales Gesä usel. Man musste sich auf sie konzentrieren, sie wollen, vielleicht auch einfordern. Wenn ich liebe, so dachte Gabriel, als er auf Judiths letzte Mail starrte, dann mit jeder Faser meines Herzens, mit jedem Atemzug.

       Ich erwache und mein erster Gedanke gilt ihr.

       Ich verbringe den Tag und denke an niemand anderen.

       Ich gehe zu Bett und auch meinen letzten Gedanken schenke ich ihr, bevor ich in der Nacht von ihr trä ume.

       Liebe ist absolut.

       Man stellt sie nicht infrage.

       Man diskutiert nicht darü ber, handelt keine Kompromisse aus.

       Man stellt sich ihr nicht in den Weg, sondern empfä ngt sie mit offenen Armen und geschlossenen Augen. Lä sst sich von ihr erfü llen, von ihr leiten.

       Wenn man liebt, gibt es nur die Liebe und sonst nichts.

       Die Liebe ist eine eifersü chtige Gö ttin. Wer ihr gehorcht, dem verleiht sie Flü gel. Bald wü rde auch Judith sich dieser hö heren Macht ergeben mü ssen. Sie konnte gar nicht anders. Denn wer die Liebe leugnet, den zerstö rt sie.

       Zufrieden schaltete Gabriel den Rechner aus.

       Unten im Keller wartete Arbeit auf ihn.

        

 

       Der schwü lheiß e Sommer, der sich in den vergangenen Wochen wie eine alles erstickende Glocke auf die Stadt gelegt hatte, fand an diesem Nachmittag ein vorlä ufiges Ende. Schon vor Stunden hatten sich im Westen die Wolken zu schwarzen Bergen aufgetü rmt. Jetzt, als Judith das Haus verließ, um ihr Fahrrad beim Schwimmbad abzuholen, hatte der Wind aufgefrischt. Erste schwere Tropfen fielen auf den Asphalt, verdunsteten aber augenblicklich. Judith hastete zur Haltestelle und suchte unter dem Dach des Wartehä uschens Schutz. Gerade noch rechtzeitig, denn auf einmal goss es in Strö men. Es war, als mü sste die Stadt tief Luft holen. Es wurde dunkel. Die Scheinwerfer der Autos spiegelten sich auf der Straß e, Gischt spritzte hoch, der Staub wurde weggespü lt und verschwand mit den trockenen Blä ttern in den Gullis.

       Judith trat einen Schritt zurü ck, als der Bus hielt, und stieg ein. Sie hielt ihre Schü lerkarte in die Hö he, doch der Fahrer schaute nicht mal hin. Sie setzte sich auf den Platz an der vorderen Tü r, der normalerweise fü r alte Leute und Behinderte reserviert war. Trotz des Regengusses war die Luft noch immer schwü l, das Atmen fiel schwer. Der Busfahrer schien sich in Zeitlupe zu bewegen. Erst als eine Mutter mit ihrem vollkommen durchnä ssten kleinen Kind eingestiegen war, drü ckte er endlich die Knö pfe fü r die Tü ren. Kurz bevor sie sich schlossen, rief eine alte Dame aus dem hinteren Teil des Busses: »Warten Sie! Da will noch jemand einsteigen! «

       Der Fahrer gab einen missbilligenden Laut von sich und drü ckte ein zweites Mal den Schalter fü r die hintere Tü r. Ein junger Bursche mit Baseballmü tze polterte in den Bus und hob zum Dank kurz die Hand. Er hatte ü ber seine Kappe noch die Kapuze seines Hoodies gezogen. Er stempelte seine Buskarte ab und setzte sich in die letzte Reihe.

       Der Busfahrer schü ttelte den Kopf, schloss die hintere Tü r zum zweiten Mal und fuhr dann endlich an.

       Judith lehnte den Kopf an die Scheibe. Sie schloss die Augen und dachte an Jan. Sie bekam ihn einfach nicht aus dem Kopf. Nie im Leben hä tte sie ihn angerufen, dazu war sie einfach zu stolz. Jan hatte ihr zweimal gemailt, dass er sich mit ihr treffen wollte. Aber was gab es da noch zu bereden? Das, was sie heute Morgen in der Schule hatte miterleben dü rfen, hatte ausgereicht, um ihr jede Illusion zu rauben.

       Ihr war elend und eigentlich wollte sie nur alleine sein. Sie hatte einen Knoten im Bauch. Etwas, was sich in ihr verkrampfte und langsam zu ihrem Herzen hochwanderte. Erschrocken hatte sie festgestellt, dass sie wieder angefangen hatte, an den Fingernä geln zu kauen. Eine Unart aus ihrer Kindheit, die sie lä ngst ü berwunden geglaubt hatte.

       Judith suchte in ihrer Jeans nach dem Telefon, das sie auch als MP3-Player benutzte, steckte sich die kleinen Hö rer in die Ohren und suchte nach dem richtigen Soundtrack fü r ihre Stimmung. Der Bus war nur halb voll. Kaum Pendler unterwegs, obwohl es bereits fü nf Uhr war und die Feriensaison vorbei.

       Judith drehte sich auf ihrem Sitz um und betrachtete die Fahrgä ste, die hinter ihr saß en. Dabei hö rte sie ein Stü ck von der Playlist, die ihr Jan einmal zusammengestellt hatte.

       Einer alten Frau, die die Rü ckenlehne des Vordersitzes mit ihren knotigen Fingern umklammerte, schien die Schwü le besonders zu schaffen zu machen, denn sie atmete kurz und stoß weise. Hinter ihr saß ein Mann, der in sein Handy vertieft war und dabei nervö s mit dem rechten Bein wippte. Neben Judith, auf der anderen Seite des schmalen Gangs, saß ein schwarzhaariges Mä dchen, das unentwegt Kaugummiblasen platzen ließ und dabei angestrengt aus dem Fenster schaute, als gä be es da drauß en etwas Besonderes.

       Doch die Welt war in ein undurchsichtiges Grau gehü llt. Judith schloss die Augen. Auf einmal musste sie an Bogdans Worte denken. Dass es Menschen gab, die tatsä chlich an gebrochenem Herzen starben. Judith drehte die Musik lauter.

        

 

       Sie war die Einzige, die am Schwimmbad ausstieg. Mittlerweile hatte es zwar aufgehö rt zu regnen, aber an diesem Tag war bestimmt nicht mehr mit Badegä sten zu rechnen. Bis auf ein paar Hartgesottene natü rlich, denen das Wetter nichts ausmachte und die am Abend unbedingt ihre 1000 Meter schwimmen wollten.

       Der Parkplatz war so gut wie leer. Judith konnte ihr Fahrrad schon aus der Ferne erkennen, denn es war das einzige, das an einen Stä nder gekettet war. Als sie jedoch nä her kam, musste sie feststellen, dass der hintere Reifen platt war. Jemand hatte das Ventil aus dem Schlauch geschraubt. Wahrscheinlich hatte er es irgendwo in die Bü sche geworfen.

       Judith stö hnte und strich sich wü tend das nasse Haar aus der Stirn. Dann holte sie tief Luft, biss die Zä hne zusammen, lief durch den strö menden Regen zum Kassenhä uschen und klopfte an die Scheibe, denn die Frau, die sonst die Saisonkarten kontrollierte, saß an einem kleinen Tisch und lö ste Kreuzworträ tsel. Erst als sie das Klopfen hö rte, blickte sie auf.

       »Hallo«, sagte Judith laut. »Ich wollte das hier fü r Bogdan abgeben. « Sie hielt einen Zwanzigeuroschein in die Hö he.

       »Wenn du mö chtest, kannst ihm das Geld selber geben«, sagte die Frau. »Er ist drü ben bei den Umkleiden. « Sie zeigte in die Richtung eines Flachbaus um die Ecke.

       Judith nickte ihr einen Dank zu und hastete ü ber die Wiese zu den Umkleiden hinü ber. Jetzt, ohne die Badegä ste, wirkte das Freibad geradezu verwunschen. Der feine Regen zauberte Kreise auf die glatte Wasseroberflä che des groß en Schwimmbeckens. Judith konnte das Sirren eines Akkuschraubers hö ren. Sie ging an den Schließ fä chern vorbei zu einer Galerie von Tü ren.

       »Bogdan? «, rief sie. »Sind Sie hier? «

       Der massige, hochrote Kopf eines Mannes erschien in einem der Tü rrahmen.

       Bogdan lä chelte, als er Judith sah. »Hallo! Mit dir hatte ich eigentlich gar nicht gerechnet. «

       Judith hielt ihm die zwanzig Euro hin. »Hier. Ich bin Ihnen noch was schuldig. «

       Bogdan nahm das Geld, trat aus der Umkleide und steckte den Schein in die Tasche seiner Jeans. In der linken Hand hielt er einen Akkuschrauber, der in seiner Pranke wie eine Spielzeugpistole aussah. »Danke«, sagte er und stutzte dann. »Stimmt was nicht mit mir? « Er blickte belustigt an sich hinab.

       In der Nacht ihrer ersten Begegnung hatte Bogdan einen Overall getragen und schon da war er ihr wie ein Schrank erschienen. Jetzt trug er ein T-Shirt, das mindestens XXXL sein musste, ihm aber dennoch zu klein war.

       Judith schü ttelte den Kopf. »Alles in Ordnung. «

       »Dann ist es ja gut. « Er betrachtete noch einmal die Tü r, an der er zuvor herumgeschraubt hatte. »Es will mir einfach nicht in den Kopf, wie jemand Spaß daran haben kann, Sachen zu zerlegen. Hier. « Er deutete auf die Scharniere, die er versetzt hatte. »Das Zeug ist nicht aus Pappe. Man muss schon einiges an Energie aufbringen, um hier alles aus der Verankerung zu reiß en! «

       »Ich dachte, Sie sind hier nur als Wachmann angestellt. Fü r die Nacht«, sagte Judith.

       »Ja, bin ich auch. Aber manchmal verdiene ich mir auch tagsü ber noch ein wenig dazu. « Er sah auf die Uhr, die ü ber den Kassenhä uschen angebracht war. »Pause. Kann ich dich zu einem Kaffee einladen oder musst du wieder nach Hause? «

       Judith schü ttelte den Kopf. »Auf mich wartet niemand. «

       »So? « Bogdan runzelte die Stirn und packte den Akkuschrauber wieder in ein kleines Kö fferchen, dessen Schlö sser er zuschnappen ließ. »Ich hä tte dein Fahrrad ja gerne bei mir ins Bü ro gestellt, aber es war abgeschlossen und ich hatte deinen Schlü ssel nicht. Das mit dem Reifen hast du gesehen? «

       Judith nickte.

       Bogdan fischte mit seiner riesigen Hand in der Tasche seiner Jeans, in die bereits das Geld gewandert war, nach etwas, was ziemlich klein sein musste. Schließ lich wurde er fü ndig. »Das hier mü sste passen. « Auf seiner ausgestreckten Handflä che sah das glä nzende Ventil wie eine Plombe aus, die ihm aus dem Zahn gefallen war.

       »Danke! «, sagte Judith ü berrascht. »Sieht so aus, als hä tten Sie mich doch erwartet. «

       Bogdan zuckte mit den Schultern. »Wenn ich ehrlich sein soll: Ja. Du schienst mir nicht zu den Leuten zu gehö ren, die ihre Schulden nicht bezahlen. «

       Judith lä chelte. »Sie bilden sich ganz schö n was auf ihre Menschenkenntnis ein. «

       Bogdan dachte einen Augenblick lang nach. »Ja«, sagte er schließ lich. Und blieb dabei ganz ernst.

       »Und Aljoscha? «, fragte sie. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als der Schä ferhund auch schon ü ber die Wiese auf sie beide zugerannt kam. Offenbar hatte er seinen Namen gehö rt. Doch anstatt sein Herrchen zu begrü ß en, sprang er an Judith hoch, und zwar so stü rmisch, dass er sie beinahe umriss. Bogdan packte ihn am Halsband. »Sitz«, sagte er laut. »Jetzt schau dir mal an, was du angestellt hast! «, sagte er vorwurfsvoll. »Du bist ganz schmutzig. « Er deutete auf Judiths T-Shirt, auf dem jetzt eine halbes Dutzend Pfotenabdrü cke zu sehen waren. Aljoscha machte sich lang, legte die Schnauze auf die Vorderpfoten und sah betroffen zu den beiden hinauf. Judith kniete sich hin und streichelte den Hund hinter den Ohren.

       »Darauf kannst du wirklich stolz sein«, sagte Bogdan und strich sich ü ber die mä chtige Glatze. »Aljoscha ist normalerweise sehr scheu, um es mal so auszudrü cken. Er schließ t nicht so schnell Freundschaft. Aber dich scheint er regelrecht ins Herz geschlossen zu haben. « Bogdan klemmte das Kö fferchen unter den Arm. »Lass uns gehen. «

       Das schmucklose Café des Schwimmbades hatte zwar geö ffnet, war aber genauso leer wie der Rest der Anlage. Bogdan griff ü ber den Tresen und zapfte aus einer Thermoskanne Kaffee in zwei Tassen. »Kuchen vielleicht? Apfel oder Marmor, mehr haben wir heute nicht im Angebot. Dafü r geht er aufs Haus. «

       Judith setzte sich an einen der quadratischen Tische, die auch im Tagesraum eines Altenheimes hä tten stehen kö nnen. Aljoscha rollte sich zu ihren Fü ß en zusammen und hing seinen Hundegedanken nach.

       »Kaffee reicht vollkommen«, sagte sie und blickte aus dem Fenster. Die Birken, die den Eingang des Schwimmbades bewachten, bewegten sich trä ge wie Trauerweiden im Wind. Das Grau hatte sich ein wenig gelichtet, aber es regnete noch immer.

       Bogdan setzte sich Judith gegenü ber und musterte sie eingehend, so als versuchte er, ihr Gesicht zu lesen. Judith wich seinem Blick aus und umklammerte mit beiden Hä nden ihre Tasse.

       »Sü ß e, du siehst wie ein Hä ufchen Elend aus«, sagte er schließ lich.

       Judith zuckte mit den Schultern und wollte etwas sagen. Von wegen: Das Leben geht weiter. Sie brach plö tzlich in Trä nen aus. Verschä mt wandte sie sich ab und schluchzte so laut, dass Aljoscha winselnd den Kopf hob.

       Eine groß e Hand legte sich sanft auf ihre Schulter. »Hier«, flü sterte Bogdan und reichte ihr eine Papierserviette.

       Sie griff danach, knä ulte die Serviette zusammen und rü ckte ein Stü ck vom Tisch weg. Es war alles so peinlich, so demü tigend. Am liebsten wä re sie im Boden versunken. Schließ lich biss sie die Zä hne zusammen, holte zitternd Luft und putzte sich die Nase.

       »Danke«, sagte sie mit brü chiger Stimme.

       »Ich bin leider ein miserabler Trö ster«, sagte Bogdan. »Aber ein guter Zuhö rer. «

       Judith blinzelte die Trä nen weg und brachte ein schiefes Lä cheln zustande. »Das ist doch schon mal was«, sagte sie mit leidlich fester Stimme.

       »Ja, aber ich glaube nicht, dass das in deinem Fall viel helfen wird«, erwiderte Bogdan. »Du gehö rst zu denen, die ungern mit anderen ü ber ein gebrochenes Herz sprechen. Stimmt’s? Ich weiß, wie du dich fü hlst. Das kannst du mir glauben. Und du kannst mir auch glauben, dass dieser hundsgemeine Schmerz irgendwann mal nachlassen wird. So lange wirst du mit ihm leben mü ssen. Aber du darfst dich nicht von ihm beherrschen lassen, hö rst du? Dann wü rdest du dich zusä tzlich bestrafen. Das klingt jetzt alles nach Groß mutters Ratschlä gen, aber manchmal ist die Wahrheit banal. «

       Judith schwieg. Nicht, weil ihr die Worte fehlten, sondern weil sie Angst hatte, wieder in Trä nen auszubrechen.

       »Es hat aufgehö rt zu regnen«, sagte Bogdan. »Sollen wir dein Fahrrad wieder flottmachen? «

       Sie nickte. »Danke«, sagte sie nur.

       »Dafü r nicht«, sagte Bogdan und stand auf. »Ich gehe in die Werkstatt und hole eine Luftpumpe. Wir treffen uns vor dem Tor. «

        

 

       Judith trat hinaus in die kü hler gewordene Luft, die endlich wieder nach Sommer roch. Hin und wieder stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Wolkenlü cken. Sie schä mte sich noch immer fü r ihren Gefü hlsausbruch. Aber wenn sie ehrlich war, fü hlte sie sich auch erleichtert.

       Sie untersuchte das Fahrrad genauer. Wer aus Spaß Ventile klaute, dem waren auch noch andere Dinge zuzutrauen. Aber die Bremsen waren in Ordnung und auch die Schnellspanner fü r die Rä der waren nicht gelockert worden.

       Plö tzlich hielt sie inne. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Sie drü ckte den Rü cken durch und drehte sich langsam um. Sie hä tte schwö ren kö nnen, dass sie beobachtet wurde. Vorsichtig tat sie einen Schritt von ihrem Fahrrad weg. Sie bekam eine Gä nsehaut, als hä tte sie ein kalter Luftzug gestreift.

       Der Parkplatz war noch immer so gut wie leer. Pfü tzen hatten sich auf dem Asphalt gebildet. Judith drehte sich einmal langsam um sich selbst. Ihr Herz schlug schneller und sie schluckte. Vorsichtig ging sie rü ckwä rts wieder zum Eingang des Freibades zurü ck. Da sah sie die leere Pfefferminzpackung. Wilhelma. Obwohl der Boden nass war, fü hlte sich das Papier trocken an, als Judith sich bü ckte und es aufhob. Sie gab einen unterdrü ckten Schrei von sich, als sie mit dem Rü cken gegen jemanden stieß.

       »Vorsicht! «, sagte Bogdan und hielt Judith an der Schulter fest. Sie wirbelte so erschrocken herum, dass sie beinahe gestolpert wä re. »Mä dchen! Was ist los mit dir? « Er sah sich misstrauisch um. »Ist jemand hinter dir her? «

       Die Bilder, schoss es ihr durch den Kopf. Die Abzü ge, die jemand von Jan und seiner neuen Liebe gemacht hatte, um sie ihr dann zu schicken. Vielleicht hatte er ja nicht nur Bilder von Jan und Zoey gemacht. Vielleicht fotografierte er ja auch sie!

       »Nein, es ist nichts«, sagte Judith hastig, denn es war offensichtlich, dass Bogdan ihr nicht glaubte, als er sah, wie sie das Papier in der Hand zerdrü ckte und fallen ließ. Doch er schwieg nur, schraubte das Ventil fest und pumpte den Reifen auf. Dann baute er sich vor ihr auf.

       »Ich mag dich«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Wirklich, es passiert nicht oft, dass mir jemand sympathisch ist. Die meisten halten mich fü r einen hirnlosen Muskelberg. Aber du tickst anders, das hab ich gleich gemerkt. « Er holte tief Luft. »Ich mö chte gar nicht wissen, in welchem Schlamassel du da steckst. Doch einen guten Freund kannst du sicher gebrauchen. Von denen hast du wohl nicht viele. « Er holte einen Kugelschreiber aus seiner Tasche und kritzelte etwas auf die Rü ckseite eines Kassenbons. »Meine Telefonnummer und meine E-Mail-Adresse. Wenn du Hilfe oder einfach nur jemanden zum Reden brauchst, melde dich! « Die letzten zwei Worte sprach er so deutlich aus wie einen Befehl. Dabei sah er ihr fest in die Augen. »Abgemacht? «

       Judith nahm den Zettel und schaute ihn lange an. Schließ lich stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab Bogdan einen Kuss auf die Wange, der daraufhin etwas grunzte, was wie ein Widerspruch aus Verlegenheit klang.

       Dann schwang sie sich auf ihr Fahrrad und fuhr nach Hause. Sie sah nicht, wie Bogdan die zerdrü ckte Pfefferminzpackung aufhob und die Stirn runzelte.

        

 

       Bogdan hatte nicht ganz Unrecht. Viele Freunde hatte sie nicht. Kim. Und Niels, der Jan eigentlich nie hatte richtig leiden kö nnen. Warum, hatte sie nie erfahren. Vielleicht, weil die Chemie nicht stimmte. Vielleicht hatten sie ja auch mal einen schlimmen Streit gehabt. Alle anderen aus der Clique hatten sich von ihr zurü ckgezogen, weil sie Jan nä her standen als ihr.

       Sie schloss die Zimmertü r hinter sich und setzte sich aufs Bett. Bogdan Delius. Seine E-Mail-Adresse hatte den Nick »pumping_iron«. Sie wusste zwar nicht ganz genau, was diese Redewendung bedeutete, fand aber trotzdem, dass der Name zu ihm passte. Judith nahm ihr Handy vom Schreibtisch, fü gte den Kontakt ihrem Adressbuch hinzu und synchronisierte die Ä nderungen mit ihrem Rechner.

       Schließ lich rieb sie sich mü de die brennenden Augen, steckte sich die kleinen Hö rer in die Ohren und schaltete den MP3-Player ihres Smartphones ein. Die Panikattacke im Schwimmbad steckte ihr noch in den Knochen. Obwohl ihr Dachzimmer von der Sommerschwü le aufgeheizt war, frö stelte sie. Sie musste an Jan denken. Immer wieder. Und die Zweifel stiegen in ihr hoch: ob sie vielleicht selbst nicht ganz unschuldig an Jans Verhalten war. Hatte sie ihn schlecht behandelt? War sie sich seiner zu sicher gewesen? In welchen Situationen hatte sie Fehler begangen? Hatte sie ihm vielleicht keine andere Wahl gelassen? Oder war er einfach nur kalt und rü cksichtslos? Und wer hatte ihr die Fotos geschickt?

       Ihre Gedanken fuhren Karussell, auf und ab und immer wieder im Kreis. Sie war alleine auf einem weiten Feld, der Wind fegte ü ber die kahle, kalte Landschaft, deren Horizont von einem verwachsenen Baum markiert wurde, auf dem sich eine Schar schwarzer Vö gel niedergelassen hatte. Sie drehte sich um und sah Jan, zusammen mit Zoey. Keine zehn Schritte von Judith entfernt. Und die beiden kü ssten sich, als stü nde das Ende der Welt bevor.

       Dann erklang gedä mpfter Ton und Judith schreckte hoch. Die Hö rer waren ihr aus ihren Ohren gerutscht und das T-Shirt klebt ihr an der Haut. Sie warf einen Blick zum Fenster: Die Abendsonne stand rot und rund und riesengroß zwischen den Bä umen. Judith atmete tief durch. Sie war eingeschlafen. Die Uhr auf ihrem Nachttisch zeigte acht.

       Ihr Computer! Sie hatte eine Mail bekommen, und im ersten Moment dachte sie, Jan hä tte ihr eine Nachricht geschickt. Doch als sie sich an den Schreibtisch setzte, sah sie, dass die Nachricht von Gabriel war.

       Von: gabriel23@sysop. net

 

       An: gwendolin@myweb. de

 

       Betr.: Stubenrein

 

       Liebe Judith!

 

       Der Erfolg ist zwar nicht durchschlagend, aber messbar. Jedenfalls hat es keinen neuen Kurzschluss gegeben und auch der Teppich bleibt fü rs Erste trocken. Im Groß en und Ganzen scheint von Richthofen langsam zu akzeptieren, dass er sein Bein gefä lligst drauß en zu heben hat. Jedenfalls danke fü r die Tipps. Das Buch habe ich ü brigens bis jetzt noch nicht bekommen. Irgendwie hat sich die andere Gwendolyn verabschiedet, ich weiß es nicht. Tatsache ist, ich bekomme meine Mails immer wieder als unzustellbar zurü ck.

 

       Liebe Grü ß e

 

       Gabriel

 

       Judith musste tatsä chlich lachen. Eigentlich hatte sie nicht mehr mit einer Nachricht von Gabriel gerechnet und so tippte sie gut gelaunt eine Antwort:

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       Betr.: Stubenrein

 

       Lieber Gabriel,

 

       man muss mit Hunden Geduld haben, vor allen Dingen mit kleinen. Und Beagles sind zwar freundlich, kö nnen aber manchmal ein bisschen auf der Leitung stehen. Aber du sagst ja selbst, dass von Richthofen noch ziemlich jung ist. Unser Zerberus hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Um die Schnauze wird er langsam grau und ist lä ngst nicht mehr so beweglich, wie er es noch vor ein paar Jahren war. Mein Vater hat ihn mir zum sechsten Geburtstag geschenkt und er ist ein echtes Familienmitglied. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn er mal nicht mehr da ist. Irgendwann wird’s dir auch so gehen. Verlass dich drauf.

 

       LG, Judith

 

       Sie drü ckte auf »Senden« und wartete ab. Es waren zwei Minuten vergangen und sie rechnete schon nicht mehr mit einer schnellen Antwort, als die neue Mail von Gabriel eintraf.

       Von: gabriel23@sysop. net

 

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       Betr.: Stubenrein

 

       Ganz ehrlich? Ich glaube, es ist sogar schon jetzt passiert. Normalerweise bin ich nicht so der Haustier-Typ. Eigentlich bin ich sogar froh, wenn ich meine Ruhe habe. Aber da ich zu Hause arbeite und mich viel zu wenig bewege, ist dieser kleine Teufel ein Glü cksfall fü r mich. So bin ich gezwungen, meinem Tag einen Rhythmus zu geben und morgens zu einer festen Zeit aufzustehen. So ein bisschen Ansprache tagsü ber tut mir ganz gut, hä tte ich nicht gedacht.

 

       Grü ß e!

 

       Gabriel

 

       Judiths Finger huschten ü ber die Tastatur.

       Von: gwendolin@myweb. de

 

       An: gabriel23@sysop. net

 

       Betr.: Stubenrein

 

       Ja, das stimmt. Hunde machen immer gute Laune. Vorausgesetzt natü rlich, sie sind gut drauf. Aber mir geht es genauso. Frü her fand ich es lä stig, mit Zerberus bei jedem Wetter rauszugehen. Aber es ist okay. Mittlerweile genieß e ich es sogar. Du arbeitest zu Hause? Was genau machst du denn?



  

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